• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Kunst und Literatur

Begonnen von Tintenteufel, 18. Mai 2016, 09:47:22

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Tintenteufel

Der ¨Ich will Schriftsteller sein, jetzt!¨ Thread hat mich gerade wieder auf eine Frage gestubst, die ich mir seit einiger Zeit immer mal wieder stelle, aber nicht so recht eine Antwort darauf finde:
Wie seht ihr das mit der Kunst und mit der Literatur?

Bisweilen hat man ja etwas den Eindruck, als wäre Kunst ein Schimpfwort geworden. Kunst ist sowas mit blauen Leinwänden und wo nackte Frauen auf irgendeinem Platz in Russland sich mit Farbe bewerfen oder Boote in Form von Genitalien bauen. Aber nicht meine Bücher, nein, nein, die sollen bitte unterhalten und Spaß machen. Harmlosen Spaß.

Mir geht es dabei natürlich auch um diese Frage mit dem ¨Wert¨ von Literatur.

Ich für meinen Teil bin da etwas gespalten. Ich hasse dumme Sachen und dumme Bücher sind am schlimmsten. Die Autoren von Twilight und 50 Shades of Grey sind nicht besser als die Pfuscher, die das RTL Fernsehen verbrochen haben - hirnlose Massenverblödung für Leute, die vor dem Denken Angst haben.
Andererseits halte ich die Trennung von Unterhaltungs- und Kunstliteratur für Blödsinn. Viele künstlerische Bücher sind sehr, sehr unterhaltend und viel Unterhaltungsliteratur landet früher oder später auf der Kanonliste unserer Kunst - Thomas Mann, Jane Austen, Oscar Wilde uvm. - wie Alana schon andeutete.
Mit Literatur verbindet sich für mich aber eben auch der Anspruch, Kunst zu machen. Ich bin ja keine verdammte Maschine, die Jahr um Jahr den gleichen belanglosen Tolkien-DnD-Mist veröffentlicht. Dafür gibt es Hohlbein.

Mich würde einfach mal interessieren, was ihr darüber denkt.

Cailyn

#1
Hallo Tintenteufel

Um ehrlich zu sein, halte ich Kunst für etwas, was es gar nicht gibt. Das ist so, wie wenn man danach fragt, was Liebe denn genau sei. Das ist für jeden komplett was anderes.

Bei Büchern, Filmen und dergleichen unterscheide ich da eher zwischen Kreativität und Verkaufstüchtigkeit. Manche Bücher sind sehr kreativ, lassen sich aber kaum verkaufen. Manche sind sehr kreativ und lassen sich gut verkaufen. Und wieder andere haben kaum einen kreativen Anspruch, weil es nur ums Verkaufen geht. Und ich denke, es liegt im Auge des Betrachters (des Konsumenten) zu entscheiden, ob das Produkt für ihn eher kreativ oder verkaufstechnisch ins Leben gerufen wurde.

Verkaufstechnisch sind dann häufig jene Dinge, die man nach einem gewissen Schema erstellt. Ok, wir machen einen Film/schreiben ein Buch. Was bewegte die Menschen in den letzten Jahren? Ach, Vampire sind gut. Liebe ist gut. Kämpfen ist gut. Dann nehmen wir Schema Verliebt-darum gekämpft-HappyEnd und wursteln daraus eine Story. Das ist nicht kreativ, sondern auf Massentauglichkeit konstruiert, ohne was Neues und Spezielles.

Kreativ hingegen ist für mich, wenn ein Werk seine eigene Färbung hat, eine Art Charakter. Es muss nicht das super Einmalige, noch nie Dagewesene sein. Aber in ein paar Details muss auffallend sein, dass dahinter jemand war, der schwitzend und aus dem Kopf rauchend überlegt hat, was er zeigen und darstellen will.

Pintana

Das Grundproblem in dem Bereich hat Cailyn schon perfekt umrissen. Mal davon abgesehen, dass es dazu wohl nur schlecht pauschale Aussagen gibt, wäre die Frage: Was ist Kunst?
Meint man mit Kunst Bücher, die im Prinzip Plotlos nur über ihre schöne Sprache existieren (Es gibt Bücher, in denen der Protagonist nur im Supermarkt ist, um Äpfel zu kaufen, die sich über gefühlte zweihundert Seiten ziehen, der Autor nennt das Kunst)? Ist es Kunst, einen tiefen Sinn in platte Sprachgebilde zu betten? Ist es Kunst, ein Gefühl in unseren Lesern zu wecken? Oder ihnen völlig fremde Welten wie ihre eigenen erscheinen zu lassen?
Ich für meinen Teil will weder die erste noch die zweite Kunstform für mich verbuchen müssen. ;)

Pinnie

Zunächst mal:

ZitatDafür gibt es Hohlbein.

Vielen Dank dafür, das war ein schöner Start in den Tag. :)

Zur eigentlichen Frage: Ich denke auch, das Kunst ein sehr SEHR vager Begriff ist. Gerade in der darstellenden Kunst, also Malerei, Bildhauerei etc. hat man oft das Prinzip "gelber Streifen auf schwarzem Grund" und wenn man das nicht als Kunst anerkennt ist man entweder ein Banause, oder hat sich nicht ausreichend mit dem Künstler *seufz* Beschäftigt, um das Werk verstehen zu können. Aber ganz ehrlich? Mir ist meine Zeit zu schade, um mir zu jedem Pseudoschmierer die Autobiografie reinzuziehen. Ich bin auf dem Standpunkt, wenn sich die Kunst nicht dem Konsumenten selbst erschließt, dass dieser sie als solche erkennt, macht der Künstler irgendwas falsch. Leider ist es in der darstellenden Kunst ähnlich wie in der Literatur. Der Markt macht das Produkt. Die Kunst ist mittlerweile zu etwas derart Pseudoelitärem verkommen, dass nur noch "gelber Strich auf schwarzem Grund" produziert wird. Das ist ein wenig wie "Des Kaisers neue Kleider." "Natürlich sehe ich den künstlerischen Anspruch dahinter. Ich bin doch eiltär." Damit will ich nicht sagen, dass sich jeder Mensch, der sich für elitär hält ein Snob ist, aber eine gewisse Tendenz ist da meiner Meinung nach schon zu beobachten.
Wie lässt sich das auf die Literatur anwenden? Meines Erachtens nach gar nicht. Literatur entwickelt sich nach meinem Verständnis erst mit der Zeit zu Kunst. Ich persönlich schreibe tatsächlich, um zu unterhalten. Vielleicht auch, um Menschen zum Nachdenken zu bringen. Zum Lachen. Zum Weinen. Aber primär eben, um bei ihnen etwas auszulösen. Wenn ich das geschafft habe, bin ich zufrieden. Ist das Kunst? Aus meiner Sicht nicht. Aus Sicht der Lesenden? Möglich. Wär doch cool, wenn.
Ich schätze, letztlich läuft es darauf hinaus, was vor mir schon ausgiebig erörtert wurde. Kunst ist ein sehr subjektiver Begriff. Und ich denke, das ist auch gut so.

Denamio

#4
Kunst ist Kunst. Wird Kunst zum Diskurs, dann oft von Leuten, die sich damit in den Dunstkreis elitärer Kultur setzen wollen. Je mehr Leute sich dabei an den Kopf fassen und fragen was das soll, umso prätentiöser wird es. Wo ist der Mehrwert daran bestimmten Werken den Status Kunst abzuerkennen? Sie mit einem verachtendem Zucken der Mundwinkel in die Ekelecke Unterhaltung zu schieben?
Jeder, von Fanfiction zu Twilight bis hin zum postmodernem Roman ohne jedwede Struktur, jeder davon erschafft Kunst. Kunst als Wort hat keine Wertigkeit, es gibt nicht gute oder schlechte Kunst und schon garnicht richtige oder falsche Kunst. Die Wertigkeit kommt über sekundäre Merkmale, zu denen unter anderem auch die Unterhaltung gehört und wo jeder Mensch für sich selber entscheiden kann, was ein Werk für ihn oder sie über andere Werke erhebt. Solang man das nicht anderen aufzwingen will, ist das völlig in Ordnung. Simpler gesagt: Jeder hat sein Lieblingsbuch. Ob es nun Feuchtgebiete heißt oder Romance of the three Kingdoms.
Unakzeptabel ist für mich hingegen, wenn diese Personen nun hingehen und sagen ihre Auswahl hätte Mehrwert und dieser Mehrwert übertrage sich, praktisch per Osmose, auf den Leser.

Als Randnotiz @Tintenteufel: Kannst du mir bitte anhand von Hohlbeins Bibliographie konkret sagen wo der Mann "belanglosen Tolkien-DND-Mist" schreibt? Da du dir das Urteil erlaubst, hast du ja betreffende Werke gelesen und Beispiele sollten dir nicht schwerfallen.

Tintenteufel

Das Problem "Was ist Kunst?" halte ich an dieser Stelle erstmal für ein Scheinproblem. Cailyn reißt das zwar schon gut an, aber das bezieht sich nur auf "moderne Kunst" - wenn wir mal Pinnies Beispiel von der darstellenden Kunst/Malerei folgen. Moderne Kunst hat andere Ansprüche als klassische, gut, aber bei den Streifen ist ja gerade die Frage: "Ist das jetzt Kunst?" das, worauf der Künstler hinaus will.
Ich denke aber, dass sich niemand finden wird, der die Mona Lisa oder das letzte Abendmahl nicht auf Anhieb als Kunst erkennt oder bezeichnet. Umgekehrt wird wohl kaum jemand die wollüstigen Graffiti im Puff von Pompeij als Kunst bezeichnen wollen? Falls doch, dann haben natürlich insofern ein Problem, als dass ich mich nicht so recht dazu durchringen kann, all die pubertären Schmierereien auf Schultischen als Kunst zu bezeichnen.

@Denamio
Ich stimme dir mit dem ersten Teil völlig zu. :) Diese Teilung von Unterhaltung und Kunst ist blödsinnig, wie auch der Versuch bestimmten Werken den Kunststatus abzusprechen - aus welchen Gründen auch immer.
Allerdings ist es genauso unsinnig, erst einmal alles als Kunst zu bezeichnen. Nach der von dir vorgeschlagenen Definition ist prinzipiell alles Kunst, was von Menschen angepackt wird. Auch das, was Donald Trump da auf der Bühne abzieht. Das mag zwar witzig sein, wenn man einen besonders schwarzen Humor hat, ist aber keine Kunst.
Vielleicht ist es produktiver, davon zu sprechen bestimmten Werken den Kunststatus anzuerkennen.

Ich finde Pinnies Ansatz da auch entsprechend interessant. Vielleicht ist Kunst ja erstmal nur das, was wir über die Jahrzehnte hinweg bewahren und wertschätzen und im Nachhinein als Kunst deklarieren - vielleicht aus einer Laune heraus, weil alles andere eben verloren gegangen ist (wie einge griechische Dramen), vielleicht weil es einen bestimmten Zeitgeist anspricht (wie bei Thomas Mann).

@Hohlbein
*trocken* Such dir eines aus.
Das letzte Buch von Hohlbein, an das ich mich bewusst erinnern kann, war irgendwas mit Greifen. Greifen-Saga/Zyklus/irgendetwas. Das scheint DSA zu sein, jedenfalls behauptet Wikipedia das. Gut, gut, anderes Beispiel, etwas früher gelesen: Garth und Torian. Fantasy nach Schema T. Kann man mit einer Checkliste durchgehen. Hat Hohlbein wahrscheinlich auch gemacht.

Reflektiver Hinweis:
Ich habe, das deutet sich ja an, ein elitäres Kunstverständnis, wahrscheinlich auch ein altbackenes. Nur weil sich einer hinstellt und mir etwas als Kunst verkauft, ist das für mich noch keine Kunst. Und nicht alles, was produziert wird, ist künstlerisch. Künstlich vielleicht, aber nicht künstlerisch.
Für mich heißt Kunst, dass es Gefühle hervorruft und den Geist anregt. Das tut Hohlbein unter Umständen so gut wie Leonardo DaVinci - nur, dass wir uns da verstehen.

Zit

#6
Die Sache mit der Kunst ist, dass man dafür auch offen sein muss, dass man sich als Rezipient darauf einlassen muss. Eine Badewanne voller Fett oder das verwesende Schwein hinter Acrylglas klingen natürlich nicht nach Alte Meister. Wenn ich aber schon mit verschränkten Armen und der inneren Haltung "Ist doch eh alles Bockmist." da ran gehe, dann kann das natürlich auch nichts werden. Für mich ist Kunst ein Dialog. Sicherlich ist der nicht frei von Kommunikationsbarrieren, aber die lassen sich auch nur überwinden, wenn mann Willens dazu ist. Zumindest lässt sich auch der bis zum Umfallen durchexerzierten Literatur in der Schule auf diese Weise etwas abgewinnen. (Ohne Schule hätte ich auch nie Holes von Louis Sachar kennen gelernt, das ich für ein kleines, feines Büchlein halte. Sicherlich nicht mit Thomas Mann zu vergleichen, aber ein Lichtblick.)
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Guddy

#7
Die Mona Lisa ist primär ein Portrait und als solches für mich weniger Kunst als abstrakte Malereien an Hauswände. Portraits erfordern Technik. Nicht Inspiration oder Abstraktion. UNd das sage ich als jemand, der selber fast nur Portraits zeichnet - und sich darum nicht als Künstlerin bezeichnet. Kunst gehört für mich zur Kultur und sicherlich sind die Krakeleien Pompejis Kunst. Sie wurden von Menschen gestaltet, die ihre Gedanken dadurch visualisiert haben. Kunst muss nicht intellektuell anspruchsvoll sein oder dutzendfach Hintergründiges und Interpretierbares bergen.

Insbesondere stimme ich Zit zu: Kunst ist ein Dialog und erfordert einen bereitwilligen Empfänger.
Wenn dein Kunstverständnis eher elitär ist, Tintenteufel, ist das schön und gut. Aber wenn schon stänkern, dann richtig. ;) Hohlbein bedient nicht das Tolkien-Klischee - das können andere Autoren wesentlich besser. Er greift vielmehr auf die Heldenreise als solche zurück sowie auf Märchen, Sagen und die Phantastik als Überbegriff. "Tolkien" wird da nicht wirklich in dem Maße repräsentiert, dass ich sagen würde: "Jup. Voll krass Tolkien!" . Da sehe ich zu viele Unterschiede. Der Punkt ist jedoch auch der: Hohlbein hat glaube ich nie von sich behauptet, ein großer Künstler zu sein. (Falls doch nehme ich den Link zur Aussage sehr gerne an!) Er will unterhalten. Und das schafft er offenbar bei vielen Lesern gut.

magico

Kunst ist zunächst einmal eins: künstlich!
Somit sind all unsere erschaffenen Belletristik-Werke künstlich. Ob sie auch Kunst oder lediglich Handwerk sind, darüber wird jeder anders denken.

Grundsätzlich sehe ich es so, wie Jorge Luis Borges, der die Meinung vertrat, dass auch Unterhaltungsliteratur literarisch wertvoll sein kann.
Wieso auch nicht? Es gibt genügend Beispiele.

Andererseits gibt es auch Kunst, die ich nur schwerlich als solche bezeichnen kann. Beuys zum Beispiel oder Rentmeister, der einfach mal 50 Gläser Nutella auf den Boden kippt und das dann Kunst nennt. Wer weiß wie viele Familien der 3. Welt man mit 50 Gläsern Nutella hätte durchbringen können.
Na ja ... Kunst darf eben alles.