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Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt

Begonnen von Cailyn, 24. Februar 2016, 09:43:06

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Churke

Menschen sind nicht immer so, wie sie sich geben, und geben sich nicht immer so, wie sie sind. In Extremsituationen ist es da völlig normal, dass sie sich von einer anderen, vielleicht unerwarteten Seite zeigen. Das sehe ich auch nicht als Widerspruch, weil es in der Figur angelegt ist.

Auf einem anderne Blatt stehen Figuren, die Ding tun, die sie normalerweise nie tun würden, weil der Autor leider gerade im Plothole steckt und sich nicht anders zu helfen weiß. So etwas fällt auf und es wirkt auf den ersten Blick unglaubwürdig.

Mailor

#46
Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euchsonders ans Herz gewachsen? Und warum?

:D Ich muss gestehen, die Frage hat mich eiskalt erwischt. Ich habe mir nie einen Kopf darum gemacht, ob ich eine Figur mag und jetzt echt lang darüber nach gegrübelt. Ich tu mich grundsätzlich schwer damit zu werten. Ich glaube von der Persönlichkeit her mag ich die meisten Figuren in den Büchern, die ich lese, nicht. Sie erleben jedoch interessante Geschichten. 

Nach noch längerem Grübeln...
Wen ich mochte und gut ausgearbeitet finde:

Fuchur (unendliche Geschichte) - Ich finde ihn sehr wirklichkeitsnah (insofern das bei einem Drachen überhaupt geht) und einen richtigen Typ, sehr sympathisch und gut fassbar.
McGonagall (Harry Potter) - Ich fand sie sehr facettenreich, zu Beginn sehr stereotypisch, doch im Laufe der Bücher kam immer mehr Persönlichkeit dazu, mit einigen interessanten, unerwarteten, aber passenden Seiten.
Königin Jadis (Im ersten Buch - die Chroniken von Narnia) - Mein Lieblingsbösewicht, konsequent ausgespielt würde man im Rollenspiel sagen ;), sie war überzeugt, von dem was sie ist, was sie tut, was sie will.

Ich glaube ich mag Figuren, mit einer "festen" Persönlichkeit.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

Ich hatte das Problem bei einem der Charaktere in meinem Kinderhörspiel.
Da war die Motivation aus der er handelt irgendwie nicht so richtig klar (Was will er eigentlich? Woher kommt seine Verletzlichkeit? Warum hilft er, obwohl er doch eigentlich so ein ruppiger, unfreundlicher Typ ist?) Ich habe mich dann hingesetzt und eine richtige Hintergrundgeschichte für ihn ausgearbeitet, die erklärt warum er so geworden ist, wie er geworden ist und was er sich eigentlich insgeheim wünscht. Letztendlich hat sich in der Endfassung nicht viel geändert nur hier und da mal ein kleiner Satz, eine betretenes hin und her Treten und unwirsches Grummeln. Dann an der richtigen Stelle einen kurzen wütender Monolog und alles war klar. Persönlichkeit entsteht aus Interaktion (der Figur mit sich selbst und anderen) und natürlich daraus, dass man als Autor die Figuren, die man schreibt, sehr gut kennt. Ich glaube Figuren mit einer Lebensgeschichte sind nicht platt und eindimensional, trotzdem können sie natürlich ganz stereotyp sein.

Tante Edit - Nachtrag:
Was mir auffällt ist, dass viele Hauptfiguren in Fantasyromanen einfach nur reagieren (das hat Vic so schön geschrieben) und selten aus eigenem Antrieb heraus handeln. Sondern meist nur, weil sie halt das tun, was getan werden muss, beziehungsweise, um sich aufzulehnen, bockig sind oder halt einfach das "richtige" tun. Daraus entsteht für mich kaum Persönlichkeit. Viele werden halt in eine Geschehen geworfen und müssen sich damit arrangieren und machen das meist auf recht ähnliche weise. Für mich wird es dann interessant, wenn die Figur nicht zum Handeln gezwungen ist, sondern einfach mal so was tut. Ich find es auch interessant, wenn Figuren auf klassische Situationen komplex oder untypisch reagieren. Ich spiele da gern gedanklich Szenarien durch: Wie könnte sie noch reagieren, wie auf gar keinen Fall (lass sie spaßeshalber trotzdem mal so reagieren)?  Und schreib einfach mal wild alles auf, da kommen teilweise ganz spannende Sachen bei raus.

Fianna

Zitat von: FeeamPC am 12. März 2016, 13:38:14
Platte Charaktere sind meist einfach nur Charaktere, über die wir zu wenig wissen. Andererseits ist der Reiz auch weg, wenn der Leser von vorneherein alles über den Charakter auf dem Silbertablett präsentiert kriegt.
Würde ich nicht so direkt unterschreiben. Für mich kommt es stark darauf an, wie Informationen transportiert werden.
Beispielsweise erwähnt mein Protagonist, das Person X irgendeine Handbewegung genau wie sein Freund macht. Man weiß als Leser schon, dass der Freund weit weg und offensichtlich tot ist.
Wenn also mehrere Absätze oder einige wenige Seiten später Person X in einer drohenden Konfrontation wieder mal diese Bewegung macht und der Protagonist dann auf Partei dieser ihm relativ unbekannten Person einsteigt, soll der Leser natürlich die Verbindung ziehen, dass es wegen dieser Erinnerung an seinen Freund ist, den er nicht beschützen konnte.
Schreibe ich das Ganze dagegen genau aus, wird es nicht nur monologisch, sondern (finde ich) auch langweilig.



Kare


Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euchsonders ans Herz gewachsen? Und warum?

Ich mag meistens, warum auch immer, gerade die Nebencharas. Einen Sirius Black bei HP. Einen Theon bei G.R.R.M. Die Kreuzotter bei "Als die Tiere den Wald verließen"  ;D Finnick bei "Hunger Games" . Lord Vetinari in der "Scheibenwelt"
Also irgendwie ein wenig düstere, gebrochene, eigensinnige, zynische, intrigante Gestalten. Eigentlich nie klassische Helden.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

Ich muss gestehen, das kenne ich so gar nicht. Ich habe Figuren, die ich manchmal anfangs noch schlecht "fühlen" kann, dann muss ich ihre Vergangenheit kennen lernen. Für manche Figuren schreibe ich dazu Kurzgeschichten. Oder für wichtige auch mal nur 130 Seiten Biographie.

Wichtig ist mir für eine fühlbare Person:

- sie ist nicht immer auf gleichem Energieniveau, es gibt Veränderungen, gute und schlechte Tage, Stimmungswechsel, Situationen in denen sie glänzt und solche, in denen sie versagt. Sie ist nicht konstant.

- sie zeigt in verschiedenen Situationen und auch gegenüber verschiedenen Personen unterschiedliche Seiten von sich. Jeder von uns spielt Rollen. Arbeitswelt ist anders als Familie. Das will ich gerne auch in einem Fantasy-Roman merken.

- ich will spüren, was eine Person antreibt. Ich will es nicht nur hingeworfen bekommen vom Autor: XY sucht ABC, weil...  Nein, ich will dieses verdammte Motiv spüren können, in dem, was dieser Chara tut, hofft, denkt, redet.

"Die Vergangenheit interessiert mich nur soweit, wie sie mir hilft, die Zukunft zu planen."  ~ Dravos Kanael Salanos - "Drakan"


Avatar © Olga Kolbakova

Cailyn

Kare und Mailor
Auch euch vielen Dank für die Antworten.

Aus einigen Lieblingsfiguren, die hier in diesen Thread genannt wurden, leite ich auch ein paar Büchertipps ab, die ich mal notiere  :)
Und ganz generell überlege ich mir, am Ende mal zusammenzufassen, was eine interessante und spannende Figur ausmacht.

Zitat von: FeeamPC am 12. März 2016, 13:38:14
Nicht unbedingt etwas völlig Neues (der Held entpuppt sich als Bösewicht), sondern zum Beispiel eine Eigenschaft, die der Charakter anfangs hatte, nachvollziehbar verlor im Verlauf der Geschichte (er hat ursprünglich an das Gute im Menschen geglaubt, ist aber durch seine Erlebnisse davon abgekomme) und die dann plötzlich wieder aufflackert (überraschend handelt er noch einmal nach diesem schon verloren geglaubten Ideal), und der Geschichte damit eine neue Wendung gibt.

Finde ich ein passendes und gutes Beispiel.  :jau:

Trippleschritt
Doch, ich finde schon, dass Widersprüchlichkeit etwas mit Mehrdimensionalität zu tun hat. Mehrdimensional heisst ja, dass eine Figur nicht nur schwarz oder weiss ist, sondern verschiedenfarbig und auch verschieden"förmig". Ist eine Figur nur lieb, nur böse, nur streng, nur ängstlich, dann ist sie eindimensional, weil sie in jeder Lebenssituation so dargestellt wird. Aber weil echte Figuren eben verschiedene innere Persönlichkeitsanteile haben sollten, führt das auch zu Widersprüchlichkeiten. Natürlich heisst mehrdimensional nicht nur, dass die Figur widersprüchlich ist, aber das ist bestimmt darin enthalten.

Cailyn

Ich dachte mir, so ein Thread mit vielen hilfreichen Ansichten, Meinungen und Tipps verdient eine Zusammenfassung, so dass man das auch fürs eigene Schreiben nutzen kann. Mir haben eure Antworten zumindest sehr geholfen und mir neue Anreize geben.

Ich habe die spannenden Figuren aus der Literatur zusammengestellt und all eure Antworten in kleine Bereiche unterteilt. Ähnliche oder gleiche Punkte habe ich zusammengenommen und vieles in 1-2 Sätze gekürzt, damit eine gewisse Übersicht besteht. Natürlich sind alle einzelnen Punkte immer noch Ansichtssache und entsprechen nicht jeder und jedem. Was man damit macht, ist natürlich jedem selbst überlassen.
Wer noch weitere Anregungen hat, die er als wichtig erachtet, kann ich die selbstverständlich noch ergänzen.


Interessante und spannende Figuren aus Sicht unserer Forenmitglieder

Gevatter Tod aus ,,Gevatter Tod" von Terry Pratchett
James Bond aus der Romanreihe von Fleming
Miss Marple und Hercule Poirot aus den Romanreihen von Agatha Christie
Pipi Langstrumpf aus ,,Pipi" von Astrid Lindgren
Kate Daniels aus der Reihe ,,Stadt der Finsternis"
Inquisitor Glotka aus der Reihe von Joe Abercrombie
Raistlin Majere aus den Drachenlanze Büchern von Margaret Weis
Flora aus ,,So ruhet in Frieden" von John Lindqvist
Roland aus "Der dunkle Turm" von Stephen King
Anton Gorodetzsky aus der Wächter-Reihe von Sergei Lukianenko
Fitz Chivalry von der Farseer (Weitseher) Trilogie von Robin Hobb
Attikus O'Sullivan aus der Iron Druid Reihe von Kevin Hearne
Harry Dresden aus ,,Dresden Files" von Jim Butcher
John Taylor aus Nightside von Simon R. Green
Tyrion und Snow aus ,,Das Lied von Eis und Feuer" von George R.R.
Auri aus ,,Musik der Stille" von Patrick Rothfuss
Mortimer Wittgenstein aus ,,Die uralte Metropole" von Christoph Marzi
Fermin Romero de Torres von Carlos Ruiz Zafon
Kleinfinger aus ,,Ein Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin
Luna Lovegood aus Harry Potter von Joanne K. Rowling
Harry Hole aus den Jo Nesbö-Krimis
Arya Stark aus ,,Ein Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin
Jamie Fraser aus ,, The Outlander" von Diana Gabaldon
Galowglass aus der Romantrilogie von Deborah Harkness
Karl Schmidt aus Magical Mystery von Sven Regener
Uthred aus der Saga von Bernard Cornwell
Fuchur aus ,,Die unendliche Geschichte" von Michael Ende
McGonagall  aus der Harry Potter Reihe von Joanne K. Rowling
Königin Jadis aus ,,Die Chroniken von Narnia" von C.S. Lewis
Sirius Black aus der Harry Potter Reihe von Joanne K. Rowling
Theon aus ,,Das Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin
Die Kreuzotter aus ,,Als die Tiere den Wald verliessen" von Colin Dann
Finnick aus ,,Hunger Games" von Suzanne Collins
Lord Vetinari aus der Scheibenwelt von Terry Pratchett


Zusammengetragene Herangehensweisen, um spannende Figuren zu schaffen


Interessen, Emotionen und Gefühle

  • Ausgefallene Interessen und Sehnsüchte

  • merkwürdige Ängste und Befürchtungen

  • Starke irrationale Ängste oder Zwänge

  • unerwartete Vorlieben und Hobbys

  • Träume

  • Macken und Tics

  • Die Motivation/der Antrieb eines Charakters sollte spürbar sein (nicht nur aus dem Erzählten des Autors, sondern durch seine Handlungen.


Verhalten der Figur (Aktion, Verhaltensmuster, Bewegung und Sprache)


  • Typische Bewegungen

  • häufig benutztes Lieblingswort

  • Die Charaktere in eine bestimmte Situation versetzen (z.B. Supermarkt) und sich fragen: Wie verhält er/sie sich dort? Weintrauben klauen? Brav an der Kasse anstehen? Mit anderen kommunizieren?

  • Motivation/Motiv für Verhaltensweisen in der Vergangenheit der Figur suchen

  • Aktive Figuren finden oft mehr Anklang als passive, wobei Aktivität sich auch im Innern einer Figur abspielen kann und nicht zwingend auf der Handelsebene (wenn schon keine äussere Aktion und Kampf, dann zumindest im Inneren). Passiv kommt negativ rüber, wenn die Figur im Leben alles hinnimmt und nicht agiert und dies auch innerlich akzeptiert.

  • Widersprüche können eine Figur (u.a.!) vielschichtig machen. Allerdings sollte ersichtlich sein, dass die Autorin/der Autor den Widerspruch mit Absicht gewählt hat, damit die Figur nicht willkürlich wirkt.

  • Undurchsichtigkeit kann einen Charakter interessant machen.

  • Die Figur reagiert auf klassische Situationen komplex oder untypisch.


Aussehen


  • Eine Variante/Hilfe zum Erstellen einer Figur: Wie innen so aussen, da der Mensch ausstrahlt, was er ist.

  • Einen Makel, eine Verletzung, welche den Charakter zu dem gemacht hat, was er ist.

Fragen, um die Figuren kennen zu lernen

Wovor haben sie Angst?
Was macht sie glücklich?
Was ist ihnen peinlich?
Was macht sie wütend?
Was wollen sie im Leben erreichen?
Was machen sie in ihrer Freizeit?


,,Für interessante und spannende Figuren gehe ich nach dem Prinzip..."


  • Neben Stärken sollte es auch Schwächen geben.

  • Details, die ihn als Menschen und nicht als Buchfigur auszeichnen

  • Es ist oft nicht unbedingt das Brachiale, das Menschen voneinander unterscheidbar macht, sondern eher die Details (oben genannte zu Verhalten, Sprache, Interessen, Ängste etc.).

  • Sie im Verlauf der Geschichte wachsen lassen. Die meisten wichtigen Charaktere machen während einer Geschichte Veränderung durch und im Laufe dieser Veränderung, gewinnen sie automatisch an Tiefe.

  • Eine Figur sollte wandelbar sein und wenn nicht, sollte die Absicht der Nicht-Wandelbarkeit ersichtlich sein.

  • Manchmal ist der eindimensionale Charakter (also das laufende Klischee) auch nötig, um die restlichen Charaktere aufzuwerten.

  • Ein Klischee-Charakter muss nicht zwingend flach sein und hat auch seine Attraktivität.

  • Jeder Charakter verdient eine Geschichte, auch wenn sie für den Plot nicht relevant ist und nur der Autor sie kennt.

  • Es bringt viel Würze in ein Buch, wenn die Charaktere das Ziel der Geschichte erschweren.

  • Ein Charakter sollte auch gegen Ende einer Geschichte noch mit Überraschungen aufwarten können.

  • Eine Figur zeigt ihr wahres Gesicht häufig erst in Extremsituationen. In den nicht-Extremsituationen hingegen agiert er nicht immer so, wie er wirklich ist.

  • Persönlichkeit entsteht aus Interaktion der Figur mit sich selbst und anderen.

  • Eine Figur sollte aus sich selbst heraus handeln (aus ihrer eigenen Geschichte und Antrieb).

  • Es kann helfen, für die einzelnen Figuren eine Kurzgeschichte zu schreiben, um sie besser kennen zu lernen.


  • Eine Figur sollte in verschiedenen Situationen oder auf verschiedene Personen anders reagieren / eine andere Seite von sich zeigen.


,,Für interessante und spannende Figuren vermeide ich..."


  • Eine Figur sollte nicht zu konstant sein (Stimmung, Energieniveau, Erfolg/Misserfolg).

  • Die Wandlung eines Charakters sollte nicht allzu abrupt erfolgen, da er sonst unglaubwürdig wirkt.

  • Schwächen sollten keine Alibischwächen sein, sondern echte Schwächen, wobei Stärken wie auch Schwächen subjektiv und kontextabhängig überhaupt als Stärke oder Schwäche angesehen werden können).

  • Ein ausgearbeiteter Charakter sollte nicht dem Plot zum Opfer fallen (nicht in eine Form gepresst werden, die nur der Geschichte dient), da die Figur sonst konstruiert wirkt. Dann lieber gleich einen anderen Charakter wählen.

  • Zwei Charaktere im gleichen Buch sollten sich nicht zu sehr ähneln, da sie dadurch im Einzelnen abgewertet werden. Sie dürfen sich ähnlich sein, sollten sich aber in bestimmten Lebensbereichen oder Reaktionsmustern deutlich voneinander unterscheiden.



Anregungen aus dem Netz


  • Weiland Creating Stunning Character

  • Fragen für deinen Charakter von Writer's Write.

Feuertraum

Ich erlaube mir einmal, den Staub wegzupusten und diesen Thread wieder ans Tageslicht zu zerren und dabei auch noch den Part des Antagonisten einzunehmen, weil ich mir erlaube,  die Frage "Persönlichkeit statt langweilig oder platt" mit der Gegenfrage "Warum denn nicht eindimensional?" beantworten möchte.
Für mich zum Beispiel ist es eher wichtig, was die (bzw. meine) Protas erleben, in welche abstruse/skurille/absurde Situationen sie geraten und wie sie da wieder herauskommen. Darauf liegt zumindest mein Fokus, und ich finde es ehrlich gesagt nicht sonderlich prickelnd, wenn ich die Figur noch mit einem Charakter voller Stärken und Schwächen ausstatten muss, eine Biographie schreiben muss über 100 Seiten, die jedes noch so kleinste Fitzelchen erklärt, warum der Charakter in der Situation das und das tut, und wenn man dann feststellt, dass er in der Situation, in der er sich befindet, gar nicht so reagieren kann/darf, dann wird die ganze Szene weggeworfen, ganze Passagen vielleicht gestrichen. Darf ja nicht sein, passt ja nicht zum ausgearbeiteten Char.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will Charaktere nebst Stärken und Schwächen nicht verdammen und nicht über sie lästern. Sicherlich können sie einiges in einer Geschichte transportieren. Aber ich finde, dass auch flache, eindimensionale Charaktere eine Daseinsberechtigung haben, weil die Geschichte als solches im Vordergrund stehen sollte und nicht das Seelengewebe der Figuren.
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Fianna

Sowas finde ich überhaupt nicht interessant. 0815-Figuren reagieren doch auch 0815. Dann stellt sich maximal die Frage, ob der Held sich mit dem Schwert, der Axt oder dem Bogen raushaut (die er natürlich sämtlich in meisterschaft beherrscht).
Aber mit komplexeren Figuren und ihren inneren Konflikten, die sie zu unstandardisierten Handlungen motivieren, wird es doch erst richtig interessant.

Araluen

Ich bin auch immer der MEinung, dass eine Figur "leben" muss. Man muss keine 100 Seitenbiographie verfassen, aber man muss den Charakter kennen, seine Beweggründe, einfach sein Verhalten. Mir hilft da die Vorgeschichte, aber das muss nicht immer so sein. Bei Kurzgeschichten mache ich mir nicht die Mühe, zu jedem Charakter wirklich eine ausgereifte Biographie anzufertigen. Die Geschichte ist einfach zu kurz um etwas davon ausreichend zu transportieren. Gedanken über das Verhaltensmuster muss ich mir schon machen. Nur mit Schablonen könnte ich nicht arbeiten.
Wenn wir das in die Spielewelt übertragen: Welche Spiele mag man lieber? Die, in denen man aus drei bis fünf Standardmodellen seinen Charakter auswählt oder jene, in denen man Gestaltungsspielraum hat und kleine Persönlichkeiten erschaffen kann? Auch wenn viele bei letzterem wohl auch oft den Zufallsbutton wählen, hänge ich mich mal aus dem Fenster und behaupte, der Großteil bevorzugt den gestaltbaren Charakter und nicht das Spiel mit den Standardmodellen (gegeben, dass beide Titel gleich interessant sind und sonst gleiche Vorraussetzungen bieten. Sonst kann man nicht vergleichen.)
Bei Büchern wird das nicht anders sein. Charakter dürfen Klischees bedienen, sollen aber dennoch irgendwo einzigartig, besonders, auf jeden FAll authentisch sien, damit der Leser Spaß hat. Allein der Plot fesselt selten, außer er ist wirklich wirkich gut und selbst dann bleibt meist folgende MEinung hängen: Also bei den falschen Charakteren hätte ich das Buch ja wegeworfen, wenn ich nicht unbedingt hätte wissen müssen, wie die Geschichte ausgeht. Nochmal würde ich es aber nicht lesen.
Die Aussage kann man nicht generalisieren. Das ist klar. Mir selbst kam sie schon öfters über die Lippen.

Feuertraum

Zitat von: Araluen am 04. Juli 2016, 20:13:30

Wenn wir das in die Spielewelt übertragen: Welche Spiele mag man lieber? Die, in denen man aus drei bis fünf Standardmodellen seinen Charakter auswählt oder jene, in denen man Gestaltungsspielraum hat und kleine Persönlichkeiten erschaffen kann? Auch wenn viele bei letzterem wohl auch oft den Zufallsbutton wählen, hänge ich mich mal aus dem Fenster und behaupte, der Großteil bevorzugt den gestaltbaren Charakter und nicht das Spiel mit den Standardmodellen (gegeben, dass beide Titel gleich interessant sind und sonst gleiche Vorraussetzungen bieten. Sonst kann man nicht vergleichen.)

Einspruch, Euer Ehren!
Ich selber spiele seit Jahrzehnten Rollenspiel, und auch ich kenne das "Spielchen" mit der ausgearbeiteten Charakterisierung, mit dem Tiefen und der Seelenpein und dem Tränenfluß.
Ganze Geschichten wurden geschrieben, warum der Charakter so und so ist, ganze Begründungen wurden hineingelegt.
Und während des Spielens?
Richtig: Nix davon trat an die Oberfläche.
Und ich habe in diesen knapp 3 Jahrzehnten wirklich mit den unterschiedlichsten Menschen gespielt, im privaten Haushalt als auch auf öffentlichen Cons. Und nicht einer hielt sich an dem, was er sich so mühsam ausgedacht hatte.

Vielleicht bin ich da ja ein Ausnahmeleser und Ausnahmeautor, aber ich bin nun wirklich nicht der Freund, bei dem der Held so viele bitterliche Tränen weinen muss, dass aus einer Wüste eine prächtige Oase wird, und ich habe auch ein Problem damit, dass ein Prota so viele Qual und Pein erleiden muss, dass selbst der Teufel Mitleid mit ihm hat.

Nehmen wir als Beispiel nur mal Wallander gegen Commissario Brunetti. Der Schwede mit seiner Depression stört (zumindest mich) beim Lesen, Brunetti hingegen kommt bei mir mit seinem 08/15-Charakter wesentlich besser an.
Nehmen wir die drei Fragezeichen. Justus und Peter haben zwar ihre Eigenart, weil Justus = Schlaukopf und "fleischgewordenes" Wikipedia und Peter = "Feigling", aber ich erlaube mir mal zu behaupten, dass sie keine wirklichen, keine ausgefeilten Charaktere sind. Die beiden haben je eine besondere Eigenschaft, und das war es eigentlich. Von Bob brauchen wir gar nicht zu reden.
Und doch stehen die Bücher und die Hörspiele um das Detektivtrio immer ganz oben in den Verkaufsrängen.

Ich wehre mich ja nicht gegen die Behauptung, dass eine Geschichte keine ausgearbeiteten Charaktere haben darf oder soll, ich bin nur dahingehend trotzig, wenn behauptet wird, dass eine Geschichte mit eindimensionalen Charakteren nicht funktioniert oder per se schlecht ist.


Bei Büchern wird das nicht anders sein. Charakter dürfen Klischees bedienen, sollen aber dennoch irgendwo einzigartig, besonders, auf jeden FAll authentisch sien, damit der Leser Spaß hat. Allein der Plot fesselt selten, außer er ist wirklich wirkich gut und selbst dann bleibt meist folgende MEinung hängen: Also bei den falschen Charakteren hätte ich das Buch ja wegeworfen, wenn ich nicht unbedingt hätte wissen müssen, wie die Geschichte ausgeht. Nochmal würde ich es aber nicht lesen.
Die Aussage kann man nicht generalisieren. Das ist klar. Mir selbst kam sie schon öfters über die Lippen.
[/quote]
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Araluen

Bei dem Beispiel ging es mir nicht um den ausgefielten Rollenspielcharakter mit tiefgreifender Hintergrundgeschichte. Zur Veranschaulichung habe ich in dem Beispiel die Optik deines Avatars gewählt. Optik des Avatars im Spiel entspricht Ausarbeitung einer Figur in einer Geschichte.
Im Bezug auf Rollenspielcharaktere stimme ich dir zu, dass die mühsam heraus gearbeitete Hintergrundgeschichte selten zum Tragen kommt. Das liegt allerdings meist daran, dass Rollenspieler zu egozentrisch sind, ums ich wirklih, wirklich für andere als ihre eigenen Charaktere zu interessieren. Folglich fragen sie selten nach. Wenn nicht nachgefragt wird, erzählt man die Geschichte auch nicht. Man will ja keine sinnlosen MOnologe halten. Was einem da helfen kann, ist aber gezielt mit der Geschichte zu spielen und sie als Zentrum eines kleinen Abenteuers zu nehmen.

Es hat auch niemand behautpete, dass ein Held ständig bitterliche Tränen weinen muss, weil sein Leben bisher ach so tragisch war. Dein Leben besteht hoffentlich auch nicht nur aus Tränen. Aber du hast eines. Es hat dich geprägt und aus dir das gemacht, was du jetzt bist. Darumg eht es auch bei der Gestaltung der Figuren. Ihnen muss Leben eingehaucht werden, nicht überdimensionierte Pseudomelodramatik.
Als langjähriger Fan der drei Fragezeichen kann ich behaupten, dass auch die drei Jungs ihren Charakter und ihre Biographie haben, auch wenn sie Standardtypen entsprechen. Die wird nun nicht in jeder Folge voll ausgelatscht. Man muss sie suchen und findet sie eher versteckt in kleinen Häppchen in den einzelnen Hörspielfolgen und Büchern (selbst da gibt es Unterschiede). Am besten bekannt ist da immernoch Justus Charaktergeschichte, gefolgt der von Bob. Tatsächlich hat Pepter am wenigsten zu bieten. Er ist ängstlich, ist an der Highschool vermutlich die beste Partie, in so vielen Sportmannschaften wie er tätig ist (vor allem Basketball), steht manchmal auf dem Schlauch und sein dramatischstes Erlebnis war wohl, dass er beim Tauchen einmal beinahe ertrunken wäre und einen Luftröhrenschnitt brauchte. Bob hat auch seine Spezialfähigkeit ;) Es gibt niemanden, der besser mit Archiven umgehen kann. Zudem hat er ein breit gefächertes Kunstinteresse und ist arbeitssam, weshalb er ständig irgendwelche Nebenjobs an der Hand hat. Und eines kann ich sagen. Es macht Spaß diese Biographieschnipsel zu suchen und zu finden. Das gibt der Serie einen zusätzlichen Reiz.

Natürlich kann eine Geschichte mit einer 0815-Schablone funktionieren. Ich sage aber, dass sie mit etwas mehr in die Figur investierte Mühe, die nicht zwangsläufig 100 Seiten Melodrama Biografie beinhalten muss, nochbesser funktioniert hätte.
Charaktertiefe hat nichts damit zu tun, eine Figur im Vorfeld maximal leiden zu lassen. Es geht lediglich darum, dass sie lebendig wird. Das geht auch mit wenigen Eckdaten.

Trippelschritt

Zitat von: Feuertraum am 04. Juli 2016, 23:24:02

Ich wehre mich ja nicht gegen die Behauptung, dass eine Geschichte keine ausgearbeiteten Charaktere haben darf oder soll, ich bin nur dahingehend trotzig, wenn behauptet wird, dass eine Geschichte mit eindimensionalen Charakteren nicht funktioniert oder per se schlecht ist.


Nein, ist sie auch nicht unbedingt. Ich kann mich noch gut an meine Jugendzeit erinnern, in der ich Kommissar X, Jerry Cotton oder Perry Rhodan verschlungen habe. Und gerade Perry Rhodan ist heute immer noch Kult. Aber mittlerweile bin ich älter geworden, habe mehr gelesen und mein Anspruch ist gewachsen. Heute sind Geschichten mit eindimensionalen Figuren für mich schlichtweg langweilig.  Und dann diese schlichten Liebesromane, die bereits von meiner Mutter unter dem Begriff O-Bein Roman liefen = Sie finden sich, etwas treibt sie auseinander, Happy End und heute ihr Stammpublikum im Fernsehen haben, gehören eigentlich auch dazu. Aber wenn man abends müde ist und überdreht, dann macht es durchaus Spaß, als Ehepaar vor der Kiste zu sitzen und genau das sich anzuschauen. Es ist zwar eine jedesmal schlechte Geschichte, aber sie kann einen gewaltigen therapeutischen Wert besitzen. Deshalb: Alles dahin, wohin es gehört. Oder: Für mich hate jeder mal wieder überall Recht.  ;)

Liebe Grüße
Trippelschritt

Tigermöhre

Zitat von: Feuertraum am 04. Juli 2016, 23:24:02
Einspruch, Euer Ehren!
Ich selber spiele seit Jahrzehnten Rollenspiel, und auch ich kenne das "Spielchen" mit der ausgearbeiteten Charakterisierung, mit dem Tiefen und der Seelenpein und dem Tränenfluß.
Ganze Geschichten wurden geschrieben, warum der Charakter so und so ist, ganze Begründungen wurden hineingelegt.
Und während des Spielens?
Richtig: Nix davon trat an die Oberfläche.
Und ich habe in diesen knapp 3 Jahrzehnten wirklich mit den unterschiedlichsten Menschen gespielt, im privaten Haushalt als auch auf öffentlichen Cons. Und nicht einer hielt sich an dem, was er sich so mühsam ausgedacht hatte.

Vielleicht haben Sie dann immer mit den falschen Leuten gespielt. Ich habe schon so oft geflucht, weil mein Charakter saudumme Aktionen brachte. Aber sein Hintergrund gab es einfach vor. Und genauso kenne ich es aus meinem Freundeskreis. Da ist auch jeder Charakter mit dem Meister zusammen erstellt und ausgearbeitet, damit der Meister genauso mit den Problemen und Hintergründen der Spielercharaktere arbeiten kann.
Auf Cons ist das etwas anderes. Da ist ein ausgefeiltes Charakterplay meiner Meinung nach weder gewünscht, noch wirklich machbar. Da möchte man das Abenteuer durchspielen. Zwar bringt man da seine persönliche Note mit, aber wichtiger ist, dass die verschiedenen Rollen besetzt sind.

Araluen

Zitat von: Trippelschritt am 05. Juli 2016, 09:14:17
ch nicht unbedingt. Ich kann mich noch gut an meine Jugendzeit erinnern, in der ich Kommissar X, Jerry Cotton oder Perry Rhodan verschlungen habe. Und gerade Perry Rhodan ist heute immer noch Kult. Aber mittlerweile bin ich älter geworden, habe mehr gelesen und mein Anspruch ist gewachsen. Heute sind Geschichten mit eindimensionalen Figuren für mich schlichtweg langweilig.  Und dann diese schlichten Liebesromane, die bereits von meiner Mutter unter dem Begriff O-Bein Roman liefen = Sie finden sich, etwas treibt sie auseinander, Happy End und heute ihr Stammpublikum im Fernsehen haben, gehören eigentlich auch dazu. Aber wenn man abends müde ist und überdreht, dann macht es durchaus Spaß, als Ehepaar vor der Kiste zu sitzen und genau das sich anzuschauen. Es ist zwar eine jedesmal schlechte Geschichte, aber sie kann einen gewaltigen therapeutischen Wert besitzen. Deshalb: Alles dahin, wohin es gehört. Oder: Für mich hate jeder mal wieder überall Recht.  ;)

Liebe Grüße
Trippelschritt
Das ist wohl wahr. Alles hat irgendwo seinen Platz :)

Churke

Zitat von: Feuertraum am 04. Juli 2016, 23:24:02
Ganze Geschichten wurden geschrieben, warum der Charakter so und so ist, ganze Begründungen wurden hineingelegt.
Und während des Spielens?
Richtig: Nix davon trat an die Oberfläche.

Ich weiß nicht, ob man das vergleichen kann, schließlich muss der Rollenspieler keine Sanktionen fürchten, wenn er die Vorgaben missachtet.
Aber wenn ich als Autor eine Figur "falsch" benutze, sie widersprüchliche oder unmotivierte Entscheidungen treffen lasse, fällt mir das ruckzuck auf die Füße. Dann fragt der Leser: "Nee, echt jetzt?"
Wenn Sie vor der Frage stehen: Warum tut Figur X dieses oder jenes? Dann liegt die Lösung des Problems meistens im Charakter der Figur. Ich ändere die Figur dann eben so, dass es logisch und plausibel wird.

Überhaupt: Die Persönlichkeit einer Figur ist kein Ballast, um den man den Plot herumschreiben muss, sondern ganz im Gegenteil Hilfe und Ergänzung.