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Du willst Autor werden? - Dann sei bloß kein Ästhet

Begonnen von Feuertraum, 25. Oktober 2015, 11:18:44

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Feuertraum

Einen wunderschönen Guten Morgen,

eigentlich wollte ich einen Post in ,,Wenn der Zweifel an die Tür klopft" schreiben, hämmert dieser doch gerade mit einer immensen Lautstärke an die Pforte meiner vier Wände. Doch dann hatte ich gestern ein Erlebnis, was ein vollkommen anderes Licht auf meine negativen Gedanken wirft.
Kurz die Vorgeschichte: Einer Kollegin wurde die Tage gekündigt, weil sie dauerkrank war (man kann sagen, dass sie von 8 Wochen gerade mal 2 Wochen da war, und selbst diese nicht am Stück. Und da sie auch noch in der Probezeit war ...).
Jedenfalls war sie Freitag kurz im Laden, um die Klamotten abzugeben, und als ich ihr sagte, dass sowohl Chefin als auch mein Kollege schon Feierabend haben, kam von ihr ein enttäuschtes ,,Oh, Sascha ist auch schon weg?"
Als ich meinem Kollegen das gestern erzählte, meinte er, dass dies schade sei, weil irgendwie fand er sie schon ganz knorke und es habe ein wenig bei ihm gefunkt. Nun ja, er hätte mich da nicht als Konkurrenten gehabt; mein Typ war sie nicht. Ich habe einen anderen Geschmack
Als ich heute morgen mal wieder am Rumjammern war (,,ich kann nicht schreiben, ich bin ein schlechter Autor, ich bin einfach zu doof dafür"), kämpfte sich ein Gedanke an die Oberfläche, der irgendwie meine Zweifel in Zweifel zieht, von dem ich aber nicht weiß, ob er richtig ist bzw. wie ich damit umgehen kann/soll/darf/muss: Weil du ein Ästhet bist.
Je länger ich drüber nachdenke, umso "richtiger" kommt mir dieser Gedanke vor. Ich bin irgendwo ein Bildermensch, reagiere positiv auf Farben und Formen und ,,Kompositionen", die meinem Geschmack entsprechen und neutral auf jenes, das meinen Sinn für Ästhetik nicht anspricht.
Und so scheint es auch mit meinen Texten zu sein. Auch wenn es andere vollkommen anders sehen (dazu gleich etwas): Ich empfinde meine Sätze als ,,nicht schön", auch wenn ich nicht erklären kann, warum das so ist. Anders sieht es aus, wenn ich Bücher anderer Autoren lese: Da lese ich, ohne das meine Ästhetik angesprochen wird. Da sind es ,,nur" Worte. Darum sagen auch andere Menschen, dass ich ein guter Autor bin: Sie lesen ,,nur" die Worte. Der Sinn für Ästhetik wird erst gar nicht angesprochen. Worte, gedruckt, nichts, was einen wirklichen visuellen Reiz anspricht
Ich weiß natürlich nicht, ob meine Vermutung stimmt, aber gehen wir einfach spaßeshalber einmal davon aus, dass ich damit auf der richtigen Spur bin: Wie kann man die Ästhetik bei den eigenen Texten abstellen? Wie kann man als Autor   Worte als Worte ansehen, als Gedrucktes auf Papier, und nicht als ein Kunstwerk, das schön, ansprechend aussehen muss? Geht das überhaupt? Haben Sie Tricks und Kniffe dafür auf Lager?

Neugierige Grüße
Feuertraum
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Guddy

#1
Hallo Feuertraum,

ich verstehe Sie, zumindest anteilhaft. Ich selber bin definitiv eine Ästhetin, allerdings sehe ich in den Worten keine visuelle Ästhetik. Die Schönheit der puren Buchstaben- und ich bin auch eine Ästhetin was die Sprache angeht - ist mir nicht wichtig. Meinen Sie das wirklich visuell? Die Zusammensetzung der Buchstaben, Wörter und Sätze, oder sprechen Sie eigentlich auf die lyrische Schönheit an?

Für mich bedeutet meine Art, dass ich unglaublich hohe Ansprüche habe (sowohl an mich, als auch an andere) und daher leicht zu Selbstzweifeln neige. Ich stehe mir da selber im Weg und das wird auch der Hauptgrund sein, weshalb ich es als Künstlerin nicht weit bringen werde. (neben anderen Dingen wie mangelnder Disziplin und Unvermögen natürlich ;D ) Wenn ich diese Gedanken weiterhin zulasse. Selbst wenn ich gut wäre, würde ich es wohl selber nicht erkennen. Ihre Gedanken dahingehend verstehe ich also gut.

Wie man das abstellen kann weiß ich nicht, vor allem, da ich Sie noch nicht ganz verstehe. Kann es sein, dass es synästhetische Ansätze hat? Und wenn Sie versuchen, gedanklich in die Worte einzutauchen und mehr das Gefühl, die Atmosphäre und die Szene zu sehen,denn die schnöden Worte?



Lucien

Hallo Feuertraum!

Ich finde Ihren Ansatz interessant, auch wenn ich auch noch nicht ganz verstanden habe, worauf genau Sie die Ästhetik beziehen. Ich denke da auch eher an sprachliche Ästhetik. Ich bemühe mich, die Formulierungen - besonders, wenn es um Beschreibungen von Landschaften geht - auf gewisse Weise poetisch zu gestalten. Einfach, weil es mir gefällt und ich hoffe, dass es andere auch schön finden. Ähnlich verhält es sich bei mitreißenden Reden der Figuren. Was das angeht, finde ich, darf man durchaus Ästhet sein. ;)

Leider weiß ich auch nicht, wie Sie Ihren inneren Ästhet zum Schweigen bringen können. Ich fürchte, mit dem verhält es sich ähnlich wie mit dem inneren Kritiker: Man wird ihn einfach nicht los. :wart:

HauntingWitch

Interessant, Feuertraum... Vielleicht beruhigt es Sie ein wenig, wenn ich auch sage, dass die schön aussehenden und wohlklingenden Worte manchmal nicht die aussagekräftigen sind. Ist es das, was Sie meinen? In diesem Fall würde ich sagen: Vergessen Sie die Schönheit, denn wahre Schönheit kommt von innen. Heisst bei uns, vom Inhalt. Klingt abgedroschen, ist für mein Empfinden aber eine erwiesene Tatsache.  ;D Ich habe vor einigen Wochen eine Graphic Novel gelesen, die zwar in wunderschöne Worte gepackt war, aber Aussage? Gleich Null. Da hätte man genauso gut nur die Bilder sprechen lassen können.

Ich denke, dass das genau das ist, was wir als Romanautoren anstreben sollten: Bilder sprechen lassen und zwar innere Bilder, nicht Buchstabenbilder. Die besten Bücher sind doch die, die sich nicht scheuen, das Raue, Rohe und Hässliche in ebensolchen Worten zu beschreiben. Ich tue mich damit auch schwer, weil ich immer den Anspruch habe, dass meine Bücher (inhaltlich) "schön" sind. Meine Charaktere müssen optisch schön sein, meine Settings sollen wie gemalt sein, alles muss aufeinander abgestimmt sein und möglichst wie ein Tim Burton-Film aussehen. Der Unterschied zwischen Tim Burton und mir ist nur: Er hat Farb- und Lichteffekte, Kostüme und Schauspieler zur Verfügung. Er kann eine Geschichte mit Substanz schön verkleiden, weil das Medium Film dies erlaubt. Ob es ein Buch auch erlaubt, bezweifle ich und doch gibt es Bücher, die das schaffen. Aber wenn ich es mir recht überlege, sind das nicht die Bücher, die mir im Gedächtnis bleiben... Jene, an die ich mich auch Jahre später noch erinnere, sind jene, die einem das Unschöne in ebenso unschönen Worten vor die Füsse werfen.  :hmmm: Dieses Thema beschäftigt mich auch viel und ich finde es total spannend.

Guddy

#4
Oh, aber Schmutz, Hässlichkeit, Ekelhaftes kann auch etwas Ästhetisches an sich haben! Für mich sind die Inhalte eines Romanes dann ästhetisch, wenn ich darin eintauchen kann und Bilder sehe. Je intensiver diese Bilder, desto schöner finde ich sie - auch dann, wenn die Szene objektiv betrachtet hässlich ist.

Finde es spannend, wie unterschiedlich das Erleben ist und wie mannigfaltig das Thema interpretiert werden kann :)

Sternsaphir

Zitat von: Guddy am 25. Oktober 2015, 16:15:00
Oh, aber Schmutz, Hässlichkeit, Ekelhaftes kann auch etwas Ästhetisches an sich haben! Für mich sind die Inhalte eines Romanes dann ästhetisch, wenn ich darin eintauchen kann und Bilder sehe. Je intensiver diese Bilder, desto :dollars: schöner finde ich sie - auch dann, wenn die Szene objektiv betrachtet hässlich ist.

Finde es spannend, wie unterschiedlich das Erleben ist und wie mannigfaltig das Thema interpretiert werden kann :)

Genau das mag ich an guten Romanen: man kann in sie eintauchen, in der Welt herumwandern. Man muss sich nicht durch Satzungeheuer und Ahnengalerien kämpfen, um eine Übersicht über das Geschehen zu bekommen und der Schreibtstil darf einen weder erschlagen noch zu einfach gestrickt sein.
Bei manchen Büchern frage ich mich wirklich: "Wie konnte das veröffentlicht werden?", weil sie nicht ästhtisch auf mich wirken, sondern eher hingehunzt. Es wird nicht mit den Wörtern gespielt, nicht mit Sätzen gemalt, sondern einfach nur die Geschichte hingeklatscht und gut is.
Insofern denke ich, dass ich schon verstehe, was hier gemeint ist.

Mithras

#6
Ich weiß nicht, ob ich das Thema richtig verstehe, aber falls ja, so kann ich nicht zustimmen. Ich finde Ästhetik beim Lesen wie auch beim Schreiben sehr wichtig, denn mir geht es zu einem nicht unwesentlichen Teil um Atmosphäre, und die entsteht durch Imagination. Und dzu braucht es ein gewisses Maß an Ästhetik, finde ich. Und ja, ich "sehe" beim Lesen wie auch beim Schriben primär Bilder vor mir, die ich zwar nur schwer nachzeichnen könnte, die aber dennoch einen Eindruck hinterlassen. Worte sind für mich nie nur Buchstaben.

Zitat von: Feuertraum am 25. Oktober 2015, 11:18:44Darum sagen auch andere Menschen, dass ich ein guter Autor bin: Sie lesen ,,nur" die Worte. Der Sinn für Ästhetik wird erst gar nicht angesprochen.
Glaube ich so nicht. Vieles geschieht auch unterbewusst, ohne dass einem die stilistische Schönheit auffallen mag. Wenn man flüssig, bildhaft und einpräsam schreibt, ohne es mit Stilmitteln zu übertreiben, dann list sich ein Text gleich viel angenehmer. Die Kunst ist - wie so oft -, das richtige Maß zu finden und dem Leser sein "Können" unteer die Nase zu reiben. Er soll sich nicht bevormundet, sondern lediglich gut aufgehoben fühlen. Und das passiert eben vor allem unterbewusst, wie es Imagination nun einmal an sich hat. Sogar beim Schreiben ist das so: Ein Betaleser gabe mir mal eine 2000-Seiten-Textprobe mit der Bemerkung zurück, er habe allein auf diesen knapp sieben Romanseiten 42 Stilmittel gefunden. Mir selbst ist das gar nicht aufgefallen, und ich bezweifle, dass ich überhaupt alle kenne! ;D

Kurz gesagt: Ästhetik kann (und soll) so zurückhaltend sein, dass man sie gar nicht bewusst wahrnimmt, obwohl sie im Grunde immer da ist bzw. da sein soll. Die wahre Schönheit ist eben nicht immer die offensichtliche, vordergründige und häufig auch aufgesetzte - sie zeigt sich viel häufiger in den kleinen, unscheinbaren Dingen und drängt sich nicht plump auf.

Feuertraum

Hallo noch einmal  :winke:

Vielen lieben Dank erst einmal für die vielen Antworten. Guddys erster Post hat mir geholfen, mein Problem ein wenig einzugrenzen, so dass ich es jetzt etwas präziser beschreiben kann:

Im Grunde genommen besteht mein Problem aus zwei Teilen.
Wenn ich eine Szene im Kopf habe, dann sehe ich die Bilder, wie ich mir die Szenerie vorstelle. Ich sehe die Gegenstände, die Farben, habe Geräusche und "Gerüche" im Kopf, eventuell auch, was gesprochen wird, Gestiken, Marotten ... Und genau dieses Bild, diese "Filmszene", versuche ich mit Worten nachzumalen, wobei ich es nie schaffe, den "Film" auf das Medium "Buch" zu übertragen. Das Geschriebene wirkt profan und farblos.
Und damit komme ich zum zweiten Teil: die Wörter selber. Auch diese erfüllen nicht das, was ich eigentlich brauche: Sie sind nicht "bunt", sie strahlen keine Farben oder Gerüche aus, sie zeigen keine Gegenstände. Sie sind "nur" Buchstaben, Wörter, Sätze, Absätze.
Klar, das ganze entwickelt sich zu einer Geschichte, aber eben dadurch, dass ich diese Bilder nicht ins Geschriebene umwandeln kann, wie ich es eben im Kopf sehe und die Wörter eben auch keine wirklichen Bilder sind, die meinen Sinn für Ästhetik ansprechen, zweifele ich, dass ich Geschichten gut erzählen kann.

LG
Feuertraum 
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

FeeamPC

Aber genau das ist gut. Denn die Tatsache, dass die Wörter nur das Gerippe einer Geschichte übermitteln, ermöglicht es den Lesern, dieses Gerippe mit der eigenen Fantasie zufüllen, ihm plastische Bilder zu geben, mit denen er selbst etwas anfangen kann.
Müsste er die Szene genauso empfinden wie der Autor, könnte er gleich einen Film im Kino ansehen gehen.
So bleibt ihm die Möglichkeit, etwas Eigenes mit in das Buch zu geben, weshalb es dem Leser dann auch bedeutend wertvoller ist als ein fertig vorgesetzter Film.
Es ist nicht umsonst so, dass uns unsere Lieblingsbücher unser Leben lang begleiten. Sie sind ein Stück von uns. Und das geht nur, weil das geschriebene Wort uns diesen Spielraum lässt.

Chrissy

Lieber Feuertraum,
ich kann das sehr gut nachempfinden. Mir geht es auch so und ich muss mich sehr bemühen, dass ich meine Geschichte nicht im Drehbuchstil schreibe. Ich glaube, dass man die Szenerie auch transportieren kann. Dabei versuche ich herauszufiltern, was alles wichtige Eindrücke sind, die ich weitergeben möchte und was ich offen lasse. Du kannst nicht alles bis auf das letzte Detail beschreiben, dann wird es zur ausgeschmückten Auflistung.
Lg Chrissy

Wallrabe

#10
Ein unheimlich interessanter Ansatz, bei dem wir hier grade ein paar Sachen aufdröseln, über die ich mir auch schon ab und an Gedanken gemacht habe. Ich argwöhne, dass kaum einer auf Dauer darum herumkommt?

Feuertraum hat dabei genau die zwei...unzureichend einmal "Aspekte" getauft... genannt, die ich auch beim Schreiben sehe.

Auf der einen Seite das "Erlebte" mit seiner Ästhetik.
Auf der anderen Seite das geschriebene Wort mit seiner ganz anderen Ästhetik.

Ich glaube, dass man an beiden nicht vorbei kommt, sobald man anfängt zu schreiben, es aber die Gewichtung und Form ist, die diese beiden Aspekte annehmen, die das ausmachen, was man denkt, schreibt und liest.
Ich erinnere mich an eine Sammlung von Kurzgeschichten, die ein Jurist verfasst hatte. Dabei schilderte er auf jeweils wenigen Seiten Kurzgeschichten basierend auf Fällen, mit denen er ...ich glaube als Richter... zu tun hatte. Geschrieben im Präsens, auf die knappeste Art und präziseste Art, die mir in der Form bis dato unter gekommen ist. Die Sätze und Wortwahl, nichts davon war per se das, was man als "schön" bezeichnen kann. Er hat keine beeindruckenden Bilder gemalt. Aber die exakte, präzise Sprache und wie gekonnt er den "Hergang" dieser Kurzgeschichten geschildert hatte, in all ihrer Schmucklosigkeit, das hat mich beeindruckt, weil es zumindest für mich sehr beeindruckend funktioniert hat. Und auch hier hatten die Sätze und die erzeugten Bilder ihre eigene Ästhetik. So eigen das Ganze war, so verd**** gut hat es als solches funktioniert!

Ich denke, letztlich ist es da mit dem Schreiben das gleiche "Problem" wie mit jedem Bild, welches an der Wand hängt, nur dass der Stift ein anderer ist. Man selbst kann einiges beeinflussen - wie gekonnt und vielseitig, wie verschachtelt oder einfach, wie direkt oder verschlungen man seine Sätze und Absätze gestaltet. Man kann beeinflussen, was der Leser sieht - ob der Mann ein rotes oder ein blaues Hemd hat.

Aber das Drumherum, das was man nicht schreibt und auch nicht schreiben kann, das bastelt der, der vor dem Bild - vor dem Text steht. Wie Chrissy gesagt hat. Man kann letztlich nur das Hauptaugenmerk des Betrachters dahin lenken, wo man es selbst gerne hätte. Mehr nicht.

Steht man als Betrachter vor einem unglaublich verschlungenen Bild, ist es eher wahrscheinlich, dass sich viele erst einmal nicht zurecht finden. So wie sich viele beim Lesen von besonders verschlungenen Zeilen womöglich mehr damit beschäftigen, die Informationen aufzudröseln, als sich mit den "Geschehnissen", dem Abgebildeten zu unterhalten. Gleiches gilt für eine Leinwand, auf der ein Kreis gemalt ist. Der findet es faszinierend, der andere fragt sich, was das soll und geht weiter. Gleiches gilt für das Schreiben. Natürlich gibt es einen bequemen Mittelweg, aber von dem abzuweichen ist wohl das, was das ganze dann interessant macht.

Auch in Bezug auf das Hauptaugenmerk, welches so verschieden Autor und Betrachter zu eigen ist. Malt man als Schöpfer einen fetten, roten Punkt in die Mitte, sehen das die meisten. Wie gekonnt man an ein paar Stellen die Pinselstriche geführt, die Farbübergänge gestaltet hat, das bemerkt man womöglich nur, wenn man genau darauf achtet oder es weiß. Schreibt man eine Szene, bei der wirklich alles passt, die Sätze und selbst die Worte für sich, die gesetzten Kommas, der Klang, einfach alles harmoniert und quasi perfekt ist - dann merkt man nachher unter Umständen ernüchtert, dass sich die Stelle nett liest, aber man letztlich in keinster Weise die 10 Stunden erkennt, die man als Autor womöglich hinein gesteckt hat. Nach ein paar Sekunden ist man über die Stelle drüber und sitzt bereits im nächsten Bild. Ohne dass einem vielleicht auffällt, dass der Autor hier anstelle von 10 verschiedenen Formulierungen, Stilmitteln und Verben nur 3 benutzt hat. Vor allem in der Prosa ist es letztlich zumindest für die meisten Leser und im Grunde auch für den Autor vor allen Dingen ja "nur" relevant, dass das Geschriebene funktioniert in dem, was das Geschriebene tut und tun soll.

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Um letztlich auf Euer Problem, Feuertraum, zurück zu kommen - - das was nicht ist - muss es das denn? Und muss es das wirklich? Ich denke nahezu jeder hier kennt das Problem, dass man die Szene genau im Kopf hat, man genau weiß, was man erschaffen will, aber nicht weiß, wie man es in Worte fassen soll. Als stünde man vor einem Panorama und ist sprachlos, weil man zu viel sieht. Und wenn man es geschafft hat, es zu beschreiben merkt man womöglich, dass Wort und Satz furchtbar plump zu wirken scheinen und würde am liebsten alles wieder löschen.
Letztlich - zumindest meiner bescheidenen Meinung nach - gilt wohl für das Geschriebene wie für das Dargestellte nicht, ob es das Optimum ist, sondern ob es reicht, wenn man es nicht als Autor liest. Liest man es nüchtern und bekommt den Eindruck, den man als Autor ungefähr beabsichtigt hatte, hat man vielleicht sein Ziel erreicht. Unter dem Vorbehalt, dass man es nie jedem "Recht" machen kann. Als Autor kann man dem wohl Leser letztlich nur den eigenen roten Faden reichen...

Dämmerungshexe

Michelangelo, Andy Warhol, Marc Rothko, Max Ernst, Christo - jeder dieser Künstler begeistert mich, weil er seine ganz eigene Ästehtik, seine eigene Sprache und Bildwelten hat. Ähnlich ist es in der Literatur - jeder Autor hat seine Sprache und seinen Stil. Manchmal sind sie poetisch, manchmal präzise und sogar hart. Sogar Schmutz und Schmerz haben ihre Ästhetik. Beim Schreiben geht es meiner Meinung nach darum einer Geschichte, einer Szene, einer Figur die ihr ganz eigene Ästhetik zu verleihen. Oder besser: die Ästhetik, die ihr von Natur aus inne wohnt, Ausdruck zu verleihen. Die Schwierigkeit dabei ist denke ich vor allem, diese Ästhetik erst einmal als solche zu begreifen und sie nicht immer nach fremden Maßstäben beurteilen zu wollen.

Ich weiß - als Schreiberin und auch als Zeichnerin - dass man zu den eigenen Werken immer einen ganz anderen Zugang hat, immer die Unzulänglichkeiten und mangelhaften Details sieht, während Leser und Betrachter sich an keinem davon stören. Es ist schwer sich von diesem "Perfektionismus" loszusagen und den eigenen Worten zu vertrauen.

Ich würde daher raten, keine so tiefgreifenden Überlegungen anzustellen, sondern die Worte einfach fließen zu lassen. Ich merke immer, dass umso länger ich an einem Werk feile, umso größer wird die Gefahr, dass es nicht mehr das ist, was ich eigentlich wollte. Dem Betrachter fällt es dann meist nicht auf - höchstens unterschwellig, dass "ich wohl nicht genau wusste, was ich wollte".
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Eluin

Huhu Feuertraum,

ein sehr interessanter Gedankengang. Ich merke ähnliches bei mir - wobei dies wirklich auf die visuelle Wahrnehmung abzielt. Beispielsweise in Notizbüchern oder wenn ich Schreibe. Ich mag z.B. nicht in Courier New schreiben - gefällt mir einfach optisch nicht. Von daher bin ich sehr froh, dass ich im Scrivener unabhängig die Schriftart auswählen kann und im Endprodukt dann einfach Courier New für eine Normseite setzen kann. Vielleicht könnte dir so etwas auch helfen?

Ansonsten kann ich mich den anderen nur anschließen. Für mich zählt mehr das Innere als das Äußere. Ich will mit meinem Text etwas Aussagen und beim Schreiben selbst Spaß haben, aber vor allem auch Gefühle durchleben. Ich merke aber immer wieder, dass mir das Klanggefühl für Sprache fehlt. D.h. ich kann beispielsweise einfach nicht hören, wo eine Betonung liegt und wo nicht, weshalb ich aufgegeben habe, Gedichte zu schreiben. Für mich ist es bei Texten auch wichtig wirklich abzutauchen und Gefühle zu erleben. Ich muss sagen, ich sehe selten Bilder beim Lesen sondern ich fühle es viel mehr. Genauso geht es mir auch beim Schreiben, weshalb man bei mir nur selten wirklich intensive Beschreibungen von Charakteren oder so gibt.
Ich glaube es ist beinahe unmöglich wirklich zu 100% das wiederzugeben, was man im Kopf hat. Ich hab es daher aufgegeben mir wirklich detaillierte Bilder oder ähnliches im Kopf "vorzudenken". Stattdessen versuche ich alles direkt auf das Papier fließen zu lassen, ohne das ich es vorher wirklich bewusst "erdenke". Ich weiß nicht, fällt mir sehr schwer zu erklären, wie das bei mir funktioniert. Ich hoffe es ist halbwegs verständlich.

ZitatAber genau das ist gut. Denn die Tatsache, dass die Wörter nur das Gerippe einer Geschichte übermitteln, ermöglicht es den Lesern, dieses Gerippe mit der eigenen Fantasie zufüllen, ihm plastische Bilder zu geben, mit denen er selbst etwas anfangen kann.
Dem kann ich nur absolut zustimmen. Sehe ich auch so. Im Gegenteil ich hasse Bücher, wo jedes noch so kleine - für mich unwichtige - Detail erklärt wird, weil ich eben keinen Film im Kopf sehe sondern in die Gefühlswelt abtauche.

ZitatSchreibt man eine Szene, bei der wirklich alles passt, die Sätze und selbst die Worte für sich, die gesetzten Kommas, der Klang, einfach alles harmoniert und quasi perfekt ist - dann merkt man nachher unter Umständen ernüchtert, dass sich die Stelle nett liest, aber man letztlich in keinster Weise die 10 Stunden erkennt, die man als Autor womöglich hinein gesteckt hat. Nach ein paar Sekunden ist man über die Stelle drüber und sitzt bereits im nächsten Bild. Ohne dass einem vielleicht auffällt, dass der Autor hier anstelle von 10 verschiedenen Formulierungen, Stilmitteln und Verben nur 3 benutzt hat. Vor allem in der Prosa ist es letztlich zumindest für die meisten Leser und im Grunde auch für den Autor vor allen Dingen ja "nur" relevant, dass das Geschriebene funktioniert in dem, was das Geschriebene tut und tun soll.
Das Beispiel finde ich toll! Das sollte ich mir gerade beim Überarbeiten mal wieder mehr vor Augen führen. Perfekt ist oft zu Zeitintensiv und vor allem gar nicht nötig. Danke!

ZitatIch würde daher raten, keine so tiefgreifenden Überlegungen anzustellen, sondern die Worte einfach fließen zu lassen. Ich merke immer, dass umso länger ich an einem Werk feile, umso größer wird die Gefahr, dass es nicht mehr das ist, was ich eigentlich wollte.
So geht es mir auch! Darum DARF ich auch nicht zu intensiv plotten. Nur ganz grob, sonst fehlt am Ende die Lebendigkeit, weil ich es nur stupide runterschreibe und es dann eher ein Drehbuch wird, als ein Roman.

Ich denke daher, bis zu einem gewissen Maß darf man auf so etwas wie den eigenen Wunsch der Ästhetik achten, aber wie alles: nicht übertreiben.
Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!
Mein Spruch, mein Motto.

Nachtblick

Als ich die Überschrift dieses Themas gesehen habe, dachte ich, ich wüsste, worum es geht, und war dann ein wenig überrascht. Denn mein größtes ästhetisches Problem beim Schreiben sind Sonderzeichen im Schriftbild. Egal, wie korrekt gesetzt, ich habe eine unerklärliche Abscheu gegen Klammern, das Satzzeichen Punkt-Punkt-Punkt, zwei Sätze untereinander, die genau die gleiche Länge haben und alleinstehende Zeilen, aber auch ungleichmäßig lange Seiten.

Feuertraum

Hallo noch einmal,

vielen lieben Dank für die vielen neuen tollen Antworten.

Zitat von: Wallrabe am 26. Oktober 2015, 19:03:46
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Um letztlich auf Euer Problem, Feuertraum, zurück zu kommen - - das was nicht ist - muss es das denn? Und muss es das wirklich? Ich denke nahezu jeder hier kennt das Problem, dass man die Szene genau im Kopf hat, man genau weiß, was man erschaffen will, aber nicht weiß, wie man es in Worte fassen soll. Als stünde man vor einem Panorama und ist sprachlos, weil man zu viel sieht. Und wenn man es geschafft hat, es zu beschreiben merkt man womöglich, dass Wort und Satz furchtbar plump zu wirken scheinen und würde am liebsten alles wieder löschen.

Das ist tatsächlich eines meiner Probleme: Ich will die "Schönheit", die ich sehe, im Grunde genommen so übertragen, wie sie ist. Nehmen wir zum Beispiel einmal Dalis "Zerfließenden Uhren". In meinen Augen ein wirklich tolles Gemälde. Und wenn meine Wenigkeit dieses Bild dann in Worte kleiden soll, es beschreiben, dem Leser nahebringen, was er "sieht", dann kann ich Worte wählen, die entweder einfach und profan,  sind oder voller Poesie, so kommt es mir dennoch vor, als werden sie dem Bild nicht gerecht.

ZitatUm letztlich auf Euer Problem, Feuertraum, zurück zu kommen - - das was nicht ist - muss es das denn? Und muss es das wirklich?

Ganz ehrlich? Ich kann diese Frage nicht mit "Ja" oder "Nein" beantworten. Ist es eine Frage des eigenen Stils/Geschmacks? Ist es der Gedanke, dass der Leser dies erwartet, das Besondere, eine Geschichte, die er nicht bloß liest, sondern die er miterlebt.

ZitatSchreibt man eine Szene, bei der wirklich alles passt, die Sätze und selbst die Worte für sich, die gesetzten Kommas, der Klang, einfach alles harmoniert und quasi perfekt ist - dann merkt man nachher unter Umständen ernüchtert, dass sich die Stelle nett liest, aber man letztlich in keinster Weise die 10 Stunden erkennt, die man als Autor womöglich hinein gesteckt hat. Nach ein paar Sekunden ist man über die Stelle drüber und sitzt bereits im nächsten Bild. Ohne dass einem vielleicht auffällt, dass der Autor hier anstelle von 10 verschiedenen Formulierungen, Stilmitteln und Verben nur 3 benutzt hat.

Diese Aussage - auch wenn Sie dafür sicherlich viel Zustimmung und Applaus ernten werden - sehe ich zwiespältig.
Wenn Sie in ein Restaurant der gehobenen Klasse gehen, sich etwas zu essen bestellen, in dass der Koch aufgrund der Vorbereitung sehr viel Zeit investiert hat, und obwohl das Essen mundet, so ist der Teller doch nach 15 Minuten leergefuttert. Soll der Koch deswegen sagen: Och nö, wenn meine Kochkunst nach einer Viertelstunde vernichtet ist und somit nicht gewürdigt wird, warum soll ich dann noch Zeit in dieses Gericht investieren?


Zitat von Eluin:

ZitatIch merke ähnliches bei mir - wobei dies wirklich auf die visuelle Wahrnehmung abzielt. Beispielsweise in Notizbüchern oder wenn ich Schreibe. Ich mag z.B. nicht in Courier New schreiben - gefällt mir einfach optisch nicht.

Und genau das ist der zweite Teil meines Problems. Wie ich schon sagte: die Buchstaben sprechen mich ästhetisch nicht an, so dass ich mir einrede, das, was ich geschrieben habe, ist nicht der Hit.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Die Logik und die Vernunft kommen mit dem Argument, dass es gar nicht geht, was ich machen will und dass ich mit meinem Stil und meinen Worten es ohne weiteres schaffe, eine Szene so zu beschrieben, dass sie die Erinnerung des Lesers an schon Gesehenes ansprechen.
Aber eben mein Sinn für das "Schöne" hämmert dagegen und "verlangt" von mir: Du musst! Und dieses Hämmern ist leider so laut und martialisch, dass es die leisen Argumente der Logik und Vernunft übertönt - und mich darum zweifeln lässt, dass ich was kann, egal, wie viele Menschen mich dafür  :pfanne: und mir sagen, dass ich sehr wohl was auf dem Kasten habe.

LG
Feuertraum
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?