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Show, don't tell?

Begonnen von Maja, 24. Februar 2015, 00:23:18

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Lothen

#30
Ohne jetzt auf die vorherigen Beiträge im Detail eingehen zu wollen: Ich glaube, ich bewege mich bei meinen Texten auch irgendwo zwischen "Show" und "Tell" - auch abhängig von Inhalt und Zweck der Szene.

Mir ging es ein bisschen wie Kuddel: Bevor ich hier im TiZi war und bevor ich mich mit Beta-Meinungen auseinandergesetzt habe, kannte ich diese Wendung auch nicht. Ich bin kein großer Freund von Schreibratgebern, obwohl ich mittlerweile schon damit liebäugle, mal in einen reinzulesen, und hab eigentlich auch immer so vor mich hingeschrieben, wie es mir gerade in den Sinn kam.

Für mich bedeutet "Show don't tell" mittlerweile einfach, nachzudenken, ob bestimmte innere Monolge oder Ein-Satz-Zusammenfassungen der aktuellen Stimmung überhaupt notwendig sind oder ob Szenerie und Verhalten der Protas nicht schon ausreichen, um dem Leser die Emotionen nahe zu bringen. Und ich muss zugeben: Das hilft mir beim Schreiben, mich besser zu fokussieren und nicht zu viel "herumzulabern".

Das Problem, das du beschreibst, Chaos, kenne ich so ehrlich gesagt gar nicht, mir geht es eher umgekehrt: Ich habe von manchen Szenen so detaillierte Bilder im Kopf, dass ich Sorge habe, sie nicht aufs Papier zu bringen. Ich schreibe gerne cineastisch, gerade bei Szenen, die sehr actionlastig sind, und da beschleicht mich oft die Sorge, dass sich die Szene im Kopf des Lesers nicht so plastisch aufbaut, wie bei mir. Aber wahrscheinlich darf man da dem Leser auch ein bisschen vertrauen. ;)

Zitat von: GuddyEin Zuviel an "Show" fände ich aber auch mal interessant! Hat da jemand Beispiele, also Bücher, die in diese Richtung gehen?
Ein Beispiel nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass ein Übermaß an "Show" unter Umständen hektisch wirken könnte. Beim "Tell" kann sich der Leser mal zurücklehnen und sich berieseln lassen, beim "Show" ist er immer mitten drin. Gerade bei Romanen, die sehr actionlastig sind, könnte das den Leser vielleicht überfordern und dazu führen, dass er die Handlung vor lauter "Show" aus den Augen verliert. Nur so als Gedankenspiel.

@Chaos: Auch, wenn es ins Offtopic geht, ich glaube, du bist gerade ein wenig hart zu dir :knuddel: . Szenen werden (vor allem beim ersten Anlauf) nie so, wie man sie im Kopf hat - aber beim zweiten Mal wird sie schon näher dran sein. Und beim dritten mal noch näher. Und am Schluss hat man eine Version, die der, die man sich vorgestellt hat, schon sehr nahe kommt. Ich glaube, auch so etwas kann man lernen, wenn man sich nur traut. Und ich wette, dein Stil ist nicht ansatzweise so schlecht, wie du ihn hier darstellst. ;)

chaosqueen

Zitat von: Lothen am 24. Februar 2015, 11:27:15
@Chaos: Auch, wenn es ins Offtopic geht, ich glaube, du bist gerade ein wenig hart zu dir :knuddel: . Szenen werden (vor allem beim ersten Anlauf) nie so, wie man sie im Kopf hat - aber beim zweiten Mal wird sie schon näher dran sein. Und beim dritten mal noch näher. Und am Schluss hat man eine Version, die der, die man sich vorgestellt hat, schon sehr nahe kommt. Ich glaube, auch so etwas kann man lernen, wenn man sich nur traut. Und ich wette, dein Stil ist nicht ansatzweise so schlecht, wie du ihn hier darstellst. ;)

Das würde bedeuten, dass ich jede Szene meines Romans noch mal neu schreiben muss. Und wieder und wieder und wieder. Was bedeutet, dass ich den ganzen Roman locker viermal schreiben muss. Das ist übrigens genau das, was mir beim Überarbeiten passiert: Ich lese die Szene, denke "o Gott, was hab ich mir dabei denn gedacht!" und schreibe sie neu.
Und dann ist sie ganz anders, aber genauso schlecht. Was mir dann in der nächsten Überarbeitungsrunde auffällt. Und dann geht das Spiel von vorne los.

Glaub mir, meine Texte sind so schlecht. Und sie bleiben es, egal, was ich mache. Siehe neuer Thread, den ich gerade eröffnet habe, weil ich hier nicht zu sehr off topic werden will. Wenn ich irgendwann mal an den Punkt komme, über SdT nachdenken zu können, bin ich schon einen riesigen Schritt weiter!

Guddy

Zitat von: Lothen am 24. Februar 2015, 11:27:15
Ein Beispiel nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass ein Übermaß an "Show" unter Umständen hektisch wirken könnte. Beim "Tell" kann sich der Leser mal zurücklehnen und sich berieseln lassen, beim "Show" ist er immer mitten drin. Gerade bei Romanen, die sehr actionvor lauter "Show" aus den Augen verliert. Nur so als Gedankenspiel.
Die Wirkung kann ich mir ja vorstellen. Ich fände es einfach auch mal interessant, solch ein Gegenbeispiel auch mal zu lesen :)

Shedzyala

Mir hat das SdT-Konzept enorm geholfen, als ich vor Jahren darauf stieß. Denn ich hatte oft bei meinen Geschichten das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, aber erst durch SdT konnte ich meine Fehler benennen – und habe danach natürlich erstmal etwas baukastenartig geschrieben. Mittlerweile bin ich wohl auch wieder bei einer Zwischenstufe angelangt, um meinen Lesern auch mal eine Atempause zu gönnen. Dennoch könnte ich mir z. B. nicht vorstellen, wie eine Kampfszene ohne show funktionieren soll.

Ich stimme Anjana übrigens zu und neige auch manchmal dazu, einen Gefühlssatz wegzulassen, um zu schauen, ob man von den restlichen Sätzen immer noch auf die Emotion schließen kann. Dabei kann es auch vorkommen, dass ich den Satz dann sogar endgültig weglasse.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

PinkPuma

So, als Neuling im Tintenzirkel habt ihr mich mit diesem Threat überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war, mich hier anzumelden. Einfach weil es offenbar noch Foren gibt, in denen das SdT nicht wie eine Heiligenschrift gepredigt wird. Versteht das bitte nicht falsch, SdT ist ein gutes Konzept, mit welchem sich Texte deutlich verbessern lassen. Ich selbst habe ab und an das Problem zuviel zu erzählen statt zu zeigen und weiß, dass ich meine Texte dahingehend überarbeiten muss. Aber als mir vor kurzem eine Betaleserin das SdT nur so um die Ohren gehauen hat und ich mir dann die Mühe gemacht habe, ein ganzes Kapitel mit show umzubauen, habe ich mein eigenes Werk kaum wiedererkannt und fand es ganz grausam.

Zitat von: ArcorMan muss nicht jedes "traurig" durch ein "Schniefen" oder "Tränen wegtupfen" ersetzen, nicht jedes "wütend" durch "eine Ader pulsierte auf seiner Schläfe" oder ähnliches.

Zitat von: AryanaZwanghaftes "show" zum Vermeiden von Adjektiven, die Emotionen ausdrücken, empfinde ich oft als krampfhaft und nicht selten auch als unfreiwillig komisch.
Das ist für mich der Punkt. Es muss eben ein gutes Zwischenmaß sein. Aber wenn sich mein Prota übertrieben gesprochen auf jeder Seite dreimal die Tränen aus den Augen blinzelt und den Kloß im Hals hinunterschluckt, dass frage ich mich doch, ob es ein einfaches ,,traurig" oder ,,aufgelöst" nicht auch getan hätte.
Kurzum: Ich will hier nicht gegen SdT wettern, aber ein zwanghaftes show hilft eben auch nicht weiter. Letztlich geht es doch darum, DASS die Emotionen beim Leser ankommen und nicht unbedingt durch welches Handwerkszeug sie vermittelt werden.



Zitat von: AnjanaIch übersetze die Redewendung inzwischen für mich mit "Beweisen, nicht behaupten" und meine damit, dass eine Information nicht isoliert im Text stehen sollte. [...] Kurz gesagt, für mich ist die Überprüfung dieser Regel immer das Streichen des betreffenden Satzes. Kann ich dann noch die Emotion erkennen, beweise ich diese Emotion im Text.
Ein sehr guter Tipp, Anjana, den ich so noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Bei der nächsten Überarbeitungsrunde werde ich mal fleißig hier und da versuchen was beim Streichen passiert.

Lothen

#35
Schön gesagt, PinkPuma!  :jau: Und noch mal willkommen im Zirkel. ;)

Ich finde, die (deutsche) Sprache bietet schon sehr viele kraftvolle Möglichkeiten, Emotionen durch einzelne Begriffe auszudrücken.

Gerade Worte wie "Verzweiflung", "Schmerz" oder "Leidenschaft" sind in meinen Augen schon so intensiv, dass sie Emotionen teilweise viel besser transportieren können, als eine noch so detaillierte Beschreibung von flauen Mägen, pochendem Herzen oder Schweißausbrüchen.

Ich schätze, die Herausforderung ist wirklich das richtige Mittelmaß.

Dämmerungshexe

Eine Idee, die mir noch zu dem Thema gekommen ist:
Wenn ich viel erzähle und dabei auch ausführlicher auf das Innenleben meiner Charas eingehe, ihre Motive und ihre Gefühle, dann denke ich mir immer, dass das verdammt selbstreflektierte Menschen sein müssen. Gerade wenn ich aus ihrer eigenen Perspektive erzähle, weiß mein Chara immer, warum er gerade das tut, was er tut? Oder tut er es einfach? Wenn er es einfach tut, dann wäre das ein klarer Fall von "show".

Insoweit würde ein erzählerisch-geprägter Schreibstil doch auch eher eine auktoriale Perspektive vorgeben (oder zumindest begünstigen), oder?
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Shedzyala

Zitat von: Dämmerungshexe am 27. Februar 2015, 12:35:06
Gerade wenn ich aus ihrer eigenen Perspektive erzähle, weiß mein Chara immer, warum er gerade das tut, was er tut? Oder tut er es einfach? Wenn er es einfach tut, dann wäre das ein klarer Fall von "show".


Also meine Charaktere wissen nicht immer, warum sie etwas tun, sondern sind auch mal von sich selbst verwirrt – zumindest, wenn sie etwas zum ersten Mal erleben. Da kann mein Prota auch mal jemanden anlächeln, obwohl er glaubt, ihn nicht zu mögen. Diese weniger kreative Beispielsituation wird auch ein Leser verstehen.

Gerade wenn ich ganz nah an meinem Charakter bin, finde ich es wichtig, dass er sich auch mal irrt. Es muss nur nachvollziehbar bleiben, warum er sich eben geirrt hat. Aber unglaublich reflektierte Charaktere, die eine Situation immer sofort erfassen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen, finde ich nicht so spannend – egal ob per show oder tell sinnieren.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Sanjani

Ohne jetzt alle Beiträge gelesen zu haben, gebe ich auch mal meinen Senf dazu :)

Ich mache das meistens aus dem Bauch heraus und aus dem Gefühl, das ich gerade für die Geschichte habe. Auch erzählen kann ja sehr ansprechend sein, wie man, finde ich, gerade bei Majas bildhafter Sprache gut sieht. Ich denke, man sollte auch nicht jeden Kommentar von Betalesern auf die Goldwaage legen. Ich hab auch schon mal geschrieben, dass ich wissen will, wie sich ein Gefühl äußert, aber ich bin ja nicht das Maß aller Dinge. Ich schreibe das, wenn mein Gefühl für die Geschichte sagt, dass da jetzt "Ihr Herz begann zu rasen" hin muss und nicht "Sie bekam Angst". Das hängt aber m. E. auch viel mit der Gesamtatmosphäre der Geschichte zusammen.

Kann man schreiben: "Sie grinste hämisch"? Natürlich kann man das schreiben. Gerade aus personaler Sicht wird so etwas doch immer von der eigenen Interpretation eingefärbt. Wenn mein Kollege XYZ mich morgens nie grüßt, denke ich vielleicht, was ist der arrogant, ein anderer Kollege denkt vielleicht was ganz anderes usw.

Ich versuche mich generell an das zu halten, was ich auch im wahren Leben an mir selbst erlebe oder von anderen höre. Und es ist in den seltensten Fällen so, dass ich denke, oh jetzt hast du aber Angst, und wenn, dann meist nur, wenn das Gefühl nicht so stark ist oder sich langsam aufbaut. Wenn etwas plötzlich auftritt, dann spüre ich zuerst was und weiß erst später, was es ist. Letztens habe ich z. B. vor einigen Leuten vorgesungen, und wenn mich jemand fragen würde, wie das war, wäre das erste, was ich sagen müsste: Meine Hand, die das Mikro hielt, hat wahnsinnig gezittert (ob es wirklich so schlimm war, keine Ahnung, aber das habe ich zuerst gespürt). Dann habe ich gedacht, oh Gott, ich krieg gleich ne Panikattacke. Und so würde ich es auch in einer Geschichte schreiben, wenn der Chara jemand wäre, der zu Panik neigt so wie ich ;-)
Ein anderes Beispiel: Letztens hat eine Kollegin was unglaublich Dämliches gebracht, und ich saß einfach nur da und war fassungslos. Da hätte ich auch gar nicht genau sagen können, was ich gespürt habe. Es war einfach nur Fassungslosigkeit. Ich dachte, ich bin im falschen Film, und genau so würde ich das dann auch schreiben. In Kombination mit dem, was zur selben Zeit gesagt wird und passiert, würde das dann auch entsprechend wirken, denke ich, ohne dass ich das in mir herrschende Gefühl groß zeigen muss.

Außerdem kann man auch gut Unterschiede zwischen Figuren aufzeigen. Es gibt Leute, die z. B. ganz schlecht darin sind, Gefühle überhaupt zu benennen oder zu spüren. Die erleben nur ein Unbehagen oder Unwohlsein, fühlen sich schlecht, aber wissen nicht, was für ein Gefühl das ist. Dann gibt es Leute, die eher spüren als benennen, Leute, die sowohl spüren als auch benennen können und natürlich auch ganz rationale, die nicht viel spüren, aber eher aus einer rationalen Vermutung heraus benennen, was sie wahrscheinlich gefühlt haben. Da kann man ganz viele Facetten zeigen, wenn man Show und Tell entsprechend einsetzt.

Und zuletzt muss ich sagen, dass ich ganz oft erlebe, dass gerade in der Schlichtheit der Sprache manchmal unglaublich viel Kraft liegt. Da wird vielleicht ein Aspekt beschrieben, den jemand sieht, und dann heißt es "Sie begann zu weinen", und dass mir die Tränen runterlaufen, ist sicher. ;)

Fazit: Wenn man achtsam und mit offenen Augen durch die Welt geht, dann ergibt sich die Geschichte beim Schreiben von selbst, auch wenn sie vollständig erfunden ist :) Das ist jedenfalls meine bescheidene Meinung zum Thema :)

VG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

PinkPuma

Zitat von: SanjaniEin anderes Beispiel: Letztens hat eine Kollegin was unglaublich Dämliches gebracht, und ich saß einfach nur da und war fassungslos. Da hätte ich auch gar nicht genau sagen können, was ich gespürt habe. Es war einfach nur Fassungslosigkeit. Ich dachte, ich bin im falschen Film, und genau so würde ich das dann auch schreiben. In Kombination mit dem, was zur selben Zeit gesagt wird und passiert, würde das dann auch entsprechend wirken, denke ich, ohne dass ich das in mir herrschende Gefühl groß zeigen muss.

Das finde ich ein gutes Beispiel. Wenn meine Figur fassungslos ist, dann ist sie eben fassungslos und dann schreibe ich das auch genau so. Intendiert fassungs-los nicht eben genau das: Ich kann es nicht fassen, also nicht greifbar machen. Demnach kann ich auch die Emotionen nicht (in Worte) fassen.

Okay, man könnte beispielsweise schreiben: "Er starrte sie mit offenem Mund an." Aber impliziert das das ganze Ausmaß von Fassungslosigkeit? Für mich nicht.   

FeeamPC

Show don't tell ist überall da wichtig, wo Sinnliches transportiert werden muss. Erotik im tell-Modus geht gar nicht, wenn man dicht am Prota erzählt. Aber es ist ganz bestimmt keine Vorgabe, an die ein Autor sich sklavisch halten muss.
So etwas wie "fassungslos" würde ich immer benutzen, da wäre "show" eher kontraproduktiv.
Und "show" kann extrem interpretationsfähig sein ("tell" eher weniger). zappelt die Prota herum, weil
a) sie nervös ist
b) sie dringend zur Tolilette muss
d) ihr der Hintern vom langen Sitzen wehtut
e) sie es kaum erwarten kann, zu ihren Lover zu kommen?
Wenn sie nicht selbst der Perspektivträger ist, ist es ohne "tell" fast unmöglich, hier eine für den Leser brauchbare Aussage zu machen.

PinkPuma

Zitat von: FeeamPCShow don't tell ist überall da wichtig, wo Sinnliches transportiert werden muss. Erotik im tell-Modus geht gar nicht, wenn man dicht am Prota erzählt.

Ich glaube, ich mache mir mal den Spaß eine Erotik-Szene aus meinem Projekt komplett in den Tell-Modus umzuschreiben. Ich stelle es mir irgendwie gruselig vor...

Sanjani

Zitat von: PinkPuma am 28. Februar 2015, 09:07:28
Okay, man könnte beispielsweise schreiben: "Er starrte sie mit offenem Mund an." Aber impliziert das das ganze Ausmaß von Fassungslosigkeit? Für mich nicht.   

Für mich auch nicht. Außerdem wird der offene Mund in meinen Augen auch eher überstrapaziert. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, jemals mit offenem Mund da gestanden zu haben. Wenn überhaupt, dann habe ich mal mit "Waaas?" reagiert und dann war der Mund aber auch nur halboffen ;)
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

PinkPuma

Zitat von: SanjaniAußerdem wird der offene Mund in meinen Augen auch eher überstrapaziert.

Das finde ich auch. Genauso wie die aufgerissenen Augen. Stell dir das bitte mal bildlich vor: Ein Mensch mit weit aufgerissenem Mund und weit aufgerissenen Augen. Das ist doch eher Gesichts-Yoga als Fassungslosigkeit.  ;D

Darielle

#44
Ich möchte nochmal etwas grundsätzliches zu dem Thema einbringen, das mir hier im Thread noch nicht aufgefallen ist. Falls es als Argument schon wo steht, bitte ich das zu entschuldigen. Mein liebster und weisester Schreibratgeber sagt zu Show, don't tell folgendes:

ZitatNatürlich stellt sich hier sofort das Problem der Ökonomie: Ein zusammenfassendes, gar urteilendes Wort ("Er war ein mutiger Bursche.") ersetzt eine ganze Szene, in der der Mut des Jungen gezeigt werden müsste. Wer also schnell eine Reihe von Informationen mitteilen will, wird eher mit Beschreibung oder gar abstrahierender Beurteilung sein Ziel erreichen. Aus diesem Grund verwenden gerade die Eröffnungen älterer Romane häufig dieses Mittel. Sie wollen ihren Helden ohne Umschweife dem Leser vorstellen. Lebendiger, wirksamer und faszinierender jedoch ist die Entwicklung eines Charakterbildes im Fortgang der Handlung: Der Leser wird eingeladen, an einem Phantasiespiel teilzunehmen, halb Kreuzworträtsel, halb Maskerade. Er darf aktiv sein und wird nicht bevormundet.
Zitat aus "Kreativ schreiben - Handwerk und Techniken des Erzählens" von Fritz Gesing, Seite 71.

Darum neige ich dazu, Show nicht nur als Element der Weitergabe sinnlicher Reize zu betiteln, wie es Fee benannt hat. Ein ganzer Roman mit wenig Show wäre doch langweilig und viel zu kurz, oder? Ich denke, jeder von uns kennt Romane, in denen es elendig lange Landschaftsbeschreibungen gibt. Stillleben im wahrsten Wortsinn. Und die Liebhaber dieser gemalten Wortlandschaften werden leider immer weniger... Überhaupt ist die Frage nach Show, don't tell eine zentrale, denn in der modernen Literatur werden reine Tell-Elemente immer weniger. Woran das liegen mag, darüber sollte jedem sein eigener Gedanke erlaubt sein. Ich persönlich empfinde es, als ob die Verstumpfung der Leser wie ein breitgefächerter Krebs in den Zellen der Buchkultur wächst und sich von Show-Extremen nährt.
Es wäre wünschenswert, wenn beide Extreme sich wieder stärker mischen würden - und dass ich diesen Wunsch nicht an eure Adresse zu richten brauche, ist mir wohl bewusst. Nirgendwo sonst habe ich Autoren getroffen, die mit so viel Detailversessenheit und Eifer an der Ausfeilung von Romanen als Kunstwerke arbeiten. Trotzdem war es mir ein Bedürfnis, die Meinung einmal los zu werden. Danke, dass ihr mir meine Freude am Schreiben zurück gebracht habt.