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Glaubensvorstellungen, Religionen, Konfessionen

Begonnen von Mithras, 09. August 2014, 15:46:31

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Shedzyala

Zitat von: Lothen am 23. Februar 2015, 21:11:55
Ich denke, solche Widersprüche sollte man idealerweise einfach thematisieren - dann merkt vermutlich auch der Leser, dass es beabsichtigt ist.

Das wäre in der Tat das Ideal, bietet sich nur leider nicht immer an. Wenn ein Charakter nicht theologisch interessiert ist, fallen ihm diese Widersprüche wahrscheinlich gar nicht auf, sondern er nimmt sie wie selbstverständlich hin. Ist bei unseren realen Religionen ja ähnlich.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Mithras

Zitat von: Shedzyala am 24. Februar 2015, 13:06:35
Das wäre in der Tat das Ideal, bietet sich nur leider nicht immer an. Wenn ein Charakter nicht theologisch interessiert ist, fallen ihm diese Widersprüche wahrscheinlich gar nicht auf, sondern er nimmt sie wie selbstverständlich hin. Ist bei unseren realen Religionen ja ähnlich.
Dein Protagonist mag vielleicht nicht religiös oder theologisch interessiert sein, doch wie sieht es mit seiner Umwelt aus? Unter Umständen reicht es aus, die Existenz widersprüchlicher Auslegungen nur zu erwähnen, denn im Alltag wird das sicher zum einen oder anderen Konflikt führen, z. B. wenn die Sprösslinge von Familien, die unterschiedlichen Konfessionen angehören, heiraten wollen. Eine Erwähnung im Rande - es könnte z. B. Unfrieden in der Nachbrschaft herrschen - reicht da unter Umständen schon aus.

Shedzyala

Zitat von: Mithras am 24. Februar 2015, 20:49:30
Dein Protagonist mag vielleicht nicht religiös oder theologisch interessiert sein, doch wie sieht es mit seiner Umwelt aus? Unter Umständen reicht es aus, die Existenz widersprüchlicher Auslegungen nur zu erwähnen, denn im Alltag wird das sicher zum einen oder anderen Konflikt führen, z. B. wenn die Sprösslinge von Familien, die unterschiedlichen Konfessionen angehören, heiraten wollen.

Das ist es ja eben, Widersprüche müssen mitnichten zu Konflikten führen. Im Hinduismus gibt die Frau beispielsweise ihre Familiengottheiten auf und nimmt dir ihres Mannes an, ganz ohne Konflikt (Familiengottheiten haben nichts mit der Kaste zu tun). Und ich habe noch nie einen Christen getroffen, der es aus religiösen Gründen ablehnte, Schalentiere zu essen, ohne damit in Konflikt mit seiner Religionsgemeinschaft zu geraten. Religion bergen Widersprüche in sich – natürlich tun sie das, sind sie doch über Jahrhunderte unterschiedlich kulturell geprägt worden. Aber nicht immer führt das zu Konflikten oder gar einen Schisma. Mir geht es nicht um die Konfessionen, sondern um die alltäglichen Widersprüche, die ein Glübiger ganz natürlich ignoriert, ohne sich darüber Gedanken zu machen.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Mithras

Das war es auch nicht, worauf ich hinauswollte! ;) Konflikte können in der Gestalt anderer Personen thematisiert werden, ohne dass sich der Protagonist selbst darüber Gedanken machen muss. In der ägyptischen Mythologie wurden ständig Gottheiten verschmolzen, gleichgesetzt oder in neue Beziehungen zueinander gesetzt, so dass Horus sowohl Sohn als auch Bruder von Isis ist und mit ihr Kinder hat. Konflikte gab es aber erst, als Echnaton die Vielgötterei anschaffen wollte.

Shedzyala

Das war nicht nur in der ägyptischen Mythologie so, sondern ist viel mehr ein typisches Merkmal des Polytheismus: Wer zu zwanzig Göttern betet, wird den 21. nicht plötzlich unlogisch finden. Und genau das ist es, was ich an der Vielgötterei so spannend finde: Kein Alleinherrschaftsanspruch, sondern ein komplexes Geflecht von Göttern, die teilweise widersprüchliche Eigenschaften inne habe und in deren Beziehungen zueinander sich auch gleichzeitig die kulturelle Entwicklung der Region ablesen lässt. Aber vielleicht gehe ich da auch einfach zu wissenschaftlich ran.
Wenn ich es nur kurz im Hintergrund anspreche, habe ich Angst, meine Leser glauben, ich habe diesen Widerspruch erst kurz vor Schluss bemerkt und wollte schnell noch meine Religion retten :(
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– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

canis lupus niger

#20
Meine Amudaren haben ein recht entspanntes Verhältnis zur Religion. Es gibt ihrer Überzeugung nach zwar etwas Überirdisches,/Übermenschliches, also vermutlich eine Art Gott  ;D, aber sie geben ihm keine verbindliche Gestalt. Er/sie/es ... ja, vielleicht am Ehesten ein "Es" wird in der Form verehrt, in der sich das "Überirdische" zu manifestieren scheint. Das heißt, dass eine Art Erntedank sowohl an die belebte Natur gerichtet wird, als auch an eine wohlwollende Wesenheit, die möglicherweise die Welt geschaffen und die Fruchtbarkeit gefördert hat. Denn irgendwie muss das Ganze ja entstanden sein. Vielleicht ist das am ehesten mit einer Art Schamanismus vergleichbar.

Wenn Angehörige anderer Kulturen, mit denen sie in Kontakt kommen, konkrete Vorstellungen von "ihrem" jeweiligen Gott/ihren Göttern äußern, dann nehmen die Amudaren deren Dogmen mit Respekt und Toleranz hin. Schließlich kann sich jeder sein eigenes Bild vom Übernatürlichen/Göttlichen machen. Wer ist ihm schon persönlich begegnet, um wissen zu können, wie "Es" aussieht. Insofern kann man eigentlich nichts ausschließen. Ein monotheistischer Gott kann sich durchaus in vielen verschiedenen Formen manifestieren, die wiederum für einen polytheistischen Götterhimmel oder für eine Mehrheit von Naturgeistern gehalten werden könnte. Wie gesagt: Wer kann das schon verbindlich wissen? Einem allmächtigen, gütigen Gott wird es auch völlig egal sein, unter welcher Gestalt und unter welchem Namen unt mit welchen Riten er verehrt wird, wenn es denn mit Respekt geschieht.

Sipres

In meinen Geschichten spielen Religionen eine untergeordnete Rolle. Es gibt zwar die üblichen und der Prota aus meinem Hauptwerk ist auch Jude, aber Religion bedeutet in meinen Büchern "Lehre eines Gottes/mehrerer Götter einer Welt, die nicht zu den unseren gehört". Die Götter in meinen Geschichten werden zwar auch verehrt, aber sie sind nicht allmächtig und allwissend, sondern einfach nur Wesen. Gut, sie sind beinahe unsterblich und wesentlich mächtiger als die anderen Wesen, haben aber auch ihre Probleme und Sorgen.

Und was die Erschaffung der Welten angeht, sind nicht die Götter dafür verantwortlich, sondern die Weltenmacht, eine Art Kraftwerk, welche die Welten mit Energie speist.

Almarian

Spannender Thread  :)

Mit scheint, dass insgesamt mono- und polytheistische Religionen in euren Geschichten vorherrschen. Woher kommt das? Ist das quasi als Parallele zur realen Welt zu sehen und damit dem Leser vertrauter? Ist das eine bewußte oder unbewußte Wahl?

Ich habe mich eine Zeit lang (spätpubertärer Findungswahn) mit dem Ursprung von Religionen beschäftigt und einiges gelesen. Das ist das, was ich damals daraus geschlossen habe:
Aus wissenschaftlicher Sicht entstehen Religionen aus 2 Gründen:
- Menschen wollen erklären können, was für sie unerklärlich ist (deswegen mit zunehmendem Wissen weniger Glauben)
- Menschen wollen etwas Übergeordnetes, was das Zusammenleben regelt (Gebote etc.)

Bei Fantasy-Geschichten steht also oft neben den Schöpfungsgeschichten mehr als einer Rasse die Frage, wie die Magie in die Welt gekommen ist. Und warum nur manche Magie wirken können.
Dann kommt in der Entwicklung Macht ins Spiel - Sind die Magiebegabten mächtiger als die Religionsdiener? Dann könnte das sehr schnell in einer feindlichen Übernahme enden...

In meiner Fantasy-Welt ist Magie eine Naturgewalt, gefährlich für alle um die Person herum, bei der die Magie frisch "ausgebrochen" ist. Völker (und damit Religionen) haben sich dazu unterschiedlich entwickelt:
- Magie ist gefährlich, ein Feind, böser Widersacher des guten Gottes, gehört vernichtet (=> Magiebegabte werden verfolgt und getötet)
- Magie ist göttliche Macht, deren Nutzung große Selbstbeherrschung und Askese benötigt (=> Magiebegabte werden aus der Gesellschaft ausgestoßen und in die Einsamkeit gezwungen, bis sie sich beherrschen können - danach sind sie dann sehr angesehen)

Ich hoffe, ihr versteht, was ich damit sagen will: Für mich ist Religion in einer Fantasy-Geschichte Mittel zum Zweck. Und kann und sollte gerne andere Wege gehen als die realen Religionen.

Shedzyala

Zitat von: Almarian am 03. März 2015, 14:12:52
Für mich ist Religion in einer Fantasy-Geschichte Mittel zum Zweck.

Das gilt nicht nur für ausgedachte Religionen ;)

Da Magie in einer Fantasywelt ja etwas natürliches ist, lässt sie sich wohl auch in der Religion wiederfinden – übrigens auch in den realen Religionen. Schließlich ist es ein recht moderner Gedanke der Menschheit, dass es keine Magier in unserer Welt gibt.
Während die einen Religionen in Magie etwas feindliches sehen, was kontrolliert werden muss, können andere Religionen Magie als göttliches Geschenk interpretieren, woran man die Auserwählten der Götter erkennt. Ich habe sogar eine Geschichte in einer Fantasywelt geplant, in der der Atheismus die vorherrschende Religion ist: Die Magier haben einst die Götter herausgefordert und weil niemand antwortete, wird es sie wohl nicht geben.

Zum Schluss noch eine kleine Frage aus Neugierde:
Zitat von: Almarian am 03. März 2015, 14:12:52
Aus wissenschaftlicher Sicht entstehen Religionen aus 2 Gründen:
Auf welche Autoren/Texte beziehst du dich? Ich habe noch im Studium gelernt, dass es zwar viele Versuche gab, den Ursprung des Religionen (speziell die Ursprungsreligion) zu bestimmen, aber es schlicht nicht möglich ist, diese Frage des Ursprungs zu klären. Allerdings bin ich seit ein paar Jahren raus aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Religionen und deshalb immer wieder an neuen Erkenntnissen interessiert.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Churke

Zitat von: Shedzyala am 03. März 2015, 16:01:41
Während die einen Religionen in Magie etwas feindliches sehen, was kontrolliert werden muss, können andere Religionen Magie als göttliches Geschenk interpretieren, woran man die Auserwählten der Götter erkennt.

Da ist dann halt die Frage: Was ist Magie?
Die Spätantike unterschied strikt zwischen göttlichem Wunder und heidnischer Zauberei. Kennst du die Vita Hilarii? Wie in einer Seifenoper feiert St. Hilarius ein Wunder nach dem nächsten ab und lässt die dummen Zauberer auflaufen. Ein Höhepunkt der Vita ist das Wagenrennen zwischen dem verzauberten Gespann und gesegneten Gespann.

Sascha

Zitat von: Shedzyala am 03. März 2015, 16:01:41
Ich habe sogar eine Geschichte in einer Fantasywelt geplant, in der der Atheismus die vorherrschende Religion ist: Die Magier haben einst die Götter herausgefordert und weil niemand antwortete, wird es sie wohl nicht geben.
Da muß ich jetzt reinhauen, sorry.
Man kann Atheismus instrumentalisieren, um damit gewisse Ideologien zu stützen, ganz besonders im Kampf gegen die Macht der Kirchen. Siehe Stalin (der ehemalige Priesterseminarist!) und seine Nachfolger. Es gibt auch den berühmten Spruch des russischen Kosmonauten, der, im Weltraum angekommen, sagte: "Ich sehe hier oben keinen Gott, also ist erwiesen, daß es keinen gibt".
Sinngemäß, und ob die Story wirklich stimmt, weiß ich gar ned mal. Wäre aber eine "schöne" Propaganda-Idee.
ABER: Atheismus ist keine Religion, sondern eben gerade die Abwesenheit einer solchen. Man kann es als Weltanschauung oder von mir aus - in Deinem Setting - als vorherrschende Staatsphilosophie oder einfach Staatsdoktrin bezeichnen, aber es ist definitiv keine Religion und kein Glaube. Dass auch der Atheismus fanatisch und vernagelt vertreten werden kann, steht außer Frage, aber das sollte man dann doch noch trennen.

Churke

Atheismus ist schon eine Glaubensfrage. Schließlich ist die Nichtexistenz eines Gottes keinem Beweis zugänglich. Ob man das zugibt, steht natürlich auf einem anderen Blatt...
Und dann ist natürlich die Frage, in welcher Gesellschaft man lebt, wenn Atheismus zur Staatsideologie (um den Terminus "Religion" zu vermeiden) erklärt wurde. Die Franzosen haben im revolutionären Geist Cluny abgerissen, den Speyerer Dom als Pferdestall benutzt und Nonnen guillotiniert. Da waren sicherlich nicht nur praktische Erwägungen im Spiel...

Reman Akarak

ZitatBei dem Glauben geht es nicht um das "Warum wurde die Welt erschaffen/Warum scheint die Sonne/Warum dies und das?", sondern primär um das Leben danach. Wo geht man hin, wenn man stirbt? Was hat das leben an sich für einen Sinn?

Wenngleich ich, wie schon von einigen Vorrednern erwähnt eine eher deistische Anschauung in konstruierten Welt nutze, stehen für mich diese Fragen innerhalb dieser Religionen im Vordergrund. Der Sinn des Lebens und die Existenz nach dem Tod. Hierbei ist dann auch eine Anschauung entstanden, die darauf aufbaut, dass man sich (nachdem man nun allen "Aberglauben" abgelegt hat) nur in den eigenen Werken seiner Arbeit verewigen kann.
Wo zuvor das Paradies ewiges Leben versprach sehen es diese Menschen (und Magier) in den ewigen Früchten ihrer Arbeit und der "Wissenschaft". (Nietzsche lässt grüßen  ;D)

Allerdings ist dies nur ein Aspekt,  nur eine einzige Religion. So unterschiedlich und vielfältig sich die Völker entwickelt haben, so unterschiedlich sind auch die Religionen, wie es meine Vorredner ja schon wunderbar betont haben.

ZitatMit scheint, dass insgesamt mono- und polytheistische Religionen in euren Geschichten vorherrschen.

Ich würde da gerne die Frage stellen, inwieweit animistische Vorstellungen bei Euch noch eine Rolle spielen, ohne gleich eine Gottheit oder Gottheiten in ihrer Mitte aufzuweisen?

Ich verwende gerne die Bilder der Elemente ( einfach als Naturgeister bezeichnet) und Ahnengeister.
Wobei hinter diesen keine allmächtige Gestalt steht, sondern sie allgemein "nur" als Welten-formende Strömungen vorhanden sind. -> inspiriert von dem einfachen Ausspruch meines Physiklehrers (und sicherlich einiger Physiker): "Energie geht nicht verloren, sondern sie wird umgeformt!"
Die Naturgeister selber haben die Welt schon lange verlassen. Können entfernt also als Gottheiten angesehen werden (umso mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erkenne ich doch wie fehlgeleitet die Theologen meiner Welt doch sind, wenn sie diese wirklich als Gottheiten bezeichnen  ;D).
Kurz gefasst endet eine Existenz einfach und wird zu etwas anderes umgeformt. Um die Menschen jedoch vor der Angst zu bewahren, dass sie letzten Endes nur Würmerfraß sind und auch auf die Einzigartigkeit des (intelligenten) Lebens hinzuweisen, nimmt man ihnen jegliche Furcht mit dem Versprechen nach dem Tod Teil der Weltenseele (des Äthers -> wird als Ursprung der Magie gesehen ) zu werden.

Innerhalb der Nationen (ich habe hier bereits Nationalstaaten als Setting und bewege mich da etwas weg von der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung) variiert dies natürlich. Ebenso, wie die Kontinente durch andere Gegebenheiten und Einflüsse der Machthaber nicht nur über Unterschiede sondern über völlig andere Ansichten verfügen.

ZitatAtheismus ist keine Religion, sondern eben gerade die Abwesenheit einer solchen.

Ohne da jetzt zu weit auszuholen: Können wir festhalten, dass Atheismus ohne Religion nicht möglich ist, ebenso wie Schatten ohne Licht nicht existieren kann? Also, dass wir ehe wir den Atheismus "begrüßen" können erst einmal eine Religion benötigen, die wir durch diese Anschauung außer Kraft setzen?


Shedzyala

Zitat von: Sascha am 03. März 2015, 18:39:21

ABER: Atheismus ist keine Religion, sondern eben gerade die Abwesenheit einer solchen. Man kann es als Weltanschauung oder von mir aus - in Deinem Setting - als vorherrschende Staatsphilosophie oder einfach Staatsdoktrin bezeichnen, aber es ist definitiv keine Religion und kein Glaube. Dass auch der Atheismus fanatisch und vernagelt vertreten werden kann, steht außer Frage, aber das sollte man dann doch noch trennen.

Das muss ich jetzt aber widersprechen: Wenn man Glauben als einen elementaren Bestandteil einer Religion annimmt, dann ist Atheismus eine Religion. Ich bin Atheistin, ich glaube an keine göttlichen Wesen irgendeiner Art, aber beweisen kann ich es nicht. Das hat nichts mit Fanatismus oder "vernagelt sein" zu tun – das können Atheisten genauso gut wie Christen oder Buddhisten sein.
Allerdings kann es gut möglich sein, dass deine Religionsdefinition eine andere als meine ist. Da es leider keine gültige Religionsdefinition gibt, ist das durchaus möglich und je nachdem, welche Kategorien für dich zur Religiosität dazugehören und welche nicht, haben wir durchaus beide recht – aber ich habe es schon in der Uni gehasst, wenn man Diskussionen mit diesem Argument abgewürgt hat, deshalb habe ich das jetzt einfach mal nicht gesagt ;)

ZitatOhne da jetzt zu weit auszuholen: Können wir festhalten, dass Atheismus ohne Religion nicht möglich ist, ebenso wie Schatten ohne Licht nicht existieren kann? Also, dass wir ehe wir den Atheismus "begrüßen" können erst einmal eine Religion benötigen, die wir durch diese Anschauung außer Kraft setzen?
Das würde ich übrigens unterschreiben, allerdings um etwas ergänzen. Moderner Atheismus richtet sich nicht mehr gegen eine bestimmte Religion (traditionell das Christentum), sondern gegen Religionen an sich. Wobei ich schon Atheisten traf, die den Buddhismus davon ausgenommen haben – wahrscheinlich weil sich im Westen irgendwie festgesetzt hat, dass er angeblich Weltanschauung statt Religion sei (was für mich eigentlich das gleiche in grün ist, aber damit mache ich mir wohl noch mehr Feinde ;) )
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Sascha

Zitat von: Churke am 03. März 2015, 19:17:47
Atheismus ist schon eine Glaubensfrage. Schließlich ist die Nichtexistenz eines Gottes keinem Beweis zugänglich. Ob man das zugibt, steht natürlich auf einem anderen Blatt...
Dagegen wehre ich mich. Es wird immer gerne behauptet, daß der Glaube an die Nichtexistenz eines Gottes dem Glauben an dessen Existenz gleichwertig sei. Das ist aber nur ein recht durchsichtiger Winkelzug. Ich mache es an einem Beispiel fest:
Ich verrate Euch jetzt eines der großen Geheimnisse des Universums:

Jeden Samstag Nachmittag, Punkt 14:30 Uhr, tanzen auf der Rückseite des Mondes siebzehn rosarote Nilpferde im grünen Tutu Ballett. Diese Woche ist übrigens Schwanensee angesetzt.

;D Glaubt Ihr nicht? Dann beweist mir das Gegenteil! Könnt Ihr nicht? Dann ist Eure Ablehnung der siebzehn rosaroten Nilpferde (im grünen Tutu) gleichwertig mit meiner Behauptung, es gebe sie.
Nun ist es natürlich inzwischen möglich, bei der NASA oder so an Aufnahmen der Rückseite des Mondes zu gelangen. Die zeigen keine Nilpferde und schon gar keine Ballettbühne. Aber sind diese Aufnahmen auch am Samstagnachmittag um 14:30 Uhr (bzw. während der Vorstellung) entstanden? Und wer sagt denn, daß man da Theater überhaupt von oben sehen kann? Es liegt eigentlich unterirdisch - äh - untermondisch. Ihr verlangt Beweise? Na, da oben steht das doch geschrieben, und was geschrieben steht, da ist wahr, oder nicht? Beweist mir das Gegenteil, so sieht's aus!
Das ist natürlich alles an dern Haaren herbeigezogener Schwachsinn, aber die Logik sollte klar sein: Die Nichtexistenz von irgendetwas läßt sich schwer bis gar nicht beweisen, aber das ist auch nict nötig. Ihr müßt mir nicht beweisen, daß die Nilpferde nicht da oben rumhopsen, da es nicht den geringsten, vernünftigen Grund gibt, an ihre Existenz zu glauben.
Deshalb ist Nicht-Glauben eben gerade nicht gleich Glauben.

Zitat von: Churke am 03. März 2015, 19:17:47
Und dann ist natürlich die Frage, in welcher Gesellschaft man lebt, wenn Atheismus zur Staatsideologie (um den Terminus "Religion" zu vermeiden) erklärt wurde. Die Franzosen haben im revolutionären Geist Cluny abgerissen, den Speyerer Dom als Pferdestall benutzt und Nonnen guillotiniert. Da waren sicherlich nicht nur praktische Erwägungen im Spiel...
Das meinte ich mit meinem letzten Satz. Auc der Atheismus kann fanatisch und vernagelt vertreten werden, wenn man aus einem eigentlich natürlichen Zustand eine Ideologie macht.

Zitat von: Reman Akarak am 03. März 2015, 19:34:51
Ohne da jetzt zu weit auszuholen: Können wir festhalten, dass Atheismus ohne Religion nicht möglich ist, ebenso wie Schatten ohne Licht nicht existieren kann? Also, dass wir ehe wir den Atheismus "begrüßen" können erst einmal eine Religion benötigen, die wir durch diese Anschauung außer Kraft setzen?
Nein, sehe ich anders. Wenn man Atheismus als Ablehnung der Religion bzw. gezielte Verneinung aller göttlichen Wesenheiten betrachtet, dann ja, denn wie könnte man etwas ablehnen, was es nicht gibt? Wenn man aber Atheismus einfach nur als Abwesenheit des Glaubens an einen Gott (oder deren mehrere) betrachtet, dann ist das der Zustand, in dem der Mensch geboren wird, bevor man ihm die Religion ins Hirn pflanzt. Für mich ist Atheismus letzteres: Ich glaub einfach nicht dran und kann mir nur mit frühkindlicher Indoktrination (sorry, ich weiß, das ist ein harter Ausdruck) erklären, daß jemand an sowas glaubt.

Will heißen, ich gehe nicht davon aus, daß jedes Volk, das man sich als Autor so ausdenken mag, auch eine Religion haben muß. Manche hatten es vielleicht einfach nie nötig, sich irgendetwas "übernatürliches" oder jenseitiges auszudenken und kamen mit der Welt, so wie sie eben ist, auch ganz gut klar. Um wenigstens ein kleines bißchen im eigentlichen Thema des Threads zu bleiben. Größere fundamentale Diskussionen gehören hier aber eigentlich nicht hin, denke ich. Also hau ich mir jetzt selbst eine Pfanne rein und mache Schluß damit. :pfanne:

Hmpf, jetzt kommt noch Shedzyala daher. Also ganz kurz: Ich lehne Religionen ab, wenn sie versuchen, alles und jeden zu bekehren, zur Not mit Gewalt. Ob das jetzt diese Irren vom IS sind oder die diversen evangelikalen Richtungen gerade in den USA, die teilweise demselben Ungeist anhängen. Dann lehne ich das explizit ab. Ansonsten sage ich, soll jeder glauben was er will, er darf nur nicht erwarten, dass ich es verstehen kann. Zum Thema Beweisbarkeit sagte ich ja schon was. Und auch dazu, als was man den Begriff Atheismus sehen kann und was das dann eben für diese Unterscheidung bedeutet. Dem Buddhismus kann man eigentlich nur zugute halten, dass er sehr tolerant gegenüber anderen Religionen ist und nicht mal fordert, für ihn eine andere Religion aufzugeben. Er ist nicht so fanatisch. Richtiger ist er deswegen aber auch nicht.