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Erinnerungen der Figuren einbeziehen

Begonnen von Franziska, 06. Dezember 2013, 18:28:32

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Franziska

Ich habe immer wieder das Problem, dass ich nicht weiß, wie ich Erinnerungen meiner Figuren in den Erzähfluss einbinden kann. Also die Figur reflektiert über sich selbst und die Vergangenheit. Es heißt ja immer, show don't tell. Deshalb habe ich bei so einer Stelle gerade das Gefühl, dass ich ganz schlechten Stil schreibe, wenn ich meine Figur einfach nur erzählen lasse, also es war so: damals ist das und das passiert und es ging mir so und so.
Andererseits finde ich, richtig gute Autoren zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie das gut können. Erzählen, besonders wenn es eine autobiographische Geschichte ist. Dann kann man leicht schreiben: als ich vier war ereignete sich dieses und jenes.
Bei einem anderen Roman habe ich es so gemacht, dass die Figur gar nicht daran denken will, was passiert ist, weil sie es verdrängt. Erst am Ende kommt es raus, sie erzählt es einer anderen Figur. Dadurch lässt sich Plusquamperfekt auch leicht vermeiden. Aber das passt nicht immer.
Eine andere Möglichkeit wäre, direkt in die Erinnerung zu springen. Dann wäre es eine Art Rückblende. Die man ja aber auch so schreiben könnte, als würde sie gerade passieren. Dann muss das nur deutlich genug sein.
Versteht ihr, was ich meine? Ich glaube, das klingt gerade etwas wirr. Also die Figur erinnert irgendetwas an das Ereignis und plötzlich ist sie mittendrin, sieht, hört und riecht genau wie in der Situation. So eine Art traumatisches wiedererleben. Aber das kann man auch nur machen, wenn es eben ein solches intensives Erlebnis war, dass es auch so in Erinnerung bleibt.

Aber die vorgeschlagenen Lösungen passen nicht immer. Habt ihr Beispiele, wie ihr es gelöst habt, oder wie andere Autoren es gut lösen?

Klecks

#1
Ich habe klecksige Angebote an dich. ;D

1. Generell ist das "bloße" Erzählen tatsächlich schwerer, als man denkt. Die Figur könnte also tatsächlich in einem inneren Monolog darüber reflektieren und ihre Gefühle in der Situation beschreiben.

2. Wenn es kein Flashback sein darf, lass die Figur davon träumen. Ich träume manchmal eine veränderte Version von Dingen, die ich erlebt habe, wobei gewisse Teile anders sind als das, was wirklich passiert ist. Nach dem Aufwachen könnte die Figur darüber reflektieren und etwas denken wie "Schade, dass es nicht so und so war, sondern so" oder "Ach, wie schrecklich war das, aber zum Glück war es in der Realität nicht so schrecklich, sondern eher so und so". Ich bin in diesen Träumen am selben Ort und mit denselben Personen wie in der Erinnerung, teilweise passiert dasselbe, aber es läuft immer auf ein anderes Ende hinaus.

3. Füge die Erinnerung der Figur aus der Perspektive eines Menschen ein, der Teil der Erinnerung ist. Vorausgesetzt natürlich, die Fgur mit der Erinnerung ist nicht allein und die Figur, aus deren Perspektive die Erinnerung an deren statt eingefügt wird, hat eine Bedeutung für die Handlung.

Franziska

Das mit dem Traum ist wirklich eine gute Idee. Ich persönlich träume eigentlich nie Sachen nach, die ich erlebt habe, aber meine Figur könnte das natürlich machen.
Die anderen Lösungen finde ich auch gut. Es geht nur schlecht, wenn man einen Ich-Erzähler hat, die Perspektive zu wechseln.
Ich will auch noch mal klar stellen, dass es nicht um ein bestimmtes Problem von mir gehen sollte, sondern generell um das Thema, da ich es ja in den Workshop gepackt habe.

Klecks

Freut mich, dass ich dir eine Idee geben konnte. Vor allem mit einem Ich-Erzähler wäre ein Traum natürlich gut geeignet, um intensives Wiedererleben zu ermöglichen.

Mir ist gerade noch eingefallen, dass die Figur auch ein Déjà-Vu erleben könnte - was intensiv und verwirrend sein kann, was sie in Panik verstetzt, was sie zum Reflektieren und daran Zurückdenken bringt, und so weiter.  :D

Oder, einem Déjà-Vu nicht ganz unähnlich: Sie begegnet einer Person, die sie an jemanden erinnert, der Teil der Erinnerung ist. Vielleicht ist es das Aussehen, vielleicht haben die Perosnen dieselben Macken und Angewohnheiten, machen oft dieselbe Geste oder Bewegung, benutzen oft dasselbe Wort, haben dasselbe Kleidungsstück oder dieselbe herausstechende Augenfarbe, haben ein ähnliches Lachen, Niesen, Grinsen ...  :)

Janika

Im aktuellen NaNo-Roman haben zwei der Figuren ab und zu Erinnerungen. Der eine hat eh ab und zu die Perspektive, die andere kriegt dafür die Perspektive. Die Erinnerungen und inneren Selbstgespräche geben dem Leser (hoffentlich) einige Rätsel auf, erst später, als sie der Protagonistin davon erzählt, wird es wirklich aufgelöst.

Ansonsten bin ich auch eine Freundin von Träumen.
Immer eine Handbreit Plot unter dem Federkiel haben.

Kati

Ich finde, Erinnerungen sind immer ein toller Bestandteil von Romanen, weil sie Figuren oft mehr Tiefe geben und der Geschichte mehrere Ebenen, wo sonst bloß der Zeitpunkt wäre, zu dem wirklich erzählt wird. Ich finde aber auch, dass bei Erinnerungen immer ganz wichtig ist, dass die Erinnerung eine Bewandnis hat und die Geschichte voranbringt. Ich schreibe sehr gern Erinnerungen und ich mache das zum Beispiel bei längeren Abschnitten so, dass ich nach ein paar Sätzen einfach ins Präteritum rutsche. Das ist an sich ein Zeitfehler, aber es liest sich viel angenehmer, man muss nur aufpassen, dass deutlich ist, dass man sich noch in der Erinnerung befindet und nicht zurück in der Gegenwart. Einen anderen Weg richtige Flashbacks in die Erzählung zu mischen, sehe ich persönlich jetzt nicht. Was ich aber auch gern mache, sind schwammige Erinnerungen, wo nicht mehr alles da ist. Da kann man dann schön vage andeuten oder auch in spannenden Szenen, wo der Prota sich unbedingt erinnern muss, mit spielen. Aber wichtig ist, dass es nicht einfach eine Erinnerung aus dem Nichts ist oder einfach, weil einem gerade danach ist.

Wenn man sich erinnert, muss es immer einen Auslöser für die Erinnerung geben, irgendetwas, was einen daran erinnert. Und die Erinnerung muss entweder zum Figurenverständnis beitragen oder, noch besser, zum Plot. Wenn Prota sich in Kapitel drei erinnert, dass er als Kind mal gelernt hat, wie man mit Haarnadeln Türen öffnet und in Kapitel 7 muss er ein Türschloss öffnen, finde ich das immer sehr stimmungsvoll, dann kommt das Schlossknackertalent nicht so aus dem Nichts, sondern wurde schon angedeutet. Dafür sind Erinnerungen sowieso immer sehr gut geeignet, wenn etwas ansonsten sehr plötzlich kommen würde oder zu willkürlich wirken würde. Was ich zum Beispiel auch gern mag, ist Erinnerungen aufsplitten. Das habe ich gestern erst gemacht. Mein Prota geht über einen Platz, über den er schonmal gegangen ist und ich streue einfach alle paar Absätze ein, was auf dem Platz damals passiert ist. Dann hat man nicht einen langen Absatz bloß Erinnerung, sondern die Erzählung fließt gleichzeitig weiter und die Erinnerung wird zum Bestandteil der Erzählung und unterbricht sie nicht einfach.

Sprotte

Ich beginne oftmals mit einem Dialog, daß Person A mit Person B eine Erinnerung teilen möchte. Schreibe aber nur ein oder zwei Sätze direkte Rede und schließe dann mit einer Art Rückblende im Prätieritum an, in der ich A diese Erinnerung erneut erleben lasse.

Cailyn

Was Kati darüber schreibt, kann ich nur teilen. Die Einbindung in den Plot / die Situation scheint sehr wichtig zu sein. Je nach dem, was passiert, wähle ich dann auch die eine oder andere Form, um die Erinnerung zu zeigen.

So richtige Rückblenden wähle ich grundsätzlich nur bei längeren Szenen aus der Vergangenheit. Wenn Rückblenden nur ein paar Zeilen umfassen, wirkt der Text dann wenig flüssig oder unterbricht die Handlung zu stark. Es wird dann schwerfällig bis störend. In meiner aktuellen Fantasygeschichte machte ich gerade eben den Fehler, dass ich die Haupthandlung mit langen Rückblenden unterbrochen habe. Ich fand das zunächst eine tolle Idee, weil ich dachte, dass dies die Spannung im Text erhöht. Aber meine Betaleser fanden das dann nicht so wirklich toll.

Was ich gerne mag, sind direkte Gedanken einer Figur, ohne gross anzudeuten, dass es sich dabei um Gedanken handelt. Also nicht Sätze, die dann mit [Komma]dachte er enden. Meistens ist ja eh klar, wer am Denken ist.

Woran ich auch immer mehr Gefallen finde, sind kurze Gedanken während eines Dialogs, die etwas über die Vergangenheit der Figuren aussagen. Dies könnte z.B. sein, wenn zwei Figuren in ein Streitgespräch verwickelt sind und der Protagonist sich daran erinnern soll, was früher zwischen ihnen vorgefallen ist. In einem solchen Gespräch kann man ja sehr gut Erinnerungen an Vergangenes mit reinnehmen. Und die beste Mischung von Dialog und Gedachtem ergibt sich oft, wenn das Gesagte und Gedachte weit auseinanderklaffen  ;D.

Häufig nutze ich auch Sinneswahrnehmungen als Überleitung zu einem Erinnerungsfetzen. Da erinnert halt ein kross gebratenes Schnitzel an die eigene Oma oder das Tosen des Meeres an die Klospülung im Schulzimmer. Naja, ok, das sind jetzt blöde Vergleiche, aber du weisst sicher, was ich meine.

Gut finde ich auch, wenn man das "show don't tell" in die Erinnerung mit einbezieht, ja, es vermischt. Als Beispiel: Der Prota schüttelt jemandem fest die Hände und ihm fällt dabei auf, dass derjenige noch immer so schwielige Haut hat wie vor zwanzig Jahren, als seine Frau ihn wegen eines Jüngeren hat sitzen lassen. So in der Art... ;)

Coppelia

#8
Ich finde nicht, dass man "Rückblenden" nur bei traumatischen Erinnerungen anwenden kann. Generell ist jede Erinnerung dafür geeignet, und wenn man sie plastisch schildert, bereichert sie die Geschichte.
So, wie eine Erinnerung einer Person in den Kopf schießt, kann man sie auch schildern. Das ist doch ein Fall von "show, don't tell". Man muss es nur entsprechend schreiben - anschaulich, nicht erzählend.
Anstatt "Als er an der Schule vorbei ging, erinnerte sich Fritz an seine Schulzeit. Er war immer sehr ungern zur Schule gegangen."
sowas wie
"Sobald Fritz das Schulgebäude nur aus der Ferne sah, meinte er das muffige Klassenzimmer wieder zu riechen und die Stimme des Lehres zu hören, die in seinen Ohren dröhnte, ohne dass er ein Wort verstand. Ständig waren seine Hände unter dem Tisch feucht gewesen aus Angst vor der Hausaufgabenkontrolle. Zum Glück war diese Zeit längst vorbei."

Vielleicht nicht das beste Beispiel, aber ich hoffe, was ich meine wird deutlich.

Dialoge sind ohnehin immer eine sehr gute Methode, Informationen zu vermitteln.

Tanrien

#9
Ich glaube, ob Erinnerungen funktionieren, hängt mehr von der Stelle ab, an der sie in der (Szenen-)Handlung stehen, als davon, wie und in welchem Stil sie geschrieben sind. Ich habe gerade mal in Kraken von China Miéville reingeblättert, weil das das letzte Buch war, was ich gelesen habe, wo mir der Schreibstil bewusst geworden ist und ich gedacht habe, dass es mir gefällt, wie er es macht. In den Teilen, die ich jetzt finden konnte, baut er Erinnerungen auf zwei Arten ein:

Einmal in dem, was ich im Scene-Sequel-Muster "Sequel" nennen würde. Also, die Charaktere haben eine längere Unterhaltung und/oder Szene in einem Nicht-Action-Teil, sondern dessen "Szene" mehr dazu dienen soll, die nächste spannende Szene vorzubereiten. (Also ein Sequel.) Dann baut Miéville dort ein paar Erinnerungen rein, z.B. ganz vom Anfang:
Zitat"Billy noticed the young man [Beschreibung des jungen Mannes].
[Beschreibung der normalen Besucher als Aufzählung der Arten.]
And there were the obsessives.
[Erinnerung, wie Billy mit seinem Freund über die Besucher, vor ein paar Tagen, gesprochen hat.]
[Kurze Szene in der Gegenwart, der Sprung wird nur über den Inhalt deutlich, Billy wird von einem Kollegen bei seinem Spitznamen "Tubular" genannt]
'Tubular?' Billy could see one or two of his escortees wondering if they had misheard.
[Zwei laaaange Absätze darüber, wie Billy den Spitznamen damals bekommen hat, kein Dialog.]"
Dann ist die Szene zuende, ein paar Leerzeilen und es geht normal in der Gegenwart weiter.

Außerdem hat er ganze Rückblenden, schlicht reingesetzt, in denen ein Charakter und sein Hintergrund in einer prägnanten Szene/einem Kapitel beleuchtet werden. Fängt an mit "For the bulk of her tween and teens, most of Kath Collingswood's teachers had either been indifferent or mildly apathetic to her. One man, her biology teacher,  had more actively disliked her." Was ja schon etwas darüber sagt, wie der Rest der Szene aussieht. Die Szene ist durchgehend gestaltet, keine Leerzeilen/Brüche/Szenenwechsel und erzählt die eine Szene/Erinnerung des Charakters, dann kommt ein Bruch und die Erinnerung/Rückblende geht weiter, aber allgemeiner, nicht als Szene aus der Vergangenheit, und endet dann in zwei Absätzen mit der Gegenwart:

"In the case of the alarm system she had installed in Billy's doorway [...] But then that perfectionist would not have been alterted when intruders removed Billy [...] as Collingswood, lurching awake and for several moments confused, her heart gonging and an arching in her ears, was."

Dann kommt ein neues Kapitel (das beschriebene war zwei drei Seiten lang und praktisch nur Erinnerung), wo wir erfahren, wie es dem ja gerade entführten Billy geht.

Das ist natürlich jetzt ein spezieller Stil - wenn man 'direkter' schreibt, also weniger deutlich diese auktoriale Tendenz drin hat, wo der Leser zumindest sieht, dass es konstruiert ist, ist die Einbindung so vielleicht nicht so geeignet? Aber ich finde das ganz cool, vor allem dieses Szenenspringen, ohne wirklich den POV zu wechseln. Ich weiß nicht genau, wie ich das beschreiben soll... Die meisten kennen ja sicher den Pratchett-Stil vom Aufbau des Textes, dass es immer wieder Leerzeilen und dann eine andere Szene gibt, mit einem Bruch davor, und in dieser neuen Szene geht es jetzt kurz um etwas allgemeines oder um einen anderen Charakter, und das zieht sich durch das ganze Buch. Wenn man aber bei der gleichen Handlung bleibt, bei den gleichen Charakteren und es nur fragmentiert aufbaut/schreibt. Machen ja viele Autoren, nicht nur Miéville.

Das Beispiel hab ich jetzt nur gebracht, um zu zeigen, dass auch das einfache Reinwerfen ja gut funktioniert und ich es schöner finde, das an einem tatsächlichen Textstück zu betrachten. Natürlich ist auch Miévilles Stil nicht das nonplusultra, aber das wichtigste ist, dass es funktioniert - die Rückblenden/Erinnerungen stören nicht, passen zum Rest.

Von daher ist gerade für den fragmentarischen und auch leichter von den Charakteren distanzierten Stil die Lösung sicher unproblematisch und man kann Erinnerungen einfach reinschmeißen, sobald ein Moment Downtime eintritt. Leider hab ich kein Beispiel zur Hand, wo es mir aufgefallen ist, wie es bei einem Stil, der näher am POV Charakter ist, gehandhabt werden kann. Ich kann da vielleicht mal bei den nächsten Fanfiktions, die ich lese, drauf achten, da sollte das einfach zu finden sein.

Zum ersten Beispiel hat jetzt in der Zwischenzeit Cailyn was geschrieben, zumindest ein bisschen:

Zitat von: Cailyn am 06. Dezember 2013, 20:12:22
Gut finde ich auch, wenn man das "show don't tell" in die Erinnerung mit einbezieht, ja, es vermischt. Als Beispiel: Der Prota schüttelt jemandem fest die Hände und ihm fällt dabei auf, dass derjenige noch immer so schwielige Haut hat wie vor zwanzig Jahren, als seine Frau ihn wegen eines Jüngeren hat sitzen lassen. So in der Art... ;)

Das mag ich auch, wenn ich weiß/annehmen kann, dass es später trotzdem nochmal aufgearbeitet wird - auch emotional für mich als Leserin; entweder in der Action und der Nachbereitung; oder in einer längeren Erinnerung. Nur das als Hinweis allerdings, da wäre ich enttäuscht. Bei Miéville beschreibt er da ein bisschen mehr und unterbricht für einen Absatz dann auch die normale Handlung, da hält sich das dann in Grenzen, weil dieser Teil meistens ausreicht.

Umbra et Luminis

Das ist ja ein Zufall. Genau jetzt, wo ich eine Schreibpause vor einer Erinnerungsszene einlege, fliegt mir dieser Thread entgegen.  :)

Ich handhabe es in diesem Projekt z. B. so, dass mein Protagonist einen schon recht ausdrücklichen Charakter aufweist. Immer wieder kommen in gewissen Situationen Fetzen an Erinnerungen dazu, wage Sehnsüchte, Wünsche und Andeutungen, wenn ich aus seiner Perspektive schreibe. Er sieht etwas und es erinnert ihn dann z. B. lediglich "an das Puppenhaus der Nachbarstöchter" oder sowas. Mehr bedarf es gar nicht. Die Haupterinnerung kommt später.
Nun habe ich die Situation böse eskalieren lassen und der ungute Protagonist wird in seiner Situation alleingelassen. Eine richtig mistige Situation. Erst da beginnt er einsam und alleine nachzudenken, kramt in seinem Gedächtnis und erinnert sich an die Grundpfeiler, die es haben so weit mit ihm kommen lassen. Der arme Kerl ...
Der Leser wird nach dieser dramatisch eingeleiteten Innensicht und dem ganzen Vorbau wesentlich mehr verstehen, warum der Gute ist, wie er ist. Ob er sich ändern kann und wird, ist die Frage, die zurückbleibt. Diese Erinnerungen sind jedenfalls dringlichst von Nöten, um den Charakter tiefer darzustellen und mögliche Antisympathie in Sympathie umschlagen zu lassen. Ohne diese Erinnerungen ginge es nicht.

So handhabe ich das gerne. Immer mal wieder Andeutungen einstreuen, dramatisch steigern und wenn die Soße richtig am Dampfen ist, dann kommt sozusagen eine Schlüsselerinnerung. Wichtig ist, dass es bis zu diesen Schlüsselerinnerungen immer mal wieder vorbereitende Elemente im Text gibt. Es darf nie hopplahopp erscheinen, sondern so, als wäre es wirklich ein fester Bestandteil des Charakters.

Träume mag ich persönlich nicht so gerne und nutze sie wirklich nur, wenn es gar nicht anders geht. Einen Traum einzustreuen wirkt für mich (das ist nur meine persönliche Meinung) immer etwas willkürlich. So, als hätte es eben keinen besseren Weg gegeben. Das denke ich auch als Leser. Einen Traum würde ich vielleicht als wages vorbereitendes Element nutzen, aber nicht für die Schlüsselerinnerungen.

Zitat von: Cailyn am 06. Dezember 2013, 20:12:22
Gut finde ich auch, wenn man das "show don't tell" in die Erinnerung mit einbezieht, ja, es vermischt. Als Beispiel: Der Prota schüttelt jemandem fest die Hände und ihm fällt dabei auf, dass derjenige noch immer so schwielige Haut hat wie vor zwanzig Jahren, als seine Frau ihn wegen eines Jüngeren hat sitzen lassen. So in der Art... ;)
Ja, so handhabe ich das auch oft als vorbereitendes Element.  :)

Manja_Bindig

Hm. Wenn es etas Längeres und detailierteres ist, bemühe ich mich, den Gedankenprozess anzusetzen und dann eine Möglichkeit zu finden, ein Flashback einzubauen. Vielleicht träumt der Chara von dem, woran er sich erinnern muss. Oder lässt sich hypotisieren. (Bei Träumen versuche ich, auch im Flashback-Modus eine "traumhafte" Sprache zu behalten). Prinzipiell lass ich die nie länger als vielleicht zwei, drei Normseiten werden.

Sind es einzelheiten, Szenen, etc., die bruchstückhaft hochkommen, binde ich das in das Erzählte Geschehen ein (der Chara macht Kaffee, denkt dabei an ein letztes Gespräch mit dem toten besten Freund, ruft sich vielleicht in Erinnerung, wie er aussah, wie es ihnen beiden ging.)
Andere Szene, Chara macht was anderes, erinnert sich an ein anderes Detail aus dieser Erinnerung.

Wenn es den Chra beschäftigt schweifen die Gedanken immer wieder da hin - wie sehr ihn das im Alltag behindert, hängt von ihm ab.

Oder der Chara muss erzählen woran er sich erinnert - das kann insofern interessant sein, wo die Schwerpunkte gesetzt werden.

Fianna

Ich habe gerade ein positives Beispiel im ersten Band der Krimiserie "Mitchell & Markby" von Ann Granger wieder gefunden.
Die weibliche Hauptfigur ist Diplomatin auf Heimaturlaub ohne engere Bindungen. Sowohl ihre Unabhängigkeit und Bindungsscheuheit als auch der Grund für ihre Berufswahl und der Mordfall hängen mit einer unglücklichen Liebesbeziehung zusammen.
Die Natur dieser Beziehung stellt sich erst nach und nach heraus (Schwärmerei, einseitige Liebe, Kummerkasten, beidseitige Liebe); fest steht nur, dass es schmerzliche Erinnerungen sind, die die Prota verdrängt.
Über den Roman verteilt gibt es immer wieder Erinnerungsfetzen, die von aussen ausgelöst werden. Diese inneren Gedanken (kein Monolog, es sind nur wenige Sätze) geben Aufschluss über den emotionalen Stand der Prota, aber auch weitete kleinere Informationen.

Der Leser wird häppchenweise gefüttert und es setzt sich langsam wie ein Puzzle zusammen.
Das hat mir extrem gut gefallen, besser als Flashbacks oder andere Dinge, die hoer angesprochen wurden.

Natürlich ist es ein bestimmtes Genre mit bestimmten Setting und bestimmten Figuren; es kann bei anderen Projekten genau die falsche Methode sein.

Da ich diesen Tipp nirgends bisher sah, wollte ich es aber ergänzen.

FeeamPC

Träume sind gefährlich, wie oben schon angesprochen wirken sie auf den Leser oft wie der letzte (und meist unzureichende) Versuch des Autors, Informationen zu streuen.
Und zwar deswegen, weil wir alle (und auch alle unsere Leser) verdammt genau wissen, wie wenig man sich an einen Traum normalerweise erinnert.
Alpträume durch traumatische Erinnerungen sind davon ausgenommen.

Thaliope

#14
Also, a) finde ich immer noch nicht, dass Erzählen schlechter Stil ist. Schlecht Erzählen ist schlechter Stil. Ich glaube inzwischen fast, dass diese Einstellung auf eine zu enge Übersetzung des Sol Stein'schen "tell" zurückzuführen ist, das ja nicht nur "erzählen" im engeren Sinne bedeutet, sondern auch platt "sagen", "benennen", "erklären" und so.
Wie man nämlich an Coppis Beispiel so schön sieht, kann man auch sehr plastisch erzählen, quasi zeigend erzählen. Demnach würde ich "Show, don't tell" vielleicht neu übersetzen mit: Sag mir nicht, dass da ein Baum steht, zeig es mir. Und das kann man auch in einer erzählenden Passage und damit auch in einer Erinnerungg, finde ich: Erzähl es mir so, dass ich es sehen kann.

Und b) sehe ich keinen Grund, warum man nur die Erinnerungen plastisch beschreiben können sollte, die auch im Kopf der Person noch ganz besonders lebendig sind (also die Beschränkung auf Traumatisches). Die Einschränkung würde ich bei einem Ich-Erzähler akzeptieren, weil der Leser da nur das mitbekommt, was auch die Figur im Kopf hat, okay. Aber ein außenstehender Erzähler weiß alles, was für die Geschichte wichtig ist. Der kann die Erinnerungen der Figur plastischer darstellen, als sie selbst sie im Kopf haben muss.

Und c) bin auch ich skeptisch, was den Traum als "Lösung" für ein solches Problem angeht. Ich denke, Träume sollte man dann einbauen, wenn man wirklich einen Traum einbauen will, nicht, wenn man eingentlich eine Erinnerung einbauen will. Sonst wird das Traum-Elemennt schnell überstrapaziert und unglaubwürdig.

Den Punkt, dass es einen Auslöser für die jeweilige Erinnerung geben muss, finde ich gut. Die Figur sieht, riecht, hört irgendetwas, und dadurch wird die Erinnerung ausgelöst. (Ganz berühmt natürlich der Geschmack der Madeleine in Prousts Suche nach der verlorenen Zeit :))
Bei längeren Passagen in der Vergangenheit kann man übrigens oft auf das Plusquamperfekt verzichten. Oft wird es so gehandhabt, dass der erste und letzte Satz im Plusquamperfekt geschrieben wird und alles dazwischen in der normalen Erzählzeit. (Aber da musss man auch immer gucken, ob das passt. Schwierig ist es immer dann, wenn zwischendurch Bezüge zur Gegenwart der Figur gezogen werden.)

LG
Thali

EDIT: Noch ein Nachtrag: Ich hab gerade nochmal gelesen, dass du auch explizit nach dem Ich-Erzähler gefragt hast. Aber auch da, muss ich nach nochmaligem Drübernachdenken sagen, sehe ich eigentlich kein Problem darin, wenn dieser sich sehr plastisch erinnert, ohne dass es jetzt ein traumatisches Erlebnis sein muss. Schließlich erzählst du eine Geschichte, und die Erinnerung ist ein Teil dieser Geschichte. Für mein Empfinden ist es da gar nicht wichtig, dass man sich in der Realität an vieles nicht so hundertprozentig genau erinnern kann. (Das gilt ja eigentlich auch für die aktuelle Erzählzeit: Der Ich-Erzähler erzählt ja meist in der Vergangenheit, und eigentlich wäre es da ja auch unwahrscheinlich, dass er sich so detailreich, bunt und lebendig an alle Gegenheiten und Wortlaute erinnern kann. Aber das ist eben die Geschichte.)