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Wie viel Fantasy steckt in der Realität?

Begonnen von Sorella, 07. Januar 2011, 17:56:10

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Sorella

Gestern bin ich aus einem Urlaub im wunderschönen Barcelona zurückgekehrt. (Nein, das soll kein Angeber-Thread werden)
Barcelona wiederum gehört zu Katalonien. (Nein, es soll auch kein Geografie-Thread werden)

Ich muss euch unbedingt erzählen, wie die Katalonen die Bescherung feiern:

Die Geschenke bringt nicht der Weihnachtsmann oder etwa das Christkind. Die haben doch tatsächlich einen Baumstrunk, dem sie ein Gesicht aufmalen, den ,,Caga tió". Dann setzen sie ihm eine rote Mütze auf und decken ihn jede Nacht zu, damit er es warm hat. Die Kinder füttern ihn die ganze Weihnachtszeit über. Zur Bescherung schlagen sie ihn mit Holzstöcken, bis er die Geschenke ,,von sich gibt". (caga heißt auch soviel wie sch....., habe ich mir sagen lassen).

Ich dachte mir: Geht's noch? Wer läßt sich denn sowas einfallen? (Die Bescherung ist übrigens nicht an Weihnachten, das wäre zu simpel. Die ist an ,,Heilig drei König" und es herrscht Ausnahmezustand in der Stadt.)

Und weiter dachte ich mir: Wir Autoren zermartern uns das Hirn, um abgedrehte, fantastische Zusammenhänge zu erfinden, dabei ist die Realität doch die Größte aller Lehrmeister. Bräuche und Fantasy haben viele Paralellen, finde ich. Was meint ihr?  :hmmm:

Thaliope

Wirf mal einen Blick in die Bibel: Ein schier unerschöpfliches Sammelsurium an fantastischen Geschichten von Ungeheuern zu See und zu Land, von Engeln, Dämonen, Untoten, vergifteten Äpfeln,
(mit dieser etwas saloppen Aufzählung möchte ich keinesfalls gläubige Christen kränken ...)

Also ja, ich stimme dir zu: Die Menschheit brauchte immer schon jede Menge Fantasie/Phantasie/Fantasy, um sich die Dinge zu erklären, die jenseits des sinnlich Erfahrbaren bzw. wisschenschaftlich Erfassbaren liegen/lagen.

Aber dieser Brauch aus Katalonien ist echt abgefahren! *kopfschüttel* Das Geschenkescheißerle, hihi.

Emilia

Wenn man sich die Welt so ansieht, ist es eigentlich erschreckend, wie viel Stoff für eine phantastische Geschichte in ihr steckt. Trotzdem sucht man als Schreiber doch immer wieder in seinem eigenen Kopf nach den phantastischsten, ungewöhnlichsten, schlichtweg magischsten Ideen, statt sich an den Wundern der Welt zu bedienen.

Tut man doch, oder?

Nein, die Realität steck wirklich voller Ideen - und voller Autoren, die sich derer bedienen. Ich glaube nämlich, dass jede Idee einzig und allein auf Erfahrungen beruht.
Nehmen wir dazu mal kleinere Schritte: Selbst, wenn man in seine Geschichte einen Magier einbaut, der Feuerbälle auf Hunde mit goldfarbenem Fell wirft, dann beruht jede einzelne Komponente auf Erfahrungen. Der Autor weiß, was ein Magier ist, kann die Wörter "Feuer" und "Ball" miteinander kombinieren und sich einen Hund vorstellen, der ein goldfarbenes Fell trägt.
Auf der anderen Seite: Versuch dir mal etwas Konkretes unter dem Begriff "Ksjorgi" vorzustellen. Oder beschreib mir mal das Aussehen von Ultraviolett.

Das ganze nun auf Größeres übertragen: Wenn sich ein Autor denkt "Ha, ich bau mal ein Naturkultfest in meine Geschichte ein!", dann beruht auch dieses letztendlich nur auf Erfahrungen, die besagter Autor gemacht hat. Ansonsten könnte er sich nämlich selbst nichts unter den Begriff "Naturkultfest" vorstellen.

Insofern sehe ich ganz klar eine Parallele zwischen "Fantasy" und "realen Bräuchen". Ich würde soger mehr noch sagen, dass Bräuche praktisch ein Nebenfluss des großen Realitätsflusses ist. Und dieser wiederrum ist einer der beiden Flüsse, die das Tal der Fantasy (oder generell der Fiktion) umschließen. Der andere trägt übrigens den Namen Kreativität. ;)

Sorella

Zitat von: Xaverine am 07. Januar 2011, 22:52:37
Insofern sehe ich ganz klar eine Parallele zwischen "Fantasy" und "realen Bräuchen". Ich würde soger mehr noch sagen, dass Bräuche praktisch ein Nebenfluss des großen Realitätsflusses ist. Und dieser wiederrum ist einer der beiden Flüsse, die das Tal der Fantasy (oder generell der Fiktion) umschließen. Der andere trägt übrigens den Namen Kreativität. ;)

Das hast du wunderschön formuliert.  :knuddel:

Cendan

Xaverine du hast völlig recht und den Sachverhalt ganz nebenbei wunderschön beschrieben. Die Realität ist schließlich der einzige Anhalt, wenn es an den fiktiven Weltenbau geht. Das reicht von politischen Strukturen, über Landschaftsbeschreibungen bis hin zu Charakterzügen: In allem wird man die Verwurzelung mit der Realität widerfinden, denn unsere Vorstellung und Fantasy ist im Grunde auch nur eine Weiterstrickung von reellen Dingen.

Würde irgendjemand ein Setting VÖLLIG neu erfinden und damit meine ich die gesamten gesellschaftlichen Strukturen, die Sitten und Traditionen, die Sprache, die Landschaft und alles was dazu gehört, müsste er schließlich irgendwie mehrere Jahrtausende Menschheitsgeschichte nachbauen oder? Abgesehen davon käme uns das Endergebnis sicherlich widersinnig vor.

Gruß, Cendan

Telas

Fantasy ist praktisch ein Nebenprodukt des menschlichen Lebens. Schon seit Äonen versuchen sich die Menschen mit dem Glauben an höhere Mächte zu trösten, versuchen unerklärliches, durch Geister erklärbar zu machen und suchen doch noch nur Antworten auf die Fragen, die sie vielleicht gar nicht verstehen sollen.
Sicher, die Wissenschaft hat viele Mysterien der Vergangenheit erklären können, zum Beispiel dass heilkundige Frauen keine Hexen sind. Aber es gibt noch so viele Dinge, die wir nicht wissen, die wir nicht verstehen und die dem Menschen einen gerade zu mannigfachen Spielraum für seine Phantasie lassen.

Die Fragen, die den Menschen schon so lange beschäftigen, sie können einfach noch nicht beantwortet werden, von keinem Wissenschaftler dieser Welt. Sind wir alleine im Universum? Was kommt nach dem Tod? Was ist der Sinn des Lebens?

Phantasie ist der Weg der Menschen zur Erklärung des Unerklärlichen und das Fantasyschreiben bringt zumindest einen Teil dieser wundervollen Geschichten zu Papier.

Sorella

Ich meine auch, dass denen Menschen, die beim Wort Fantasy die Nase rümpfen, gar nicht bewußt ist, von wie viel Fantasy sie in der Realität umgeben sind.

Kennt jemand die Perchtenläufe in Österreich? Da ziehen bis zu dreissig Gruppen durchs Dorf in kompletter Fantasy-Verkleidung. (Sie fallen auch gerne und oft die Zuschauer an  :happs:) Hexen sind da noch das ,,Gewöhnlichste" am Umzug. Unzählige Zottelviecher mit meterhohen Hörnern werden von massenweisen Touristen bewundert, die in der Buchhandlung um Hexen und Trolle einen  Bogen machen würden.

Ist das nicht irgendwie Doppelmoral?

gbwolf

Zitat von: Sorella am 08. Januar 2011, 10:56:04Ist das nicht irgendwie Doppelmoral?
Absolut! Mir ist das wieder bewusst geworden, als ich gerade Sagen und Legenden für ein Hörbuch bearbeitet habe. Die ganze Phantastik, die nicht in den SF-Bereich geht, fußt auf Sagenwelten. Bei uns sind das natürlich vor allem die nordischen und teilweise keltischen. Tolkien hat da viel aufbereitet und zugänglich gemacht.
Und gerade viele Fastnachtsumzüge sind einfach nur Fantasy pur, da stimme ich dir absolut zu! Im Südwestdeutschen Raum laufen auch die Geister und Hexen durch die Gegend, um mit ihren Ratschen die bösen Geister zu vertreiben und Halloween kennt mittlerweile wirklich jeder.

Schwierig wird es, wenn man sich an Kulturen bedient, die nicht so bekannt sind, wie die eigene oder in den Medien populäre.
Zitat von: Xaverine am 07. Januar 2011, 22:52:37Auf der anderen Seite: Versuch dir mal etwas Konkretes unter dem Begriff "Ksjorgi" vorzustellen. Oder beschreib mir mal das Aussehen von Ultraviolett.
Ich hatte einmal einen Fantasyroman angefangen, der in einer Art Indien angesiedelt ist. Mit dem Begriff "Sari" kann sicher noch jeder etwas anfangen, aber schon wenn ich Teile des Saris (Palluv) beschreibe, andere Kleidungsstücke (Kurta), Handgesten/Mudras beim Tanz, dann steigt der Mitteleuropäer aus, der sich bei Ritterrüstungen, Hexen und Bauchtanz zumindest noch ein ungefähres Bild machen kann. Die selben Schwierigkeiten werden Autoren haben, die japanische Geistervorstellungen, sibirische Schamanen und Andenvölker auftreten lassen oder hierzulande in die Bronzezeit gehen. Vielen Lesern sind die "Elben" und "Zwerge" einfacher zu vermitteln als Bharatanatyam und blauhäutige indische Götter. Das selbe Problem sehe ich auch beim Steampunk, der ein sehr visuelles Genre ist: Er spielt in einer Epoche, die wir kaum als Bild vor Augen haben mit Maschinen, die man im Film toll zeigen, im Buch aber kaum beschreiben kann.

Ich weiß auch gar nicht, ob Autoren sich wirklich immer die Mühe geben, eigene Welten und Bräuche zu erschaffen. Die meisten erfundenen Welten beruhen doch sehr stark auf Parallelen zu irdischen Dingen. Viele Autoren recherchieren auch sehr gründlich, bevor sie ähnliche Sozialsysteme und Religionen verwenden oder orientieren sich bewusst an irdischen Gegebenheiten. Deisen Trend finde ich ziemlich spannend und ich hoffe, es gelingt damit ein wenig, die Fantasyleser für die reale Welt und deren faszinierendes Spektrum zu interessieren und die Leser an die Fantasy heranzuführen, die damit bislang noch nichts anfangen konnten. Wir haben da einen schönen Beispielthread über Engel-Dämonen.

Bei mir ist es übrigens so, dass ich durchaus gerne auf Sagen und weniger bekannte Mythen zurückgreife (Obwohl man das unbekannt bei den Nachtmahren langsam streichen kann), für das große "Finger in die Wunde der Welt legen" aber lieber SF schreibe und dort meine Spielwiese habe. Harte SF und Brauchtum ist übrigens eine Kombi, die selten verwendet wird, fällt mir gerade auf. Entweder ist es dann gleich Planeten-Fantasy oder die Brauchtümer werden in modernen Bladerunner-Cyberpunk-Welten relativ unter den Tisch fallen gelassen, obwohl ein Inder sicherlich auch im Raumschiff einen kleinen Altar stehen hat und der Katholik sich beim Landeanflug bekreuzt, während der Moslem versucht, die Richtung von Mekka zu ermitteln.


Drachenfeder

Zitat von: Sorella am 07. Januar 2011, 17:56:10
Und weiter dachte ich mir: Wir Autoren zermartern uns das Hirn, um abgedrehte, fantastische Zusammenhänge zu erfinden, dabei ist die Realität doch die Größte aller Lehrmeister. Bräuche und Fantasy haben viele Paralellen, finde ich. Was meint ihr?  :hmmm:

Die Realität der größte Lehrmeister? Ja, ab und an denke ich das auch. So habe ich vor 3 Jahren eine Kurzgeschichte über einen Dämon geschrieben: Den Tokolosh
Denn dieser trieb in unserem Büro seit Jahren sein Unwesen. Was manchmal in den Ämter und Betrieben ab geht ist wahre Dark Fantasy  :darth:



Rakso

Eigentlich kann ich nur das wiederholen, was schon bereits gesagt wurde.

Fantasy ist eigentlich die (konsequente) Fortsetzung der meisten literarischen Gattungen, abgesehen vielleicht von historischen Romanen (bei denen wird aber auch manchmal ganz schön was dazugedichtet). Den nicht nur die Handlung und die Personen sind fiktiv, sonder eben auch das Setting usw. Und deshalb kann ich es kaum verstehen, wenn man einem Fantasy-Autor vorwirft kein "richtiger" Autor zu sein.

Mal angenommen, dass Tanach, Bibel, Koran und andere religiöse, mythische Werke wie Edda, Ilias, Odyssee, Gilgameš-Epos und die vielen anderen Lieder, Gedichte, Geschichten und Epen, wenn diese Werke erst heute, oder vor 20 Jahren, veröffentlicht worden wären, würde man sie ja auch ins Fantasy-Genre rechnen und nicht etwa, oder zumindest nicht sofort, zu "Religion" einordnen.
(Falls ich  religiöse Gefühle verletzt haben sollte, so tut mir das aufrichtig Leid. Dies war nicht meine Absicht. Es sollte nur ein Gedankenspiel zum Thema Fantasy-Literatur darstellen.)


Zitat von: Die Wölfin am 08. Januar 2011, 11:16:43
Schwierig wird es, wenn man sich an Kulturen bedient, die nicht so bekannt sind, wie die eigene oder in den Medien populäre.

Aber genau das finde ich persönlich sehr reizvoll. Sich mit anderen Kulturen auseinander zu setzen und auch mal andere Aspekte und Ansichten über Natur, Entstehung der Welt usw. auf sich zukommen zulassen. In meinem Fall sind das momentan polynesische, indianische oder mittelasiatische Mythen und Legenden Natürlich ist das irritierend für Leser die sich mit dem Thema nicht so auskennen. Im schlimmsten Fall kann man ja noch ein Glossar anlegen  ;D

gbwolf

Zitat von: Szajkó am 08. Januar 2011, 17:16:46Natürlich ist das irritierend für Leser die sich mit dem Thema nicht so auskennen. Im schlimmsten Fall kann man ja noch ein Glossar anlegen  ;D
Das Hauptproblem ist nicht, etwas auszuprobieren. Das finde ich ebenfalls sehr reizvoll. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Text gedruckt wird, ist sehr gering. Leser blättern nicht ständig im Glossar und einige Dinge kann man auch nicht im Glossar erklären, das habe ich in indischen Romanen festgestellt. Da gibt es Alltagsrituale, Phrasen, usw., die man einfach kennen muss, für die man sich mit der Kultur beschäftigt haben muss.
Ein Grund, weshalb ich immer noch zögere, an River of Gods weiterzulesen. Ich habe zu vielen Ereignissen und Ritualen einfach nicht den Zugang, weil ich mich erst noch viel mehr mit der Kultur auseinandersetzen muss.

Sorry für OT.

Telas

#11
Ich mache mir schon ein wenig Sorgen, dass die Fantasy allmählich aus dem Alltag der Menschen weicht. Ich weiß nicht, ob ich der einzige bin, dem es  so geht. Aber im Grunde sind all die schönen, traditionellen Mythen von früher entweder vom Aussterben bedroht, oder sie werden für andere Zwecke missbraucht. Grade bei uns im Süden gibt es das Beispiel der schwäbisch-allemannischen Fastnacht, oder auch "Fasnet".
Zunften ziehen mit Holzmasken bei Umzügen durch die Straßen, werfen den Kindern Süßigkeiten zu und verschrecken zum Spaß die Leute mit den dämonischen Fratzen in den Gesichtern. Kurzum, ein schönes und spaßiges Erlebnis, für Jung und Alt. Ich glaube der ursprüngliche Gedanke dahinter war es, den Winter mit den dämonischen Masken zu vertreiben.
Im Laufe der Jahre wurde aber ein Problem immer schlimmer und die Bräuche geraten bei den Jugendlichen in Vergessenheit. Es geht nur noch um den Alkohol und kaum ein Ball kann ohne eine saftige Schlägerei ablaufen. Ich finde es einfach nur schade und geh deshalb auch nicht mehr hin. Dasselbe auf den Umzügen, manche der Teilnehmer "schwanken" zum Ende hin nur noch. Ich meine, klar sollte man seinen Spaß haben, aber hier wird doch über die Stränge geschlagen.

In unserer Region gibt es so viele, schöne alte Feste, mit geheimnisvollen Traditionen dahinter, aber wenn alles nur noch im Alkohol ertränkt wird, möchte ich nicht mehr unbedingt dabei sein.

Satoshi


ZitatDas ganze nun auf Größeres übertragen: Wenn sich ein Autor denkt "Ha, ich bau mal ein Naturkultfest in meine Geschichte ein!", dann beruht auch dieses letztendlich nur auf Erfahrungen, die besagter Autor gemacht hat. Ansonsten könnte er sich nämlich selbst nichts unter den Begriff "Naturkultfest" vorstellen.

Das habe ich mir auch schon mal gedacht! Es ist unheimlich schwierig für einen menschlichen Geist sich WIRKLICH neue Dinge auszudenken. Das meiste sin Neuzusammensetzungen aus Dingen die man irgendwann erlebt hat.

@Cendan: es gibt einen Autor der sowas schon gemacht hat. In seinen Silmarillion hat Tolkien ein paar tausend Jahre Geschichte dokumentiert, von der Schaffung der Welt bis zum Zeitalter der Menschen( auch wenn die Valar, die Götter seiner Welt ein bischen den germanischen ähneln, womit wir schon wieder etwas zum Thema man kann schwer neues erfinden  hätten ;) )

ZitatVielen Lesern sind die "Elben" und "Zwerge" einfacher zu vermitteln als Bharatanatyam und blauhäutige indische Götter]

Da hast du Leider recht, die Geschöpfe, die am häufigsten vorkommen sind wirklich Zwerge Elben oder Orcs. Ich freu mich immer wenn ich mal was anderes in die Finger kriege^^

@Telas: Ja stimmt . Unsere Traditionen sterben aus :(

RubinaGela

Zitat von: Cendan am 07. Januar 2011, 23:35:10

Würde irgendjemand ein Setting VÖLLIG neu erfinden und damit meine ich die gesamten gesellschaftlichen Strukturen, die Sitten und Traditionen, die Sprache, die Landschaft und alles was dazu gehört, müsste er schließlich irgendwie mehrere Jahrtausende Menschheitsgeschichte nachbauen oder? Abgesehen davon käme uns das Endergebnis sicherlich widersinnig vor.

Vor allem würde es uns kalt und seelenlos vorkommen, denn es fehlte die gelebte Erfahrung. Ist es nicht so, daß der Mensch mit seiner Phantasie die Sehnsüchte der Seele erfüllt? Und die Seele ständig auf der Suche ist, wobei sie sich wahnsinnig gern erinnert? Dazu sind Sagen, Bräuche, Mythen und Märchen - sogar Religionen - da. Und die Seele erinnert sich. Spürt die Wahrheit in den Geschichten, meint beinahe, selbst dabei gewesen zu sein.

Wenn ein Autor mit seiner Phantasie aus diesem Pool schöpft und ihn verändert, wie es in seine Story paßt, meint sich der Leser dennoch zu erinnern. Etwas kommt ihm bekannt vor, und es hat den Anschein, als wäre seine Seele schon seit Äonen unterwegs - da sie sich ja erinnert. Für mich ist es das große unbewußte Wissen der Menscheit, ja vielleicht des gesamten Lebens (und wer kann schon mit Sicherheit sagen, wo es herkommt oder wo es schon gewesen ist? Wer kennt den Ursprung der Vorstellung überhaupt? Da tappen nicht nur Wissenschaftler im dunkeln...)

Als Fantasy-Autor werden wir unsere Fühler ausstrecken nach solchen Seelen-Erfahrungen. Immer auf der Pirsch - ob draußen in der Welt, in der Vergangenheit oder ganz einfach in unserem Kopf. Unsere Sinne dafür werden geschärft, da wir unermüdlich auf der Suche nach allem sind, was der Geist in uns hergeben kann. Und ich fürchte, das ist noch jede Menge.  :engel:  :darth:  :bittebittebitte: