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Der personale Erzähler in Ortsbeschreibungen

Begonnen von Churke, 12. Februar 2009, 21:35:10

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Churke

Das Problem: Ich erzähle personal und möchte einen Ort beschreiben. Aber nun ist es ja so, dass die Figur über den Ort, den sie zum ersten Mal sieht, fast nichts weiß und das ist eine denkbar schlechte Ausgangslage, um eine gute Beschreibung abzuliefern.

Deshalb bin ich dazu übergegangen, den Protagonisten vollständige Informationen über Orte zu geben, die er eigentlich nicht haben kann. Beispiel:
"Alle Steuern flossen nach Rom. Wie das Frischwasser, das auf acht Bogenaquädukten und durch elf unterirdische Leitungen in die Stadt strömte, Getreidemühlen antrieb, Brunnen, Thermen, Paläste und die Wohnhäuser der Wohlhabenden versorgte."

Eigentlich kann der Protagonist das nicht wissen. Er wird zum allwissenden Erzähler. Ich finde das gut, aber ich frage mich, ob das nicht von einem *oberpästlichen* Leser angestrichen wird. Wie seht ihr das? Wie handhabt ihr das?

Lavendel

Eine Frage vorweg: Wieso genau findest du das gut? Weil du dann schön leicht mehr Infos einbauen kannst? (hrhr, du weißt doch, der leichte Weg führt immer in die Hölle :darth:)

Ich finde, es gibt dafür elegantere Lösungen. Sicher kannst du das machen, wenn du unbedingt willst. Ich würde es lassen und den Leser/innen solche Infos, so sie wirklich wichtig sind, eher mit der Figur zusammen erfahren lassen. In Dialoge oder besondere Ereignisse verpackt zum Beispiel.

Churke

In diesem Fall vielleicht, weil ich ein Statistik-Fan bin. Aber es war ja auch nur ein Beispiel, um die Zahlen geht es mir überhaupt nicht.
Nehmen wir mal Karlsruhe: Die Stadt hat den Grundriss eines Fächers, der auf das Schloss ausgerichtet ist. Aber wenn der Erzähler am Hauptbahnhof aussteigt, sieht und weiß er es nicht. Ist es wirklich im Interesse des Lesers, im diese Information vorzuenthalten? Das kann ihm jetzt zufällig der Nebenmann in der Bahn erzählen, aber das finde ich als Grundmuster eher dämlich.

Ich gebe dem Protgonisten in diesem Augenblick ein Allwissen, weil ich denke, dass es dem natürlichen Erzählen entspricht. Angenommen, ich war zum ersten Mal in Frankfurt und werde gefragt, wie die Stadt so ist. Dann fange ich auch auch nicht dem Bahnhofsvorplatz an, sondern erzähle was über Banken und Hochhäuser und wie viele Einwohner die Stadt hat usw..

Ary

*nick* Da kann ich mich Lavendel nur anschließen - alles andere wirkt wie Infodump. Ich schreibe so gut wie nur in der personalen Perspektive und ich lasse den Leser mit der Figur lernen. Und wenn Du einen Ort genau beschreiben willst, den Dein personaler Erzähle nicht kennt, aber vor sich sieht, dann ist das doch eine perfekte Ausgangslage, Leser und Protagonist zusammen den neuen Ort erleben zu lassen. So nach dem Motto:
"Ihm gingen die Augen über. Was es hier alles gab! Diese Aqädukte, phantastisch, so etwas hatte er noch nie gesehen. Wie ie sich majestätisch über ihm wölbten und das wasser zu dem Mühlen trugen..." Blahfaselblubber. So in der Art. Das war jetzt nicht brilliant - nur ein Beispiel, wie ich es versuchen würde.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Antigone

Vom Schreibtechnischen her würd ich mich den anderen anschließen. Wenn du sonst in der personellen perspektive schreibst, würd ich die beibehalten und die Infos zwischendurch einfließen lassen.

ABER: wenn ich mir so die Realität anschaue bzw. die Bücher, die ich derzeit lese, dann sind all diese Regeln zur Perspektive total wurscht. Da wird munter hin und her gewechselt, zwischen personell und auktorial und den einzelnen Personen, dass es eine wahre Unfreude ist.

Da frag ich mich immer wieder: wieso mache ich mir (oder warum machen wir uns) überhaupt jemals Gedanken darüber? (tschuldige, bin grad ein wenig gefrustet deswegen).

Also, zurück zum Thema: ich sehe in einem solchen Perspektivenwechsel kein großes Problem. Viele andere machen es und es funktioniert auch.

lg, A.

Coppelia

Man kann dazu wohl nichts sagen als dass es eigentlich egal ist.

Ich würde es nicht so machen, weil ich normalerweise keine Perspektivenwechsel innerhalb einer Szene mache, auch nicht zur "Erzählinstanz". Aber letzten Endes muss wohl jeder selbst zusehen, wie er das hält.

Mir kommt es vor, als würde die Szene Potential verlieren: Wenn jemand an einen Ort kommt, an dem er noch nie war, interessiert sich der Leser vielleicht mehr für die neuen Eindrücke, wenn er sie durch die Augen der Figur vermittelt bekommt. Kann natürlich auch sein, dass sich die Figur für nüscht interessiert und die ganze fremde Stadt kategorisch doof findet. ;)

Ich wollte irgendwann mal ne Liste aufstellen, wie man Infos vermitteln kann, ohne aus der Perspektive zu fallen, aber es klappt dann eben doch nie so recht bzw. wird nicht elegant, auch wenn man das Aus-der-Perspektive-Fallen vermeidet. Da muss ich vielleicht noch üben. Allerdings können auch echte Profis das oft nicht.

Lavendel

Zu deinem Beispiel vom fächerförmigen Aufbau von Karlsruhe fallen mir jetzt auf Anhieb zwei Lösungen ein, die mich mehr überzeugen würden. Deine Figur könnt einen Einheimischen treffen, oder jemanden, der schon mal in Karlsruhe war, je nach dem. Diese Person könnte ihm dann beiläufig davon erzählen, wie die Stadt aufgebaut ist, und warum. (Vielleicht hat dein/e Prota sich verlaufen, fragt jemandem nach dem Weg und bekommt die Antwort: In Karlsruhe ist das alles ganz einfach ...)
Die zweit Möglichkeit ist, deine Figur am Bahnhof einen Reiseführer kaufen zu lassen. Das ist zum Beispiel sinnvoll, wenn der Wissensdurst eine beschreibende Charaktereigenschaft ist.
Auf eines solltest du aber immer aufpassen: Nicht jede Information muss für den Verlauf der deiner Handlung unbedingt eine Bedeutung haben, ABER lange Passagen, in denen die Handlung nicht vorangeht, sind totlangweilig. Das gilt sowohl für Berichte ind Figurenperspektive, als auch für Dialoge.

Joscha

Ich sehe darin eigentlich kein großes Problem - solange es bei einigen kurzen Sätzen bleibt und sich nicht über Absätze hinzieht. Beschreibungen aus Sicht des Protagonisten können auch spannend sein, wenn sie sich länger hinziehen, da man allein aus ihrer Art schon sehr viel darüber erfährt, wie der Charakter zum beschreibenden Ort/Gegenstand/Person steht. Beim auktorialen Erzähler hat man so etwas nicht, deshalb wirklich: Nicht viele und nur interessante Informationen, dann ist das meiner Meinung nach nicht schlimm, auch wenn es nicht unbedingt der beste Stil ist. Als Leser bemerkt man meist gar nicht, dass diese Informationen aus dem Overhead kommen und solange sich das flüssig liest, ist es in Butter. (Im Gegensatz zu den klassischen Karl-May-Landschaftsbeschreibungen, die ich nach zwei, drei Absätzen meist gelangweilt überspringe und mir einige Seiten weiter vornehme, wo die Handlung schließlich weitergeht.)

Lomax

#8
Zitat von: Churke am 12. Februar 2009, 21:35:10ich frage mich, ob das nicht von einem *oberpästlichen* Leser angestrichen wird. Wie seht ihr das?
Ich würd mal sagen, auf den "oberpäpstlichen" Leser Rücksicht nehmen, führt in die Hölle ;) Die Leser, die im Zweifel das Geld in die Kassen bringen, kümmern sich nicht um Perspektive. Sie kümmern sich um Wirkung. Die "Literaturpäpste" übrigens auch. Wenn ihnen das Buch gefallen hat, verzeihen sie jeden formalen Mangel; wenn nicht, suchen und finden sie welche ;)

Es gibt also keinen Grund, es nicht so zu machen, wie du es machst. Du solltest dich allerdings von dem Gedanken verabschieden, dass du den "personalen Erzähler mehr wissen lässt", oder wie du dir den Exkurs sonst "schönreden" willst. De facto verlässt du die Perspektive und vor allem die Szene. Und nimmst den Leser mit. Dabei geht Authentizität verloren, die Stimmung des Augenblicks. Die Möglichkeit, den Leser die Stadt mitsamt deiner Figur entdecken zu lassen.
  Unter Umständen gewinnst du damit auch etwas. Ein Gesamtstimmungsbild vielleicht. Oder die Möglichkeit, Infos zu bringen, die du bringen musst, ohne dass sie dir später im Weg sind - denn das kann bei den geschilderten Alternativen wie "Dialogen" allzu leicht passieren: Dass Infodump, den man in drei Sätzen bringen kann, sich auf drei Seiten verteilt und wie ein Schrotgeschoss nicht nur an einer Stelle die Authentizität raubt, sondern gleich in mehreren Szenen dramatisches Potenzial "verwortwurschtelt".

Ich würd also sagen, du musst einfach die Entscheidung treffen, auf welchem Weg du insgesamt mehr rüberbringen kannst. Ob die Infos wirklich wichtig sind, oder zumindest stimmungsvoll - denn die meisten Leser interessieren sich leider auch nicht für Statistik ;D Ob sich ein Leser mehr für einen Überblick interessieren würde als für die wirren Eindrücke deiner Figur. Das kommt immer drauf an. Ich habe beide Arten des Erzählens schon sehr einnehmend und auch sehr abschreckend umgesetzt gesehen.
  Aber es sollte keine Entscheidung sein, ob "man" irgendwelche formalen Konstgriffe machen "kann" oder nicht. Sondern einfach eine Entscheidung darüber, welche Art des Erzählens mehr rüberbringt und langfristig deine Erzählung prägnanter gestaltet.

Churke

Das ist sehr treffend analysiert, Lomax. Mir ist ein rascher, objektiver Überblick wichtiger als das Entdecken. Gut, dann muss ich das nur noch zum Funktionieren bringen.  :hmmm:

ZitatMir kommt es vor, als würde die Szene Potential verlieren: Wenn jemand an einen Ort kommt, an dem er noch nie war, interessiert sich der Leser vielleicht mehr für die neuen Eindrücke, wenn er sie durch die Augen der Figur vermittelt bekommt.

Potential verlieren? Vielleicht. Das muss man als Autor eben im Hinterkopf behalten und sich entscheiden, was einem wichtig ist.

Judith

Zitat von: Coppelia am 13. Februar 2009, 00:36:27
Ich wollte irgendwann mal ne Liste aufstellen, wie man Infos vermitteln kann, ohne aus der Perspektive zu fallen, aber es klappt dann eben doch nie so recht bzw. wird nicht elegant, auch wenn man das Aus-der-Perspektive-Fallen vermeidet. Da muss ich vielleicht noch üben. Allerdings können auch echte Profis das oft nicht.
Sie können es nicht? Also ich weiß nicht recht. Das würde voraussetzen, dass jeder auf Teufel komm raus streng personal schreiben will. Vielleicht will das aber gar nicht jeder? Ich denke, dass es genügend Autoren gibt, die nicht nur die auktoriale Perspektive ganz bewusst wählen, sondern die auch bewusst auktoriale Einschübe verwenden.
Ich z.B. mag das beim Lesen sehr gern. Wechsel innerhalb der Personen sind nicht immer meine Sache, aber kurze Passagen von einem "allwissenden" Erzähler mag ich in den meisten Fällen.
Ich mach das selbst auch beim Schreiben - nicht, weil es mir passiert, sondern weil ich das gern mache. Leider kommt das ja anscheinend bei Lesern (oder nur bei Lesern, die selbst auch schreiben?) nicht so gut an.

Ich persönlich finde die genannte Passage sehr gut, Churke, auch, weil sie einfach Atmosphäre rein bringt und kurz und knapp viel Informationen über die Umgebung bringt. Wenn man es hingegen so beschreibt wie von Aryana vorgeschlagen (und wie es auch Schreibratgeber sehr energisch fordern), dann erfährt man eigentlich weniger über die Stadt als über den, der sie erlebt. Was natürlich auch wunderbar ist, aber es kommt halt drauf an, worauf man den Fokus legen will.
Und wenn dir der Überblick wichtiger ist als das Entdecken, dann macht es einfach nicht sehr viel Sinn, dass du dich stur in die personale Perspektive zwängst.