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"Running Hooks"?

Begonnen von Anj, 09. August 2014, 14:05:46

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Anj

Hallo liebe TiZis,

ich bin ja jemand, der überwiegend mit einem Perspektivträger schreibt und liest. Dementsprechend habe ich recht wenig Erfahrung mit den Alternativen. Allerdings habe ich ein Projekt, in dem es doch mehrere Perspektivträger gibt.

Beim Betalesen eines Projektes kam mir dann der Gedanke, dass man ja im Grunde bei mehreren Perspektivträgern immer wieder vor der Aufgabe steht, den Leser neu zu "hooken".
Macht ihr das bewusst? Gibt es "running Hooks" im Sinne von bestimmten Eigenheiten, die den Leser an eine Perspektive binden? Passiert das automatisch? Und was sind das für unterschiedliche "Haken"?

Im angesprochenen Projekt ist mir aufgefallen, dass ich mich immer besonders auf die Interaktionen zweier Figuren gefreut habe, während eine andere mir immer recht viel Infos zugespielt hat. Ich meine damit jetzt weniger die einfachen Unterschiede, die aus den verschiedenen Charakteren resultieren, sondern eben Elemente, die ganz bewusst eine Sogwirkung auf den Leser haben sollen.

Bei meiner Suche hier und auf einigen Schreibseiten hab ich nix dazu gefunden, aber vielleicht kenne ich auch einfach nur den richtigen Begriff nicht?

Neugierige Grüße,
Ani
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

HauntingWitch

Ich arbeite viel mit mehreren Perspektivträgern. Selbstverständlich versuche ich, jedem etwas Eigenes zu geben, das ihn von den anderen abhebt. Oft lässt sich das schon mit der Sprache machen, der Arbeiter-Typ bevorzugt einen anderen Wortschatz als das Society-Girl. Wenn sie bestimmte typische Macken haben (es können auch typische Bewegungen oder gerne verwendete Worte sein), fliessen diese natürlich auch mit ein und wenn es innere Konflikte, Hintergründe usw. gibt, die mehr Spannung erzeugen, versuche ich auch diese durchblitzen zu lassen.

Aber so richtig bewusst "Hooks" (toller Ausdruck übrigens) setzen tue ich eigentlich nicht, ich wüsste auch gar nicht, wie. Das passiert bei mir alles sehr intuitiv, Voraussetzung ist eigentlich nur, dass ich den Charakter gut kenne und mich wirklich in ihn hinein denke, bevor ich seinen Part anfange.

Arcor

Das hat jetzt zwar nichts mit den verschiedenen Protagonisten und ihren Perspektiven und Eigenheiten zu tun, aber eine gute Methode, um den Leser an mehrere Perspektivträger gleichermaßen zu binden, ist die Arbeit mit Cliffhangern.

Mir fiel das eine zeitlang sehr leicht, entsprechende Szenen und Kapitel mit Situationen oder Dialogzeilen enden zu lassen, die auf das Kommende hinweisen. Wenn danach ein Perspektivwechsel folgt, bleibt der Leser gespannt, wie es weitergeht (zumindest, wenn ihn die Geschichte interessiert). Kehrst du dann später zu diesem Perspektivträger zurück, steigst du mit der Auflösung des Cliffhangers ein. In diesem Fall wäre dein "Hook" also die Story selber oder zumindest einzelne Bausteine von ihr, die du auflöst.

Allerdings ist natürlich eine Methode, die man nicht wirklich den ganzen Roman über durchhalten kann - finde ich zumindest -, sonst dürfte es sich schnell abstumpfen.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Siara

Zugegebener Maßen bin ich beim Lesen vor allem eines: Gewohnheitstier.

Wenn mehrere Perspektivträger auftauchen, muss brauche ich lange, um mich nicht mit jedem neuen Kapitel wieder an diesen oder jenen gewöhnen zu müssen. Daher finde ich kleine Eigenheiten und ebenso verschiedene Erzählstimmen wirklich schön, um sich früher in einem Charakter "zu Hause" zu fühlen.

Das können für mich wirklich winzige Kleinigkeiten sein - das Lieblingsgetränk, eine Floskel, ein Gegenstand, der immer dabei ist. Aber gerade dieses Persönliche, das das Gefühl vermittelt, man hätte Einblick in die kleine Welt des Charakters, bindet mehr als die großen Auffälligkeiten wie eine große Klappe oder eine politische Einstellung, finde ich.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Churke

Zitat von: Anjana am 09. August 2014, 14:05:46
Ich meine damit jetzt weniger die einfachen Unterschiede, die aus den verschiedenen Charakteren resultieren, sondern eben Elemente, die ganz bewusst eine Sogwirkung auf den Leser haben sollen.

Also ich verstehe jetzt nicht ganz, was du meinst.

Beispiel: Pontius Pilatus trifft Jesus. Aufgabe: Beschreiben Sie die Begegnung aus beiden Perspektiven!
Wenn man nicht ganz unfähig ist, werden dabei zwei völlig unterschiedliche Geschichten herauskommen. Es sollte auch klar sein, dass Pilatus in der Szene gänzlich andere Sorgen hat als Jesus. Die Arbeit des Autors besteht jetzt darin, sich darüber warme Gedanken zu machen und das griffig herauszuarbeiten.

Wenn du eine gute Geschichte hast, sollte sich die Sogwirkung automatisch einstellen. Hast du keine Sogwirkung, ist die Geschichte wahrscheinlich nicht gut und ich würde zum Plotten zurückkehren.

Noch ein Wort zu den Charakteren: Die Art und Weise, wie eine Figur die Welt sieht, kann allein bereits fesselnd sein. 08/15-Figuren sind langweilig. Ein Pilatus, der einen Bibelfilm vertextet, ist öde. Aber ein Pilatus als Zyniker, das ist interessant. Wenn er nicht bereits in der Bibel stünde, müsste man ihn dafür erfinden, denn die Rolle des zynischen Beobachters ist für den Erlöser out of reach.

Anj

Hallo zusammen  :winke:

Vielen Dank für eure Antworten.  :pompom:

ZitatIch arbeite viel mit mehreren Perspektivträgern. Selbstverständlich versuche ich, jedem etwas Eigenes zu geben, das ihn von den anderen abhebt. Oft lässt sich das schon mit der Sprache machen, der Arbeiter-Typ bevorzugt einen anderen Wortschatz als das Society-Girl. Wenn sie bestimmte typische Macken haben (es können auch typische Bewegungen oder gerne verwendete Worte sein),
Ja, das sind eben die Dinge, die ich nicht automatisch als Hook bezeichnen würde. (Auch wenn sie natürlich welche sein können) Vielleicht bin ich da auch sehr extrem, wenn ich in einem Buch mit einem zweiten Perspektivträger konfrontiert werde, ist das für mich zu 95% ein Grund das Buch in die Ecke zu pfeffern^^ Und selbst wenn ich das nicht tue, schaffe ich es selten, es bis zum Ende zu lesen, weil ich mich bei jedem Wechsel tierisch ägere. Bei dem Manuskript, das ich betalese, geht es mir das erste Mal anders, weil ich 2 Perspektiven habe, die so einen Hook haben. Die anderen beiden Perspektiven finde ich persönlich allerdings bisher mehr als überflüssig und würde sie am liebsten immer überspringen :versteck:
Zitatinnere Konflikte, Hintergründe usw. gibt, die mehr Spannung erzeugen, versuche ich auch diese durchblitzen zu lassen.
Das ist schon eher etwas, was ich meine. Vielleicht das auch so eine Art red hering für eine Perspektive, die ich meine.

ZitatAber so richtig bewusst "Hooks" (toller Ausdruck übrigens) setzen tue ich eigentlich nicht, ich wüsste auch gar nicht, wie. Das passiert bei mir alles sehr intuitiv, Voraussetzung ist eigentlich nur, dass ich den Charakter gut kenne und mich wirklich in ihn hinein denke, bevor ich seinen Part anfange.
Nach dem ich die Antworten gelesen habe, denke ich, ich bin da vielleicht wirklich etwas speziell, weil mir die klassischen Dinge nicht reichen.^^

ZitatDas hat jetzt zwar nichts mit den verschiedenen Protagonisten und ihren Perspektiven und Eigenheiten zu tun, aber eine gute Methode, um den Leser an mehrere Perspektivträger gleichermaßen zu binden, ist die Arbeit mit Cliffhangern.
Ja, klar ist das eine Möglichkeit. Da hat du recht. Allerdings funktioniert das nur punktuell, wie du ja auch schon geschrieben hast. Mir ging es wirklich vor allem um Dinge, die sich durch die ganze Geschichte ziehen und immer wieder aufgegriffen werden. Vielleicht ist das aber auch wirklich wieder etwas, bei dem ich sehr speziell bin und mir unnötige Gedanken mache. Die (für mich) einzigen guten Cliffhanger, die ich je gelesen habe, waren übrigens die von Dan Brown. Die haben für mich tatsächlich gut funktioniert. Aber vielleicht auch deswegen, weil ich im Grunde trotzdem nur eine Geschichte lese, die mit kurzen Einblendungen gespickt ist und nicht zwei oder mehr parallel laufende Storys.

ZitatDas können für mich wirklich winzige Kleinigkeiten sein - das Lieblingsgetränk, eine Floskel, ein Gegenstand, der immer dabei ist. Aber gerade dieses Persönliche, das das Gefühl vermittelt, man hätte Einblick in die kleine Welt des Charakters, bindet mehr als die großen Auffälligkeiten wie eine große Klappe oder eine politische Einstellung, finde ich.
Das stimmt, das müssen nicht immer große Dinge sein. Es muss mich halt nur fesseln.


ZitatBeispiel: Pontius Pilatus trifft Jesus. Aufgabe: Beschreiben Sie die Begegnung aus beiden Perspektiven!
Wenn man nicht ganz unfähig ist, werden dabei zwei völlig unterschiedliche Geschichten herauskommen. Es sollte auch klar sein, dass Pilatus in der Szene gänzlich andere Sorgen hat als Jesus. Die Arbeit des Autors besteht jetzt darin, sich darüber warme Gedanken zu machen und das griffig herauszuarbeiten.
Natürlich ist das klar. Aber dadurch ist noch nicht gewährleistet, dass mich auch beide Sichten interessieren, wenn ich sie lesen muss.

ZitatWenn du eine gute Geschichte hast, sollte sich die Sogwirkung automatisch einstellen. Hast du keine Sogwirkung, ist die Geschichte wahrscheinlich nicht gut und ich würde zum Plotten zurückkehren.
Da funktionieren wir unterschiedlich. Nichts zerschießt mir einen Sog so effektiv wie ein Perspektivwechsel. Da kann die Geschichte noch so gut sein. Weswegen mein Projekt auch im Grunde eher eine Episodensammlung ist, wobei die in sich abgeschlossenen Episoden jeweils einen Perspektivträger hat.

ZitatNoch ein Wort zu den Charakteren: Die Art und Weise, wie eine Figur die Welt sieht, kann allein bereits fesselnd sein.
Klar kann sie. Dem widerspreche ich ja auch gar nicht. Aber trotzdem entscheide ich doch als Autor wie ich das umsetze. Worauf ich den Fokus lege usw.

Zitat08/15-Figuren sind langweilig. Ein Pilatus, der einen Bibelfilm vertextet, ist öde. Aber ein Pilatus als Zyniker, das ist interessant. Wenn er nicht bereits in der Bibel stünde, müsste man ihn dafür erfinden, denn die Rolle des zynischen Beobachters ist für den Erlöser out of reach.
Genau, der Zynismus wäre damit für mich so eine Art Hook. Wenn es mir gefällt, natürlich nur^^
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Klecks

Ich kannte den Begriff Hooks vorher nicht als Stilmittel, aber ich nutze sie intuitiv und automatisch, wie mir aufgefallen ist.  :hmmm:  Das heißt: Wenn ich überhaupt einmal die Gelegenheit habe, einen Haken zu benutzen, der den Leser sozusagen festhält bzw. gespannt zum jeweiligen Perspektivträger zurückbringt, denn ich habe nur in den wenigsten Projekten mehrere Perspektivträger und kann Hooks deshalb nicht immer nutzen. Meistens könnte die Geschichte aus Sicht einer Figur erzählt werden, aber wenn ich tiefere Einblicke ermöglichen will, dann nehme ich noch eine hinzu, die a) mehr Spannung einbringt, b) die actiongeladene Handlung etwas ruhiger macht oder c) ich dem Leser Informationen geben muss, die durch die anderen Perspektivträger nicht gegeben werden könnten.

Cliffhanger mitten im Text, also das offene "Ende" eines Textabschnitts des Perspektivträgers, nutze ich an solchen Stellen nicht ganz so häufig, Hooks jedoch ausnahmslos immer - ganz unbewusst, wie gesagt, und so, dass es nicht als Stilmittel auffällt, sondern ganz gewöhnlich wirkt. Hooks sind in meinen Geschichte kleine Details, die neugierig machen auf den nächsten Textabschnitt des Perspektivträgers, die den Leser dazu bringen, darauf hinzufiebern, dass es mit dem anderen weitergeht, und dadurch, dass man diese Hooks unauffällig setzt, wird der Leser bestenfalls das ganze Buch über allen Perspektivträgern und dem Wissen, das sie ihnen durch ihre Sicht auf die Welt geben können, entgegen fiebern.  :jau:

Nikki

#7
Liebe @Anjana, wie schaut es mit deinem damaligen Projekt aus? Konntest du dich mit unterschiedlichen Perspektiven warmschreiben?

Dein Thread hat mich automatisch an das Buch In seinen Händen von Harlan Coben denken lassen. Das Buch ist voller unterschiedlicher Perspektiven, die immer an so einer Stelle (ich will jetzt nicht unbedingt Cliffhanger sagen) enden, dass ich das Buch nicht guten Gewissens weglegen konnte, ohne weiterzulesen, um herauszufinden, wie es in diesem speziellen Handlungsstrang weitergeht. Was dieses Buch sehr gut gemacht hat, war, dass an jeder einzelnen Perspektive ein eigener Handlungsstrang hing. Es war bekannt, was die einzelne Figur zu verlieren, was sie zu gewinnen und was sie zu tun hatte, um das zu erreichen.

Wenn du Leser*innen an Perspektiven binden willst, dann müssen sich diese durch etwas auszeichnen, was die anderen Perspektiven nicht haben. Etwas, das man vermissen und auf das man sich freuen kann, dass es wiederkommt.  Zwei Perspektiven, die beide daran interessiert sind, ein Königreich zu stürzen, sind langweilig. Eine Perspektive, die dem*r Thronfolger*in gehört und ein schweres Erbe antreten muss, und eine, die darauf zuarbeitet, die Monarchie zu stürzen, sind viel interessanter. Indem sie gegeneinander arbeiten, bleibt immer die andere Perspektive, die gerade nicht erzählt, im Hinterkopf und man fragt sich: Oha, wie würde XY jetzt reagieren, wenn sie wüsste, was AB ausheckt? und vice versa.

Es geht also einerseits darum, eine distinktive, verlässliche Perspektive zu schaffen, damit die Leser*innen wissen, woran sie sind, andererseits aber auch darum, die unterschiedlichen Perspektiven so miteinander zu verzahnen, dass die Leser*innen die momentan nicht erzählenden Perspektive in Bezug auf die gerade erzählende weiterspinnen können, um sie zum Weiterlesen zu bewegen, damit sie ihre Mutmaßungen bestätigt oder widerlegt finden.

Nikki

#8
Kommentieren mit Editieren verwechselt.  :(