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Die Epoche eines Fantasy-Romans

Begonnen von Tasso, 22. Dezember 2011, 21:34:06

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Lomax

Ich weiß ja, dass die moderne Anthropologie durchdrungen ist von dem Bestreben, die "Gleichwertigkeit" aller Kulturen herauszustreichen. Das ist sicher auch ein Reflex auf die "imperialistische" Kulturbetrachtung aus kolonialen Zeiten, die überall die europäische Überlegenheit sehen wollte.
  Allerdings denke ich nicht mehr, dass die Forschung heute noch diesen imperialistischen Touch hat - im Gegenteil denke ich, dass das Pendel inzwischen zu weit in die andere Richtung geschwungen ist, dass man überall diese imperialistische Vergangenheit sieht, sich davon abgrenzen will, und darum auch ein wenig vorschnell dabei ist, alles gleichzureden und sich darum scheut, auch mal reale Unterschiede zwischen den Kulturen und klare Konsequenzen gewisser kultureller Besonderheiten auszusprechen.
  Mir persönlich ist es im Grunde so was von egal, ob etwas "besser" oder "weiter entwickelt ist", oder "ob erst mal die Europäer kommen mussten, damit sich was tut" - ich sehe mich da als durch und durch postmodernen Menschen ohne Standpunkt, der sich nur noch für Abhängigkeiten, Kausalitäten und Regelkreise interessiert, der der Ansicht ist, dass es kein besser oder schlechter gibt, sehr wohl aber ein "besser oder schlechter für" - und dem es darum im Grunde auch herzlich egal ist, ob er einer "Kultur" damit auf die Füße tritt, wenn er seziert, wie sie funktioniert und was dann eben auch mal nicht so gut funktioniert hat. ;)
  Denn wenn man darauf verzichtet, dann verzichtet man halt auch darauf, zu verstehen, wie Dinge funktionieren oder eben auch mal nicht, und man verzichtet auf die Möglichkeit, aus entsprechenden historischen Beispielen etwas zu lernen.
Zitat von: Lavendel am 28. Dezember 2011, 19:15:04Ich finde es ein bisschen vermessen zu sagen, da hätten erst die Europäer kommen müssen, damit sich was tut.
... und darum will ich dann doch herausstellen, dass ich dass nicht sagen wollte, sondern einfach nur auf handfeste historische Fakten verweisen wollte, die man auch recht leicht im Einzelfall belegen kann. Und wenn Geschichte eines sehr selten ist, dann zufällig - da gibt es selten eine Entwicklung, die aus dem Nichts auftaucht.
  Im Falle Chinas ist es sicher nicht so, dass man da keine Veränderung beobachten kann. Jede Gesellschaft verändert sich, und je genauer man hinschaut, umso mehr gesellschaftliche Strömungen wird man auch finden, umso mehr Einzelereignisse, die Veränderungen in manchen Bereichen in Gang setzten.
  All das kann aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass China gerade in der Zeit, die in Europa den Aufbruch in die Moderne markiert, eher das gegenteilige Ideal pflegte. Es ist durchaus kein Zufall, dass China, als die Europäer kamen, eben nicht als die Großmacht dastanden, die sie damals schon waren und hätten sein können, sondern eher als Opfer erscheint - denn all die Entwicklungsansätze, die letztendlich zur europäischen Dominanz führten, hatte China auch gehabt, und zwar früher, hat sich allerdings bewusst entschieden, sie zu unterdrücken statt zu fördern. Es gab eine Gesetzgebung, die technischen Fortschritt behindert hat, und es wurde aktiv versucht, Veränderungen zu unterdrücken.
  Das China nicht statisch war, liegt in der Natur der Sache. Dass es das gerne sein wollte und durch Gesetzgebung und Bildungssystem versucht hat, es zu sein, war hingegen ein Faktor, der sich durchaus auswirkte und maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der Kontakt mit den Europäern so verlief, wie er nun mal verlaufen ist.

Das hat jetzt auch wenig mit der Frage zu tun, ob "Fortschritt" oder ein "eurozentischer Blick" richtig ist. Nicht mal mit der Frage, ob Europa da besser war als China. Wie oben gesagt, es gibt nur ein "besser für ...", und wenn man auch feststellen kann, dass China den möglichen technischen Fortschritt gehemmt hat und dass das später sehr schlecht war für die Auseinandersetzung mit den europäischen Großmächten, so mag es andererseits sein, dass das durchaus auch Gründe und auf anderem Gebiet Vorteile hatte bzw. nicht der einzige Faktor war, der zu Chinas Problemen im im 18. und 19. Jahrhundert beitrug.
  Ähnliche Beispiele hat man ja auch innereuropäisch. Das Deutsche Reich hat sich ja mit dem Beginn der Neuzeit auch von all seinen Nachbarn ordentlich fledern lassen, war machtpolitisch abgewirtschaftet und damit zunächst von der europäischen Expansion ausgeschlossen. Und als rückständig galt es auch, vermutlich zu Recht. All das hatte Folgen, die bis in die neueste Geschichte fortdauerten.
  Aber in anderer Hinsicht war das alte Reich durchaus zukunftsweisend, und all das, was eine Staatlichkeit behinderte, hat auf anderem Gebiet durchaus dazu beigetragen, dass Deutschland für viele in vielen Gegenden ein angenehmerer Ort war zum Leben, als man das in anderen Staaten hatte. Deutschland hat sehr früh eine funktionierende Rechtstaatlichkeit entwickelt, mit ein Faktor, der dazu führte, dass Revolutionen hier keinen großen Anklang fanden. Und darum wäre es natürlich falsch, das deutsche Reich nur danach zu beurteilen, dass es in Kleinstaaterei verhaftet blieb und seinen Großmachtstatus nicht halten konnte ... Ähnlich wie beim Beispiel China. Es gibt einzelne Facetten, Tendenzen und Entwicklungen, die man auch durchaus benennen kann, aber das enthält keine Beurteilung und vor allem ist es nicht das einzige, was zählt und was man betrachten kann.

Mit Epochen ist es im übrigen ähnlich. Ich würde auch davor warnen, angesichts der unterschiedlichen Möglichkeiten der Epochisierung zu einem Egalismus zu finden und der Ansicht zu sein, "Epochen gäbe es eh nicht". Man kann Epochen, je nach Blickwinkel, unterschiedlich setzen - aber wie auch immer man sie einteilt, sie sind nicht willkürlich, sondern orientieren sich immer an wahrhaft epochalen Umschwüngen auf zumindest einem Gebiet, die dann auch durchaus real vorhanden und tatsächlich von Epochaler Bedeutung sind, und auf auch epochale Veränderungen auf einem anderen Gebiet anstoßen.
  Wenn man sich also darüber streitet, wo die Grenze von Mittelalter zur Neuzeit liegt, dann heißt das nicht, dass es da eine Grenze gibt. Und das Ereignis, dass eine Grenze markiert, ist oft nicht der Konkurrent einer späteren Grenzziehung, sondern bereits der Auslöser des zweiten epochalen Umschwungs, den dann ein anderer Forscher für den bedeutsameren hält.
   Es lohnt sich immer, von verschiedenen Standpunkten zu schauen. Aber die Unterschiede sollten einen nicht dazu verleiten, dass das, was man von einem Standpunkt aus sieht, gar nicht so wichtig ist. Man entdeckt nur unterschiedliche wichtige Dinge, wenn man von unterschiedlichen Richtungen schaut, und die relativieren sich keineswegs immer gegenseitig.

Karlmann

@Szajkó: Es ging ja in der Aussage von Churke um staatliche und soziale Statik, dem ich wiedersprochen habe, insofern sind wir d'accord. Das die Römer auch der Spätantike sich für Nachfahren von Romulus und Remus hielten, ja selbst die Byzantiner des 15. Jh., obwohl sie selbst kein Latein mehr sprachen sich als Römer bezeichneten, ist unbestritten. In gewisser Weise endete das Römische Reich erst 1806 als Kaiser Franz II. die Reichskrone niederlegte und das Heilige Römische Reich für aufgelöst erklärte. (Ja, ja, oder erst 1917 mit der Erschiessung des letzten russischen Zaren, iss gut!)

@Kati: In der Tat ist die Sache mit der Begründung sehr wichtig. Ich würde eine unerklärte "Einführung" des Korsetts ins Mittelalter auch als störend und Lesefreude störend empfinden. Solche Dinge ärgern mich noch Seiten später genauso wie Vampire, die durchs Sonnenlicht tänzeln. Vampire zerfallen in Sonnenlicht zu Staub. (Punktum) Sonst nenne sie anders!

Womit ich zum eigentlichen Thema des Threads zurückkehren möchte. Wichtiger als in welcher Epoche mein Roman spielt, ist doch, dass ich den Leser in seiner Erwartungshaltung nicht enttäusche. Mit dem Satz, mit dem ich eine Figur als Ritter (oder als Samurai) einführe, klappt bei meinem Leser ein ganzes Spectrum an Assoziationen auf. Das macht mir als Autor, die Sache leichter, weil es mir eine ganze Menge Erklär- und Motivationsarbeit abnimmt. Aber ab diesem Satz bin ich dann auch an diese Assoziationen gebunden, es sei den - siehe den Eintrag von Kati - ich erkläre die Abweichungen.

Mein Roman spielt in einem spätstaufischen Mittelalter (merkt ihr wie eure Assoziationen sich entfalten) allerdings mit einer heidnisch-germanischen Glaubenswelt gekreuzt. Dies hat tiefgreifende Folgen: Nicht die geringste ist die der Ärmellänge und Ausschnittgröße von Damenkleidern, was auf der einen Seite zentral mittelalterlich ist, andererseits überaus christlich motiviert ...  8)       

Lomax

In die römische Diskussion will ich jetzt nicht einsteigen, weil man da wirklich sehr detailliert streiten kann. Vor allem, weil ich persönlich den römischen Konservatismus tatsächlich eher für einen romantischen als einen praktisch relevanten Zug halte und es darum etwas unglücklich finde, wenn dieses Beispiel neben den fortschrittsfeindlichen Epochen Chinas und Japans eingeordnet wird.
  Um den entscheidenden Unterschied auf den Punkt zu bringen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass der ideologische Konservatismus die Römer je dazu gebracht hätte, eine neue tolle Kriegswaffe, eine neue Anbautechnik oder irgendeine andere Neuerung, mit der man Geld verdienen kann, abzulehnen, wenn jemand damit ankommt. Dazu waren die nämlich viel zu praktisch veranlagt ;D
  In China und Japan ist das zu den angegebenen Zeiten hingegen durchaus so passiert.
Zitat von: Karlmann am 28. Dezember 2011, 21:01:09Mein Roman spielt in einem spätstaufischen Mittelalter
btw., hatte ich schon erwähnt, dass ich die Staufer für die Totengräber der deutschen Gesamtstaatlichkeit halte. ;D
  So ein Setting würde mich in einem Buch also allein schon darum abschrecken, weil ich mich ohne Ende darüber ärgern könnte, an das Thema erinnert zu werden. Und zwar weniger wegen der Staufer, als vielmehr über die Tatsache, dass ausgerechnet die Staufer und Barbarossa von der nationalistisch bewegten Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts quasi zu tragischen Helden verklärt wurden. Ein ähnlicher Fall wie bei Scott, der ja auch mehr oder minder durch eigene Dummheit seine Südpoltour vermasselt und seine Leute umgebracht hat, und dafür dann später als tragischer Held im Kampf gegen die Elemente und ein unabwendbares Schicksal gefeiert worden ist.
  So was macht mich immer total rasend, Legendenbildung unter totaler Umkehrung der Fakten und Verhältnisse, nur weil man halt gerne irgendwo große Lichtgestalten sehen will. :brüll:

Man merke sich also als Autor: Historische Settings bei Romanen können sehr leicht persönliche Empfindlichkeiten von Lesern berühren und damit die Verkaufschancen empfindlich beeinflussen  :snicker:. Was dann vermutlich sehr für ein neutrales, idealisiertes und gänzlich realitätsfreies Standard-Mittelalter-Fantasysetting spricht. Womöglich ist dieses Setting gerade deswegen so erfolgreich?