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Multiperspektive?

Begonnen von Halblingschruut, 08. März 2020, 10:38:46

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Wintersturm

Ich habe mich irgendwie in der Multiperspektive festgefahren. Ich kann gefühlt gar nicht aus einer einzigen Sicht erzählen, einfach, weil es dann so einseitig ist. Man sieht eben nur, was dieser eine Charakter sieht und fühlt. Das macht es natürlich leicht, die Bösen als die Bösen darzustellen, nimmt der Geschichte meiner Meinung nach aber die Tiefe. Bei anderen Charakteren im Kopf zu sitzen ist oft recht erfrischend, man bekommt deren Sicht der Dinge zu sehen und vor allem sitzt man nicht im Kopf des einen Charakters, von dem man gerade nicht zeigen will, was bei ihm im Kopf vorgeht. Vor allem aber macht die Multiperspektive es wunderbar möglich, die Gegenseite zu "entdämonisieren" und die eigentliche "Prota-Seite" zu dämonisieren. Ich habe da ein Beispiel aus meiner eigenen Reihe: Zwei Fürstentümer liegen im Streit miteinander und das zieht sich schon seit Generationen hin. Jetzt bricht der Krieg aus, Fürstentum A macht Fürstentum B platt und verleibt sich das Gebiet und die Einwohner ein. Während der Auseinandersetzung sind wie üblich einige Menschen gestorben und bei den Kriegsverbrechen haben beide Seiten auch nicht unbedingt gespart, auch wenn B da etwas mehr Mist gebaut hat. Sieht man nun alles aus der Sicht von A, ist B das ultimative Böse, dass die eigenen Leute, auch Zivilisten, ermordet, die Frauen schändet und - gegen jedes Gesetz - Kinder ermordet, um das eigene Volk auszurotten. Sieht man nun aus der Sicht von B, dann ist A das ultimative Böse, weil der Herrscher von A vor Ewigkeiten mal das halbe Land unter seiner Fuchtel hatte und auch nicht gerade zimperlich darin war, diesen Machtanspruch durchzusetzen. Schaut man dann aber zu Bürger XY von Fürstentum B, der nur gehört hat, dass A der Feind ist, dann in den Kampf zieht, weil A ja praktisch den Krieg erklärt hat (von B´s Provokation weiß XY ja nix) und seine Heimat verteidigen will, dann sieht man A ganz eindeutig als das Böse. Und so bekommt man eben sehr unterschiedliche Sichtweisen auf eine Sache. Umgekehrt kann man Dinge auch bestärken. Das hat dann zwar die Gefahr, dass es langweilig wird, aber: Z sieht zu, wie Prota A und B zusammen Schlittschuh laufen und findet, die gäben ein wunderbares Paar ab. Dann sieht man die ganze Sache in den Erinnerungen von A und sieht, dass A die Schlittschuhlauferei auch total toll fand und B sehr gern hat. Und man sieht B´s Sicht, dass A total toll ist und man selbst völlig verknallt. Ja, und wenn man dann beiden die Beziehung durch äußere Einflüsse versaut...
Worauf ich hinaus will, ist, dass andere Standpunkte einen anderen Blickwinkel auf die Geschehnisse geben und so durchaus zur Vielschichtigkeit der Geschichte beitragen können. Darüber hinaus bieten mehr Perspektivträger auch mehr Anschluss an das soziale System und die Zusammenhänge der Welt, verzahnen den Leser so mehr mit der erfundenen Gesellschaft und bieten viel Platz für Nebengeschichten und Ansatzpunkte zur Charakterentwicklung in einer Reihe.
Bei einem Einzelband hingegen ist das sicher schwierig, weil man ja besser nicht mit einer Viertelmillion-Wörter-Geschichte bei einem Verlag aufkreuzen sollte, aber mehr Perspektivträger eben sehr viel Platz brauchen und das Buch ewig lang wird.

Biene

Es war interessant, das Für und Wider zur Multiperspektive zu lesen. Ich persönlich nutze die Multiperspektive in Romanen ausschließlich.  (Kurzgeschichten gehen teilweise aus nur einer Perspektive.) Früher habe ich den allwissenden Erzähler genutzt, bin auch wild in den Köpfen hin- und hergesprungen. Ich finde auch, das diese Erzählmethode die einfachste ist. Irgendwann stand in einer Rezension einmal, dass es stört, dazu habe ich in einem Schreibkurs erfahren, dass der allwissende Erzähler nicht mehr ganz en vogue ist und der Lesergeschmack sich zu wenigen bis zu einer Perspektive hin entwickelt. "Gut", dachte ich mir, "versuch ich es mal." Es war schon eine Herausforderung, die einzelnen Perspektiven sauber zu halten, dass ich nur erzählt habe, was der Charakter weiß und es so darzustellen, dass der Leser auch wusste, in welchem Kopf er sich befindet. Es ist auf jeden Fall hilfreich, bei Perspektivwechsel eine Leerzeile zu lassen oder es gar nur kapitelweise zu tun.
In einem Roman würde ich mit nur einer Perspektive gar nicht auskommen, da ich immer Nebenstränge drin habe. Dazu liebe ich es, Schlüsselereignisse aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. (Ich lese das auch gern.) Man kann wunderbar Spannung erzeugen, wenn die Charaktere aneinander vorbeidenken, sich missverstehen, es nicht merken und nur der Leser weiß, dass es gleich knallt und hofft, dass es nicht so kommt, weil der Sympathieträger einen drauf bekommen würde.
Tu erst das Notwendige, dann das Mögliche, und plötzlich schaffst du das Unmögliche. (Franz von Assisi)

Mari

Also, wenn ich das so lese, fällt mir wieder ein, was ich an manchen Fantasy-Büchern so anstrengend finde...

Ich mag es, wenn ich einen Charakter vor mir habe, mit dem ich so richtig auf Tuchfühlung gehe. Dann muss es aber auch ein guter und wirklich vielschichtiger Charakter sein, der innerhalb der Story eine ordentliche und glaubhafte Entwicklung durchmacht. Das Drumherum ist irgendwie nur Beiwerk, weil seitenweise Monologe halt auch anstrengend sind :D

Am schlimmsten aufgefallen ist es mir in einem Fantasy-Buch, da ist man für eine Seite in den Kopf irgendeines Soldaten gesprungen, der danach nie wieder aufgetaucht ist, nur um den Auftritt des Bösewichts vor seinem Heer von "außen" schildern zu können. War nicht mein Geschmack, irgendwann später habe ich die Reihe sogar abgebrochen, weil mir von den vielen Figuren schwindelig wurde.

Wenn man sowas macht, ist es ja schon fast wieder ein allwissender Erzähler  :hmmm: ein Körper mit vielen Ecken ist schließlich auch schon fast wieder ein Kreis :D

Yamuri

Das Problem bei wenigen Perspektiven ist manchmal, dass man sich Gründe ausdenken muss, weshalb ein Charakter an einem Ort ist, an dem er unter normalen Umständen schlicht nicht sein würde. Die Alternative wäre dann mehr Perspektiven oder eine dritte Person über das Ereignis berichten lassen. Ich habe in meiner Science-Fantasy Reihe ein Ereignis, das gezeigt werden soll. Unter normalen Umständen würde ein erfahrener General aber nicht ein paar junge Männer einfach mal eben auf eine durchaus risikoreiche Mission mitnehmen. Der General hat aber keine Perspektive, das Ereignis ist aber wichtig. Ich habe mir dann einen Grund ausgedacht, warum er sich überreden lässt, die Drei mitzunehmen, mit dem Hintergedanken ihnen eine Lehre zu erteilen, weil sie nicht auf ihn hören wollen und unbedingt dabei sein, obwohl er eigentlich dagegen ist und sie mitzunehmen ein Sicherheitsrisiko birgt. Die Mission ist natürlich aus der Perspektive von einem der Drei spannender, gerade weil sie keine große Erfahrung haben, aber hätte ich nicht vorher klare Perspektiventrennung betrieben, hätte ich rein gefühlsmäßig gesagt, dass es logischer gewesen wäre hier die Perspektive zu wechseln, anstatt mir einen Grund zu basteln, warum unerfahrene junge Männer auf diese Mission mitgenommen werden.Es ist also auf jeden Fall eine Gradwanderung, wenn man einen komplexen Weltenbau hat und globalere Probleme,die eigentlich mehr Perspektiven erfordern würden, um dem Ganzen wirklich gerecht zu werden. In einem anderen Projekt habe ich viele Perspektiven, wechsle aber nie innerhalb eines Kapitels. Grundsätzlich fällt es mir aber auch leichter mehr Perspektiven zu haben, als Wenige. Und früher habe ich auch innerhalb eines Kapitels, während einer Szene gern gewechselt. Es interessanterweise nie jemanden gestört (allerdings waren diese Geschichten damals Fanfictions und da sind Leser:innen vielleicht auch weniger anspruchsvoll).
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Windsucher

Ich bin kein so großer Fan von mehreren Perspektiven. Ich mag es, wenn ich einer Figur folge und dann auch nur das Wissen dieser Figur habe. Gerade im Bereich von Fantasy, Science Fiction und Horror mag ich das Geheimnisvolle, das dadurch erzeugt wird. Dazu kommt noch, dass ich es als Leser manchmal schwierig finde, mich daran zu erinnern, was genau welche Figur weiß.
Ich bin aber sicherlich auch etwas voreingenommen, da ich vor allem Hörbücher höre. Wenn ich nach einer Pause wieder einsteige, weiß ich oft gar nicht mehr, bei wessen Perspektive ich bin. Der große Nachteil, dass man nicht einfach mal blättern kann.

Frostschimmer

Das kann man schon machen, allerdings gibt es da - meiner Meinung nach - ein paar Regeln, die man beachten sollte. Man muss sich dabei immer merken, welcher Charakter gerade welche Informationen besitzt, und darf nichts durcheinanderbringen. Steht dann aber ein Informationsaustausch an, kann es passieren, dass man bestimmte Aspekte wiederholen muss, das kann dann schnell langatmig werden.
Es kommt wohl auch darauf an, ob man mehrere Perspektiven wirklich braucht, das ist von Geschichte zu Geschichte sehr verschieden, denke ich.

Goldrabe

Ich fand es auch interessant, das Für und Wider zur Multiperspektive zu lesen.

ZitatDas Problem bei wenigen Perspektiven ist manchmal, dass man sich Gründe ausdenken muss, weshalb ein Charakter an einem Ort ist, an dem er unter normalen Umständen schlicht nicht sein würde.
Dieses Problem kenne ich nur zu gut. Mir hat das gezeigt, wie wichtig das Plotten und Ausarbeiten der Szenen im Vorfeld für mich ist. Nicht nur für die Dramaturgie sondern auch in Bezug auf die Wahl der Perspektiven.

ZitatIch bin verwirrt. Mehrere Perspektiven in einem Buch ist ja überhaupt kein Thema und unter Multiperspektivität hätte ich mit der Definition verstanden, dass ein und der gleiche Sachverhalt in diesen dargestellt wird. Beispiel: Person A erschießt Person B. C und D beobachten das und aus beiden Sichten wir das dann erzählt.
So habe ich die Multiperspektive auch verstanden. Die Sicht von mehreren Personen auf ein und dasselbe Ereignis.
Ich finde, der Vorteil dabei ist, dass die Figuren so sehr gut kontrastiert werden können. Im direkten Vergleich kann ich ihre Charakterzüge gut zeichnen und voneinander abgrenzen. Oder ihre unterschiedlichen Werte, Moralvorstellungen und Weltbilder gut vermitteln.

Ich mag so eine Multiperspektive aber trotzdem nicht so gerne. Weder als Leser noch als Schreibender. Auf der Handlungs-/Aktionsebene passiert nichts oder nur wenig, wenn die Figuren nacheinander dasselbe Ereignis beobachten. Die Geschichte schreitet mir dann zu schleichend voran.

Ansonsten finde ich, dass die Multiperspektive oder allgemein viele Perspektiven auch sprachliche, sti­lis­tisch Möglichkeiten bieten. Mit dem Wechsel der Perspektive kann sich ja auch die Erzählstimme, also der Ton des Textes, ändern. Das könnte für Abwechslung sorgen, vielleicht.