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[Körper/Gesundheit] langfristige Unterernährung, Folgen und Erholung

Begonnen von Christopher, 02. Mai 2017, 16:19:44

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Christopher

So, ich hab auch ein kleines Problemchen, das durch Internetrecherche nicht wirklich gelöst werden konnte.

Und zwar soll/wird eine meiner Protas über einen längeren Zeitraum in Gefangenschaft gezielt unter Nahrungsentzug gesetzt, um Widerstand sowie Fluchtgefahr zu unterbinden. Ihre Gesundheit wird dabei durchaus bedacht, es gibt ausgewogene Ernährung, stets in dem Maße, dass ihr Leben nicht in Gefahr ist, jedoch deutlich zu wenig mit dem Ziel der Entkräftung. Der Ausgangszustand ist der eines erwachsenen mit guter bis sehr guter Kondition.

Über die Folgen kann man im Internet so einiges finden, Mangel an geistiger und Körperlicher Leistungsfähigkeit, Apathie, psychosen, sonstige Formen von psychischen Störungen usw. alles soweit so gut und durchaus erwünscht. Worüber man nur sehr wenig erfährt sind die Erholungszeiträume sowie Langzeitfolgen.

Also konkret die Fragen:

Wie lange dauert es, bis sich der Körper vollständig oder zumindest teilweise von den Folgen von monate-/jahrelanger gezielter Unterernährung erholt hat?
In welchen Stadien läuft die Erholung ab?
Welche Langzeitschäden sind zu erwarten? Oder überhaupt welche?
Was sollte man unbedingt tun um die Erholung zu verbessern und was sollte man unbedingt vermeiden?

Vielleicht hat hier ja jemand Erfahrungen und/oder Wissen während eines Medizinstudiums o.ä. zu dem Thema aufgeschnappt und mag sie hier mit mir teilen :)
Be brave, dont tryhard.

K a t e

Hm... also mit einem Medizinstudium kann ich dir nicht weiterhelfen, aber ich kenne mich mit Unterernährung aus (am eigenen Leib zu spüren bekommen) und kann dir zumindest bei der Regeneration ein bisschen weiterhelfen, jedoch beruht das auf meine Erfahrungen und Erlebnisse und ich weiß nicht, ob das auf jeden zutrifft.

Kurz zur Ausgangssituation: ich war etwas über ein Jahr stark unterernährt. Von dem Gewichtsverlust mal ganz zu schweigen, war mein Zustand danach wie du es schon beschrieben hast: ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, habe sehr unruhig geschlafen, kleinste körperliche Anstrengungen wie Gehen haben mich schon nach kurzer Zeit ermüdet und mein Magen war so klein geworden, dass ich nach einer Semmel schon so satt war wie andere nach einer Wagenradpizza. Und ich habe sehr, sehr schlecht und unruhig geschlafen.

Bei mir hat es jetzt knapp zwei bis drei Jahre gedauert, bis ich sagen konnte "Okay, jetzt funktioniert mein Körper wieder normal". Dabei spreche ich vor allem von meinem Stoffwechsel, meinem Hungergefühl und meiner körperlichen Leistungsfähigkeit.
Am anfang habe ich wieder sehr große Mengen gegessen, allerdings konnte mein Magen das Essen teilweise nicht verdauen, da er es nicht mehr gewohnt war. Von sehr fettigem Essen ist mir schlecht geworden, schwer verdauliche Sachen wurden so gut wie gar nicht verdaut und meine Verdauung war an einem furchtbaren Tiefpunkt angekommen. Ich will jetzt hier nicht unbedingt auf meinen Stuhlgang eingehen, aber sagen wir's mal so, ich bin vielleicht ein bis maximal zweimal die Woche für große Mädchen gewesen.
Deswegen erster Rat: nicht sofort alles in sich hineinschaufeln, sondern langsam wieder mehrere Mengen essen, damit der Darm und Magen sich wieder an die Mengen gewöhnen kann und nichts "verstopft".

Wenn man plötzlich wieder anfängt mehr zu essen, dann habe ich das damals in Energieschüben bemerkt. Kurzzeitig habe ich vor Kraft gestrotzt, ich war wach und sehr aufmerksam, allerdings hielt das nie lange an und dieser Zustand war schnell wieder weg. Medizinisch kann ich das nicht erklären, vielleicht lag es auch daran, dass die Energie dann dazu genutzt wurde, zu verdauen und zu genesen.

Mit der Bewegung bzw. dem Sport muss man auch langsam wieder anfangen. Ich hab's in der ersten Zeit völlig übertrieben und mich ständig verletzt. Muskelzerrungen, Verstauchungen, Schwindel und Übelkeit waren da oft die Folgen... meist musste ich mich dann gleich wieder hinlegen.

Was mir auch noch aufgefallen ist, war mein Gedächtnis: ich konnte mir anfangs furchtbar schwer Sachen merken und das Auswendig lernen für die Schule war sehr, sehr schwierig. Inzwischen ist das besser geworden, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass mein Hirn immer noch nicht so leistungsfähig ist wie früher, aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich älter geworden bin. :d'oh:

Zu dem Thema Langzeitschäden... mein Magen ist immer noch ziemlich "kaputt". Ich muss oft aufpassen, was ich esse, von fettigen Sachen bekomme ich immer noch Bauchschmerzen, wenn es zu viel wird, und seit dieser Zeit bekomme ich sehr leicht Sodbrennen bei ungewohnten oder nicht ganz so gesunden Lebensmitteln.

Okay, das ist alles, was mir gerade so auf die Schnelle eingefallen ist. Hoffe ich konnte dir damit ein wenig weiterhelfen.  ;D



Churke

Zitat von: K a t e am 04. Mai 2017, 14:09:39
Am anfang habe ich wieder sehr große Mengen gegessen, allerdings konnte mein Magen das Essen teilweise nicht verdauen, da er es nicht mehr gewohnt war.

Meine Großmutter hat mal ein Glas Marmelade gegen einen Schinken getauscht. Die Besitzer des Schinkens konnten ihn nicht essen, weil sie so unterernährt waren.

Von Langzeitschäden wusste sie aber nichts zu berichten.

Angela

Dder Mann meiner Tante ist auf dem Weg nach Hause an den Spätfolgen des Hungerns in Gefangenschaft gestorben. Er konnte nichts mehr in sich behalten und die waren damals sicher nicht in der Lage, solchen armen Menschen zu helfen.

Christopher

Hm. Danke schon mal Kate! Das ist sehr hilfreich zu wissen, dass die Folgen sehr lange anhalten können. 2-3 Jahre ist zwar deutlich zu viel für meinen geplanten Plot, aber es müsste ja evtl. nicht ganz so drastisch sein, zusätzlich kann ich mich noch auf einen nichtmenschlichen Anteil in ihrem Blut berufen, der bei der Erholung ein wenig unterstützt.

Über weitere Informationen wäre ich aber durchaus glücklich, es muss ja nicht sein, dass es bei jedem gleich verläuft. Ein etwas differenzierteres Bild kann nicht schaden denke ich.

@Angela
Ich vermute, er war gezwungen, das Lager zu verlassen und sich irgendwie nach Hause zu begeben? Also anstatt "nur" in Gefangenschaft zu sein, kam noch körperliche Anstrengung hinzu, die der Körper nicht mehr bewältigen konnte, weil die Energiezufuhr eben gar nicht mehr so viel leisten konnte?
Be brave, dont tryhard.

der Rabe

Hallo Christopher,

ich hab leider zum Glück keine eigenen Erfahrungen mit extremer Unterernährung. Mir kam nur der Gedanke, dass es bestimmt Institutionen gibt, in denen Magersüchtigen geholfen wird, wieder auf ein normales Gewicht zu kommen. Dort könnte man vermutlich mal anfragen, ob jemand mit Informationen weiterhelfen kann.
Bist du erst unten im Tal angekommen, geht es nur noch bergauf. (C) :rabe:

Schneerabe

Hallo Christopher,
ich könnte hier mal meine eigenen zusammengeschusterten Rechercheergebnisse zum Thema in die Runde werfen. Soweit ich weiß halten die Langzeitfolgen von (extremer) Unterernährung im schlimmsten Fall 'für immer' an. Osteoporose kann sich beispielsweise bilden, man kann Herzrythmusstörungen bekommen, solche Dinge gehen dann eher gar nicht mehr weg...
So wie ich dass verstanden habe, ist deine Figur weiblich? Bei Unterernährung bleibt irgendwann auch die Periode aus oder wird unregelmäßig und was Langzeitfolgen angeht, kann es passieren, dass die Frau für immer unfruchtbar bleibt... Dass kam mir gerade zu potentiell irrevesiblen Langzeitschäden in den Sinn und ich glaube diese Art von Langzeitfolgen können auch entstehen, ohne dass das Leben einer Person im Augenblick akut in Gefahr ist... Meiner Meinung nach ist es also durchaus möglich ist, dass sich der Körper von sowas nie wieder 100%tig erholt, aber dass kommt natürlich auf die Schwere und Dauer der Unterernährung an. Das klingt jetzt alles sehr schwarzmalerisch und wäre wohl auch ein worst-case-szenario.
Ich hoffe, das hilft dir irgendwie weiter.  ;D
"To hell or to Connacht."

Sternsaphir

Das klingt gar nicht schwarzmalerisch, Schneerabe.
Ich stimme Dir zu und Osteoporose, Herz-Kreislaufschäden sowie Unfruchtbarkeit fallen mir auch als Langzeitschäden ein, die im schlimmsten Fall nie mehr weggehen.

Eine magersüchtige (ehemalige) Bekannte von mir brach sich mal einen Knochen. Der Bruch verheilte nie richtig.

chaosqueen

Mir fällt noch Vitaminmangel ein, der ebenfalls irreversible Schäden zur Folge haben kann. Ganz fies ist Vitamin B12, da ein Mangel extrem unterschiedliche Symptome verursachen kann, die oft anderen Krankheiten zugeordnet werden. Geht der Mangel so weit, dass Nervenschäden auftreten, sind diese oft nicht oder nicht vollständig reversibel.

Guckst Du hier.

Was bei Mangelernährung und Unterernährung gerne auftritt: Einerseits Haarausfall, andererseits eine Zunahme der Körperbehaarung, was besonders bei Frauen stark auffällt. Dies ist meines Wissens eine Körperreaktion auf die ständige Untertemperatur des Körpers, der mangels Energiezufuhr nicht mehr in der Lage ist, seine Kerntemperatur aufrecht zu erhalten.

Ich hatte eine Freundin in der Schule, die stark magersüchtig war. Auch ein Jahr nach der "Genesung" war sie psychisch noch sehr labil und schnell aus dem Konzept zu bringen. eine andere Freundin hatte dauerhaft ihren Appetit verloren und musste lernen, regelmäßig zu essen, um nicht rückfällig zu werden. Ich weiß nicht, ob dies bei von außen herbeigeführter Unterernährung ebenfalls der Fall ist, aber ich kann mir vorstellen, dass der Appetit weit zurückgeht, wenn das Nahrungsangebot über einen langen Zeitraum knapp ist.
Man kennt das ja auch selber (ich zumindest): Man hat Hunger, aber gerade keine Zeit oder anderweitig keine Möglichkeit zu essen, und ein paar Stunden später ist der Hunger weg.

Die durch die Mangelernährung hervorgerufene Osteoporose kann auch Jahre später noch "Ermüdungsbrüche" hervorrufen, bei denen Knochen bei normaler Belastung plötzlich zusammenbrechen (keine Ahnung, ob es da eine Vorschädigung gab, aber vor kurzem gab es in meinem Umfeld einen Fall, wo jemand beim Volleyball sich beim Absprung (!) beide Oberschenkel gebrochen hat).

Ilva

Vielleicht hilft dir das als Suchbegriff weiter: Langfristige Unterversorgung führt zu Protein-Energie-Mangelsyndrom. Eine Form davon ist Marasmus, ein typisch ausgezehrter Körper. Die From mit Hungerbauch oder sonstigen Ödemen nennt man Kwashiorkor.
Da Kinder und alte Leute von PEM am meisten betroffen sind, gibt es darüber auch mehr Material. Wenn du englisch verstehst, würde ich auch nach symptoms and therapy marasmus adults suchen. Auch so wirst du aber vor allem Sachen über Kinder finden.

Eine Idee wäre es vielleicht, nach Biographien von politischen Gefangenen zu suchen. Aushungern war früher an vielen Orten der Welt beliebt, aber einige traten auch "freiwillig" in Hungerstreik. Die sollten auch etwa in deinem gesuchten Alter sein.

All die Vitamin- und Mineralmängel, die Chaos schon angesprochen hat, können natürlich auch auftreten. Wer weiss, wie abwechslungsreich deine Gefangene gefüttert wurde. Skorbut (Vitamin C) oder "weiche Knochen" (Vitamin D) zum Beispiel können auch langfristig Schäden verursachen.

Sternsaphir

@ chaosqueen:

Oder anders herum kann die betroffene Person ihr Hungergefühl nicht mehr kontrollieren.
Ich habe mir einige Erfahrungsberichte von ehemals Magersüchtigen durchgelesen und darin schilderten die Leute, dass sie normal aßen, aber der Körper kein Sättigungsgefühl erzeugte, so dass sie immer mehr aßen.
Nun hängt das wahrscheinlich auch mit der Art und Dauer der Unterernährung zusammen, denn Berichte darüber, dass Hungernde keinen Appetit und keine richtige Verdauung entwickelten, gibt es ja auch.
Im Fall des übermäßigen Essens als Folge von Hungern ist das wohl ein Mechanismus des Körpers Schuld, der seinem Besitzer nicht mehr traut, ihm regelmäßig Kalorien zuzuführen.

Christopher

Danke euch für eure Mühen!

Nun habe ich definitiv einen reichen Fundus aus dem ich schöpfen kann. Das hilft sowohl für Inspiration der Problemchen die dann so auftreten und bekämpft werden dürfen, also auch eben für Fehler/richtige Bekämpfung, wie ich es gerade brauche ;D
Be brave, dont tryhard.

chaosqueen

Zitat von: Sternsaphir am 11. Mai 2017, 18:22:15
@ chaosqueen:

Oder anders herum kann die betroffene Person ihr Hungergefühl nicht mehr kontrollieren.
Ich habe mir einige Erfahrungsberichte von ehemals Magersüchtigen durchgelesen und darin schilderten die Leute, dass sie normal aßen, aber der Körper kein Sättigungsgefühl erzeugte, so dass sie immer mehr aßen.
Nun hängt das wahrscheinlich auch mit der Art und Dauer der Unterernährung zusammen, denn Berichte darüber, dass Hungernde keinen Appetit und keine richtige Verdauung entwickelten, gibt es ja auch.
Im Fall des übermäßigen Essens als Folge von Hungern ist das wohl ein Mechanismus des Körpers Schuld, der seinem Besitzer nicht mehr traut, ihm regelmäßig Kalorien zuzuführen.

Stimmt, die Fälle gibt es auch, auch da hatte ich ein Mädel im Umfeld, die plötzlich mal eben fünf Franzbrötchen verputzen konnte, nachdem sie ihre Magersucht überwunden (oder leider in eine andere Essstörung überführt) hatte.

Da der Körper kein eigenständig denkendes Wesen ist, habe ich immer Probleme mit Sätzen, die besagen, der Körper "denkt", er bekäme nicht genug oder er "traue" seinem "Besitzer" nicht mehr.

Tatsächlich ist es so, dass unser Gehirn darauf ausgelegt ist, permanent nach den besten Futterquellen zu suchen (wobei unbewusst eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt wird, woher wir die meisten Kalorien beim geringsten Aufwand bekommen). Gab es lange nichts, dauert es deutlich länger, bis die Priorität sich von "hochkalorische Nahrungsaufnahme" wieder anderen dringenden Aufgaben zuwendet. Sprich: Es kann dazu kommen, dass man kein Sättigungsgefühl mehr hat und immer weiter isst.

Ich lese gerade ein spannendes Buch dazu und kann mal schauen, ob man sich die "Schaltzentrale", die den Appetit regelt, durchs Hungern kaputtmachen kann. Das wäre ja auch nicht ganz unwichtig für die aktuelle Frage.

Cailyn

Es kommt ja sehr auf die betroffene Person an, ob kräftige Person (viel Muskelmasse) oder eher jemand , der schon vor der Hungerphase eher schmächtig war. Ob diese Person die Jahre zuvor andere gesundheitliche Probleme hatte oder nie was Nennenswertes hatte. Auch das Alter spielt eine Rolle. Und weil das so individuell ist, würde ich mir über die Erholngsphase bzw deren Dauer nicht so viele Gedanken machen.