Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Cailyn am 24. Februar 2016, 09:43:06

Titel: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 24. Februar 2016, 09:43:06
Die gesammelten Erkenntnisse aus diesem gesamten Thread findet ihr hier: Link zur Sammlung (http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,18557.msg851914.html#msg851914)

Das Vermeiden von Klischees bei der Erstellung von Figuren ist für mich gerade ein sehr aktuelles Thema. Bei mir fängt das Ausdenken einer Figur im Grunde immer mit der Erscheinung an. Dies beinhaltet aber nicht nur das Aussehen, sondern auch die Wirkung auf die anderen. Im Grunde ist das mehr so ein Gefühl gepaart mit äusserlichen Merkmalen, und das kommt immer sehr spontan.

Vor vielen, vielen Jahren hat mir dies bereits gereicht, um damit eine Geschichte zu machen. Also alles intuitiv. Je länger, je mehr habe ich aber gemerkt, dass diese Figuren für Leser/-innen dann sehr flach wirken, weil das, was ich im Gefühl habe (also das Wirken dieser Figuren) ja nicht einfach so auf die Leserschaft  überspringt. Also fing ich an, die Figuren auszuarbeiten. Wo sind sie geboren? Wer waren die Eltern? Was sind die inneren Konflikte? Was hat diese Person für Wünsche, Ziele? ...etc.

Schön und gut. Aber auch noch heute muss ich mir innerlich immer wieder das Ohr lang ziehen, weil ich die Hausaufgaben, die da heissen "guten Charakter/gute Figur ausarbeiten" nicht intensiv genug habe. Immer wieder verfalle ich in Klischees, auch wenn ich das gar nicht mag. Oftmals tue ich das nicht mit Absicht, sondern merke es erst ganz spät. Oder die Figuren wirken dann auf einmal anders, als ich es geplant hatte. Das soll sich ändern. Leider stelle ich auch fest, dass es nicht nur mir so geht. Auch in anderen Büchern, die ich lese, gibt es ganz viele platte und zu wenig durchdachte Figuren. Oder aber die Figuren sind vielleicht schon gut durchdacht, aber es dringt im Buch nicht durch.

Mich würde von euch Folgendes interessieren:

Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Ich denke, man kann fast am meisten lernen, wenn man gute Beispiele analysiert.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: heroine am 24. Februar 2016, 10:11:13
Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 09:43:06
Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?

Ich mochte den Gevatter Tod von Pratchett sehr gerne und ich mochte Bartimäus von Stroud, dann George von Blyton, James Bond von Fleming, Miss Marple und Hercule Poirot von Christie (allerdings weiß ich bei den letzten drei nicht, ob die mir durch die vielen Filme verfälscht wurden), Pipi Langstrumpf von Lindgren. Creasy von Quinnell und eigentlich noch ziemlich viele andere Charaktere. Die sind mir jetzt ganz spontan eingefallen.

Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 09:43:06
Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

In dem Fall, lasse ich mich von ihnen überraschen, durch ausgefallene Interessen oder merkwürdigen Ängsten/Befürchtungen, manchmal auch durch absolute unerwartete Vorlieben. Wenn sie zu platt/eindimensional wirken, weiß man nur noch nicht genug über sie. Andererseits ist das nicht immer aufregend. Nur weil ein Charakter eventuell langweilig ist, bedeutet es nicht, dass er eindimensional ist. Es gibt einfach absolut unspektakuläre Charaktere.

Welche Fragen stellst du dir denn zu den einzlnen Charakteren? Ich finde immer wichtig zu wissen: Wovor haben sie Angst? Was macht sie glücklich? Was ist ihnen peinlich? Was macht sie wütend? Was wollen sie im Leben erreichen? Was machen sie in ihrer Freizeit?
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Elona am 24. Februar 2016, 10:15:24
Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Ich liebe ja Kate Daniels aus der Reihe "Stadt der Finsternis". Warum? Hm, vielleicht wegen ihrer Ironie oder dem Sarkasmus.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?
Ich hoffe, dass sind sie nicht mehr!  ;D Aber das Problem hatte ich auch mal.

Was ich festgestellt habe, nachdem ich mir massig Aufwand beschert habe mit: wann wo geboren, Lieblingsfarbe (übertrieben, wenn es keine Rolle spielt),  usw. usf. Man braucht es einfach nicht. Und nur weil man eben weiß, was die Lieblingsfarbe seines Charakters ist, heißt das noch lange nicht, ihn wirklich zu kennen.
Was ich sehr interessant fand und mir auch sehr weitergeholfen hat, war Weiland Creating Stunning Character. Denn Tiefe erschafft man nicht über das Lieblingsessen, Lieblingsfarbe sonstiges (weil zu oberflächlich), sondern über die Beweggründe, die Ziele, die Motivation, über Erlebnisse.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Guddy am 24. Februar 2016, 10:25:28
Mein absolutes Reizthema. ;D Nichts finde ich schlimmer als flache Figuren und/oder Mary Sues. (wobei das eine das andere meiner Erfahrung nach eigentlich immer bedingt.)

Wichtig ist mir, dass es neben Stärken auch Schwächen gibt und die Schwächen nicht wie Alibis wirken: "Sie ist zwar superschön.. hat aber ein zu niedliches Gesicht." etwa oder "Er ist sehr mutig... hat aber eine zu soziale Ader und bringt sich deshalb in Schwierigkeiten".  Da sind die "Schwächen" verkappte Stärken.
Das Graue eines Charakters wird meines Erachtens nach durch das Zusammenspiel von Stärken und echten Schwächen erreicht, zuzüglich von Träumen, Macken und Besonderheiten. Kleine Details, die ihn als Menschen, und nicht als Figur auszeichnen. Eine Figur ist glatt und durchgestylt, ein Charakter hat Unebenheiten. Das erreicht man auch durch Kleinigkeiten wie typische Bewegungen, ein häufig benutztes Lieblingswort, Gewohnheiten. Es ist nicht unbedingt das Brachiale, das Menschen voneinander unterscheidbar macht, nicht die offensichtlichen Charaktereigenschaften. Wenn ich mich allein schon in meinem unmittelbaren Freundeskreis umsehe, wirken die Leute auf Außenstehende doch recht ähnlich (Anfang 30, Rocker, Kölschtrinker, Gamer, laut und direkt), aber als Individuen betrachtet zeigen sie dann doch große Vielfalt. Ich denke, das kannst du bei deinem Freundeskreis besser beobachten und etwas für dich und deine Protagonisten herausfinden. :)

Dabei finde ich die berühmten "dunklen Geheimnisse" nicht wichtig, auch muss nicht jeder eine miese Charaktereigenschaft haben. Haben meine Freunde und Bekannten auch nicht alle. Zum Glück. ;) Aber Macken hat wirklich jeder Einzelne.

Buchfiguren, die mir besonders ans Herz gewachsen sind, sind meinen besten Freunden meistens sehr ähnlich, hat also mit der Charaktererschaffung wenig zu tun, sondern ist einfach persönliche Prägung. Generell finde ich Tollpatsche oder miese Typen wie Glokta auch ganz niedlich oder interessant, wobei man auch dort, wie bei jedem Archetyp, übertreiben kann. Die Balance zwischen Natürlichkeit und Übertreibung zu wahren ist denke ich das schwierige.

Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Christopher am 24. Februar 2016, 10:27:31
Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Inquisitor Glotka, weil er ein mieser, pragmatischer, eiskalter Wichser ist. Sowas trifft man nicht oft, erst recht nicht als Prota, das hat mir sehr gefallen weil es eben ungewöhnlich ist. Raistlin Majere aus den Drachenlanze Büchern gefiel mir auch sehr. Auch ein "Böser" der aber sehr sinnig und stimmig dazu aufgebaut wurde. Er wurde im Verlauf vieler Bücher zu dem gemacht, was er ist und gibt ein sehr tiefes und stimmiges Bild von sich ab.

Ich könnte noch ein paar mehr nennen, es zeichnet sich für mich aber gerade ab, dass mir die Charaktere am besten gefallen, die mit der Geschichte wachsen und nicht die gewachsen in eine Geschichte kommen.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

Ich mache (versuche) genau das, was mir gefällt: Ich lasse sie wachsen. Jede Figur ist erst mal "platt", weil man eben nichts über sie weiß. Eine gesunde Mischung aus bereits vorhandenen Charaktereigenschaften durch Kultur, Vergangenheit etc (Vorurteile gegen Frauen/Männer, Essgewohnheiten, wasauchimmer) und neuen Eigenschaften, die sie während der Geschichte erwirbt. Die meisten wichtigen Charaktere machen während einer Geschichte Veränderung durch und im Laufe dieser Veränderung, gewinnen sie auch automatisch an Tiefe.


Kurz: Charaktere vor dem Schreiben ausarbeiten ist denke ich nur die halbe Miete. Lass sie sich während der Geschichte weiterentwickeln und sie gewinnen sicher an Tiefe :)
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Cailyn am 24. Februar 2016, 10:55:01
Danke schon mal für eure Bücher-Lieblinge  ;).

heroine
Stimmt natürlich. Langweilig heisst nicht eindimensional. Man kann auch das Langweilige ausmerzen und kultivieren, bis es dann schon wieder spannend wird.
Das mit den Vorlieben ist ein guter Tipp. Das habe ich bisher noch nicht so miteinbezogen, kann aber eine tolle "Ecke" in den Charakter bringen.

Aurora
Ja, genau so halte ich es auch. Motivation, Erlebnisse, Ziele etc. sind viel wichtiger. Bei mir ergibt sich häufig aus Erlebtem sehr viel, was den Charakter betrifft. Erziehung wie auch Beziehungen zu anderen. Es kommt aber auch vor, dass ich mich dann da drin verliere oder schon zu viel Zeit aufwende und am Ende nicht mehr weiss, ob das für andere nun nachvollziehbar ist.

Guddy
Nein, die dunklen Geheimnisse muss es nicht immer geben. Auch muss man ja wissen, dass Menschen aus weniger dramatischen Gründen sehr heftige Ecken und Kanten annehmen. Da muss nicht immer ein dunkles Familiengeheimnis dahinter stehen.
Andererseits muss ich auch sagen: Wenn ich meinen Freundeskreis beobachte, sehe ich auch wenig Dramen und Extremtypen. Aber ich weiss auch vieles von denen nicht. Wenn ich aber darüber nachdenken, was meine Klienten mir in der Therapie alles erzählen - genauso Menschen wie du und ich - dann merke ich schon immer mehr, dass jeder in seinem eigenen Drama steckt. Das muss nicht das Leben überschatten, aber es führt schon dazu, dass Menschen eben diese und nicht jene Entscheidung treffen oder Blockaden haben, aus denen sie nicht rauskommen. Oftmals ist die Ursache auch dort nicht etwas Extremes, Dunkles oder Erschütterndes, aber die Weichen werden ja so gestellt. Und das finde ich eben für die Figuren in einem Buch auch sehr wichtig. Der Leser muss ja nicht unbedingt wissen, warum jemand immer schlecht gelaunt, sarkastisch oder total oberflächlich ist. Aber ich muss es wissen, damit die Handlungen desjenigen dann wiederum logisch sind.

Christopher
Wenn eine Figur noch sehr jung ist, finde ich das mit dem wachsen lassen sehr gut. Dann kommen die Charakterzüge während der Ereignisse zum Zug.
Hatte eine Figur aber schon ein lange gelebtes Leben, funktioniert das weniger. Du führst ja als gutes Beispiel Glokta an. Gerade er hat ja einen immensen Vergangenheits-Rucksack, den er mit sich herumschleppt. Also im Grunde funktioniert diese Figur ja über seine Vergangenheit.
Eine Frage hätte ich aber noch für die jüngeren Figuren, die sich während der Geschichte entwickeln: Wie schaffst du es dann, dass der Leser rasch eine Verbindung zu dieser Figur aufbaut? Wenn es zweihundert Seiten dauert, bis sich ein Charakter etwas entblösst, dann kommt ganz schön Langeweile auf. Für meinen Geschmack muss eine Figur schon auf den ersten paar Seiten ein paar Eigenschaften haben, die ihn von x-beliebigen abheben oder zumindest meine Aufmerksamkeit entfachen.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: HauntingWitch am 24. Februar 2016, 12:52:32
Liebe Cailyn, ich finde mich in deinem Eingangspost wieder und habe sehr, sehr viel über dieses Thema nachgedacht. Und ich glaube mittlerweile, wir haben zu hohe Ansprüche. ;D Ich beschäftige mich zurzeit gerade wieder einmal mit Körpersprache, Typenlehre etc. und ich stelle einfach immer wieder fest, wie extrem komplex Menschen sind. Der Anspruch, dass ein Buch-Charakter dem sehr nahe kommt ist sicher berechtigt, aber ich glaube, wenn man dem sehr nahe kommt, ist man schon sehr weit.

Wie bei dir erarbeite ich mir Charaktere zu Beginn oft über das Aussehen und gehe erst dann zu ihrem Inneren über. Und jetzt hetzte ich wahrscheinlich gleich das ganze Forum gegen mich auf, wenn ich das sage. Ich bin der Überzeugung, wie innen so aussen bzw. logischerweise auch umgekehrt. Nicht im Sinne von "alle Menschen mit blauen Augen sind geduldig", aber im Sinne davon, dass ein Mensch ausstrahlt, was er ist, jedenfalls einen Grossteil davon. Damit arbeite ich mittlerweile auch beim Schreiben. Und natürlich hat jeder seine Leichen im Keller, die er vor anderen verbirgt. Zum Inneren, Motivation etc hilft mir meistens das hier: 15 Fragen für deinen Charakter von Writer's Write. (http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,14912.0.html)

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?
Bei mir liegt das dann meistens daran, dass ich sie zu wenig kenne, da schliesse ich mich Heroine und Christopher an.
Oder ich weiss nicht, wie ich gewisse Dinge, die eben in Innenleben sind und zunächst keine Plotrelevanz haben, darstellen kann. Dann versuche ich es mittlerweile über das Aussen, die Körpersprache, die Haltung, eine bestimmte Falte an einer bestimmten Stelle, den Blick, Narben (äusserliche, sichtbare), Style (ich weiss, wie doof das klingt, aber ist euch schon mal aufgefallen, dass sehr experimentelle Künstler immer mal wieder ihre Frisur ändern?). Solche Sachen halt. Ich hoffe, dass die Charaktere dadurch plastischer werden, noch weiss ich nicht, wie das beim Leser am Ende wirkt, weil ich das noch nicht so lange mache.

Ich muss aber auch sagen, dass ich auch schon das Gefühl hatte, Charaktere wäre zu flach oder machen sich zu wenige Gedanken über dieses oder jenes, ihre Gefühle kommen nicht rüber oder sonstwas. Und dann kommen die Leser und sagen z.B.: "Ist XY jemand, den du kennst, der wirkt so real!" Dann fühle ich mich so:  :rofl: Von dem her, wie gesagt, ich glaube, wir haben auch zu hohe Ansprüche an uns selbst und die anderen sehen das gar nicht so eng.

Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?

Flora aus "So ruhet in Frieden" von John Lindqvist, weil ich mich zu dem Zeitpunkt sehr mit ihr identifizieren konnte und mich vom Autor so verstanden gefühlt habe durch ihre Beschreibung. In einer Szene bekommt sie z.B. einen MP3-Player von ihren Eltern geschenkt, aber sie hört lieber Walkman und ist enttäuscht, nicht wegen dem Geschenk, sondern weil ihre Eltern sie kaum kennen. Und die sagen ihr dann, sie wäre undankbar. Da rastet sie aus.

Roland, aus "Der dunkle Turm" von King, weil er genau der Typ Mann ist, den ich gerne real in meinem Leben hätte. Einer der für sich einstehen und kämpfen kann, aber auch respektvoll und emotional ist.

Anton Gorodetzsky aus der Wächter-Reihe von Sergei Lukianenko, aus ähnlichen Gründen, wenn auch Anton eher der sensible Typ ist. Finde ich übrigens besonders im ersten Band eine sehr gelungene Darstellung eines vielschichtigen Charakters.

Ansonsten habe ich auch viele aus TV-Serien, "Nashville" finde ich bezüglich Charaktere einfach nur genial. Mr. Gold/Rumpelstilzchen aus "Once Upon A Time" finde ich ein tolles Beispiel von einem guten Bösewicht (gute Antas sind meine grosse Schwäche).
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Christopher am 24. Februar 2016, 14:01:10
Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 10:55:01
Christopher
...
Wie schaffst du es dann, dass der Leser rasch eine Verbindung zu dieser Figur aufbaut? Wenn es zweihundert Seiten dauert, bis sich ein Charakter etwas entblösst, dann kommt ganz schön Langeweile auf. Für meinen Geschmack muss eine Figur schon auf den ersten paar Seiten ein paar Eigenschaften haben, die ihn von x-beliebigen abheben oder zumindest meine Aufmerksamkeit entfachen.

Rasch? Gar nicht. Dafür sind der Prota und die Rahmengeschichte da. Die machen eine Geschichte nicht langweilig. Bei mir "entblösst" sich auch niemand, sondern sie erleben, wandeln sich mit der Geschichte mit.
Ich nehm mal Merumya als Beispiel:
Anfangs nur eine von vielen anderen Kameradinnen von Ann, die sich nur dadurch abhebt, dass sie öfter frech das Maul aufreißt und Ann nicht so hänselt und fertigmacht wie die anderen.
Im Verlauf der Geschichte hebt sie sich dann Stück für Stück ab: Sie wählt am Ende der Ausbildung einen Speer, statt der traditionellen zwei Schwerter als Hauptwaffe (aufmüpfig). Nach der Rückkehr von ihren ersten Kampfeinsätzen, wird sie von jüngeren ausgefragt und findet Gefallen daran, ihre Geschichten etwas auszuschmücken, weil die bewundernden Blicke ihr gefallen (angeberisch). Sie übernimmt die Sitte, sich das Haar zu flechten, je nachdem wie viele Feinde sie besiegt hat (eitel). Sie erhält in einem Kampf eine Wunde im Gesicht, die später vernarbt, weil sie nicht hören kann und ständig dran kratzt (unbelehrbar). sie bekommt ihre eigene Gruppe und findet gefallen daran, sich um andere zu kümmern (fürsorglich). usw. usf.

Jeder Punkt den ich eben genannt habe, ist 50-100 Seiten voneinander entfernt, malt aber Stück für Stück ein Bild von ihr. Ich behandel ihre Vergangenheit gar nicht, weil sie keine besondere Vergangenheit hat. Trotzdem - oder vermutlich gerade deswegen - ist sie bisher bei Testlesern erstaunlich beliebt.

Einen Charakter der vorher schon mit einer tiefgreifenden Vergangenheit daher kommt, hatte ich bisher noch nicht  :omn: Das scheint nicht mein Stil zu sein, wie man das glaubhaft rüberbringt, ist mir auch schleierhaft. Da müsste ich selbst noch mal gucken, bevor ich sowas angehe. Ich persönlich lasse die älteren Figuren (die ja eine Vergangenheit haben müssen) bisher einfach handeln und erkläre das nicht.  Solange sie konsequent sind muss man das auch nicht.
Ein Beispiel was mir gerade einfällt: Warum ist Tony Stark eigentlich so ein Arsch? Da kommt nie eine Rechtfertigung dafür, keine großen Erklärungen, er ist wie er ist und das Publikum liebt was er ist (zumindest ich ;D ) und damit hat es sich. Die Vielschichtigkeit (er sorgt sich z.b. doch um sein Team, macht sich Gedanken um das, was seine Firma bewirkt) sind alles Dinge, die im Verlauf der Geschichte kommen ...

Ich merk schon, ich verrenne mich. Mit den langlebigeren Charakteren kann ich dir vermutlich nicht helfen. Der einzige Punkt den ich anzumerken hätte ist der: Die Backstory sollte für sich so interessant sein, dass es spaß macht sie zu lesen. Dann kannst du auch ein ganzes Buch lang nur Backstory erzählen. Der Name des Windes macht das ja im Grunde, auch wenn es eher ein Kniff für die Ich-Perspektive ist ;D
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Maubel am 24. Februar 2016, 14:58:22
Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?

Recht viele. Ich bin da relativ anspruchslos. Relativ, weil ich a) gut konstruierte, runde Charaktere doch deutlich bevorzuge, aber b) auch von bestimmten Klischees angesprochen. Ich mag auch einen ganz bestimmten Typ Mann/Junge. Davon abgesehen, schwirrt mir gerade FitzChivalry von der Farseer (Weitseher) Trilogie im Kopf rum, weil ich dessen dritte Trilogie gerade lese. Und obwohl der Charakter mittlerweile schon 60 ist, seine Kinder aus dem Haus sind, sein bester Freund schon lange tot ist und zwischen dem Ende der zweiten und der dritten Trilogie glaube ich 30 Jahre oder so liegen, erkennt man ihn sofort wieder. Klar, er ist gealtert, gereift, aber jetzt von ihm zu lesen, ist wirklich wie einen alten Freund wieder treffen (man ist ja auch gealtert, wenn auch nicht so viel). Und plötzlich werde ich schon melancholisch, obwohl nichts schlimmeres passiert, als das die Welt sich immer weiter dreht. So verbunden habe ich mich selten mit einem Char gefühlt. Ich könnte jetzt aber nicht sagen, woran das liegt, außer das man eben schon so viel mit ihm zusammen durch gemacht hat.


Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

Ich lese häufig von Schwächen und Stärken, sowohl bei der Charakterentwicklung, als auch im persönlichen Bewerbungsgespräch und häufig finde ich die Frage irrsinnig schwer zu beantworten, weil viele Charaktereigenschaften je nach Situation eine Stärke oder eben eine Schwäche sind. Und ich finde, erst dann, wenn die Eigenschaften selber grau (mal dunker, mal heller) sind, werden die Charaktere real.
Ein simples sehr neutrales Beispiel: Der Charakter ist vorsichtig. Vorsichtig sein, ist toll. Es schützt ihn vor Gefahren, er macht nichts kaputt, er stößt keinen vor den Kopf. Aber vorsichtig sein führt auch dazu, dass man Chancen verpasst, dass man das Leben an einem vorbei ziehen lässt manchmal oder Herausforderungen scheut.
Etwas komplizierter, da oft positiv belegtes Beispiel: Organisationstalent. Der Char organisiert sein Leben, Projekte, ist immer gut vorbereitet. Tja, bis er das eben nicht ist, und Schwierigkeiten hat eine ungewohnte Situation zu meistern. Er plant häufig auch die anderen ein, die verhalten sich aber gar nicht nach Plan oder haben keine Lust sich eben so gut vorzubereiten.
Oder ein negativ belegtes Beispiel: Arroganz. Klar, arrogante Menschen mag keiner, aber genau der Charakter ist es vielleicht, der unangenehme Sachen unverblümt ausspricht und sich quer stellt, wo die lieben Helden sich haben bequatschen lassen.

Ich finde, Fantasy verleitet oft zu Klischees, weil es einfacher ist. Das Umfeld ist dramatischer. Die Charaktere reagieren auf Monster, Krieg, Geister... In meinem Coming-of-Age Roman sind die Charaktere plötzlich viel dreidimensionaler, weil das weniger dramatische Umfeld mehr Raum lässt um eben ganz einfach menschlich zu sein. Sie sind keine Helden, aber auch keine Feinde und plötzlich kommen viel mehr Grautöne zu Tage, wo Fantasyromane oft mehr zu den Extremen oder eben dem besonders grauen Charakter neigen.
Kleine Prüfung: Lässt sich der Charakter eindeutig einer der neun DnD-Gesinnung zuordnen? Meistens haben gut ausgearbeitete Charaktere eine Tendenz, aber so ganz 100% in jeder Situation passt es ganz selten. Höchstens im Neutralen Bereich kann man da diskutieren.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Cailyn am 24. Februar 2016, 15:25:11
Witch
Vielen Dank für die 15 Fragen. Einige können mir sicher weiterhelfen.  :jau:
Ich bin der Überzeugung, wie innen so aussen bzw. logischerweise auch umgekehrt. (sorry, musste die Zitate ins Kursiv nehmen, sonst nimmt es mir immer den ganzen Text als Zitat...keine Ahnung wieso... :hmmm:
Das wende ich bedingt an, nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich stelle mir eine Persönlichkeit immer wie Schichten vor. Das Aussehen und rasch erkennbare Charaktereigenschaften haben oft eine Verbindung. Kleider ja ohnehin. Aber auch Mimik (welche das Gesicht mit den Jahren formt) und Gestik (was die Körperhaltung merklich beeinflusst) gehören für mich da mit herein. Aber für mich ist das dann eher die oberste Schicht der Persönlichkeit. Das bezieht sich für mich hauptsächlich auch auf das Handeln dieser Person.
Für innere Triebe, Motivation, Leidenschaften und Sehnsüchte spielt für mich das Äussere dann nicht mehr eine grosse Rolle, ausser jemand wird z.B. körperlich verunstaltet, so sehr, dass es eine tiefe Wunde in seine Seele gräbt. Für diese weiteren Schichten der Persönlichkeit grabe ich dann tiefer, und das sind dann auch Dinge, die in dieser Figur erst zum Vorschein kommen, wenn sie unter Druck gerät.

Oder ich weiss nicht, wie ich gewisse Dinge, die eben in Innenleben sind und zunächst keine Plotrelevanz haben, darstellen kann.

Nun, es ist ja nicht so, dass ich versuche, den Charakter irgendwo in den Plot reinzukriegen. Der Plot entsteht für mich dann mit dem Charakter. Die sind für mich miteinander verwoben.
Die Frage ist halt, welche Charaktere sind überhaupt interessant genug.

Ich merke gerade, dass ich die grössten Mühen mit den Hauptcharakteren habe, welche sympathisch rüberkommen sollen. Die "Bösen" fallen mir oft leichter. Vielleicht auch, weil es meine Lebenseinstellung ist, dass niemand als Bösewicht zur Welt kommt. Da finde ich es viel einfacher, erst das Böse zu kreieren und dann zu überlegen, warum dieser so geworden ist. Bei den "Guten" finde ich es schwieriger. Ich will keine schlechten Eigenschaften, die dann nur pseudo sind (so wie Guddy es schreibt), aber sie sollen auch vertretbar sein.

Das bringt mich auf einen weiteren Punkt. Ich befürchte, wenn man eine Figur genauso realistisch darstellen würde wie im wahren Leben, würde sie zu unsympathisch wirken. Ich meine, jeder - wenn er/sie ehrlich ist - lügt sehr oft, macht Dinge nicht aus purem Egoismus oder tut Dinge aus purem Egoismus. Vielleicht will man das nicht, aber man tut es. Gut, es mag ein paar engelsgleiche Menschen unter uns geben, aber ich denke, die meisten sind nicht so. Darum ist es fast nötig, dass man sympathische Charaktere etwas weniger realistisch darstellt als im wahren Leben, damit sie gleich sympathisch rüberkommen. Aber dann fehlt mir eben das Schlechte an diesen Menschen. Und man läuft die Gefahr, niedliche Kavaliersdelikte zu wählen, die im Grunde auch lustig oder sympathisch sein können. Die darf es auch geben. Aber eben nicht nur, sonst wirkt die Figur nicht wirklich echt.

Christopher
Gerade in der Fantasy-Literatur, wo der Plot sehr oft nichts Neues ist (der Kampf um das Gute, die Rettung vor dem Bösen etc.) bin ich ganz oft lange gelangweilt in den ersten 100-200 Seiten. Ich gebe zu, ich bin auch keine schnelle Leserin, die 100 Seiten schnell mal durchliest. Ich bin eher eine Genussleserin und brauche daher auch mehr Zeit zum lesen. Darum brauche ich dringend etwas Persönliches ganz am Anfang der Geschichte. Wenn ein Fantasy-Roman also damit anfängt, dass z.B. ein Land von bösen Was-weiss-ich angegriffen wird, dann ist mir das zunächst total egal. Mich interessiert das nicht. Da kann die Welt bedroht sein, Länder am Zusammenbrechen, Tod und Verderb im Anmarsch... mich lässt das kalt. Es sei denn, ich habe einen Grund, dass ich mich betroffen fühle. Und da kommen doch die Figuren, die Charaktere ins Spiel. Wenn ich mich nur mit einer Hauptfigur identifizieren kann, mitleiden kann, dann ist mein Interesse geweckt.
Entwickelt sich aber diese Figur erst über 100 Seiten, dann möchte ich eine Geschichte gar nicht mehr weiterlesen. Es ist nicht so, dass ich von Anfang an alles wissen muss. Man kann bei einer Figur auch Fragezeichen setzen, Ungereimtheiten einbauen, die man später auflöst. Aber es muss für mich spürbar sein, dass da ein Wesen mit Herz und Seele agiert und nicht nur ein austauschbares Etwas, was sich irgendwann öffnen wird.

Aber wie wird eine Figur greifbar?
Ich denke, man kann eine Figur greifbar machen, indem man sich den trivialen Wünschen und Sehnsüchten aller Menschen bedient und diese sofort sichtbar macht. "Ich will geliebt/verehrt/bewundert/gelobt" etc. werden, denn das ist das, was sich fast jeder wünscht. Das wäre die einfache Variante, die aber häufig den Anschein macht, als handle es sich um einen Arzt-Roman, den man am Kiosk kaufen kann. Und das ist ja auch häufig das, was man in Hollywood-Filmen macht, damit man schnell in einen Film reinkommt. Aber sowas suche ich ja nicht. Das wäre zu langweilig, zu simpel.

Dennoch bleiben diese Sehnsüchte der Menschen, die Antriebsmotoren der Psyche, auch wenn es sich nicht um einen Groschenroman handelt. Die Frage ist dann, wie man diese Figuren so konzipiert, dass sie auch interessant und "anders" sind als jeder x-Beliebige. Und hier kommt für mich der Charakter mit rein. Ein komplexer Charakter hat eben mehr Ecken und Kanten. Er mag die gleichen Triebe und Wünsche haben wie Doktor Mayer im Arztroman, aber wie er diese erreichen will, was er dafür opfert, tut und nicht tut, macht es ja dann zu einer spannenden Figur. Und von diesem Andersartigen möchte ich als Leserin schon auf den ersten 30 Seiten etwas zu spüren bekommen. Das muss keine klare Darstellung einer Figur sein. Es genügt auch ein kleiner Einblick, ein Hinweis, dass sich darunter jemand verbirgt, den ich a) mag oder nicht mag, und b) den ich näher kennen lernen möchte.


Diese sollten auch früh spürbar sein, ohne ein Klischee aufzutischen. Vielleicht ist gerade das, was mich noch grübeln lässt. Die ganz grossen Themen, die schon x Mal erzählt wurden, neu darzustellen, in neuen Figuren zum Leben zu erwecken. Und das ist ja wohl das, was eines jeden Schriftstellers Leid ist.... alles hat schon mal irgendwo existiert.

Maubel
Ich bin ganz deiner Meinung. Man kann Charaktereigenschaften nicht einfach nach gut und schlecht beurteilen. Aber mit schlecht meine ich dann etwas, was die Figur immer wieder hemmt oder in Schwierigkeiten bringt. Natürlich haben auch diese Eigenschaften auch immer zwei Seiten einer Medaille. In einer Geschichte sind das ja auch gerade die spannendsten Eigenschaften, weil dann immer die Frage im Raum steht, was passiert, wenn sich der Charakter verändert. Die Konsequenz einer Veränderung ist ja das Spannendste überhaupt.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Asterya am 24. Februar 2016, 17:40:29
Was helfen kann, um zu perfekte Figuren zu vermeiden, ist, den Charakter mit irgendeinem Rollenspielheldengenerator nachzubauen. Ich nehm die Generierung von DSA und wenn ich meiner Figur dann ganz viele tolle Vorteile gebe, muss ich ihr eben auch ein paar Nachteile verpassen. Das hilft mir zumindest, meine Protas nicht als übermächtige Helden herumlaufen zu lassen. Außerdem stößt man beim Regelwerk lesen auch auf Schwächen, die einem vielleicht gar nicht eingefallen wären.

Mir ist aufgefallen, dass ich bei meinen eigenen Geschichten oft beim Aussehen zu stark irgendwelche Klischees bediene. Der Antagonist ist immer groß, eine starke Kriegerin selten hübsch, ein Bürokrat hat immer fettige Haare, der männliche Love Interest immer größer als der weibliche und so weiter.

ZitatIch befürchte, wenn man eine Figur genauso realistisch darstellen würde wie im wahren Leben, würde sie zu unsympathisch wirken. Ich meine, jeder - wenn er/sie ehrlich ist - lügt sehr oft, macht Dinge nicht aus purem Egoismus oder tut Dinge aus purem Egoismus. Vielleicht will man das nicht, aber man tut es. Gut, es mag ein paar engelsgleiche Menschen unter uns geben, aber ich denke, die meisten sind nicht so. Darum ist es fast nötig, dass man sympathische Charaktere etwas weniger realistisch darstellt als im wahren Leben, damit sie gleich sympathisch rüberkommen. Aber dann fehlt mir eben das Schlechte an diesen Menschen. Und man läuft die Gefahr, niedliche Kavaliersdelikte zu wählen, die im Grunde auch lustig oder sympathisch sein können. Die darf es auch geben. Aber eben nicht nur, sonst wirkt die Figur nicht wirklich echt.

Da stimme ich voll und ganz zu. Bei mir ist es so, dass die schlechten Eigenschaften der "Guten" eher selbstzerstörerisch sind, als dass sie anderen schaden. Mir fällt es auch recht schwer, eine Figur, die doch alle Leser lieben sollen, auf einmal lügen zu lassen oder gemeine Gedanken hegen zu lassen. Also ja, am Ende sind die liebenswerten Charaktere wohl ein wenig unrealistisch oder haben einen guten Grund, schlecht zu handeln, damit man dann immer eine Entschuldigung finden kann. Als Leser hingegen denkt man: "Na toll, klar ist das son Supertyp, der macht ja nie was falsch. Unrealistisch."

Charaktere aus Büchern, die ich gerne mag.... Das ist ne gute Frage, da gibts mehrere. Bartimäus ist definitiv darunter. In den meisten Büchern finde ich Nebenfiguren deutlich gelungener, wahrscheinlich aus den genannten Gründen.

Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: HauntingWitch am 24. Februar 2016, 18:40:12
Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 15:25:11
Das wende ich bedingt an, nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich stelle mir eine Persönlichkeit immer wie Schichten vor. Das Aussehen und rasch erkennbare Charaktereigenschaften haben oft eine Verbindung. Kleider ja ohnehin. Aber auch Mimik (welche das Gesicht mit den Jahren formt) und Gestik (was die Körperhaltung merklich beeinflusst) gehören für mich da mit herein. Aber für mich ist das dann eher die oberste Schicht der Persönlichkeit. Das bezieht sich für mich hauptsächlich auch auf das Handeln dieser Person.
Für innere Triebe, Motivation, Leidenschaften und Sehnsüchte spielt für mich das Äussere dann nicht mehr eine grosse Rolle, ausser jemand wird z.B. körperlich verunstaltet, so sehr, dass es eine tiefe Wunde in seine Seele gräbt. Für diese weiteren Schichten der Persönlichkeit grabe ich dann tiefer, und das sind dann auch Dinge, die in dieser Figur erst zum Vorschein kommen, wenn sie unter Druck gerät.

Ich glaube, wir sind völlig einer Meinung. Natürlich kann man diese tiefer liegenden Aspekte nicht so leicht über das Äussere zeigen, aber das sind ja die Dinge, die eben diese obere Schicht auch mitformen. Deshalb finde ich beides wichtig und ich stimme dir zu, dass gewisses Verhalten tief im Menschen vergraben liegt und erst in der Extremsituation zum Ausdruck kommt. Das habe ich bislang noch nicht so ausgiebig geübt, das möchte ich noch machen.

Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 15:25:11
Nun, es ist ja nicht so, dass ich versuche, den Charakter irgendwo in den Plot reinzukriegen. Der Plot entsteht für mich dann mit dem Charakter. Die sind für mich miteinander verwoben.
Die Frage ist halt, welche Charaktere sind überhaupt interessant genug.

Das ist bei mir auch so. Ich versuche nicht, sie in einen Plot hineinzuquetschen. Nur gibt es immer Aspekte, die ich irgendwann mal in einem Dokument mit Hintergrund-Story etc. notiere und die dann im späteren Skript wie keinen Platz finden. Das passiert mir recht oft. Eine Prota von mir hat z.B. ihren Grossvater verloren, aber das geschah irgendwann vor dem Erzählzeitpunkt der Geschichte und somit kommt das in der Geschichte überhaupt nicht zum Tragen und wird auch nicht erwähnt. Ausser, dass es natürlich ihren Charakter mitgeformt hat, aber es findet einfach nirgends Erwähnung.

Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 15:25:11
Ich merke gerade, dass ich die grössten Mühen mit den Hauptcharakteren habe, welche sympathisch rüberkommen sollen. D
[...]
Das bringt mich auf einen weiteren Punkt. Ich befürchte, wenn man eine Figur genauso realistisch darstellen würde wie im wahren Leben, würde sie zu unsympathisch wirken. Ich meine, jeder - wenn er/sie ehrlich ist - lügt sehr oft, macht Dinge nicht aus purem Egoismus oder tut Dinge aus purem Egoismus. Vielleicht will man das nicht, aber man tut es. Gut, es mag ein paar engelsgleiche Menschen unter uns geben, aber ich denke, die meisten sind nicht so. Darum ist es fast nötig, dass man sympathische Charaktere etwas weniger realistisch darstellt als im wahren Leben, damit sie gleich sympathisch rüberkommen.

Muss ein Charakter denn ausschliesslich sympathisch sein? Kennst du den Film "Filth" (dt. "Drecksau")? Der Protagonist ist der Ober-Unsympath, aber irgendwie hat mich der Film emotional trotzdem reingezogen. Warum? Ich wollte die ganze Zeit wissen, wann der endlich auf die Fresse fliegt. Und als es dann soweit war, tat er mir trotzdem ein wenig leid. Das ist leider die einzige Geschichte in dieser Form, die ich kenne, aber ich finde die Idee vom unsympathischen Prota total gut.  ;D

Charaktere, die nur da sind, um sympathisch zu sein, finde ich langweilig. Jeder Mensch hat positive und negative Seiten und jeder noch so nette und liebenswerte Mensch verhält sich manchmal wie ein *unschönes Wort mit A* und jedes vermeintliche *unschöne A* hat auch seine guten Seiten. Das macht es doch erst interessant! Mittlerweile finde ich das viel spannender, als einfach nur nette Charas. Da fällt mir ein Spruch aus der Serie Nashville ein (sorry, wenn ich das oft erwähne), der ging etwa so: "Ich habe mich schlau gemacht über dich. Weisst du, was sie sagen? Oh ja, sie ist nett. Nur, dass jeder nette Mensch, dem ich bisher begegnet bin, diese total kaputte Seele darunter zu verstecken versuchte." (Ungefähre Übersetzung des Englischen). Das ist in diesem Fall vielleicht etwas verallgemeinert, aber es hat schon etwas. Ehrlich, zuu nette Menschen sind mir tatsächlich ein wenig suspekt. ;)

Ich finde das übrigens in GoT recht gut umgesetzt, jeder hat seine Gründe für sein Tun, selbst die miesesten Kerle haben nachvollziehbare Argumente und niemand ist immer nur gut und im Recht und niemand ist immer nur schlecht und im Unrecht (ausser Ramsey Bolton vielleicht, aber das ist einfach ein Psychopath).

Oh Mensch, man sieht, ich könnte mich seitenweise darüber auslassen. ;D Ich werde voraussichtlich erst am Wochenende wieder zum Antworten kommen, also nicht wundern.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Norrive am 24. Februar 2016, 19:01:41
Ich bin etwas verwirrt über den Threadtitel und die eigentliche Diskussion. Sind für euch platte Charaktere automatisch auch Klischee-Typen?
Außerdem muss ich zugeben, dass ich mittlerweile die Diskussion um Klischees im Allgemeinen sehr übertrieben finde. Denn: Dass eine starke Kriegerin nicht hübsch ist, sei ein Klischee, schreibt Asterya. Andererseits erfüllt die gutaussehende Kriegerin ja gleich wieder das Klischee von der sexy Amazone.
Daher habe ich für mich persönlich beschlossen, die Klischee-Diskussion komplett zu ignorieren, wenn ich schreibe/plotte/Ideen entwickle.

Eine ganz andere Sache sind starke, interessante, lebensechte Charaktere. Ich kann nur schlecht beurteilen, wie meine Charaktere gebaut sind, aber das Feedback von Betas war bisher positiv. Ich tue mich beim Schreiben selbst relativ schwer damit, ordentliche Schwächen zu verteilen. Eigentlich liest und hört man ja immer wieder, das Schwächen auch richtige Schwächen sein müssen, sonst sind es, wie ihr schon sagt, Alibi-Schwächen. Aber meiner Meinung nach müssen diese Schwächen auch irgendwie plotrelevant sein. Klar, ich kann jemanden als obsessiven Briefmarkensammler vorstellen, aber Hobbies sind ja nun nicht plotrelevant. Dummerweise tendiere ich aber dazu, genau solche Schwächen einzubauen, anstatt meinem Prota eine Schwäche zu geben, die ihn unausweichlich immer tiefer in die Sch**** reinreißt, wie zum Beispiel Rachsucht, Jähzorn, 'kann die Klappe im entscheidenden Moment nicht halten' oder, oder, oder.
Daher tendiere ich dazu, meine Lieblingsschwächen immer wieder zu benutzen, obwohl ich die oft nicht als starke 'Schwäche' empfinde (die großen 5: Trust-Issues, kurze Zündschnur bei einem speziellen Thema, Ungeduld, extremer(!) Pragmatismus und die gute, alte, arrogante, kalte Maske). Allerdings, wie Maubel schon geschrieben hat, sind auch Schwächen nicht immer schlecht, sondern es ist situationsabhängig, ob eine Charaktereigenschaft in der Szene positiv oder negativ ist. Alles irgendwie nicht so einfach.

Zitat von: Witch am 24. Februar 2016, 18:40:12

Ich finde das übrigens in GoT recht gut umgesetzt, jeder hat seine Gründe für sein Tun, selbst die miesesten Kerle haben nachvollziehbare Argumente und niemand ist immer nur gut und im Recht und niemand ist immer nur schlecht und im Unrecht (ausser Ramsey Bolton vielleicht, aber das ist einfach ein Psychopath).

Das ist glaube ich der Knackpunkt der ganzen Sache. Flache Charaktere haben keine plausiblen Gründe für ihre Taten. Der klassische Evil Overlord, der die Welt einfach nur so beherrschen will, weil er böse ist, hat keinen nachvollziehbaren Grund. Man muss es schaffen, mit der Handlung einer Person deren Charakterzüge zu zeigen (bzw. eher umgekehrt, der Charakterzug bedingt ja die Handlung in einem Szenario). Und bis auf ein paar wenige Ausnahmen gibt es für viele Dinge, die Menschen so tun, eine Begründung, die zumindest nachvollziehbar macht, warum jemand etwas tut, und so kriegt man das dann hoffentlich auch im Buch hin. Man muss sich dann eigentlich nur (haha!) überlegen, wieso der Charakter tut, was er tut, und dann ist man zumindest auf einem guten Weg.

Mein Lieblingsbuchcharakter ist Attikus O'Sullivan aus der Iron Druid Reihe von Kevin Hearne. Man könnte ihn wohl in chaotisch-gut einordnen, wenn man denn wollte. Der Charakter hat aber auch erstaunlich viele Grautöne, obwohl die sunny-boy-Fassade gerade zu Beginn einiges übertüncht. Und er hat durchaus das Talent großen Bullshit anzurichten mit seiner Art.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: LinaFranken am 24. Februar 2016, 19:34:14
Das ist ein sehr interessantes Thema!
Ich habe eine seeehr große Schaar von Charakteren in meiner Reihe und muss mich auch regelmäßig mit der Frage rumschlage, ob sie nicht zu plakativ sind.

ZitatWelche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Zuallererst finde ich Klischees an sich nicht soo schlimm. Es gibt ein paar Chara-Typen, die ich immer wieder gerne sehe, auch wenn sie an sich schon tausendmal da gewesen sind. Z.B. den ruppigen Helden, der ständig blöde Sprüche klopft - kein bisschen orginell, aber immer wieder sehr unterhaltsam (Sam Dean aus Supernatural, Deamon aus Vamire Diaries, Spike aus Buffy etc) immer in Lederjacke und mit nem blöden Spruch auf den Lippen, ausgelutscht bis zum geht nicht mehr und doch immer wieder spaßig.  8)

Dann gibt es aber auch Klischee-Protas die man irgendwie aus persönlichen Gründen nicht mag, obwohl sie bei vielen beliebt sind. Ich persönlich bin da allergisch auf die "muss ständig gerettet und beschützt werden -Protagonistin". Ich mag einfach keine schwachen Mädchen, da kann sich der Autor noch so viel Mühe geben sie tiefgründig zu gestalten.  :no: Die enden bei mir immer als Kanonen-Futter  :darth:

ZitatUnd wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?
Zuallererst versuche ich ihnen eine Vergangenheit und Gründe für ihr Handeln zu verleihen, aber auch das klappt nicht immer. Es kommt vor, das ich mir trotzdem anhören muss, dass das, was ich vermitteln will, nicht rüberkommt.  :(
Ich denke, ich mache den Fehler, das ich zu lange in der Geschichte warte, bis ich andere Seiten oder Wendungen des Charakters zeige. Da ist es vielleicht besser, schon früher Twists einzubauen  :hmmm:

Was ich oft versuche um mir die Charas lebendiger vorzustellen, ist sie in einen Supermarkt zu setzten. Ich stelle sie mir in einer alltäglichen Stituation, wie im Supermarkt vor und ergründe, wie er sich wohl verhalten würde. Weintrauben klauen? Brav an der Kasse anstehen? Manchmal hilft es, besseres Gefühl für den Prota als echten Menschen zu bekommen.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Slenderella am 24. Februar 2016, 19:44:47
Manchmal ist der eindimensionale Charakter (also das laufende Klischee) auch nötig, um die restlichen Charaktere aufzuwerten. Klischees gibt's ja vor allem deswegen, weil die beliebt sind. Also ganz klischeefrei geht es sowieso nie.
Und wenn man dann den typischen Cool Bad Boy hat, der nur da ist, um schnieke auszusehen und Mädels abzuschleppen, weiß man plötzlich den wirklich netten Held besser zu schätzen usw.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Denamio am 24. Februar 2016, 22:16:51
Zitat von: Slenderella am 24. Februar 2016, 19:44:47
Manchmal ist der eindimensionale Charakter (also das laufende Klischee) auch nötig, um die restlichen Charaktere aufzuwerten. Klischees gibt's ja vor allem deswegen, weil die beliebt sind. Also ganz klischeefrei geht es sowieso nie.
Und wenn man dann den typischen Cool Bad Boy hat, der nur da ist, um schnieke auszusehen und Mädels abzuschleppen, weiß man plötzlich den wirklich netten Held besser zu schätzen usw.

Die gleiche Diskussion sieht man häufiger im Rahmen von TV-Serien und den berüchtigten TV-Tropes. Tropes wie auch Klischees sind erst einmal nicht schlecht. Es gibt ein paar, die sind aktuell recht ausgelutscht, weil sie eine Weile sehr im Trend lagen. Aber auch das ändert sich wieder.
Wenn Privatdetektiv Harry Dresden im Trenchcoat Elfen verkloppert, dann greift Jim Butcher da auf Jahrzehnte an Noir Tradition und Übermensch Theorien zurück. Das klappt über Klischees, Szenen die der Leser kennt und erwartet. Das ist wie Achterbahn fahren, da kommt nach einem langsamen Aufstieg auch der temporeiche Absturz. Hat jede verdammte Achterbahn. Ist ein übelstes Klischee das. Aber versuch mal wer den Leute nach dem Aufstieg etwas anderes zu liefern. So eine gemächliche Abfahrt zum Beispiel, da schreien die Kritiker yeah - etwas neues, das Klischee ist gebrochen und die Fahrgäste steigen einem aufs Dach.

Der andere Diskurs im Thread waren flache Charaktere und das ist für mich dann auch was anderes als Klischee Charaktere. Flache Personen entstehen für mich als Resultat von einem zuviel an Plotten. Da wird vorher genauestens ausgearbeitet, wie ein Charakter funktioniert, die Psyche wird nach Legobausteinen zusammengesetzt und das Endergebnis ist in der Theorie total toll und rund.
Dann wird die Geschichte geschrieben und plötzlich eckt das irgendwie an. Flache Charaktere enstehen für mich, wenn an der Stelle stur weitergeschrieben wird, weil der Plot es so braucht. Echte Menschen funktionieren auch nicht nach Schubladen, wenn wir es auch ständig versuchen.
Wenn ich in dem Fall dem Charakter aber eine Handlung aufzwinge, die zwar beim plotten Sinn macht und auch logisch herleitbar ist, aber dem Charakter eigentlich garnicht passt - dann wird die Figur in dem Moment leblos und flach. Eine Schablone die nach einem Schema arbeitet. Wenn ich also merke das ein Charakter flach wird, dann schau ich ob ich dem irgendwo Unrecht getan habe. Habe ich ihn/sie in eine Richtung gezwungen, die garnicht passt?
Mir jüngst passiert, als ich mal zum experimentieren Romantasy schreiben wollte. Da habe ich auch zwei Charaktere für die große Liebe vorherbestimmt und der weibliche Teil blieb ein furchtbar flacher Charakter, egal wie sehr ich mich anstrengte. Also bin ich zurück, habe eine Szene genommen, dann die ganze Charakterisierung rausgeworfen und geschaut wo SIE hin wollte. Siehe da: Ihre ach so große Liebe war für sie eigentlich ein total unaustehlicher Drecksack. ;D

Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?

Oben genannter Harry Dresden aus Dresden Files oder John Taylor aus Nightside. Von außen betrachtet sind die Charaktere bis zum Kopf in Klischees getaucht und ihre Geschichten leben davon. Sie tun eigentlich beide selten etwas, dass wirklich unerwartet ist. Es ist klar das Harry zum Beispiel erst einmal auf die Nase bekommt, weil das in dem Typ Geschichten halt so ist. Natürlich erwarte ich auch, dass er knapp überlebt und am Ende dem Bösewicht mit Stil Feuer unterm Hintern macht. Vom Trenchcoat bis zu den persönlichen Dämonen sind sie auch weiterhin im Klischee. Aber für mich wirken sie nie wie flache Charaktere, sondern wie echte Menschen, weil ich mich in ihre Handlungen reinfühlen kann.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Cailyn am 25. Februar 2016, 09:46:22
Witch
Für mich muss eine Figur natürlich nicht nur sympathisch sein, ganz klar. Aber wenn ich eine sympathische Figur bringen möchte, weil das einfach Teil der Geschichte ist, muss ich ja auch für diese ein paar knarzige Ecken und Kanten reinbringen. Und da wird es für mich schon schwierig, wenn ich Alibi-Schwächen weglassen möchte.

Die Charaktere aus GoT gefallen mir natürlich auch sehr gut. Die Zerrissenheit der Figuren und ihr rücksichtsloser Drang zu überleben, gibt da ein sehr realistisches Bild ab. Mein Stil zu schreiben, ist das aber nicht. Ich habe in meinem letzten Buch auch eine Figur gehabt, die ziemlich böse war. Und ich habe ihn echt heiss geliebt!  ;D Aber einer in dieser Form hat mir dann gereicht.

Ich habe gestern noch lange darüber gebrütet und bin dann auf die Idee gekommen, dass ich auch einmal einen Makel als Anlass für eine Schattenseite wählen könnte. Das habe ich nämlich noch nie gemacht. Als Beispiel: Jemand hat schlimme Verbrennungen und sein Gesicht ist dadurch entstellt. Oder jemand hat eine Krankheit, die in gewissen Situationen sehr hinderlich ist. Solche Schwächen könnten dann mit der Zeit auch zu einem veränderten Charakter führen (Neid, Missgunst, mürrisches Wesen etc.). Eingefallen ist mir das, weil ich jüngst den Roman "Adrenalin" von Michael Robotham gelesen habe, wo die Hauptfigur ein Psychologe mit Parkinson ist. Das hat mich sehr beeindruckt. Ein Held, der in Stresssituationen plötzlich zu lahmen beginnt, sein Zittern nicht mehr unterdrücken kann. Und gleichzeitig ist die Figur eine sehr starke Persönlichkeit.

Norrive
Ja, der Threadtitel passt nicht so ganz, weil es um Klischees wie auch um platte Figuren geht. Also beides. Aber ich wollte den Titel auch nicht zu sehr in die Länge ziehen... ;)
Die Sache mit dem plotrelevant oder nicht, finde ich nicht ganz so klar. Für mich zumindest. Für mich darf es auch Sachen geben, die überhaupt nicht plotrelevant sind. Als ganz typisches Beispiel: bei LOTR essen ja Merry und Pippin die ganze Zeit, reden übers Essen und sehnen sich nach dem Essen. Das hat rein gar nichts mit der Geschichte zu tun. Aber jeder hat das doch witzig gefunden, vermute ich.
Das Problem bei Mittelalter-Fantasy ist aber, dass es gar nicht so viele Dinge gibt, die man da gut einbauen könnte. Die meisten Fantasy-Bücher sind ja ans Mittelalter angelehnt, und zu dieser Zeit gab es Hobbys im Prinzip nicht wirklich. Man wollte überleben, essen, schlafen, arbeiten, und ganz selten hatte man vielleicht Zeit, an einer Figur zu schnitzen oder aus reiner Freude etwas zu nähen. Oder so. Viel Auswahl gab es da wohl nicht. Gegenwartsromane haben da ein viel grösseres Potential, um mit Alltäglichem wie Hobbies oder auch Habseligkeiten eine Figur konkreter werden zu lassen. Ich meine, eine Figur, die ständig SMS verschickt, 1000 Nachrichten auf Twitter versendet und jede Stunde seine E-Mails checkt, wirkt schon mal ganz anders als eine Person, die mit einem Buch unterwegs ist, ab und an Notizen in ein kleines Notizbuch macht und mit einer alten Nokkia-Kamera draussen Blumen fotografiert. Über solche Dinge kriegt man ja rasch eine Botschaft, welcher Typ Mensch das sein könnte.
In der Fantasy funktioniert das so nicht. Oder zumindest gibt es nicht so viel Auswahl, und auch wenn man Hobbys wählt, sagen die dann nicht so viel aus wie unsere modernen Hobbys.

Vielleicht müsste man sich in der Mittelalter-Fantasy halt eher um Macken bemühen (so wie die Hobbits mit dem essen), die zwar nicht plotrelevant sind, aber dennoch etwas Persönliches darstellen, was genau diesen einen Charakter unverwechselbar macht.

Lina Franken,
Die ich-will-beschützt-werden-Prota finde ich auch  :versteck:
Dass du den ironischen Sprücheklopfer wie Deamon gut findest, kann ich nachvollziehen. Vielleicht ist das klischiert, aber es könnte ja auch sein, dass sich hinter so einer Figur eine ganz originelle Story verbirgt, die dem Leser am Anfang noch nicht gezeigt wird.
Das mit dem Supermarkt ist eine witzige Idee. Ich mache das das nächste Mal, wenn ich selber im Supermarkt stehe, so als würde ich mit meinen Protas einkaufen gehen.  :rofl:

Denamio
Ich denke, die Grenze zwischen Klischee und Kult ist eben sehr nah beieinander. Das ist wohl auch der Grund, warum ich viele klischierte Figuren und auch Dinge oft trotzdem cool finde. Ich denke, da kommt es dann drauf an, wie man dieses Klischee richtiggehend kultiviert. Typisch das das doch auch bei den Tarantino-Filmen. Da kommen unglaublich viele Klischees daher, aber sie sind so überzogen, dass sie schon wieder kultig wirken. Und er bedient sich eben nicht nur Klischees, sondern würzt es mit Widersprüchen (wie seine vielen Gangster, die philosophische Gespräche führen).

Die Sache mit dem Plotten ist aber auch eine Planungsfrage. Auch wenn man nach Schema plottet, heisst das ja nicht, dass man unflexibel wird. Auch nach Schema plotten bedeutet, dass man immer wieder revidiert. Aber du hast insofern recht, dass man immer aufgeschlossen und anpassungsfähig sein muss. Man kann ja nicht einen Charakter oder einen Plot stur festlegen und dann einfach danach gehen.


An alle...
Nicht dass es zu Missverständnissen kommt. Es ist nicht so, dass ich Klischees grundsätzlich für schlecht halte. Im richtigen Rahmen passt das ja gut. Mir ging es mehr um meine persönlichen Hauptfiguren, die ich nicht klischiert sehen möchte (oder eben platt / oder langweilig). Daher war wohl der Thread-Titel wirklich nicht so gut gewählt.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Guddy am 25. Februar 2016, 09:53:49
Zitat von: Lina Franken am 24. Februar 2016, 19:34:14
Zuallererst finde ich Klischees an sich nicht soo schlimm. Es gibt ein paar Chara-Typen, die ich immer wieder gerne sehe, auch wenn sie an sich schon tausendmal da gewesen sind. Z.B. den ruppigen Helden, der ständig blöde Sprüche klopft - kein bisschen orginell, aber immer wieder sehr unterhaltsam (Sam aus Supernatural, Deamon aus Vamire Diaries, Spike aus Buffy etc) immer in Lederjacke und mit nem blöden Spruch auf den Lippen, ausgelutscht bis zum geht nicht mehr und doch immer wieder spaßig.  8)
Du meinst sicher Dean und nicht Sam!   ;D
Diesen Typ finde ich auch hervorragend!
Sehr schön finde ich auch den Typus "alte, lustige Omi" wie Mulans Großmutter.  Optisch alt und tattrig, innerlich sehr verschmitzt.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Trippelschritt am 25. Februar 2016, 10:37:04
Zitat von: Cailyn am 24. Februar 2016, 09:43:06
Mich würde von euch Folgendes interessieren:

Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Ich denke, man kann fast am meisten lernen, wenn man gute Beispiele analysiert.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

Tyrion von George Martin, meinetwegen auch Snow
und - einfach grandios - Auri von Rothfuss

Die andere Frage stellt sich mir nicht. Ich arbeite so lange an den wichtigen Figuren, bis sie nicht mehr platt sind. Ich gebe aber zu bedenken, dass Archetyp und Klischee nicht das gleiche sind. Da wird oftmals etwas durcheinander geworfen. Auch Archetypen könne dreidimensional sein. Rowling hat das schön benutzt.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Denamio am 25. Februar 2016, 10:58:44
Zitat von: Cailyn am 25. Februar 2016, 09:46:22
Und er bedient sich eben nicht nur Klischees, sondern würzt es mit Widersprüchen (wie seine vielen Gangster, die philosophische Gespräche führen).

Was lustigerweise ein sehr dominantes Klischee aus der japanischen Animationsecke ist, wo er sich redlich bedient. Also nichts mit Widersprüchen ;D

ZitatAuch wenn man nach Schema plottet, heisst das ja nicht, dass man unflexibel wird.

War auch nicht meine gewünschte Aussage. Mir ging es darum das im Fall wenn der Autor da stur weiter macht, das Ergebnis flache Charaktere sind. Und der Vorschlag zur Vermeidung war zu schauen wo die Charaktere selber hinwollen, dann werden sie praktisch von alleine rund.  :)
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Araluen am 25. Februar 2016, 18:36:28
Welche Charaktere mag ich am liebsten?
Mortimer Wittgenstein aus Marzis uralter Metropole. Dann noch Fermin Romero de Torres aus Carlos Ruiz Zafons Feder.
Ich mag grummlige Charaktere, die nicht ins Sympathieraster passen wollen. Wittgenstein ist einer davon. Er war immer ein Quertreiber und dennoch von tiefer Loyalität geprägt.
Fermin zeichent isch vor allem durch sein bewegtes Leben aus, das er versucht durch Frohnatur und Hiflsbereitschaft möglichst zu verdrängen. Auch er ist sehr loyal.

Was macht für mich einen guten Charakter aus? Seine Geschichte. Jeder Charakter verdient in meinen Augen eine Geschichte, auch wenn sie für den Plot nicht relevant ist und nur der Autor sie kennt. Aber zumindest er sollte sie kennen. Denn dann weiß er auch, mit wem er es zu tun hat. Dabei kann der Charakter auch Klischees bedienen. Seine Geschichte wird begründen, wieso er klischeehaft ist. Eine Charaktergeschichte macht zwar eine Menge Arbeit, aber ich finde das wesentlich hilfreicher als hohle Steckbriefe. Natürlich kann es vorkommen, dass der Charakter nicht viel von dem Plot hält. Manchmal passt da einfch die Chemie nicht. Man sollte uaf den Charakter hören udn ihn nicht in Rollen pressen, in denen er sich nicht wohl fühlt. Ich denke, man erschafft wesentlich lebendigere Charaktere, wenn man in Charakteren nicht nur ein Mittel zum Zweck bzw. ein literarisches Werkzeug sieht, sondern tatsächlich kleine Persönlichkeiten, die zwar nicht real existieren, aber in unserer Gedankenwelt.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: HauntingWitch am 26. Februar 2016, 13:01:14
Zitat von: Denamio am 24. Februar 2016, 22:16:51
Flache Charaktere enstehen für mich, wenn an der Stelle stur weitergeschrieben wird, weil der Plot es so braucht. Echte Menschen funktionieren auch nicht nach Schubladen, wenn wir es auch ständig versuchen.
Wenn ich in dem Fall dem Charakter aber eine Handlung aufzwinge, die zwar beim plotten Sinn macht und auch logisch herleitbar ist, aber dem Charakter eigentlich garnicht passt - dann wird die Figur in dem Moment leblos und flach. Eine Schablone die nach einem Schema arbeitet.

Ich glaube, du hast gerade einen ganz grossen Knoten bei mir gelöst. ;D Danke, dass du deine Gedanken mit uns teilst. :knuddel: Das stimmt, meine Charaktere sind - abgesehen davon, wie gut ich sie kenne - oft auch dann flach, wenn sie dem Plot entsprechen sollen oder ich den Plot unbedingt vorantreiben möchte, ohne Rücksicht auf sie zu nehmen.

Noch etwas zu den Klischees: Die kommen ja auch irgendwoher, das hat ja nicht einfach mal jemand festgelegt und dann war es so. Ich finde, es kommt da sehr drauf an, ob es gut gemacht ist. Eine gut dargestellte Figur, die hauptsächlich einem einzigen ganz bestimmten Typ (oder Klischee) entspricht, kann auch interessant sein. Ich denke gerade wieder an "Nashville", Liam da, das ist ein ganz bestimmter Typ Mann, den es aber gibt und in Realität genau so ist. Das finde ich gut gemacht, weil es einfach realistisch ist. Klischee, aber eben auch Realität. Ich denke, Klischees sind vor allem dann schlecht, wenn sie gekünstelt wirken. Wenn eine Figur nur da ist, um das Klischee zu erfüllen oder eben hineingequetscht wird.
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Trippelschritt am 27. Februar 2016, 13:12:00
Und schwupps sind wir wieder bei einem ganz großen Missverständnis. Ein Klischee ist kein Typ. Eine figur, die einem Typ entspricht, kann zu einem Klischee werden, muss es aber nicht. Das hängt ganz zentral von den Figureneigenschaften ab, die der Autor wählt.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: HauntingWitch am 27. Februar 2016, 16:31:34
Zitat von: Trippelschritt am 27. Februar 2016, 13:12:00
Und schwupps sind wir wieder bei einem ganz großen Missverständnis. Ein Klischee ist kein Typ. Eine figur, die einem Typ entspricht, kann zu einem Klischee werden, muss es aber nicht. Das hängt ganz zentral von den Figureneigenschaften ab, die der Autor wählt.

Aber wo ist dann die Grenze?
Titel: Re: Figuren - Vermeidung von Klischees
Beitrag von: Cailyn am 28. Februar 2016, 07:34:22
Zitat von: Trippelschritt am 27. Februar 2016, 13:12:00
Und schwupps sind wir wieder bei einem ganz großen Missverständnis. Ein Klischee ist kein Typ. Eine figur, die einem Typ entspricht, kann zu einem Klischee werden, muss es aber nicht. Das hängt ganz zentral von den Figureneigenschaften ab, die der Autor wählt.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Können wir uns nun von dieser Klischee nicht Klischee-Diskussion wieder abwenden? Ich habe bereits geschrieben, dass ich den Thementitel insofern nicht gut gewählt habe. Sorry dafür. Es geht nicht um Klischee behaftete Charaktere, sondern um langweilige, platte und uninteressante. Natürlich gehört hier das Klischee auch mit rein, weil klischierte Charaktere unter Umständen auch langweilig sein können. Aber ansonsten geht es hier nicht um die Definitionen, sondern wirklich darum, ob eine Figur / ein Prota interessant genug für ein Buch ist oder nicht. Vielen Dank fürs Verständnis.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: LinaFranken am 28. Februar 2016, 12:40:01
Dann werfe ich mal folgenden Gedanken in die Runde:
Was platte/eindimensionale Charaktere angeht, da habe ich oft das Problem, das bei einer größeren Menge an Charas, irgendwann die Gefahr entsteht, das sich zwei vom Aufbau so ähneln, dass sie dadurch abgewertet werden und platt, sozusagen "aus der Retorte" erscheinen. Ich versuche das zu lösen, indem ich mir beide vor der selben Aufgabe vorstelle und dann ihre unterschiedlichen Reaktionen notiere, aber es ist schon schwieriges Problem bei Reihen.  ::)
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Culham am 28. Februar 2016, 12:56:56
Hallo,
Ich stimme vielem von dem was bereits gesagt wurde zu. Aber was mir noch aus meiner Rollenspielerzeit bewusst ist, ist das weniges so nervt, wie wenn man das Gefühl hat, dass die Notwendigkeiten der Geschichte alles andere überstrahlen. Als Spieler/Leser bekommt man oft ein Gespür dafür worauf der Spielleiter/Schriftsteller hinaus will. Charaktere, deren Besonderheiten scheinbar nur das Ziel haben diesen Ausgang der Geschichte zu begünstigen oder zu ermöglichen haben mich da immer genervt. Wenn ein Charakter scheinbar entwickelt wurde um der Geschichte zu dienen statt ein eigenes Leben zu besitzen wirkt er auf mich flach und leer, ganz egal wie sorgsam er ansonsten ausgeklügelt wurde. Viel spannender ist es wenn die Charaktere sich den Notwendigkeiten der Geschichte widersetzen und so vielleicht sogar zu einem neuen Ausgang führen. Dann verzeihe ich vieles...
Ansonsten sollte man meiner Meinung versuchen so viele Klischees wie möglich zu meiden... Wenn es eine Heldengruppe gibt mit Priester/Ordensritter, Krieger/Söldner, Magier (egal ob erfahren oder tölpeliger Novize), Bogenschütze (oh ein Elf!), ihr seht schon worauf ich hinauswill, muss man sich schon sehr anstrengen, damit es nicht flach wirkt...
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Entropy am 28. Februar 2016, 13:10:26
Zitat von: Lina Franken am 28. Februar 2016, 12:40:01Was platte/eindimensionale Charaktere angeht, da habe ich oft das Problem, das bei einer größeren Menge an Charas, irgendwann die Gefahr entsteht, das sich zwei vom Aufbau so ähneln, dass sie dadurch abgewertet werden und platt, sozusagen "aus der Retorte" erscheinen.

Das ist wirklich ein Problem bei Geschichten oder Reihen mit sehr vielen Charakteren, denn irgendwann greift man auch auf dieselben Charaktertypen zurück. Was an sich auch kein Problem wäre. Manche Menschen ähneln sich, andere weniger. Der Punkt ist, dass trotzdem alle Menschen unterschiedlich sind und da muss man sich überlegen, warum. Wenn man diesem Gedanken verfolgt ist die Abhilfe für dieses Problem eigentlich recht einfach: Mehr Details! Klar, vor allem bei Nebencharakteren ist es nicht sinnvoll tausende Charakterdetails in das Buch einfließen zu lassen, aber darum geht es auch nicht. Wenn du bemerkst, dass sich zwei Charaktere zu sehr ähneln, gib einem von ihnen ein besonders auffälliges äußerliches oder charakterliches Merkmal. Das kann ein ungewöhnliches Hobby, eine Macke, eine ungewöhnliche Lebenseinstellung, ein Geheimnis, ... sein. Es muss etwas sein, dass auch ohne großes Kennenlernen auffällt und genau diesen Charakter von allen anderen Charakteren, insbesondere denen, die ihm ähnlich sind, unterscheidet. So mache ich es zumindest immer.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 29. Februar 2016, 09:55:07
Ich denke, wenn man zwei ähnlich scheinende Charaktere hat, dann zeigt sich die Differnz dann eher in bestimmten Situationen.
Als Beispiel: zwei schüchterne Menschen, die wenig reden und wenig von sich preis geben. Was passiert mit denen, wenn sie zum Beispiel total betrunken sind.
Charakter A kommt dann plötzlich total aus sich heraus, wird sogar übergriffig, überdreht oder aggressiv.
Charakter B legt sich irgendwo in eine Ecke und verpennt die Party.
Na, so in der Art zeigen sich dann die Unterschiede hinter der gleichen Fassade. Dazu müsste man - wenn es wichtige Figuren sind - die Motivation dahinter kennen. Ist eine Verhaltensart wirklich das Naturell dieser Person? Oder gibt es unterdrückte Impulse? Wiedersprüche?

ZitatCharaktere, deren Besonderheiten scheinbar nur das Ziel haben diesen Ausgang der Geschichte zu begünstigen oder zu ermöglichen haben mich da immer genervt.

Ja, das ist halt eben zu durchschaubar. Meistens sollte es ja genau umgekehrt sein. Dass man ein Ziel hat und Charaktere schafft, welche dieses Ziel erschweren. Das bringt dann Spannung in die Sache. In meinen Geschichten ist das häufig so, dass es um einen klassischen Rahmen geht, wo Helden die Welt retten sollten. Nur sind diese Helden im Grunde alles andere als heldenhaft. Daraus ergeben sich für mich die meisten Handlungen.
Bei Nebencharaktere ist es aber schwierig, sie nicht als Mittel zum Zweck zu nutzen. Müssen sie das manchmal nicht sein? Ich meine, sonst würde es vielleicht einfach zu verworren.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Schneerabe am 02. März 2016, 12:32:36
Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Kleinfinger aus ASoIaF/Game of Thrones wegen seines eiskalten Kalküls, dass er mit einer Prise Größenwahn würzt und weil er zu den intelligentesten Charakteren dort gehört (zumindest nach meinem Empfinden) er ist ja ein wenig wie die 'alten Bösewichte' (Er will 'einfach alles' so ähnlich wie Bösewichte damals die Weltherrschaft) nur das es bei ihm anders rüberkommt und irgendwie durch seine Backstory glaubhaft ist. Das die nicht zu dramatisch ist sondern realistisch aber ihn trotzdem für mich überzeugend zu der Person machen konnte die er heute ist, ist nochmal ein Bonuspunkt. Er hat sich einfach auf die grausame Welt aus GoT eingestellt und nutzt sie nun. Das er darüber nicht vollkommen eiskalt ist macht ihn für mich lebendiger, er hat ja seine Schwäche für Sansa. Das er so undurchsichtig und unberechenbar ist macht ihn als Figur ja auch nochmal spannend.

Luna Lovegood aus Harry Potter. Einfach weil es wenige dieser konsequent weltabgewandten vollkommen unabhängigen Leute gibt die es einfach überhaupt nicht kümmert was andere Denken die ihre Überzeugungen haben und einfach daran festhalten. Das sie so zu sich selbst steht macht sie mir sehr sympathisch.  :D


Und ansonsten regen mich Charaktere am meisten auf die dann gegen Ende der Geschichte eine a) unrealistisch und meist noch b) unnachvollziehbare/ zu sprunghafte Wandlung durchmachen (welche sie meist noch ihrer wenigen interessanten Facetten beraubt)
Paradebeispiel: Der klischeegerechte obligatorische 'Bad-Boy' der Romantasy der meist multiple psychische Schäden aufweist, aber gegen Ende der (meist) Trilogie auf wundersame Weise von der flunderflachen Heldin kuriert wird. Jahrzehnte und Jahrhunderte langes Leid, Neurosen, Posttraumatische Belastungsstörungen oder psychopathische Züge - alles kuriert wenn er diejenige welche trifft - und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende... Müsste ein Mädchen das sich in so einen gestörten Mann verliebt/ ihn dem geistig Gesunden noch vorzieht - den Bösen Buben nicht eigentlich verlassen sobald er sie nicht mehr missbraucht/ töten will/ lieb und nett ist? Ich mein ja nur...
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 04. März 2016, 08:45:11
Hallo Schneerabe

Vielen Dank für deine Antwort.

Das Beispiel mit dem BadBoy, der plötzlich gewandelt ist, liess mich etwas schmunzeln. Ja, das wäre dann wirklich schlecht geschrieben. Diese Wandlung gibt es natürlich schon, aber das muss von langer Hand aufgebaut werden. Plausibler finde ich da schon eher, dass so eine Figur sich mal in einer bestimmten Hinsicht verändert. Bei Romantasy könnte das aufgrund einer Frau sein, mit der er dann seine liebenswürdige Seite aufleben lässt, jedoch in anderen Belangen wäre er immer noch der coole Stinkstiefel. So etwas würde ich akzeptieren. Aber vom Baddy zum Goodie... nein, das kauft man dem dann nicht ab.

Hier übrigens noch meine Lieblingsfiguren aus der Buchwelt:
- Harry Hole aus den Jo Nesbö-Krimis (weil er ein komplizierter Antiheld ist, der sich wirklich nur sehr langsam verändert und auch immer wieder mal einen Schritt rückwärts macht)
- Arya Stark aus GOT, weil bei ihr das kindliche mit diesem widersprüchlich Erwachsenen, Abgebrühten so wunderbar beschrieben ist.
- Jamie Fraser aus Outlander, und das obwohl er total klischiert ist, aber ich kann mich an ihm nicht genügend ergötzen - Frauentraum schlechthin.
- Galowglass aus der Romantrilogie von Deborah Harkness. So einen möchte ich gerne als besten Kumpel haben. Er ist ein gutherziger Grobian, freiheitsliebend, rebellisch und gleichzeitig ein unglaublich loyaler Freund gegenüber jenen, die er mag.
- Eddy, Protagonistin aus Anida von Susanne Gerdom, welche mit ihren ironischen Gedankengängen meine Leseabende erheiterte
- Karl Schmidt aus Magical Mystery von Sven Regener, weil er als der kämpferischste Antiheld ist, von dem ich je gelesen habe
- Uthred aus der Saga von Bernard Cornwell. Er ist auf Rache aus und überzeugt mich, dass es so sein muss. Das gelang bislang noch keiner Figur.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Vic am 06. März 2016, 20:08:17
Ich mag Figuren, die "aktiv" sind und deren Handlungen ich nachvollziehen kann (auch wenn sie ganz dämliche oder schreckliche Dinge tun). Am schlimmsten sind für mich "passive" Figuren die ewig lange leidend in der Ecke liegen und sich von der Handlung hin und herschubsen lassen.
Auch nichts anfangen kann ich mit Einzelgängern, die immer nur für sich bleiben wollen.
Ich mag Charaktere, die intelligent sind (wobei es ja durchaus verschiedene Arten von Intelligenz gibt ;), die sich zu helfen wissen, die sehr leidenschaftlich für oder gegen etwas sind und die versuchen sich mit anderen zu arrangieren.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 07. März 2016, 09:27:40
Interessant, wer wen warum bevorzugt.
Bei mir zum Beispiel ist Intelligenz überhaupt nicht wichtig, damit eine Figur spannend ist. Aber du schreibst ja, dass du Intelligenz als variabel ansiehst und es in deinem Sinne auch mehr mit Engagement zu tun hat.
Ja, passive Charakteren sind schwierig zu mögen. Ich mag mich jetzt auch nicht erinnern, jemals eine passive Figur gemocht zu haben.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: canis lupus niger am 08. März 2016, 23:08:55
Auch ein Simpel kann ein Charakter sein, an dessen Erlebnissen man regen Anteil nimmt. Nur müssen dann die Ereignisse eben anspruchsvoll und interessant gestaltet sein. Über eine langweilige und platte Persönlichkeit, auch noch mit langweiligen Erlebnissen will garantiert keiner lesen!
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 10. März 2016, 09:01:58
Das wäre dann auch interessant zu sehen, wie ein Simpel z.B. auf eine Extremsituation reagiert. Vielleicht würde dann aus dem Simpel ein "Unsimpel"  ;)
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: canis lupus niger am 10. März 2016, 18:56:09
Zitat von: Cailyn am 10. März 2016, 09:01:58
Das wäre dann auch interessant zu sehen, wie ein Simpel z.B. auf eine Extremsituation reagiert. Vielleicht würde dann aus dem Simpel ein "Unsimpel"  ;)

Wie Bauernjunge Miched in meinem Drachenroman ...  ;D Ist nicht der Schlaueste, spielt auch nur eine Nebenrolle, obwohl er einer der wechselnden Perspektivträger ist, wird übel gemobbt, macht einmal einen tragischen Fehler (unter dem jemand anderes schwer zu leiden hast), macht ein andermal etwas sehr Gutes, von dem aber niemand jemals erfahren wird, und übt am Ende eine enscheidende Schlüsselfunktion aus. Ich fand es cool, dass ein Betaleser zwischendrin mal schrieb, er würde den Charakter nicht mögen, weil der so erbärmlich wäre. Genau so sollte es sein.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 11. März 2016, 09:06:19
Armer Miched. Aber der Leser erfährt schon, dass er auch was Gutes tut?
Ja, manchmal braucht es solche ärmlichen Armleuchter. Die gibt es ja im Leben auch. In einer Nebenrolle ist das sowieso total ok. Wenn es ein Prota wäre, hätte ich aber auch Mühe mit ihm.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Siara am 11. März 2016, 15:24:19
Viele behaupten ja, ein Charakter müsse konsistent sein und dürfe sich in seinem Denken oder Handeln nicht selbst widersprechen. Allerdings machen gerade Widersprüche für mich einen Charakter vielschichtig - solange sie überlegt gesetzt sind. Sicherlich hat jeder Mensch gewisse Prinzipien, reagiert in gewissen Situationen auf eine charakteristische Weise oder hat Angewohnheiten, Unsicherheiten und Vorlieben, die ihn prägen. Aber niemand handelt immer nach Plan, immer so wie erwartet. Der ruhige und schüchterne Kellner im Café kann an einem Tag plötzlich gesprächig und gut gelaunt sein, nur um am nächsten wieder schweigend die Tische zu wischen. Die unternehmungslustige Mitbewohnerin kann sich an einem Tag in ihr Zimmer zurückziehen und einfach die Zeit allein genießen. Die eingebildete Ziege in der Schule kann, als die Neue ausgegrenzt wird, sich ihrer annehmen und mitfühlend sein. Natürlich muss es für diesen Ausbruch aus dem Gewohnten immer einen Grund geben, eine bestimmte gemachte Erfahrung oder etwas, das unmittelbar vorher passiert ist und Einfluss auf die Stimmung genommen hat. Trotzdem: Wenn jemand "vielschichtig" ist, bedeutet das eben, dass gewisse Schichten die meiste Zeit über verborgen sind. Um das deutlich zu machen, muss man sich hin und wieder in den Vordergrund treten lassen.

Eine andere Sache ist für mich das Weglassen von Erklärungen, die ebenfalls zur Lebendigkeit eines Charakters beitragen können. Bei Perspektivträgern gilt das nicht, schließlich sehen wir die Welt durch ihre Augen und wollen wissen, warum sie wann wie denken und fühlen. Aber bei Nebencharakteren will ich gar nicht unbedingt wortwörtlich vorgekaut bekommen, warum er eine Entscheidung trifft oder eine Verhaltensweise an den Tag legt. Ich benutze gerne das Bild eines Eisberges, dessen mehrere Spitzen aus dem Wasser ragen. Man sieht zwar nur die Spitzen, kann aber mit ihrer Hilfe erahnen, wie die Form des großen Ganzen darunter aussieht. Wenn man im realen Leben Menschen begegnet, hat man ein solches verborgenes Ganzes vor sich, das man sicherlich nie vollkommen durchschauen kann. Aber während man sie kennen lernt, tauchen immer mehr Spitzen des Eisberges auf. Man entwickelt ein Gefühl für ihr Wesen.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 11. März 2016, 15:30:31
Finde ich auch, Siara. Menschen sind so komplex, dass sie nicht immer genau so oder so sind. Nur denke ich, dass man beim Schreiben es doch so darstellen sollte, dass der Leser weiss, dass es Absicht war und nicht eine Unstimmigkeit. Wenn eine schüchterne Figur plötzlich aufbraust, würde ich es so formulieren, dass der Leser es als Absicht erkennt. z.B. würde ich schreiben: "Der sonst so schüchterne Junge, stampfte auf und ..." Erklären muss man es bei einer Hauptfigur nicht, aber die bewusste Absicht müsste erkennbar sein.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: HauntingWitch am 11. März 2016, 15:42:50
Zitat von: Siara am 11. März 2016, 15:24:19
Ich benutze gerne das Bild eines Eisberges, dessen mehrere Spitzen aus dem Wasser ragen. Man sieht zwar nur die Spitzen, kann aber mit ihrer Hilfe erahnen, wie die Form des großen Ganzen darunter aussieht. Wenn man im realen Leben Menschen begegnet, hat man ein solches verborgenes Ganzes vor sich, das man sicherlich nie vollkommen durchschauen kann. Aber während man sie kennen lernt, tauchen immer mehr Spitzen des Eisberges auf. Man entwickelt ein Gefühl für ihr Wesen.

Dieses Bild wird übrigens auch im Geschäftsleben beim Thema Kommunikation gerne verwendet. Da geht es aber meistens eher darum, dass eine bestimmte Verhaltensweise bzw. Antwort des Gegenübers nur den oberen Teil des Eisberges darstellt, also das über dem Wasser. Nur, unter dem Wasser ist der Eisberg um ein Vielfaches grösser. Das stellt in diesem Bereich all die Dinge da, die eine Person zwar beeinflussen, die sie aber nach aussen nicht zeigt.
Wir hatten da mal ein schönes Beispiel in einem Kurs. Der Bauleiter hat einen Handwerker zusammengestaucht, weil dieser die Arbeit nicht richtig gemacht hatte. Daraufhin ist dieser ebenfalls ausgerastet (oberer Teil des Eisbergs). Der Handwerker indessen, war nicht ganz bei der Sache, weil er zuvor einen Streit mit seiner Frau hatte, weil seine Firma finanzielle Probleme hatte (unterer Teil des Eisbergs). Der Bauleiter quälte sich schon seit zwei Jahren mit dieser unmöglichen Baustelle, bei der einfach alles schief ging und jeder Fehler einen riesigen Rattenschwanz nachzuziehen schien (unterer Teil des Eisbergs).
Ich fand das total spannend, weil man das direkt auf Romanfiguren übertragen kann. Wenn man so etwas in einem Roman schreibt, erlebt der Leser vielleicht den Dialog zwischen den beiden und erfährt ein bisschen etwas über ihre Gefühle oder ihren Charakter. Aber die ganzen Probleme unter diesem Streit, die unmittelbar mit den Charakteren selbst zu tun haben, muss man gar nicht erklären, jedenfalls nicht in dieser Szene.

Das mit den Widersprüchen halte ich für einen Trugschluss. Menschen sind doch widersprüchlich! Man kann glauben, jemanden zu kennen und eines Tages tut er etwas, das einen völlig verwirrt und ratlos zurücklässt. So etwas häufiger vor, als man denkt.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Trippelschritt am 11. März 2016, 20:31:53
Selbstverständlich kann man einen widersprüchlichen Menschen darstellen und sogar zum Protagonisten machen, wenn diese Widersprüchlichkeit eine bestimmte Funktion innerhalb des Plots hat. Wenn sie willkürlich ist, wird sie beliebig und Beliebigkeit ist das Tod jeder Geschichte. Dass es jede Menge widersprüchliche Menschen in der Welt gibt, stimmt zwar, aber heißt das wirklich, dass wir es deshalb auch in unseren Geschichten so halten sollten? Da fallen mir die Dialoge ein. In wirklichkeit sprechen die Menschen nicht so, wie Schriftsteller ihre Dialoge schreiben. Gut so, denn nichts ist langweiliger als Leuten beim Reden zuzuhören.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Siara am 11. März 2016, 23:06:14
@Trippelschritt: Es stimmt natürlich, dass Realismus nicht ausreicht, um einer Begebenheit im Roman Daseinsberechtigung zu verschaffen. Andernfalls würden wohl vorwiegend ziemlich langweilige Bücher entstehen. Aber in diesem Thread ging es ja darum, was Figuren vielschichtig, lebendig und interessant macht. Eine Figur ohne Widersprüche stelle ich mir leicht durchschaubar vor, und dadurch auch nicht sonderlich aufregend. Vor allem passiert es leicht, dass solche Figuren in Klischees abrutschen. Der edle Ritter. Die Rebellin. Der strenge Vater. Die ruppige Köchin. Solche Stereotypen werden für mich erst durch Ecken und Kanten zu tiefgründigen Charakteren, und zu diesen Ecken und Kanten gehören auch Widersprüche - in ihrem Wesen und/oder in ihrem Verhalten. Das ist für mich Daseinsberechtigung genug. Für den Plot muss es in meinen Augen gar nicht unbedingt Relevanz haben.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Culham am 12. März 2016, 10:52:57
Widersprüchlichkeiten in der Figur sind wichtig. Und ich sehe es auch so, dass es tödlich ist, diese alle haarklein zu analysieren (wozu ich manchmal neige). Der Leser ist nicht dumm und möchte manchmal auch ein kleines Geheimnis haben. Meines Erachtens ist aber trotzdem  manchmal wichtig zumindest in einen Nebensatz anzudeuten, dass anderen dieser Widerspruch auffällt, sie sich wundern oder so. Damit nicht der Eindruck entsteht der Schriftsteller habe keine Ahnung was er tut... (Zumindest so lange bis der Leser dem Schriftsteller vertraut).

Zum Thema passive Figuren. Man hört immer, dass Figuren aktiv sein müssen. Dem stimme ich grundsätzlich zu. Trotzdem ist eine meine Hauptfiguren zaudernd, ängstlich und selbstunsicher, grübelnd und an sich selbst verzweifelnd. Es wird sich im Verlauf bessern, aber nie ganz verschwinden (was unrealistisch wäre). Damit das funktioniert muss die Handlung und die Nebenfiguren interessant sein... Ist ein Versuch. Ich fand dass auch solche Figuren mal vom Schicksal als Hauptakteur ausgesucht werden sollten. Ich hoffe sehr dass es funktioniert.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: FeeamPC am 12. März 2016, 13:38:14
Platte Charaktere sind meist einfach nur Charaktere, über die wir zu wenig wissen. Andererseits ist der Reiz auch weg, wenn der Leser von vorneherein alles über den Charakter auf dem Silbertablett präsentiert kriegt.
Es mus genügend im Dunkeln bleibven, damit auch im letzten Kapitel, in dem der Charakter noch auftaucht, eine Überraschung möglich ist für den Leser. Nicht unbedingt etwas völlig Neues (der Held entpuppt sich als Bösewicht), sondern zum Beispiel eine Eigenschaft, die der Charakter anfangs hatte, nachvollziehbar verlor im Verlauf der Geschichte (er hat ursprünglich an das Gute im Menschen geglaubt, ist aber durch seine Erlebnisse davon abgekomme) und die dann plötzlich wieder aufflackert (überraschend handelt er noch einmal nach diesem schon verloren geglaubten Ideal), und der Geschichte damit eine neue Wendung gibt.

Damit hat nicht nur der Leser eine logisch nachvollziehbare Überraschung, sondern oft auch der Autor und damit der Charakter selbst.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Trippelschritt am 12. März 2016, 14:30:06
@ Siara
Vielleicht habe ich mich zu knapp ausgedrückt. Aber mir ging es darum, dass Widersprüchlichkeit nicht automatisch zu dreidimensioneln, interessanten Figuren führt. Und dass Widersprüchlichkeit kein Schriftstellerischer Wert an sich ist, nur weil Menschen in der realen Welt auch immer widersprüchlich ist.  Es gibt außer Widersprüchlichkeit noch unzählige andere Wege zu großartigen Figuren und wenn ich auf Widersprüchlichkeit setze als meine von mir gewählte Möglichkeit, dann kommt es meines Erachtens ganz enrscheidend darauf an, wie ich diese Möglichkeit umsetze. Und wenn Widersprüchlichkeit für meinen Prota wähle, dann sollte ich sie nicht mehr für andere Figuren wählen, weil ich dann die von mir geplante Wirkung abschwäche.
Wenn ich mich richtig erinnere - ich schaue gleich noch einmal nach - entstand die Diskussion aus einem Widerspruch, dass Figuren in sich konsistent oder kohärent sein sollen. Und diesen Widerspruch sehe ich leider überhaupt nicht. Aber vielleicht gab es da Schwierigkeiten mit den Begriffen. Es ist nicht ganz einfach, da präzise zu bleiben, so dass mich das nicht wundern würde.

Kurzum: Wiedersprüchlichkeit in einer Figur ist ein interessanter Ansatz, wenn man weiß, damit umzugehen. In keinem Fall gelingt es mir einfach dadurch, dass ich eine Figur so anlege, dass sie voller Widersprüche ist, interessante Figuren zu produzieren. Diese kleine Warnung wollte ich formliert haben.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Churke am 12. März 2016, 14:40:21
Menschen sind nicht immer so, wie sie sich geben, und geben sich nicht immer so, wie sie sind. In Extremsituationen ist es da völlig normal, dass sie sich von einer anderen, vielleicht unerwarteten Seite zeigen. Das sehe ich auch nicht als Widerspruch, weil es in der Figur angelegt ist.

Auf einem anderne Blatt stehen Figuren, die Ding tun, die sie normalerweise nie tun würden, weil der Autor leider gerade im Plothole steckt und sich nicht anders zu helfen weiß. So etwas fällt auf und es wirkt auf den ersten Blick unglaubwürdig.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Mailor am 12. März 2016, 16:47:07
Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euchsonders ans Herz gewachsen? Und warum?

:D Ich muss gestehen, die Frage hat mich eiskalt erwischt. Ich habe mir nie einen Kopf darum gemacht, ob ich eine Figur mag und jetzt echt lang darüber nach gegrübelt. Ich tu mich grundsätzlich schwer damit zu werten. Ich glaube von der Persönlichkeit her mag ich die meisten Figuren in den Büchern, die ich lese, nicht. Sie erleben jedoch interessante Geschichten. 

Nach noch längerem Grübeln...
Wen ich mochte und gut ausgearbeitet finde:

Fuchur (unendliche Geschichte) - Ich finde ihn sehr wirklichkeitsnah (insofern das bei einem Drachen überhaupt geht) und einen richtigen Typ, sehr sympathisch und gut fassbar.
McGonagall (Harry Potter) - Ich fand sie sehr facettenreich, zu Beginn sehr stereotypisch, doch im Laufe der Bücher kam immer mehr Persönlichkeit dazu, mit einigen interessanten, unerwarteten, aber passenden Seiten.
Königin Jadis (Im ersten Buch - die Chroniken von Narnia) - Mein Lieblingsbösewicht, konsequent ausgespielt würde man im Rollenspiel sagen ;), sie war überzeugt, von dem was sie ist, was sie tut, was sie will.

Ich glaube ich mag Figuren, mit einer "festen" Persönlichkeit.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

Ich hatte das Problem bei einem der Charaktere in meinem Kinderhörspiel.
Da war die Motivation aus der er handelt irgendwie nicht so richtig klar (Was will er eigentlich? Woher kommt seine Verletzlichkeit? Warum hilft er, obwohl er doch eigentlich so ein ruppiger, unfreundlicher Typ ist?) Ich habe mich dann hingesetzt und eine richtige Hintergrundgeschichte für ihn ausgearbeitet, die erklärt warum er so geworden ist, wie er geworden ist und was er sich eigentlich insgeheim wünscht. Letztendlich hat sich in der Endfassung nicht viel geändert nur hier und da mal ein kleiner Satz, eine betretenes hin und her Treten und unwirsches Grummeln. Dann an der richtigen Stelle einen kurzen wütender Monolog und alles war klar. Persönlichkeit entsteht aus Interaktion (der Figur mit sich selbst und anderen) und natürlich daraus, dass man als Autor die Figuren, die man schreibt, sehr gut kennt. Ich glaube Figuren mit einer Lebensgeschichte sind nicht platt und eindimensional, trotzdem können sie natürlich ganz stereotyp sein.

Tante Edit - Nachtrag:
Was mir auffällt ist, dass viele Hauptfiguren in Fantasyromanen einfach nur reagieren (das hat Vic so schön geschrieben) und selten aus eigenem Antrieb heraus handeln. Sondern meist nur, weil sie halt das tun, was getan werden muss, beziehungsweise, um sich aufzulehnen, bockig sind oder halt einfach das "richtige" tun. Daraus entsteht für mich kaum Persönlichkeit. Viele werden halt in eine Geschehen geworfen und müssen sich damit arrangieren und machen das meist auf recht ähnliche weise. Für mich wird es dann interessant, wenn die Figur nicht zum Handeln gezwungen ist, sondern einfach mal so was tut. Ich find es auch interessant, wenn Figuren auf klassische Situationen komplex oder untypisch reagieren. Ich spiele da gern gedanklich Szenarien durch: Wie könnte sie noch reagieren, wie auf gar keinen Fall (lass sie spaßeshalber trotzdem mal so reagieren)?  Und schreib einfach mal wild alles auf, da kommen teilweise ganz spannende Sachen bei raus.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Fianna am 12. März 2016, 18:12:36
Zitat von: FeeamPC am 12. März 2016, 13:38:14
Platte Charaktere sind meist einfach nur Charaktere, über die wir zu wenig wissen. Andererseits ist der Reiz auch weg, wenn der Leser von vorneherein alles über den Charakter auf dem Silbertablett präsentiert kriegt.
Würde ich nicht so direkt unterschreiben. Für mich kommt es stark darauf an, wie Informationen transportiert werden.
Beispielsweise erwähnt mein Protagonist, das Person X irgendeine Handbewegung genau wie sein Freund macht. Man weiß als Leser schon, dass der Freund weit weg und offensichtlich tot ist.
Wenn also mehrere Absätze oder einige wenige Seiten später Person X in einer drohenden Konfrontation wieder mal diese Bewegung macht und der Protagonist dann auf Partei dieser ihm relativ unbekannten Person einsteigt, soll der Leser natürlich die Verbindung ziehen, dass es wegen dieser Erinnerung an seinen Freund ist, den er nicht beschützen konnte.
Schreibe ich das Ganze dagegen genau aus, wird es nicht nur monologisch, sondern (finde ich) auch langweilig.


Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Kare am 12. März 2016, 20:51:30

Welche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euchsonders ans Herz gewachsen? Und warum?

Ich mag meistens, warum auch immer, gerade die Nebencharas. Einen Sirius Black bei HP. Einen Theon bei G.R.R.M. Die Kreuzotter bei "Als die Tiere den Wald verließen"  ;D Finnick bei "Hunger Games" . Lord Vetinari in der "Scheibenwelt"
Also irgendwie ein wenig düstere, gebrochene, eigensinnige, zynische, intrigante Gestalten. Eigentlich nie klassische Helden.

Und wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?

Ich muss gestehen, das kenne ich so gar nicht. Ich habe Figuren, die ich manchmal anfangs noch schlecht "fühlen" kann, dann muss ich ihre Vergangenheit kennen lernen. Für manche Figuren schreibe ich dazu Kurzgeschichten. Oder für wichtige auch mal nur 130 Seiten Biographie.

Wichtig ist mir für eine fühlbare Person:

- sie ist nicht immer auf gleichem Energieniveau, es gibt Veränderungen, gute und schlechte Tage, Stimmungswechsel, Situationen in denen sie glänzt und solche, in denen sie versagt. Sie ist nicht konstant.

- sie zeigt in verschiedenen Situationen und auch gegenüber verschiedenen Personen unterschiedliche Seiten von sich. Jeder von uns spielt Rollen. Arbeitswelt ist anders als Familie. Das will ich gerne auch in einem Fantasy-Roman merken.

- ich will spüren, was eine Person antreibt. Ich will es nicht nur hingeworfen bekommen vom Autor: XY sucht ABC, weil...  Nein, ich will dieses verdammte Motiv spüren können, in dem, was dieser Chara tut, hofft, denkt, redet.

Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 13. März 2016, 09:20:53
Kare und Mailor
Auch euch vielen Dank für die Antworten.

Aus einigen Lieblingsfiguren, die hier in diesen Thread genannt wurden, leite ich auch ein paar Büchertipps ab, die ich mal notiere  :)
Und ganz generell überlege ich mir, am Ende mal zusammenzufassen, was eine interessante und spannende Figur ausmacht.

Zitat von: FeeamPC am 12. März 2016, 13:38:14
Nicht unbedingt etwas völlig Neues (der Held entpuppt sich als Bösewicht), sondern zum Beispiel eine Eigenschaft, die der Charakter anfangs hatte, nachvollziehbar verlor im Verlauf der Geschichte (er hat ursprünglich an das Gute im Menschen geglaubt, ist aber durch seine Erlebnisse davon abgekomme) und die dann plötzlich wieder aufflackert (überraschend handelt er noch einmal nach diesem schon verloren geglaubten Ideal), und der Geschichte damit eine neue Wendung gibt.

Finde ich ein passendes und gutes Beispiel.  :jau:

Trippleschritt
Doch, ich finde schon, dass Widersprüchlichkeit etwas mit Mehrdimensionalität zu tun hat. Mehrdimensional heisst ja, dass eine Figur nicht nur schwarz oder weiss ist, sondern verschiedenfarbig und auch verschieden"förmig". Ist eine Figur nur lieb, nur böse, nur streng, nur ängstlich, dann ist sie eindimensional, weil sie in jeder Lebenssituation so dargestellt wird. Aber weil echte Figuren eben verschiedene innere Persönlichkeitsanteile haben sollten, führt das auch zu Widersprüchlichkeiten. Natürlich heisst mehrdimensional nicht nur, dass die Figur widersprüchlich ist, aber das ist bestimmt darin enthalten.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 21. März 2016, 15:27:23
Ich dachte mir, so ein Thread mit vielen hilfreichen Ansichten, Meinungen und Tipps verdient eine Zusammenfassung, so dass man das auch fürs eigene Schreiben nutzen kann. Mir haben eure Antworten zumindest sehr geholfen und mir neue Anreize geben.

Ich habe die spannenden Figuren aus der Literatur zusammengestellt und all eure Antworten in kleine Bereiche unterteilt. Ähnliche oder gleiche Punkte habe ich zusammengenommen und vieles in 1-2 Sätze gekürzt, damit eine gewisse Übersicht besteht. Natürlich sind alle einzelnen Punkte immer noch Ansichtssache und entsprechen nicht jeder und jedem. Was man damit macht, ist natürlich jedem selbst überlassen.
Wer noch weitere Anregungen hat, die er als wichtig erachtet, kann ich die selbstverständlich noch ergänzen.


Interessante und spannende Figuren aus Sicht unserer Forenmitglieder

Gevatter Tod aus ,,Gevatter Tod" von Terry Pratchett
James Bond aus der Romanreihe von Fleming
Miss Marple und Hercule Poirot aus den Romanreihen von Agatha Christie
Pipi Langstrumpf aus ,,Pipi" von Astrid Lindgren
Kate Daniels aus der Reihe ,,Stadt der Finsternis"
Inquisitor Glotka aus der Reihe von Joe Abercrombie
Raistlin Majere aus den Drachenlanze Büchern von Margaret Weis
Flora aus ,,So ruhet in Frieden" von John Lindqvist
Roland aus "Der dunkle Turm" von Stephen King
Anton Gorodetzsky aus der Wächter-Reihe von Sergei Lukianenko
Fitz Chivalry von der Farseer (Weitseher) Trilogie von Robin Hobb
Attikus O'Sullivan aus der Iron Druid Reihe von Kevin Hearne
Harry Dresden aus ,,Dresden Files" von Jim Butcher
John Taylor aus Nightside von Simon R. Green
Tyrion und Snow aus ,,Das Lied von Eis und Feuer" von George R.R.
Auri aus ,,Musik der Stille" von Patrick Rothfuss
Mortimer Wittgenstein aus ,,Die uralte Metropole" von Christoph Marzi
Fermin Romero de Torres von Carlos Ruiz Zafon
Kleinfinger aus ,,Ein Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin
Luna Lovegood aus Harry Potter von Joanne K. Rowling
Harry Hole aus den Jo Nesbö-Krimis
Arya Stark aus ,,Ein Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin
Jamie Fraser aus ,, The Outlander" von Diana Gabaldon
Galowglass aus der Romantrilogie von Deborah Harkness
Karl Schmidt aus Magical Mystery von Sven Regener
Uthred aus der Saga von Bernard Cornwell
Fuchur aus ,,Die unendliche Geschichte" von Michael Ende
McGonagall  aus der Harry Potter Reihe von Joanne K. Rowling
Königin Jadis aus ,,Die Chroniken von Narnia" von C.S. Lewis
Sirius Black aus der Harry Potter Reihe von Joanne K. Rowling
Theon aus ,,Das Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin
Die Kreuzotter aus ,,Als die Tiere den Wald verliessen" von Colin Dann
Finnick aus ,,Hunger Games" von Suzanne Collins
Lord Vetinari aus der Scheibenwelt von Terry Pratchett


Zusammengetragene Herangehensweisen, um spannende Figuren zu schaffen


Interessen, Emotionen und Gefühle


Verhalten der Figur (Aktion, Verhaltensmuster, Bewegung und Sprache)



Aussehen


Fragen, um die Figuren kennen zu lernen

Wovor haben sie Angst?
Was macht sie glücklich?
Was ist ihnen peinlich?
Was macht sie wütend?
Was wollen sie im Leben erreichen?
Was machen sie in ihrer Freizeit?


,,Für interessante und spannende Figuren gehe ich nach dem Prinzip..."



,,Für interessante und spannende Figuren vermeide ich..."




Anregungen aus dem Netz

Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Feuertraum am 04. Juli 2016, 17:25:38
Ich erlaube mir einmal, den Staub wegzupusten und diesen Thread wieder ans Tageslicht zu zerren und dabei auch noch den Part des Antagonisten einzunehmen, weil ich mir erlaube,  die Frage "Persönlichkeit statt langweilig oder platt" mit der Gegenfrage "Warum denn nicht eindimensional?" beantworten möchte.
Für mich zum Beispiel ist es eher wichtig, was die (bzw. meine) Protas erleben, in welche abstruse/skurille/absurde Situationen sie geraten und wie sie da wieder herauskommen. Darauf liegt zumindest mein Fokus, und ich finde es ehrlich gesagt nicht sonderlich prickelnd, wenn ich die Figur noch mit einem Charakter voller Stärken und Schwächen ausstatten muss, eine Biographie schreiben muss über 100 Seiten, die jedes noch so kleinste Fitzelchen erklärt, warum der Charakter in der Situation das und das tut, und wenn man dann feststellt, dass er in der Situation, in der er sich befindet, gar nicht so reagieren kann/darf, dann wird die ganze Szene weggeworfen, ganze Passagen vielleicht gestrichen. Darf ja nicht sein, passt ja nicht zum ausgearbeiteten Char.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will Charaktere nebst Stärken und Schwächen nicht verdammen und nicht über sie lästern. Sicherlich können sie einiges in einer Geschichte transportieren. Aber ich finde, dass auch flache, eindimensionale Charaktere eine Daseinsberechtigung haben, weil die Geschichte als solches im Vordergrund stehen sollte und nicht das Seelengewebe der Figuren.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Fianna am 04. Juli 2016, 17:50:02
Sowas finde ich überhaupt nicht interessant. 0815-Figuren reagieren doch auch 0815. Dann stellt sich maximal die Frage, ob der Held sich mit dem Schwert, der Axt oder dem Bogen raushaut (die er natürlich sämtlich in meisterschaft beherrscht).
Aber mit komplexeren Figuren und ihren inneren Konflikten, die sie zu unstandardisierten Handlungen motivieren, wird es doch erst richtig interessant.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Araluen am 04. Juli 2016, 20:13:30
Ich bin auch immer der MEinung, dass eine Figur "leben" muss. Man muss keine 100 Seitenbiographie verfassen, aber man muss den Charakter kennen, seine Beweggründe, einfach sein Verhalten. Mir hilft da die Vorgeschichte, aber das muss nicht immer so sein. Bei Kurzgeschichten mache ich mir nicht die Mühe, zu jedem Charakter wirklich eine ausgereifte Biographie anzufertigen. Die Geschichte ist einfach zu kurz um etwas davon ausreichend zu transportieren. Gedanken über das Verhaltensmuster muss ich mir schon machen. Nur mit Schablonen könnte ich nicht arbeiten.
Wenn wir das in die Spielewelt übertragen: Welche Spiele mag man lieber? Die, in denen man aus drei bis fünf Standardmodellen seinen Charakter auswählt oder jene, in denen man Gestaltungsspielraum hat und kleine Persönlichkeiten erschaffen kann? Auch wenn viele bei letzterem wohl auch oft den Zufallsbutton wählen, hänge ich mich mal aus dem Fenster und behaupte, der Großteil bevorzugt den gestaltbaren Charakter und nicht das Spiel mit den Standardmodellen (gegeben, dass beide Titel gleich interessant sind und sonst gleiche Vorraussetzungen bieten. Sonst kann man nicht vergleichen.)
Bei Büchern wird das nicht anders sein. Charakter dürfen Klischees bedienen, sollen aber dennoch irgendwo einzigartig, besonders, auf jeden FAll authentisch sien, damit der Leser Spaß hat. Allein der Plot fesselt selten, außer er ist wirklich wirkich gut und selbst dann bleibt meist folgende MEinung hängen: Also bei den falschen Charakteren hätte ich das Buch ja wegeworfen, wenn ich nicht unbedingt hätte wissen müssen, wie die Geschichte ausgeht. Nochmal würde ich es aber nicht lesen.
Die Aussage kann man nicht generalisieren. Das ist klar. Mir selbst kam sie schon öfters über die Lippen.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Feuertraum am 04. Juli 2016, 23:24:02
Zitat von: Araluen am 04. Juli 2016, 20:13:30

Wenn wir das in die Spielewelt übertragen: Welche Spiele mag man lieber? Die, in denen man aus drei bis fünf Standardmodellen seinen Charakter auswählt oder jene, in denen man Gestaltungsspielraum hat und kleine Persönlichkeiten erschaffen kann? Auch wenn viele bei letzterem wohl auch oft den Zufallsbutton wählen, hänge ich mich mal aus dem Fenster und behaupte, der Großteil bevorzugt den gestaltbaren Charakter und nicht das Spiel mit den Standardmodellen (gegeben, dass beide Titel gleich interessant sind und sonst gleiche Vorraussetzungen bieten. Sonst kann man nicht vergleichen.)

Einspruch, Euer Ehren!
Ich selber spiele seit Jahrzehnten Rollenspiel, und auch ich kenne das "Spielchen" mit der ausgearbeiteten Charakterisierung, mit dem Tiefen und der Seelenpein und dem Tränenfluß.
Ganze Geschichten wurden geschrieben, warum der Charakter so und so ist, ganze Begründungen wurden hineingelegt.
Und während des Spielens?
Richtig: Nix davon trat an die Oberfläche.
Und ich habe in diesen knapp 3 Jahrzehnten wirklich mit den unterschiedlichsten Menschen gespielt, im privaten Haushalt als auch auf öffentlichen Cons. Und nicht einer hielt sich an dem, was er sich so mühsam ausgedacht hatte.

Vielleicht bin ich da ja ein Ausnahmeleser und Ausnahmeautor, aber ich bin nun wirklich nicht der Freund, bei dem der Held so viele bitterliche Tränen weinen muss, dass aus einer Wüste eine prächtige Oase wird, und ich habe auch ein Problem damit, dass ein Prota so viele Qual und Pein erleiden muss, dass selbst der Teufel Mitleid mit ihm hat.

Nehmen wir als Beispiel nur mal Wallander gegen Commissario Brunetti. Der Schwede mit seiner Depression stört (zumindest mich) beim Lesen, Brunetti hingegen kommt bei mir mit seinem 08/15-Charakter wesentlich besser an.
Nehmen wir die drei Fragezeichen. Justus und Peter haben zwar ihre Eigenart, weil Justus = Schlaukopf und "fleischgewordenes" Wikipedia und Peter = "Feigling", aber ich erlaube mir mal zu behaupten, dass sie keine wirklichen, keine ausgefeilten Charaktere sind. Die beiden haben je eine besondere Eigenschaft, und das war es eigentlich. Von Bob brauchen wir gar nicht zu reden.
Und doch stehen die Bücher und die Hörspiele um das Detektivtrio immer ganz oben in den Verkaufsrängen.

Ich wehre mich ja nicht gegen die Behauptung, dass eine Geschichte keine ausgearbeiteten Charaktere haben darf oder soll, ich bin nur dahingehend trotzig, wenn behauptet wird, dass eine Geschichte mit eindimensionalen Charakteren nicht funktioniert oder per se schlecht ist.


Bei Büchern wird das nicht anders sein. Charakter dürfen Klischees bedienen, sollen aber dennoch irgendwo einzigartig, besonders, auf jeden FAll authentisch sien, damit der Leser Spaß hat. Allein der Plot fesselt selten, außer er ist wirklich wirkich gut und selbst dann bleibt meist folgende MEinung hängen: Also bei den falschen Charakteren hätte ich das Buch ja wegeworfen, wenn ich nicht unbedingt hätte wissen müssen, wie die Geschichte ausgeht. Nochmal würde ich es aber nicht lesen.
Die Aussage kann man nicht generalisieren. Das ist klar. Mir selbst kam sie schon öfters über die Lippen.
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Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Araluen am 05. Juli 2016, 06:53:55
Bei dem Beispiel ging es mir nicht um den ausgefielten Rollenspielcharakter mit tiefgreifender Hintergrundgeschichte. Zur Veranschaulichung habe ich in dem Beispiel die Optik deines Avatars gewählt. Optik des Avatars im Spiel entspricht Ausarbeitung einer Figur in einer Geschichte.
Im Bezug auf Rollenspielcharaktere stimme ich dir zu, dass die mühsam heraus gearbeitete Hintergrundgeschichte selten zum Tragen kommt. Das liegt allerdings meist daran, dass Rollenspieler zu egozentrisch sind, ums ich wirklih, wirklich für andere als ihre eigenen Charaktere zu interessieren. Folglich fragen sie selten nach. Wenn nicht nachgefragt wird, erzählt man die Geschichte auch nicht. Man will ja keine sinnlosen MOnologe halten. Was einem da helfen kann, ist aber gezielt mit der Geschichte zu spielen und sie als Zentrum eines kleinen Abenteuers zu nehmen.

Es hat auch niemand behautpete, dass ein Held ständig bitterliche Tränen weinen muss, weil sein Leben bisher ach so tragisch war. Dein Leben besteht hoffentlich auch nicht nur aus Tränen. Aber du hast eines. Es hat dich geprägt und aus dir das gemacht, was du jetzt bist. Darumg eht es auch bei der Gestaltung der Figuren. Ihnen muss Leben eingehaucht werden, nicht überdimensionierte Pseudomelodramatik.
Als langjähriger Fan der drei Fragezeichen kann ich behaupten, dass auch die drei Jungs ihren Charakter und ihre Biographie haben, auch wenn sie Standardtypen entsprechen. Die wird nun nicht in jeder Folge voll ausgelatscht. Man muss sie suchen und findet sie eher versteckt in kleinen Häppchen in den einzelnen Hörspielfolgen und Büchern (selbst da gibt es Unterschiede). Am besten bekannt ist da immernoch Justus Charaktergeschichte, gefolgt der von Bob. Tatsächlich hat Pepter am wenigsten zu bieten. Er ist ängstlich, ist an der Highschool vermutlich die beste Partie, in so vielen Sportmannschaften wie er tätig ist (vor allem Basketball), steht manchmal auf dem Schlauch und sein dramatischstes Erlebnis war wohl, dass er beim Tauchen einmal beinahe ertrunken wäre und einen Luftröhrenschnitt brauchte. Bob hat auch seine Spezialfähigkeit ;) Es gibt niemanden, der besser mit Archiven umgehen kann. Zudem hat er ein breit gefächertes Kunstinteresse und ist arbeitssam, weshalb er ständig irgendwelche Nebenjobs an der Hand hat. Und eines kann ich sagen. Es macht Spaß diese Biographieschnipsel zu suchen und zu finden. Das gibt der Serie einen zusätzlichen Reiz.

Natürlich kann eine Geschichte mit einer 0815-Schablone funktionieren. Ich sage aber, dass sie mit etwas mehr in die Figur investierte Mühe, die nicht zwangsläufig 100 Seiten Melodrama Biografie beinhalten muss, nochbesser funktioniert hätte.
Charaktertiefe hat nichts damit zu tun, eine Figur im Vorfeld maximal leiden zu lassen. Es geht lediglich darum, dass sie lebendig wird. Das geht auch mit wenigen Eckdaten.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Trippelschritt am 05. Juli 2016, 09:14:17
Zitat von: Feuertraum am 04. Juli 2016, 23:24:02

Ich wehre mich ja nicht gegen die Behauptung, dass eine Geschichte keine ausgearbeiteten Charaktere haben darf oder soll, ich bin nur dahingehend trotzig, wenn behauptet wird, dass eine Geschichte mit eindimensionalen Charakteren nicht funktioniert oder per se schlecht ist.


Nein, ist sie auch nicht unbedingt. Ich kann mich noch gut an meine Jugendzeit erinnern, in der ich Kommissar X, Jerry Cotton oder Perry Rhodan verschlungen habe. Und gerade Perry Rhodan ist heute immer noch Kult. Aber mittlerweile bin ich älter geworden, habe mehr gelesen und mein Anspruch ist gewachsen. Heute sind Geschichten mit eindimensionalen Figuren für mich schlichtweg langweilig.  Und dann diese schlichten Liebesromane, die bereits von meiner Mutter unter dem Begriff O-Bein Roman liefen = Sie finden sich, etwas treibt sie auseinander, Happy End und heute ihr Stammpublikum im Fernsehen haben, gehören eigentlich auch dazu. Aber wenn man abends müde ist und überdreht, dann macht es durchaus Spaß, als Ehepaar vor der Kiste zu sitzen und genau das sich anzuschauen. Es ist zwar eine jedesmal schlechte Geschichte, aber sie kann einen gewaltigen therapeutischen Wert besitzen. Deshalb: Alles dahin, wohin es gehört. Oder: Für mich hate jeder mal wieder überall Recht.  ;)

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Tigermöhre am 05. Juli 2016, 09:16:23
Zitat von: Feuertraum am 04. Juli 2016, 23:24:02
Einspruch, Euer Ehren!
Ich selber spiele seit Jahrzehnten Rollenspiel, und auch ich kenne das "Spielchen" mit der ausgearbeiteten Charakterisierung, mit dem Tiefen und der Seelenpein und dem Tränenfluß.
Ganze Geschichten wurden geschrieben, warum der Charakter so und so ist, ganze Begründungen wurden hineingelegt.
Und während des Spielens?
Richtig: Nix davon trat an die Oberfläche.
Und ich habe in diesen knapp 3 Jahrzehnten wirklich mit den unterschiedlichsten Menschen gespielt, im privaten Haushalt als auch auf öffentlichen Cons. Und nicht einer hielt sich an dem, was er sich so mühsam ausgedacht hatte.

Vielleicht haben Sie dann immer mit den falschen Leuten gespielt. Ich habe schon so oft geflucht, weil mein Charakter saudumme Aktionen brachte. Aber sein Hintergrund gab es einfach vor. Und genauso kenne ich es aus meinem Freundeskreis. Da ist auch jeder Charakter mit dem Meister zusammen erstellt und ausgearbeitet, damit der Meister genauso mit den Problemen und Hintergründen der Spielercharaktere arbeiten kann.
Auf Cons ist das etwas anderes. Da ist ein ausgefeiltes Charakterplay meiner Meinung nach weder gewünscht, noch wirklich machbar. Da möchte man das Abenteuer durchspielen. Zwar bringt man da seine persönliche Note mit, aber wichtiger ist, dass die verschiedenen Rollen besetzt sind.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Araluen am 05. Juli 2016, 09:50:30
Zitat von: Trippelschritt am 05. Juli 2016, 09:14:17
ch nicht unbedingt. Ich kann mich noch gut an meine Jugendzeit erinnern, in der ich Kommissar X, Jerry Cotton oder Perry Rhodan verschlungen habe. Und gerade Perry Rhodan ist heute immer noch Kult. Aber mittlerweile bin ich älter geworden, habe mehr gelesen und mein Anspruch ist gewachsen. Heute sind Geschichten mit eindimensionalen Figuren für mich schlichtweg langweilig.  Und dann diese schlichten Liebesromane, die bereits von meiner Mutter unter dem Begriff O-Bein Roman liefen = Sie finden sich, etwas treibt sie auseinander, Happy End und heute ihr Stammpublikum im Fernsehen haben, gehören eigentlich auch dazu. Aber wenn man abends müde ist und überdreht, dann macht es durchaus Spaß, als Ehepaar vor der Kiste zu sitzen und genau das sich anzuschauen. Es ist zwar eine jedesmal schlechte Geschichte, aber sie kann einen gewaltigen therapeutischen Wert besitzen. Deshalb: Alles dahin, wohin es gehört. Oder: Für mich hate jeder mal wieder überall Recht.  ;)

Liebe Grüße
Trippelschritt
Das ist wohl wahr. Alles hat irgendwo seinen Platz :)
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Churke am 05. Juli 2016, 14:14:17
Zitat von: Feuertraum am 04. Juli 2016, 23:24:02
Ganze Geschichten wurden geschrieben, warum der Charakter so und so ist, ganze Begründungen wurden hineingelegt.
Und während des Spielens?
Richtig: Nix davon trat an die Oberfläche.

Ich weiß nicht, ob man das vergleichen kann, schließlich muss der Rollenspieler keine Sanktionen fürchten, wenn er die Vorgaben missachtet.
Aber wenn ich als Autor eine Figur "falsch" benutze, sie widersprüchliche oder unmotivierte Entscheidungen treffen lasse, fällt mir das ruckzuck auf die Füße. Dann fragt der Leser: "Nee, echt jetzt?"
Wenn Sie vor der Frage stehen: Warum tut Figur X dieses oder jenes? Dann liegt die Lösung des Problems meistens im Charakter der Figur. Ich ändere die Figur dann eben so, dass es logisch und plausibel wird.

Überhaupt: Die Persönlichkeit einer Figur ist kein Ballast, um den man den Plot herumschreiben muss, sondern ganz im Gegenteil Hilfe und Ergänzung.

Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Araluen am 05. Juli 2016, 14:31:58
Zitat von: Churke am 05. Juli 2016, 14:14:17
Ich weiß nicht, ob man das vergleichen kann, schließlich muss der Rollenspieler keine Sanktionen fürchten, wenn er die Vorgaben missachtet.
Das kommt auf den Spielleiter an. Ich ahnde so etwas, wenn es mir zu bunt wird. Aber das führt vom Thema ab.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Siara am 05. Juli 2016, 22:01:54
Zum Thema Rollenspiele kann ich nichts beitragen. Was aber noch zu den Charakteren zu sagen ist: Meiner Meinung nach können flache Charaktere durchaus funktionieren und unterhaltend sein - aber eben in vielen Untergenres der Fantasy nicht. Stereotypen sind für mich vor allem etwas für abgedrehte und so gar nicht stereotype Handlungen, die der Natur nach immer ein wenig ins Komische tendieren. Wenn man Richtung Humoristik schreibt, können flache Charaktere sogar von Vorteil sein, weil sie Klischees widerspiegeln. Auf jeden Fall aber stehlen sie der Handlung nicht die Show.

Wenn es aber um eine spannende Geschichte geht, in der mitgefiebert werden soll, finde ich es schwieriger. Das hat den einfachen Grund, dass mich persönlich der Verlauf des Geschehens nur interessiert, wenn das Schicksal der Charaktere mir nahegeht. Es muss wichtig sein, ob sie leiden oder ihr Ziel erreichen. Zu eindimensionalen Charakteren finde ich keine Verbindung, weil ich kein eindimensionaler Mensch bin. Das ist das eine Problem. Das andere liegt in der Vorhersehbarkeit der Handlung. Eindimensionalität bedeutet für mich, dass die Figuren auf den ersten Blick zu durchschauen sind, sich nicht groß wandeln und auch keinen inneren Zwiespalt kennen. Wenn dann ein Problem auf sie zukommt, ist keine Frage, wie sie handeln oder wie ihr Antagonist darauf reagiert. Aber dieser Punkt wurde ja von anderen bereits angesprochen, darauf gehe ich jetzt nicht weiter ein.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Feuertraum am 05. Juli 2016, 23:45:40
Zitat von: Araluen am 05. Juli 2016, 06:53:55
Optik des Avatars im Spiel entspricht Ausarbeitung einer Figur in einer Geschichte.

Nada. Das Aussehen einer Figur hat nichts mit ihrer Persönlichkeit zu tun.

ZitatEs hat auch niemand behautpete, dass ein Held ständig bitterliche Tränen weinen muss, weil sein Leben bisher ach so tragisch war.

Zitat von: SiaraEs muss wichtig sein, ob sie leiden

Ich habe jetzt einmal Siaras Satz bewusst gekürzt. Es zeigt genau das, was ich bei anderen Zirklern lese: Ja: Der Held muss Seelenqual und innere Konflikte haben. Er muss eine Leidensgeschichte in sich tragen, alles andere wäre sonst eindimensional.

ZitatDein Leben besteht hoffentlich auch nicht nur aus Tränen.

Dazu bekommen Sie noch eine PM von mir.

ZitatAber du hast eines. Es hat dich geprägt und aus dir das gemacht, was du jetzt bist. Darumg eht es auch bei der Gestaltung der Figuren. Ihnen muss Leben eingehaucht werden, nicht überdimensionierte Pseudomelodramatik.

Natürlich. Da bin ich mit Ihnen konform, was aber auch bei eindimensionalen Figuren wunderbar funktioniert. Einer Figur Leben einhauchen ist eine Sache. Ob sie dann aber eine Persönlichkeit ist, ist eine vollkommen andere Sache. Es mag durchaus sein, dass ich eine vollkommen andere Sicht auf den Begriff Persönlichkeit habe. Für mich sind Persönlichkeiten Menschen, denen etwas Besonderes anhaftet, die Menschen beeindrucken durch ihre Taten, die so anders sind als man erwartet.
Nehmen wir nur mal Ghandi, der gewaltlosen Widerstand gegen die britische Kolonialisierung und Armee anstrebte und damit sogar Erfolge erzielte (auch wenn sein "Kampf" sehr viele Menschenleben forderte).
Deshalb sehe ich es so: Einer Figur Leben einhauchen ist eine vollkommen andere Geschichte als sie zu einer Persönlichkeit zu machen.

ZitatNatürlich kann eine Geschichte mit einer 0815-Schablone funktionieren. Ich sage aber, dass sie mit etwas mehr in die Figur investierte Mühe, die nicht zwangsläufig 100 Seiten Melodrama Biografie beinhalten muss, nochbesser funktioniert hätte.

Wie gesagt: Das sehe ich anders. Allerdings gehöre ich auch eher zu den Autoren, die Wert auf die Geschichte, auf die Handlung legen, nicht auf das Seelenleben der Charaktere.


Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Siara am 06. Juli 2016, 01:08:15
Zitat von: Feuertraum am 05. Juli 2016, 23:45:40
Zitat von: SiaraEs muss wichtig sein, ob sie leiden

Ich habe jetzt einmal Siaras Satz bewusst gekürzt. Es zeigt genau das, was ich bei anderen Zirklern lese: Ja: Der Held muss Seelenqual und innere Konflikte haben. Er muss eine Leidensgeschichte in sich tragen, alles andere wäre sonst eindimensional.
Stimmt. Alles andere wäre eindimensional. "Leid" muss (Wie auch Araluen schrieb) nicht bedeuten, dass die Figur schreiend und mit gebrochenem Herzen in ihren Tränen versinkt. Genauso wenig halte ich es für nötig, dass alle Protagonisten als hungernde Waisen aufwuchsen. Aber damit eine Handlung zustande kommt, braucht es eine Motivation, einen Antrieb. Die Figur muss ein Ziel haben, die ihre Lage verbessert oder zumindest verhindert, dass sie sich verschlechtert. Das ist es, was ich mit "Leid" meinte. Wenn nichts auf dem Spiel steht, ist mir auch egal, wohin die Handlung führt. Und wenn die Figur nicht vielschichtig genug ist, ist mir ebenso egal, ob es am Ende für sie schlecht ausgeht. (Ob sie "leidet" ;)).
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Trippelschritt am 06. Juli 2016, 08:51:20
Ich sehe es ähnlich wie Siara und sie hat es wunderschön formuliert und erklärt, warum Eindimensionalität meistens langweilt. Ob der Held aber immer  unbedingt leiden muss, weiß ich nicht so genau. Es kann auch sein, dass er zweifelt, einfach nur verärgert ist, oder aber von Veränderungen überrascht wird, worauf er sein Leben oder seine Werte überdenken muss. Auf jeden Fall passiert etwas in ihm und er verändert sich oder kurz ausgedrückt: er lernt. Immer dicke Tränen zu weinen kann auch langweilig werden.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: FeeamPC am 06. Juli 2016, 09:27:32
Ich gebe Feuertraum teilweise Recht. Mit der passenden Handlung braucht der Held keine ausgefeilte Persönlichkeit, siehe Terminator-Filme.
Er braucht nur einen Grund für seine Handlungen.
Aber mit dem Grund entwickelt sich in den meisten Geschichten dann eben doch eine Persönlichkeit, selbst wenn sie, wie bei Schwarzenegger, oberflächlich bleibt. Sie braucht dabei noch nicht einmal ausführlich beschrieben zu werden, Mini-Andeutungen reichen schon.

ZitatVerblüfft sah sie ihren Kommandanten an. War das der gleiche Mann, der bei den Ba-Kan um ihrer aller Leben gewettet hatte, ohne eine Miene zu verziehen? Aber vermutlich ging der Tod eines Sohnes nicht einmal an einem wie Eisenfaust spurlos vorbei.

In diesem letzten Satz liegt genug Persönlichkeit, um dem Leser einen emotionalen Anknüpfungspunkt zu bieten, und eine sehr actionreiche Handlung könnte vermutlich damit alleine schon bestehen.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 06. Juli 2016, 10:59:11
Zitat von: Feuertraum am 04. Juli 2016, 17:25:38
Für mich zum Beispiel ist es eher wichtig, was die (bzw. meine) Protas erleben, in welche abstruse/skurille/absurde Situationen sie geraten und wie sie da wieder herauskommen. Darauf liegt zumindest mein Fokus, und ich finde es ehrlich gesagt nicht sonderlich prickelnd, wenn ich die Figur noch mit einem Charakter voller Stärken und Schwächen ausstatten muss...

Es ist natürlich Geschmackssache, ob man den Fokus stark auf den Plot ausrichtet, auf die Figuren oder beides. Aber ein Plot ohne dreidimensionale Figuren, halte ich für langweilig. Deshalb, weil auf der Plotebene ist ja sicher schon alles irgendwann einmal geschrieben worden. Alle Varianten von Abenteuern, Naturereignissen, Monstern, Magie, alle Konflikte der Welt hat es schon zig Mal gegeben. Es gibt nicht mehr viel Neues an Plot, was man noch erfinden könnte. Wenn ich also eine Geschichte lese, die zwar spannend ist, aber die Figuren quasi austauschbar sind, dann interessiert mich diese Geschichte nicht die Bohne. Da können Blitze einschlagen, ganze Dörfer verwüstet werden, Schlangen zu Drachen mutieren und Kriege entstehen - interessiert mich nicht. Alles schon gelesen, gehört, gesehen. Das Interessante ist für mich aber, wenn ich diese wiederkehrenden Themen durch eine Figur erlebe, die sich in irgend einer Weise von anderen unterscheidet.

Also, sagen wir mal, ein mutiger Krieger ohne Schwächen zieht in den Krieg und muss dort viele Kämpfe ausfechten. Langweilig. Was geschieht aber, wenn es kein Krieger ist, sondern ein Bettler mit Hinkebein und Platzangst? Da erhöht sich doch das Konfliktpotential massiv. Da möchte ich als Leserin viel eher wissen, wie es dieser Kerl es schafft, heil aus diesem Krieg wieder rauszukommen als der Krieger mit seiner blossen Manneskraft und dem Mut.

Das hat mit Sympathie, Identifikation und Empathie oder auch dem Gegenteil, mit Antipathie zu tun. Wenn mir jemand sympathisch oder unsympathisch ist, dann kommt da Dynamik rein zwischen mit als Leser und dem, was ich lese. Ich werde neugierig, die Spannung erhöht sich, es gibt mehr Konflikte, solche, die ich noch nicht kannte. Wenn der Konflikt nur darin besteht, dass sich ein x-Beliebiger aus einer Fesselung befreien muss, dann ist mir das echt wurst, ob der freikommt oder nicht. Ich hab ja keine Beziehung zu dem. Der kann mir total gestohlen bleiben. Wenn ich aber eine Persönlichkeit vor mir habe - auch wenn diese ganz anders tickt als ich -, dann fiebere ich mit, will weiterlesen und schauen, welche Lösung es für genau diese Person gibt, um sich aus den Fesseln zu befreien. Ein Sherlock Holmes löst sich sicher anders aus den Fesseln als ein McGyver oder eine Jeanne D'Arc. Und das ist es, was die Geschichte unverwechselbar und interessant macht.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Feuertraum am 06. Juli 2016, 12:28:15
Zitat von: Cailyn am 06. Juli 2016, 10:59:11

Es ist natürlich Geschmackssache, ob man den Fokus stark auf den Plot ausrichtet, auf die Figuren oder beides. Aber ein Plot ohne dreidimensionale Figuren, halte ich für langweilig. Deshalb, weil auf der Plotebene ist ja sicher schon alles irgendwann einmal geschrieben worden. Alle Varianten von Abenteuern, Naturereignissen, Monstern, Magie, alle Konflikte der Welt hat es schon zig Mal gegeben. Es gibt nicht mehr viel Neues an Plot, was man noch erfinden könnte. Wenn ich also eine Geschichte lese, die zwar spannend ist, aber die Figuren quasi austauschbar sind, dann interessiert mich diese Geschichte nicht die Bohne. Da können Blitze einschlagen, ganze Dörfer verwüstet werden, Schlangen zu Drachen mutieren und Kriege entstehen - interessiert mich nicht. Alles schon gelesen, gehört, gesehen. Das Interessante ist für mich aber, wenn ich diese wiederkehrenden Themen durch eine Figur erlebe, die sich in irgend einer Weise von anderen unterscheidet.

Also, sagen wir mal, ein mutiger Krieger ohne Schwächen zieht in den Krieg und muss dort viele Kämpfe ausfechten. Langweilig. Was geschieht aber, wenn es kein Krieger ist, sondern ein Bettler mit Hinkebein und Platzangst? Da erhöht sich doch das Konfliktpotential massiv. Da möchte ich als Leserin viel eher wissen, wie es dieser Kerl es schafft, heil aus diesem Krieg wieder rauszukommen als der Krieger mit seiner blossen Manneskraft und dem Mut.

Das ist mbMn. ein Widerspruch in sich. Klar gibt es auf der Plotebene kaum noch etwas, was wirklich neu ist. Wirklich viele neue Ideen sind heutzutage auch Mangelware. Im Prinzip gibt es irgendwo einen riesigen Topf mit den ganzen Ideen, und man braucht sich nur noch die passendste herauszusuchen. Davon abgesehen werden neue Ideen teilweise extremst scharf kritisiert und/oder sich darüber lustig gemacht (nehmen wir nur mal die glitzernden Vampire aus Twilight).
Um bei ihrem Beispiel zu bleiben: Nehmen wir den Bettler mit Hinkebein und Platzangst, von dem Sie wissen wollen, wie er aus der Geschichte wieder mit heiler Haut (oder zumindest ein paar maximal kleinen Blessuren) wieder herauskommt.
Greifen Sie in den Topf.
Irgendwo gab es seine Gedanken, seine Gefühle, seine Ideen. Und sie ändern ja nichts wirklich am Plot.

ZitatWenn ich aber eine Persönlichkeit vor mir habe - auch wenn diese ganz anders tickt als ich -, dann fiebere ich mit, will weiterlesen und schauen, welche Lösung es für genau diese Person gibt, um sich aus den Fesseln zu befreien.

Und genau das ist es ja: Weder der Held ohne Schwäche als auch der mit Hinkebein und Platzangst sind - zumindest für mich - keine Persönlichkeiten. Sie machen - zumindest für mich - nichts Herausragendes, für das ich sie bewundern kann.


ZitatEin Sherlock Holmes löst sich sicher anders aus den Fesseln als ein McGyver oder eine Jeanne D'Arc. Und das ist es, was die Geschichte unverwechselbar und interessant macht.

Das finde ich nun dahingehend interessant, dass Sie gerade McGyver erwähnen. Er ist es nämlich, den Sie (und so manch anderer) als eindimensionale Figur ansehen. Und die Ideen, die er hat, um aus einer misslichen Lage herauszukommen, sind ja nun wieder Plot und Idee, kein Gefühl.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 07. Juli 2016, 08:26:31
Nun, aber die Persönlichkeit eines Menschen festigt sich ja über die Erlebnisse seines Lebens. Wenn ich z.B. im Rollstuhl sässe, bin ich überzeugt, wäre ich nun jemand ganz anders geworden. Ich hätte eine andere Sicht auf die Welt, würde vielleicht anders handeln und mich für andere Sachen interessieren. Daruk ist unser Hinkebein mit bestimmtheit ein anderer als er es ohne Hinkebein wäre. Zunächst einmal aus praktischer Sicht, aber auch von der Psyche her. Nehmen wir an, Hinkebein hatte einen schweren Reitunfall in seiner Jugend. Er wollte Reiter werden, musste aber diesen Traum aufgeben. Was löst das in ihm aus? Vielleicht wurde er neidisch auf die anderen. Vielleicht fühlt er sich wertloser als andere. Vielleicht musste er lernen, auch mit seiner Behinderung anders klar zu kommen. Da gibt es zig Möglichkeiten. Aber alle formen letzten Endes seinen Charakter. Und ich behaupte mal, dass diese Vorgeschichte ihn gerade interessant macht, um herauszufinden, ob er sich im Krieg behaupten kann. Da steht viel mehr für ihn auf dem Spiel als "bloss" das Überleben. Womöglich will er sich etwas beweisen, sich wetvoller fühlen, wenn er lebend aus diesem Kampf herauskommt. Das hat sehr wohl mit dem Plot zu tun, weil der Plot damit spannender wird. Je mehr auf dem Spiel steht, desto mehr Spannung kommt rein.

Ich behaupte mal fech, dass das Hinkebein für 90% der Leser interessanter ist als ein x-beliebiger Krieger, dessen einzige Funktion es ist zu kriegen. Und ich vermute Mal, dass Ihre persönlichen Präferenzen anders liegen als bei der Mehrheit der Leser. Dass Sie Hinkebein nicht bewundern können, finde ich deshalb schade. Wenn ein solcher Held - trotz seiner Behinderung - es schafft, am Leben zu bleiben und vielleicht sogar einen entscheidenden Beitrag zu leisten, finde ich das viel bemerkenswerter.

Zu McGyver: ja, der ist schon eindimensional. Aber er stellt einen Typus dar, der viele anspricht und doch auch sehr viel Eigenes hat. McGyver mag als Persönlichkeit nicht viele Ecken und Kanten haben. Aber er hat eine extrem ausgeprägte Eigrnschaft: er löst die Probleme auf wundersame Weise mit oft total banalen Werkzeugen, die er sich selber bastelt. Das ist schon cool. Aber lesenswert wäre er für mich auf Dauer nicht. Ich habe ihn nur deshalb aufgeführt, um zu zeigen, wie unterschiedlich Personen auf einen Plot einwirken.  McGyver wäre für mich typisch für einen Heftroman.

Grundsätzlich kann man schon auch plotrelevant schreiben. Die Figuren müssen nicht im absoluten Mittelpunkt stehen. Aber nur Plot mit austauschbaren Figuren ist auch für den Plot selbst schädlich. Spannende Figuren teiben einen Plot voran, erhöhen die Spannung. Wer will das nicht?

Was ich nicht so verstanden habe: Was meinen Sie mit Gefühl?
Mir den mehrdimensionalen Charakteren geht es nicht per se darum, dass Figuren ihre Konflikte mit Gefühlen lösen müsse. Aber das Gefühl soll beim Leser entfacht werden (Sympathie, Antipathie etc.).

Warum probieren Sie es nicht mal aus und schreiben eine Szene aus Ihren Texten figurenbetont um? Geben Sie jeder Ihrer Figuren eine Schwäche und schauen Sie, was passiert? Würde mich sehr interessieren, was dabei rauskommt.

Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Araluen am 07. Juli 2016, 09:43:39
@Cailyn: Wirklich schön gesagt. Dem kann ich mich nur anschließen.

Edit:
Zitat von: Feuertraum am 05. Juli 2016, 23:45:40
Nada. Das Aussehen einer Figur hat nichts mit ihrer Persönlichkeit zu tun.
Vermutlich habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Es war ein vergleichendes Beispiel aus einem völlig anderem Bereich. Natürlich verhält es sich damit wie mit Äpfeln und Birnen. Es sollte der Veranschaulichung dienen. Anscheinend hatte es den Effekt nicht. Kein Problem.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Trippelschritt am 07. Juli 2016, 09:51:15
Es ist immer schwierig, mit Beispielen zu argumentieren. So sind die Protagonisten im ersten Terminatorfilm alles andere als eindimensional. Es sind Menschen, die plötzlich und unerwartet mit einer anderen Zeitebene konfrontiert werden. Der Terminator selbst ist nur eine Maschine. Im Film geht das ein wenig unter, weil Arnie in schwarzer Lederjacke höchst effektiv herumballert. Aber er ist nicht der Protagonist. Und bei den Folgefilmen passiert das, was immer passiert, wenn man einem Erfolgsfilm Forstsetzungen nachschiebt. Sie werden schlechter, klischeehafter und betonen das, was für den ersten Verkaufserfolg gesorgt hat. Nicht das, was gut war.
Ich glaube niemand hat gesagt, dass eindimensionale Figuren und ausrechenbare Plots sich nicht verkaufen lassen. Sie haben ihr Publikum. Aber das sind nicht unbedingt andere Autoren oder Liebhaber qualitativ guter Geschichten.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Siara am 07. Juli 2016, 12:01:42
Zitat von: FeuertraumUm bei ihrem Beispiel zu bleiben: Nehmen wir den Bettler mit Hinkebein und Platzangst, von dem Sie wissen wollen, wie er aus der Geschichte wieder mit heiler Haut (oder zumindest ein paar maximal kleinen Blessuren) wieder herauskommt.
Greifen Sie in den Topf.
Irgendwo gab es seine Gedanken, seine Gefühle, seine Ideen. Und sie ändern ja nichts wirklich am Plot.
Für mich ändert es sehr wohl etwas am Plot. Zum einen wirken sich ihre Gedanken und Erfahrungen natürlich auf ihre Handlungsweisen aus, die den Plot bestimmten. Aber gut, sicher könnte man sie auch schlicht auf die gewünschte Weise handeln lassen, ohne dafür eine tiefgreifendere Erklärung zu liefern. Wichtiger ist mir aber etwas anderes: Das Geschehen aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Durch die Augen eines anderen. Der Plot ist das Grundgerüst, der Rahmen der Geschichte. Gefüllt wird er mit den Menschen, die sich mittendrin befinden. Ihre Gefühle und Gedanken (soweit ich sie kenne) bestimmen maßgeblich auch meine Sicht mit. Wäre Harry Potter aus Snapes Sicht erzählt worden, hätte sich eine völlig andere Geschichte ergeben, andere Sympathien, andere Konflikte, auch innere. Aber nur, weil Snape ein vielschichtiger Charakter ist. Wäre er einfach nur ein Statist, der seine Rolle erfüllt, hätte die Geschichte nicht viel zu bieten. Tiefe in den Charakteren verleiht auch dem Plot Tiefe.

Zitat von: FeuertraumUnd genau das ist es ja: Weder der Held ohne Schwäche als auch der mit Hinkebein und Platzangst sind - zumindest für mich - keine Persönlichkeiten. Sie machen - zumindest für mich - nichts Herausragendes, für das ich sie bewundern kann.
Natürlich reicht eine Schwäche oder irgendeine andere Art von Vielschichtigkeit nicht aus, um eine gute Geschichte zu erzählen. Aber andersherum gilt für mich dasselbe: Wenn die Figur keine Tiefe besitzt, kann sie auch auf spektakulärste Weise die Welt retten, ohne das ich auch nur einen Funken Bewunderung aufbringe. Aber wenn Sie sagen, dass ein körperlich eingeschränkter Mann, der sich dennoch in den Krieg wagt und sich dort seinen Schwächen stellt, keine Persönlichkeit ist - was genau macht dann für Sie eine Persönlichkeit aus? Was genau bringt Sie dazu, die Figuren zu bewundern?
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Churke am 07. Juli 2016, 12:11:33
Zitat von: Feuertraum am 06. Juli 2016, 12:28:15
Irgendwo gab es seine Gedanken, seine Gefühle, seine Ideen. Und sie ändern ja nichts wirklich am Plot.

Was tun Ihre Figuren, wenn sie in einem Dilemma stecken?
Bei flachen Figuren können sie natürlich würfeln. Aber wenn eine Figur eine Persönlichkeit hat, dann wird sie sich aufgrund ihrer Persönlichkeit entscheiden. Das ist ein absoluter Plot-Driver.
Ein Beispiel:
Karl V. hätte Martin Luther als Ketzer verbrennen lassen können. Was ist schon ein kleiner Wortbruch gegen die Einheit der Christenheit?
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Mondfräulein am 07. Juli 2016, 13:02:19
Ich weiß nicht, ob wir hier im Forum mal darüber geredet haben oder ob ich das aus dem Studium kenne, aber ich würde da sogar noch nach schwachen und starken Situationen differenzieren. Starke Situationen sind solche, in denen die meisten Menschen gleich handeln würden, weil es die soziale Norm so vorgibt, also beispielsweise eine rote Ampel für Autofahrer. Schwache Situationen geben weniger soziale Normen vor und interindividuelle Unterschiede kommen eher zum Vorschein. Natürlich gibt es da auch Ausreißer, beispielsweise der, der sich nicht um Regeln schert und sowieso über jede rote Ampel brettert, auch soziale Normen unterscheiden sich mituntert stark voneinander. Aber aufs Schreiben bezogen würde ich dann sagen: Wenn ich Figuren in starke Situationen stecke, sollte ich schauen, ob diese Situation überhaupt noch etwas über sie aussagt. Wenn meine Figur brav an jeder roten Ampel hält, dann sollte ich vielleicht überlegen, ob ich sie nicht eher in eine Situation stecke, die mehr über sie aussagt, oder in ein Dilemma, in dem sie aufgrund von ihrer Persönlichkeit entscheiden und nicht aufgrund von sozialen Normen. Oder: Ich sollte meine Figuren in Situationen bringen, in denen ich dem Leser etwas über ihre Persönlichkeit vermitteln kann, in denen er etwas über ihre Persönlichkeit erkennen kann, das heraus sticht und sie für ihn genauer definiert und umreißt.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Trippelschritt am 08. Juli 2016, 06:59:20
Das, finde ich, ist ein guter Hinweis, der mich auf einen Gedanken bringt.
Eine gute Methode, etwas über eine Person auszusagen, ist, ihn durch seine Handlungen zu charakterisieren. Wenn eine Person flach ist, dann gibt es nicht viel zu charakterisieren, wenig interessante Handlung und auch kaum einen interessanten Plot. Es sei denn man findet eine Leserschaft, die gern etwas ganz bstimmtes immer wieder und wieder liest. Dem Prinzip folgen z.B. Heftromane und die stillen auch ein ganz bestimmtes Bedürfnis mit ihrem vom Verlag festgelgtem Schema.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Feuertraum am 08. Juli 2016, 11:05:38
Zitat von: Cailyn am 07. Juli 2016, 08:26:31
Daruk ist unser Hinkebein mit bestimmtheit ein anderer als er es ohne Hinkebein wäre. Zunächst einmal aus praktischer Sicht, aber auch von der Psyche her. Nehmen wir an, Hinkebein hatte einen schweren Reitunfall in seiner Jugend. Er wollte Reiter werden, musste aber diesen Traum aufgeben. Was löst das in ihm aus? Vielleicht wurde er neidisch auf die anderen. Vielleicht fühlt er sich wertloser als andere. Vielleicht musste er lernen, auch mit seiner Behinderung anders klar zu kommen. Da gibt es zig Möglichkeiten. Aber alle formen letzten Endes seinen Charakter. Und ich behaupte mal, dass diese Vorgeschichte ihn gerade interessant macht, um herauszufinden, ob er sich im Krieg behaupten kann. Da steht viel mehr für ihn auf dem Spiel als "bloss" das Überleben. Womöglich will er sich etwas beweisen, sich wetvoller fühlen, wenn er lebend aus diesem Kampf herauskommt. Das hat sehr wohl mit dem Plot zu tun, weil der Plot damit spannender wird. Je mehr auf dem Spiel steht, desto mehr Spannung kommt rein.

Und genau da haben wir ja wieder den Punkt, den ich so kritisiere. Dieses: Wenn der Prota "normal" ist, keine Behinderung hat, keine zerrüttete Kindheit, keine Drogenkarriere etc. pp., dann ist er austauschbar, langweilig, plotschädigend, eindimensional, das will keiner lesen, das ist doch höchstens ... bäh ... Heftromantauglich.

ZitatIch behaupte mal fech, dass das Hinkebein für 90% der Leser interessanter ist als ein x-beliebiger Krieger, dessen einzige Funktion es ist zu kriegen.

Ich erlaube mir einmal ein kleines, provokantes Gegenbeispiel. Fussballeuropameisterschaft 2016. Millionen von Deutschen hängen vor den Fernsehgeräten, liegen sich bei jedem Tor der DFB-Mannschaft in den Arm, feiern frenetisch jeden Sieg der Jungs von Jogi Löw, Gerstensaft fließt in Strömen, und egal ob die Fussballer gewinnen oder verlieren, man ist glücklich ob der Leistung der Spieler.
Nächsten Monat beginnt eine weitere Fussballmeisterschaft, nämlich die Paralympics, sprich der Sportler mit körperlicher und geistiger Behinderung. Was glauben Sie werden da die Fans der Deutschen Nationalmannschaft machen?
Jedes Tor, jeden Sieg feiern?
Unbedingt nach Hause eilen, um das Spiel zu sehen?
Wird es Public Viewing geben?
Ich habe mir mal den Gag erlaubt, und nach der letzten EM einige Menschen, die mit DFB-T-Shirt rumliefen, wie sie denn den Ausgang der Partie Deutschland gegen (keine Ahnung wer das war) tippen. Erstmal wurde ich angeguckt, als hätte ich völlig den Verstand verloren, schließlich sei kein Spiel angesagt.
Auf meine Erklärung mit den Paralympics kamen als Antworten:

- Das ist doch kein Sport
- Behindis? Das will doch keiner sehen! (der Satz kam übrigens von einer Frau!)
Eine der vernünftigsten Antworten: "Naja, eigentlich müsste man das schon verfolgen, aber ... naja ... mal sehen."
Und als Ausgleich: "Sie können einem aber die Freude am Fussball total vermiesen."

Und jetzt erklär mir einer bitte den Unterschied, warum ein behinderter Prota in einem Roman so viel Sympathie bekommt, behinderte Fussballspieler jedoch so wahnsinnig wenig positive Resonanz erhalten?
(Wobei ich die Antwort schon kenne: Das kann man nicht miteinander vergleichen, das ist doch was vollkommen anderes).

ZitatWas ich nicht so verstanden habe: Was meinen Sie mit Gefühl?
Mir den mehrdimensionalen Charakteren geht es nicht per se darum, dass Figuren ihre Konflikte mit Gefühlen lösen müsse. Aber das Gefühl soll beim Leser entfacht werden (Sympathie, Antipathie etc.).

Ja, das sehe ich ja auch so. Ich sehe es nur nicht ein, dass es grundsätzlich heißt, das können nur Protas, die so und so sind, die keine Otto-Normal-Verbraucher sind.

Zitat von: SiaraWichtiger ist mir aber etwas anderes: Das Geschehen aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Durch die Augen eines anderen.

Und warum darf dass dann kein Thomas Lieven sein? Warum muss es Hinkebein sein? Warum ein Andreas Niedrig?

Zitat von: SiaraWenn die Figur keine Tiefe besitzt, kann sie auch auf spektakulärste Weise die Welt retten, ohne das ich auch nur einen Funken Bewunderung aufbringe.

Kommt für mich auf die spektakuläre Weise ein. McGyver zum Beispiel wäre für mich so eine Figur, bei der ich sage "Hut ab".

Zitat von: SiaraAber wenn Sie sagen, dass ein körperlich eingeschränkter Mann, der sich dennoch in den Krieg wagt und sich dort seinen Schwächen stellt, keine Persönlichkeit ist - was genau macht dann für Sie eine Persönlichkeit aus? Was genau bringt Sie dazu, die Figuren zu bewundern?

Bei Figuren selber ist es etwas schwierig. Aber einmal angenommen, es gäbe eine Zeitmaschine, mit der ich jene Menschen besuchen und "interviewen" könnte, die wirklich meine Bewunderung verdienen, dann wären das zum Beispiel der von mir schon genannte Mahatmha Gandhi, aber auch Martin Luther King oder Leonardo da Vinci. Ein kleines bisschen auch Salvador Dali.
Sie haben etwas - in meinen Augen zumindest - Außergewöhnliches geschaffen.
Nun wird vielleicht ein jeder sagen, dass aber auch diese Menschen durch Ereignisse geprägt worden sind. Natürlich, zweifelsohne. Aber es war nicht dieses Extreme, es war keine Behinderung, es war kein zerrüttertes Elternhaus, es herrschten keine Oliver-Twist-Bedingungen. Sprich: es ist nicht das, was laut Cailyn 90% der Leser lesen wollen.

Natürlich gibt es auch Menschen, die Herausragendes oder Berührendes leisten und dabei ziemlich viel Bescheidenes (höflich ausgedrückt) mitmachen mussten. Stephen Hawking zum Beispiel. Oder Anne Frank.
Wogegen ich mich jedoch wehre, dass ist der Tenor, dass Frank oder Hawking deswegen interessante Menschen waren/sind, weil sie eben viel Sch...e in ihrem Leben erleiden mussten, während Ghandi oder Martin Luther King  oder Leonardo da Vinci zwar auch einschneidende und prägende Erlebnisse hatten, aber eben nicht das Extreme und deswegen uninteressant, austauschbar, plotschädigend, eindimensional oder gerade mal Heftromantauglich sind.

Ich stehe dazu: Ich mag 08/15-Helden und ich mag ihre Geschichten erzählen, auch wenn sie nur 10% der Leser erreichen. Ich bin auch nur ein 08/15-Typ, und auch ich habe meine Geschichten. Und ich fände es traurig, dass meine Erlebnisse nur aus dem Grund uninteressant für andere sind, weil ich kein Hinkebein bin.


Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Churke am 08. Juli 2016, 11:18:13
Zitat von: Mondfräulein am 07. Juli 2016, 13:02:19
Starke Situationen sind solche, in denen die meisten Menschen gleich handeln würden, weil es die soziale Norm so vorgibt, also beispielsweise eine rote Ampel für Autofahrer. Schwache Situationen geben weniger soziale Normen vor und interindividuelle Unterschiede kommen eher zum Vorschein.

Guter Gesichtspunkt.
Und richtig interessant wird es, wenn sich Figuren in starken Situationen gegen die sozialen Normen auflehnen. Die rote Ampel ist ja relativ unbelastet - aber wenn 99 Leute im Saal "Heil Hitler!" brüllen und der 100. steht auf und geht raus - dann wollen wir schon wissen, warum er das tut und was ihn von den 99 unterscheidet.

Zitat von: Feuertraum am 08. Juli 2016, 11:05:38
Ich stehe dazu: Ich mag 08/15-Helden und ich mag ihre Geschichten erzählen, auch wenn sie nur 10% der Leser erreichen. Ich bin auch nur ein 08/15-Typ, und auch ich habe meine Geschichten. Und ich fände es traurig, dass meine Erlebnisse nur aus dem Grund uninteressant für andere sind, weil ich kein Hinkebein bin.
Hm, irgendwie denke ich bei dem "Hinkebein" gerade an Long John Silver. Der ist ja die ambivalenteste Figur in der Schatzinsel, richtig dreidimensional. Die "Guten" sind aufrechte Männer und brave Burschen, die Schurken sind Klischee-Piraten, aber Long John Silver, der hat Stil...  :)
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: HauntingWitch am 08. Juli 2016, 13:04:08
Diese Diskussion ist interessant, deshalb möchte ich auch meinen Senf dazugeben.  ;D

Zitat von: Feuertraum am 08. Juli 2016, 11:05:38
Bei Figuren selber ist es etwas schwierig. Aber einmal angenommen, es gäbe eine Zeitmaschine, mit der ich jene Menschen besuchen und "interviewen" könnte, die wirklich meine Bewunderung verdienen, dann wären das zum Beispiel der von mir schon genannte Mahatmha Gandhi, aber auch Martin Luther King oder Leonardo da Vinci. Ein kleines bisschen auch Salvador Dali.
Sie haben etwas - in meinen Augen zumindest - Außergewöhnliches geschaffen.
Nun wird vielleicht ein jeder sagen, dass aber auch diese Menschen durch Ereignisse geprägt worden sind. Natürlich, zweifelsohne. Aber es war nicht dieses Extreme, es war keine Behinderung, es war kein zerrüttertes Elternhaus, es herrschten keine Oliver-Twist-Bedingungen.

Ist das so? Wissen Sie das ganz genau? Gerade bei berühmten Persönlichkeiten sollte man da sehr vorsichtig sein. Wir wissen nicht, wie viel von dem, was wir über diese Personen zu wissen glauben, wirklich stimmt. Nehmen wir z.B. David Bowie. Der kommt anscheinend aus einem ganz gewöhnlichen englischen Middleclass-Haushalt, nichts Besonderes. Mutter hat viel gearbeitet, Vater auch, aber das war's dann. Keine Problemkindheit. Nur warum wird dieses gewöhnliche Kind, das ja so ein stabiles Leben hatte, zu einem Künstler, der ausgerechnet die Aussenseiter und jene, die eben ein schwieriges Leben hatten, anspricht? Was treibt einen Menschen, der vermeintlich nie Grund hatte, zu klagen (höchstens vielleicht über die Strenge in der Erziehung), dazu, solche Songs zu schreiben oder in diesem Fall auch, Bilder zu malen gegen die einige ziemlich düstere Fantasy-Künstler gleich "Planet Pink" auf ihre Sachen schreiben könnten? Nimmt Drogen und verliert sich in Eskapaden? Ein Kind aus einem völlig intakten Elternhaus tut das nicht.
Oder der Schlagzeuger von U2, kommt auch (und vermutlich sogar tatsächlich) aus einem völlig intakten Elternhaus. Ausser, dass seine kleine Schwester gestorben ist, als er ein Teenager war. (Später dann die Mutter, aber da hatte er schon die Band gegründet). Da kann man noch so liebevolle Eltern und Geschwister haben, das ist eine Menge zu verarbeiten für so einen jungen Menschen.
Ich kannte übrigens mal einen Jungen, der hat auch düstere Bilder gemalt. Kam angeblich aus der besten Familie der Welt und wurde von seinen Eltern geliebt. Glaube ich so nicht. Ich glaube, dass er glaubt, dass er aus einer guten Familie kommt. Aber es gibt so viele Dinge, die auf subtiler Ebene passieren, die sich im Unterbewusstsein verankern und schlimm sind. Auch wenn einem das als Betroffener nicht unbedingt bewusst ist oder - was häufig vorkommt - man es vor sich selbst und vor anderen verleugnet. Insbesondere berühmte Leute möchten ja vielleicht nicht der ganzen Welt auf die Nase binden, was wirklich in ihrem Elternhaus abgegangen ist. Deswegen kann man das nicht so genau sagen, denke ich.

Was ich damit sagen möchte ist, mir ist aufgefallen, dass sehr viele kreative Menschen (ich würde sogar sagen, die meisten, wenn nicht sogar alle) irgendwann in ihrem Leben schwierige Erfahrungen gemacht haben (und/oder darüber schreiben, was ja auch irgendwoher kommen muss. Nicht vom Werk auf den Autor schliessen lasse ich nicht gelten, die Interessen, die man hat, kommen irgendwoher). Das kann eine schwierige Kindheit sein (und das muss nicht gleich Oliver Twist oder etwas Extremes wie z.B. Missbrauch sein), das kann ein Unfall mit Folgen gewesen sein, das kann irgendetwas sein. Wenn z.B. jemand schon sehr jung häufig auf kleine Geschwister aufpassen muss, weil die Eltern arbeiten (müssen), hat das einen Einfluss auf den Charakter. Auch dann, wenn ansonsten alles in der Familie gut ist. Das ist aber etwas, was für Menschen, die selbst fast oder ganz noch Kinder sind, schwierig zu bewältigen ist.
Ich glaube, dass dieses Schwierige einen Teil des kreativen Antriebs ausmacht. Nun frage ich mich, finden wir als Autoren die, ich sag jetzt mal, schwierigen oder gebeutelten Charaktertypen nicht einfach deswegen interessanter, weil wir vielleicht selber so sind? Es gibt bestimmt viele Leser, die gerne über den "0815"-Typen lesen, die Frage ist eher, ist das unser angestrebtes Zielpublikum? Also meines ist es nicht.
Ihr Beispiel mit dem Fussball/den Paralympics @Feuertraum geht in das hinein, denke ich. Wer ist die Zielgruppe? Für die Paralympics interessieren sich andere Leute, als für die EM mit den gesunden Spielern (*Räusper* ob die das wirklich sind? *Räusper*). Genau so ist es doch bei Kunst auch. Gleich und gleich zieht sich an, Konsumenten (ob jetzt Leser, Musikfans, Kunstfreunde oder was auch immer) bevorzugen die Kunst, in der sie sich wieder erkennen. Ich denke, es ist auch ein bisschen eine Genrefrage. In der Fantasy bewegen sich nun einmal viele Leute mit schwierigem Hintergrund, die werden ja deswegen von der Fantasy mit diesem fast schon typischen "schwieriger Hauptcharakter = gutes Buch"-Credo angezogen. Aber schaut man mal auf leichte Frauenunterhaltung oder (nicht Fantasy) Liebesromane sieht das schon anders aus. Die Frage ist dann, wer das schreibt, wenn alle Kreativen selbst schwierige Leute sind, vermutlich solche, die das sehr gekonnt verbergen oder so... *Philosophie-Modus aus*

Dann stellt sich noch die Frage, was ist ein "0815-Charakter"? Alle Menschen sind einzigartig. Ich denke, was langweilige Leute von interessanten unterscheidet ist, dass man den Langweiligen ihre Einzigartigkeit kaum anmerkt, dass sie sich einer Norm anpassen und darunter alle ihre besonderen Eigenschaften/Vorlieben etc. begraben. Was wiederum bedeutet, dass ein "0815-Charakter" in einem Buch solche verborgenen Seiten hat. Und sagen Sie bitte nicht, aber was ist, wenn einer das eben nicht hat? Menschen ohne verborgene Seiten gibt es meiner Erfahrung nach nicht. Falls einem doch mal so ein Individuum begegnet, muss man nur abwarten, bis eine Ausnahmesituation passiert. Ich denke daher, dass ein Buch mit einem "0815-Charakter" durchaus auch gut sein kann, wenn er in Situationen kommt, in denen er eben gefordert ist und seine Schwächen oder verborgenen Seiten zum Vorschein kommen.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Araluen am 08. Juli 2016, 13:26:00
Wie viel Tiefe ein Charakter hat hängt nun auch nicht damit zusammen, wie stark er körperlich beeinträchtigt ist, welche sexuelle Orientierung oder Geschlecht er hat, sondern, dass er eine einzgiartige Persnlichkeit hat. Ebensowenig ergibt sich Dreidimensionalität einer Figur daraus, dass ich zu ihr aufblicken kann. Wäre ziemlich schade, denn die wahren Helden sind in der realen Welt auch recht selten. Folglich wären wir alle ziemlich eindimensional. Aber im Gegenteil, wir sind einzigartig, haben unser eigenes Leben und unsere eigenen Geschichten. So sollte es mit Romanfiguren auch sein. Sie sollten lebendig sein und damit ihre eigene Geschichte haben, die auch gerne allein der Autor kennen darf. Hauptsache er selbst weiß, wie und warum eine Figur auf eine bestimmte Situation reagiert. Kennt der Autor seine Figuren, kann er sie auch entsprechend authentisch darstellen und das ist für mich das wichtigste.
Eindimensional sind Figuren mit minimaler Persönlichkeit, die in standartisierten Mustern agieren: Großer Krieger zieht sein Schwert und schnetzelt alles nieder, was ihm vor die Füße läuft. Listiger Dieb hintergeht alles und jeden und kann seine Finger nicht bei sich behalten. Die kleine Emanze, die sich als Kriegerin aufspielt und mehr Mann als Wieb ist. Das Prinzesschen, das unbedingt gerettet werden will. Warum sie so sind? Weiß kein Mensch. Es entspricht einfach ihrer Rolle. Das können interesante Charaktergrundlagen sien, wenn man sie mit Leben füllt. Tut man das nicht, hat man einen eindimensionalen Schablonencharakter. Der Leser weiß schon im Vorraus, wie der Charakter reagieren wird, da er bestimmten Mustern folgt.
In diesem Moment wird Hinkebein im Krieg interessant. Denn er kann nicht wie Krieger Haudrauf einfach vorwärts stürmen und alles niederschnetzeln. Er muss sich andere Wege überlegen. Aber das würde genauso gut auch mit jedem anderen Charakter funktionieren. Warum nicht der Bauernjunge? Bisher hatte er ein völlig normales Leben und dann war er zur falschen Zeit am falschen Ort, wurde für die Armee verpflichtet und steht nun an der Front - so, da hat er schon seine kleine Geschichte. Der hatte bislang auch kein spannendes Leben. Dennoch ist seine Geschichte erzählenswerter als die von Haudrauf, der in seinen Mustern bleibt. Oder nehmen wir doch den Sohn aus einer Dynastie von Offizieren, der nun seinem Vater nacheifern möchte. Begleiten wir ihn doch in den Krieg. Wie wirkt sich der Erwartungsdruck seiner Familie auf sein Handeln aus? Will er wirklich Soldat werden? Ist er ein ehrgeiziger Schnösel, der sich für etwas besseres hält, weil ja schon Papa Offizier war? Viele Möglichkeiten, die sich zu einer Geschichte basteln lassen und neue Dynamiken erschaffen.
Eine Geschichte lebt von Konflikten, plotgemachte und charaktergenerierte, die die Figuren bewältigen müssen. Ein driedimensionaler Charakter kann mich hierbei überraschen. Bei einem eindimensionalen weiß ich schon im Vorfeld, was er tut.

Alles hat sein Publikum. Manchmal macht es einfach Spaß zuzusehen oder zu lesen, wie der Held sich durch die Reihen seiner Feinde sprengt ohne wirkliche Überraschungen, da der Charakter vorhersehbar ist. Manchmal muss man einfach entspannen. Deutlich interessanter sind zumindest für mich dreidimensionale Charaktere, die nicht aufgrund von Mustern, sondern aufgrund ihrer persönlichen Geschichte handeln.

Zum Fußballbeispiel: Das ist alles eine reine Frage des Marketings. Ob wir nun unseren Jungs oder den Mädels zuschauen, wie sie einem Ball nachlaufen oder bei den Paralympics reinschauen, hängt großteils vom Marketing ab. Schon Wochen vorher wird man überall damit beschallt, dass bald das Ereignis des Jahres losgeht - es ist Fußball! Die EM! Jippie! Das darf man nicht verpassen! Für die Damen und die Paralympics fehlt dieser ganze Medienzirkus völlig. Da wird im Nebensatz mal darauf eingegangen, dass es nun statt findet (wobei die Damen sich mitlerweile auch Kurzbeiträge und hin und wieder Einladungen ins Studio erarbeitet haben). Folglich geht das an einem auch total vorbei und wird nur am Rande wahr genommen. Das hat weniger damit zu tun, was interessanter ist, sondern wo Investoren ihr Geld lassen und ihre Werbung platzieren. Ich habe mir sagen lassen, dass gerade der Damenfußball wohl um einiges interessanter sein soll spielerisch. Trotzdem wird er nicht geschaut. Dass abwertend auf die Paralympics reagiert wird, hängt wohl auch damit zusammen, dass einem wieder medial das Ideal vom perfekten Körper vorgebetet wird. Nun ist die Gesellschaft endlich aufgeklärt genug körperlich beeinträchtigte Menschen zu akzeptieren. Aber dass diese Leute sich hinstellen und plötzlich Leistungen erbringen, die tatsächlich beeindrucken können - nun das befremdet wohl. Kann ich mir zumindest vorstellen. Interessant ist die Frage aber tatsächlich, wenn das eine nicht akzeptiert wird, wieso dann die Heldentaten von Hinkebein anscheinend als spannend gelten. Vermutlich, weil Romane Fiktion sind. Das passiert ja nicht wirklich so, alles Phantasie. Das menschliche Gehirn ist so gut darin, sich selbst zu betrügen. Wobei auch hier eher zu beobachten ist, dass Helden ihre Ecken und Kanten haben, aber insgesamt doch eher zu den Vorzeigeobjekten gehören. Und auch @Witch kannich zustimmen. Es kommt immer auf die Zielgruppe an.

Und es darf auch gerne mein Nachbar sein, der plötzlich in ein mitreißendes Abenteuer gerät oder zumindest eine interessante Geschichte erlebt. Solange er selbst seine Geschichte hat und nicht plakativ nach Muster A hindurch stolpert, ist er eine dreidimensionale Figur. Wenn er der eine unter 100 ist, der den Raum verlässt, dann ist das erzählenswert, auch wenn er sonst nur Schuhverkäufer ist, Frau und zwei Kinder hat und sonst auch nur auf ein normales Leben zurück blickt. Aber irgendwo wird die Ursache dafür liegen und das will der Leser erfahren.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 08. Juli 2016, 16:16:49
Zitat von: Feuertraum am 08. Juli 2016, 11:05:38
Und genau da haben wir ja wieder den Punkt, den ich so kritisiere. Dieses: Wenn der Prota "normal" ist, keine Behinderung hat, keine zerrüttete Kindheit, keine Drogenkarriere etc. pp., dann ist er austauschbar, langweilig, plotschädigend, eindimensional, das will keiner lesen, das ist doch höchstens ... bäh ... Heftromantauglich.
Ich finde, da werfen sie den Blick immer wieder auf die Extremformen. Aber das Beispiel habe ich ja nur genommen, weil es sich anhand dessen etwas einfacher erklären lässt. Man könnte ja auch eine Figur erfinden, die keine Drogenprobleme, keine Behinderung hat und auch nicht aus armen Verhältnissen stammt. Auch so eine Figur sollte aber dreidimensional sein, um spannend zu sein und in der Geschichte Spannung erzeugen. Sie können auch den Krieger nehmen und ihn dreidimensional gestalten. Er ist stark, mutig und flink. Das genügt aber nicht. Vielleicht ist er zu waghalsig, so waghalsig, dass er sich überschätzt und sich in Situationen begibt, die andere nicht mehr nachvollziehen können. Peng! Da haben Sie Ihre dreidimensionale Figur, die schon mal besser ist als ein Krieger, der einfach kriegt.

Zitat von: Feuertraum am 08. Juli 2016, 11:05:38
Und jetzt erklär mir einer bitte den Unterschied, warum ein behinderter Prota in einem Roman so viel Sympathie bekommt, behinderte Fussballspieler jedoch so wahnsinnig wenig positive Resonanz erhalten?
Da schliesse ich mich Araluen an. Es geht ums Marketing. Würden die Paralympics für Behinderte gleich beworben, würde es sicher auch mehr angeschaut.
Aber man kann sich natürlich auch fragen, warum diese Wettsportart weniger beworben wird. Ich weiss es ehrlich gesagt nicht.
Aber welches Zielpublikum schaut sich vor allem Sportsendungen an? Zu einem grösseren Teil Männer. Und wer liest Bücher? Momentan ist die Leserschaft zu 80% weiblich. Ich möchte diesbezüglich jetzt keine Verallgemeinerungen lostreten. Doch das Zielpublikum scheint bei Sportsendungen schon ein anderes zu sein als bei Büchern. Ob das die Frage beantwortet, keine Ahnung. War nur mal so ein Gedanke.

Zitat von: Feuertraum am 08. Juli 2016, 11:05:38Bei Figuren selber ist es etwas schwierig. Aber einmal angenommen, es gäbe eine Zeitmaschine, mit der ich jene Menschen besuchen und "interviewen" könnte, die wirklich meine Bewunderung verdienen, dann wären das zum Beispiel der von mir schon genannte Mahatmha Gandhi, aber auch Martin Luther King oder Leonardo da Vinci. Ein kleines bisschen auch Salvador Dali.
Auch hier: Es geht nicht um ein zerrüttetes Elternhaus per se, sondern um die Art, wie eine Person sich im Leben entwickelt. Das kann in der Kindheit gewesen sein, aber auch später. Und die Beispiele, die Sie anführen sind ja ziemlich starke Persönlichkeiten mit wuchtigen Kanten. Alle drei von Ihnen genannten haben sich gegen gesellschaftliche Normen gestellt. Mahatma Ghandi war äusserst stur, stoisch im Dienste seiner philantropischen Ideologie (Gleichheit der Menschen). Leonardo Da Vinci. Um diesen Mann ranken sich hunderte von Geschichten, von denen man ja nicht weiss, was ihn wirklich ausmacht. Aber mit Sicherheit war er kein eindimensionaler Mensch. Er wurde ja zu manchen Zeiten belächelt, verhöhnt und niedergemacht. Aber er blieb eigensinnig und folgte seinen Visionen. Wenn das mal keine Ecken und Kanten sind, mit welchen er sich durchs Leben gekämpft hat. Und Salvador Dali hier ein Auszug aus Wikipedia über Dalis Kindheit:
Salvador Dalí wurde in der Carrer Monturiol 20 in Figueres (Katalonien) als Sohn des angesehenen Notars Don Salvador Dalí y Cusí (1872–1952) und dessen Ehefrau Doña Felipa Domènech y Ferres (1874–1921) geboren und erhielt den Namen seines neun Monate zuvor gestorbenen Bruders Salvador I. (* 21. Oktober 1901; † 1. August 1903). Dadurch wurde in ihm der Wille geweckt, aller Welt zu beweisen, dass er das Original und einmalig sei. Als Kind soll er sich vor dem Grab seines Bruders gefürchtet haben.
Das bürgerliche Umfeld und die väterliche strenge Erziehung riefen in Salvador ein starkes Sicherheitsbedürfnis und einen ausgeprägten Sinn für Ordnung hervor, was für sein späteres Leben bestimmend sein sollte. Seine Mutter, die er sehr liebte, glich die Strenge des Vaters aus; sie tolerierte seine frühen Eigenheiten wie Wutausbrüche, Einnässen, Tagträume und Lügen.


Zitat von: Feuertraum am 08. Juli 2016, 11:05:38
Ich stehe dazu: Ich mag 08/15-Helden und ich mag ihre Geschichten erzählen, auch wenn sie nur 10% der Leser erreichen. Ich bin auch nur ein 08/15-Typ, und auch ich habe meine Geschichten. Und ich fände es traurig, dass meine Erlebnisse nur aus dem Grund uninteressant für andere sind, weil ich kein Hinkebein bin.
Wenn Sie damit zufrieden sind, dass Sie 10% erreichen, ist das ja auch völlig in Ordnung.
Aber auf Sie bezogen, kann ich es mir nicht verkneifen zu sagen, dass Sie auf mich alles andere als 08/15 wirken. Denn jemand, der in einem Forum unter Autorenkollegen die Form des Siezens bevorzugt, hat für mich schon mal etwas Besonderes  ;)

Abgesehen von all dem, denke ich, dass Sie da auch zwei Dinge vermischen. Es geht eben nicht per se um die zerrüttete Kindheit, sondern einfach um das Innenleben einer Person, das nicht eindimensional sein sollte. Dass man bei der Figurenerstellung daran denkt, warum Eigenschaften in einer Figur so entstanden sind, macht sie einfach authentischer. Und zweitens dürfen Sie Schein und Sein hier auch nicht durcheinanderbringen. Sie sagen, auch ein 08/15 wirkender Mensch kann besonders sein. Ja, klar. Das hat auch niemand anders behauptet. Aber es geht ja um das, was dahinter ist. So halte ich es auch, wie Witch es erklärt hat. Jeder ist irgendwie besonders. Es ist nur eher schwer, eine Figur in einem Buch zu wählen, die nach aussen total kantenlos wirkt und nur im Inneren dreidimensional ist. Um die Dreidimensionalität zu zeigen, sollten sich diese Eigenschaften natürlich schon nach aussen kehren.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Feuertraum am 10. Juli 2016, 13:45:30
Zitat von: Witch am 08. Juli 2016, 13:04:08

Ist das so? Wissen Sie das ganz genau? Gerade bei berühmten Persönlichkeiten sollte man da sehr vorsichtig sein. Wir wissen nicht, wie viel von dem, was wir über diese Personen zu wissen glauben, wirklich stimmt. Nehmen wir z.B. David Bowie. Der kommt anscheinend aus einem ganz gewöhnlichen englischen Middleclass-Haushalt, nichts Besonderes. Mutter hat viel gearbeitet, Vater auch, aber das war's dann. Keine Problemkindheit. Nur warum wird dieses gewöhnliche Kind, das ja so ein stabiles Leben hatte, zu einem Künstler, der ausgerechnet die Aussenseiter und jene, die eben ein schwieriges Leben hatten, anspricht? Was treibt einen Menschen, der vermeintlich nie Grund hatte, zu klagen (höchstens vielleicht über die Strenge in der Erziehung), dazu, solche Songs zu schreiben oder in diesem Fall auch, Bilder zu malen gegen die einige ziemlich düstere Fantasy-Künstler gleich "Planet Pink" auf ihre Sachen schreiben könnten? Nimmt Drogen und verliert sich in Eskapaden? Ein Kind aus einem völlig intakten Elternhaus tut das nicht.
Oder der Schlagzeuger von U2, kommt auch (und vermutlich sogar tatsächlich) aus einem völlig intakten Elternhaus. Ausser, dass seine kleine Schwester gestorben ist, als er ein Teenager war. (Später dann die Mutter, aber da hatte er schon die Band gegründet). Da kann man noch so liebevolle Eltern und Geschwister haben, das ist eine Menge zu verarbeiten für so einen jungen Menschen.
Ich kannte übrigens mal einen Jungen, der hat auch düstere Bilder gemalt. Kam angeblich aus der besten Familie der Welt und wurde von seinen Eltern geliebt. Glaube ich so nicht. Ich glaube, dass er glaubt, dass er aus einer guten Familie kommt. Aber es gibt so viele Dinge, die auf subtiler Ebene passieren, die sich im Unterbewusstsein verankern und schlimm sind. Auch wenn einem das als Betroffener nicht unbedingt bewusst ist oder - was häufig vorkommt - man es vor sich selbst und vor anderen verleugnet. Insbesondere berühmte Leute möchten ja vielleicht nicht der ganzen Welt auf die Nase binden, was wirklich in ihrem Elternhaus abgegangen ist. Deswegen kann man das nicht so genau sagen, denke ich.

Zugegebenermaßen habe ich  mich jetzt auf Quellen verlassen, von denen ich nicht weiß, ob sie nun zu 100% wahr sind.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie etwas erreicht haben, das meinen allerhöchsten Respekt verdient.

ZitatDann stellt sich noch die Frage, was ist ein "0815-Charakter"?
Alle Menschen sind einzigartig. Ich denke, was langweilige Leute von interessanten unterscheidet ist, dass man den Langweiligen ihre Einzigartigkeit kaum anmerkt, dass sie sich einer Norm anpassen und darunter alle ihre besonderen Eigenschaften/Vorlieben etc. begraben. Was wiederum bedeutet, dass ein "0815-Charakter" in einem Buch solche verborgenen Seiten hat. Und sagen Sie bitte nicht, aber was ist, wenn einer das eben nicht hat? Menschen ohne verborgene Seiten gibt es meiner Erfahrung nach nicht. Falls einem doch mal so ein Individuum begegnet, muss man nur abwarten, bis eine Ausnahmesituation passiert. Ich denke daher, dass ein Buch mit einem "0815-Charakter" durchaus auch gut sein kann, wenn er in Situationen kommt, in denen er eben gefordert ist und seine Schwächen oder verborgenen Seiten zum Vorschein kommen.

Genau das ist es doch, was ich die ganze Zeit sage. Ein 08/15-Charakter ist ein Prota, der sich eben NICHT durch irgendwelche extremen Besonderheiten hervortut.
Nehmen wir zum Beispiel einmal die Figur der "Herrn Lehmann" des  auf verschiedenen künstlerischen Bereichen tätigen Sven Regener. Ich mag diese Figur, weil sie einfach so normal ist. Sie kommt in Situationen, die ein wenig ungewöhnlich sind, hat seine leichten Charakterzüge, ist mal wütend, mal traurig, mal fröhlich.
Das mag ich an dieser Figur.
Wenn ich jedoch die Argumente der Tintenzirkler lese, dann darf ich diese Figur nicht mögen. Sie ist langweilig, sie ist austauschbar, sie ist gerade mal gut genug für das Heftromanniveau (wobei ich auch schon Heftromane gelesen habe, die es locker mit der gehobenen Belletristik aufnehmen können, wenngleich, rar sind diese gesät, sehr sehr rar).
Nein, ich darf diese Figur nicht mögen, sie ist ja eindimensional.
Nehmen wir nochmal als Beispiel "Hinkebein". Bei ihm ist es ja nicht nur, dass er eine körperliche Beeinträchtigung hat, nein, zudem muss er auch noch Agoraphobie an den Tag legen UND sich seinen Ängsten stellen. Das, und nur das, macht die Dreidimensionalität einer Figur aus. Das, und nur das, sorgt dafür, dass sie bewundert werden kann, dass der Leser mit ihr leidet, mit ihr fiebert, ihr Sympathien oder Antipathien entgegenbringt.
Mir kommt es vor, dass ein Charakter eigentlich das sein muss, was eigentlich Hohn und Spott verdient: eine Charakterisierung a la Mary Sue/Garry Stu, nur halt in dem Sinne, dass der Prota ... ich sage mal vorsichtig ... glorifiziert wird, man ihn auf einen Sockel hebt und darauf abzielt, dass der Leser auf die Knie fällt und mit glänzenden Augen sagt: "Was für eine göttliche Figur!"
Dieses: Der Figur muss etwas Besonderes anhaften, das ist es, was ich kritisiere.

Zitat von: CailynWenn Sie damit zufrieden sind, dass Sie 10% erreichen, ist das ja auch völlig in Ordnung.
Aber auf Sie bezogen, kann ich es mir nicht verkneifen zu sagen, dass Sie auf mich alles andere als 08/15 wirken. Denn jemand, der in einem Forum unter Autorenkollegen die Form des Siezens bevorzugt, hat für mich schon mal etwas Besonderes

Das hat etwas mit meiner Vergangenheit zu tun. Aber das jetzt nur am Rande. Ich hatte es Araluen schon in einer PM erzählt: Ich hatte das Vergnügen, dass ich schon mal zwei Comedyauftritte auf Offenen Bühnen hingelegt habe. Für mich persönlich eine spannende Sache. Auch wenn Araluen meint, dass dies auch für andere Menschen interessant ist: Wenn ich jemanden davon erzähle, kommt ein knappes "Schön" oder "Klasse" oder "Aha." und das war es.
Kein "Erzähl mal, wie das war, was du gedacht hast, wie du drauf gekommen bist" etc. pp.
Einfach nur ein "Schön", und dann war Themenwechsel angesagt.
Und solche Erfahrungen zeigen mir, dass 08/15-Typen, also Menschen, die nicht durch gleich mehrere Besonderheiten auffallen, eindimensional, austauschbar und als langweilig eingestuft werden.

Ja, ich mag eher die Geschichte als solches. Wenn eine Kutsche im rasanten Tempo durch ein Schlagloch fährt, dabei ein Rad bricht, sich das Schlagloch entschuldigt und das Rad erklärt, dass es nicht so schlimm sei, schließlich mache das Schlagloch nur seinen Job, dann finde ich sowas toll und klasse und bekommt von mir ein Daumen rauf.
Und ich finde es schon schade, dass die Idee deswegen schlecht und langweilig und austauschbar sei, weil ja der Kutscher kein glorifizierender Charakter ist ...
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Sipres am 10. Juli 2016, 14:09:59
Ich hab das Gefühl, dass in diesem Thread ziemlich aneinander vorbeigeredet wird, deswegen möchte ich mich mal einmischen. Es gibt einen Unterschied zwischen langweilig/austauschbar und 08/15. Langweilig/austauchbar ist eine Figur, wenn sie keinerlei besondere Charaktereigenschaften und keine eigene Geschichte hat. 08/15 ist eine Figur, wenn sie ein Normalsterblicher mit normalen Stärken und Schwächen ist. Ein Otto-Normal-Bürger eben, der trotz allem eine eigene Lebensgeschichte hat und seine eigene Persönlichkeit. Und mit Persönlichkeit ist nicht immer eine große Persönlichkeit gemeint, sondern die Charakterzüge eines Menschen, da das hier ja auch schon verwechselt wurde.

Ich finde langweilige Charakter auch ätzend, aber 08/15 ist doch okay. Ein arbeitender Familienvater, der selbst eine gute Kindheit hatte, kann sich dennoch hervortun. Vielleicht ist er von seinem Job genervt (wie ein Großteil der Welt) und wenn er abends nach Hause kommt und total müde ist, spielt er trotzdem noch mit seinen Kindern, weil ihm seine Familie alles bedeutet. Das ist nicht außergewöhnlich, aber dennoch charaktersiert es diesen Mann und für eine Slice-of-Life-Geschichte ist das mehr als ausreichend. Aber selbst in anderen Genres kann man mit diesem einfachen Grundmuster arbeiten. Was, wenn seine Kinder entführt werden (Thriller)? Oder wenn ein Geist/Dämon eines seiner Kinder befällt (Horror)? Wie handelt dieser 08/15-Vater dann?

Kurz gesagt: 08/15 kann funktionieren, solange die Figur über die Persönlichkeit verfügt, die sich jeder Mensch (ich wiederhole: JEDER Mensch) im Laufe seines Lebens aneignet. Dann ist sie auch nicht mehr austauschbar, da alle Menschen einzigartig sind. Aber das nur meine Meinung.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Araluen am 10. Juli 2016, 14:19:53
Ich glaube, es geht weniger darum, dass 0815-Figuren langweilig sind, sondern darum einen Weg weg von der eindimensionalen Charakterschablone, die nach Muster x agiert, hin zu einem dreidimensionalen Charakter mit Tiefe zu finden, dessen Handlungen durch seine Persönlichkeit bestimmt sind. Im einfachsten Fall sind das Ausnahmecharaktere wie Hinkebein. Aber auch hier muss man wieder darauf achten, nicht in generierte Muster zu verfallen. Figurenentwicklung ist eine schwierige Gratwanderung zwischen Klischees, Schablonen und Persönlichkeiten.
Am Anfang @Feuertraum klang Ihre Argumentation so, ehrlich gesagt, als wären Ihnen die Figuren egal. Solange die Handlung stimmt, reicht auch eine Schablone, die nicht nennenswert ausgearbeitet ist. Da sage ich rein subjektiv, nein. Denn eine Schablone arbeitet in vorgefertigten Mustern. Die Geschichte kann also auch nur diesen Mustern folgen. Folglich wird sie vorhersehbar und eine Geschichte, deren Verlauf ich im Vorfeld benennen kann, ist meist langweilig.
Eine Schablone ist aber nicht gleich einer 0815-Figur. Die 0815-Figur zeichnet sich dadurch aus, dass sie Herr oder Frau Müller von nebenan ist mit einem normalen Leben, normalen Fähigkeiten, normal glücklich. Aber auch diese Figur hat eine Persönlichkeit und mit dieser Persönlichkeit muss sie sich mit den Konflikten auseinander setzen, die der Plot bietet. Hier kommt dann wieder die Spannung auf, wenn denn das Figurendesign stimmt und die Figur authentisch ist. Im Grunde ist es viel schwieriger wirklich gute 0815-Figuren zu kreieren, die den Leser ansprechen, als den verschrobenen Ausnahmecharakter.
Es sollte also stark differenziert werden, ob wir hier von 0815-Figuren oder eindimensionalen Schablonen reden. Das sind zwei Paar Schuhe.

@Sipres: Danke :) Wie oben zu lesen, wollte ich genau das gleiche sagen. Du warst nur etwas schneller.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: HauntingWitch am 10. Juli 2016, 14:35:16
Zitat von: Feuertraum am 10. Juli 2016, 13:45:30
Zugegebenermaßen habe ich  mich jetzt auf Quellen verlassen, von denen ich nicht weiß, ob sie nun zu 100% wahr sind.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie etwas erreicht haben, das meinen allerhöchsten Respekt verdient.

Lieber Feuertraum, Sie wissen, ich mag Sie, aber ich glaube, wir verstehen uns im Moment gerade nicht. Ich habe gar nicht in Frage gestellt, dass diese Leute etwas Besonderes erreicht haben. Ich habe nur die Frage aufwerfen wollen, ob die Leute, die solche tollen Sachen erreichen, wirklich so "normal" und "0815"-Typen sind, wie man teilweise annimmt. ;)

Zitat von: Feuertraum am 10. Juli 2016, 13:45:30
Genau das ist es doch, was ich die ganze Zeit sage. Ein 08/15-Charakter ist ein Prota, der sich eben NICHT durch irgendwelche extremen Besonderheiten hervortut.

Ich glaube, auch hier reden wir aneinenader vorbei. Genau das meinte ich doch. Es müssen nicht zwangsläufig extreme Besonderheiten sein, aber ein Mensch, der überhaupt nicht besonders ist, existiert in meinen Augen nicht. Das Besondere äussert sich meiner Meinung nach nicht zwangsläufig in einzelnen, herausstechenden Eigenschaften (kann, muss aber nicht), sondern in der Mischung der Eigenschaften einer Person. Und diese Mischung führt zu Reaktionen auf Situationen.

Mit verborgenen Eigenschaften meinte ich eigentlich nur, dass manche Anteile dieser Mischung erst in Situationen zum Vorschein kommen, da sie im gewöhnlichen Alltag und einem Deckmantel von Normalität versteckt werden. 0815-Charaktere sind in meinen Augen Leute oder Charaktere, die unter diesem Deckmantel leben, wie die von Ihnen beschrieben Figur. Aber auch diese Figur wird in Situationen kommen, in denen sie besonders wütend oder besonders traurig wird, wird vielleicht ovn Erinnerungen an ein ganz bestimmtes Ereignis überwältigt, wenn seine Grossmutter stirbt. Und das macht die Figur dann besonders, dass man genau weiss, diese Erinnerung ist es jetzt, die löst diese enorme Trauer in ihm aus, die stärker ist als z.B. als sein Vater starb. Ich sag jetzt einfach etwas, als Beispiel, wie auch ein "normaler" Charakter eben mit Tiefe begeistern kann.

Und dann gibt es noch die Charaktere, wie unser Hinkebein, die von vorneherein eine herausstechende Besonderheit haben. Aber diese Besonderheit allein verleiht ihnen noch keine Tiefe. Vielleicht ist Hinkebein leichter zu reizen oder empfindlicher, aufgrund seiner Mobbing-Erfahrungen oder was weiss ich (was Cailyn weiter oben gesagt hat). Das macht ihn interessant. Aber das heisst nicht, dass der andere nicht interessant ist, er wird einfach durch andere Dinge interessant. Wenn es gut gemacht ist.

Ansonsten, was Araluen gesagt hat, der Krieger, der einfach nur seine Rolle nach Schema ausfüllt, ist für mich nicht interessant.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Cailyn am 10. Juli 2016, 17:30:35
Die Diskussion hier ist echt witzig. Es kommt mir so vor, als würde ich mit jemandem darüber debattieren, ob man auch mit einem Surfbrett Rollschuhfahren kann. Also für mich persönlich ist eine spannende Figur immer mehrdimensional, egal ob sie jetzt zunächst platt und oberflächlich wirkt. Spätestens bei den ersten aufkommenden Konflikten muss für mich eine Figur etwas Tiefe zum Vorschein bringen (ausser in einer Komödie). Darum steht für mich ausser Frage, ob ein Roman Persönlichkeiten braucht oder nicht.

Jeder hat seine Präferenzen. Wenn jemand wie Feuertraum lieber unauffällige/einfache Charaktere bevorzugt, finde ich das vollkommen ok. Für mich persönlich ist es aber so, dass, je mehr ich lese, auch Variationen in Figuren haben möchte. Wenn jede Figur eine tolle Kindheit hat, ein mittelsonniges Gemüt oder einfach eine "normale" Verhaltensart, dann muss ich mich auf den Plot konzentrieren. Und konzentriere ich mich nur auf den Plot, erinnern mich diese dann sehr rasch an andere Plots. Ist aber ein ähnlicher Plot mit einer speziellen Figur besetzt, entwickelt sich daraus etwas anderes. Es ist irgendwie fast wie eine Rechenaufgabe. Mehrschichtige Figuren geben mehr Möglichkeiten für Plots, die mich interessieren.

Und zum 08/15: Ich sehe das wie Sipres und Witch - 08/15 gibt es so im richtigen Leben gar nicht. Aber wenn ich eine Figur in einem Roman erfinde, die 08/15 bleibt (und nicht nur erst so wirkt), empfinde ich es als umso schlimmer. Es ist einfach extrem langweilig. Ich meine, wenn Frau Geltenbach aus dem 4. Stock, Hausfrau von Beruf, immer glücklich und freundlich, hobbymässig Schwimmerin und ohne besondere Ausdrucksweise und Aussehen plötzlich in einen Thriller geschickt wird, wo eine andere Seite von ihr aufflammt (sagen wir, sie wird zur Rächerin der Ungerechtigkeit), dann gut, dann ist auch diese Person spannend. Aber wenn sie einem Serienkiller auf der Spur ist und dann darauf "normal" reagiert, nämlich ihrer Freundin Susi anruft und lapidar sagt: "Susi, da hat jemand den Herrn Keller umgebracht. Soll ich jetzt die Polizei rufen?", dann denke ich mir als Leserin: langweilig. Was soll ich mit sowas anfangen? Sowas Langweiliges gibt es ja auch im Leben nicht. Aber auch eindimensional im Extrem ist langweilig. Jemand der nur stolz/rachsüchtig/hysterisch/mutig etc. ist, wird schnell mal langweilig. Bei Nebenfiguren finde ich das in Ordnung, denn die erfüllen halt oft auf Funktionen für den Plot, aber eine Hauptfigur sollte schon mit seiner Persönlichkeit mit dem Plot verwachsen sein. Wenn es keine Rolle spielt, wer das Abenteuer bestreitet, ist es für mich keine gute Geschichte. Und je mehr die Figur von dem abweicht, was ich in diesem Plot erwarte, desto mehr erhöht sich die Chance, dass ich etwas spannend finde. Ist halt meine Einstellung als Leserin.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Araluen am 10. Juli 2016, 17:51:33
Wenn Frau Geltenbach natürlich nur die Susi anruft und fragt, ob sie die Polizei verständigen soll, dann hebelt sich der Plot an dieser Stelle selbst aus. Sie ruft die Polizei, die kümmert sich drum. Ende der Geschichte.
Wie du schon sagtest @Cailyn, interessant wird es erst, wenn Frau Geltenbach auch etwas interessantes tut. Sie könnte ja auch irgendeiner Panikreaktion heraus versuchen die Leiche verschwinden zu lassen. Wer will schon die Polizei im Haus haben? Dann wäre natürlich die Frage, warum sie ausgerechnet das tut oder eben auch selbst Jagd auf den Serienkiller macht. Durch diese Beweggründe erlangt sie Tiefe. Wir lernen sie kennen. Dann bleibt natürlich die Frage wie sie das Ganze angeht. Und dieses Fragenspiel können wir jetzt weiter spinnen. Was tut sie und warum tut sie es?
Dann wird eine gute Geschichte draus und eine gute Figur, selbst wenn sie auf den ersten Blick nicht viel hergeben würde.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: criepy am 12. Juli 2016, 14:23:36
Wenn Frau Geltenbach zuerst Susi anruft anstatt sofort die Polizei, dann frage ich mich, was die Frau Geltenbach zu verbergen hat beziehungsweise warum sie nicht eigenständig denken kann. Ist also auch irgendwo interessant.  ;D
Wenn Frau Geltenbach aber die Polizei nicht ruft, die Leiche versteckt und sich selbst auf die Suche nach dem Killer macht, würde ich die Geschichte sofort weglegen. So eine gute Erklärung kann mir kein Autor (oder?) liefern, dass ich den Charakter und den Plot interessant finde. Denn sowas klingt für mich nach einem eher dummen Charakter, der in einen gestellt interessanten Plot hineingezwungen wird. Und dabei trotzdem Durchschnitt bleiben soll.


Was mir aber aufgefallen ist: Leser sympathisieren mehr mit Charaktern, die sich vom Rest der Charakter unterscheiden. Als Beispiel: Man hat im Fokus eine nette und hilfsbereite Freundesgruppe, die immer füreinander da ist und durch dick und dünn geht. Dann kommt eine Figur daher, die einen großen Hang zum Sarkasmus und allgemein eine sehr ruppige Art hat. Viele Leser werden ihn sofort ins Herz schließen, weil er Unterhaltung und Abwechslung bietet. Manche werden ihn trotzdem nicht mögen, aber wenn ich mich so durch Rezesionen lese, fällt mir sowas halt auf. Ein sehr bekanntes Beispiel sind dabei Finnick Odair und Haymitch aus den Tributen von Panem. Sie stechen da doch schon stark heraus, finde ich. Sie sind grundlegend die einzig interessant gestalteten Figuren aus den Büchern - aber ich mochte die Bücher auch nicht, also kann schon sein, dass ich das sehr subjektiv sehe. Trotzdem ist ja Finnick auch ein großer Liebling der Leser.
Man kann das Prinzip aber auch umdrehen: Man hat im Fokus eine Freundesgruppe, die allesamt irgendwelche Handicaps, eine schwere Kindheit oder anderwertige Probleme haben. Da ist ein bodenständiger und durchschnittlicher Charakter viel interessanter als der Rest. Sicher werden ihn hier auch viele langweilig finden. Aber trotzdem glaube ich, dass Charakter, die nicht dem 0815 der Geschichte entsprechen, am interessantesten sind. Einfach weil sie Abwechslung bieten.

Ein 0815 Hauptcharakter kann durchaus interessant sein, wenn die Handlung dementsprechend gebaut ist. Was macht der Otto-Normal-Verbraucher, wenn er sich auf einmal auf dem Todesstern befindet?
Liest man aber vom Otto-Normal-Verbraucher wie er seine Zeitung am anderen Ende der Stadt kauft, ist das widerum langweilig. Auch plottechnisch. Aber da kann auch kein Rollstuhlfahrer mit Persönlichkeitsstörung etwas ändern.


Edit: Was ich vergessen habe: Ich habe mich wie ein kleines Kind über einen Lolly gefreut, als ich gelesen hab, dass Anton aus Wächter der Nacht auf der Liste von interessanten Charaktern steht.  :vibes:
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Araluen am 12. Juli 2016, 14:36:31
Zitat von: criepy am 12. Juli 2016, 14:23:36
Wenn Frau Geltenbach zuerst Susi anruft anstatt sofort die Polizei, dann frage ich mich, was die Frau Geltenbach zu verbergen hat beziehungsweise warum sie nicht eigenständig denken kann. Ist also auch irgendwo interessant.  ;D
Wenn Frau Geltenbach aber die Polizei nicht ruft, die Leiche versteckt und sich selbst auf die Suche nach dem Killer macht, würde ich die Geschichte sofort weglegen. So eine gute Erklärung kann mir kein Autor (oder?) liefern, dass ich den Charakter und den Plot interessant finde. Denn sowas klingt für mich nach einem eher dummen Charakter, der in einen gestellt interessanten Plot hineingezwungen wird. Und dabei trotzdem Durchschnitt bleiben soll.
Das war mehr so ein entweder oder Beispiel. Aber ja, es liest sich etwas so, als ob sie beides täte. Und ja, ob irgendeines dieser Szenarien wirklich lesbar ist, sei auch dahingestellt ;)

Zitat von: criepy am 12. Juli 2016, 14:23:36
Ein 0815 Hauptcharakter kann durchaus interessant sein, wenn die Handlung dementsprechend gebaut ist. Was macht der Otto-Normal-Verbraucher, wenn er sich auf einmal auf dem Todesstern befindet?
Liest man aber vom Otto-Normal-Verbraucher wie er seine Zeitung am anderen Ende der Stadt kauft, ist das widerum langweilig. Auch plottechnisch. Aber da kann auch kein Rollstuhlfahrer mit Persönlichkeitsstörung etwas ändern.
Das ist schön gesagt :) Plot und Figurengestaltung müssen zusammen passen.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Kelpie am 13. Juli 2016, 19:45:35
ZitatWelche Buchfiguren mögt ihr besonders, sind euch besonders ans Herz gewachsen? Und warum?
Da fällt mir als allererstes Glokta aus "Kriegsklingen" von Joe Abercrombie ein. Ein verbitterter Mann, eigentlich gar nicht so alt, aber durch Folter zu einem Krüppel gemacht. Er ist Folterknecht, erfreut sich am Leid der anderen und betont immer wieder "Wieso mache ich das eigentlich?". Er giftet seine Mitmenschen an, spuckt dabei ganz ekelhaft Speichel in alle Richtungen, kommt wegen seiner Krücke nur sehr langsam und schleppend voran ... ein durch und durch widerwärtiger Charakter. Und deswegen schätze ich ihn so. Weil man ihn einfach verabscheuen muss. Und dafür lieben.


ZitatUnd wie geht ihr selber damit um, wenn Figuren zu platt / zu eindimensional sind?
Ich erstelle Figuren nicht. Bei mir erscheinen sie - wenn ich Glück habe, sind sie gut und facettenreich, wenn ich Pech habe, sind sie platt und nicht zu gebrauchen. Bei meinen Glücksfiguren ist es so, dass ich dann tatsächlich kaum noch etwas an ihnen schleifen muss. So wie sie sind, sind sie perfekt.
Bei dem platten Figuren dagegen, ist es ein Kampf und eigentlich sind sie auch nicht mehr zu retten. Ich kann ihnen noch so viele schöne Ecken und Kanten beifügen, ich kann ihr Leben analysieren, Schicksalsschläge verpassen, den Charakter mit herausragenden Merkmalen verdichten ... letztendlich bleiben es Holzfiguren, die sich nicht bewegen können und nur stereotype Antworten geben. Das einzige, was da hilft, ist den Charakter löschen und durch einen neuen ersetzen. Das heißt in den meisten Fällen, dass ich einen Namenswechsel vornehme und der magere Gelehrte zum fetten Fresser wird.
In meinem letzten Roman hatte ich wieder einmal so eine Figur, die eigentlich eine super Rolle hatte und den Namen Aíkan trug. Doch ich kam einfach nicht weiter. Seine Reaktionen waren die eines schüchternen, netten Jünglings, der viel zu gut mit sich und der Umwelt ist, keiner Fliege etwas zuleide täte - kurzum: Gähnend langweilig.
Schließlich habe ich einen starken Charakter aus einem anderen Roman genommen und ihn anstelle von Aíkan gesetzt. So habe ich ein Kapitel verfasst. Ich habe so getan, als sei er es, habe endlich starke Reaktionen erhalten und war überrascht zu sehen, dass mein starker Charakter dennoch nicht völlig überging, sondern nur die Seiten zeigte, die ich für Aíkan gebrauchen konnte. So wurde er jähzornig, bekam aber von dem Humor des Leihcharakters nichts mit. Schließlich und endlich habe ich Aíkans Namen ersetzt (Aibeth) und habe aus dem liebenswürdigen Knaben plötzlich einen intriganten, jähzornigen Kerl, der von ganz alleine von einem Konflikt in den nächsten trudelt.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Feuertraum am 13. Juli 2016, 20:12:59
Irgendwie habe ich das Gefühl, man versteht mich falsch oder - alternativ - ich drücke mich missverständlich aus.

Zitat von: Araluen am 10. Juli 2016, 14:19:53

Am Anfang @Feuertraum klang Ihre Argumentation so, ehrlich gesagt, als wären Ihnen die Figuren egal. Solange die Handlung stimmt, reicht auch eine Schablone, die nicht nennenswert ausgearbeitet ist.

Wahrscheinlich liegt da schon das erste Missverständnis vor: Ich sage nicht explitzit, dass eine Figur total unwichtig ist.
Was ich sage ist, dass eine Figur, ein Charakter, nicht das wichtigste an der Geschichte ist und mbMn. auch nicht sein soll. Er soll den Leser zwar durch die Geschichte führen, und er darf auch ohne weiteres lebendig sein, eine spezielle Sprache haben, den einen oder anderen Tic haben etc. aber er ist halt "nur" Bestandteil einer Geschichte, und nicht umgekehrt, dass die Geschichte nur ein flüchtiges Beiwerk ist und die Figur alles.

Zitat von: CaylinWenn jede Figur eine tolle Kindheit hat, ein mittelsonniges Gemüt oder einfach eine "normale" Verhaltensart, dann muss ich mich auf den Plot konzentrieren. Und konzentriere ich mich nur auf den Plot, erinnern mich diese dann sehr rasch an andere Plots. Ist aber ein ähnlicher Plot mit einer speziellen Figur besetzt, entwickelt sich daraus etwas anderes. Es ist irgendwie fast wie eine Rechenaufgabe. Mehrschichtige Figuren geben mehr Möglichkeiten für Plots, die mich interessieren.

Auch das ist für mich nicht nachvollziehbar. Ein Plot ist ein Plot. Eine Figur, egal wie ausgearbeitet sie ist, ändert ihn nicht. Held kommt in eine Situation, Held kommt aus dieser Situation entweder wieder raus oder nicht raus, unabhängig davon, was, Held kommt in eine neue Situation, aus der er entweder wieder raus oder nicht rauskommt und so oder so in eine neue Situation.
Das ein Hinkebein mit Sicherheit in einer Szene vollkommen anders agieren muss als zum Beispiel ein muskelbepackter und kampferprobter Barbar, das steht auf einem vollkommen anderen Blatt, ändert aber nichts an der eigentlichen Struktur eines Plots. Szene, nächste Situation, nächste Situation.
Ich habe bei Ihrer, Caylin, Argumentation einen aufgemotzten 3er-BMW vor Augen, der mit verschiedenen Zusatzteilen aufgehypet ist und auch noch mit einer bunten Farbe versehen und diversen Aufklebern, die in dieser Zusammensetzung kein anderer hat. Das ist der vollkommen individuelle Charakter, der durch die Straßen fährt. Dass er dabei an Stellen kommt, wo vielleicht gerade jemand überfallen wird, oder ein Haus brennt, oder eine Brücke einstürzt, dass ist volllkommen uninteressant, weil ja alles schon gelesen und damit austauschbar und es ohnehin niemanden interessiert. Aber diesen BMW, den will jeder sehen, das ist ein toller, individueller Charakter.
Zitat von: Witch0815-Charaktere sind in meinen Augen Leute oder Charaktere, die unter diesem Deckmantel leben, wie die von Ihnen beschrieben Figur. Aber auch diese Figur wird in Situationen kommen, in denen sie besonders wütend oder besonders traurig wird, wird vielleicht ovn Erinnerungen an ein ganz bestimmtes Ereignis überwältigt, wenn seine Grossmutter stirbt. Und das macht die Figur dann besonders, dass man genau weiss, diese Erinnerung ist es jetzt, die löst diese enorme Trauer in ihm aus, die stärker ist als z.B. als sein Vater starb. Ich sag jetzt einfach etwas, als Beispiel, wie auch ein "normaler" Charakter eben mit Tiefe begeistern kann.

Ich sehe es mit 08/15 schon etwas anders. Für mich sind 08/15-Charaktere jene Menschen, die sich zu sehr in die Gesellschaft integriert haben, die im Prinzip Schafe sind, die mitlaufen, die Träume haben, diese aber nie ausleben, weil: "Es sind ja nur Träume, im wirklichen Leben wird sowas nie passieren" oder auch: "Was sollen denn die Nachbarn denken?"
Ich räume ja ein, dass ich mehr so die abenteuerlichen Geschichten bewundere. Übertrieben ausgedrückt finde ich die Abenteuer von Robinson Crusoe wesentlich spannender als zum Beispiel die Erzählung meines Nachbarn, was er für Partys gefeiert hat, als er für 14 Tage auf Malle war. Und ich sehe mich selber als 08/15-Mensch an, weil ich im Grunde genommen selber diese Beschränkungen habe, diese Mauern, aus denen ich gerne herauskommen will, aber die mir eben "sagen": Deine Träume sind doch nichts anderes als Träume. Ich habe nichts erlebt, bei dem  der Zuhörer einen gewissen Grad an ... Faszination an den Tag legt.
Nicht falsch verstehen bitte: Eine Figur, die Gefühle zeigt, das ist vollkommen in Ordnung, das ist menschlich, das schreibe ich auch.
Was ich halt nur anprangere, ist eben dieses Mary Sue ähnliche beim Charakter, dieses : der Charakter muss aber dieses und jenes und solches haben, damit man mit ihm mitfühlt.
Dieses: Er will sich an den Mördern seiner Frau rächen, aber man muss auf 100 Seiten eine explizite psychologische Begründung schreiben (und wenn es nur für sich ist), was den Charakter wirklich dazu bewegt.

Ach, noch etwas zum Thema Schablone: Conan der Barbar!
Ein - wenn nicht sogar DER schablonenhaftestete, eindimensionalste Filmheld schlechthin! Und: Kult! [wollte ich nur mal so am Rande erwähnen]

Zitat von: AraluenDas ist schön gesagt :) Plot und Figurengestaltung müssen zusammen passen.

Schließe ich mich fast an, nur bei mir heißt es "Geschichte und Figur müssen zusammenpassen", aber im Grunde genommen meinen wir beide dasselbe. :)
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Fianna am 13. Juli 2016, 20:56:52
Für mich verliert Glokta ganz massiv durch dieses dauernde Gefrage an eigenständiger Persönlichkeit. Es hätte der Figur gut getan, etwas mehr sie selbst zu sein anstatt dass ein überängstlicher Autor/Verleger/Lektor jede Stimmung und Spannung zerstört, indem der Leser dauernd an Gloktas Zweifel erinnert wird.
Beim Lesen seines ersten Kapitels vom ersten Band habe ich das Buch zur Seite geschmissen und "Verdammt, ich hab kein ADHS!" in die Luft gebrüllt.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Churke am 13. Juli 2016, 21:34:30
Zitat von: Feuertraum am 13. Juli 2016, 20:12:59
Auch das ist für mich nicht nachvollziehbar. Ein Plot ist ein Plot. Eine Figur, egal wie ausgearbeitet sie ist, ändert ihn nicht. Hel

Da möchte ich ganz entschieden widersprechen!
Häufig bilden Plot und Figuren eine Einheit, das lässt sich nicht trennen.
Sonntag brachte 3Sat den 2-Teiler "Der Untergang der Pamir". Der Film ist überwiegend frei erfunden. Die Drehbuchautoren legten ein 08/15*)-Schema über eine Katastrophe und trimmten den Plot auf billigen Mainstream. Damit korrespondierend steretope 08/15-Figuren: Der fesche 1. Offizier mit Charisma & Durchblick als Protagonist und der unsmypathische Käpten Vollpfosten als Antagonist. Irgendeiner muss die Pamir ja auf den Meeresgrund segeln. Und während das innerhalb des Plot-Schemas (Hallo, Schreibratgeber?) absolut konsequent ist, wirkt gerade der Käpten Vollpfosten rundheraus unglaubwürdig, geradezu lächerlich. Aber mit einem richtigen Käpten hätte der Plot nicht mehr funktioniert, da hätten sie sich was anderes einfallen lassen müssen.

*)Zur Schreibweise von 08/15: https://de.wikipedia.org/wiki/MG_08/15
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Feuertraum am 14. Juli 2016, 00:00:45
Zitat von: Churke am 13. Juli 2016, 21:34:30

Da möchte ich ganz entschieden widersprechen!
Häufig bilden Plot und Figuren eine Einheit, das lässt sich nicht trennen.
Sonntag brachte 3Sat den 2-Teiler "Der Untergang der Pamir". Der Film ist überwiegend frei erfunden. Die Drehbuchautoren legten ein 08/15*)-Schema über eine Katastrophe und trimmten den Plot auf billigen Mainstream. Damit korrespondierend steretope 08/15-Figuren: Der fesche 1. Offizier mit Charisma & Durchblick als Protagonist und der unsmypathische Käpten Vollpfosten als Antagonist. Irgendeiner muss die Pamir ja auf den Meeresgrund segeln. Und während das innerhalb des Plot-Schemas (Hallo, Schreibratgeber?) absolut konsequent ist, wirkt gerade der Käpten Vollpfosten rundheraus unglaubwürdig, geradezu lächerlich. Aber mit einem richtigen Käpten hätte der Plot nicht mehr funktioniert, da hätten sie sich was anderes einfallen lassen müssen.

Ich kenne den Film zwar nicht, aber was ändert das Austauschen der dumpfen Volltrottelkapitänfigur gegenüber einer cleveren Kapitänfigur am Plot? Eben: Nichts.

Ich weiß nicht, wo Sie wohnen, Churke, aber spielen wir einfach einmal mit dem Gedanken, Sie wohnen in einer Stadt, die 4 Stunden Bahnfahrt nach Hamburg verlangt. Dummerweise müssen Sie zu einem Gerichtstermin nach Hamburg. Sie lösen also ein Ticket, reservieren sich einen Sitzplatz und steigen in den Zug. Etwas später steigt ein etwa 52jähriger Geschäftsmann in den Zug, der zufällig den Platz neben Ihnen reserviert hat. Es gibt von beiden Personen ein knappes "Guten Tag", dann studieren Sie weiter in Ihren Akten den Fall betreffend, während der Geschäftsmann sich der Tageszeitung widmet.
Nach 4 Stunden heißt es "Hamburg Hauptbahnhof, der Zug endet hier."
So, und nun gehen wir noch mal zurück zum Anfang, tauschen jedoch den Geschäftsmann aus gegen eine Frau, die auf Sie einen sehr sympathischen Eindruck macht, die Sie sozusagen "gut riechen" können. Sie kommen ins Gespräch, es wird richtig entspannend, Sie berichten über Ihre Arbeit als Anwalt und erzählen von Ihren Kenntnissen über Waffen, sie berichtet über ihre Arbeit als Kindergärtnerin, dass sie gerne auf Mittelaltermärkte geht usw. usf.
Kurzum, die 4 Stunden vergehen wie im Flug, bis der Lokführer murmelt: "Hamburg Hauptbahnhof, der Zug endet hier."
Nur, wie kann das sein, wo Sie doch sagen, dass das Austauschen einer Figur etwas am Plot ändert. Rein theoretisch hätte es dann heißen müssen: "Willkommen in Rostock" oder Willkommen in Stuttgart" oder sowas in der Richtung.
Deswegen bleibe ich dabei: Das Austauschen einer Figur ändert nichts am Plot. Der Plot ist - je nach Genre - mehr oder minder immer gleich. Im Krimi passiert ein Verbrechen, der Kommissar befragt Leute, findet Spuren, die ihn wieder zu anderen Leuten führen, die ihm weitere Hinweise/Spuren geben etc. pp.
Im Actiongenre: Die bösen Buben begehen ein Verbrecher, Dolph Lundgren oder Steven Seagal oder Chuck Norris hauen und prügeln und schießen sich durch die Gegend, dass die Kunstblutindustrie ein dickes Plus in die Kassen bekommt. Natürlich ist da noch die obligatorische Verfolgungsjagd und die Bösen schnappen sich die Freundin des Actionhelden, um ihn schlußendlich dranzukriegen, was ihnen aber nie gelingt.
Ich könnte noch ein paar Beispiele mehr bringen, aber mein Bettchen ruft nach mir. Von daher nur kurz: Das Austauschen von Figuren ändert die Geschichte, verändert das Schreiben von Szenen, aber niemals den Plot.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Araluen am 14. Juli 2016, 07:00:49
Der Austausch zwischen Frau und Geschäftsmann hat den Plot schon verändert, ncht in seiner groben Sturktur, aber im Szenendetail. Unser Zugfahrer hat nicht nur vier Stunden auf ein Handy oder aus dem Fenster gestarrt, sondern sich unterhalten udn wer weiß, am Ende vielleicht sogar noch Nummern mit der Frau getauscht.
Große Plotstrukturen, der Makrokosmos quasi, ändern sich selten. Da ist eine Geschichte wie die andere im Grunde. Da gibt es im Grunde Baukastenprinzipien (Questreise, Held rettet die Welt, Sie muss sich zwischen zwei Love Interests entscheiden, etc.). Was eine Geschichte erst interessant macht, ist ihr Mikrokosmos, die Szenen und Handlungswendungen. Natürlich wissen wir schon am Anfang, dass Frodo am Ende den Ring zerstört (oder zumdinest, dass der Ring zerstört wird, denn sonst herrscht Sauron). Wir wissen auch, dass Held X am Ende das Artefakt finden und das Böse bannen wird. Wir wissen, dass Sie sich immer erst den Schnösel und dann den ehrlichen aber anfangs schurkisch gezeigten Typen nehmen wird. Wir wissen auch, dass der Komissar am Ende den Mörder schnappt. Was uns eigentlich interessiert sind die 200 bis 600 Seiten oder gern auch mehr dazwischen. Wie kommt es zu all dem? Was passiert genau? Und an diesem Mikrokosmos haben die Figuren einen großen Anteil.

Ich stimme Ihnen zu @Feuertraum, dass die Figur nicht alles ist in einer Geschichte. Aber sie ist genauso wichtig wie der Plot. Beides muss harmonieren, beides geht eine Einheit ein. Wenn ich also viel Wert auf einen guten Plot lege, dann sollte ich auch Wert auf gute Figuren legen. Ebenso verhält es isch anders herum. Mir nützt die faszinierenste Figur nichts, wenn ich keine vernünftige Geschichte mit ihr erzählen kann oder die Geschichte nicht zu ihr passt.
Bisher konnte ich auch zu jedem von Ihnen genannten Beispiel zu Figurschablonen (Conan der Barbar zum Beispiel) auch sagen: ja, ich weiß auch, warum mich das nie interessierte. ;)
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Feuertraum am 14. Juli 2016, 09:21:46
Zitat von: Araluen am 14. Juli 2016, 07:00:49
Große Plotstrukturen, der Makrokosmos quasi, ändern sich selten.
Da ist eine Geschichte wie die andere im Grunde. Da gibt es im Grunde Baukastenprinzipien (Questreise, Held rettet die Welt, Sie muss sich zwischen zwei Love Interests entscheiden, etc.).

Da bin ich mit Ihnen D`Àccord. Darum sage ich ja: Der Austausch von Figuren ändert nichts wirklich am Plot.

ZitatWas eine Geschichte erst interessant macht, ist ihr Mikrokosmos, die Szenen und Handlungswendungen. Natürlich wissen wir schon am Anfang, dass Frodo am Ende den Ring zerstört (oder zumdinest, dass der Ring zerstört wird, denn sonst herrscht Sauron). Wir wissen auch, dass Held X am Ende das Artefakt finden und das Böse bannen wird. Wir wissen, dass Sie sich immer erst den Schnösel und dann den ehrlichen aber anfangs schurkisch gezeigten Typen nehmen wird. Wir wissen auch, dass der Komissar am Ende den Mörder schnappt. Was uns eigentlich interessiert sind die 200 bis 600 Seiten oder gern auch mehr dazwischen. Wie kommt es zu all dem? Was passiert genau? Und an diesem Mikrokosmos haben die Figuren einen großen Anteil.

Auch da bin ich bei Ihnen, wobei ich das eben als die Geschichte selber bezeichne. Und ja, da kann natürlich der Austausch einer Figur schon einiges bewirken. An der Geschichte, an dem, was die Figur wie erlebt.

ZitatIch stimme Ihnen zu @Feuertraum, dass die Figur nicht alles ist in einer Geschichte. Aber sie ist genauso wichtig wie der Plot. Beides muss harmonieren, beides geht eine Einheit ein. Wenn ich also viel Wert auf einen guten Plot lege, dann sollte ich auch Wert auf gute Figuren legen. Ebenso verhält es isch anders herum. Mir nützt die faszinierenste Figur nichts, wenn ich keine vernünftige Geschichte mit ihr erzählen kann oder die Geschichte nicht zu ihr passt.

Auch in diesem Punkt bin ich mit Ihnen konform: Geschichte und Figur sollten Hand in Hand "zusammenarbeiten". Wogegen ich wettere ist die Behauptung, dass der Austausch einer Figur den Plot/den Makrokosmos vollkommen ändert. Und eben gegen die Behauptung, dass die Figur das allerwichtigste ist und die Geschichte nur belangloses Beiwerk, weil ja alles austauschbar und überhaupt schon mal irgendwann gelesen/gehört.

ZitatBisher konnte ich auch zu jedem von Ihnen genannten Beispiel zu Figurschablonen (Conan der Barbar zum Beispiel) auch sagen: ja, ich weiß auch, warum mich das nie interessierte. ;)

Dennoch ist Conan der Barbar Kult ...  ;)

Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Churke am 14. Juli 2016, 09:59:37
Zitat von: Feuertraum am 14. Juli 2016, 00:00:45
Ich könnte noch ein paar Beispiele mehr bringen, aber mein Bettchen ruft nach mir. Von daher nur kurz: Das Austauschen von Figuren ändert die Geschichte, verändert das Schreiben von Szenen, aber niemals den Plot.

Sie haben in Ihrem Plot eine zufällige Figur durch eine andere zufällige Figur ersetzt. Daher bleibt der Austausch ohne Folgen.
Aber wenn der Plot lautet "Käpten Blödes Arschloch versenkt Viermastbark", dann funktioniert der Plot nicht mehr, wenn Sie das blöde Arschloch durch Käpten Jack Aubrey (Master & Commander) ersetzen. Das Schiff kann immer noch sinken, aber nicht mehr aus den selben Gründen.

Ich will Ihnen ein anderes Beispiel geben. Zuletzt las ich "Die Schlafwander", über den Ausbruch des 1. Weltkriegs. Kein Roman, aber der Autor befasst sich intensiv mit den handelnden Personen. Diese Leute sind teils recht bizarr, und wenn man auch nur eine von ihnen austauscht, wäre das Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anderes gewesen. 
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Snöblumma am 14. Juli 2016, 11:00:43
Ich glaube, hier liegt ein grundsätzlich verschiedenes Verständnis von "Plot" vor. Mir kommt es so vor, Feuertraum, dass Sie damit die ganz grundlegende Struktur der Geschichte (A verliebt sich in B, Irrungen und Wirrungen, Happy End; Held findet Queste, zieht los und rettet die Welt; etc.) darunter verstehen. An dieser Grundstruktur, da bin ich ganz bei Ihnen, ändert die Figur nichts.

Aber ich glaube, an der konkreten Geschichte ändert die Figur sehr, sehr viel. Wie genau B auf die Irrungen und Wirrungen reagiert, die der böse Autor ihm auf dem Weg zum Happy End entgegen stellt, hängt ganz maßgeblich von der Figur ab. Nehmen wir Ihr Beispiel mit der Zugfahrt, und bleiben wir bei einem Romance Plot. Hindernis 1 wäre das Ende der Zugfahrt (sprich: man geht normalerweise wieder auseinander).  Eine schüchterne Figur würde vielleicht nie nach der Telefonnummer fragen, sondern vielleicht nur die Adresse des Arbeitgebers des Gegenübers versuchen, zu erspähen. Und dann vor dem Büro herumlungern, in der Hoffnung, den tollen Typen aus dem Zug wieder zu sehen. Eine andere Figur würde nach einem Date fragen. Man würde vielleicht unter einem Vorwand Business cards austauschen. Und und und. In dieser Situation hat eine Figur tausend Möglichkeiten, zu agieren, die von ihrer grundlegenden Charakterstruktur abhängig sind (und dieser Charakter kann eben mehr oder weniger Tiefe haben, eher gewöhnlich sein oder vollkommen ausgeflippt - aber er wird die Geschichte an diesem Punkt ganz maßgeblich prägen). Der grundlegende Plot (A verliebt sich in B, viele Hindernisse, Happy End) ändert sich nicht, auch die Grundstruktur einer Geschichte (3-Akt-Struktur, Turning Points) wird gleich bleiben - aber was konkret passiert, hängt maßgeblich vom Charakter der Figur ab.

Platt wäre für mich in dieser Situation, wenn A und B ganz langweilig Telefonnummern tauschen, doch zu Dates verabreden und nach zweihundert Seiten heiraten. Da fehlt es an Konflikt. Wenn aber A massiv schüchtern ist, niemals seine Telefonnummer einem Fremden geben würde und sich nicht traut, mehr als "Guten Tag"  zu sagen, und gleichzeitig B irgendwie Spaß daran hat, zu flirten, dann ist schon etwas mehr Leben in der Geschichte. Solche Charakterzüge müssen ja auch nicht immer das Ergebnis einer schlimmen Kindheit, Krankheit oder sonstiger Probleme sein - aber je mehr der Autor verstanden hat, warum seine Figuren handeln, wie sie es tun, umso glaubwürdiger wird die Geschichte. Wenn A und B nur Abziehbildchen sind und A die nette blonde Tussi ist und B der Geschäftsmann ohne Eigenschaften, wird es halt schwer, daraus eine Geschichte zu basteln, die über Blabla hinaus geht, meiner Meinung nach.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Mondfräulein am 14. Juli 2016, 11:51:45
Zitat von: Feuertraum am 14. Juli 2016, 00:00:45
Ich kenne den Film zwar nicht, aber was ändert das Austauschen der dumpfen Volltrottelkapitänfigur gegenüber einer cleveren Kapitänfigur am Plot? Eben: Nichts.

Plot A: Der clevere Kapitän entdeckt beim Angriff durch das feindliche Schiff, dass die Mannschaft an Board eigentlich schon tot ist und weil er so klug ist, weiß er, dass man Untote mit Salz bekämpfen kann. Also stattet er seine Mannschaft mit Wasserpistolen aus und besiegt die feindliche Mannschaft ausgerechnet durch Meerwasser.

Plot B: Der Volltrottel-Kapitän versemmelt alles total, das Schiff geht unter und fünf Mitglieder der verbliebenen Mannschaft müssen sich auf einem kleinen Rettungsboot weiter durch den Ozean schlagen.

Ich glaube, der Knackpunkt ist: Wenn ich meinen Plot habe, bevor ich meine Figuren habe, dann suche ich meine Figuren natürlich so aus, dass der Plot mit ihnen funktioniert. Wenn ich eine Geschichte über eine taffe Auftragsmörderin schreiben will, die sich in einen ihrer Klienten verliebt und mit ihm die Herrschaft über ein Mafiaimperium an sich reißt, dann werde ich eine Figur erschaffen, die da irgendwie drauf passt und kein pazifistisches veganes Hippiemädchen, das nie jemandem ein Leid zufügen würde. Die Geschichte mit der Figur wäre eher die, wie sie überhaupt zur Auftragsmörderin wird. Aber nicht jeder Plot funktioniert mit jeder Figur.

Ich mache das anders herum. Ich habe oft die Figuren im Kopf, bevor ich den Plot habe, weil ich dazu neige, tolle Figuren zu entwerfen, aber nicht so tolle Plots. Da kommt es vor, dass ich eine Figur schon für drei verschiedene Plots vorgesehen hatte, bevor sie endlich den bekommt, der richtig gut ist. Dadurch kann ich meinen Figuren den Plot auf den Leib schneidern. Eine meiner Figuren muss lernen, selbst für sich Entscheidungen zu treffen und die nicht immer von anderen für sich treffen zu lassen, also gebe ich ihm Leute, die Entscheidungen für ihn treffen, die falsch und furchtbar sind, und am Ende die Gelegenheit und Notwendigkeit, für sich selbst eine Entscheidung zu treffen, die durchzusetzen und durchzuziehen. Darum webe ich meinen Fantasy-Plot herum. Aber so verändert jede Figur natürlich massiv den Plot. Ich schreibe eben sehr charakterfokussiert und da funktioniert es nicht anders, da kann ich den Plot nicht ohne den Protagonisten entwerfen. Und da fährt der Zug eben mit der einen Figur nach Hamburg und mit der anderen nach Stuttgart, weil die Figur der Zugführer ist.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Feuertraum am 14. Juli 2016, 11:56:57
Danke @Snöblumma  :knuddel: Sie bringen genau das auf den Punkt, was ich die ganze Zeit zu vermitteln versuche: Ein Plot, das ist grundsätzlich die Grundstruktur. So habe ich es seinerzeit gelernt, und auch manche Bücher übers Plotten erklären es so.
Der Plot, das ist so etwas wie ein menschliches Skelett, dass erstmal nur so rumsteht, aber eben von Kopf bis Fuß die Struktur hat, wie man einen Menschen nun mal kennt.
Die Geschichte, dass ist sozusagen das, mit dem das Skelett aufgefüllt wird. Ob es blonde Haare und blaue Augen hat, ob der Rumpf kurz oder lang ist, schlank oder dick, ob die Haut weiß oder braun oder gelb ist, dass sind die Szenen, die die Geschichte ausmachen.

Ich sage ja auch, dass eine Figur und eine Geschichte zusammenpassen müssen. Natürlich gibt es Geschichten, da kann man eine Figur nicht so wirklich austauschen. Ein Moby Dick würde ohne einen Käpt`n Ahab nicht funktionieren. Ein Don Quichotte braucht diesen verklärten Romantiker, dessen Fantasie ihm immer wieder "Streiche" spielt. Fairerweise muss ich zugeben, ich bin mir nicht sicher, ob Gulliver aus Gullivers Reisen (ein Buch, das ich auch noch lesen will) austauschbar ist oder Philias Fogg aus "In 80 Tagen um die Welt", neige aber schon dazu, dass man auch andere, nicht zu extreme Figuren an deren Stelle setzen kann.
Es gibt auf jeden Fall Geschichten, da geht der Austausch, ohne dass jemanden ein Wechsel wirklich auffällt.

@ Churke: Wie gesagt, ich kenne nicht den "Untergang der Pamir", und auch mit dem Master & Commander kann ich nichts anfangen (ich habe es nicht so sehr mit dem maritimen).
Aber aufgrund Ihrer Schilderung behaupte ich weiterhin, der Austausch der Figuren ändert nichts am Plot, ändert nichts an der Struktur, fährt der Zug von Ihnen aus nach Hamburg. Durch die Sichtweise der Charaktere mag sich die Geschichte als solches ändern. Aber wenn ich Ihre Beschreibung richtig verstehe, geht es bei der Geschichte darum, dass die BösenTM das Schiff versenken wollen und dass das GuteTM dieses zu verhindern sucht. Und da ist es egal, welche Figur. Es kommt Aktion, Reaktion, auf die wieder eine Reaktion kommt usw.
Und so sehe ich es auch mit dem Buch "Schlafwandler": Der Austausch der Figur kann die Geschichte verändern. Aber der Plot, das von Szene zu Szene hopsen, die Aktion und Reaktion und Reaktion auf die Reaktion, dass dieses passiert, daran ändert der Austausch nichts.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Trippelschritt am 16. Juli 2016, 13:05:13
Interessant das zu lesen, denn für mich ist der Plot das, was die Figuren machen und wann und wo sie es machen. Vielleicht nicht alles davon, aber zumindest das, was mit dem Ziel oder dem innersten Kern der Geschichte zu tun hat. Auch diese Ansicht wird gelehrt. Zumindest von denen, die der Meinung sind, dass Plot und Figuren eine Einheit bilden. Die ganze Schneeflockenmethode lebt davon. Kein Wunder also, dass machmal etwas an einender vorbei geredet wird. Aber das macht nichts, solange man zurück zum Problem findet.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Wolkentänzerin am 09. August 2016, 21:39:50
Ich denke, meine Frage bzw. meine Problematik, die eher allgemein gehalten ist, passt ganz gut in dieses Thema, damit ich kein neues eröffnen muss. Falls dies nicht so ist, korrigiert mich bitte!
In vielen Romanen sterben oder verschwinden schon zu Beginn Nebencharaktere mit welchen der Prota eine sehr gute Verbindung hat/hatte, sei es ein Familienmitglied oder der beste Freund. Ich las vor kurzem ein Buch, wo mir wieder aufgefallen ist, wie schwierig es dann ist, den Verlust der Prota als Leser mitzuempfinden. Wir kennen die Person, um welche getrauert wird, ja kaum. Sie kommt oft nur wenige Szenen lang vor, man kann sie schwer kennen lernen. Wie könnte man es schaffen, diesen Nebencharakter in kurzer Zeit so darzustellen, dass er nicht langweilig, platt oder 08/15 klingt?
Natürlich wird man ihn nie so gut kennen, wie den Prota, doch mir wäre es sehr wichtig, dass man schon zu Beginn durch die ersten zwei Kapitel die beste Freundin der Prota kennen lernt, um somit einiges über sie zu wissen und sie vielleicht als Leser auch "mit zu vermissen", auch wenn sie später ausführlicher wiederkehren wird.
Wie macht ihr das? Habt ihr da irgendwelche Tipps, möglichst schnell die wichtigste Facetten der Persönlichkeit aufzuzeigen?
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: KaPunkt am 09. August 2016, 21:55:29
Wie das geht, weiß ich auch nicht. Ich kann dir aber zwei Beispiele geben, bei denen es bei mir hervorragend funktioniert hat. Früher Tod von Figuren und KaPunkt kann vor lauter Heulen kaum umblättern:
Ein todsicherer Job von Chrisopher Moore
Eine Insel von Terry Pratchett

Vielleicht kannst du daran Feldstudien betreiben.

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Lothen am 09. August 2016, 21:55:55
Ich erinnere mich auch düster, dass wir da mal einen Thread dazu hatten ...  :buch:

Ahh, genau, hier isser: http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,19045.0.html

Vielleicht findest du da ja noch ein paar Anregungen für dein Problem, Wolkentänzerin?
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Siara am 09. August 2016, 21:59:24
@Wolkentänzerin: Auf solche Situationen habe ich in anderen Romanen eine Weile geachtet, weil ich mir dieselbe Frage gestellt habe. Oft scheint es zu funktionieren, die Figur tatsächlich nach einem 0815-Schema aufzubauen und dann aktiv damit zu brechen. Beispiel: Der erfolgreichere ältere Bruder, der genervt vom kleinen Geschwisterkind ist und sich überlegen aufführt. Schubst man ihn in eine Situation, in der er versagt und plötzlich seine tiefen Selbstzweifel ans Licht kommen, hat man sich vom Stereotyp bereits losgesagt. Allgemein würde ich immer auf leidenschaftliche Momente zurückgreifen, wenn es darum geht, schnell Identifikationspotential oder Mitgefühl aufzubauen. Tiefste Trauer, brennende Herzenswünsche, etc. Das muss natürlich keine an den Haaren herbeigezogene und konstruierte Situation sein. Anderes Beispiel: Der Leser kennt die beste Freundin seit drei Seiten. Sie ist nett, dann stirbt sie. Das reicht vermutlich nicht für ein starkes Verlustgefühl. Anderes Szenario: Der Leser kennt die Freundin seit drei Seiten, die sie damit verbracht hat, mit Feuereifer an einem wunderschönen Gemälde zu arbeiten, an dem sie schon seit Monaten sitzt. In drei Wochen wird sie endlich von der normalen Schule auf die Kunstakademie wechseln, ein Traum, den sie seit ihrer frühesten Kindheit verfolgt. Es sei denn, ihr stößt zuvor etwas Unvorhergesehenes zu ...

Man darf Charaktere nicht ausschließlich in ihren Rollen sehen, denke ich. Es ist nicht in erster Linie "die beste Freundin", sondern ein Mensch mit eigenen Vorstellungen der Zukunft, mit Hoffnungen und Ängsten. Und an genau denen muss man meiner Meinung nach ansetzen, will man Sympathien schaffen.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Maubel am 09. August 2016, 22:17:51
Ich möchte zu KaPunkts Liste noch die Mangas von Mitsuru Adachi hinzufügen  - noch alter klassischer Stil und viele Sportmangas, aber der Kerl schafft es jedes Mal. In jedem seiner Werke stirbt eine Figur, häufig auch sehr früh und das kann die absolute Nebenfigur sein, ich komme aus dem Heulen nicht raus. Ich sag nur als Beispiel - der Manga geht um Baseball und die Mutter der Freundin stirbt (also Nebencharakter hoch drei) und das geht so an die Nieren. Der Grund dafür ist, wie es die Hauptcharaktere mitnimmt. Die kennt man nämlich und die Tragen diese Last dann teilweise für den Rest der Geschichte rum und durch sie finde ich kann man diesen Schmerz auch für den eigentlich relativ unbekannten, teils sogar stereotypen Nebencharakter mitempfinden. Das wäre damit auch gleich mein Tip - gehe sicher, dass der zu sterbende Charakter eine starke Beziehung zu den überlebenden Charakteren hat und sein Verlust wirklich ein Loch reißt.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Wolkentänzerin am 09. August 2016, 22:21:26
KaPunkt: Dankeschön, wenn ich dazu komme, werde ich mir die beiden Bücher mal ansehen.

Lothen: Ja, den Thread habe ich beim Herumstöbern auch schon einmal entdeckt, ich werde ihn mir noch einmal genauer ansehen, vielleicht finde ich ja wirklich noch einige Anregungen. Dankeschön! :)

Siara: Danke für deine Anregungen, das geht schon sehr in die Richtung, was ich mir selbst überlegt habe. Ich hoffe auch, dass ich da etwas machen kann, da zu Beginn gleich eine Extremsituation auftaucht, in welcher viel für die "Freundin" auf dem Spiel steht. Ich hoffe auch, dass es nicht allzu konstruiert wirkt, aber leidenschaftliche Momente klingen schon einmal gut. Außerdem möchte ich sie auch nicht gleich sterben lassen, aber sie soll zumindest eine lange Zeit verschwinden und ihr Schicksal ungewiss sein... :)

Maubel: Auch noch einmal danke, auch wenn ich mich mit Mangas nicht wirklich auskenne. Aber die starke Bindung ist ein wichtiger Punkt, danke. :)
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Maubel am 09. August 2016, 22:33:16
Zitat von: Wolkentänzerin am 09. August 2016, 22:21:26
Maubel: Auch noch einmal danke, auch wenn ich mich mit Mangas nicht wirklich auskenne. Aber die starke Bindung ist ein wichtiger Punkt, danke. :)

Meine Mangazeit ist auch schon lange vorbei, aber den hatte ich zufällig auf einer Scanlationseite entdeckt und der kann einfach Geschichten erzählen. Und in Bezug auf Nebencharaktere sterben lassen, echt ein Paradebeispiel. Das schlimme ist ja, selbst, als ich dann schon wusste, dass das irgendwie sein Tick ist, hat er mich jedes Mal damit geschockt. Also irgendwas macht er richtig ;)
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: Tanrien am 09. August 2016, 23:31:14
Zitat von: Siara am 09. August 2016, 21:59:24
@Wolkentänzerin: Auf solche Situationen habe ich in anderen Romanen eine Weile geachtet, weil ich mir dieselbe Frage gestellt habe. Oft scheint es zu funktionieren, die Figur tatsächlich nach einem 0815-Schema aufzubauen und dann aktiv damit zu brechen. [...]
Man darf Charaktere nicht ausschließlich in ihren Rollen sehen, denke ich. Es ist nicht in erster Linie "die beste Freundin", sondern ein Mensch mit eigenen Vorstellungen der Zukunft, mit Hoffnungen und Ängsten. Und an genau denen muss man meiner Meinung nach ansetzen, will man Sympathien schaffen.
Gute Punkte! Gerade auch die Rolle finde ich beim 0815-Schema wichtig: Der aufopfernde Elternteil beispielsweise, der stirbt, ist nicht umsonst ein Trope (und Klischee) und hat vielleicht vom Grundstatus mehr Einfluss auf die meisten Leser als die sterbende Freundin, oder ähnliches. Also einmal wie typisch traurig etwas ist (sterbende Eltern/Kinder sind etwa immer traurig) und wie sehr sich die Leute damit identifizieren können, den Charakter zu verlieren (die eigenen Urgroßeltern kennen die wenigsten, ist vielleicht tendenziell eher weniger traurig, wenn die sterben, als wenn es die Großeltern trifft, weil sich da mehr Leute mit verbunden fühlen.) Das sind aber nur Grundtendenzen, würde ich sagen.

Ansonsten schlage ich alle Pixar-Filme als Beispiele für eine gute Umsetzung vor, vor allem Oben! mit seinem super traurigem Intro, das einem die Charaktere innerhalb von Minuten so wichtig werden lässt, dass man mitheult.
Titel: Re: Figuren mit Persönlichkeit statt langweilig oder platt
Beitrag von: wortglauberin am 10. August 2016, 00:56:48
Ich finde sehr spannend, was zu diesem Thema bereits geschrieben wurde- zu Beginn wollte ich Ihnen, Feuertraum, vehement widersprechen, aber ich fand Snöblummas Ausführungen ziemlich treffend- es kommt natürlich darauf an, ob man einen generischen Plot betrachtet und seine Figuren so handeln lässt, dass sie in dieses Muster passen- oder ob man sie "in character" handeln lässt und sie so den Plot beeinflussen.
Hier stellt sich natürlich das Autoren- Äquivalent der Frage nach der Henne und dem Ei: Was hat wen beeinflusst, und was war zuerst da?  ;)
Was ich mich aber dennoch gefragt habe: Das Bild des Plots als Skelett zielt ja eigentlich zwangsläufig auf eine vorhersehbare Geschichte ab, oder? Es gibt ja aber durchaus Romane ohne Happy End, oder solche, die bewusst mit den Erzählkonventionen brechen.

Was ich dabei auch noch spannend finde: Ich habe mal überlegt, welche Figuren in Büchern mich wirklich berührt haben, weil sie mir so echt vorkamen, und ich habe wirklich vor allem Figuren aus Büchern aus Büchern gefunden, bei denen ich nicht mehr aufhören konnte, aufzuzählen.
Scheint, als bestünde da dann schon (zumindest in meiner Lesegwohnheit) eine Korrelation zwischen "Rundheit"/ Glaubwürdigkeit der Figuren und Plot oder der Geschichte im Allgemeinen...