Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Allgemeines => Tintenzirkel => Phantastik und Fantasy => Thema gestartet von: Big Kahuna am 08. Dezember 2015, 23:30:09

Titel: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Big Kahuna am 08. Dezember 2015, 23:30:09
Hallo zusammen,

mir fällt schon länger auf, dass Fantasy neuerdings irgendwie immer brutaler, immer kranker und immer versauter wird. Vielleicht liegt das an meiner Wahrnehmung, aber wenn ich mal die Werke vieler bekannter und auch unbekannter Autoren so betrachte, gewinne ich zunehmend den Eindruck, dass Autoren vermehrt dem Game of Thrones-Trend folgen und laufend irgendwelche Geschichten schreiben, die beispielsweise zur Zeit des Herrn der Ringe komplett tabu gewesen wären.
Betrachten wir mal die Entwicklung von Fantasy (zumindest so, wie ich sie in meinem bisherigen Werdegang als Fantasyfan wahrgenommen habe):
Zu allererst war da mal der Gott der Fantasy, J.R.R. Tolkien mit seinem Herrn der Ringe, dem Silmarillion usw.
Da gab es zwar auch ein paar derbe Szenen (wie etwa der Elb, dem Arme und Beine abgehackt und die Augen herausgerissen wurden, mir ist der Name gerade entfallen) oder eben Túrin, der unwissentlich seine Schwester geschwängert hat.
Aber alles in allem war das ja doch auch so ausgelegt, dass es eine relativ umgängliche Art der Fantasy war.
Mit Harry Potter und Narnia wurde Fantasy dann für die breite Masse richtig attraktiv, wobei man auch hier gemerkt hat, dass die Bücher "erwachsener" wurden - man denke nur mal an den Zauber Sectum Sempra, der sein Opfer aufschlitzt.
Aber bis dahin war Fantasy doch irgendwie immer noch Jugendliteratur (zumindest die Werke, die man auch außerhalb des eingefleischten Fantasykreises kennt) und daher wurden Themen wie Sex, Vergewaltigung, Inzest, Kannibalismus usw. eher vermieden.

Dann kam Game of Thrones bzw. Das Lied von Eis und Feuer. Ich liebe diese Werke, das gebe ich offen zu. Aber ich habe das Gefühl, dass seit dieser Reihe viele Autoren zunehmend den Eindruck haben, ihre Werke müssten Tabus brechen, damit sie als erwachsene Literatur ernstgenommen und nicht in die Kinderschublade gesteckt werden.
Plötzlich gibt es zunehmend viele Kannibalen in den Werken, jeder schläft mit allem, was er findet und auch Inzest ist auf einen Schlag total angesagt (klingt jetzt krass, aber so habe ich den Eindruck). Vergewaltigungen gehören quasi zum Tagesgeschäft und wenn man mal jemandem die Hand abhackt oder ihn nackt auf einen Pfahl setzt - auch kein Problem.

Ich meine: Ich bin selbst jemand, der gern mal die brutale Schiene fährt und auch vor detaillierten Splattereffekten in Büchern nicht zurückschreckt, aber bei manchen Werken, die ich so gelesen habe, grenzt es an Effekthascherei; so als wolle der Autor bewusst schocken bzw. provozieren, indem er immer noch mehr Tabus bricht. Und zugegebenermaßen finde ich das ein wenig schade.

Wie steht ihr dazu? Teilt ihr diese Meinung oder liegt das an mir?
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Fianna am 08. Dezember 2015, 23:41:28
Ich teile diese Meinung einer linearen Entwicklung, wie Du sie zeichnest, auf jeden Fall nicht.
Du schmeißt da auch High Fantasy, Low Fantasy und Harry Potter munter in einen Topf. In der Sword and Sorcery sind brutalere/blutigere Szenen als in anderen Richtungen gang und gebe, weil es realistätsnäher sein wollte ("Sword and sorcery is fantasy with dirt" sagte Joe McCollough vor etwa 40 Jahren.) Sterben ist nunmal dreckig, eklig, blutig.

Das wurde damals nicht unbedingt so ausgewalzt wie heute, allerdings finde ich generell, dass der Erzählstil sich in den letzten 30-40 Jahren stark gewandelt hat. Kane hat in einer der Geschichten einer jungen Frau nichts getan, wobei der Leser sich eben seinen Teil denken muss, dass der nicht so böse ist wie sein Ruf. Heutzutage würde das noch weiter ausgewalzt und dürfte keinesfalls für sich stehen, damit das auch wirklich jeder Leser mitbekommt. Heute ist irgendwie viel mehr ausführliches show und ich habe den Eindruck, es wird generell mehr für den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Leserschaft geschrieben.


Es kann sein, dass da thematisch in letzter Zeit immer mehr versucht wird, einen drauf zu setzen (Du nennst keine Titel, keine Beispiele - kenne ich davon vielleicht auch was?), das kann ich nicht beurteilen.
Aber ich finde, man muss das immer im Kontext sehen, und alleine durch die heutige gebräuchliche Erzählweise wirkt das ganz anders, viel stärker. Bei Eddison müsste sich eigentlich genauso viel Gewalt und vielleicht auch Inzest finden lassen (das Buch steht noch ungelesen im Regal), es ist eben anders beschrieben. Ich bin sicher, ich finde in meiner Klassiker-Ecke (20 Jahre und ältere Sword and Sorcery) ein Buch, in dem ebenso harte Effekte vorkommen wie von Dir genannt, nur eben etwas anders erzählt.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: jokergirl am 08. Dezember 2015, 23:47:28
Ich weiss nicht, bei ASoIaF habe ich mir eigentlich gedacht "Ich hab mit 14 Marion Zimmer Bradley gelesen - der schockt mich nicht". Und generell gab es so was in den 80ern auch, man denke mal an Red Sonja usw.

Aber sicher, dass mit Martin das ganze gerade mal wieder "in" ist. Ich denke aber trotzdem, dass das nur eine gewisse Art von "jetzt fällt es wieder besonders auf"-Häufung ist. Manche Sachen haben sich schon geändert, aber das ist mehr die Art, wie sie aufbereitet werden, als dass sie jetzt erst zum ersten Mal gedruckt werden. Da stimme ich @Fianna zu.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Guddy am 08. Dezember 2015, 23:59:05
Zitat von: Big Kahuna am 08. Dezember 2015, 23:30:09
Ich meine: Ich bin selbst jemand, der gern mal die brutale Schiene fährt und auch vor detaillierten Splattereffekten in Büchern nicht zurückschreckt, aber bei manchen Werken, die ich so gelesen habe, grenzt es an Effekthascherei; so als wolle der Autor bewusst schocken bzw. provozieren, indem er immer noch mehr Tabus bricht. Und zugegebenermaßen finde ich das ein wenig schade.

Hm, ich persönlich finde im Gegenzug diese Aussage schade. Ich weiß natürlich nicht, welche Szenen du meinst und daher auch nicht, warum sie wie wirken. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass (negativ gemeinte) Effekthascherei auch oft voreilig unterstellt wird. Kann es nicht sein, dass der Autor es einfach benutzt, weil ihm diese Erzählweise mehr liegt? Letztlich muss einem auch nicht jedes Werk und jede Geschichte gefallen. Ich persönlich lese solcherart "Vorwürfe" einfach nicht gerne.
Davon abgesehen schreiben wir natürlich bewusst. Allerdings nicht nur was Gewalt angeht. Wir wollen berühren und erreichen das auf verschiedene Weise. Das eine ist aber meines Erachtens nach nicht per se schlechter oder "mehr schade" als das andere.

Generell ist es durchaus so, dass der Konsument "abbrüht", es zumindest nach außen hin so wirkt. Das zeigt allein schon die Wahl indizierter Filme bzw. dass Filme von dieser Liste mitunter nach einiger Zeit wieder herunter genommen werden. Zeiten ändern sich, Darstellungen ändern sich. Man bildet bspw. auch das ab, was man sieht und kennt, sei es durch Medien oder die erlebte Realität.

Märchen waren brutal, antike und mittelalterliche Bildnisse auch gerne mal. Es gab und wird immer "harte" und "weiche" Phasen geben, abhängig von den sich andauernd und stetig weiter entwickelnden Kulturen und weltlichen wie lokalen Ereignissen.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Alana am 09. Dezember 2015, 00:01:27
Zitat von: jokergirl am 08. Dezember 2015, 23:47:28
"Ich hab mit 14 Marion Zimmer Bradley gelesen - der schockt mich nicht".

Das dachte ich vorhin auch. ;) Ich glaube, die Erwachsenen-Fantasy bzw. Erwachsenen-Literatur war schon immer teilweise so, man muss ja nur mal die Bücher von Stephen King anschauen. Die habe ich als Teenager teilweise angewidert weggelegt, weil die Ausdrucksweise so furchtbar obszön und die Darstellung sehr brutal und schonungslos war. Das ist übrigens mit ein Grund, warum ich mich noch nie wirklich für Erwachsenen-Fantasy begeistern konnte.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Big Kahuna am 09. Dezember 2015, 00:05:51
ZitatDu schmeißt da auch High Fantasy, Low Fantasy und Harry Potter munter in einen Topf.
Ja, gebe ich zu. Ich habe es eben auch aus meiner Sicht der Entwicklung von Fantasy beschrieben und ich bin zugegebenermaßen ganz klischeehaft über eben diese Werke in das Genre gerutscht^^

Zitat
Es kann sein, dass da thematisch in letzter Zeit immer mehr versucht wird, einen drauf zu setzen (Du nennst keine Titel, keine Beispiele - kenne ich davon vielleicht auch was?), das kann ich nicht beurteilen.
Naja, beispielsweise die Geralt-Saga von Andrzej Sapkowski (die Buchreihe, auf dem das Videospiel "The Witcher" basiert). Gut, da werden Themen wie Rassismus und Krieg kritisch beleuchtet, aber auch da gibt es Szenen, die ich fragwürdig finde und mir denke: "Das hätte man jetzt auch einfach für sich stehen lassen können, ohne es auszuführen."

Vielleicht liegts auch daran, dass ich noch nicht so extrem tief in die Unweiten der verschiedenen Fantasywerke eingetaucht bin und daher vielleich tatsächlich überwiegend die Geschichten für die breite Masse kenne bzw. eher alte High Fantasy-Klassiker lese^^

Möglicherweise reagiere ich da jetzt auch n bisschen empfindlich, weil ich kurz nach der letzten Staffel Game of Thrones in einem anderen Forum auf gleich zwei vorgestellte Nachwuchswerke gestoßen bin, in denen es primär um Inzest ging und irgendwo waren dann noch Drachen und Magie dabei.
Oder weil ich kürzlich mal Testleser für eine Bekannte von mir war, wo Fantasy nur Setting war und primär wurde da nur rumgevögelt, als gäbe es keinen Morgen mehr. Irgendwie wurde dann noch ein Krieg mit reingemischt, damit so was wie eine Handlung entsteht.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Lothen am 09. Dezember 2015, 00:06:52
Ich glaube auch, dass sich vor allem die Art der Darstellung geändert hat. Allein durch den Grundsatz "show don't tell", wie Fianna das schon ausgeführt hat, ist man als Autor ja angehalten, Szenen explizit zu zeigen - egal, ob es um Liebe, Trauer, Sex oder Gewalt geht. Das gilt für Romane ebenso wie für Filme und Serien. Was man früher eher elegant ausgeblendet hat, wird eben heute eher gezeigt. Das kann man mögen oder nicht, klar.

Tolkien z.B. war ein totaler "teller" (das klingt gerade saublöd nach Geschirr - na ja, ihr wisst, wie ich das meine :rofl: ), insofern überrascht es nicht, dass es dort keine explizite und vor allem keine emotionale Darstellung von Gewalttaten gibt. Ähnlich wie bei Poe, Lovecraft oder anderen "Klassikern", die sehr wohl brutale Dinge erzählen, aber eben auf eine distanzierte Art und Weise.

Das mitunter blutrünstigste Buch, das ich kenne, ist die Bibel. Ich glaube, da kommt alles von dem vor, was du, @Big Kahuna , in deinem Eingangspost erwähnt hast. ;D Und die ist ja doch schon ein bisschen älter ...

/EDIT: Hat sich mit Alana überschnitten. Stimmt, Stephen King ... ich mus gerade an "Es" denken, da ging's schon ordentlich rund, in jeder Hinsicht.

/EDIT 2: Hat sich auch mit Big Kahuna überschnitten. ;)
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Guddy am 09. Dezember 2015, 00:12:19
Zitat von: Big Kahuna am 09. Dezember 2015, 00:05:51
Naja, beispielsweise die Geralt-Saga von Andrzej Sapkowski (die Buchreihe, auf dem das Videospiel "The Witcher" basiert). Gut, da werden Themen wie Rassismus und Krieg kritisch beleuchtet, aber auch da gibt es Szenen, die ich fragwürdig finde und mir denke: "Das hätte man jetzt auch einfach für sich stehen lassen können, ohne es auszuführen."

Der erste Band wurde irgendwann Anfang der 90er veröffentlicht :) Also noch vor der Game of Thrones-Welle. (Bücher: ab 1996, Serie, mit der der hype begann: keine Ahnung, wenige Jahre her ;D )
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Big Kahuna am 09. Dezember 2015, 00:14:45
ZitatDer erste Band wurde irgendwann Anfang der 90er veröffentlicht :)

Aber auch der war im Vergleich zu den neueren noch harmlos, wie ich finde.

Zitat
Generell ist es durchaus so, dass der Konsument "abbrüht", es zumindest nach außen hin so wirkt. Das zeigt allein schon die Wahl indizierter Filme bzw. dass Filme von dieser Liste mitunter nach einiger Zeit wieder herunter genommen werden. Zeiten ändern sich, Darstellungen ändern sich. Man bildet bspw. auch das ab, was man sieht und kennt, sei es durch Medien oder die erlebte Realität.
Aber das ist tatsächlich ein interessanter Gedanke und möglicherweise liegt es wirklich daran, dass die Gesellschaft generell etwas ... naja, ich drücks mal so aus: "offener für solche Themen" wird. Merke ich als leidenschaftlicher Zocker ja auch, dass immer mehr Spiele komplett uncut erscheinen, was vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wäre.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Fianna am 09. Dezember 2015, 00:17:21
Zitat von: Big Kahuna am 09. Dezember 2015, 00:05:51
Naja, beispielsweise die Geralt-Saga von Andrzej Sapkowski (die Buchreihe, auf dem das Videospiel "The Witcher" basiert). Gut, da werden Themen wie Rassismus und Krieg kritisch beleuchtet, aber auch da gibt es Szenen, die ich fragwürdig finde und mir denke: "Das hätte man jetzt auch einfach für sich stehen lassen können, ohne es auszuführen."
Das ist ein Merkmal verschiedener Genre-Arten, wie der Sword and Sorcery und der Dark Fantasy. Realitätsnähe, weg vom Schwarz-weiß-Gut-Böse-Denken, bewusstes Nicht-Ausblenden von peinlichen oder dreckigen Dingen - ebenso wie im Leben.

Ich habe heute in Stephens Kings "Sie" gelesen, dass der Protagonist sich selbst angepinkelt hat und seinen Urin getrunken hat - weil er eben nicht bewegungsfähig war und nicht mal Wasser zur Verfügung hatte. Da schreibt King sinngemäß, dass der Held nach seiner Rettung diese Episode unterschlagen wird und niemanden jemals erzählen will.
Ebenso in "Das Mädchen", wo das Kind sich versehentlich selbst anpinkelt und das sehr ekelig findet, umso mehr, da sie keine Gelegenheit hat sich zu waschen oder umzuziehen. Ihr legt er einen ähnlichen Satz in den Mund.


Das ist einfach ein Merkmal bestimmter Stilrichtungen, dann sind vielleicht diese Genre nichts für Dich.


@Guddy Ich las ein Interview, dass der Autor das erste Buch 1985 schrieb und veröffentlichte, vielleicht war es auch 1986... So die Ecke.
Aber natürlich auf Polnisch.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Guddy am 09. Dezember 2015, 00:18:30
Der letzte ist von '99, also auch nur 3 Jahre nach dem ersten ASoIaF.
Ich wollte damit auch nur kurz einwerfen, dass solche Elemente älter sind, als mancheiner glaubt und nicht nur ein Produkt der letzten paar Game of Thrones-geprägten  Jahre  :)
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Big Kahuna am 09. Dezember 2015, 00:22:01
ZitatDas ist einfach ein Merkmal bestimmter Stilrichtungen, dann sind vielleicht diese Genre nichts für Dich.
Ok, da gab es vllt. ein Missverständnis. Ich habe prinzipiell nichts dagegen, über solche Themen zu lesen. Nur kriege ich zunehmend das Gefühl, dass es immer mehr wird bzw. auch andere Fantasygenres langsam nicht mehr ohne auskommen.
Das hier sollte auch kein "ich finde das doof"-Thread werden, sondern eher mal eine allgemeine Diskussion über die Entwicklung von Fantasy, was diese Inhalte angeht.

Zitatich wollte damit auch nur kurz einwerfen, dass solche Elemente älter sind, als mancheiner glaubt :)
Aber wirklich populär sind sie noch nicht lange. Falls doch, dann sind sie lange Zeit an mir vorbeigegangen  ;D
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Guddy am 09. Dezember 2015, 00:27:35
Zitat von: Big Kahuna am 09. Dezember 2015, 00:22:01Nur kriege ich zunehmend das Gefühl, dass es immer mehr wird bzw. auch andere Fantasygenres langsam nicht mehr ohne auskommen.
(...)
Aber wirklich populär sind sie noch nicht lange.
Und genau da sehe ich den Zusammenhang.
Beide - ASoIaF und der Witcher - sind schon viel älter als ihre popkulturellen Ableger in Serie und Videospiel. Durch deren Popularität ploppen nicht nur weitere Bücher dieser Richtung aus dem Boden, sondern verschiebt sich auch der eigene Fokus und alte Gritty Bücher erheben sich aus ihren Gräbern. Und dadurch, dass die Popularität in den 90ern und 00ern noch nicht vorhanden war, wirkt es, als würde diese Art der Darstellung erst jetzt auftreten. Dabei war es "immer schon" da - nur vor dir verborgen, da du damals noch nicht auf dieses Genre geachtet hast.

edit: Aber ich stimme dir zu, dass es häufiger geworden ist und die Darstellungen expliziter (nicht nur im Medium "Buch"). Ich möchte dir auch nicht grundsätzlich widersprechen, sondern es nur ein wenig aufdröseln ;)
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Big Kahuna am 09. Dezember 2015, 00:31:45
ZitatUnd dadurch, dass die Popularität in den 90ern und 00ern noch nicht vorhanden war, wirkt es, als würde diese Art der Darstellung erst jetzt auftreten. Dabei war es "immer schon" da - nur vor dir verborgen, da du damals noch nicht auf dieses Genre geachtet hast.
Fragt sich nur, woher diese Popularität kommt. Aber dadurch würde jetzt vermutlich eine psychologische Gesellschaftsdiskussion losbrechen und das würde wohl den Rahmen sprengen :D

Zitatedit: Aber ich stimme dir zu, dass es häufiger geworden ist und die Darstellungen expliziter (nicht nur im Medium "Buch"). Ich möchte dir auch nicht grundsätzlich widersprechen, sondern es nur ein wenig aufdröseln ;)
Unter anderem deswegen habe ich diese Diskussion ja gestartet ;)
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Kerstin am 09. Dezember 2015, 00:33:33
Zitat von: Guddy am 09. Dezember 2015, 00:27:35
Und genau da sehe ich den Zusammenhang.
Beide - ASoIaF und der Witcher - sind schon viel älter als ihre popkulturellen Ableger in Serie und Videospiel. Durch deren Popularität ploppen nicht nur weitere Bücher dieser Richtung aus dem Boden, sondern verschiebt sich auch der eigene Fokus und alte Gritty Bücher erheben sich aus ihren Gräbern. Und dadurch, dass die Popularität in den 90ern und 00ern noch nicht vorhanden war, wirkt es, als würde diese Art der Darstellung erst jetzt auftreten. Dabei war es "immer schon" da - nur vor dir verborgen, da du damals noch nicht auf dieses Genre geachtet hast.

Danke, Guddy!  :jau:
Wenn man mal zum Horror rüberschielt, gab es da bereits in den 80ern Autoren (allen voran Jack Ketchum), die an Gewalt- / Sexdarstellung so ziemlich alles übertreffen, was man heute noch bekommt.
In vielen Bereichen empfinde ich die Buchwelt mittlerweile eher als "zahmer".
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Big Kahuna am 09. Dezember 2015, 00:44:27
ZitatIn vielen Bereichen empfinde ich die Buchwelt mittlerweile eher als "zahmer".
Okay, DAS überrascht mich jetzt wirklich  :D

Ich glaube, ich sollte doch noch deutlich mehr lesen, auch jenseits der bekannteren Werke^^
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: LinaFranken am 09. Dezember 2015, 01:08:50
Ich finde diese Frage an wirklich sehr interessant. Finde aber schon das man das als "Gesellschaftsdiskussion" klein wenig ausweiten kann.   ;D
Ich denke, diese Entwicklung ist eher ein Spiegelbild der allgemeinen Unterhaltungsindustrie. Wenn ich da an die Flut der Familien-TV-Serien vom "wir-haben-uns-alle-lieb"-Schema der 80/90er denke, und an die heutige Fernsehlandschaft in der tonnenweise CSI-Buxtehude-Varianten auftauchen, scheint die Menschheit im allgemeinen etwas abgestumpft zu sein. Gut, Spaß an zerfetzten Gladiatoren hatte man zwar auch schon im alten Rom, aber gerade in den letzten Jahren scheint das Wort "Tabu" immer mehr an Bedeutung zu verlieren. Die Menschen sind so desensibilisiert, das sich heute kaum noch jemand über Sex-Spielzeuge im Supermarkt, Drogen-Legalisierungs-Anträge in der Politik oder schlafende Obdachlose vor ner Douglas-Filiale wundert.

Die Frage ob man das auch lesen und/oder schreiben will ist aber durchsaus berechtigt. Denke aber, das sie in erster Linie vom ganz persönlichen Bedürfnis oder Wunsch nach Harmonie abhängt. Dieses Bedürfnis werden ja auch die Meisten haben, wir sind ja eine Rudel-Spezies und stelle mich gerne als Beispiel an den Pranger, denn obwohl ich ein Paradebeispiel für Pessimismus, Nihilismus und Zynismus bin, muss ich, wenn ich mal wirklich ehrlich sein will, zugeben, das ich mir doch bei meinen Lieblingsbüchern und Serien ein kleines Happy-End wünsche. Aber als ein eben solcher Mensch ertrage ich wiederum nicht zu viel Süßholzgeraspel. Und traurigerweise wachsen in der heutigen Zeit wohl immer mehr Menschen heran, die so sind wie ich, was sich dann wiederrum auf die gelesenen und geschrieben Werke auswirkt.

Will man sich dem als Autor beugen, wenn man selbst mehr Harmonie haben will? Bitte nicht!!!  :bittebittebitte: Wir zynischen Pessimisten brauchen euch harmoniebedürftige Menschen da draußen, damit ihr uns auch mal die Stirn bietet und wir nicht die Weltherrschaft übernehmen!  :snicker: :pfanne:
Also mein Aufruf: Bitte schreibt mehr von diesem "Heile-Welt-Zeug", damit zumindest die nächste Generation wieder mehr Optimismus auf den Weg mitbekommt.  :knuddel:
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Kerstin am 09. Dezember 2015, 01:18:51
Zitat von: Lina Franken am 09. Dezember 2015, 01:08:50
Wenn ich da an die Flut der Familien-TV-Serien vom "wir-haben-uns-alle-lieb"-Schema der 80/90er denke, und an die heutige Fernsehlandschaft in der tonnenweise CSI-Buxtehude-Varianten auftauchen, scheint die Menschheit im allgemeinen etwas abgestumpft zu sein. Gut, Spaß an zerfetzten Gladiatoren hatte man zwar auch schon im alten Rom, aber gerade in den letzten Jahren scheint das Wort "Tabu" immer mehr an Bedeutung zu verlieren. Die Menschen sind so desensibilisiert, das sich heute kaum noch jemand über Sex-Spielzeuge im Supermarkt, Drogen-Legalisierungs-Anträge in der Politik oder schlafende Obdachlose vor ner Douglas-Filiale wundert.
Das hat für mich aber eher etwas von Verklärung der Vergangenheit.
In den 80er / 90er Jahren waren die Menschen so abgestumpft, dass Pornos im normalen Fernsehen liefen. ;)
Familienserien werden auch heute noch massenweise produziert - unsere Fernsehsender strahlen nur inzwischen lieber die Billig-Produktionen (Scripted-Reality) aus. Aber es gibt doch wirklich mehr als genug sehr erfolgreiche, harmlose Serien.
Wobei sich Filme sicherlich weiterentwickelt haben - es ist technisch einfach mehr möglich. Früher wirkten viele Horrorfilme halt etwas lächerlich, weil es eben nicht echt aussehen konnte.
Horrorbücher waren aber früher Dauergast in den Bestseller-Listen (wie Es von Stephen King) und wurde im normalen Programm der großen Verlage verlegt. Heute undenkbar, da die Menschen es nicht mehr so "hart" wollen.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Ary am 09. Dezember 2015, 07:04:13
Blöde Frage, was ist ASoIaF? Bitte schreibt Titel aus, auch wenn das ein paar Wörter mehr sind.
Ich tippe ja mal auf Game of Thrones, aber sicher bin ich mir nicht.  ???
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: jokergirl am 09. Dezember 2015, 07:37:07
Ja, A Song Of Ice And Fire im Original. Sorry. Der ist einfach so lang. Wie die Bücher...
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: HauntingWitch am 09. Dezember 2015, 10:00:26
Ich sehe das ähnlich wie Guddy und denke auch, dass es eher ein Trend ist, der jetzt gerade besonders stark hervortritt. Das klingt aber auch irgendwann wieder ab. Brutalität in Literatur und Film gab es schon immer, nur ist es jetzt gerade besonders offensichtlich, weil die Game Of Thrones Serie einen gewissen Markt dafür nach sich gezogen hat, den es so vorher nicht gab. Bezüglich Filme stimme ich Kerstin voll und ganz zu. Heute schreckt ein Vampirfilm aus den 70ern niemanden mehr, damals war das wahrscheinlich echt krass. ;D

Zitat von: Kerstin am 09. Dezember 2015, 00:33:33
Wenn man mal zum Horror rüberschielt, gab es da bereits in den 80ern Autoren (allen voran Jack Ketchum), die an Gewalt- / Sexdarstellung so ziemlich alles übertreffen, was man heute noch bekommt.

Das würde ich aber nicht mit der Entwicklung in der Fantasy vermischen (auch wenn Horror natürlich sehr oft eng mit Fantasy verwandt ist). Beim Horror ist das genrebedingt, da geht es ja genau darum, dass es brutal und schockierend ist. Das ist sozusagen das Ziel des Genres (wie das klingt...). Bei (anderer) Fantasy ist das nicht unbedingt so. Ich finde, darin liegt ein wesentlicher Unterschied. Aber es ist ganz allgemein auch eine Frage des Subgenres, wenn man Grim & Gritty liest, kann man keine Glitzervampire und ewige Liebe erwarten. ;) Das muss dann halt jeder für sich entscheiden.

Übrigens @Big Kahuna: Phantastische Literatur gab es schon lange vor Tolkien, siehe z.B. E.T.A. Hoffmann, H.P. Lovecraft oder Gustav Meyrink (wobei letztere zwei auch wieder dem Horror zuzuordnen sind). ;)
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Sascha am 09. Dezember 2015, 10:16:05
Fantasy? Ist das nicht nur das moderne Wort für Märchen? Was ist denn an Schneewittchen und den sieben Zwergen so anders? Jetzt nicht grad der Disney-Kitsch, sondern das Märchen selbst. Ich bin der Ansicht, Fantasy gibt es, seit die Menschen sich Geschichten ausdenken.

Davon ab: Ich habe bisher immer nur winzige Ausschnitte von Game of Thrones gesehen und das erste Buch der Reihe schnell wieder weggelegt. Was mir aber an den Ausschnitten (im dooppeldeutigen Sinne) aufgefallen ist, waren die vielen nackten Busen. Und das in einer Ami-Serie! Ich sehe ja schon seit neun Jahren nicht mehr fern, aber gerade aus Amiland kannte man sowas doch vorher eher weniger, oder? Die Nielsen im heißen Kostümchen als Red Sonja, okay, aber so viele nackte Busen? Das scheint mir schon neu zu sein.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: JarlFrank am 09. Dezember 2015, 10:57:39
Zitat von: Lothen am 09. Dezember 2015, 00:06:52

Das mitunter blutrünstigste Buch, das ich kenne, ist die Bibel. Ich glaube, da kommt alles von dem vor, was du, @Big Kahuna , in deinem Eingangspost erwähnt hast. ;D Und die ist ja doch schon ein bisschen älter ...

Nicht nur die Bibel: Mythen, Legenden und Sagen waren schon immer blutig, brutal, und teilweise obszön. Da passieren auch Dinge, wie aus Versehen seine eigene Mutter zu schwängern und seinen Vater zu töten und erst im Nachhinein zu erfahren, wer denn die beiden Personen waren (Ödipus), ganze Völker werden vernichtet (Flutgeschichte, Sodom und Gomorrha), brutale Folter wird ausgeführt (Prometheus wird an einen Stein gekettet und jeden Tag frisst ein Adler seine Leber, die dann wieder nachwächst; in den nordischen Sagen gibt es den sogenannten Blutadler, eine sehr sehr blutige und schmerzhafte Hinrichtungsmethode), Schlachten werden in allen grausigen Details beschrieben (wenn man sich mal die Siegesinschriften assyrischer Könige durchliest, stellen die auch den brutalsten Splatter in den Schatten: da schreiben Könige davon, wie sie Rebellen besiegt, gehäutet, und mit den abgezogenen Häuten dann die Stadtmauern tapeziert haben).

Mythologie und Geschichtsschreibung sind beides Gattungen, die vor expliziten Gewalt- und Sexdarstellungen nicht zurückschrecken. Von den frühesten Schriftkulturen Mesopotamiens bis in die Frühe Neuzeit hinein lesen wir von Mord und Totschlag, grausamen Foltern, Vergewaltigungen, Herrschern mit abartigen sexuellen Vorlieben, und so weiter und so fort.

Und worauf basiert Fantasy? Genau, auf Mythen - Tolkien selbst hat sich ja von altnordischer und angelsächsischer Mythologie inspirieren lassen, und Robert E. Howard, der Erschaffer der Conan-Stories, von antiken historischen Kulturen. Und das sind quasi die Gründerväter der Epic Fantasy und des Sword and Sorcery. Der Großteil der Fantasy-Literatur baut einfach auf mythologischen Elementen auf, und da geht es nunmal um Kampf, um Krieg, um heldenhafte Recken, und Fortpflanzung findet auch gerne mal statt. Selbst die Fantasy, die sich von klassischem Mythenstoff lossagen will, trägt immer noch das Erbe davon mit sich herum.

Es sind auch immer wieder neue Trends erkennbar, je nachdem, was gerade so in ist. George Martin hat mit seiner Serie jetzt "realistische" Fantasy mit politischen Intrigen, moralisch grauen Charakteren und einigen Gewalt- und Sexdarstellungen in Mode gebracht, daran könnte es liegen, dass andere Autoren das erfolgreiche Schema nun auch kopieren. Was gerade gut im Rennen ist, wird kopiert, und das verkauft sich halt gerade gut und gerät somit in den Vordergrund. Das heißt nicht, dass jede Fantasy so ist, oder dass sie sogar so sein müsste, ganz im Gegenteil. Es gab schon immer genug Platz für die verschiedenen Sub-Genres, um nebeneinander zu stehen. Patrick Rothfuss schreibt in seiner Kingkiller-Saga doch eher jugendfreie Fantasy, in der Erotik nur angedeutet und Gewalt nicht allzu detailliert beschrieben wird, und die sich auf die Jugendjahre des Protagonisten Kvothe fokussiert. Nach Martin gehören seine Bücher mit zu den erfolgreichsten in der kontemporären Fantasy.

Es kommt ganz darauf an, was der Autor für eine Geschichte erzählen und wie er seine Welt gestalten will. Eine düstere, von Gewalt beherrschte Welt wird natürlich effektiver, wenn in der Geschichte dann auch Sex und Gewalt vorkommen. Eine "nettere", unschuldigere Fantasywelt wie z.B. Narnia kommt ohne diese Elemente besser zurecht. Im Moment ist das sogenannte "grimdark", das düstere und rauhe, gerade im Trend. Beispielsweise in der Young Adult-Fantasy sind gerade Dystopien wie Hunger Games sehr beliebt, und da geht es auch eher rauh und ungemütlich zu.

Aber ich würde nicht sagen, dass Fantasy immer tabubrechender werden muss. Das wichtigste ist es, eine spannende Geschichte zu erzählen, die bei den Lesern ankommt. Würde George Martin's Song of Ice and Fire nur aus Sex und Gewalt bestehen, wäre es nicht so erfolgreich, wie es ist: die politischen Intrigen, überraschenden Wendungen und interessanten Charaktere halten den Leser am Buch. Man entwickelt Sympathien für Charaktere, und dann sterben sie urplötzlich, aber nicht grundlos, sondern durch ihre eigenen Fehlentscheidungen.
Die Geschichte ist einfach gut. Klar, der Sex und die Gewalt machen für manche Leser auch einen Reiz aus, aber auf Plot und Charaktere kommt es an.

Zitat von: Sascha am 09. Dezember 2015, 10:16:05
Davon ab: Ich habe bisher immer nur winzige Ausschnitte von Game of Thrones gesehen und das erste Buch der Reihe schnell wieder weggelegt. Was mir aber an den Ausschnitten (im dooppeldeutigen Sinne) aufgefallen ist, waren die vielen nackten Busen. Und das in einer Ami-Serie! Ich sehe ja schon seit neun Jahren nicht mehr fern, aber gerade aus Amiland kannte man sowas doch vorher eher weniger, oder? Die Nielsen im heißen Kostümchen als Red Sonja, okay, aber so viele nackte Busen? Das scheint mir schon neu zu sein.

Ich schaue auch kein Fern, aber ab und zu lade ich mir eine Serie herunter, die mich interessiert, und schaue sie dann am PC. Nackte Brüste gibt es auch sonst ab und zu im amerikanischen Fernsehn, jedenfalls auf dem Kanal, auf dem GoT läuft. Die Serie Rome hatte ich mir vor ein paar Jahren mal angeschaut, da lief das ganz ähnlich, und die Serie wurde vom gleichen Sender produziert und ausgestrahlt. HBO ist ein Privatkanal, für den man bezahlen muss, also kein öffentliches Fernsehn wie ARD oder auch Sat1, deshalb können die sich mit Nacktheit auch mehr erlauben, weil das sowieso nicht öffentlich ausgestrahlt wird, sondern nur an die zahlenden Kunden. Die meisten Serien, bei denen man nackte Frauen zu Gesicht bekommt, werden von solchen Pay-Sendern produziert. Im freien TV gibt's sowas nicht zu sehen.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Churke am 09. Dezember 2015, 11:22:18
Zitat von: Sascha am 09. Dezember 2015, 10:16:05
Fantasy? Ist das nicht nur das moderne Wort für Märchen? Was ist denn an Schneewittchen und den sieben Zwergen so anders?

Jo, aber wie stellt man sowas dar? Das Nibelungenlied lässt sich auch nicht lumpen. Ganz ohne Splatter. Und wenn Brunhild den Gunther an die Wand hängt, weil er seinen Mann nicht sehen kann, muss man sich die Einzelheiten selbst ausmalen.

Zitat von: Lina Franken am 09. Dezember 2015, 01:08:50
Gut, Spaß an zerfetzten Gladiatoren hatte man zwar auch schon im alten Rom, aber gerade in den letzten Jahren scheint das Wort "Tabu" immer mehr an Bedeutung zu verlieren.

Wobei die Gladiatoren-Fans mit Waffen selbst nichts zu tun haben wollten. Da gibt es den Ausspruch eines spätantiken Senators: "Militärdienst ist schmutzig und eines freien Mannes unwürdig."
Wir leben auch heute in einer Zeit, in der die Zielgruppe Gewalterfahrungen nur aus dem Fernsehen kennt. Frühere Generationen, die einen (oder den...) Krieg mitgemacht hatten, wären mit solchen Exzessen nicht zu ködern gewesen. Vielleicht ist das Grund. Krieg ist ja auch wieder salonfähig geworden.   
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Pygmalion am 09. Dezember 2015, 11:55:54
Also ich sehe da auch keinen neuen Trend, vor allem in Harry Potter sehe ich jetzt nicht wirklich signifikanten Anstieg von Gewalt? Da sterben Leute, aber wirklich brutal gehts da ja nicht zu. Es gibt sehr viele aktuelle, sehr harmlose Fantasybücher, genau so gibt es eben etwas brutalere, die nicht den Fokus auf die Liebesprobleme der Protagonisten legen, sondern auf die Probleme mit der Umwelt und darin zu Überleben (und zwischenstufen in jede Richtung)
Dass Sachen von der Liste indizierter Filme/Spiele verschwinden hat auch immer etwas mit dem Fortschreiten der Technik zutun: Während die zu ihrer Veröffentlichungszeit noch das neueste, realistischte Bild von Horror oder was auch immer darstellten, bestehen die heute keinen Vergleich mehr und wirken deswegen völlig unrealistisch, wodurch die Gefährung dann wegfällt.
Brutale und verstörende Szenen gab es auch schon in den 70ern, zumindest kann man wohl die Eingangsszene bei "Carrie" von Stephen King als ziemlich brutal bezeichnen und auch alles andere, was in dem Buch passiert.

Vielleicht wird Fantasy insgesamt realistischer, aber "tabus" brechen, nur um Tabus zu brechen, sehe ich eigentlich auch nicht. Leute pfählen ist keine Neuerfindung, genau so wenig wie häuten, rädern etc. pp. Ich würde sogar behaupten, die Menschen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit waren in vielerlei Hinsicht deutlich abgestumpfter gegenüber Gewalt jeder Art, als wir (Europäer) das sind. Die meisten historischen Chroniken lesen sich nicht weniger brutal als diverse Episoden in "Das Lied von Eis und Feuer". Vlad Tepes soll 100.000 Menschen gepfählt haben, darunter Kinder, Säuglinge... das ist natürlich, auch angesichts der damaligen Bevölkerungsdichte maßlos übertrieben, hat aber einen entsprechenden Effekt auf die Leute gehabt, die das gehört haben. Es gibt soviele Grauensgeschichten über diesen Mann und das alles aus dem Späten Mittelalter. Z.B. soll er auch untreuen Frauen die Brüste abgeschnitten haben, Bettler und Arme zu einem Festmahl eingeladen haben und das Haus angezündet... Das meiste wird übertrieben sein, lädt aber zum Gruseln ein.

Zu den nackten Körperteilen bei Game of Thrones: Naja, es sind nackte Brüste, vielleicht bemerkenswert für einen amerikanischen Sender, in den meisten von deren Serien/Filme sind die Leute beim Sex ja mehr bekleidet als nackt, aber ansonsten... Niemand guckt die Serie wegen der Brüste, denke ich. Das kann man einfacher und vollständiger in Pornos haben, wenn man will.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Trippelschritt am 09. Dezember 2015, 11:58:42
Ich glaube, dass man auf so einen Eindruck nur kommen kann, wenn man Unvergleichbares miteinander vergleicht.
Tolkien war eihne Weltenschöpfergeschichte wie es kaum eine andere gibt. Sie schlägt Narnia um Längen, obwohl die Autoren Freunde mit unterschiedlicher Nähe zum Christentum waren.
Mittelalterliches Setting hat häufig Nahkampfszenen, aber wie deutlich man das schreibt, hat wenig mit Mode aber dafür um so mehr mit Schreibkunst zu tun. Und sicher, es gibt immer wieder Autoren, die der Verlockung eines Effekts verfallen. Genau das sind die schlechten Passagen in Song of Ice and Fire.
Dass Fantasyautoren allerdings die Grenzen ihres Genres ausloten, darf nicht überraschen. Das geht aber auch in Richtung Humor und nicht nur zu Sex and Crime.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Kerstin am 09. Dezember 2015, 12:00:24
Zitat von: Witch am 09. Dezember 2015, 10:00:26
Das würde ich aber nicht mit der Entwicklung in der Fantasy vermischen (auch wenn Horror natürlich sehr oft eng mit Fantasy verwandt ist). Beim Horror ist das genrebedingt, da geht es ja genau darum, dass es brutal und schockierend ist.
Nicht unbedingt - das hat für mein Empfinden viel mehr damit zu tun, wie Bücher heutzutage in Buchhandlungen einsortiert werden.
Zu meiner Teenie-Zeit fand man unter Horror ein viel breiteres Spektrum, als heute, da damals auch alles, was in den Bereich Schauergeschichte, Schwarze Romantik ... ging, beim Horror einsortiert wurde.
Die Vampirbücher von Anne Rice galten damals zum Beispiel auch als Horror (und die Verfilmung auch als Horrordrama). Heutzutage würde man es wohl in die Fantasy einordnen mit allen anderen Vampirgeschichten. Für mein Empfinden sind meine Icherios-Bücher auch dichter an der Schauergeschichte und damit dem Horror, als der Fantasy - offiziell ist es heute aber Fantasy.

Diese gefühlte Brutaltität könnte meiner Meinung nach aber genau darauf beruhen. Vieles, was früher Horror war, gilt heute als Fantasy.
Und wie andere schon anmerkten - die ersten "Lied von Eis und Feuer" Bücher stammen aus Ende der 90er, sind somit also kaum etwas "Neues".
Gebrochene Charaktere hatte man auch schon davor - wie in Moorcocks Elric-Saga (die auch nicht gerade harmlos ist) und selbst in der Heilbronner Stadtbibliothek gab es in den 90ern Erotik-Fantasy-Bücher, in denen sich Frauen und Männer mit Minotauren ... vergnügten.  ;D
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: HauntingWitch am 09. Dezember 2015, 12:02:55
Zitat von: Churke am 09. Dezember 2015, 11:22:18
Wir leben auch heute in einer Zeit, in der die Zielgruppe Gewalterfahrungen nur aus dem Fernsehen kennt. Frühere Generationen, die einen (oder den...) Krieg mitgemacht hatten, wären mit solchen Exzessen nicht zu ködern gewesen.

Ich glaube, das kommt immer noch hinzu, bei allen Themen. Ich persönlich vertrage gewisse Dinge auch nicht, aus Gründen. Aber die meide ich dann halt.

Zitat von: Pygmalion am 09. Dezember 2015, 11:55:54
Zu den nackten Körperteilen bei Game of Thrones: Naja, es sind nackte Brüste, vielleicht bemerkenswert für einen amerikanischen Sender, in den meisten von deren Serien/Filme sind die Leute beim Sex ja mehr bekleidet als nackt, aber ansonsten...

Ist aber auch nicht mehr so extrem, ich sage nur True Blood, Supernatural... Aber ich glaube auch das ist wieder eine Genre-Sache, sind ja alles Serien, die auf ein Publikum ausgelegt sind, das das auch wegsteckt.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Tintenteufel am 09. Dezember 2015, 12:11:43
Ich will Guddy und Kerstin mal Recht geben.
Einige der widerlichsten Bücher aus dem Bereich Phantastik, die ich je gelesen habe, sind aus den achtzigern oder sogar noch älter. Necroscope z.B. (gut, mehr Splatter) musste man früher im Festaverlag suchen. Seit 2009 gibt's das auch ungekürzt als Taschenbuch bei Heyne. Der Cthulhu-Mythos hat zugegeben wenig mit Sex zu tun (das dürfte aber am Autor gelegen haben) trotzdem gibt es jede Menge Anspielungen auf Inzest (Thing on the Doorstep), Kannibalismus (Charles Dexter Ward, Herbert West), von Totschlag, Mord usw. ganz zu schweigen. Und die haben in den zwanzigern ihren Anfang genommen. Moorcock ist auch schon erwähnt worden.

Sowas kommt dann mal wieder in Mode, geht wieder, kommt wieder, usw.
In den Neunzigern kam das das letzte Mal auf, da gab's einen riesigen Aufschrei gegen die grausame, seelenfressende Brutalität von Vampier Masquerade (1991...whoa, grade hier getippt und zack kommt der Postbote mit meiner Jubiläumssausgabe o.O) oder Warhammer (zweite Edition 1993) oder Shadowrun (1989)...die dann wiederum Leute so sehr abgeschreckt haben irgendwann, dass um die 2000er rum wieder zahmere Varianten kamen. Bis hin zu Schmusevampiren, die in der Sonne glitzern (2005-8).

Ich persönlich finde die Passagen bei Eis und Feuer auch nicht am gelungensten...aber ich habe schon deutlich schlimmeres gelesen, das deutlich besser umgesetzt war. Insofern...hm. Wie bereits gesagt, wahrscheinlich eine Popularisierung von ansonsten tabuisierten Themen. Dafür sind andere derzeit weniger beliebt, die nicht auf Verbrechen sondern auf Gesellschaft ausgehen.
Über manche Themen redet man ja auch in der modernen Fantasy nicht wirklich. :) Rassismus z.B. (der ist bei Eis und Feuer meiner Erinnerung nach eher zahm), Ungleichverteilung oder ähnliches. Wohingegen das in den 60ern eher von Bedeutung war, wenn ich mich recht erinnere.

Zitat von: Kerstin am 09. Dezember 2015, 12:00:24
Nicht unbedingt - das hat für mein Empfinden viel mehr damit zu tun, wie Bücher heutzutage in Buchhandlungen einsortiert werden.
Zu meiner Teenie-Zeit fand man unter Horror ein viel breiteres Spektrum, als heute, da damals auch alles, was in den Bereich Schauergeschichte, Schwarze Romantik ... ging, beim Horror einsortiert wurde.
Die Vampirbücher von Anne Rice galten damals zum Beispiel auch als Horror (und die Verfilmung auch als Horrordrama). Heutzutage würde man es wohl in die Fantasy einordnen mit allen anderen Vampirgeschichten. Für mein Empfinden sind meine Icherios-Bücher auch dichter an der Schauergeschichte und damit dem Horror, als der Fantasy - offiziell ist es heute aber Fantasy.
Offiziell...für Buchhandlungen vielleicht. :P
Im Thalia am Alexanderplatz haben die da ein eigenes Regal für. Romantasy. Hauptsächlich Vampirschmonzetten. Oder Werwölfe.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Lothen am 09. Dezember 2015, 12:24:34
Zitat von: TintenteufelDer Cthulhu-Mythos hat zugegeben wenig mit Sex zu tun
Na jaaaa, im Subtext .... ;D
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: HauntingWitch am 09. Dezember 2015, 12:32:31
Zitat von: Kerstin am 09. Dezember 2015, 12:00:24
Zitat von: Witch am 09. Dezember 2015, 10:00:26
Das würde ich aber nicht mit der Entwicklung in der Fantasy vermischen (auch wenn Horror natürlich sehr oft eng mit Fantasy verwandt ist). Beim Horror ist das genrebedingt, da geht es ja genau darum, dass es brutal und schockierend ist.
Nicht unbedingt - das hat für mein Empfinden viel mehr damit zu tun, wie Bücher heutzutage in Buchhandlungen einsortiert werden.
Zu meiner Teenie-Zeit fand man unter Horror ein viel breiteres Spektrum, als heute, da damals auch alles, was in den Bereich Schauergeschichte, Schwarze Romantik ... ging, beim Horror einsortiert wurde.
Die Vampirbücher von Anne Rice galten damals zum Beispiel auch als Horror (und die Verfilmung auch als Horrordrama). Heutzutage würde man es wohl in die Fantasy einordnen mit allen anderen Vampirgeschichten. Für mein Empfinden sind meine Icherios-Bücher auch dichter an der Schauergeschichte und damit dem Horror, als der Fantasy - offiziell ist es heute aber Fantasy.

Das stimmt. Gerade Anne Rice ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man guten Horror für die Masse zu etwas anderem degradiert hat. Irgendwann um den Twilight-Hype kamen ja auch diese neuen Ausgaben, mit den angepassten Titeln heraus, um das quasi als Romantic zu verkaufen. Furchtbar, das. Für mich werden die Vampir- und Hexenchroniken aber immer in der Horror-Sparte bleiben.
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Guddy am 09. Dezember 2015, 12:37:12
Zitat von: Lothen am 09. Dezember 2015, 12:24:34
Zitat von: TintenteufelDer Cthulhu-Mythos hat zugegeben wenig mit Sex zu tun
Na jaaaa, im Subtext .... ;D
...da fällt mir Kafka ein.. ;D
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Moni am 10. Dezember 2015, 13:44:32
Zitat von: Guddy am 09. Dezember 2015, 00:18:30
Der letzte ist von '99, also auch nur 3 Jahre nach dem ersten ASoIaF.

Sorry, aber das ist nicht korrekt. Die ersten Erzählungen, die dann später in Sammelbänden erschienen, hat Sapkowski bereits 1986 geschrieben, aber eben in polnischer Sprache (die ersten Übersetzungen kamen dann in den 90ern). Die Grundlage der Erzählungen waren übrigens Märchen und über deren Brutalität brauchen wir glaube ich kaum ein Wort verlieren.  8)

Ich lese ja jetzt seit den 80er Jahren Fantasy, quer durch alle Spielarten. Gerade früher (ich rede wirklich von Mitte der 80er) gab es ja relativ wenig Jugendfantasy (Phantastisches für Kinder schon, aber als ich 13, 14 war, hatte ich deutlich weniger Auswahl) daher habe ich immer schon Erwachsenenfantasy gelesen. Und bis auf einen Wechsel in der Sprache, die mittlerweile bildhafter und auch expliziter geworden ist, kann ich da nur wenig Anstieg im Brutalitätslevel feststellen. Aber die geänderte Sprache macht es tatsächlich auffälliger. Gemordet, vergewaltigt, verstümmelt usw wurde schon bei Tolkien, aber er war in der Lage, es in so poetische Worte zu verpacken, daß es einem eben nicht sofort ins Gesicht sprang (Silmarilion oder auch Buch der verschollenen Geschichten sind da gute Beispiele).
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Guddy am 10. Dezember 2015, 14:11:28
Zitat von: Moni am 10. Dezember 2015, 13:44:32


Sorry, aber das ist nicht korrekt. Die ersten Erzählungen, die dann später in Sammelbänden erschienen, hat Sapkowski bereits 1986 geschrieben, aber eben in polnischer Sprache (die ersten Übersetzungen kamen dann in den 90ern).
Ich bezog mich auf die polnische Ausgabe :) Welche Quelle hast du denn, die besagt, dass "Pani jeziora" (der letzte Band) schon in den 80ern veröffentlicht wurde? In dem Posting ging es mir wie gesagt explizit um diesen letzten Band.
Dass der erste Band (von den Kurzgeschichten ganz zu schweigen)  früher als 99 erschien, schrieb ich doch auch vorher.   ???
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Moni am 10. Dezember 2015, 16:55:16
Zitat von: Guddy am 10. Dezember 2015, 14:11:28
Zitat von: Moni am 10. Dezember 2015, 13:44:32


Sorry, aber das ist nicht korrekt. Die ersten Erzählungen, die dann später in Sammelbänden erschienen, hat Sapkowski bereits 1986 geschrieben, aber eben in polnischer Sprache (die ersten Übersetzungen kamen dann in den 90ern).
Ich bezog mich auf die polnische Ausgabe :) Welche Quelle hast du denn, die besagt, dass "Pani jeziora" (der letzte Band) schon in den 80ern veröffentlicht wurde? In dem Posting ging es mir wie gesagt explizit um diesen letzten Band.
Dass der erste Band (von den Kurzgeschichten ganz zu schweigen)  früher als 99 erschien, schrieb ich doch auch vorher.   ???

Ich würde mal sagen, Guddy, ich hab das mit dem letzten überlesen, was meine Antwort ja eigentlich auch erklärt.  8) Ich bin extrem kurzsichtig, mir passiert das schon mal. Ich hab da der erste gelesen.  Und mit den ganzen neuen Avataren habe ich dein Posting über die ersten Bände ehrlich gesagt nicht mit dir in Verbindung gebracht. Ich bin über 40, hab Mitleid.  8)
Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: canis lupus niger am 25. Dezember 2015, 14:10:24
Meiner Meinung nach nimmt die Verwendung von Tabubrüchen (nicht nur) in der Fantasy schon zu. Klar, schon in früheren Zeiten, auch in VIEL früheren Zeiten kam es zu Grausamkeiten, sowohl in der Realität, als auch in den Mythen und in der Unterhaltung. Es gab echte Massenmorde, echte Gemetzel, echte Massenvergewaltigungen, ethnische Säuberungen; und all das fand seine Abbildung in echter Geschichtsschreibung, echten Religionen, Volksmythen und Märchen.

Was, wie ich glaube, sich tatsächlich ändert, ist, dass die entsetzlichsten Auswüchse menschlicher Phantasie und menschlichen Handelns immer mehr Eingang in allgemein zugängliche Unterhaltung finden. Tolkien hat gewiss geschrieben, dass Orks durch Folterungen und sonstige Experimente (Genetik war seinerzeit noch kein Thema) aus gefangenen Elben erzeugt wurden. Aber er beschrieb diese Exzesse nicht im Detail, sondern überließ es der Phantasie des Lesers, ob und wie dieser sich das ausmalen wollte. Kinder und Jugendliche hatten nicht die Bilder von Leichenfeldern, von herumfliegenden Körperteilen und aus aufgeschlitzten Leibern herausquellenden Gedärmen vor Augen. Er schrieb, dass von den Fängen der Riesenspinnen in Düsterwald Gift tropfte, aber er ließ diese Horrorgestalten nicht abrupt aus dem Nichts vor den Augen der Leser auftauchen und seinen Protagonisten dieses Gift ins Gesicht sabbern. Die grausig entstellten Orks, die im Herrn der Ringe die Welt der 'Guten' angreifen, werden nur grausig genannt. Es war Regisseur Jackson, der uns mit Bildern von Verkrüppelungen und Entstellungen beglückte, der aus dem High Fantasy Epos über Strecken eine Reihe von Horrorfilmen machte, die z.T. erst ab 18 freigegeben werden konnten.

Auch wenn mir persönlich das nicht gefällt, wie man unschwer erkennen kann, will ich das nicht moralisch werten. Aber rein sachlich stellt sich mir die Frage, warum er und die Produktionsfirma das für nötig hielten. Die Antwort ist relativ simpel: Weil sie glaubten, dass die Filme sich in den Kinos so besser verkaufen würden, weil der Kunde das so sehen will. Zumindest ein Teil der Kunden. Die anderen wurden mit den schönen Landschaftsaufnahmen und den attraktiven Schauspieler/innen, mit der aufgehübschten und modernisierten Rolle von Arwen und anderen weiblichen Sympathieträger(inne)n versöhnt, so dass für jeden was dabei ist.

Ja, ich bin überzeugt davon, dass die Fantasy, die veröffentlicht wird, immer wieder gezielt Tabus bricht, weil sich die immer spektakulärereren Bilder (auch bildhaft geschriebene Bücher) besser verkaufen.

Terry Pratchett schrieb einmal, dass der eigentliche Star der Mittelerde-Geschichten die Mittelerde selber sei. Meiner Meinung nach hatte er damit Recht. Aber irgendjemand (ich weiß nicht mehr wer, ein Profi aus dem Verlagswesen) schrieb in einem (anderen) Autorenforum, einen Roman wie den Herrn der Ringe könnte man heutzutage nicht mehr verkaufen und würde ihn heutzutage in einem Verlag zur Veröffentlichung nicht mehr annehmen. Tragisch, denn was wäre der Fantasy-Gemeinde entgangen, wenn diese Meinung damals schon geherrscht hätte. Aber im Zusammenhang mit dieser Diskussion sagt das eine Menge über den Trend in der Fantasy aus. 'Die Mittelerde selber' würde heute offenbar keinen Lektor mehr vom Stuhl reißen, es muss etwas anderes her, offenbar Spektakuläreres, Neues. Vielleicht etwas Tabubrechendes? Was macht den Erfolg der Reihe um die fünfzig Schattierungen der Farbe Grau aus? Der großartige Sprachstil des Autors? Der gekonnt aufgebaute Plot? Die gesellschaftliche Relevanz? Oder eher der Tabubruch?  Gut, heute macht sich kaum noch einer einen Kopf wegen der SM-Spielchen in den Romanen, aber bevor 'jeder' die Bücher hatte (und zugegeben hatte, sie gelesen zu haben) war das immer noch ein Thema, das man zwar zum Hobby haben durfte, über das man aber im Allgemeinen nicht öffentlich sprach. Irgendwie prickelnd und neu also. Aufregend.

Sword and Sorcery ist dreckig? Ja, ist sie, war sie schon immer. Aber früher war mit Dreck nicht nur Blut, sondern auch Schlamm gemeint. Der gute alte Conan hat sich auch über alle Schlachtfelder geprügelt und durch alle Betten geschlafen, die er finden konnte. Wenn aber jemandem auf einem Turnier eine Lanze in die Kehle gerammt wird, so dass derjenige vor der Kamera sekundenlang schwallweise Blut auswürgt bis er erstickt ist, wenn in einem Leichnam kiloweise Fliegenlarven wimmeln, wenn jemandem bei einem Zweikampf erst die Zähne ausgeschlagen werden, so dass sie weit davonfliegen, und dann die Augern langsam und genüsslich aus dem Kopf gedrückt werden, wenn die Vergewaltigung kleiner Mädchen als gesellschaftlich toleriert thematisiert wird, dann muss man schon sagen, dass Game of Thrones hinsichtlich Tabubrüchen eine ganz andere Qualität hat als frühere Sword and Sorcery.

Umherfliegende, abgetrennte Gliedmaßen, detailliert beschriebene Tötungs- oder Vergewaltigungsszenen oder auch psychische Grausamkeiten à la "Saw" wurden eher in den Bereich Horror verortet. Ebenso hielt man noch vor einigen jahrzehnten Literatur wie die "fünfzig Schattierungen" eher für Pornografie als für allgemein zugänglich sein solltende Erotik. Heute dagegen stehen die Bücher der Black-Dagger-Vampirreihe im Regal für Jugendliteratur, auch die Bände, in denen über die jahrzehntelange Gefangenschaft eines wehrlosen Mannes (anfangs noch des Jugendlichen) mit ständigen Misshandlungen, zwangsweisen Drogenverabreichungen und Vergewaltigungen erzählt wird. Fantasy ist schließlich Jugendliteratur, nicht wahr? Wie gesagt, ich will nicht moralisieren. Diese Reihe lese ich, obwohl sie reichlich trivial ist, gelegentlich selber auch ganz gerne. Aber was da drin steht, wäre noch vor wenigen Jahrzehnten nicht harmlos prickelnder Tabubruch gewesen, sondern eben stellenweise reiner Porno. Und Tabubrüche machen Bücher (und Filme) besser verkäuflich.

Deshalb meine ich (nach meinen vielen Worten  ;D): 'Fantasy muss' vielleicht nicht 'inzwischen Tabus brechen', aber ganz bestimmt schadet es dem Marktwert nicht, wenn sie das tut.     

Titel: Re: Muss Fantasy inzwischen Tabus brechen?
Beitrag von: Tintenteufel am 29. Dezember 2015, 16:55:30
Dem möchte ich widersprechen.

Die Sache mit dem Film ist - Verzeihung - eine falsche Sichtweise auf Filme allgemein.
Film ist ein visuelles Medium, die Grausigkeit der Orks muss also gezeigt werden. Ein grausiger Ork, der nicht grausig aussieht...ist halt einfach nicht grausig. Entsprechend muss es Änderungen zum Quellmaterial geben. Bei dem Jump Scares stimme ich dir insofern zu, als dass die eine schlichte Modeerscheinung waren (wie die unendlich vielen Close Ups in die Gefährten...*schauder*), aber Horror ist wirklich anders.
Das muss alles visuell geregelt werden, weil mehr als genug der zig Stunden Filmzeit schon für Dialog zwischen den Hauptcharakteren drauf geht. Ansonsten hat das ganze Ding als Film versagt. Das hat wenig mit dem Genre sondern mehr mit dem Medium zu tun - auch wenn einzelne Details durchaus ausgeschmückt worden sind.

Und die Aussage mit den Veröffentlichungen halte ich auch für eine ziemliche Übertreibung. Es lassen sich ohne Probleme Dutzende trivialster Fantasyschinken der letzten 10 Jahre finden, die nach Tolkienschen Zahlen gemalt worden sind. Eragon, die unzähligen "Rassenbücher" (Elfen, Zwerge etc.), Canavan, Hohlbein oder Elantris: Gute oder auch schlechte Bücher, aber alle ohne viel Sex, mit viel Liebe, Gewalt im klassischen Ritterausmaß usw. usf. Keines davon ist älter als zwölf Jahre und alle in großen Verlagen (Piper und Heyne) erschienen.

Ich sehe also einerseits nicht, dass sich das unbedingt besser verkauft, und andererseits keine Extremisierung der Fantasy. 50 Shades ist nämlich keine Fantasy und dass die Hausfrauen-Demographie etwas versaut ist, wissen wir seit es Seifenopern und Arztromane gibt.