Hallo zusammen,
mich trieb seit Jahren eine Szene in einem meiner Projekte um. Ich mochte sie nicht und wusste nicht warum. Seit vorgestern weiß ich es und würde gerne wissen, wie ihr das handhabt:
Ich finde, es gibt in Büchern oft Schlüsselszenen, meistens Spannungspunkte im Plot, wo eine ganz bestimmte Sache passiert, die vorher schon angedeutet wird, und wo der Leser ganz klar weiß, das wird jetzt so und so passieren, da führt kein Weg dran vorbei. Klassisches Beispiel: Ich breche beim Bösewicht ein, um Beweise zu sammeln, und natürlich wacht der genau in dem Moment auf, als ich mitten dabei bin, aber es gelingt mir gerade noch, zu entwischen. :gähn: Ich finde, das ist ein sehr typisches Beispiel für die Art von Szenen, die ich meine. Wenn man alles glimpflich ablaufen lässt, ist es für den Leser uninteressant. Wenn man den Hausbesitzer aufwachen lässt, ist es ein Klischee, das ich persönlich total hasse. Und jetzt hab ich festgestellt, dass ich genau so eine Szene selber geschrieben habe. Da schleichen meine Protas unter einer Illusion versteckt im Feindeslager umher, und es stellt sich genau die obige Frage: Wie soll es ausgehen, ohne dass es entweder klischeebehaftet oder langweilig ist? Momentan pflege ich einen Mittelweg, jemand merkt was, aber sie kommen noch weg, bevor derjenige es wirklich kapiert hat, aber damit bin ich noch nicht zufrieden. Ich möchte hier aber keine Hilfe für mein Problem (wäre ja auch das falsche Board), sondern mich interessiert, ob ihr auch schon solche Erfahrungen gemacht habt, lesenderweise oder schreibenderweise, und wie ihr damit beim Schreiben umgeht.
Danke und Grüße
die klischeegebeutelte Sanjani
Richtig, wenn alles gut geht, ist es langweilig, wenn sie geschnappt werden, passt es vermutlich nicht in den weiteren Plot. Eine Lösung dafür wäre, sie zwar entkommen zu lassen, aber ihnen einen schweren Nachteil anzuhängen, eine Verletzung, jemand wurde erkannt, der unbekannt bleiben wollte, sie verlieren eine wichtige Ressource oder eine Waffe, usw.
Die Verletzung war auch mein erster Gedanke. Noch eine Idee wäre es, dass einer der Protas von dem Bösewicht geschnappt werden kann und festgehalten wird und man diesen Prota erst einmal aus seiner Gewalt befreien muss. Was eine solche Szene auch noch etwas weniger klischeehaft und etwas spannender machen würde: Die Protas wähnen sich in Sicherheit und sind entkommen, aber der Bösewicht hat sich nur schlafend gestellt und lässt sie von seinen Handlangern kurz vor dem Entkommen aufhalten.
Es ist irgendwie wirklich schwer, da nicht Klischees zu beschreiben. Die Szene an sich - beim Bösewicht einbrechen, um etwas zu finden, mit dem man gegen ihn vorgehen kann - ist schon sehr oft geschrieben worden. Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass man einfach so in das Haus eines Bösewichts einbricht? Hat er nicht gewisse Sicherheitsvorkehrungen, wenn man ihn schon drankriegen könnte, indem man des Nachts durch sein Haus spaziert und ein bisschen in seinen persönlichen Sachen herum ströbert? Kommt man überhaupt auf sein Grundstück, geschweige denn in sein Haus? Je nachdem, in welcher Welt und zu welcher Zeit die Geschichte spielt, könnte es sogar mehr oder weniger unmöglich sein, an die Beweise heranzukommen, solange sie sich so unmittelbar in seiner Nähe befinden. :hmmm:
Hallo ihr zwei,
also, die Umsetzung ist nicht das Problem. Es ist eher dieses Wissen, dass wenn ich lese, ah, die brechen da ein, ich genau weiß, das geht sicherlich nicht glimpflich ab, und ich weiß schon, was ungefähr passieren muss, weil das einfach immer so ist. So meinte ich das eher. Klar kann man verschiedene Umsetzungen machen, aber die Genervtheit geht bei mir schon los, wenn ich lese, dass da eingebrochen wird. Meistens ist es dann ja auch so, dass man bestimmte Sachen vorher diskutiert, z. B. die innere Eingangstür quietscht, also passt da bitte unbedingt auf. Und das muss man auch machen, weil sonst die Geschichte unglaubwürdig wäre, aber oftmals geschieht dann genau das, wovor gewarnt wurde, mit den oben genannten Folgen. Ich finde, das begegnet einem sehr häufig in Büchern. Ich frag mich manchmal, ob es nicht sogar erfrischend wäre, wenn die Protas durchkämen, ohne dass ihnen etwas passiert. :)
Und bitte betrachtet die Einbruchszene nur als Prototyp, stellvertretend für andere ähnlich gestrickte Szenen. Ich finde, da gibt es schon noch mehr, aber die ist mir jetzt als erste eingefallen.
LG Sanjani
Die Frage ist doch, weshalb man diese Szene schreibt. Wenn es darum geht, dass der Leser mit feuchten Händen mitfiebern soll, was als nächstes passiert, sollte man sich tunlichst etwas anderes einfallen lassen.
Man kann das variieren, indem man sich Gedanken macht, wie es passiert - und dann natürlich, was als nächstes passiert.
Ich hatte mal genau so eine Klischeeszene: Da sie gerade in Alexandria sind, beschließen die Helden, in das Haus des Kirchenvaters Athanasius einzubrechen und ein legendäres Zauberbuch "auszuleihen". Die Sache ist total einfach: Alexandria wird gerade von Straßenkämpfen zwischen Athanasianern und Arianern erschüttert, und die Luft ist rein, da Athanasius gerade seine legendären Predigten gegen die Feinde des rechten Glaubens hält.
Natürlich wird der Protagonist geschnappt. Er wird aber nicht entdeckt, weil ich das für spannend halte, sondern, damit er dem heiligen Athanasius begegnet. Es geht also letztlich um die sich anschließende Dialogszene mit Athanasius.
Oder: alles geht glatt, und die Protas hinterlassen etwas, von dem der Bösewicht erst sehr viel später merkt, dass sie da waren- dann aber schäumt er vor Wut!
Das Dilemma, welches Sanjani gefangen hält, ist ja nicht der Einbruch an sich, sondern, dass es scheinbar ab und an nicht möglich ist, ein bestimmtes Klischee zu umgehen, weil durch den Umweg, die Erwartungshaltung des Lesers enttäuscht wird, man aber als Autor, dieses Klischee zum Erbrechen bescheuert findet.
Meiner Meinung nach muss man als Autor abwägen, welche Klischees man bedient und warum. Ein Roman darf Klischees enthalten, wenn sie Mittel zum Zweck sind, der Roman darf aber nicht davon strotzen, außer es ist eine Satire oder Persiflage.
Andererseits kann es auch passieren dass der Roman das Antiklischee-Klischee erfüllt, der Leser also den Eindruck gewinnt, dass in dem Roman nur alles anders ist um anders zu sein, aber dabei schlecht ist.
Ist verständlich was ich sagen möchte?
Gruß
~c~
Zitat von: cryphos am 10. September 2014, 11:12:23
Das Dilemma, welches Sanjani gefangen hält, ist ja nicht der Einbruch an sich, sondern, dass es scheinbar ab und an nicht möglich ist, ein bestimmtes Klischee zu umgehen, weil durch den Umweg, die Erwartungshaltung des Lesers enttäuscht wird, man aber als Autor, dieses Klischee zum Erbrechen bescheuert findet.
Danke Cryphos, du hast das wunderbar abstrahiert. Man könnte es sogar noch auf die Spitze treiben und sagen: Egal, welche Alternative man wählt, man enttäuscht die Erwartung des Lesers, weil in manchen Fällen nur zwei Wege vorhanden sind, alles geht gut oder etwas passiert, das man vorausahnen muss :)
So sehe ich es auch. Letzten Endes ist ein Einbruch, bei dem der Dieb nicht geschnappt wird, ebenso "klischeehaft". Wenn man das Geschnapptwerden einerseits und das Entkommen andererseits vermeiden will, muss man wohl Einbruchsszenen generell umgehen.
Ich habe übrigens beide Arten von Einbrüchen schon geschrieben und habe damit kein Problem.
Hallo Sanjani!
Ehrlich gesagt sehe ich das ein bisschen anders als Sie. Nehmen wir einfach mal Ihr Beispiel mit dem Einbruch und dem knappen Entwischen.
Klar, ein jeder Leser weiß, was kommt.
Und ist das jetzt ein Grund zu sagen: "Och nöö, dass ist jetzt Klischee, deswegen verwende ich das nicht"? Muss jetzt grundsätzlich jede Szene originell und jungfräulich sein, hauptsache, sie besteht aus keinem Klischee?
Ich wage mal zu behaupten, dass keiner ein Buch schlechtmachen wird, weil eben ein solcher Part darin auftaucht. Wäre das ganze Buch nach Schema F, gäbe es keinerlei neue Ideen, sondern griffe man nur auf alles zurück, was es eh schon gab (getreu dem Motto: Lieber gut geklaut als schlecht selber ausgedacht), dann emfände ich es als schlimm. Aber dann, weil eben alles verbraten wurde.
Wenn man mal auf eine oder zwei bekannte Situationen zurückgreift, ist das kein Beinbruch.
Außerdem: würde man nicht darauf zurückgreifen, sondern wirklich grundsätzlich von Peine über Paris nach Paderborn, dann gäbe es weniger Bücher... ;)
Edit: cryphos war schneller
Edit 2:
ZitatEgal, welche Alternative man wählt, man enttäuscht die Erwartung des Lesers, weil in manchen Fällen nur zwei Wege vorhanden sind, alles geht gut oder etwas passiert, das man vorausahnen muss
Übrigens ist es ein Stilmittel, wenn man die Erwartungen des Lesers enttäuscht. Aber Achtung: Dies darf man nur dann machen, wenn es auch in diesem Moment passt. Man muss in diesem Fall eine Menge Fingerspitzengefühl beweisen.
Hallo Sanjani,
ich kann das sehr gut nachempfinden. Derartige Szenen sind die Hauptgründe, warum Bücher bei mir halb gelesen in die Ecke fliegen und nie wieder angerührt werden. Wobei so Einbruch- Szenen für mich momentan weniger so ein Klischee sind, weil ich vor allem übernatürliche Detektivgeschichten lese, wo es dazu gehört, dass die Protas sowas machen, aber eben auch soviel Know How haben, dass ein Erwischen wirklich dumm gelaufen ist. In anderen Genres allerdings ärgert mich das genauso. Was mich aber immer ärgert sind so Intrigenartige Geheimnisse. Da fliegen die Bücher zu 100% in die Ecke, wenn ich das Gefühl habe, der Autor konstruiert da was. Begegnet mir allerdings vorrangig bei deutschen Autoren, seltener bei amerikanischen. Eine Szene, die ebenfalls so wirkt, sich aber "harmlos" auflöst, habe ich auch in meiner Trilogie. Und ich bin sehr unglücklich damit. Eine Alternative habe ich aber leider einfach nicht, bzw. wäre die Alternative, dass ihr Gegenüber ihr nicht glaubt und das wäre so unlogisch, dass es nicht funktioniert und noch viel lauter Klischee rufen würde. Allerdings thematisiert die Hauptfigur das Dilemma immer wieder mal und ich hoffe, dass ich damit das Gefühl, es sei zum Spannungsaufbau konstruiert, ein wenig abschwäche.
Ich glaube, man kommt manchmal einfach nicht an solchen Plotpoints vorbei. Wichtig finde ich, dass auch der Leser dann das Gefühl hat, okay, es ist einfach zwingend logisch, dass die Figur so handelt. Und dann muss die Situation selbst eben auch nachvollziehbar und "realistisch" sein.
Für den Einbruch würde mir noch einfallen, dass man ihn schon im Vorfeld scheitern lässt. Ob der Plot dann damit funktioniert, ist allerdings die Frage.
Und mir scheint, der Großteil der Leser stört sich nicht so stark an solchen Klischees.
Also vielleicht muss man da als Autor einfach in den sauren Apfel beißen. Oder eben die gesamte Situation umgehen.
Hallo Sanjani,
knifflige aber gute Frage! So eine direkte Lösung habe ich jetzt nicht. Es kommt immer auch auf den Einzelfall an. Ich hatte schon Bücher in der Hand, da ist mir das arg auf den Wecker gegangen und die Szenen waren so klischeehaft bzw. eher vorhersehbar, dass es für mich dann beim Lesen gar keine richtige "Wende" mehr war. Ich hatte es mir ja eh schon gedacht.
Generell denke ich, dürfen solche Wendeszenen durchaus auch mal etwas von diesem Klischee behalten, so lange es nicht zu platt ist. Das hängt für mich persönlich davon ab, mit wie vielen anderen (vorhergegangenen) Klischees diese verknüpft ist. Wenn sich das so aneinander reiht, ist es im Moment der Wende umso deutlicher zu spüren. Manchmal lassen sich auch nicht unbedingt alle Klischees in einem Buch vermeiden und manchmal sind eben Szene A oder B genau die, die perfekt reinpassen vom Gefühl her. Dann stellt sich die Frage: Wenn es nicht vollkommen anders geht als "Einbruch bei ... und dann" - inwieweit kann ich dieses klassische Szenengerüst umbauen? Ihm neue Facetten geben? Werden die Protagonisten tatsächlich erwischt und evtl eingesperrt, hatte man das bestimmt schon zig Mal. Aber vielleicht tritt ja eine Figur auf den Plan, die man so nicht auf dem Schirm hatte? Vielleicht kommen sie davon, finden möglicherweise gar nicht DEN Hinweis, wohl aber einen anderen, mit dem an der Stelle keiner gerechnet hätte und der dann an anderer Stelle einen Stein ins Rollen bringt? Verletzt sich vielleicht einer der Charaktere bei der Flucht und wird diese Verletzung später zu einer möglichen Gefahr? Oder führt die Flucht durch Entdecken sie erst an einen Ort oder zu einer Person, die sie sonst nicht entdeckt hätten?
Okay, die Fragen oder Anmerkungen beziehen sich jetzt mehr um das Drumherum als die Szene selbst. Ich bin da noch unschlüssig. Ich denke, wie gesagt, dass es auf das Wie, die spezielle Umsetzung ankommt. Wenn es für mich top umgesetzt ist und die Charaktere (generell) durch Tiefe beeindrucken, dann kann ich auch einmal so eine Szene ab. Es dürfen nur nicht zu viele sein. Manchmal lassen sich diese Szenen gut vermeiden, wenn man etwas nach Alternativen sucht. Manchmal finde ich aber auch, dass das Puzzle mit eben dieser Szene besser passt. ???
Hallo Sanjani,
ob eine solche Szene (egal, wie sie nun ausgeht) störend ist, wird für mich ganz klar durch die Umsetzung bestimmt. Natürlich macht das Lesen mehr Spaß, wenn die Geschichte nicht allzu vorhersehbar ist und es Überraschungen gibt. Um das Ganze aber einmal im größeren Zusammenhang zu betrachten: Anhand der Art, wie ein Roman geschrieben ist - eher humorvoll/locker oder eher düster/bedrohlich - lässt sich oft schon erkennen, wie er ausgeht. Zumindest lässt sich der Erfahrung nach vorausahnen, welche der Figuren überleben und welche nicht. Dennoch werden diese Bücher gelesen, weil es nicht unbedingt um das Ziel geht, sondern um den Weg.
Bei diesen Klischeeszenen sehe ich es ganz ähnlich: Sie muss einen Mehrwert haben. Wenn es einzig darum ginge, einen Gegenstand von den Gegnern zu beschaffen, warum hat man diesen Gegenstand als Autor dann bei den Feinden abgeladen? Ein Hindernis, das nicht spannend geschrieben werden kann, sollte meiner Meinung nach aus dem Plot ferngehalten werden.
In solchen Situationen sehe ich mehrere Möglichkeiten:
1. Charakterentwicklung - durch die Gefahr, durch eine Begegnung mit dem Gegner, durch Zusammenarbeit mit ungeliebten Mitstreitern, vertiefen sich Figuren und ihre Beziehungen. Dann stelle ich dies in den Fokus und lasse die Spannung, ob sie geschnappt werden, außen vor.
2. Unerwartete Nebenentdeckungen - insbesondere der Einbruch als Beispiel kann eine Doppelrolle spielen. Neben dem Gegenstand, der gesucht wurde, stößt der Protagonist noch auf etwas anderes, das seine Ansichten oder auch den Plot vertieft oder abwandelt.
3. Der Weg ist das Ziel - wie oben erwähnt, es kommt immer darauf an, wie es geschrieben ist. Bei deinem Einbruch Beispiel wäre es besonders klischeehaft, wenn der Eindringling zwar gesehen wird, aber gerade noch durchs Fenster entkommen kann. Er steht also im tosenden Wind auf dem Fensterbrett, presst den Rücken gegen die Wand. Beinahe fällt er ... das ist tatsächlich oft geschrieben worden. Aber wenn er sich mit Schläue aus der Situation rettet und dem Leser somit einen ungewöhnlichen Ausweg bietet, wird die Sache wieder interessant.
Was das Enttäuschen der Vorstellungen der Leser angeht: Dieses Problem sehe ich, wenn die Szene auf Spannung geschrieben wurde und dann nichts passiert. Da würde ich mich als Leser schon ärgern. Wenn der Fokus aber von Anfang an eher auf den Charakteren oder den neuen Informationen, die der Protagonist findet, liegt, wird dem Leser ja nichts Falsches versprochen.
Diese Klischeeszenen aber als Autor als Klischee anzusehen und sie dann irgendwie runterzuschreiben, weil sie für den Plot eben sein müssen, halte ich für verkehrt. Aufgabe des Autors ist es schließlich nicht nur, eine Geschichte zu erzählen, sondern sie so zu erzählen, dass sie für den Autor selbst und für andere interessant ist. Wenn der Autor das Schreiben schon nicht sonderlich spannend und spaßig findet, dann denke ich, wird es dem Leser ebenso ergehen.
Zitat von: Sanjani am 10. September 2014, 08:46:04
Momentan pflege ich einen Mittelweg, jemand merkt was, aber sie kommen noch weg, bevor derjenige es wirklich kapiert hat, aber damit bin ich noch nicht zufrieden. Ich möchte hier aber keine Hilfe für mein Problem (wäre ja auch das falsche Board), sondern mich interessiert, ob ihr auch schon solche Erfahrungen gemacht habt, lesenderweise oder schreibenderweise, und wie ihr damit beim Schreiben umgeht.
Interessante Feststellung!
Ich finde, es kommt sehr auf die Geschichte selbst an. Manchmal, wie bei klassischen Quest-Fantasy-Büchern erwartet man ja, dass alles gut geht. Wenn es aber mehr in die "Game of Thrones"-Schiene übergeht, ist die Erwartungshaltung eher die andere Richtung: da glaubt man mittlerweile, dass der geliebte Protagonist stirbt, oder etwas anderes, unvorhergesehenes geschieht.
Ich mag beides sehr gerne, sofern es zu der Geschichte und dem Plot passt. Beispiele, wo ich die Augen verdreht, oder das Buch aus der Hand gelegt habe, weil genau eine solche Szene drin vorkam, fallen mir gerade keine ein... Und ein Mittelweg, so wie du ihn eingeschlagen hast, klingt doch super!
In meinem aktuellen Roman gibt es eine ähnliche Szene: Vieles deutet darauf hin, dass derjenige, dem die beiden Protas zwangsläufig vertrauen, doch nicht auf ihrer Seite steht. Letztendes stirbt eine der beiden Protas (diejenige, die ihm doch vertraut hat), obwohl sich das schon mehr oder weniger abgezeichnet hat.
Eigentlich mag ich diese Art von Szenen sehr gerne, wenn sie geschickt gemacht sind und dem Sinn der Geschichte entsprechen :)
Ich finde, wenn man gar keine Lesererwartungen erfüllt, kann man sehr schlecht damit spielen - und das mache ich ganz gerne. Es muss Szenen geben, die "typisch" enden, damit die Szenen, die atypisch enden, auch ihre volle Wirkung entfalten können.
Zumal bei solchen Stellen gar nicht so wichtig ist, dass etwas passiert - die Spannung ist eher das wie. Dass sie beim Einbruch erwischt werden macht die ganze Sache nicht unspannend. Wie sie sich da wieder rausholen, mit welchen gewitzten Methoden entstandener Schaden (Verletzung, etwas beim Feind zurückgelassen, eigene Absichten verraten) zu beheben ist. Das ist doch das, was uns umblättern lässt. Meistens, wenn wir ein Buch lesen, wissen wir irgendwie schon, dass der Held gewinnt. Aber wie er gewinnt ist das, weshalb wir ihn trotzdem lesen.
Was Mogylein sagt kann ich so unterschreiben. Ich muss sagen ich finde in Kurzgeschichten (die ich ja bisher nur geschrieben hab) ist das mit den Klischees eher weniger das Problem. Deshalb kann ich nur aus der Sicht einer Leserin schreiben. Also ich finde selbst wenn man an bestimmten Stellen ganz genau weiss was da eigentlich läuft ist es für mich doch jedes Mal spannend zu lesen wie der Autor es schafft die Stelle doch interessant zu machen und die Spannung zu halten bzw. Aufzubauen. Nicht das was sondern das wie ist entscheidend.
Hallo Sajani,
schönes Thema, finde ich. Zumal es eines ist, an dem ich persönlich einen der Unterschiede zwischen einem guten und einem schlechten Buch/Film festmache. So ein typisches Beispiel ist ein Plot, bei dem der Held bis kurz vor dem Ende alle Schwierigkeiten meistert, den Bösen fast bezwungen hat, der aber noch einmal zum Gegenschlag ausholt und unseren Held fast besiegt. Aber irgendwie gelingt es unserem Helden, seine schweren Verletzungen nicht nur zu überleben sondern aus ihnen noch mehr Kraft zu ziehen, als er vorher als Gesunder hatte. Das ist so öde, so gähn. Dafür gibt es einen Namen - "Das weiße Kaninchen aus dem Hut zaubern". Also sich im Plot in eines Situation manövrieren, in der man das Kaninchen. also eine besondere, meistens unlogische Fähigkeit erfinden muss oder eine Person einführen muss, damit der Held das schafft.
Wie die Vorredner/innen bereits gesagt haben - es liegt an der Intelligenz der Autoren, daraus etwas Vernünftiges zu machen. Manchmal hilft auch die offensive Variante, also den Leser mitnehmen und ihm sagen, dass das passieren kann. Wenn dein Held, bevor er sein Vorhaben umsetzt, darüber nachdenkt, was alles passieren kann und das es wahrscheinlich ist, dass der Hauswart aufwacht, nimmst du den Leser mit hinein. Er überlegt mit dem Helden, wie mit dem Problem umzugehen ist. Leser und Held gehen gemeinsam in den Raum und beide fibern - wird unsere Ahnung in Erfüllung gehen?
Ich glaube, ich habe das an anderer Stelle schonmal geschrieben, aber ...
Das Gerüst von Geschichten ist ja ziemlich oft dasselbe. Wenn man anfängt, dieses Gerüst sichtbar zu machen, sind viele Romane, gerade Genre-Literatur wie Liebesromane oder Krimis, ziemlich "klischeehaft" (wobei ich immer mehr Schwierigkeiten mit diesem Wort kriege ...). Da gibt es einen Mord, und der Ermittler kommt am Ende dahinter, wer es war. Da gibt es ein Paar in spe, das nicht zusammenkommen kann, und kommt dann doch zusammen, was für eine Überraschung.
Diese Muster gibt es im großen wie im Kleinen, und je mehr man abstrahiert, umso mehr Muster und sich wiederholende Gerüste findet man.
Aber ich glaube, die Kunst ist, den Leser so in den Charakter und die Szene hineinzuziehen, dass er das Gerüst nicht sieht. Das Gerüst also so mit Fleisch, Staffage, Polsterung, was auch immer zu versehen, dass man es nicht mehr sieht, sondern nur noch die Verkleidung.
Wenn sich der Leser in der Situation denkt, ja, natürlich kommt jetzt der Hausbesitzer nach Hause, gähn, dann liegt der Fehler meine Ansicht nach an einer anderen Stelle: Er fiebert nicht genug mit. Der Leser muss selbst die ganze Zeit Angst davor haben, dass der Hausbesitzer zurückkommt. Er muss im tiefstem Herzen spüren, wie wichtig der Erfolg der Aktion für den Protagonisten ist. Damit er vor lauter Spannung gar nicht zum Nachdenken kommt.
Mein Lieblingsbeispiel für diese Kiste ist Romeo und Julia. Jeder weiß, wie es ausgeht. Und trotzdem saß ich bei der Verfilmung (die mit di Caprio) im Kino und dachte die ganze Zeit: bitte, lass ihn die Nachricht noch finden. Bitte, lass ihn die Nachricht noch finden ... Biiitteeeee!
Wenn mich ein Buch packt, denke ich nicht darüber nach, welche Muster und Stützbalken dahinterstecken. Es ist eine Frage der Verpackung, würde ich sagen. :) Deshalb hätte ich eigentlich keine Bedenken, schon häufig verwendete Grundmuster/Szenentypen zu verwenden, sondern würde mir dabei nur besonder Mühe geben, sie individuell und fesselnd zu gestalten.
Ein zweites Lieblingsbeispiel: Soaps. Ich kann (okay, ich oute mich) bei GZSZ die Vorschautexte für mehrere Wochen lesen, und dadurch wird es mir nicht langweilig, im Gegenteil. Ich lese, dass der und die sich fetzen/trennen/wieder vertragen, und denke nicht, gähn, warum soll ich das noch gucken? Ich denke: Na endlich! Ich will sehen, wie! Oder: Echt jetzt? Ich will sehen, wie! Aus irgendeinem Grund, der sich mir selbst nicht erschließt, will der Leser die Figur im Konflikt erleben, will dabei sein, auch wenn der Konflikt selbst immer wieder der gleiche/sehr ähnlich ist, ist ja die Art, wie er sich auf die Figur auswirkt und wie sie damit umgeht, für jede Geschichte einzigartig.
Himmel, kann ich lange Beiträge schreiben, wenn ich eigentlich was anderes schreiben will :D
LG
Thali
Also ich muss gestehen, ich finde es in letzter Zeit geradezu erholsam, wenn eine Szene anders verläuft, als man es aus Klischeegründen erwartet. Beispiel TV-Serie Nashville: Die jugendliche Sängerin, die nach einem Schicksalsschlag unbedingt trotzdem besoffen auf die Bühne will. Man erwartet, dass es eine riesen Szene gibt und ehrlich gesagt hab ich auf so was gar keine Lust mehr. Die junge Dame ließ sich dann überreden, den Auftritt doch noch abzusagen, das war eine sehr schön gemachte, einfühlsame Szene, die mir sehr gut gefallen hat. :) Der Fremdschäm-Auftritt blieb aus.
Es kommt aber drauf an, es gibt auch Klischees, die ich sehr gerne mag und die man ruhig auch mal verwenden kann. Was ich oft mache, wenn mich was stört, ich drehe das Klischee einfach um. Also ich lasse die von allen erwartete Dialogzeile von einer unerwarteten Figur sagen oder jemanden genau das Gegenteil von dem tun, was man erwarten würde. Das kann mitunter ganz erfrischend sein, finde ich. Das heißt aber nicht, dass alle Klischees böse sind. Wie gesagt, wenn es gut gemacht ist und sich nicht ein Klischee ans andere reiht, dann kann man das durchaus machen. Es hat ja einen Grund, warum etwas ein Klischee ist: Weil es prinzipiell gut ist und etwas in uns anspricht.
Hallo ihr Lieben,
vielen Dank für euere zahlreichen Meinungen :) Da waren ein paar interessante Punkte dabei. Ich merke gerade, dass es wirklich wichtig ist, sich klar zu machen, warum man Szene xyz schreibt. Ich bin zwar eher Bauchschreiberin, kann aber sofort sagen, worum es in meiner aktuellen Problemszene auf der Metaebene gehen soll. Das hilft mir gerade, merke ich, dabei, mir zu überlegen, ob ich das nicht auch auf anderem Wege erreichen kann, z. B. beim Einbruch passiert etwas drittes, was die Protas nicht direkt betrifft, sie aber zu einer Plananpassung zwingt oder so etwas.
@Thali: Auch dir vielen Dank. Ich merke gerade, wie unterschiedlich Szenen aufgefasst werden können. Ich schaue auch mehr oder weniger regelmäßig GZSZ, aber das war jetzt ein totaler Trigger für mich für Szenen, die genau in mein Schema passen :) Ich denk mir gerade bei dieser Soap so oft, dass gerade ein totales Klischee bedient wird und wie doof ich das eigentlich finde. Interessant, dass du das nicht so erlebst. Aber aus deinem Post folgt für mich auch ein bisschen, dass das Gerüst an meiner Problemszene vielleicht etwas zu deutlich durchscheint, wenn ich sie schon nicht leiden mag. Wahrscheinlich macht es schon Sinn, die Szene so zu gestalten, dass ich als Autorin sie mag und voll dahinter stehen kann.
LG Sanjani
Zitat von: Sanjani am 10. September 2014, 18:21:16
@Thali: Auch dir vielen Dank. Ich merke gerade, wie unterschiedlich Szenen aufgefasst werden können. Ich schaue auch mehr oder weniger regelmäßig GZSZ, aber das war jetzt ein totaler Trigger für mich für Szenen, die genau in mein Schema passen :) Ich denk mir gerade bei dieser Soap so oft, dass gerade ein totales Klischee bedient wird und wie doof ich das eigentlich finde. Interessant, dass du das nicht so erlebst. Aber aus deinem Post folgt für mich auch ein bisschen, dass das Gerüst an meiner Problemszene vielleicht etwas zu deutlich durchscheint, wenn ich sie schon nicht leiden mag. Wahrscheinlich macht es schon Sinn, die Szene so zu gestalten, dass ich als Autorin sie mag und voll dahinter stehen kann.
LG Sanjani
Ich hab mit Klischees auch irgendwie nicht so ein Problem wie viele hier, glaube ich. Klar ist GZSZ voller Klischees, und es sind immer wieder die gleichen Grundkonstrukte. Aber irgendwie packt es mich auf der primitiven Ebene trotzdem immer wieder :) Trotzdem will ich meine Bücher nicht unbedingt in dieser Art schreiben. :snicker:
Aber deine Szene so zu schreiben, dass du sie magst, halte ich für genau den richtigen Ansatz.
LG
Thali
Hallo Thali,
Zitat von: Thaliope am 10. September 2014, 18:33:19
Trotzdem will ich meine Bücher nicht unbedingt in dieser Art schreiben. :snicker:
Alles andere hätte mir Grund zur Besorgnis gegeben *lach*
Ich bin eigentlich auch nicht sooo streng mit Klischees, aber ich glaube, in diesen speziellen Fällen ist mein Eindruck einfach, dass es nur zwei Wege gibt, die beide persönliche Hassklischees von mir bedienen :) Aber ich habe ja jetzt ein paar neue Anregungen bekommen. :jau:
Ich denke, dass das Klischee auch Vorteile hat, denn der Leser erwartet es. Lesen ist ja für viele Menschen auch Entspannung, und sie freuen sich, wenn sie bei einem Buch das wiederfinden, was sie suchen.
ABER: Ein Buch, das nur aus Klischees besteht, will niemand lesen! Und ich hätte auch keine Lust, es zu schreiben. Es wäre wohl langweilig für alle Beteiligten.
Daher denke ich, dass es die Mischung macht. Werfe ich ein völlig neues Thema auf, das noch nie da gewesen ist, steht dem Buch ein wenig "Plotklischee" ganz gut. Man nimmt den Leser ein wenig an die Hand, serviert das Neue mit gewohnten Beilagen.
Verarbeite ich ein Thema, das es in ähnlichen Varianten schon häufig gab, dann würde ich nach einem neuen Blickwinkel suchen, es zu präsentieren, egal, wie es das im Detail aussieht. Das kann auch bedeuten, dass man den Plot anders strukturiert.
Mich stören diese Klischees eigentlich weniger, weil mein Cortisol immer in die Höhe steigt, wenn Spannung aufgebaut wird. Bin eben einfach gestrickt. ;)
Aber wenn z.B. jemand entkommt, dann ist es für mich wichtig, dass diese Figur etwas zum Gelingen beitragen muss. Also einfach "Glück gehabt", da der andere nur halb aufgewacht ist, wäre für mich dann schon eher langweilig. Wenn er aber aufwacht und der Prota durch einen genialen Einfall oder eine geschickte Reaktion entwischen kann, finde ich es sehr spannend. Es geht ja schliesslich mehr um die Lösung als um die gegebene Situation. Was macht der Dieb, um zu entkommen? Wie verhält sich der Einbrecher, wenn der andere ein Auge aufschlägt? Wenn es dann dort zu einem Klischee kommt, wird's öde. Aber wenn sich der Prota was Gutes einfallen lässt, hat diese Szene - auch wenn schon 1000 Mal gelesen - etwas Eigenes.
In vielen Geschichten passiert ja im "Er-wurde-erwischt-Moment" dann etwas Unerwartetes. Jemand anders kommt zu Hilfe, jemand, den man nicht erwartet. Oder die Figuren verhalten sich total anders, als man es vermutet hätte. Und das macht für mich die Qualität des Augenblicks dann auch aus.
die meisten haben es ja bereits geschrieben und auch ich sehe das so,
die gesunde Mischung macht es aus! Einerseits braucht man, aus Lesersicht gesehen, einen Aha-Effekt und möchte in seinen Erwartungen hin und wieder bestätigt werden, andererseits will man auch überrascht werden...
manchmal sind Klischees erforderlich, um auch das Gegenteilige hervor zu bringen!