Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Das Sprachbastelboard => Thema gestartet von: Verwirrter Geist am 05. März 2013, 18:22:11

Titel: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Verwirrter Geist am 05. März 2013, 18:22:11
Hey Ihr! Ich bin hier zwar schon ewig angemeldet, bisher wurde ich aber immer wieder davon abgehalten mit Euch zu diskutieren. Das soll sich nun endlich ändern.

Für mein aktuell größtes Problem, habe ich keinen vergleichbaren Thread gefunden. Sollte ich einfach nur zu beschränkt für die Suchfunktion gewesen sein, haut mich und gebt mir Tiernamen.

Die Schwierigkeit, die mich gerade bei der Überarbeitung meines Erstlings begleitet, ist die sprachliche Präzision.
Ich habe mehrmals aufgeschnappt und aus Ratgebern gezogen, dass man grundsätzlich so genau wie möglich schreiben sollte. Das versuche ich auch so umzusetzen.

Beispiel: Prota hängt gefesselt an der Wand und "sabbert" aufgrund eines Sprechversuchs und des schlechten körperlichen Allgemeinzustands.
Satz: Speichel floss ihre aufgeplatzten Lippen entlang.

Verbesserungspotential das ich sah:
a. Speichel fliesst (fast) immer nach unten, daher wäre eigentlich nur eine Lippe beteiligt, also kein Plural. Dann kann man auch gleich ganz genau "Unterlippe" wählen. Wegen der gleichen Gravitationsproblematik wäre auch "hinab" besser als "entlang", würde ich sagen.
b. Fliessen ist mir eigentlich zu fluid für ihren (zähflüssigen) Speichel, daher wäre wohl "triefen" akkurater.

Ergebnis: Speichel triefte ihre aufgeplatzte Unterlippe hinab.

Nun finde ich den neuen Satz aber sehr "technisch". In diesem Falle geht es noch, aber bei vielen anderen, gerade die Körperteile betreffen, die umgangssprachlich gerne mal zusammengefasst werden (Rücken, Eingeweide etc.) lesen sie sich sogar noch seltsamer, fast schon medizinisch.

Kennt Ihr dieses Problem? Wie geht Ihr damit um? Und warum liegt hier überhaupt Stroh?  ;)
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Ryadne am 05. März 2013, 18:47:04
Ich kenne dieses Präzisionsfriemeln vorrangig aus der Überarbeitungsphase, wenn ich beim Drüberlesen dein Eindruck gewinne, dass eine Szene nicht dicht genug beschrieben wird. Und ja, mitunter übertreibe ich es dann schon mal... ein Lektor hat mir da kürzlich ein paar Stellen angestrichen, die in ihrer Detailgenauigkeit einfach nicht zum Rest gepasst haben.
Und das ist denke ich schon mal ein wichtiger Knackpunkt: Wenn man allgemein nicht so der detailreiche Beschreiber ist und sich dann aber an Unterlippen aufhält, wirkt es irritierend. Wenn man aber diesen präzisen Stil durchhält, kann es stimmig wirken - oder albern, denn man sollt sicher auch noch andere Fragen bedenken. Wenn man es sonst nicht so mit lautmalerischen Wörtern hat, kann beispielsweise ein Wort wie "triefen" schnell irritieren. Und wenn man seine Figur würdevoll erscheinen lassen will, sollte man vielleicht auch nicht allzu sehr ins Detail gehen...

In einem anderen Thread hat jemand - ich weiß leider nicht mehr genau, wer es war - erzählt, dass ihm geraten wurde, aus "Unterleibsschmerzen" einfach "Bauchschmerzen" zu machen, weil das für Männer sonst zu präzise ist (verbessert mich, wenn die Begründung nicht ganz stimmen sollte). Darauf wäre ich ehrlich gesagt nie gekommen, aber ist also auch etwas, was man in so einem Fall berücksichtigen sollte.  :hmhm?:
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Luciel am 05. März 2013, 18:53:09
Für mich fällt diese Frage eindeutig unter: persönlicher Stil.
Es bleibt einem als guter Autor (der man mal werden möchte  ;D ), nichts weiter übrig, als sich zu entscheiden, wie man schreiben will. Ich selbst finde mich eher in der lyrischen Ecke wieder und kann die meisten detailverliebten Beschreibungen von Körperflüssigkeiten, Blicke ins Innere eines Körpers und dergleichen überhaupt nicht leiden. Ich würde wahrscheinlich eher schreiben, wie sich die Prota in der Lage fühlt, dass ihre Lippe schmerzt (von einem Schlag) oder, wenn es jemand anders beobachtet, einfach nur schreiben, dass sie übel aussah (als würde sie gleich ohnmächtig oder so...)
Aber das ist eben nur meine Art zu schreiben und mit Vergnügen zu lesen und ich bin damit wahrscheinlich eher eine Minderheit. Jeder Autor muss für sich selbst entscheiden, wie viele Details ihm wichtig sind und was das mit dem Stil seiner Sätze macht, finde ich.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Mondfräulein am 05. März 2013, 18:53:51
Sprachliche Präzision hat mir mein Biologie-Leistungskurs damals reingeprügelt, Ionen wandern nicht durch Membranen und kein Lemming will wirklich sterben. Da ist das auch unglaublich wichtig, in wissenschaftlichen Arbeiten muss man ganz genau darauf achten, wie man was formuliert, sonst wird den Lemmingen irgendwann ein Tötungswille unterstellt, der sich nicht nachweisen lässt und man endet wie diverse Politiker in der jüngsten Zeit und bekommt seinen Doktortitel aberkannt, wenn es nicht zu schwerwiegenden Fehlern kommt, weil irgendwo etwas falsch steht. Außerdem ist es manchmal wichtig, ob Ionen durch Symport oder Diffusion in eine Zelle gelangen, wenn dann da steht, sie wandern einfach hinein, ist das ungenau.

Ein Roman ist allerdings keine wissenschaftliche Arbeit. Bei deinem Beispiel würde ich das nicht beanstanden. Es ist nicht wichtig, dass es eben nur eine Lippe ist, das ist eine Art Sinnbild und das Fließen hat doch keine Auswirkungen darauf, ob man auch wirklich versteht, was gemeint ist. Beim Schreiben geht es nicht darum, wirklich sachlich korrekt zu formulieren, das würde ja alle Metaphern und Sinnbilder und blumige Umschreibungen töten sowie alle subjektiven Eindrücke, die man aus der Sicht seines Charakter einfließen lässt.

Ich glaube, mit sprachlicher Präzision ist etwas ganz anderes gemeint. Für mich würde das aufs kreative Schreiben übertragen viel mehr bedeuten, dass man mit dem, was man schreibt ganz konkrete Bilder im Kopf des Lesers erzeugen sollte. Dabei geht es nicht um wissenschaftliche Fachausdrücke sondern darum, nicht um den heißen Brei herum zu reden. Damit meine ich nicht detaillreiche Beschreibungen, sondern, dass eben jene Details, die ich auswähle, ein sehr präzises Bild davon geben, wie es im Raum aussieht. Wenn ich sage, dass in einem Raum ein Bett, eine vergilbte Spitzengardine, ein roter Teppich, ein Regal mit Büchern, allesamt deutsche Autoren von vor 1900, ein wuchtiger Kleiderschrank, alte Dielen, ein Schminktisch mit Spiegel, eine Blümchentapete und zwei Stühle neben einem Tisch sind, dann gehen die einzelnen Details in der Flut der Beschreibungen schlicht unter. Präzises Schreiben würde für mich bedeuten, dass ich mir vielleicht zwei Gegenstände heraussuche, die ein ganz gutes Bild davon vermitteln, was für eine Atmosphäre im Raum wirkt. Präzise bedeutet für mich, mit wenig viel zu erreichen.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Sunflower am 05. März 2013, 19:12:32
Mit sprachlicher Präzision halte ich es so ähnlich wie Mondfräulein. In wissenschaftlichen Arbeiten, Klausuren und wenn etwas logisch von vorn bis hinten stimmen muss (mein Ethiklehrer würde ein Lied davon singen), muss man so präzise wie möglich arbeiten. Dann geht man jeden Satz durch, ob er genauso, wie er ist, auch stimmt.

Beim Schreiben achte ich da nicht so sehr drauf. Natürlich sollte wahr und möglich sein, was man schreibt. Das "entlang" aus deinem Beispielsatz würde ich vermutlich ändern, aber im Notfall geht es auch so. Niemand liest einen Roman nur, wenn er sprachlich präzise ist.
Aber wirkliche sprachliche Präzision würde den gesamten künstlerischen Charakter des Schreibens unmöglich machen. Man merkt ja oft gar nicht, wie viele Metaphern und Umschreibungen in Büchern vorkommen. Doch gerade sie machen das Lesen zum Abenteuer, zum "Film im Kopf" (da, das wäre sprachlich auch nicht präzise, wortwörtlich wäre "im Kopf" auch was anderes ;)).

Zitat von: Mondfräulein am 05. März 2013, 18:53:51
Ich glaube, mit sprachlicher Präzision ist etwas ganz anderes gemeint. Für mich würde das aufs kreative Schreiben übertragen viel mehr bedeuten, dass man mit dem, was man schreibt ganz konkrete Bilder im Kopf des Lesers erzeugen sollte.

Die Definition finde ich gut. Man muss beim Schreiben ganz andere Maßstäbe setzen als in wissenschaftlichen Arbeiten. Wenn ich meine Fantasy so schreiben würde wie meine Seminararbeit, dürfte ich niemals auf eine Veröffentlichung hoffen. In verschiedenen Situation gelten verschiedene Regeln des Schreibens und sprachliche Präzision in dem Sinne, den Verwirrter Geist angedacht hat, gehört meiner Meinung nach nicht in Fantasyromane.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Lovagh am 05. März 2013, 20:35:57
Details an sich finde ich gut, doch eine Geschichte oder Beschreibung sollte auch getreu der Empfindung des Perspektiventrägers sein. Mal als Beispiel:
Würde jemand, der gerade verprügelt wurde und nun gefangen ist, denn darauf achten, in welche Richtung sein Speichel läuft und welche Konsistenz es hat? Würde ein außenstehender Erzähler darauf achten?

Beim Ausdruck von Gefühlen sehe ich das aber ein wenig anders. Beispielsweise kann jedes Fünkchen Freude mehr, die gesamtheitliche Empfindung einer glücklichen Person entscheiden.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Nycra am 06. März 2013, 09:19:39
Ich gehöre zum Beispiel zu den Autoren, die es mit Detailbeschreibungen nicht so genau nehmen. Es gibt zwar immer mal wieder Szenen, in denen ich ein wenig mehr zeige, aber im Großen und Ganzen glänzen meine Romane durch Abweseneheit derselben.  ::) Manchmal stört mich das selbst, aber da ich solche Sachen in Romanen gerne überlese, schreibe ich eben so, wie ich lese.

Aber, und das habe ich von Lars Schultze-Kossack (Agentur Kossack), sollte man nicht allzu ungenau schreiben. So ist schonmal ein absolutes No-Go zu schreiben: Er zuckte mit den Achseln. Weil das anatomisch nicht möglich ist. In solchen Fällen halte ich sprachliche Präzision schon für absolut unumgänglich. Dagegen finde ich "In dem Zimmer befanden sich ein Bett, ein Tisch nebst Stuhl und ein Bild an der Wand" vollkommen ausreichend, die Stimmung eines karg eingerichteten Zimmers zu beschreiben, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen. Damit zeigt man sich nicht weniger sprachlich präzise, nur eben minimalistischer.

Letztlich kommt es aber immer auf den Autoren an. Wenn ich unsere Aquamarin mal als Beispiel heranziehen darf. In ihrem Debütroman hat sie sehr detailliert beschrieben, ohne zu überladen. Hier passt es jedoch zu der Handlung und zu ihrem Protagonisten. Weil dieser eben alles besonders intensiv wahrnimmt. Hier zu knausern oder Dinge ungenau zu beschreiben hätte die Handlung sicher nicht gestört, aber dem Roman gefehlt, weil man keine "Beziehung" zu dem Prota aufbauen kann. Mal abgesehen davon stimme ich den anderen Meinungen zu, dass wir Romane schreiben und keine wissenschaftlichen Abhandlungen. Kleine Fehler verzeiht der Leser sicher, solange er von der eigentlichen Handlung gefesselt ist. Trotzdem sollte man als Autor mit seinem Werk zufrieden sein. Wenn es dich also stört, ändere es, aber nicht nur um des Änderns Willen.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Churke am 06. März 2013, 12:37:06
In unserem Sprachgebrauch ist das Wort "Präzision" positiv besetzt. Auf die Schriftstellerei würde ich das aber nur sehr begrenzt übertragen. Ein literarischer Text bewegt sich auf einer gänzlich anderen, bildhaften Ebene. Ich  möchte sogar behaupten, dass wirklich gute Beschreibungen selten präzise sind.

Beispiel: "Fäulnis fraß sich ins Herz des Reiches."
Oder: "Er kam als armer Mann in eine reiche Provinz und verließ als reicher Mann eine arme Provinz."

Als Autor arbeitet man bewusst mit Übertreibungen, Auslassungen, Anspielungen oder gar naturwissenschaftlich Grenzwertigem, um damit eine bestimmt Wirkung zu erzeugen. Und alleine daran würde ich eine Formulierung messen.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Verwirrter Geist am 11. März 2013, 14:33:22
Ihr habt mir schon einmal sehr geholfen.  :)
Ein paar Unklarheiten bzw. Dinge wo ich anderer Meinung bin, sind aber geblieben:

Zitat von: Ryadne am 05. März 2013, 18:47:04
Und das ist denke ich schon mal ein wichtiger Knackpunkt: Wenn man allgemein nicht so der detailreiche Beschreiber ist und sich dann aber an Unterlippen aufhält, wirkt es irritierend.

Verstehe ich, finde es aber auch schwierig. Erfordert nicht jede Szene und jede Emotion der Protas letztlich eine andere Herangehensweise? Ich persönlich finde eine sehr detailarme Schreibe (insbesondere in längeren Textgattungen) einfach als "schlecht", weil es für mich auch damit einhergeht, dass es sich jemand unnötig leicht macht.

Zitat
In einem anderen Thread hat jemand - ich weiß leider nicht mehr genau, wer es war - erzählt, dass ihm geraten wurde, aus "Unterleibsschmerzen" einfach "Bauchschmerzen" zu machen, weil das für Männer sonst zu präzise ist (verbessert mich, wenn die Begründung nicht ganz stimmen sollte). Darauf wäre ich ehrlich gesagt nie gekommen, aber ist also auch etwas, was man in so einem Fall berücksichtigen sollte.  :hmhm?:

Ich (als Mann) würde Bauch- und Unterleibsschmerzen übrigens tatsächlich synonym verwenden.  ;D

Zitat von: Luciel am 05. März 2013, 18:53:09
Ich würde wahrscheinlich eher schreiben, wie sich die Prota in der Lage fühlt, dass ihre Lippe schmerzt (von einem Schlag) oder, wenn es jemand anders beobachtet, einfach nur schreiben, dass sie übel aussah (als würde sie gleich ohnmächtig oder so...)

Da muss ich aber gleich mal nachhaken: Wie erzeugst du in bestimmten Actionszenen, oder solchen, wo du den Antagonisten besonders unangenehm darstellen willst dann die nötige Dichte? Sehr dialoghaft?

Zitat von: Mondfräulein am 05. März 2013, 18:53:51
Ich glaube, mit sprachlicher Präzision ist etwas ganz anderes gemeint. Für mich würde das aufs kreative Schreiben übertragen viel mehr bedeuten, dass man mit dem, was man schreibt ganz konkrete Bilder im Kopf des Lesers erzeugen sollte. Dabei geht es nicht um wissenschaftliche Fachausdrücke sondern darum, nicht um den heißen Brei herum zu reden.[...]Präzises Schreiben würde für mich bedeuten, dass ich mir vielleicht zwei Gegenstände heraussuche, die ein ganz gutes Bild davon vermitteln, was für eine Atmosphäre im Raum wirkt. Präzise bedeutet für mich, mit wenig viel zu erreichen.

Das ist allerdings eine Definition, die mir besser gefällt, als meine (bisherige). Danke dafür!


Zitat von: Sunflower am 05. März 2013, 19:12:32
In verschiedenen Situation gelten verschiedene Regeln des Schreibens und sprachliche Präzision in dem Sinne, den Verwirrter Geist angedacht hat, gehört meiner Meinung nach nicht in Fantasyromane.

Mit den verschiedenen Regeln zu verschiedenen Zeitpunkten hast du natürlich Recht. Das sprachliche Präzision in Fantasy aber nichts zu suchen hat, sehe ich ganz anders. Ich empfinde es sogar so, dass Fantasy heutzutage wesentlich präziser und "echter" geworden ist, als ich sie noch vor 10-15 Jahren kennengelernt habe. Und generell finde ich, dass gerade Low-Fantasy ohne einen hohen, auch körperlich und psychischen Detailgrad, kaum noch funktioniert.
Oder lieg ich da echt vollständig daneben?

Zitat von: Nycra am 06. März 2013, 09:19:39
Aber, und das habe ich von Lars Schultze-Kossack (Agentur Kossack), sollte man nicht allzu ungenau schreiben. So ist schonmal ein absolutes No-Go zu schreiben: Er zuckte mit den Achseln. Weil das anatomisch nicht möglich ist. In solchen Fällen halte ich sprachliche Präzision schon für absolut unumgänglich.

Das verstehe ich nun so gar nicht. Achselzucken ist doch eine ganz normale Redewendung, die einen anatomischen Vorgang verkürzt. Strenggenommen kann man doch auch keine Brauen heben, sondern hebt die unterliegende Haut, wäre das dann noch "erlaubt"?

Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Nycra am 11. März 2013, 15:11:32
Zitat von: Verwirrter Geist am 11. März 2013, 14:33:22Das verstehe ich nun so gar nicht. Achselzucken ist doch eine ganz normale Redewendung, die einen anatomischen Vorgang verkürzt. Strenggenommen kann man doch auch keine Brauen heben, sondern hebt die unterliegende Haut, wäre das dann noch "erlaubt"?

Naja, ich gebe nur wieder, was uns auf der BLC von Lars Schultze-Kossack gesagt wurde. Ich schätze mal, dass es sich hierbei um eine Redewendung handelt, die sich irgendwann eingebürgert hat, aber eigentlich falsch ist. Gibt es ja öfter mal. Denn ich kann durchaus nachvollziehen, dass man nicht "mit den Achseln zuckt". Das Zucken selbst ist eine Bewegung der Schulter, nicht der Achsel, die ja logischerweise unter dem Arm ist und nicht zucken kann. Bei den Brauen sähe (ich persönlich) das nun wieder nicht so streng, wobei ich meist sogar den Begriff "Brauen wölben" verwende.

Auf der anderen Seite fallen mir genau diese sogenannten "no Gos" immer wieder in Romanen auf, die vom Englischen ins Deutsche übersetzt wurden. Da ist man dann offenbar nicht so streng. Ich für mich jedenfalls hab das Achselzucken gestrichen.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Verwirrter Geist am 11. März 2013, 15:44:54
Zitat von: Nycra am 11. März 2013, 15:11:32
Denn ich kann durchaus nachvollziehen, dass man nicht "mit den Achseln zuckt". Das Zucken selbst ist eine Bewegung der Schulter, nicht der Achsel, die ja logischerweise unter dem Arm ist und nicht zucken kann. Bei den Brauen sähe (ich persönlich) das nun wieder nicht so streng, wobei ich meist sogar den Begriff "Brauen wölben" verwende.

Was ist ein BLC?  ???

Das mit den Achseln leuchtet mir strenggenommen schon ein, nur finde ich es dann eben unverhältnismässig, dass Brauen heben erlaubt sein soll.
"Nase rümpfen" und "Lippen spitzen" wären imho auch noch ein Beispiel aus der gleichen Kategorie, finde ich. Das ist ja alles minimal an der Realität vorbei. 
Aber es ist interessant zu wissen, dass Agenturen darauf offenbar wert legen.

ZitatAuf der anderen Seite fallen mir genau diese sogenannten "no Gos" immer wieder in Romanen auf, die vom Englischen ins Deutsche übersetzt wurden. Da ist man dann offenbar nicht so streng. Ich für mich jedenfalls hab das Achselzucken gestrichen.

Bei Übersetzungen sind doch ohnehin scheinbar so ziemlich alle Regeln außer Kraft.  ;D
Und bei "Trademarks" mancher Autoren auch. Ich weiß gar nicht wie oft bei Richard Schwartz "geschmunzelt" wird, aber gefühlt machen die Charaktere da nie etwas anderes.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Nycra am 11. März 2013, 15:52:12
Zitat von: Verwirrter Geist am 11. März 2013, 15:44:54Was ist ein BLC?  ???

OT: BLC = Booklover Conference.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Churke am 11. März 2013, 16:23:21
Zitat von: Verwirrter Geist am 11. März 2013, 14:33:22
Da muss ich aber gleich mal nachhaken: Wie erzeugst du in bestimmten Actionszenen, oder solchen, wo du den Antagonisten besonders unangenehm darstellen willst dann die nötige Dichte? Sehr dialoghaft?

Ich bin zwar nicht angesprochen, aber zu dem Thema hatte ich in meinem Vorpost auch etwas schreiben wollen, es dann umständehalber aber gelassen.
Ich beschreibe Actionszenen nie deskriptiv, weil man a) sie so nicht erlebt und b) der Leser sie nur mit Mühe nachvollziehen kann. Ein absolutes Lowlight sind die Choreographien von R.A. Salvatore. Die wollte ich schon immer mal "testen" und auf Youtube stellen.

Die Wahrnehmung in Kämpfen ist sowieso eine Sache für sich. Ich nähere mich dem Thema, indem ich Ergebnisse beschreibe und den Weg dorthin bestenfalls anreiße. Das kommt dem individuellen Empfinden recht nahe. Man kann natürlich auch technisch ins Detail gehen - aber wen interessiert das schon?
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Sanjani am 11. März 2013, 16:57:11
Hallo,

Für mich gibt es da unterschiedliche Aspekte. Das eine sind die sprachlichen Bilder, die man erzeugt und die für mich nicht unbedingt präzise im Sinne von haargenau korrekt sein müssen.

Die Frage, wie viele Details ich beschreibe, sehe ich auch wie einige meiner Vorredner, ich wähle Details aus, die die Atmosphäre und das Aussehen des Settings treffend beschreiben. Das mache ich i. d. R. nicht bewusst, sondern diese Details ergeben sich mir beim Schreiben, wenn ich mich in die Figuren hinein versetze und damit sind sie, denke ich, in Ordnung. Jede Figur nimmt ja andere Dinge wahr, das ist in der Realität ja auch so. Die Wirklichkeit als solche gibt es m. E. nicht, also kann man nur bedingt präzise sein.

Und dann gibt es die präzise Beschreibung von Dingen oder Handlungen im Kleinen, auf die ich ehrlich gesagt auch nie bewusst achte. Ich finde, das Beispiel mit dem Speichel ist echt gut. Als ich das las, habe ich erst einmal darüber gestaunt, wie man das betrachten kann und was für Möglichkeiten bzw. Notwendigkeiten sich darus ergeben würden. Ich würde vllt schreiben, dass ihr Speichel aus dem Mundwinkel lief, aber vielleicht auch nicht. Ich gehe da auch von mir als Leser aus. Würde ich das so mögen oder würde ich mir darüber Gedanken machen, ob das so stimmen könnte? Darüber, ob der Speichel trieft oder fließt würde ich mir als Leser kaum Gedanken machen. Ich denke aber, dass manchmal Präzision schon wichtig ist, v. a. wenn man Unbekanntes beschreibt. Eine Betaleserin merkte mir mal an, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen könne, wo meine Drachenkrieger ihre Flügel dran hätten und wie man dann noch hinten auf dem Rücken sitzen könnte. Ich hatte dazu natürlich eine Idee, hatte das aber nicht präzisiert und das hab ich dann aber doch noch nachgeholt.

Achseln zucken mag ich persönlich auch nicht so gerne, weil das nicht geht, aber andererseits ist es so verbreitet, dass ich nicht gedacht hätte, dass einem das angestrichen werden könnte. Manches ist so verbreitet, dass jeder weiß, was gemeint ist, und ich denke, die wenigsten machen sich beim Lesen darüber Gedanken, ob man nun die Augenbrauen heben oder hochziehen oder zusammenziehen kann oder was auch immer. Anders geht es mir bei ausgefallenen Wendungen wie z. B. er lupfte die Brauen. Darüber stolpere ich dann schon und mache mir Gedanken, ob das geht und ob es passt. Aber meist geht es mir als Leser so, dass das Gesamtbild mich genügend packt um auch mal über sprachliche Ungenauigkeiten hinwegzusehen.

LG Sanjani
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Thaliope am 11. März 2013, 17:12:02
Also, dass mit Achseln nur noch die Acchselhöhlen bezeichnet werden ist eine recht neue Entwicklung. Eigentlich und laut Duden bezeichnet die Achsel den gesamten Schulterbereich. Aber - wie Linda in einem anderen Thread schonmal sagte -  vermutlich durch den großen Anteil an Übersetzungen aus dem Englischen/Amerikanischen hat die Schulter die Achsel nach und nach verdrängt, sodass für Letztere nur noch der Körperteil übrig ist, der früher Achselhöhle hieß.
Die Achseln zucken ist also nicht falsch oder umgangssprachlich, wie behauptet wurde, es ist allenfalls in den letzten Jahren aus der Mode gekommen und allmählich veraltet.

LG
Thali
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Verwirrter Geist am 13. März 2013, 16:12:31
Zitat von: Churke am 11. März 2013, 16:23:21
Ich beschreibe Actionszenen nie deskriptiv, weil man a) sie so nicht erlebt und b) der Leser sie nur mit Mühe nachvollziehen kann. Ein absolutes Lowlight sind die Choreographien von R.A. Salvatore. Die wollte ich schon immer mal "testen" und auf Youtube stellen.

Zu a) Magst du mir da ein Beispiel geben? Ich verstehe schon in welche Richtung du denkst, ich würde nur gerne die Grenze erkennen, die du dabei setzt. Gerne auch per PN.

R.A Salvatore habe ich nur als Jugendlicher mal angelesen. Ich erinnere mich insbesondere daran, wie bescheuert es beim lauten Vorlesen klang.  ;D

Ich habe beim Überarbeiten jetzt erstmal einen guten Mittelweg für mich gefunden, denke ich. Jetzt muss ich nur noch den schaurigen Pathos loswerden.  ;)
Titel: Re: Sprachliche Präzision - es kommt darauf an.
Beitrag von: Kay am 13. März 2013, 19:17:39
Obwohl ja hier schon sehr viel zu dem Thema gesagt wurde, versuche ich mal mit meiner persönlichen Meinung eine theoretische Hilfestellung zu geben.

Fazit vornweg: Ja und nein!
Deshalb ist meine Überlegung hier auch so monsterlang geworden (War nicht geplant, ist einfach passiert! Bitte nicht schimpfen)

Also:
Präzision hat nichts mit Detailgenauigkeit zu tun.
Sprache ist ein Medium, mit dem man eine Aussage transportieren will. Juristen sagen da lapidar: "Abzustellen ist auf den Empfängerhorizont". Ein guter Tipp auch für Autoren. Wir wissen, was wir erzählen wollen und worauf wir hinaus wollen. Mittels Sprache führen/lenken/leiten/locken wir den Leser dorthin. Es ist also unsere Verantwortung, das so zu tun, dass unser Leser abgeholt und komfortabel dorthin geholt wird, wo wir ihn haben wollen. Das bedeutet, die Sprache als Werkzeug soll präzise eingesetzt werden. Es geht nicht darum, die Details präzise zu beschreiben - oder jedenfalls nicht immer. Das wäre zu leicht. Deshalb wird an Sprache als Medium in der Lyrik eine völlig andere Erwartung geknüpft als in der juristischen Forensik.
Wenn die Sprache den Leser trägt und atemlos durchs Buch führt, bis er traurig Ende liest, dann hat sie präzise ihren Zweck erfüllt. Wenn er die Stirn in Falten legt, einen Schildkrötenhals bekommt, der im Rollkragenpulli verschwindet und das Buch vergessen in den Schoß sinkt, dann ist da ein Patzer drin.
Aber das hängt nicht am gewählten Numerus der Lippe(n).

Ein präziser Sprachgebrauch setzt daher m.E. einen möglichst bewussten Umgang mit der Sprache voraus. Dazu muss man sich mehrere Fragen stellen, wobei der Katalog hier spontan aus meinem wirren Autorenhirn stammt, hochindividuell und unsachlich sein könnte und keinen wie auch immer gearteten Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit erhebt.
(Bitte den Satz merken, den brauche ich später noch einmal).

Wie ist dein Buch aufgebaut?
Davon hängt ab, wie Du Sprache verwenden musst. Natürlich könnte man eine Splattergeschichte außerordentlich rational runterschreiben, auf Adjektive verzichten und emotionen komplett ausblenden und es könnte gut sein. Aber auch das wäre eine bewusste Entscheidung, der bewusste Motive zugrunde liegen und jetzt wird es kompliziert...

Denn trotz aller Theoretisierei sollte das Buch ein homogenes Ganzes darstellen und eben anders als ein Sachbuch nicht nur vom Wissen des Autors (die Geschichte), sondern auch von seinem Herz erzählen. Schreiben ist, wenn es sich gut lesen soll, immer auch ein bisschen Seelenstriptease...
Darum findet man beim einen Autor auch im Gesamteindruck gut, was bei einem anderen stören würde. Ist das nicht wunderbar?
Trotzdem ist es hilfreich, sich zu überlegen, wo der Leser steht und was ihn dazu bringt, meinem Buch seine wertvolle Zeit zu schenken:

Wenn Du jetzt eine Geschichte schreibst, dann gibt es gewisse "Regeln". Die sind nicht in Stein gemauert, eher so ein "bekannt und bewährt". Die ist der Leser, der ja meist nicht nur ein Buch liest, auch gewohnt und dorthin folgt er also willig.
Dabei gilt grundsätzlich ganz pauschal, dass man spannende, actionreiche Szenen in kurzen Sätzen beschreiben sollte, weil der Leser diese Passagen üblicherweise schneller liest (weil hoffentlich mitfiebernd). Da sollte man sich auch auf die äußere Beschreibung der Ereignisse beschränken. Die Protas werden, während sie im Drachenfeuer stehen, keine Zeit für Reflexionen über pyrotechnische Phänomene haben, da sind grobere Reaktionen gefordert. Hier wäre also eine allzu detailreiche Schilderung kontraproduktiv.

Beispiel:
"Als sie sah, dass der Drache Feuer spie, warf sie sich schützend über ihren Sohn."
liest sich flotter als
"Als sie fasziniert beobachtete, wie sich die Luftbälge unter der Kehle des Drachen bis auf ihren doppelten Umfang blähten, um nur siebzehn Sekunden später die selbst granit schmelzende Feuerkraft aus dem scheunentorgroßen und mit langen, ebenholzschwarzen, rasiermesserscharfen Zähnen verstärkten Drachenschlund hervorzustoßen, warf sie sich mit ausgebreiteten Armen so über ihren kleinen, völlig verängstigten Sohn, dass dieser möglichst weitgehend vor so schmerzhaften wie letztlich tödlichen Verbrennungen geschützt war."
Hier wäre zu große Präzision unpräzise, weil die Prota diese Infos so an dieser Stelle nie bewusst wahrnehmen würde.

Was ist in der konkreten Szene dargestellt?

Was soll ausgesagt werden?
Davon hängt ab, wie Du die Sprache verwendest, um durch die Szene zu führen. Davon hängt im Übrigen auch ab, was für eine Szene du als Rahmen für die Aussage wählst.

Beispiel:
"Als sie sah, dass der Drache Feuer spie, warf sie sich schützend über ihren Sohn. Während sie so eng aneinandergepresst im Staub lagen, hatte sie hatte viel mehr Angst um ihr Kind, als um ihr Wohlergehen. Im Augenblick wollte sie nur überleben, um es sicher zurückbringen zu können."
oder
"Als sie sah, dass der Drache Feuer spie, warf sie sich schützend über ihren Sohn. Während sie so eng aneinandergepresst im Staub lagen, betete sie, dass der alte Stollen noch passierbar war. Einen anderen Ausweg hatten sie nicht."
oder
"Als sie sah, dass der Drache Feuer spie, warf sie sich schützend über ihren Sohn. Während sie so eng aneinandergepresst im Staub lagen, bemerkte sie erstaunt, dass der Kleine anders als sie kaum zitterte. Im Gegenteil - unbeeindruckt von dem Inferno lächelte er sie wissend an."

Wer sind deine Protas?
Das ist wichtig, denn immer wenn man sich auch nur mittelbar fremder Augen bedient, muss man überlegen, worauf diese Augen geachtet hätten?
Ein Drachenjäger würde nicht erwähnen, dass das Vieh Feuer speit, weil es ihm selbstverständlich ist. Also bedarf es entweder eines Dummies, der ihn stellvertretend für den info-bedürftigen Leser fragt, oder er bemerkt etwas das ihn in der Situation fasziniert: Blaue Flammen oder Feuerfurze zum Beispiel. Sonst würde er gar nichts bemerken.

Und auch wie sie es ausgedrückt hätten.
Entspricht diese sprachliche Präzision ihrem Erleben und ihrer Erlebniswelt?
Ihrem Charakter?
Ein Gelehrter nimmt andere Dinge als ein Bauer, als ein Krieger als ein Händler wahr, weil ihr Fokus woanders liegt. Ein Zauderer sieht anders hin, als ein Choleriker.
Selbst bei einem auktorial distanzierten Erzählstil muss man das ein Stück weit berücksichtigen, sonst geht der Bezug zur Figur verloren.

Beispiel:
Handelt es sich um eine drachenforschende Gelehrte, die eine neue Drachenspezies entdeckt hat und dann erst im letzten Moment reagiert... dann müsste man nur den zweiten Teil des langen Satzes ändern und hätte eine unaufdringliche Charakterisierung:
"Als sie fasziniert beobachtete, wie sich die Luftbälge unter der Kehle des Drachen bis auf ihren doppelten Umfang blähten, um nur siebzehn Sekunden später die selbst granit schmelzende Feuerkraft aus dem scheunentorgroßen und mit langen, ebenholzschwarzen, rasiermesserscharfen Zähnen verstärkten Drachenschlund hervorzustoßen, hätte sie für diesen Anblick fast nicht nur ihr Leben gegeben. So aber warf sie im letzten Augenblick mit ausgebreiteten Armen über ihren Sohn, um ihn zu schützen.

Das ließe sich endlos fortsetzen, aber ich denke, man sieht auch so, dass es hilfreich ist, einfach mal zu überlegen, was ich dem Leser mit meinen Worten eigentlich warum sagen will.

Daher war mein Merksatz von oben, als Ratgebersatz "schlecht":
Er führt, dort wo ich Nähe und Vertrauen aufbauen will, um Rat erteilen zu dürfen, zu einer Distanz - gerade wegen seiner Präzision in Bezug auf die Wertigkeit meiner Aussage. Da ist der Jurist in mir durchgegangen, der sich gegen mögliche Missinterpretationen auf Kosten der Emotion und Lesbarkeit verwahrt.

Im Hinblick auf meine Intention wäre präziser (weil näher an meinem eigentlichen Motiv) gewesen:
"Wenn ich bei dieser Frage ins Schleudern komme, stelle ich mir mehrere Fragen, die zumindest mir immer ganz gut weiterhelfen, auch wenn sie gewiss nicht die perfekte Methode darstellen: ..."



Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Luciel am 14. März 2013, 20:24:33
Zitat
Da muss ich aber gleich mal nachhaken: Wie erzeugst du in bestimmten Actionszenen, oder solchen, wo du den Antagonisten besonders unangenehm darstellen willst dann die nötige Dichte? Sehr dialoghaft?

Leider komme ich erste jetzt zum Antworten.
Dichte entsteht meines Erachtens nach nicht durch besonders viele Details, sondern eher dadurch, dass man etwas im Leser anspricht. Ich könnte jetzt böse sagen: Wer besonders viele Details unterbringt, steigert damit die Wahrscheinlichkeit, etwas zu treffen .... Funktioniert wahrscheinlich oft genug. Ich bin jedoch ein großer Bewunderer von Autoren, die mit ganz wenig ganz viel sagen können. Ich mag es, wenn es beim Lesen plötzlich "klickt" in meinem Hirn. Da entsteht von einem Wort zum anderen eine ganze Szene oder ein Zusammenhang, der sonst mehrere Seiten füllen würde.
z.B. bei Follet: "Der Abt von Kingsbridge lebte nicht in Kingsbridge".
Ich musste sehr über diesen Satz schmunzeln, weil er so viel über diesen Ort sagt, ohne eine einzige Beschreibung.

Wie mache ich das bei Actionszenen? Auch die lassen sich gut aus der persönlichen Perspektive schreiben. Die Waghalsigkeit des Königs und die Gefahr, in die er sich bringt, wird spürbar durch seinen Leibwächter, der voller Sorge alles andere vergisst und nur noch seinem König hinterher hetzt.
Klassische Antagonisten sind bei mir echte Mangelware - ich gestehe jedem seine Gründe zu, jeder ist irgendwie zu dem geworden, was er ist. Tolle Antas gibt es bei "Game of thrones" und meist sind es die ganz einfachen, nachvollziehbaren Dinge, die sie so verabscheuungswürdig machen: Sie sind missgünstig, dumm, stehen nicht zu ihrem Wort, denken nur an sich selbst, ... Alles für sich genommen nicht sonderlich aufregend, aber als z.B der König zunächst Eddard Stark Gnade verspricht, wenn er öffentlich zugibt, ein Verräter zu sein (was nicht stimmt) und ihn danach köpfen lässt, macht ihn das zum Antagonisten Nummer 1, ohne dass er persönlich irgendwie tätig geworden ist.
Das Gefühl, dass dieser König Verrat an jemandem begangen hat, den der Leser ins Herz geschlossen hat, macht ihn viel unsympathischer als eine Beschreibung von detailierten Untaten es könnte. Die wünschenswerten Details sehe ich in diesem Fall eher in der logischen Hinführung zu dem Ereignis, in dem genauen Wortlaut von dem König und Stark. Den Leser von den Motivationen zu überzeugen und dabei dunkle Vorahnungen erzeugen (die sich natürlich erfüllen). Auch das eine Form von Präzision.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Antonia Assmann am 14. März 2013, 21:14:53
Hallo Kay,
ZitatDeshalb ist meine Überlegung hier auch so monsterlang geworden (War nicht geplant, ist einfach passiert! Bitte nicht schimpfen)
Wer schimpft denn hier?
ich finde deinen Beitrag spitze! Der hat mich direkt noch mal zum Nachdenken gebracht. Manche Dinge macht man ja automatisch, aber manchmal will ein Satz nicht hinhauen und dann hat das bestimmt etwas mit dem zu tun, was du so schön aufgeführt hast! Danke dir- tolle Zusammenfassung!

:winke: Antonia
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Churke am 14. März 2013, 23:01:39
Ich erlaube mir anzumerken, dass ich Präzision der Sprache und Assoziation des Lesers in einem Spannungsverhältnis sehe. Ich denke, je präsziser man etwas beschreibt, desto stärker engt man die Phantasie des Lesers ein.
Titel: Re: Sprachliche Präzision - um jeden Preis?
Beitrag von: Kay am 14. März 2013, 23:38:20
Diese Wechselwirkung aus Präzision und Einengung sehe ich auch.

Deshalb halte ich ja für so wichtig, dass man sich vorher überlegt, wo man den Leser nach einer Szene haben will. Da (und nur da) brauche ich eine Vorgabe im Text. Weil die freie Phantasie des Lesers irgendwo rauskommen kann, nur sehr wahrscheinlich nicht dort, wo ich ihn für die nächste Szene abholen möchte.

Die Kunst besteht jetzt darin, dass so unaufdringilch zu machen, dass die "Manipulation" dem Leser nicht bewusst wird, dass die Info, die er braucht, nicht mit der Keule daherkommt.

Da gibt es eine alte weise Regel: "Show don't tell". So wie im Beispiel oben mit dem Abt von Kingsbridge. Aussage: "Kingsbridge ist jetzt nicht der Burner."  Das kann man durch seitenlange Beschreibungen der Tristesse erreichen, durch eine explizite Beschwerde, die man einer Figur in den Mund legt, durch mitleidiges Seufzen und andere Reaktionen, die ein Reisender auf dem Weg dorthin mitbekommt - oder aber durch den fraglos eleganten Satz über den Abt.
Wobei da dann der Grund dafür auch der sein könnte, dass der Abt so ein Stinkstiefel ist, dass er sich nicht mehr heimtraut, oder dass er gefangen gehalten wird - oder...

Damit der phantasievolle Leser da nicht falsch abbiegt, sollte man also diskret vorher die Weichen stellen. :D

Das ist wieder arg akademisch. Das meiste findet da ganz unbewusst statt. Wir üben das ja täglich, wenn wir miteinander kommunizieren, wenn wir schreiben etc.

Aber gerade dann, wenn wir mit einem Text nicht weiterkommen, ist es oft hilfreich, sich über die Theorie Gedanken zu machen. Öfter als umgekehrt, kommt man dann dem "Fehler" auf die Spur.
Also ich jedenfalls  :P
Titel: Re: Sprachliche Präzision - es kommt darauf an.
Beitrag von: Verwirrter Geist am 15. März 2013, 16:44:51
Zitat von: Kay am 13. März 2013, 19:17:39
Deshalb ist meine Überlegung hier auch so monsterlang geworden (War nicht geplant, ist einfach passiert! Bitte nicht schimpfen)

Quatsch, freue mich über Deine Gedanken.  :)

ZitatDeshalb wird an Sprache als Medium in der Lyrik eine völlig andere Erwartung geknüpft als in der juristischen Forensik.
Wenn die Sprache den Leser trägt und atemlos durchs Buch führt, bis er traurig Ende liest, dann hat sie präzise ihren Zweck erfüllt. Wenn er die Stirn in Falten legt, einen Schildkrötenhals bekommt, der im Rollkragenpulli verschwindet und das Buch vergessen in den Schoß sinkt, dann ist da ein Patzer drin.
Aber das hängt nicht am gewählten Numerus der Lippe(n).

Bei Lyrik gebe ich dir recht. Und ich würde auch sagen, dass Poetizität auch einen (großen) Platz in der Fantasy hat, aber die Konklusion am Ende ist mir zu simpel.
Natürlich ist der Verlust des Lesers die Todsünde Nr. 1. Doch das kann imho auch am Genus der Lippen liegen. Natürlich nicht nur und erst Recht nicht bei sehr gelegentlichen Unschärfen dieser Art. Aber ich betrachte Szenen gerne als Bilder. Deren Gestaltung unterliegen natürlich den Fähigkeiten des Künstlers genauso wie seinem Stil. Und grundsätzlich ist Expressionimus auch genauso viel wert wie Manierismus. Trotzdem rufen sie beim Leser unterschiedliche Reaktionen hervor.

ZitatDenn trotz aller Theoretisierei sollte das Buch ein homogenes Ganzes darstellen und eben anders als ein Sachbuch nicht nur vom Wissen des Autors (die Geschichte), sondern auch von seinem Herz erzählen. Schreiben ist, wenn es sich gut lesen soll, immer auch ein bisschen Seelenstriptease...
Darum findet man beim einen Autor auch im Gesamteindruck gut, was bei einem anderen stören würde. Ist das nicht wunderbar?
Trotzdem ist es hilfreich, sich zu überlegen, wo der Leser steht und was ihn dazu bringt, meinem Buch seine wertvolle Zeit zu schenken:

Da sind wir natürlich völlig d'accord.

ZitatDabei gilt grundsätzlich ganz pauschal, dass man spannende, actionreiche Szenen in kurzen Sätzen beschreiben sollte, weil der Leser diese Passagen üblicherweise schneller liest (weil hoffentlich mitfiebernd).

Die Begründung kannte ich gar nicht, ich dachte immer es geht ausschließlich darum, dass kurze Sätze automatisch hektischer wirken, völlig egal in welcher Geschwindigkeit man sie liest.

ZitatIm Hinblick auf meine Intention wäre präziser (weil näher an meinem eigentlichen Motiv) gewesen:
"Wenn ich bei dieser Frage ins Schleudern komme, stelle ich mir mehrere Fragen, die zumindest mir immer ganz gut weiterhelfen, auch wenn sie gewiss nicht die perfekte Methode darstellen: ..."

Deine Beispiele fand ich - genauso wie deine Tipps - hilfreich; auch wenn mir dieses Vorgehen grundsätzlich bekannt ist, mache ich mir selten die Mühe sie mal konkret zu durchdenken und stringent anzuwenden. Danke!

@Luciel: Danke auch für Deine Antwort.
ZitatIch bin jedoch ein großer Bewunderer von Autoren, die mit ganz wenig ganz viel sagen können. Ich mag es, wenn es beim Lesen plötzlich "klickt" in meinem Hirn. Da entsteht von einem Wort zum anderen eine ganze Szene oder ein Zusammenhang, der sonst mehrere Seiten füllen würde.
z.B. bei Follet: "Der Abt von Kingsbridge lebte nicht in Kingsbridge".
Ich musste sehr über diesen Satz schmunzeln, weil er so viel über diesen Ort sagt, ohne eine einzige Beschreibung.

Mh, ich muss gestehen, dass ich den Satz zwar toll finde, aber auch glaube, dass solche Formulierungen ein sehr süsses Gift sind. In geringen Dosen ein toller Katalysator für die Fantasie des Lesers, in größeren Mengen ein Killer.