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Handwerkliches => Das Sprachbastelboard => Thema gestartet von: Sprotte am 25. Februar 2013, 01:41:21

Titel: Wer ist "man"?
Beitrag von: Sprotte am 25. Februar 2013, 01:41:21
Ich stolpere beim Betalesen hin und wieder darüber und frage mich nun, ob ich zu streng bin.

Beispiel:
ZitatPerspektivträgerin betritt einen Raum und bewundert die darin ausgestellten Gemälde. Man kann sehen, daß die Rahmen täglich abgestaubt werden./Man kann sehen, daß diese Bilder ein Vermögen wert sind.
Da frage ich betaböse: Wer ist "man"? Die Perspektivträgerin? Dann sollte das dort auch stehen.

Beispiel:
ZitatProtagonist und Perspektivträgerin kommen in eine Stadt. Ein Pulk Handwerker versperrt ihnen den Weg. Der Protagonist guckt böse. Man macht ihm Platz.
Hier würde ich es nicht bemängeln, da das "man" sich hier auf die Handwerkergruppe bezieht.

Was meint Ihr?
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Coppelia am 25. Februar 2013, 05:37:20
Als Lateini kenne ich "man" als eine Art, auf deutsch das Passiv zu ersetzen. Ob man das machen möchte, ist natürlich Ermessensfrage.

Ich kenne die Textstellen nicht, aber ich würde sagen: In beiden Fällen ist grammatisch nicht definiert, wer "man" ist, sondern muss aus dem Kontext erschlossen werden. Da das ohne Schwierigkeiten möglich ist: Ich glaube nicht, dass es problematisch ist.

Im ersten Fall ist "man" wahrscheinlich nicht die Perspektiventrägerin, sondern jeder, der die Bilder ansieht. Vermutlich ist der Satz aus der Sicht der Perspektiventrägerin geschrieben und bedeutet "ich denke, jeder kann sehen ..."

Die zweite Textstelle müsste ich genauer kennen, aber da würde ich "man" vielleicht vermeiden. Kommt darauf an, was genau da steht. Es scheint, dass die Handwerker wichtig sind, da kommt es mir komisch vor, sich auf sie mit "man" zu beziehen.
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Drachenfeder am 25. Februar 2013, 06:09:24
"man" braucht der Autor bei kreativen Texten nicht und sollte es meiner Meinung auch nicht verwenden. Ich selbst schreibe das beim shnellen Runtertippen auch ab und an, versuche aber dieses Wort dann durch andere zu ersetzen oder mit Hilfe der Satzumstellung zu vermeiden. Bei meiner letzten Beta am vergangenen Wochenede ist mir das "man" auch häufiger aufgefallen. Also Sprotte, zu streng ist das von meiner Seite her nicht. Im Gegenteil, ich hätte bei dieser Frage gedacht "Hoppala. Da hat sie Recht, da muss ich noch mal dran arbeiten."
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Luna am 25. Februar 2013, 06:58:56
Dieses "man" hat uns unser Deutschlehrer früher gnadenlos angestrichen. In jedem Zusammenhang. Manchmal hat er auch "frau?" drüber geschrieben. Er hasste dieses Wort. Es sei zu unbestimmt und passiv. Seitdem muss ich jedes mal, wenn ich man lese, daran denken. Ich versuche es auch immer so gut es geht zu vermeiden.
Ich war mal auf einem Lehrgang, der auf Teamgeist und soziale Kompetenz abzielte. Da stellte unsere Dozentin vorher Regeln auf, wie wir Teilnehmer miteinander umgehen und reden sollten, vor allem, wenn Kritik geübt werden sollte. Da hieß es auch: kein man. Wir sollten aktivere Sätze bilden und das man genau bestimmen.
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Lisande am 25. Februar 2013, 07:44:53
Grammatikalisch und inhaltlich habe ich mit dem Wort kein Problem, weil schon klar ist, was gemeint ist, aber ich finde es stilistisch unschön und würde es austauschen!
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Coppelia am 25. Februar 2013, 07:49:30
Ich möchte mal den Gegnern des "man" ein bisschen widersprechen.

Ob das "man" in dem obigen Zusammenhang angebracht ist, sei dahingestellt, weil ich wie gesagt den Kontext nicht kenne. Aber es gibt meiner Meinung nach viele Gründe, warum man "man" in kreativen Texten sogar sehr passend verwenden kann. Man könnte es z. B. benutzen, um Distanziertheit von den handelnden Personen auszudrücken. Oder Ironie in bestimmten Zusammenhängen. Oder einfach Sachlichkeit. Mir würde wahrscheinlich noch anderes einfallen, wenn ich mehr Zeit hätte.

Ich höre oft von "Regeln", was man in Texten nicht verwenden soll, aber die meisten scheinen mir sehr beliebig zu sein. Man sollte aufpassen, dass man Wörter nicht unpassend verwendet, bzw. das, was man verwendet, bewusst verwendet, dann gibt es auch keine Probleme. Gibt ja z. B. auch Schreibratgeber, die das Passiv generell abschaffen wollen. ;) Aber unsere Sprache bietet so viele Möglichkeiten, ich sehe keinen Grund, sie und sich selbst zu beschränken, ohne dass gute Gründe dafür vorliegen. Diese Diskussion würde jetzt allerdings zu weit führen.

ZitatIch war mal auf einem Lehrgang, der auf Teamgeist und soziale Kompetenz abzielte. Da stellte unsere Dozentin vorher Regeln auf, wie wir Teilnehmer miteinander umgehen und reden sollten, vor allem, wenn Kritik geübt werden sollte. Da hieß es auch: kein man. Wir sollten aktivere Sätze bilden und das man genau bestimmen.
In dem Zusammenhang ist es einleuchtend, weil man die Leute, von denen man was will, nicht als "man" bezeichnen sollte, das wäre ja kontraproduktiv. ;) Denn niemand würde sich von einem Satz wie "man sollte hier mal gründlich aufräumen" direkt angesprochen fühlen. Bzw. wenn, dann könnte die Person es trotzdem ignorieren.
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Envo am 25. Februar 2013, 07:51:05
Zitat von: Lisande am 25. Februar 2013, 07:44:53
Grammatikalisch und inhaltlich habe ich mit dem Wort kein Problem, weil schon klar ist, was gemeint ist, aber ich finde es stilistisch unschön und würde es austauschen!

Sehe ich auch so. Der Autor sollte ja schon wissen, was genau da passiert. In der wörtlichen Rede darf es allerdings Einzug finden ^^
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Sanne am 25. Februar 2013, 08:03:22
Ich finde es ein wenig übertrieben, es überhaupt nicht zu benutzen.

Manchmal wird es verwendet, um eben nicht nur den Perspektivträger damit nennen zu wollen. Im ersten Beispiel könnte auch gesagt werden: Jeder kann sehen, dass die Bilder ein Vermögen wert sind. Aber es schaut ja nicht jeder hin? Und es bemerkt auch nicht jeder, der es sieht. Die Personen, die es sehen, könnten es bemerken - müssen aber nicht.

Dieses allgemeine Pronomen wird auch oft verwendet, wenn die Verantwortlichkeit nicht impliziert werden soll. Bei "man" kann sich jeder das Mäntelchen anziehen wenn er will, oder eben nicht. Es lässt Möglichkeiten offen, die gegeben werden sollen. Verallgemeinerungen mit einer Schlussfolgerung sind gefährlich. Mit "man" bleibt es aber offen und die Fluchtmöglichkeit bleibt.

Man bezieht sich auf das beschriebene Umfeld. Kommt jemand dazu, kann er auch dazu gehören. Je länger ich darüber nachdenke, ist es eigentlich ein Wort, dass viele Möglichkeiten der Interpretation beinhaltet. Ist das so verkehrt, wenn man (ich, du, ihr, alle, jemand, niemand) es auch benutzt in dem jeweiligen Sinne? Wenn ich nur von mir spräche - würde es alle anderen Menschen ausschließen. Will ich das? Immer?

Natürlich ist es immer auch eine Frage der Häufigkeit. Zu oft benutzt, sagt der Text nichts Vernünftiges mehr aus, aber ab und zu, finde ich das schon angebracht.

Tante Edith: Bei dem zweiten Beispiel empfinde ich das eher als nicht gut - da könnte der Autor tatsächlich besser "sie" verwenden, denn sie (die Handwerker) wurden vorher eingeführt und sind definiert.

Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Sanjani am 25. Februar 2013, 09:11:53
Hallo zusammen,

nun möchte ich hierzu auch mal meinen Senf abgeben.

Was ich ziemlich lustig finde, ist, dass in eueren Beiträgen interessanterweise extrem oft das Wörtchen man gefallen ist. Ich musste bei den Beiträgen spontan an etwas denken, das ich bei einem Praktikum gehört habe. Da ging es darum, dass Patienten sehr häufig "man" benutzen würden, wenn sie eigentlich "ich" meinten. Der Hintergrund dessen sei, dass "man" mehr Distanz schaffe und es ihnen dadurch leichter falle auszudrücken, was sie ausdrücken wollten. Ich habe das an mir selbst auch schon bemerkt. In meinen Texten kann ich mich nicht daran erinnern, dieses Wort im Erzählermodus verwendet zu haben. In der wörtlichen Rede schon, denke ich, da benutze ich es intuitiv so, wie Menschen es im Gespräch miteinander auch benutzen würden, z. B. wenn ich indirekt sein will oder Distanz schaffen möchte. Im Erzählermodus gefällt es mir in beiden obigen Fällen überhaupt nicht, weil es mir zu viel Distanz zwischen dem Erzähler und dem Erzählten schafft. Ich persönlich bleibe gerne sehr nah an meinen Figuren. Ich würde also eher etwas schreiben wie: Er warf den Handwerkern einen bösen Blick zu, woraufhin sie ihm sofort Platz machten. Oder: Er warf ihnen einen bösen Blick zu und stellte mit Genugtuung fest, dass sie ihm sofort Platz machten. Oder so was Ähnliches. Bei den Bildern erscheint es mir auch nicht wirklich passend. Da ist es mir einfach viel zu weit weg vom Geschehen. Für mich klingt das eher nach einem Drehbuch. Ich meine, wer bewundert denn diese Bilder? Ja wohl die Perspektivträgerin. Also warum steht dann da nicht: Sie bemerkte gleich, dass die Rahmen glänzten. Bestimmt wurden sie jeden Tag abgestaubt. Sie vertiefte sich in die Bilder. Die müssen ja ein Vermögen wert sein!, schoss es ihr durch den Kopf.

Ok, das gehört jetzt nicht zu meinen besten Spontanentwürfen, aber ich denke, ihr könnt sehen, was ich meine. Wenn es sich um einen sehr alwissenden Erzähler handelt, könnte ich mir vorstellen das Man auch drin zu lassen, es müsste dann in den Zusammenhang passen, dann wäre der komplette Text aber distanzierter und würde für mich wohl eher nach einem Sachbericht klingen.

Langer Rede, kurzer Sinn: Ich bin mit "man" auch ziemlich streng.

LG Sanjani
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Maran am 25. Februar 2013, 09:29:27
Ich sehe es ähnlich wie Drachenfeder. "Man" ist zu unbestimmt, zu passiv.

"Man kann sehen" - entweder sieht es die Protagonistin, oder sie sieht es nicht. Was interessiert es den Leser, ob anderen Betrachtern dies auffällt, oder ob es für sie wichtig ist.

[edit] Um beim Beispiel zu bleiben: Aus Sicht eines auktorialen Erzählers könnte dort auch stehen, daß die Bilder wertvoll sind und (vielleicht ein wenig zynisch) gerade deshalb regelmäßig abgestaubt werden. Das würde ein nettes Bild im Kopf des Lesers hervorrufen (zumindest bei mir): Ein paar auf Hochglanz polierte Gemälde zwischen Exponaten, auf denen sich der Staub der letzten Jahrzehnte gesammelt hat. Wenn der Protagonistin (nicht man) dies nicht auffällt, muß sie blind sein. So führt dann eines zum anderen. Warum fällt es ihr auf? Warum nicht? Wenn es ihr auffällt, welche (logischen oder unlogischen) Schlußfolgerungen zieht sie daraus? Kommentiert sie diese Erkenntnisse innerlich (oder vielleicht sogar laut)? Das ist eine nette Chance, den Charakter näher zu zeigen, und nicht nur zu beschreiben. Und schon hat die Szene einen Sinn für Autor und Leser, selbst wenn das Betrachten der Bilder für den Plot unwichtig ist. Das ist ein Unterschied zum "Schwallern", und es führt den Leser weiter in die Geschichte und näher an den Charakter heran.
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Sprotte am 25. Februar 2013, 11:32:09
Toll, was Ihr bislang zusammengetragen habt - und wie unterschiedlich das Thema betrachtet werden kann.
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Churke am 25. Februar 2013, 12:51:26
"Man" ist eine Frage des Stils. Es drückt etwas aus und ob es im konkreten Fall gut oder schlecht ist, hängt alleine davon ab, ob es a) in den Kontext passt und b) der Autor es bewusst als Stilmittel verwendet hat.
Stichwort Subtext.

Man kann sehen, dass diese Bilder ein Vermögen wert sind.

Ich würde hier nehmen: "Man sieht, dass die Bilder ein Vermögen wert sind."
Warum?
"Man" impliziert in diesem Zusammenhang, kurz und knapp, dass die Bilder in bewusster Zurschaustellung ihres Wertes dort aufgehängt wurden. Gerade durch das unpersönliche "Man" wird deutlich, dass sich diese Botschaft nicht an an den vielleicht besonders kunstsinnigen Prota richtet, sondern an ein breiteres Publikum. Die Besucher sollen sehen, was das Zeug wert ist.

Schreibe ich "die Bilder sind ein Vermögen wert", dann habe ich zwar eine absolute Aussage über den Wert der Bilder. Aber ich sage nichts über die Absichten des Eigentümers.

Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: HauntingWitch am 25. Februar 2013, 12:55:08
Zitat von: Luna am 25. Februar 2013, 06:58:56
Dieses "man" hat uns unser Deutschlehrer früher gnadenlos angestrichen. In jedem Zusammenhang. Manchmal hat er auch "frau?" drüber geschrieben.

So einen hatte ich auch.  ;D Bei mir ist es so: Ich selbst verwende es nicht oft, da ich es einfach nicht schön finde. Es stört mich aber auch nicht, wenn ich in einem Buch eine solche Formulierung mit "man" lese.

Bei deinem ersten Beispiel, Sprotte, sehe ich das eher so, dass diese "man"-Sätze ausdrücken, dass der Protagonist denkt, dass das die meisten Leute sehen müssten. Wer denkt: "Man kann sehen" geht ja automatisch davon aus, das andere dasselbe sehen. Daher finde ich das auch nicht zu passiv oder gar unglaubwürdig, denn wie sollte jemand, der so denkt, auch auf die Idee kommen, dass das andere nicht tun und deshalb in "ich" denken? Er geht ja davon aus, dass "man" (also alle) es sehen, deshalb denkt er nicht: "Ich konnte sehen" (denn es ist ja nicht etwas, das seiner Meinung nach nur ihm auffällt). Ich hoffe, das ist nicht zu verwirrend.
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Maran am 25. Februar 2013, 13:50:29
Zitat von: HauntingWitch am 25. Februar 2013, 12:55:08

Bei deinem ersten Beispiel, Sprotte, sehe ich das eher so, dass diese "man"-Sätze ausdrücken, dass der Protagonist denkt, dass das die meisten Leute sehen müssten.

Aber genau das geht aus dem Beispielsatz nicht hervor. Dieser beschreibt nämlich die Räumlichkeiten incl. der Protagonistin innerhalb dieser Räumlichkeiten. (Mal abgesehen davon, daß eine Beschreibung dieser Art unglücklich bis grottenschlecht ist, sry.) Wenn die Protagonistin hingegen denken würde, daß "man" dies sieht, dann gibt es hierfür sehr viel nettere und klügere Formulierungen.
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Mondfräulein am 25. Februar 2013, 14:29:17
Da habe ich ehrlich gesagt so spezifisch noch nie drüber nachgedacht. Das ist auf jeden Fall ein interessantes Thema. Instinktiv würde ich dir aber erstmal Recht geben.

ZitatPerspektivträgerin betritt einen Raum und bewundert die darin ausgestellten Gemälde. Man kann sehen, daß die Rahmen täglich abgestaubt werden./Man kann sehen, daß diese Bilder ein Vermögen wert sind.

Man finde ich hier unschön, weil es irgendwie aus der Perspektive fällt. Ganz wie du sagst, wer ist man? Solche Formulierungen finde ich generell immer sehr, sehr umständlich, auch wenn da stehen würde "Sie kann sehen, dass die Bilder ein Vermögen wert sind." würde ich das eigentlich bemängeln. Das liegt also gar nicht direkt am man, weil ich Wahrnehmungen nie so umschreiben würde, aber es macht das alles noch einmal etwas schlimmer. In der personalen Erzählform ist so ein "Sie/Man/Sonstwer kann sehen, dass..." eigentlich immer irgendwie überflüssig. Das alles entfernt den Leser ein Stück weit aus der Perspektive, man soll ja nicht mitbekommen, was der Protagonist sieht sondern quasi mit seinen Augen sehen.

ZitatProtagonist und Perspektivträgerin kommen in eine Stadt. Ein Pulk Handwerker versperrt ihnen den Weg. Der Protagonist guckt böse. Man macht ihm Platz.

Hier würde ich man ohne Kommentar so stehen lassen. Ich würde nicht sagen, dass man es nie verwenden sollte, gerade hier lenkt es meiner Meinung nach den Fokus von den beschriebenen Handwerkern wieder zurück auf die beiden Protagonisten. Jeder weiß, dass die Handwerker gemeint sind, ich habe daran nichts auszusetzen.

Zitat von: HauntingWitch am 25. Februar 2013, 12:55:08
Bei deinem ersten Beispiel, Sprotte, sehe ich das eher so, dass diese "man"-Sätze ausdrücken, dass der Protagonist denkt, dass das die meisten Leute sehen müssten. Wer denkt: "Man kann sehen" geht ja automatisch davon aus, das andere dasselbe sehen. Daher finde ich das auch nicht zu passiv oder gar unglaubwürdig, denn wie sollte jemand, der so denkt, auch auf die Idee kommen, dass das andere nicht tun und deshalb in "ich" denken? Er geht ja davon aus, dass "man" (also alle) es sehen, deshalb denkt er nicht: "Ich konnte sehen" (denn es ist ja nicht etwas, das seiner Meinung nach nur ihm auffällt). Ich hoffe, das ist nicht zu verwirrend.

Für mich fällt das aber eindeutig aus der Perspektive, so habe ich es gelesen. Aber ich finde deinen Gedanken interessant, es ist zwar in Sprottes Beispiel nicht so formuliert, aber man kann es durchaus so einsetzen. Beispielsweise "Die Bilder waren doch schweineteuer, das konnte man sehen." oder so. Das wäre auch wieder ein Anwendungsgebiet für man, das ich gar nicht so verkehrt finde.

Zitat von: Churke am 25. Februar 2013, 12:51:26
Ich würde hier nehmen: "Man sieht, dass die Bilder ein Vermögen wert sind."
Warum?
"Man" impliziert in diesem Zusammenhang, kurz und knapp, dass die Bilder in bewusster Zurschaustellung ihres Wertes dort aufgehängt wurden. Gerade durch das unpersönliche "Man" wird deutlich, dass sich diese Botschaft nicht an an den vielleicht besonders kunstsinnigen Prota richtet, sondern an ein breiteres Publikum. Die Besucher sollen sehen, was das Zeug wert ist.

Schreibe ich "die Bilder sind ein Vermögen wert", dann habe ich zwar eine absolute Aussage über den Wert der Bilder. Aber ich sage nichts über die Absichten des Eigentümers.

Das finde ich auch sehr interessant. So habe ich den Text zumindest nicht gelesen, irgendwie spannend, was da jeder hier hinein interpretiert. Da das hier aber immer noch die Persepektive einer außenstehenden Person ist, würde ich so ohne weitere Erläuterungen nicht darauf kommen, dass sie extra aufgehängt wurden, um mit ihnen anzugeben. Da müsste dann noch irgendetwas dort stehen, das darauf hindeutet. In dem Fall wäre das man aber auch interessant eingesetzt, um eben das zu verdeutlichen.

Generell kann man beim Schreiben alles machen, es gibt kein Tu das nicht und kein So musst du es machen. Insofern kann man auch man durchaus mal einsetzen, wenn man möchte, generell würde ich das eigentlich nicht weglassen. Ich wüsste nicht wieso.
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Thaliope am 25. Februar 2013, 14:45:55
Ich schließe mich Mondfräulein insofern an, als dass das "man" im ersten Fall wie ein Perspektivbruch auf mich wirkt. Die intendierte Aussage würde ich etwa mit "Es war offensichtlich, dass die Bilder ein Vermögen wert waren" formulieren. Daraus wird klar, dass die Perspektivträgerin davon ausgeht, dass jedermann es erkennen würde.

Wenn es keine personale Perspektive ist, ist das wieder etwas anderes. Wenn beispielsweise ein außenstehender Erzähler eine Situation beschreibt, finde ich das "man" noch möglich. So nach dem Motto "Es ist eine dunkle Bar. In einigen Ecken sieht man heruntergekommene Trinker herumhängen." Ob das "man" hier stilistisch überragend schön ist, darüber kann man wohl streiten, aber rein von der Perspektive her finde ich es hier okay, und es soll ja auch nur ein Beispiel sein.

Und es gibt natürlich durchaus Fälle, in denen das "man" seine Berechtigung hat. Gerade wenn der eigentliche Akteur gesichtslos oder unbekannt bleiben soll, besonders wenn Institutionen gemeint sind. "Man hat uns nur gesagt, dass es um einen neuen Fall geht."

Und so sehe ich es auch in Sprottes zweiten Beispiel. Da ist "man" eine gesichtslose Menge, da finde ich das sehr passend.

Wer nicht so auf seine Sprache achtet, neigt leicht dazu, "man" zu leichtfertig zu benutzen, anstatt sich die Frage zu stellen, wer damit eigentlich gemeint ist. Dadurch wird dann oft verschleiert, wer der eigentliche Handlungsträger ist. Der Sprecher, die Allgemeinheit, ihr alle ... Ich denke, das ist der Grund, warum viele Lehrer etc. diesen Ausdruck erstmal reflexartig anstreichen.
Also ich denke, man (hihi) sollte einfach darauf achten, ob das "man" wirklich das ausdrückt, was man meint.

LG
Thali 
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Sanjani am 25. Februar 2013, 18:12:51
Hallo noch mal,

ich finde, an der Fülle von Interpretationen, die hier reingeschrieben wurden, sieht man :) aber auch sehr deutlich, wie unterschiedlich die Passagen gelesen werden. Bei dem zweiten Beispiel ist es für mich so, dass ich die Gedankengänge derjenigen, die es gut finden, zwar rational nachvollziehen kann, dass es mir stilistisch aber trotzdem überhaupt nicht gefällt und ich es nicht passend finde. Wenn ich das also als Stilmittel verwende, ist noch lange nicht gesagt, dass der Leser es auch so versteht, wie ich es beabsichtige. Das kann einem bei anderen Formulierungen sicher auch passieren, aber bei man vielleicht mehr, denke ich mir.

LG Sanjani
Titel: Re: Wer ist "man"?
Beitrag von: Sanjani am 23. März 2013, 17:30:19
Hallo Sprotte,

noch mal ich, weil ich das gerade lustig finde und es gerne mit euch teilen möchte: Durch Zufall habe ich in einem etwas älteren Text eine ähnliche Formulierung mit "man" gefunden, wie du, Sprotte, sie angeführt hast. Die Protagonistin - die obendrein in Ich-Form schreibt - stöbert unerlaubt in den Sachen einer Kollegin und schaut sich ein Fotoalbum von ihr an. Und da steht dann: Man sah Fotos von ihrer Mutter und ihrem Vater. Keine Ahnung, warum ich das damals passend fand. Beim Lesen ist es mir jetzt aufgefallen, aber auch nicht so arg aufgestoßen. Vielleicht, weil sie innerlich eine starke Distanz zu der Kollegin spürt, fast schon Abneigung, und sie nicht möchte, dass die Fotos diese Distanz aufweichen. Aus dieser Perspektive heraus weiß ich noch nicht, ob ich das so stehen lasse oder noch ändern werde. Es war auf jeden Fall sehr interessant das noch mal zu lesen mit diesem Thread im Hinterkopf.

LG Sanjani