• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Der Grusel-Effekt: Wie erzeugt ihr ihn?

Begonnen von Alana, 17. Mai 2012, 19:59:34

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Alana

Hallo,

wenn ihr eine gruselige Szene (ohne Splattereffekte, sondern eher subtil) schreiben wollt, wie geht ihr vor? Wie erzeugt ihr eine Stimmung, die dem Leser eine Gänsehaut verschafft? Was gehört für euch in eine solche Szene und was auf keinen Fall? Gibt es altbewährte Klisches, die ihr gern benutzt, oder welche, die ihr um jeden Preis meidet? Wie handhabt ihr Beschreibungen und Dialoge? Mehr davon als in anderen Szenen oder weniger?

Ich freue mich auch über Buchtipps oder Links zum Thema.

Danke und liebe Grüße,
Alana
Alhambrana

Sprotte

#1
Ich habe bislang zwei Grusel-Novellen und eine Grusel-Kurzgeschichte (die grenzwertig dicht am Horror ist) geschrieben. Bei der KG mußte ich nachts im Dunkeln das Schreiben abbrechen, hab mich also selbst zu sehr gegruselt. Betaleser bestätigen das!

Bei der KG hab ich vor allem mit einem für die Antagonistin charakteristischen Geräusch, einem Schmatzen gearbeitet, das genau dann erklingt, wenn der Leser denkt, alles ist gut.

Generell stelle ich in solchen Szenen den Protagonisten/die Protagonistin als alleine und hilflos da. Es gibt kaum Gelegenheit für Dialoge, dafür viel Innensicht. Geräusche und Gerüche sind meine liebsten Effekte. Dazu die Natur als Feind/Hindernis (eine Novelle spielt in der Fast-Schnee-Katastrophe 2009/2010, und natürlich hat das neue, ungewohnte Auto Heckantrieb und erschwert schlingernd die Flucht).

Was ich nicht benutze: Knarrende Türen, Käuzchenrufe, Schritte auf dem Dachboden.

Generell gilt: Alles, was nicht gezeigt wird, ist gruselig. Meist enttäuscht das Gruselwesen. Der Weg zu seiner Entdeckung ist das, was den Leser bei der Stange hält.

Lesetipps: Die Klassiker natürlich! Edgar A. Poe und Howard P. Lovecraft. Vielleicht noch King, The Shining ist da noch relativ subtil in den ersten 2/3.

Malinche

Ich sehe das im Prinzip genau wie Sprotte. Was den größten Effekt erzielt, ist das, was man nicht sieht - weil man dann zusätzlich noch seiner eigenen Phantasie ausgesetzt ist. Im Kino grusele ich mich bei subtilem Horror am allermeisten. Ist erst einmal klar, dass das Klappern auf dem Dachboden von einem sechsarmigen Monster mit Stielaugen verursacht wird, finde ich das nicht mehr gruselig, da kommen dann andere Gefühle zum Einsatz.

Geräusche bieten sich da wirklich sehr an. Was mir auch noch einfällt: Unerklärliche Veränderungen. Dinge, die sich auf einmal anderswo befinden, anders daliegen, also alles, was auf eine weitere Präsenz hinweist, die nicht da sein dürfte. (Meine Mutter erzählte mir einmal, wie sie zu Mauerzeiten nach Hause kam und anhand von Kleinigkeiten feststellte, dass die Stasi in ihrer Wohnung gewesen sein musste. Das ist jetzt kein klassischer Grusel, aber ich bekomme bei der Vorstellung doch eine Gänsehaut.)
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Ryadne

#3
Bei mir wird der Grusel-Effekt meist durch "Beiläufigkeit" erzielt. Das heißt, im Prinzip ist alles wie immer, vielleicht herrscht sogar eine etwas zu positive Stimmung. Und dann arbeite ich mich an zunächst beiläufig erwähnten Details zu dem akuten Grusel-Ereignis heran.

Das mag jetzt etwas abstrakt klingen, aber diese beiläufigen Details können ganz unterschiedlich sein. Eine Geste, auf die der Protagonist aufmerksam wird, ein Blick oder ein Geräusch, vielleicht auch Farbflecken oder Gegenstände, die nicht da stehen, wo sie normalerweise sind. Sodass das dezent Ungewöhnliche die Harmonie langsam durchsticht.

[jetzt kam mir Malinche mit den Gegenständen "zuvor"... ]

Alana

Ja, das sehe ich genauso. Die Ungewissheit ist das, was einem Angst macht.
Wie setzt ihr das denn sprachlich um? Habt ihr da eine bestimmte Herangehensweise oder schreibt ihr einfach drauflos? Komponiert ihr solche Szenen nach einem bestimmten Muster?
Alhambrana

Sprotte

Ich bin der absolute Drauflosschreiber. Wenn ich mich selbst fürchte, hab ich es richtig gemacht.

Ryadne

Zitat von: Sprotte am 17. Mai 2012, 20:27:16
Ich bin der absolute Drauflosschreiber. Wenn ich mich selbst fürchte, hab ich es richtig gemacht.

Dem kann ich eigentlich nur zustimmen. Habe es generell nicht mit dem "Komponieren" von Szenen, weder, wenn es gruselig sein soll, noch sonst wann.

Sprotte

Ich hab die KG mal in den Tintenschnipseln komplett eingestellt, falls Du gucken willst, Alana.

Alana

Oh, vielen Dank, Sprotte, die schaue ich mir nachher mal an!

Hm, das mit dem Drauflosschreiben ist schön, hilft mir nur leider nicht.  ;D
Alhambrana

Lavendel

Ich empfehle, mal sowas wie Die Literatur der Angst von H.P. Lovecraft oder Freuds Essay Das Unheimliche zu lesen (das gibts hier auf Project Gutenberg). Ich fand beides ziemlich interessant.

Thaliope

Danke für den Link, Lavendel! Hab mir das Schätzchen gleich mal ausgedruckt und freu mich auf die Lektüre.

Ein tolles Thema, wo ich mich doch so gern grusele. Insbesondere mag ich dieses Ziehen im Bauch, in diesen kurzen Momenten, wo man den Kontakt zu etwas Übersinnlichem zu spüren vermeint - oder das Gefühl hat, das eigene Weltbild wird gerade komplett aus den Angeln gehoben. Irgendetwas ist eigentlich ganz und gar nicht so, wie wir immer geglaubt haben ... khihi, mich schaudert's jetzt schon wieder.

Aber wie ich bewusst Gruseleffekte erschaffen kann, damit habe ich mich noch gar nicht auseinandergesetzt. Bin weiterhin sehr gespannt auf eure Methoden - und auf den guten alten Freud :)

LG
Thali

Kati

Besonders gruselig finde ich Dinge, die der Charakter nicht beeinflussen kann. Wenn zum Beispiel der gute, alte Schaukelstuhl einfach von allein schaukelt, oder Dinge durch den Raum schweben, oder Türen sich einfach öffnen und der Prota steht da und kann überhaupt nichts machen. Diese Art von Ausgesetztsein finde ich unheimlich und ich verwende sie sehr gern. Ansonsten finde ich auch, dass gerade das, was man nicht sieht, am Allerunheimlichsten sein kann. Ein manisches Lachen, wenn man allein im Haus ist, zum Beispiel. Allerdings:

ZitatIst erst einmal klar, dass das Klappern auf dem Dachboden von einem sechsarmigen Monster mit Stielaugen verursacht wird, finde ich das nicht mehr gruselig, da kommen dann andere Gefühle zum Einsatz.

Das kommt ganz darauf an, was denn jetzt die gruseligen Geräusche erzeugt. Wirklich gruselig finde ich da Geister, die einfach in der Ecke stehen und starren und man kann mal wieder nichts dagegen tun. Sechsarmige Monster finde ich auch nicht besonders gruselig und die gehören für mich auch nicht mehr zu subtilem Grusel, da sie ja an sich schon einen Ekelfaktor auslösen sollen, der in reinen Gruselszenen nichts zu suchen hat. Besonders schön finde ich auch die Figur, die ganz kurz da ist und dann wieder verschwunden und niemand weiß, was das war und ob es echt war oder nicht. Schreckeffekte mag ich auch, aber die lassen sich im Kino natürlich viel besser einsetzen als im Roman.

Ich weiß nicht genau, wie ich jetzt gruselige Szenen schreibe, aber angeblich mache ich es oft.  ;D Ich denke, es ist so, wie Sprotte sagte: Wenn man sich selbst gruselt, hatte man Erfolg. Besonders, wenn man bedenkt, dass man selbst ja bereits weiß, was da vor sich geht und der Leser eben nicht.  :snicker:

Debbie

Generell finde ich auch meist die Dinge gruselig, die nicht greifbar sind oder "verkehrt". Horrorfilme lassen mich z. B. oft kalt, aber dieser Gnom, bei "Wenn die Gondeln Trauer tragen" hat es mir eiskalt den Rücken runterlaufen lassen  :versteck:
Danach hab ich mich oft gefragt, warum das eigentlich so ist. Und wirklich gruselig fand ich daran einfach die Kombination aus meiner falschen Erwartung (ich dachte, der Mörder wäre ein normaler Mensch, plus: Ich dachte John läuft einer Halluzination hinterher), dem Gegensatz (kleiner mörderischer Zwerg, mit dämonischen Augen)
und dem Übersinnlichen, dass plötzlich und unerwartet in die Realität einbricht (wieso weiß der Zwerg das mit dem roten Cape? Was ist dieses Ding?).

Und dann gibt es für mich eben immer wieder bestimmte Komponenten, die ich als gruselig empfinde. Und Edgar Allan Poe ist der absoulte Meister im Spiel mit diesen Elementen. Es gibt ein paar Geschichten von ihm, die kann ich nicht vor dem zu Bett gehen lesen - nicht wenn ich in einem dunklen Zimmer schlafen will. Aber E. A. Poe ist m. E. auch unerreichbar, was diesen subtilen Horror angeht...  :omn:

Auf meiner "Writing reference" Wunschliste befindet sich aber etwas, dass dir vielleicht helfen könnte:

http://www.amazon.com/Writers-Workshop-Horror-Michael-Knost/dp/0982493916/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1337339308&sr=8-2

http://www.amazon.com/On-Writing-Horror-Handbook-Association/dp/1582974209/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1337339308&sr=8-1



HauntingWitch

Tolles Thema. Ich mache es oft ähnlich wie Sprotte: Eine Situation erzeugen, in der der Protagonist alleine und hilflos ist. Dann setze ich ihm den Gruselfaktor (=Antagonist, unerklärliche Dinge) entgegen. Ich kann allerdings nicht genau erklären, wie ich es mache, denn meistens schreibe ich drauflos. Natürlich muss ich mich vorher in den entsprechenden Zustand versetzen (mittels Musik). Was mir auffällt dabei ist, dass ich die - auch von Betalesern bestätigten - besten Gruselszenen immer dann schreibe, wenn ich mich in einem entweder psychisch schwierigen (Wut, Angst, Traurigkeit) oder Schwellenzustand (z.B. kurz vor dem Einschlafen) befinde. Dann fliesst es einfach aus mir heraus.

Ryadne hat allerdings auch Recht, an dieser Stelle ein Buchtipp: John Ajvide Lindqvist, Im Verborgenen. Das ist eine Sammlung von Kurzgeschichten von dem Autor und für ihn ist das ganz typisch. Er nimmt eine völlig normale Situation, an der eigentlich gar nichts Übles dran ist, schmückt sie aber mit so vielen komischen Details, dass alles plötzlich total surreal und unheimlich wirkt. Er beschreibt ausserdem viele Gedanken seiner Protagonisten - die dann meist nicht mehr so normal wirken.

Und damit komme ich zu einem weiteren Punkt, von dem ich leider als Schreiberling noch weit entfernt bin, aber als Leser liebe ich es. Der wirkliche Horror besteht gerade bei Ajvide Lindqvist meist nicht bloss im Übernatürlichen, sondern vor allem auch darin, wie der Mensch darauf reagiert. Also der Mensch erzeugt sich eigentlich den Horror selbst, in dem ihm eben genau diese oben erwähnten Details merkwürdig vorkommen, wobei sie im Grunde gar nicht so schlimm wären, würde nicht der Protagonist so denken, wie er denkt. Ein Beispiel: In dem Buch So ruhet in Frieden (ja, auch von Ajvide Lindqvist) gibt es so eine Plastikfigur. Im Grunde ist das lediglich eine fette Frau mit einem Einkaufswagen. Aber der Autor beschreibt die soo detailliert, dass man beginnt zu denken, dass etwas nicht stimmen kann. Und dann beschreibt er, wie der Protagonist in dieser Figur das Sinnbild für den Tod schlechthin sieht. So etwas finde ich extrem gruselig.

Der Ungewissheitsfaktor wurde ja von Kati schon so schön erklärt, und um gleich dabei zu bleiben. Dieser Schaukelstuhl kommt in dem Film The Woman In Black vor (wahrscheinlich aber auch in anderen), den ich sehr unheimlich fand. Bei diesem Film war es so, dass immer genau dann etwas passierte, als man dachte: Okay, jetzt ist es vorbei, jetzt können wir aufatmen. Es wurde also Spannung erzeugt, die dann verpuffte und erst dann der Gruseleffekt eingebaut. Funktioniert ganz gut und ist auch etwas, das ich noch lernen will.  ;)

Ausserdem hat John Irving einmal gesagt: Wenn du den Leser hineinziehen willst, dass es ihn nicht mehr loslässt, nimm eine Situation, von der er denkt: Bitte lass das meinen Liebsten oder mir niemals passieren. Ich glaube, das kann man eins zu eins auf Grusel-/Horrorfaktoren übertragen.

Lavendel

Ich denke, was Sprotte angesprochen hat, stimmt schon. Mit dem zu arbeiten, was man nicht sehen kann, ist sicher eine Sache, mit der man Grusel erzeugen kann. Horrorgeschichten sind ja zumeist sehr nah am Mysteryplot: Etwas verbrogenes, unerklärliches muss aufgedeckt werden, weil das Unerklärliche selbst schon etwas Verstörendes an sich hat. Das "Böse", der Antagonist oder was auch immer, wird Urängste ansprechen, etwas, über das wir normalerweise lieber nicht nachdenken, weil es uns zu sehr beunruhigt.Stück für Stück ein düsteres Geheimnis aufzudecken, dessen Kern eben eine Urangst anspricht, macht wahrscheinlich einen großen Teil des Gruseligen aus. Das Unheimliche ist eben nicht das völlig Unbekannte, sondern etwas eigentlich Vertrautes, das durch die Verdrängung zu etwas Fremdem geworden ist (jedenfalls sagt das Freud ;)).

Sowieso für alle Schriftsteller interessant, auch wenn es dabei um Kurzgschichten geht, ist bestimmt Poes Philosophie der Komposition (aber das kennt ihr sicher eh all ;)). Ich glaube, die "Einheit des Effekts", von der er da spricht, ist bei Gruselgeschichten (die er ja selbst zu Großteil geschrieben hat) besonders zutreffend, auch wenn man einen Roman meist nicht in einem Rutsch durchliest, so wie Poe das für eine Kurzgeschichte verlangt. Jedenfalls stimmt es, denke ich schon, wenn man davon ausgeht, dass Grusel-/Horrorgeschichten am besten einen relativ kurzen Zeitraum umspannen (also die erzählte Zeit) und dass sie an einem (relativ) geschlossenen Ort spielt. Das muss ja nicht unbedingt nur ein gruseliges Haus oder eine Burgruine oder ein Friedhof sein. Weil ich jetzt grade wieder King gelesen habe, fällt mir Derry, die Stadt aus ES ein, die diesen eigenen Willen zu haben scheint, das etwas, das in dem umgestürzten Fabrikschornstein sitzt. :darth: Naja, und Silent Hill könnte man dann vermutlich auch noch als Beispiel heranziehen. ::)

Und noch ein kleines bissl OT: Mal davon abgesehen, dass ich zu viele Gruselfilme gesehen habe, um bei "Die Frau in Schwarz" von irgendetwas überrascht gewesen zu sein (außer davon, dass ich sehr viel über die vorhersehbaren Schockeffekte lachen musste), war das Setdesign wirklich sehr schön ;). Man kann das nicht damit vergleichen, was so in Alien passiert, oder in Psycho oder Dawn of the Dead (von '78) oder bei The Shining (kann es eigentlich jemand besser als Kubrik?).