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Dystopia - Elfen, Zauberer, Orks, Trolle und Einhörner bitte draußen bleiben

Begonnen von Schommes, 24. April 2011, 10:59:08

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Churke

Zitat von: Schommes am 29. April 2011, 22:42:15
Da bin ich wieder ein kleiner Feigling, weil ich die Befürchtung habe, dass ein Anfänger wie ich, der versucht eine Botschaft in ein Buch zu packen, möglicherweise schnell in Gefahr gerät, ein krampfiges Politpamphlet abzuliefern. Auch hier möchte ich erst Mal mein Handwerk beherrschen lernen, und eine meinethalben seichte Unterhaltungsdystopie schreiben, bevor ich mich daran wage, das ganze bei einem dritten oder vierten Buch gehaltvoll anzureichern.

M.E. ist das Design einer Dystopie nichts anderes als stinknormaler Weltenbau. Man benutzt nur anderes Handwerkszeug.
Das mit dem Plot zu verzahnen ist dann die eigentliche Arbeit.

Erdbeere

Zitat von: Schommes am 29. April 2011, 22:42:15
Upps. Kenn ich gar nicht.
...
Im Gegenteil: Basismerkmal der narrativen Grundstruktur ist doch ihre Variabilität.

Im Gegensatz zu Europa und Amerika ist in Japan die Fantasy und Dystopie in der breiten Masse verankert, dies dank der enormen Anerkennung von Manga und Anime. Gerade was Storyline, Setting und vor allem Grundhintergedanken in Sachen Moral in Dystopien angeht, kann man von den Japanern echt etwas lernen. Mach dich da mal schlau und schau dir einige Filme bzw. Serien an, lohnt sich auf jeden Fall.

Basismerkmale schön und gut, aber ich befürchte, dass mit dem Genre der Dystopie das gleiche geschieht wie mit dem der Vampire. Das wird nun gross auf den Markt geschwemmt, es kommen Jugendbücher und Romanzen hinzu und voilà, alles scheint ein Abklatsch.
Ich habe da ehrlich gesagt keine Lust, zehnmal das gleiche zu lesen. Bei Fantasy lege ich ein Buch enttäuscht weg, wenn ich merke, dass ich das so ähnlich schon einmal gelesen habe.
Für mich macht immer noch der gekonnte Mix die Würze aus.  :vibes:

Lomax

Zitat von: Schommes am 29. April 2011, 22:42:15Wo ich allerdings abweiche ist die Art der Theoriendarstellung. Das liegt wohl daran, dass ich mit Leib und Seele Lehrer bin (meine Frau sagt dazu ,,manischer Klugscheißer").  Ich versuche die Theorien daher immer so zu fassen, dass auch ein Foren- bzw. Schreibneuling daraus sofort einen praktischen Ansatz entwickeln kann, also eine Struktur.
Da muss ich doch noch einhaken - erinnert mich dieser Einwand doch sehr an ein Zitat aus meinem Studium. Dieser Professor sprach damals zwar über die Besonderheiten der Schulgrammatik, aber ich fand den Satz auch sonst sehr bedenkenswert: "Der Unterschied zwischen Schule und Wissenschaft ist der, dass ein Lehrer immer jeden Stoff auf eine eindeutige, abprüfbare Antwort reduzieren muss - egal wie falsch sie ist. Aber wenn man aus der Schule heraus ist, kann man auch akzeptieren, dass es auf manche Frage keine eindeutigen Antworten gibt und auch mal mehrere Wahrheiten gleichwertig nebeneinander existieren."
  Da ich schreiben prinzipiell für einen akademischen Beruf halte, würde ich mich da der Lehrersicht auch nicht anschließen wollen - auch wenn es sich angenehm anfühlen würde  für manchen Schreibschüler, eine algorithmisch ermittelbare Wahrheit über Dystopien zu hören, egal wie viele Aspekte, Entwicklungslinien und mögliche Widersprüche dafür ausgeklammert werden müssen. Mit all dem muss man sich m.E. nach auseinandersetzen und damit leben, dass man selbst seinen Weg dazwischen finden muss, wenn man Bücher schreiben will ;). Insofern sehe ich da also keinen Grund, warum man die literaturwissenschaftliche Definition herunterbrechen müsste - oder nicht deine und andere Definitionen einfach daneben stehen lassen kann und jeweils die Vorteile, Nachteile und Lücken der Ansätze diskutieren. Und zwar ohne sie auf ein Niveau und einheitliche Form zwecks Vergleichbarkeit zurechtzustutzen und am Ende "die eindeutig beste und einzig richtige" zu bestimmen - egal wie falsch sie ist. ;)

Das Problem mit Theorien, die auf praktische Ansätze reduziert werden, ist halt, dass sie meist eher Glaubenssätze und Lebenshilfe sind als echte Erkenntnisse. Man hält sich daran fest, fühlt sich sicher und geborgen und ignoriert so gut wie möglich alles, was nicht reinpasst - und das hilft in der Praxis tatsächlich oft weiter. Aber nicht, weil die praktische Anleitung gut wäre, sondern weil man damit einfach schneller und entschiedener etwas tut als manch anderer, der sich lange in widersprüchlichen Therien verfängt, sich verunsichern lässt und nicht vorankommt.
  Ich persönlich mag es allerdings lieber, sich das Wissen um die Komplexität und Uneindeutigkeit der Welt zu erhalten, und zumindest in theoretischen Diskussionen nicht auf einen "praxisorientierten" Konsens hinzuarbeiten, der letztendlich nur dazu dient, Widersprüche auszuklammern und sich gegenseitig zu bestätigen, dass man alles richtig macht und richtig machen kann. Darum kriege ich auch eher Bauchschmerzen, wenn Definitionen als "praktische Ansätze" anstatt von wissenschaftlich korrekten und empirischen Theorien entwickelt werden.

Und ganz nebenbei denke ich auch, dass Bücher besser werden, wenn Autoren intern mit einem komplexen, uneindeutigen Weltbild arbeiten und leben können und in jeder Phase ihrer Erkenntnisbildung mehr Angst vor falschen Wahrheiten zeigen als die Bereitschaft, zugunsten eindeutiger Antworten auch mal Kompromisse einzugehen. Von mir gibt's da also keine große Bereitschaft, in Diskussionen Krücken für "Schreibneulinge" zu verteilen, weil ich nicht glaube, dass Krücken eine gute Lauflernhilfe sind. ;)
  Und die Praxis sorgt ohnehin für sich selbst. Die Details und die Reichweiten von Genrekonventionen ändern sich schnell, und die konkreten Bücher bewegen sich da recht flexibel zwischen den Grenzen literaturwissenschaftlicher Theorien. Es macht also einen ziemlichen Unterschied, ob man davon spricht, was "die Dystopie" eigentlich ist und ausmacht, oder ob man darüber redet, was derzeit am Markt als "Dystopie" gehandelt wird, welche Formen dystopischer Literatur bzw. dystopischer Elemente in Literatur im Augenblick geschrieben und wie sie rezipiert werden. Da würde ich mich dann Grey anschließen und feststellen, dass für die Entwicklung des Genres die strikte Definition der Wortbedeutung erst mal zweitrangig ist. Was aber umgekehrt nicht bedeutet, dass man die literaturwissenschaftliche Definition der "Dystopie" an jeden Schlenker und jede Genrevermischung des Marktes anpassen muss. Der Markt geht seinen Weg, und im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte wird das Verständnis von "der Dystopie" die Summe dieser Bewegungen irgendwie aufgreifen. Aber bis es soweit ist, und wohl auch noch dann, gibt es durchaus ein Verständnis von "der Dystopie" als solcher, das unabhängig und neben der praktischen Ausprägung dystopischer Romane als "Ideal" existiert und an dem sich die praktischen Werke gemessen werden können.

Sven


Zitat von: Lomax"Der Unterschied zwischen Schule und Wissenschaft ist der, dass ein Lehrer immer jeden Stoff auf eine eindeutige, abprüfbare Antwort reduzieren muss - egal wie falsch sie ist.

Lehrer, die nach diesem Prinzip unterrichtet haben, habe ich gehasst. Die Welt ist nicht schwarz und weiß. Wenn man eine so vereinfachte Theorie vorgesetzt bekommt, verliert man den Blick auf die Realität. Dann werden diese Theorien/Regeln zur Maxime. Gerade Schreibforen sind voll davon. Natürlich erleichtern sie dem Anfänger die ersten Schritte, aber es ist so wie Lomax sagt:

ZitatUnd ganz nebenbei denke ich auch, dass Bücher besser werden, wenn Autoren intern mit einem komplexen, uneindeutigen Weltbild arbeiten und leben können und in jeder Phase ihrer Erkenntnisbildung mehr Angst vor falschen Wahrheiten zeigen als die Bereitschaft, zugunsten eindeutiger Antworten auch mal Kompromisse einzugehen. Von mir gibt's da also keine große Bereitschaft, in Diskussionen Krücken für "Schreibneulinge" zu verteilen, weil ich nicht glaube, dass Krücken eine gute Lauflernhilfe sind. ;)

Jetzt kommt der Ruhrpott ein wenig raus: Will man Laufen lernen,  muss man auf die Schnauze fallen. Die heruntergebrochenen Theorien können zur Orientierung dienen, aber wenn sie als Krücke fungieren, verlässt man sich schnell auf sie und lernt nie richtig Laufen.

Beste Grüße,
Sven

Schommes

Zitat von: Churke am 30. April 2011, 00:27:00
M.E. ist das Design einer Dystopie nichts anderes als stinknormaler Weltenbau. Man benutzt nur anderes Handwerkszeug.
Das mit dem Plot zu verzahnen ist dann die eigentliche Arbeit.
Interessante Ansicht. Ich persönliche betreibe Plot- und Weltenbau in einem Zug. Wüsste also nicht, wie ich das sinnvoll aufspleißen sollte. Aber narrativer Aufbau ist natürlich eine höchst individuelle Angelegenheit.
Zitat von: Erdbeere am 30. April 2011, 08:10:02
Basismerkmale schön und gut, aber ich befürchte, dass mit dem Genre der Dystopie das gleiche geschieht wie mit dem der Vampire. Das wird nun gross auf den Markt geschwemmt, es kommen Jugendbücher und Romanzen hinzu und voilà, alles scheint ein Abklatsch.
Ich habe da ehrlich gesagt keine Lust, zehnmal das gleiche zu lesen. Bei Fantasy lege ich ein Buch enttäuscht weg, wenn ich merke, dass ich das so ähnlich schon einmal gelesen habe.
Für mich macht immer noch der gekonnte Mix die Würze aus.  :vibes:
Ich verstehe nicht, was Du mir damit sagen willst. Eine Grundstruktur als Ausgangspunkt (und wohl gemerkt nur als Ausgangspunkt) führt zu Beliebigkeit und Seichtheit? Warum? Es geht doch nur um ein grobes Webmuster, dass dann Variation, Abweichung, Genremix und so weiter ermöglicht.
Zitat von: Lomax am 30. April 2011, 11:59:23
Da muss ich doch noch einhaken - erinnert mich dieser Einwand doch sehr an ein Zitat aus meinem Studium. Dieser Professor sprach damals zwar über die Besonderheiten der Schulgrammatik, aber ich fand den Satz auch sonst sehr bedenkenswert: "Der Unterschied zwischen Schule und Wissenschaft ist der, dass ein Lehrer immer jeden Stoff auf eine eindeutige, abprüfbare Antwort reduzieren muss - egal wie falsch sie ist. Aber wenn man aus der Schule heraus ist, kann man auch akzeptieren, dass es auf manche Frage keine eindeutigen Antworten gibt und auch mal mehrere Wahrheiten gleichwertig nebeneinander existieren."
Ich bin selbst Professor und finde das, was der Herr Kollege da von sich gegeben hat, ziemlich hochnäsig den Lehrern gegenüber. Jede pädagogisch ausgerichtete Darstellung eines Theoriengebäudes muss notwendigerweise vergröbern (wobei die Theorie denknotwendig immer schon selbst eine Vergröberung der Realität beinhaltet). Das gilt für Schule wie Hochschule. Und bevor man die Komplexität der Dinge akzeptieren kann, muss man erst einmal ihr grobes Wesen begreifen.
Zitat von: Lomax am 30. April 2011, 11:59:23
  Da ich schreiben prinzipiell für einen akademischen Beruf halte, würde ich mich da der Lehrersicht auch nicht anschließen wollen - auch wenn es sich angenehm anfühlen würde  für manchen Schreibschüler, eine algorithmisch ermittelbare Wahrheit über Dystopien zu hören, egal wie viele Aspekte, Entwicklungslinien und mögliche Widersprüche dafür ausgeklammert werden müssen. Mit all dem muss man sich m.E. nach auseinandersetzen und damit leben, dass man selbst seinen Weg dazwischen finden muss, wenn man Bücher schreiben will ;). Insofern sehe ich da also keinen Grund, warum man die literaturwissenschaftliche Definition herunterbrechen müsste - oder nicht deine und andere Definitionen einfach daneben stehen lassen kann und jeweils die Vorteile, Nachteile und Lücken der Ansätze diskutieren. Und zwar ohne sie auf ein Niveau und einheitliche Form zwecks Vergleichbarkeit zurechtzustutzen und am Ende "die eindeutig beste und einzig richtige" zu bestimmen - egal wie falsch sie ist. ;)
Das Professoren sich über Lehrer lustig machen finde ich auch deswegen bemerkenswert, weil die Lehrer im Gegensatz zu den Professoren Pädagogik gelernt haben. Daher weiß ein Lehrer, dass er seinen Schülern ein komplexes Theoriengebäude nicht einfach hinknallen kann, nach dem Motto ,,Friss oder stirb!", sondern, dass er dem Schüler geistige Schubladen sprich Ordnungskriterien vermitteln muss, in die er die Komplexität der Welt einordnen kann, damit der Schüler dann sein eigenes Koordinatensystem ausbilden kann. So läuft das schon seit Sokrates. Leider scheitern viele meiner Kollegen an dieser Aufgabe, weil sie sich ausschließlich als Wissenschaftler begreifen und ihre Studenten mit einem gewissen Dünkel betrachten. Ich persönlich finde das überaus unsympathisch.
Nochmal: Mir geht es nicht um das Finden der einzig wahren Dystopietheorie, sondern einen praktischen Ansatz, der es ermöglicht einen ersten Zugriff auf das Thema zu bekommen. So lernt und arbeitet jeder Künstler (Musiker, Maler). Erst paukt er das Handwerk und wenn er sich freigeschwommen hat, kann er Kunst entfalten. Literarisches Schreiben ist nämlich keinesfalls eine akademische Disziplin, sondern ein künstlerisch schaffendes Handwerk. Oder platt gesagt: Bevor Schumi Formel Einsen gewinnen konnte, musste er erst Mal Autofahren lernen.
Zitat von: Lomax am 30. April 2011, 11:59:23
Das Problem mit Theorien, die auf praktische Ansätze reduziert werden, ist halt, dass sie meist eher Glaubenssätze und Lebenshilfe sind als echte Erkenntnisse. Man hält sich daran fest, fühlt sich sicher und geborgen und ignoriert so gut wie möglich alles, was nicht reinpasst - und das hilft in der Praxis tatsächlich oft weiter. Aber nicht, weil die praktische Anleitung gut wäre, sondern weil man damit einfach schneller und entschiedener etwas tut als manch anderer, der sich lange in widersprüchlichen Therien verfängt, sich verunsichern lässt und nicht vorankommt.
  Ich persönlich mag es allerdings lieber, sich das Wissen um die Komplexität und Uneindeutigkeit der Welt zu erhalten, und zumindest in theoretischen Diskussionen nicht auf einen "praxisorientierten" Konsens hinzuarbeiten, der letztendlich nur dazu dient, Widersprüche auszuklammern und sich gegenseitig zu bestätigen, dass man alles richtig macht und richtig machen kann. Darum kriege ich auch eher Bauchschmerzen, wenn Definitionen als "praktische Ansätze" anstatt von wissenschaftlich korrekten und empirischen Theorien entwickelt werden.
Mit Verlaub: Aber das ist jetzt extrem unhöflich. Du unterstellst mir, ich würde einen praktischen Ansatz entwickeln, um Widersprüche auszuklammern und Scheinbestätigung zu erlangen. Und den letzten Satz verstehe ich gleich gar nicht. Erstens gibt es schon mal garkeine ,,empirische Theorie", sondern höchstens eine Theorie, die durch Empirie bewiesen wird. Außerdem gilt die Literaturwissenschaft gerade als eine nicht-empirische. Wäre sie eine empirische, würde das eher wieder mir Recht geben, weil das nämlich bedeuten würde, dass man den Erfolg literaturtheoretischer Ansätze durch Experimente und/oder Feldbetrachtung beweisen könnte. Experimente setzen aber standardisierte Versuchsaufbauten und damit wieder praxisbezogene Konzepte voraus, die man experimentell auswerten kann. Außerdem ist der Sinn jeder Theorie doch gerade die Gewinnung von Erkenntnissen zur Anwendung in der Praxis. Ich stütze mich auf die literaturwissenschaftlich vieldiskutierte und vielfach praxiserprobte Theorie des Monomythos von Campbell. Ich versuche, diese auf die Dystopie anzuwenden und daraus praktische Erkenntnisse zu gewinnen, die helfen könnten, einen Roman zu entwerfen.  Ich habe bereits an früherer Stelle und mehrfach gesagt, dass ich keinesfalls einen Entwurf nach einem bestimmten Schema F propagieren will. Allerdings halte ich daran fest, dass ein guter Autor narrative Grundstrukturen kennen und verinnerlichen muss, sei es um sich daran zu halten, oder sei es, um zum Vorteil der Geschichte davon abzuweichen.
Zitat von: Lomax am 30. April 2011, 11:59:23
Und ganz nebenbei denke ich auch, dass Bücher besser werden, wenn Autoren intern mit einem komplexen, uneindeutigen Weltbild arbeiten und leben können und in jeder Phase ihrer Erkenntnisbildung mehr Angst vor falschen Wahrheiten zeigen als die Bereitschaft, zugunsten eindeutiger Antworten auch mal Kompromisse einzugehen. Von mir gibt's da also keine große Bereitschaft, in Diskussionen Krücken für "Schreibneulinge" zu verteilen, weil ich nicht glaube, dass Krücken eine gute Lauflernhilfe sind. ;)
So. Jetzt wird mir auch noch eine simple Weltsicht und das Anhängen an falsche Wahrheiten unterstellt. Merci. Und Übrigens ... solche Unterstellungen werden auch nicht dadurch besser, dass man ans Ende einen Smiley setzt. Und überhaupt ... Krücken??? Wer redet hier von Krücken? Ich rede verdammt noch mal von gesundem, geländegängigem Schuhwerk.
Zitat von: Lomax am 30. April 2011, 11:59:23
  Und die Praxis sorgt ohnehin für sich selbst. Die Details und die Reichweiten von Genrekonventionen ändern sich schnell, und die konkreten Bücher bewegen sich da recht flexibel zwischen den Grenzen literaturwissenschaftlicher Theorien. Es macht also einen ziemlichen Unterschied, ob man davon spricht, was "die Dystopie" eigentlich ist und ausmacht, oder ob man darüber redet, was derzeit am Markt als "Dystopie" gehandelt wird, welche Formen dystopischer Literatur bzw. dystopischer Elemente in Literatur im Augenblick geschrieben und wie sie rezipiert werden.
Was heißt denn ,,was die Dystopie eigentlich ist"? Es gibt die idealtypische Dystopiedefinition oder –theorie oder wie Du das auch immer nennen willst einfach nicht. Es gibt lediglich verschiedene Perspektiven auf die Dystopie: Die literaturtheoretische, die bereits geschriebene Dystopien beschreiben und ihre Wurzeln erkennbar machen will. Die marketingtechnische, die ein für die Leser erkennbares Format schaffen will. Die schreibtechnische, die Anleitung zur Herstellung einer gelungenen Dystopie geben will etc. pp. Das sind notwendigerweise alles unterschiedliche Ansätze von denen keiner richtig oder falsch oder alleinseligmachend ist.
Zitat von: Lomax am 30. April 2011, 11:59:23
Da würde ich mich dann Grey anschließen und feststellen, dass für die Entwicklung des Genres die strikte Definition der Wortbedeutung erst mal zweitrangig ist. Was aber umgekehrt nicht bedeutet, dass man die literaturwissenschaftliche Definition der "Dystopie" an jeden Schlenker und jede Genrevermischung des Marktes anpassen muss.
Habe ich je behauptet, dass ich das will?
Zitat von: Lomax am 30. April 2011, 11:59:23
Der Markt geht seinen Weg, und im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte wird das Verständnis von "der Dystopie" die Summe dieser Bewegungen irgendwie aufgreifen. Aber bis es soweit ist, und wohl auch noch dann, gibt es durchaus ein Verständnis von "der Dystopie" als solcher, das unabhängig und neben der praktischen Ausprägung dystopischer Romane als "Ideal" existiert und an dem sich die praktischen Werke gemessen werden können.
Aha, das dürfte dann wohl das Deinige sein. Hast Du jetzt ex cathedra gesprochen? Egal ... ich werf Dir einfach mal von hier aus eine Tiara zu.
Zitat von: Sven am 30. April 2011, 12:38:00
Lehrer, die nach diesem Prinzip unterrichtet haben, habe ich gehasst. Die Welt ist nicht schwarz und weiß.
Danke. Da wär ich jetzt von selbst nicht drauf gekommen.
Zitat von: Sven am 30. April 2011, 12:38:00
Wenn man eine so vereinfachte Theorie vorgesetzt bekommt, verliert man den Blick auf die Realität.
Die Vereinfachung ist ein Wesensmerkmal der Theorie an sich. Bitte nachschlagen.
Zitat von: Sven am 30. April 2011, 12:38:00
Dann werden diese Theorien/Regeln zur Maxime.
Wie jetzt? Im kant'schen Sinne? Meinst Du nicht vielleicht doch eher Dogma?
Zitat von: Sven am 30. April 2011, 12:38:00
Natürlich erleichtern sie dem Anfänger die ersten Schritte
Sieh an, sieh an.
Zitat von: Sven am 30. April 2011, 12:38:00
aber es ist so wie Lomax sagt:
Jetzt kommt der Ruhrpott ein wenig raus: Will man Laufen lernen,  muss man auf die Schnauze fallen.
Wir Niedersachsen versuchen, das ,,Auf-die-Schnauze-fallen" durch gesunden Einsatz praxiserprobter Prinzipien weitgehend zu minimieren. Hat sich für uns bewährt.
Zitat von: Sven am 30. April 2011, 12:38:00
Die heruntergebrochenen Theorien können zur Orientierung dienen, aber wenn sie als Krücke fungieren, verlässt man sich schnell auf sie und lernt nie richtig Laufen.
Theorien als Krücken (was immer heruntergebrochen in diesem Zusammenhang bedeuten soll)? Perfekt ... Dreitausend Jahre menschliche Wissenschaftsgeschichte in einem Federstrich für obsolet erklärt. Chapeau, Schätzchen. Das macht Dir so leicht keiner nach.
So und ich habe jetzt ehrlich die Schnauze voll, mich hier für den Versuch eines praktischen Ansatzes, wie unzulänglich er auch immer sein mag, prügeln zu lassen. Ihr könnt dann gerne ohne mich weiter germanistenkongresstaugliche Theoriegebäude stricken, Dystopien dutzendweise aus dem krückenlosen Ärmel schütteln oder totale Freestylegenremixcrossoverallegrenzenüberschreitende Meisterwerke schreiben. Ohne mich!
Zong *IneinerblaurotgrünenStaubwolkeverschwind*

Lavendel

Zitat von: Schommes am 01. Mai 2011, 04:04:56
Ihr könnt dann gerne ohne mich weiter germanistenkongresstaugliche Theoriegebäude stricken, Dystopien dutzendweise aus dem krückenlosen Ärmel schütteln oder totale Freestylegenremixcrossoverallegrenzenüberschreitende Meisterwerke schreiben. Ohne mich!
Zong *IneinerblaurotgrünenStaubwolkeverschwind*

Och nö, das fänd ich jetzt schade! :embarassed: Ich finde, dass der Thread eine total gute Idee war. Irgendwie ist er offensichtlich von Anfang an in eine falsche Richtung gelaufen und irgendwie reden wir offensichtlich alle links und rechts aneinander vorbei,  und zwar teils sehr weit. Schon dass Schommes sich jetzt persönlichen angegriffen fühlen muss, ist ja eindeutiger Beweis dafür, und diese Entwicklung gefällt mir ehrlichgesagt gar nicht.
Ich glaube, wir haben den Ansatz alle missverstanden. Mich jedenfalls hat das Eröffnungspost schon irritiert. Ich sehe jetzt schon den didaktischen Ansatz hinter der Aufforderung, kurze Zusammenfassungen zu schreiben, aber Threads mit Aufgabenstellungen sind wir hier auch einfach nicht gewöhnt. Allerdings, und das sollten sich alle anderen Mal überlegen, ist es auch hart, wenn man als Forenneuling Engagement zeigt und so gegen Wände rennt. Und ein paar Leute hier haben auch rennen lassen, das möchte ich auch mal gesagt haben.

@Schommes: Ich fände es echt gut, wenn wir diese Diskussion noch mal 'von Null' beginnen könnten, also wenn du es auf dich nehmen würdest, einen zweiten Thread zu starten (diesmal vielleicht ohne Startaufgabe?), in dem wir dann beim Thema bleiben und es konstruktiv gemeinsam diskutieren, anstatt 'gegeneinander'. Wir könnten dann diesen Thread schließen, uns alle mal an die Nase fassen und unser Verhalten reflektieren und neu anfangen. Wenn du nicht möchtest, respektiere ich das natürlich, aber ich erkenne hier langsam kaum das Forum wieder.

[EDIT] Ah, sorry. Habe jetzt grade erst Sorellas Thread gesehen ...

gbwolf

Oder - in Anbetracht von Sorellas Handwerksthread - wir starten nur das "Spiel" neu ohne jede Diskussion im Thread. Den Ansatz aus bekannten Dystopien abzuleiten, was einem daran denn gefallen hat und wo die Gemeinsamkeiten dieser Geschichten liegen, finde ich nämlich gut. Also erstmal nur zu sammeln und dann, wenn man einen Überblick hat, zu diskutieren.

Schreinhüter

Ich denke, als unabhängiger und wenig in die Diskussion involvierter, Beobachter, dass der grundlegende Knackpunkt des Verlaufs in diesem Thread das gegeneinander aufwiegelnde Niveau war. Lavendel, Lomax und Schommes haben das Thema bereits lange hinter sich gelassen und debattieren mit großer Geistesschärfe einen Themenkomplex aus, der sich schon in gewissen Bereichen in Unschärfen auflöst - da von uns als nicht-Literaturwissenschaftler, als nicht-Wissenschaftsgeschichts-Kenner die Instrumente der Erkenntnis mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ein wenig fehlen. Ich denke die Signale, die Schommes mit seiner Art zu Schreiben ausgesandt hat waren ein gewisser Reiz, ein Jucken in den Fingern durchaus ebenfalls den Denkkasten einmal einen Gang höher zu schalten. Eine gute Sache, an sich, doch das Forum hat sicherlich so seine Limits, was manche Dialoge anbelangt. Chapeau dennoch an die vielen guten Ideen  :)

Lomax

Zitat von: Schommes am 01. Mai 2011, 04:04:56Du unterstellst mir, ich würde einen praktischen Ansatz entwickeln, um Widersprüche auszuklammern und Scheinbestätigung zu erlangen.
Zunächst einmal "unterstelle" ich gar nichts - mein Beitrag war rein zur Sache gemeint, nicht zur Person. Ausgangspunkt war, dass ich an der Stelle, wo du nach einer "Positivdefinition der der literarischen Dystopie" gefragt hattest, nicht mehr wusste, was du eigentlich willst - denn nach meinem Empfinden waren solche Definitionen mit unterschiedlichem Anspruch und unterschiedlichem Gültigkeitsbereich vorher schon gegeben worden, genau wie allgemeine Merkmale der Dystopie, die zwar nicht im Rahmen einer Gesamtdefinition gesetzt wurden, die aber sehr wohl auch ohne einen solchen auskommen und Gültigkeit besitzen.
  Dein Zitat vom "Lehrer" habe ich nur deswegen aufgegriffen, weil ich an der Stelle einfach den Ansatz gesehen habe, von dem aus ich auch wieder verstehen konnte, worauf du hinauswillst und warum du das so argumentierst, wie du es getan hast - und meine Antwort war vor allem dazu da, um zu zeigen, warum ich den Weg nicht mitgehe. Und um zu zeigen, dass man den Weg auch nicht mitgehen muss und dass diese praxisorientierte Reduktion nicht notwendigerweise der einzige oder auch nur beste Ansatz ist, sich einem literaturwissenschaftlichen Begriff anzunähern.
  Es ist halt eine Methode mit ihren eigenen Vor- und Nachteilen, ihrem Nutzen und auch notwendigerweise ihren Mängeln und einer beschränkten Reichweite, derer man sich auch bewusst sein sollte.
  Das war zunächst einmal alles. Ich habe Aussagen zu dem Ansatz und zu möglichen anderen Ansätzen gemacht - was du persönlich damit verfolgst, was davon hältst, warum du diese Ansätze vertrittst, will ich weder "unterstellen" noch bewerten. Nur feststellen, dass ich anderswo stehe, und warum. ;)
Zitat von: Schommes am 01. Mai 2011, 04:04:56
Jede pädagogisch ausgerichtete Darstellung eines Theoriengebäudes muss notwendigerweise vergröbern (wobei die Theorie denknotwendig immer schon selbst eine Vergröberung der Realität beinhaltet). Das gilt für Schule wie Hochschule. Und bevor man die Komplexität der Dinge akzeptieren kann, muss man erst einmal ihr grobes Wesen begreifen. Das Professoren sich über Lehrer lustig machen finde ich auch deswegen bemerkenswert, weil die Lehrer im Gegensatz zu den Professoren Pädagogik gelernt haben. Daher weiß ein Lehrer, dass er seinen Schülern ein komplexes Theoriengebäude nicht einfach hinknallen kann, nach dem Motto ,,Friss oder stirb!", sondern, dass er dem Schüler geistige Schubladen sprich Ordnungskriterien vermitteln muss, in die er die Komplexität der Welt einordnen kann, damit der Schüler dann sein eigenes Koordinatensystem ausbilden kann.
Nun ja, da ich ja auch auf Lehramt studiert und unterrichtet habe, kann ich das durchaus einordnen. Ich kenne den Wert der pädagogischen Reduktion und finde es gerade deswegen wichtig, dass man sich auf jeder Stufe der Vergröberung der Lücken in der Theorie bewusst ist und sie auch deutlich macht. Das steht der Erkenntnisgewinnung nicht im Weg, sondern allenfalls tatsächlich dem Sicherheitsgefühl des Lernenden, der halt sehr gerne die Überzeugung vermittelt bekommt, dass er die "Wahrheit" lernt. Da täte es m.E. nach dem schulischen Alltag auch gut, wenn da die Lehrer ein wenig deutlicher machen würden, dass sie vergröbern und dass praxisorientierte Ansätze nur für manche Aufgaben funktionieren müssen, aber nicht unbedingt immer die richtige Antwort liefern.
  Ich hätte jedenfalls so manches schon auf der Schule lernen können und nicht erst auf der Uni, wenn Lehrer offener über die Lücken in den vermittelten System reden würden und ein wenig wissenschaftlicher umgegangen wären mit Beispielen, die nicht zu den unterrichteten Theorien passen. Aber das ist nun wirklich OT, erklärt aber vielleicht ein wenig die Emotionalität, mit der ich inzwischen Vereinfachungen ablehne.
  "Vergröberungen" sind meiner Ansicht nach zwar mitunter notwendig, aus Gründen der Praxistauglichkeit oder der Vermittlung, aber wenn man sie verwendet, muss man darauf achten, jedesmal deutlich darauf hinzuweisen, mögliche daraus resultierende Einschränkungen betonen und flexibel die Modelle wechseln, wenn man im Rahmen einer vergröbernden Theorie auf Fälle stößt, für die sie nicht anwendbar ist.
  Und gar nichts verloren haben praxisorientierte Vereinfachungen meiner Ansicht nach in Theoriediskussionen, die nicht der "schulischen" Wissensvermittlung dienen. Würde ich hier "Lehrer" sein wollen, könnte ich damit leben - aber warum Vereinfachungen suchen in einer auf Erkenntnisfindung gerichteten Diskussion mit Fachkollegen auf gleichem Niveau? Was also pädagogisch sinnvoll sein kann zur ersten Kategorienbildung bei Anfängern, kann auch zu einer voreiligen Konsensfindung auf kleinerem gemeinsamen Nenner führen, wenn man es außerhalb der schulischen Situation betreibt. Das wollte ich hier vermeiden und mich darum auch nicht an der Zuspitzung des Themas auf eine einfache, praxisorientierte Definition beteiligen. Ich finde, wie gesagt, schon an den vorangegangen literaturwissenschaftlichen Definitionen nichts zu vermissen.
Zitat von: Schommes am 01. Mai 2011, 04:04:56Erstens gibt es schon mal garkeine ,,empirische Theorie", sondern höchstens eine Theorie, die durch Empirie bewiesen wird. Außerdem gilt die Literaturwissenschaft gerade als eine nicht-empirische. Wäre sie eine empirische, würde das eher wieder mir Recht geben, weil das nämlich bedeuten würde, dass man den Erfolg literaturtheoretischer Ansätze durch Experimente und/oder Feldbetrachtung beweisen könnte.
Nichts anderes wollte ich auch gesagt haben. Ich denke durchaus, die "Prognosetauglichkeit" als Schwelle zur Bestätigung einer Theorie kann man auch von gewissen literaturwissenschaftlichen Aussagen verlangen. Was hier über Dystopien gesagt wird, sollte sich halt auch an real existierenden Dystopien beobachten lassen und auch real im Gebrauch befindlichen Genreeinteilungen wie auch Definitionen gerecht werden. Wenn dieser Teil meiner Aussage deinen Ansichten Recht gibt, müssen wir uns darüber ja nicht streiten. Wie gesagt, ich habe meine Ausführungen ja nicht geschrieben, um zwanghaft zu dir im Widerspruch zu stehen. ;)
  Ich freue mich sogar über jeden, der das genauso sieht, denn in der Literaturwissenschaft gibt es leider, meiner Ansicht nach, zu viele Leute, die, wären sie Astronomen geworden und hätten beobachtet, dass der Jupiter nicht auf der von ihnen berechneten Bahn zu finden ist, nicht den Schluss daraus gezogen hätten, dass ihre Modelle zur Bahnberechnung falsch sind, sondern dass der Jupiter sich falsch bewegt :snicker:. Ich ziehe deskriptive Theorien normativen vor, so habe ich den Begriff "Empirie" verstanden. Und das auch nur als allgemeine Feststellung, und nicht als Widerspruch und Unterstellung, dass du da etwas anderes gesagt hättest - eher als Warnung, das nicht aus dem Auge zu verlieren, wenn man praxisorientierte Ansätze sucht, denn leider entgleisen viele schreibtheoretische "Gebrauchsanweisungen" in die normative Richtung und versuchen, erfolgreiche Bücher als "Unfälle" zu deklarieren anstatt sie als "Vorbilder" oder "Gegenbeispiele" zu akzeptieren.
Zitat von: Schommes am 01. Mai 2011, 04:04:56So und ich habe jetzt ehrlich die Schnauze voll, mich hier für den Versuch eines praktischen Ansatzes, wie unzulänglich er auch immer sein mag, prügeln zu lassen.
Wie gesagt, ich prügele niemanden. Ich habe nur erklärt, warum ich mich an einem Strang der Diskussion nicht beteilige, warum ich andere, dadurch abgeschnittene Äußerungen für ebenso zielführend halte ... und warum ich möglicherweise im weiteren Verlauf bei gewissen Dingen einhake, auch wenn ich zu anderen nichts sage. Ich hielt so eine Erklärung prinzipiell für höflicher, als nur scheinbar erratische Anmerkungen einzubringen ohne die grundsätzliche Position deutlich zu machen.

Zitat von: Schommes am 01. Mai 2011, 04:04:56... und finde das, was der Herr Kollege da von sich gegeben hat, ziemlich hochnäsig den Lehrern gegenüber.
Dazu muss man fairerweise den Kontext erklären, nämlich dass wir zuvor in zwei Sitzungen die komplette Schulgrammatik durchgegangen sind und danach in einer Sitzung festgestellt hatten, was daran alles nicht stimmt. Da tauchen dann natürlich auch Fragen auf, warum das mitsamt dieser offensichtlichen Fehler und Mängel trotzdem so unterrichtet wurde (und wohl auch noch wird). Und da gibt es m.E. nach keine Entschuldigung, warum die Grenzen und auch die inneren Widersprüche der Schulgrammatik in der Schule nicht zumindest angesprochen werden, wenn sich konkrete Ansätze dafür ergeben. Und ich denke durchaus, dass der Professor da ein Grundproblem schulischen Lernens angesprochen hat, das nicht nur für den Grammatikunterricht gilt, sondern sich auch auf andere Bereiche des schulischen Alltags übertragen lässt. Nicht auf jeden Fall von Vereinfachung, und sicher nicht auf jeden Lehrer gleichermaßen - ich habe da solche und solche Lehrer erlebt, die unterschiedlich umzugehen wussten mit komplexen Sachverhalten.
  Aber dass der Umgang nicht nur gelegentlich, sondern durchaus häufig suboptimal und verbesserungsfähig ist, dafür fand ich durchaus auch eine Menge Belege in den empirischen Untersuchungen, die ich im Rahmen meiner Examensvorbereitung für pädagogische Psychologie bzw. Evalutation und Prüfungsverfahren gelesen habe. Ich sehe meine Haltung zu diesem Thema also durchaus auf dem Boden des derzeitigen Stands der pädagogischen Forschung verortet ... oder zumindest auf dem Stand von Mitte der 90er, weil die letzte Fachpublikation zu dem Thema, die ich berücksichtigt habe, von 1998 stammt, wenn ich mich recht erinnere. ;) Und da klang das Zitat dann auch weniger arrogant, sondern wie eine ironische Zuspitzung mit wahrem und bedenkenswertem Kern.

Spinnenkind

Halli hallo,

@Lomax: Natürlich gibt es kein praktisches Nonplusultra-Schema, mit dem man arbeiten soll, um eine Dystopie zu schreiben, und man soll sich den Horizont immer offenhalten. Aber irgendwann muss man ja anfangen, die Sache thematisch einzugrenzen, oder willst du ein Buch über den kompletten Horizont dystopischer Möglichkeiten schreiben? Nein. (Denke ich mal). Und eben zu dieser Eingrenzung kann die Analyse bereits existierender Werke sehr aufschlussreich sein. Bevor man eingrenzt, muss man aber natürlich inhaltlich uneingeschränkt denken, da stimme ich dir zu.

habe den Thread jetzt eine Weile mitgelesen und wollte einmal ausdrücken, dass ich es auch sehr schade finde, wohin er letztendlich verlaufen ist. Ich studiere zwar Germanistik, habe mich aber nach einer Weile schon gar nicht mehr getraut, irgendetwas hineinzuschreiben, weil ein paar Leute, die hier etwas Kürzeres und vielleicht nicht komplett Wissenschaftliches geschrieben hatten, etwas unsanft vor den Kopf gestoßen wurden, wie ich finde.

Ich schließe mich Schreinhüter an: Schommes und Lomax sind mit ihrer Diskussion schon an allen anderen vorbeigezogen. Meiner Beobachtung nach wollte Schommes weder totale Richtigkeitsansprüche für irgendwelche praktischen Ansätze erheben, noch wollte Lomax jemandem etwas vorwerfen.

Zudem war das Problem im Thread, dass das eigentliche Thema niemals aufgegriffen wurde. So wie ich das verstanden habe, wollte Schommes das Ganze mit den Lieblingsdystopien der Mitglieder einleiten und somit zu einer Diskussion über die vielfältigen Realisierungsmöglichkeiten dieses Genres übergehen. Dazu ist es nie gekommen. Der Thread ist zu einer Endlosdiskussion aufgeufert, darüber, was eine Dystopie ausmacht und schließlich, ob man solche "praktischen Ansätze" überhaupt braucht. So gesehen ist Lomax einfach an der falschen Stelle in die Diskussion eingestiegen.

Es wäre doch schade, den Thread zu schließen, weil er etwas anderes behandelt als Sorellas Thread, zudem noch ein sehr interessantes Thema. Daher finde ich Lavendels Idee super, einfach nochmal von vorne zu beginnen.

Deswegen mache ich das jetzt mal.

Meine Lieblingsdystopie ist "Lord of the Flies" von William Golding.

Bevor hier jetzt Beschwerden aufkommen: Ja, es ist keine Zukunftsvision. Es ist ein Gedankenexperiment und enthält durchaus dystopische Züge. Es geht zwar augenscheinlich um Kinder, doch da Golding sehr viel mit Symbolik arbeitet, kann man die Handlung als dystopischen Werdegang einer Gesellschaft bezeichnen.

Eine Gruppe von Kindern landet nach einem Flugzeugunglück auf einer kleinen Insel und muss irgendwie überleben. Zu diesem Zweck versuchen sie, ein Gesellschaftssystem aufzubauen. Dabei kommen aber vor allem die tierischen Triebe des Menschen immer mehr zum Vorschein, wie Gewaltbereitschaft und Ausgrenzung von körperlich schwächeren Personen. Die Furcht vor einem "Ungeheuer" auf der Insel geht um, doch am Ende wird klar, dass dieses Ungeheuer nirgends anders existiert als im Menschen selbst, und am Ende huldigt ihm die Gesellschaft der Kinder.

Ich persönliche liebe die unheimlich starke Symbolik in diesem Buch, die Einfachheit, mit der Golding komplexe Themen bildlich zu vermitteln weiß. Die Sprache ist außerdem sehr dicht und atmosphärisch. Ja, das sind die Gründe, warum ich das Buch mag. Dystopische Welten müssen für mich gut durchdacht sein, in anderen Apsekten lassen sie sich nicht beurteilen, wie ich finde - wir können schließlich nicht in die Zukunft sehen ;)

So. Ich bitte übrigens schonmal vorsorglich um Entschuldigung, sollte ich mich irgendwo in der Terminologie vergriffen oder etwas gar nicht richtig nachgeschlagen haben. Bin ja erst im zweiten Semester.



Sven

@ Schommes: Ich  habe ein bisschen das Gefühl, dass Du Dich persönlich angegriffen fühlst? Ich glaube, das hatte niemand beabsichtigt! Niemand wollte Dich prügeln. Die Aussagen, zumindest die von mir, waren eher allgemeiner Natur und nicht speziell auf Dich bezogen.
Mir ging es darum zu unterstreichen, dass eine Theorie als Orientierung funktioniert, aber in der Praxis, schnell an Bedeutung verliert. Ich arbeite in der Wissenschaft und habe von daher schon beruflich viel mit Theorien zu tun.  Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Theorien in der Praxis nicht funktionieren, eben weil sie auf ein Minimum reduziert wurden. Dafür gibt es in der Praxis viel zu viele Einflüsse.
Theorien funktionieren unter Optimalbedingungen, aber selten im "natürlichen Umfeld".


Zitat von: SchommesWie jetzt? Im kant'schen Sinne? Meinst Du nicht vielleicht doch eher Dogma?

Ich meine, dass man Gefahr läuft, eine einfache Theorie als "obersten persönlichen Grundsatz des Wollens und Handelns" umzufunktionieren, wie es in vielen Foren der Fall ist.

Zitat von: SchommesWir Niedersachsen versuchen, das ,,Auf-die-Schnauze-fallen" durch gesunden Einsatz praxiserprobter Prinzipien weitgehend zu minimieren. Hat sich für uns bewährt.

Jeder versucht das zu minimieren. Aber das Erste, was man im Kampfsport lernt, ist das Fallen. Das hat bestimmt einen Grund  ;)

Zitat von: SchommesTheorien als Krücken (was immer heruntergebrochen in diesem Zusammenhang bedeuten soll)? Perfekt ... Dreitausend Jahre menschliche Wissenschaftsgeschichte in einem Federstrich für obsolet erklärt. Chapeau, Schätzchen. Das macht Dir so leicht keiner nach.

Krücken im Sinne von "Gehhilfen". Eine Theorie, die einem beim Vorwärtskommen unterstützt. Ich dachte, das hätte ich klar gemacht?
Damit will ich sagen, dass man sich nicht auf die Theorie allein verlassen darf (s.o)


Ich hoffe, ich konnte das ein, oder andere gerade biegen. Niemand will Dir  etwas böses. Warum auch? Ich dachte, wir diskutieren nur!?

Was diesen Thread angeht, bin ich auch der Meinung, dass die Zielsetzung etwas aus den Augen verloren wurde und wir vielleicht neu ansetzen sollten.


Beste Grüße,
Sven

Lomax

Zitat von: Spinnenkind am 01. Mai 2011, 18:17:02@Lomax: Natürlich gibt es kein praktisches Nonplusultra-Schema, mit dem man arbeiten soll, um eine Dystopie zu schreiben, und man soll sich den Horizont immer offenhalten. Aber irgendwann muss man ja anfangen, die Sache thematisch einzugrenzen, oder willst du ein Buch über den kompletten Horizont dystopischer Möglichkeiten schreiben? Nein. (Denke ich mal). Und eben zu dieser Eingrenzung kann die Analyse bereits existierender Werke sehr aufschlussreich sein.
Kein Problem mit mir  ;). Weder, was die Notwendigkeit der Eingrenzung betrifft, noch zur Analyse bestehender Werke. Das einzige hier in dem Thread Gesagte, was mir tatsächlich gegen den Strich ging, war die Begrenzung der Diskussion auf geschlossene positive und praxisorientierte Komplettdefinitionen. Weil das erst mal alle theoretischen und vielleicht aufschlussreicheren und hier schon genannten Definitionen genauso ausgeschlossen hat wie solche Einwände, die nicht im Rahmen einer kompletten Neudefinition einherkommen.
  So ein "Wettstreit algorithmischer Theorien", auf den das hinausläuft, bei dem man am Ende die beste Formellösung auswählt, egal was an unabhängigen Argumenten dagegenspricht und egal wie sie im Vergleich zu literaturtheoretischen Ansätzen dasteht - das war mir dann doch ein bisschen zu viel "egal", und diese Forderung, nur "praktisch umsetzbare" "Positivdefinitionen der literarischen Dystopie" als Diskussionsbeiträge zu akzeptieren, das war mir eine zu starke Begrenzung schon in der Prämisse, um noch den Blick offen zu halten für das bestmögliche Ergebnis.

Herr der Fliegen ist übrigens ein interessantes Beispiel, das irgendwann in der Diskussion auch schon genannt wurde. Interessant darum, weil ich es eindeutig für eine Dystopie halten würde, obwohl es längst nicht alle typischen Elemente enthält. Auch nicht ganz im Sinne von Schommes Definition, weil ich beispielsweise nicht sehe, dass der Held darin die "negativen Seiten seiner Welt überwinden muss". Es wird ganz im Gegenteil einfach nur dargestellt, wie diese negativen Seiten zutage kommen und sich in einer "Gesellschaft" niederschlagen. Ich würde allerdings sagen, der Roman enthält einen sehr politischen Aussagekern, wenn auch eher in Bezug auf das Menschenbild und darüber, wie die "natürliche Disposition" des Menschen seine Gesellschaftsbildung beeinflusst.
  Ich denke also, dass man diesen Kern in der Definition der Dystopie nicht gering schätzen darf, weil gerade dieses Element im Alleingang fast schon ausreicht, um aus dem "Herrn der Fliegen" eine Dystopie zu machen, die tatsächlich mehr wie eine eindeutige Dystopie wirkt als beispielsweise "Die Straße".

Sven

@ Lomax: Die Frage ist dann auch: In wie weit müssen die "Dystopie-typischen" Elemente direkt aufgezeigt werden, damit es sich bei der Erzählung um eine Dystopie handelt und wieviel davon darf aus dem Text interpretiert werden.
In "Die Straße" zum Beispiel, sehen wir nur die Auswirkung einer wie auch immer gearteten Katastrophe. Die dort beleuchtete Gesellschaft ist lediglich der neuen Lebensbedingungen geschuldet und damit "natürlich gewachsen".
Ist es dennoch eine Dystopie?
In meinen Augen schon, denn es ist eine negativ geartete Zukunftsvision.
"Star Wars" hingegen, wäre noch einen guten Schritt von einer Dystopie weg. Zwar ist auch hier die Zukunftvision düster und überaus politisch, aber reicht für mich bei Weitem nicht aus.

So wie ich das sehe, ist die Grenze von nicht dystopisch zu dystopisch fließend. Aber gilt das nicht für alle Genre und Untergenre?
Beste Grüße,
Sven

Lomax

Was mich vor dem Hintergrund der vorangegangenen Diskussion eigentlich interessieren würde, ist die Frage, ob sich bei der dystopischen Literatur tatsächlich eine Entwicklung abzeichnet, aus der sich ableiten ließe, dass die Dystopie als publikumsorientiertes Genre sich derzeit tatsächlich von der Dystopie als literarischer Gattung fortentwickelt. Sprich: Gibt es überhaupt eine Empirie dafür, dass man eine mehr "praxisorientierte Definition" braucht, die von der literaturwissenschaftlichen abweicht? Muss man irgendwelche Punkte besonders berücksichtigen, sind andere Punkte vernachlässigbar im Vergleich zur klassischen Dystopie, wenn man heute Dystopien für den Markt schreiben möchte?

Ich persönlich kenne halt hauptsächlich die klassischen Dystopien und bin über die Wahrnehmung des gegenwärtigen Genremarktes auf dem Gebiet, wenn es da überhaupt einen geschlossenen Genremarkt explizit für "Dystopien" gibt, nicht so auf dem laufenden. Wenn ich es recht im Kopf habe, wurden bisher als moderne Dystopien nur Panem und die Straße genannt.
  Panem fügt sich tatsächlich noch recht gut in den klassischen Dystopiebegriff. Auch wenn Schommes den politischen Aspekt darin unterentwickelt findet - es gibt ja keine Regel, dass Dystopien vom politischen Ansatz her nicht eher dumm und naiv sein dürfen ;). Vorhanden ist dieser Ansatz jedenfalls, Panem dürfte derzeit die mit Abstand erfolgreichste Dystopie am Markt sein und mit Sicherheit ein Wegweiser dafür, wie publikumsorientierte Dystopien derzeit auszusehen haben - und es ist ein Beispiel, das keine nennenswerte Unterschiede zum klassischen Dystopiebegriff aufzeigt. Was es an Unterschieden gibt, lässt sich noch recht gut mit dem "Jugendbuch"-Anteil erklären, und von Panem ausgehend würde ich sagen, dass das Genre derzeit nicht gerade nach einer Neudefinition schreit.
  Ein etwas anderes Licht würde "Die Straße" auf die Sache werfen, ein Roman, der nach meinem Empfinden das literarische Genre "Dystopie" allenfalls knapp streift. Das würde ich als "Endzeit" eher einem komplett eigenen Subgenre zuordnen, einem Subgenre, das einige Berührungspunkte mit der Dystopie aufweist, aber weitestgehend nach eigenen Regeln funktioniert. Aber "Die Straße" ist halt auch nur ein Beispiel, und es verrät wenig über den Kontext: Was für Beispiele gibt es noch? Was für einen Rahmen spannen sie auf? Wie wird das Marktsegment, das sie bedienen, wahrgenommen? Als eigenes Genre, oder ist es für das Publikum von klassischer angelegten Dystopien wie "Panem" nicht zu unterscheiden? Wie erfolgreich sind diese Bücher, welche Werke mit welchen Schwerpunkten definieren im derzeitigen Publikumsbewusstsein das Marktsegment?
  Das sind eigentlich die Fragen, die interessant wären, um zu sehen, ob sich das Gesamtsegment der Dystopien tatsächlich derzeit weiter vom klassischen Dystopie-Begriff entfernt hat, als Panem vermuten lässt. Aber um diese Fragen zu beantworten, bräuchte man vor allem moderne Werke, deren aktuelle Rezeption in Bezug auf das Verständnis als "Dystopie" sich beobachten lässt.

Gibt es jemanden, dem dazu noch mehr einfällt als die bisher genannten Titel und der den Markt für moderne Dystopien mit geeigneten "Eck-Werken" abstecken kann? Ich denke mal, das wäre der geeignete Ansatz, um sich der Definitionsfrage anzunähern, aber da ich den modernen Markt da nicht beobachtet habe, fehlt mir selbst die Empirie dazu und ich könnte derzeit keine Antwort auf die Theorien-Frage geben. Vielleicht gibt's ja doch noch jemanden, der Werksbezogen eher up to date ist und aktuelle Titel nennen kann. ;)

Hoellenpfau

Weil hier ja alle auf die Dystopie-Schiene abfahren und ellenlange Beiträge reinschreiben habe ich keine Lust gehabt mich durch alle fnf Seiten zu kämpfen und stelle einfach mal eine Frage:

Müssen Dystopien eigentlich immer in (mehr oder weniger naher) Zukunft spielen oder können sie auch in unserer Zeit spielen, nur dass sich andere politische Systeme durchsetzten oder dass es andere politische Ereignisse gibt, die die Welt prägen, die es aber eben so nicht gibt.
Ist das dann auch schon eine Dystopie?