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Fantasyromane in der Ich-Perspektive?

Begonnen von Wollmütze, 09. März 2010, 16:10:29

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Jade

Ich finde es bewundernswert, wenn man sich daran versucht, etwas in der Ich-Perspektive zu schreiben. Einfach weil das etwas ist, von dem ich denke, dass es nicht so leicht ist.

Spontan wären mir als gute Beispiele für Romane, die in der Ich-Perspektive geschrieben sind "Die Tribute von Panem" und der Askir Zyklus von Richard Schwartz eingefallen, die wurden beide schon erwähnt und ich kann sie nur wärmstens empfehlen.

Ein anderes, sehr gut gelungenes Buch ist "Die Tochter der Wälder" von Juliet Marillier. Die Hauptperson erzählt mehr oder minder ihre märchenhafe Lebensgeschichte, und die Ich-Perspektive macht es überhaupt erst möglich, sie und ihre Hintergründe zu verstehen.

Alle Achtung an jene, die sich an die Ich-Perspektive wagen.

LG

Jade

Felsenkatze

High Fantasy, Ich-Perspektive, da fällt mir nach kurzem Nachsehen "Es kamen drei Damen im Abendrot " (zu englisch: "The Innkeeper's Song") von Peter S. Beagle ein. Sind sogar viele Ich-Perspektiven, etwa acht, würde ich sagen, jedes Kapitel eine andere Person.
Funktioniert sehr gut, zeigt sehr schön die charakterlichen Unterschiede. Und ist eh ein tolles Buch.  ;D

Grey

Und Peter S. Beagle ist eh ein toller Typ. ;)

FeeamPC

Yup, Beagle ist einer der wenigen Autoren, deren Bücher ich unbesehen kaufe.

Ich-Perspektive habe ich bislang nur einmal verwendet. Urban Fantasy. Paßte meiner Meining nach gut zum Thema und der Protagonentin. Hat auf jeden Fall Spaß gemacht, es zu schreiben.

Derexor

Urban Fantasy ist wie geschaffen für die Ich-Perspektive, da man dort nicht auf viele Erklärungen hinsichlich des Geländes bzw. der Umgebung angewiesen ist.
Ich selbst verwende die Perspektive nur bei Geschichten die von einer Person nacherzählt werden, das lasst meinem Protagonisten die Möglichkeit über sein eigenes Handeln kritisch zu urteilen.

Runaway

Zitat von: Jade am 02. Juni 2010, 20:16:48
Ich finde es bewundernswert, wenn man sich daran versucht, etwas in der Ich-Perspektive zu schreiben. Einfach weil das etwas ist, von dem ich denke, dass es nicht so leicht ist.

Alle Achtung an jene, die sich an die Ich-Perspektive wagen.

Jetzt bin ich aber neugierig :) Warum findest du die denn so schwer? Ich schreib schon seit Monaten aus der Ich-Perspektive und sehe vielleicht vor lauter Betriebsblindheit kein Problem. Ich find das eigentlich eine Perspektive wie jede andere, deshalb wär ich mal gespannt, auf welche Probleme man da treffen kann!

Lavendel

Die Ich-Perspektive ist ein bisschen schwieriger, weil man die Geschichte nur aus der Sicht einer einzigen Person beschreiben kann, was es wesentlich komplizierter macht, Spannung aufzubauen. Alles, was die bereffende Person nicht erlebt, kann man auch nicht schildern. Außerdem muss man ganz konsequent eine einzige Erzählstimme beibehalten, und man kommt leichter ins Schwadronieren. Beschreibende oder erklärende Passagen sind auch nicht immer ganz einfach zu lösen, weil es nie so wirken darf, als würde irgendetwas nur für den Leser beschrieben, denn dann fällt man schon aus der Figurensicht heraus. Da den Mittelweg zu finden, finde ich persönlich echt am schwersten.

Sprotte

Ich habe mich erstmals an der Ich-Perspektive für die Sagengestalten-Ausschreibung versucht.
Allgemein mag ich die meisten Ich-Erzähler nicht einmal lesen (die Kombi aus Dummheit, Tränenschleier und Wagemut ist oft mehr, als ich ertragen kann), aber die Geschichte verlangte danach, so schien es mir.
Es ist nur eine Kurzgeschichte, und da klappte meiner Meinung nach dieses Experiment sehr gut. Aber es war auch nur Urban-Fantasy, also eine vertraute Welt.

In einer echten Fantasywelt stelle ich es mir fast unmöglich vor, authentisch zu klingen, wenn man in dieser Perspektive z.B. Magie, Regierungsform oder Ständesystem beschreiben möchte, die dem Ich-Erzähler ja vertraut sind. Er würde es normalerweise niemals lang und breit erklären.
Da wäre Diskussionen, vielleicht sogar Streitgespräche über Sinn und Zweck und Nutzen der Gegebenheiten sinnvoll.

Runaway

Hm, die Gedanken habe ich mir gar nicht gemacht. Wenn man Gegebenheiten beschreiben will, kann man das ja machen, indem der Erzähler das gleich kommentiert. So hab ich das in meiner Geschichte gemacht - ich hab mir die ganze Zeit vorgestellt, meine Erzählerin würde das Ganze jemandem wiedergeben und habe dann zum Beispiel erzählt, wie es denn zur Entmachtung des Königs und zum Aufstieg des Tyrannen kam.
Ich hab nie daran gedacht, daß es nicht authentisch sein könnte, wenn ein Ich-Erzähler seine Welt jemandem nahebringt. Das habe ich auch beim Lesen nie so erlebt. Insofern war ich da wenig gehemmt :)

Ich fand eben nur den Wechsel sehr schwierig, denn vorher hab ich riesig gern multiperspektivisch geschrieben und mal von Person A und ihren Gefühlen erzählt und dann von Person B und dann von beiden... und immer wußte ich, was bei beiden los ist. Das kann ja ein Ich-Erzähler nur vermuten. Man ist wirklich eingeschränkter - es sei denn, man nimmt sich da auch Freiheiten heraus. Ich habe mich das erst nicht getraut, aber dann hat mir jemand von einem Buch erzählt mit einem Ich-Erzähler, wo es auch Passagen eines allwissenden Erzählers gibt, der das erzählt, was der andere nicht weiß.
Das ist lustig. Aktuell experimentiere ich absichtlich ein bißchen damit, weil ich zwei verschiedene Handlungsstränge habe. Beide gehören zusammen und es hat einen total guten Effekt, wenn der zweite den ersten des Ich-Erzählers ergänzt.

Also ich kann nur sagen: Traut euch. Da beißt nix  ;D

Sprotte

Zitatich hab mir die ganze Zeit vorgestellt, meine Erzählerin würde das Ganze jemandem wiedergeben und habe dann zum Beispiel erzählt, wie es denn zur Entmachtung des Königs und zum Aufstieg des Tyrannen kam.

Nur genau da liegt die Gefahr des Info-Dumpings. Schreibe ich einen Brief an eine inländische Brieffreundin, erkläre ich der ja auch nicht, warum es die Weimarer Republik nicht mehr gibt. Es kann aufgesetzt wirken.
Der Ich-Erzähler erzählt seine Geschichte und gibt keinen Geschichtsunterricht.
Deswegen würde ich eher auf Streitgespräche setzen, weil da z.B. ein Mensch ist, der den Gegebenheiten kritisch gegenübersteht und sich mit dem Ich-Erzähler oder einer dritten Person zankt.

Churke

Vielleicht ist man aus Angst vor "Infodump" zu zaghaft.
In "Alatriste" (keine Fantasy), der ja auch überwiegend in der Ich-Perspektive geschrieben ist, verfällt der Autor immer wieder in lange Beschreibungen und Analysen der spanischen Gesellschaft des Barock. Obwohl es teils etwas aufgesetzt klingt (und in der Analyse nicht immer richtig ist), lese ich diese Passagen sehr gerne.

Runaway

#41
Ich finde das auch nicht problematisch. Und ich sehe es so: Es ist doch eine Herausforderung, dem Leser das Ganze aus der Ich-Perspektive unterzukramen, ohne daß er es merkt und ohne daß es blöd aussieht.
Die Ich-Perspektive ist eine Herausforderung und das macht doch Spaß! Was wäre das Leben ohne Herausforderungen?  ;D

Sprotte

Das sehe ich doch genauso. Nur bin ich der Meinung, daß man einige Sachen nicht vom Ich-Erzähler berichten lassen sollte, sondern in anderer Form - z.B. Dialogen - einbringen sollte, um gerade die umfangreichen Hintergründe einer Fantasywelt nicht als Infoklotz dem Leser vor die Füße zu schmeißen.
Das meinte ich damit, daß der Ich-Erzähler eine Geschichte erzählt und keinen Geschichtsunterricht gibt.

Mein persönliches Unbehagen mit vielen Ich-Erzählerinnen beruht auf anderen Elementen: Hormonen und Blödheit, um es kraß auszudrücken. Beispiel? Kathy Reichs, die Tempe-Brennan-Bücher. Das tut teilweise wirklich weh, wie dämlich sich eine angeblich hochintelligente Frau anstellen und in Gefahr bringen kann.

Churke

Zitat von: Sprotte am 03. Juni 2010, 18:54:23
Das tut teilweise wirklich weh, wie dämlich sich eine angeblich hochintelligente Frau anstellen und in Gefahr bringen kann.
Wobei sich mir der Zusammenhang mit der Perspektive nicht erschließt. Blöd bleibt blöd, aus welcher Perspektive man es auch betrachtet.  ;D

Sprotte

In der Ich-Perspektive darf man an jedem blöden Gedanken besonders dicht teilhaben  :ätsch:
(Warum ein Löffel, Vetter? - Weil er stumpf ist: Es tut mehr weh! aus Robin Hood, König der Diebe)

Denke ich an die namenlose Ich-Erzählerin aus Rebecca, die ich über weite Strecken des Buches einfach nur schütteln hätte können, weil sie keinerlei Selbstwertgefühl und Selbstbewußtsein hat - ich denke, das wäre in einer anderen Perspektive leichter zu ertragen gewesen. Andererseits ist aus der Ich-Perspektive der Horror vor Mrs. Danvers und der immer noch spürbaren Anwesenheit Rebeccas faßbarer. Beispiel besser?