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Was macht ihr eigentlich vor dem Plotten?

Begonnen von Phlox, 24. Oktober 2020, 17:03:44

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Trippelschritt

Zitat von: Phlox am 28. Oktober 2020, 11:41:34

Ihr könnt das wirklich so trennen? Das finde ich erstaunlich. Ich habe eher den Eindruck, dass sich Welt(enbau) und Figuren/Konflikte wechselseitig bedingen.

Theoretisch wäre es ja auch denkbar, dass man eine so faszinierende Welt erfindet, dass die quasi selbst schon die Handlung trägt...  Jetzt wäre es gut, wenn ich ein Beispiel hätte... :hmmm:


Vielleicht habe ich ein Beispiel, wenn es das ist, was Du meinst.
Als ich anfing zu schreiben, war meine Welt noch lange nicht fertig, ich hatte nur einen kleinen Teil meiner Figuren und Konflikte. Aber trotzdem trägt die Welt die Handlung, weil sie eben so einmalig ist.

Auf meiner Welt lebten drei Völker in Harmonie/gegenseitiger Nichtbeachtung.
- Die Drachen in den Drachenbergen als vorwiegend magische Wesen, Einzelgänger und noch nah an den alten Göttern, die die Welt erschufen
- Die Waldelfen leben in dem großen zentralen Wald um die Drachenberge herum, wie auf einem Kragen um einen Hals. Auch sie sind magisch, aber die Elfenmagie hat einen Schwerpunkt auf den Lebensprozessen, die sie beeinflussen können
- Die Menschen bewohnen das Flachland bis zum Meer. Obwohl sie wie die beiden anderen Völker Vernunft besitzen, zeigen sie keine Spuren von Magie und stehe deshalb unten auf der Hackordnung.

Die Harmonie/gegenseitige Nichtbeachtung wird in dem Augenblick aufgehoben, als ein viertes Volk erscheint, das sich offensichtlich aus dem Tierreich entwickelt hat. Die Gestaltwandler. Sie sind nicht die Klügsten und leben weiterhin wie Tiere, aber sie verfügen über eine spezielle Magie. sie können (theoretisch) jede Form einnehmen für die sie eine Vorstellung haben. Das hilft vor allem bei der Fortpflanzung. Ein Männchen, das kein Weibchen findet, sich aber fortpflanzen will, ändert seine Gestalt und wildert außerhalb seiner Art.

Das verstört die Welt, die ein Wesen mit Bewusstsein ist. Ein Volk/Rasse die die Naturgesetze bricht (Genetik) und außerhalb der natürlichen Ordnung steht, ist nicht tragbar. Die Welt selbst kann sich nicht wehren und beschließt sich selbst weitgehend zu zerstören. Für die Biologie ein Selbstmord, für die anorganische Welt ein Neustart. So etwas will kein lebendes Wesen, aber den meisten ist es egal.

In diesem Setting sind so viele Konflikte versteckt, dass man sagen könnte: Diese Welt bestimmt Figuren und Plots. Aber so ganz stimmt das nicht. Der Autor hat immer noch jede erdenkliche Freiheit der Gestaltung. Und er hat dieses Setting ja auch nicht zufällig gewählt. Am Anfang stand eine Idee, etwas zu erkunden, etwas zu zeigen, den Leser zu etwas zu bringen, das über die reine Unterhaltung weit hinausgeht. Ob das gelingt, ist immer noch eine zweite Frage.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Christopher

#16
Zitat von: Phlox am 28. Oktober 2020, 11:41:34
Theoretisch wäre es ja auch denkbar, dass man eine so faszinierende Welt erfindet, dass die quasi selbst schon die Handlung trägt...  Jetzt wäre es gut, wenn ich ein Beispiel hätte... :hmmm:

Egal wie faszinierend die Welt ist, es geht bei Geschichten eben um Geschichten und nicht um ganze Welten. Außer vielleicht, diese zu retten, aber du verstehst hoffentlich, was ich meine.

Es fühlt sich mehr und mehr wie die Frag nach der Henne und dem Ei an. Du bist Gott und denkst, die Henne muss zuerst da sein und das Ei legen. Ich sage, ich will bloß ein tolles Frühstück, hätte gerne ein Ei und wie das Tier aussehen muss, das dieses Ei produziert, überlege ich mir hinterher. Du hingegen erschaffst vielleicht einen tollen, interessanten, farbenprächtigen Vogel, musst aber hinterher feststellen, dass die Eier, die so ein Vogel legt, zu klein und nicht besonders genießbar sind. Das macht den Vogel nicht schlechter, aber: Ich wollte ein Ei. Keinen Vogel. Ich will eine Geschichte, keine Welt.

Darum hat die Geschichte für mich Vorrang und ist der Ausgangspunkt. Natürlich kann es andersherum auch passen, aber es ist deutlich wahrscheinlicher, dass es passt, wenn man mit dem Ei statt dem Vogel beginnt.
Be brave, dont tryhard.

Churke

Zitat von: Phlox am 28. Oktober 2020, 11:41:34
Theoretisch wäre es ja auch denkbar, dass man eine so faszinierende Welt erfindet, dass die quasi selbst schon die Handlung trägt...  Jetzt wäre es gut, wenn ich ein Beispiel hätte... :hmmm:

Animal Farm
https://de.wikipedia.org/wiki/Farm_der_Tiere

Aber solche Fälle sind extrem selten und wahrscheinlich immer hochpolitisch.

Alia

Zitat von: Christopher am 28. Oktober 2020, 12:21:42
Zitat von: Phlox am 28. Oktober 2020, 11:41:34
Theoretisch wäre es ja auch denkbar, dass man eine so faszinierende Welt erfindet, dass die quasi selbst schon die Handlung trägt...  Jetzt wäre es gut, wenn ich ein Beispiel hätte... :hmmm:
(...)
Darum hat die Geschichte für mich Vorrang und ist der Ausgangspunkt. Natürlich kann es andersherum auch passen, aber es ist deutlich wahrscheinlicher, dass es passt, wenn man mit dem Ei statt dem Vogel beginnt.
Was mir da einfällt wären Universen wie zB die Scheibenwelt. Die ist ein wundervolles Setting und trägt schon viel von jeder Story.
Aber ohne eine Geschichte ist ein Setting letztlich nichts. Da bin ich bei Christopher.

Ich glaube, dass jeder Charakter immer durch das Setting und die Hintergrundgeschichte geformt wird. Und der Charakter trägt die Handlung. Allerdings erfinde ich das auch rückwärts. Ich fange also bei der Geschichte an, überlege welcher Charakter passen könnte, dann aus welcher Welt er stammen müsste.

Z.B. habe ich gerade die Idee für den dritten 2021 Roman zu einer Geschichte vervollständigt. Ich hatte einen Teil des Settings, weil "jetzt" und "hier" - sprich reale Welt in der heutigen Zeit. Dann hatte ich eine Idee für den Konflikt und den Hook. Heute ist mir klar geworden, welche Person passen könnte und aus welchen Kreisen er dann stammen muss und welche Rolle er derzeit hat. Jetzt ist die Story rund und ich kann ans Plotten gehen.

Felix Fabulus

Zitat von: Phlox am 28. Oktober 2020, 11:41:34
Ihr könnt das wirklich so trennen? Das finde ich erstaunlich. Ich habe eher den Eindruck, dass sich Welt(enbau) und Figuren/Konflikte wechselseitig bedingen.

Das kommt darauf an, @Phlox. Wenn die Welt zuerst kommt, wird sie vermutlich eher den Plot bestimmen. Wenn Figur und Plot zuerst da waren, werden sie die Welt beeinflussen. Auf jeden Fall gehören die beiden am Ende zusammen. Bei mir ist das so, dass sich das laufend weiterentwickelt. Ich habe eine Grundidee der Welt. Wenn nun die Hauptfigur an einen neuen Ort kommt, dann überlege ich mir: Will ich, dass sie gebremst wird, oder dass sie weiterkommt? Je nachdem entwickle ich dann das Setting. Ich habe auch schon Orte entworfen, die den mentalen Zustand der Figur widerspiegeln. Eine Stadt am Ende eines Tals, wo es kein Weiterkommen gibt, passt zu einer Phase der Hoffnungslosigkeit. Die ist nicht nur im Kopf in einer Sackgasse gelandet, sondern auch physisch. Das eignet sich insbesondere für "filmisch" geschriebene Romane, denn dieses Konzept wird beim Film oft angewandt, da hier nicht in die Köpfe und Gedanken der Figuren geblickt werden kann.

Zur Arbeit vor dem Plotten: Ich entwickle eine grobe Idee, welche Geschichte ich erzählen will. Einen Roman habe ich erst einen fertiggeschrieben (unveröffentlicht), aber es gilt für mich in ähnlichem Sinn auch für Kurzgeschichten, von denen ich ein paar Dutzend verfasst habe, oder auch für Drehbücher.  Diese grobe Idee beinhaltet eine Figur, sowie Anfang und Ende der Geschichte. Manchmal, wie in meinem Roman, ergibt sich da auch gleich die Welt, weil die eng mit der Figur verknüpft ist. Die Ausgangslage war hier: Wie ist meine Figur zu einem Sammler von Geschichten geworden? Eine Figur, die in einer Stadt aufgewachsen ist, in der Geschichten verboten sind? Das gab mir dann auch gleich einen Hinweis darauf, wie ich meine Stadt ausgestalten muss.

Dann zum Ordnen von Ideen verschiedenster Art: Bei mir ist das auch ausgeartet und hat sich in dutzenden von Excel-Tabellen zu verschiedensten Themen niedergeschlagen. Dann habe ich begonnen, mir eine sauber strukturierte "Enzyklopädie" aufzubauen (in Papyrus). Seither weiss ich, wo ich Infos und Ideen ablegen muss und vor allem, wo ich sie wieder finde. Natürlich bedingt diese Arbeit, die Enzyklopädie zwischendurch von überflüssigem Ballast zu befreien.

Wortwebereien aus der Geschichtenmühle, gespeist vom Ideensee, der Fantasie und dem Bächlein Irrsinn.

Phlox

Zitat von: Felix Fabulus am 05. November 2020, 09:40:51
Wenn die Welt zuerst kommt, wird sie vermutlich eher den Plot bestimmen. Wenn Figur und Plot zuerst da waren, werden sie die Welt beeinflussen.
Vielleicht noch ein Beispiel - ich habe den Eindruck, es ist nicht ganz klar geworden, wie ich das meinte:
Angenommen, Person A muss sich auf eine Reise in ein anderes Land begeben, in dem sich der eigentlich Konflikt entfaltet. Für diesen Konflikt ist es wichtig, dass das Herkunfsland von Person A streng hierarchisch strukturiert ist. Person A soll nun eng begleitet werden von Person B, die ebenfalls in den Konflikt verwickelt wird.
Weiter angenommen, ich wollte Person B zunächst als "Underdog" anlegen, gleichzeitig soll sie auf der Reise aber viele Situationen mit Person A teilen. Das wird aber bei näherem Hinsehen u.U. schwierig, wenn die beiden sich gesellschaftlich tatsächlich so unterscheiden und dabei aus einer strikt hierarchischen Gesellschaft kommen.
Ich würde mich in so einem Fall vermutlich so entscheiden, dass ich Person B doch einen höheren Rang gebe. Und das Außenseitertum dann evtl. anders anlegen, z.B. durch verpönte Interessen oder irgendwelche Handicaps.
Das meinte ich, wenn ich sage, Welt & Figuren (& bis zu einem gewissen Grad auch Handlung) bedingen sich für mich gegenseitig.

Wenn ich euch richtig verstanden habe, würdet ihr euch dann z.B. eher ein Erlebnis ausdenken, durch das Person A und B sich näher kommen (z.B. Person B, der sozial schlecht gestellte Underdog, rettet A das Leben o.ä.). Und es dann sozusagen durch die Handlung plausibel machen, dass die beiden gemeinsam in einem Zelt schlafen (oder was auch immer).

Trippelschritt

In diesem Beispiel beginnst Du mit Figuren und Plot. Von der Welt gibt es nur die Info, dass die erste Welgt hierarchische Strukturen aufweist. Das ist aber nichts Besonderes, denn jeder Affenfelsen ist hierarchisch organisiert - und die menschlichen Kulturen auch alle. Selbst die Demokratien.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Churke

Zitat von: Phlox am 07. November 2020, 12:31:53
Weiter angenommen, ich wollte Person B zunächst als "Underdog" anlegen, gleichzeitig soll sie auf der Reise aber viele Situationen mit Person A teilen. Das wird aber bei näherem Hinsehen u.U. schwierig, wenn die beiden sich gesellschaftlich tatsächlich so unterscheiden und dabei aus einer strikt hierarchischen Gesellschaft kommen.

In einer Standesgesellschaft würde A davon ausgehen, dass er der Herr ist, und B eine dienende Rolle zuweisen. Unterdog B würde das entweder als selbstverständlich hinnehmen oder aus eigennützigen Motiven (als "Herr" zahlt A immer die Rechnungen) übergangsweise akzeptieren.
In dem Spannungsverhältnis steckt genug Konfliktpotential für einen ganzen Roman. Wenn du das gattbügelst, verschenkst du jede Menge Potential!

Mondfräulein

Ich arbeite sehr unstrukturiert auf einen strukturierten Plot hin. Das heißt ich sammle wild Ideen, bis das ganze sich irgendwann in Form pressen lässt. Wenn es noch nicht so klappt, muss ich weiter brainstormen. Wenn nichts Sinn macht, muss ich häufig nur ein wenig warten und dann kommt diese eine Idee, ohne die ich mir das Projekt nicht mehr vorstellen kann und die total viel Sinn macht.

Ich beginne meistens mit den Figuren und ihren Beziehungen untereinander, weil mich das am meisten reizt. Im Moment weiß ich, was am Ende passieren soll, wer meine Figuren sind, aber darüber hinaus noch nicht so viel, deshalb skizziere ich gerade den Weg dahin und wie es überhaupt zu allem kommt. Manchmal mache ich mir auch eine Art Diagramm, ich schreibe ein Ereignis auf und markiere mit Pfeilen, welche anderen Ereignisse dieses bedingt, was wie zusammenhängt. Das hilft mir auch sehr.

Ich schreibe dabei alles sehr wild in meinen Notizblock. Alles wird aufgeschrieben, auch wenn ich erstmal denke, es passt nicht. Wenn ich dann irgendwann nicht mehr weiter komme, gehe ich manchmal meine alten Notizen mit dem Textmarker durch. Alles, was irgendwie immer noch cool klingt oder was ich inzwischen schon wieder vergessen hatte, wird markiert, manchmal auch in verschiedenen Farben (gelb - kommt vielleicht in dieses Projekt, orange - vielleicht in ein anderes Projekt). Gestern Nacht habe ich eine Idee in meinem Block wiedergefunden, bei der ich mir erst dachte "Schreibe ich das überhaupt auf?", aber jetzt passt sie auf einmal total gut in das Projekt.

Ich verwerfe aber auch viele Ideen. Häufig geht mein Plot nicht auf, weil ich an einem Aspekt zu sehr festhalte. Es ist im Moment ein sehr, sehr chaotischer Prozess, mit dem ich auf einen sehr strukturierten Plot hinarbeite.

Zitat von: Phlox am 07. November 2020, 12:31:53
Angenommen, Person A muss sich auf eine Reise in ein anderes Land begeben, in dem sich der eigentlich Konflikt entfaltet. Für diesen Konflikt ist es wichtig, dass das Herkunfsland von Person A streng hierarchisch strukturiert ist. Person A soll nun eng begleitet werden von Person B, die ebenfalls in den Konflikt verwickelt wird.
Weiter angenommen, ich wollte Person B zunächst als "Underdog" anlegen, gleichzeitig soll sie auf der Reise aber viele Situationen mit Person A teilen. Das wird aber bei näherem Hinsehen u.U. schwierig, wenn die beiden sich gesellschaftlich tatsächlich so unterscheiden und dabei aus einer strikt hierarchischen Gesellschaft kommen.
Ich würde mich in so einem Fall vermutlich so entscheiden, dass ich Person B doch einen höheren Rang gebe. Und das Außenseitertum dann evtl. anders anlegen, z.B. durch verpönte Interessen oder irgendwelche Handicaps.
Das meinte ich, wenn ich sage, Welt & Figuren (& bis zu einem gewissen Grad auch Handlung) bedingen sich für mich gegenseitig.

So läuft das bei mir auch. Ich habe zum Beispiel viel zum Konflikt meiner Protagonistin mit ihrer Mutter und ihrer Familie im Kopf. Die Welt passe ich so an, dass das Sinn macht. An anderen Stellen muss ich Figuren so anpassen, dass sie in die Welt passen, zum Beispiel bei der Backstory des Love Interest. Bestimmte Aspekte sind mir bei den Figuren einfach sehr wichtig, da passe ich die Welt an. Andere sind weniger wichtig, da passe ich die Figuren an.