Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: HauntingWitch am 29. Oktober 2013, 15:14:28

Titel: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: HauntingWitch am 29. Oktober 2013, 15:14:28
Vorweg: Falls es schon einen solchen Thread geben sollte und ich ihn bei der Suche übersehen habe, bitte einfach umtopfen.

Immer wieder tue ich es. Der Plot erfordert es. Manchmal sind es Kleinigkeiten, für den betreffenden Charakter jedoch von einer gewissen Bedeutung, manchmal sind es richtig schlimme, grausame Praktiken mit Folgen. Ich quäle meine Figuren. Regelmässig denke ich: ,,Nein, das kann ich dem doch nicht antun" und bekomme fast die Krise, weil es eben doch nicht ohne geht. Dann wiederum kann ich ganz gemein sein und sagen: ,,Tut mir leid, Schätzchen, aber der Plot erfordert das nun einmal".

Ich denke auch, dass ein Roman das bis zu einem gewissen Punkt auch braucht. Irgendwie muss man die Entwicklung der Figur ja vorantreiben, irgendetwas muss sie aus der Reserve locken und kein Mensch (und ich behaupte das jetzt von allen anderen existierenden Fabel- und Fantasywesen einfach auch) hat ein völlig schmerzfreies, problemloses Leben. Niemand entwickelt sich durch faules auf der Wiese Liegen an einem sonnigen Nachmittag weiter. Sind nicht erst die schrecklichen, drastischen und schwierigen Erlebnisse jene, die uns zu dem machen, was wir sind?

Trotzdem bricht es mir regelmässig das Herz. Ich bin fast permanent hin- und hergerissen.

Was meint ihr dazu? Wie geht es euch, wenn ihr eure Figuren quälen müsst? Wie leicht oder schwer fällt es euch, fiese Twists und Hindernisse in eure Plots einzubauen?
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Eleanor am 29. Oktober 2013, 15:33:34
ZitatWas meint ihr dazu? Wie geht es euch, wenn ihr eure Figuren quälen müsst? Wie leicht oder schwer fällt es euch, fiese Twists und Hindernisse in eure Plots einzubauen?

Gestern erst hat meine Schwester mich um Rat gefragt, was ihrer Hauptperson von Person x Schreckliches angetan werden könnte. Ich habe dann eher im Scherz geantwortet wie, den Wecker zwei Stunden vorstellen. Aber mir fiel dabei auf, dass es wirklich schwierig ist, über so etwas zu schreiben. Ich fühle mich auch nicht bei dem Gedankengang wohl, was ich einer Person nur Schreckliches antun könnte, um sie nachhaltig zu prägen. Immerhin sind die Romanfiguren sozusagen die "Schützlinge" von einem selbst und genau deshalb zereißt es mir ebenso das Herz wie dir, wenn sie handlungstechnisch eine Hand verlieren müssen oder anders entstellt werden.
Da muss man wohl ein dickes Fell entwickeln, allerdings ist es natürlich leichter wenn die schrecklichen Ereignisse in der Vergangenheit waren und man so nicht ganz direkt im Jetzt über sie schreiben muss. Mir persönlich fällt es nicht leicht für einer meiner Figuren einen Schicksalsschlag zu schreiben. Ich lege ihnen gerne Steine in den Weg á la "ach hätte ich doch nur vorher", aber die wirklich gravierenden Dinge wie Verletzungen, da hadere ich auch mit mir. Ich persönlich versuche es ein wenig durch den Gedankengang auszugleichen: Diese Person bekommt jetzt vielleicht eine hässliche Narbe im Gesicht, weil das und dies passiert, aber es wird für sie auch wieder bessere, frohe Moment geben. Das hat ja auch etwas vom echten Leben:
Es passieren schreckliche Dinge, aber es kommen auch wieder schöne Ereignisse und positive Momente und dann kann ich mich doppelt für meine vom Schicksal gebeutelte Figur freuen, wenn es soweit ist.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Melenis am 29. Oktober 2013, 15:34:19
Wenn ich so drüber nachdenke... muss man seine Figuren denn nicht ab und an quälen, damit so etwas wie ein Plot entsteht?
Bei meinem aktuellen Plot ist das so, und das alles hat sich gänzlich ohne Hintergedanken entwickelt. Ich wollte meine Figuren nicht fertig machen oder sie dadurch sympathischer erscheinen lassen, es hat sich einfach so ergeben. Sei es aus Plotgründen, oder weil es ihrem Naturell entspricht, gewisse Dinge zu tun. Und aus diesem Grund, so sehr es mich auch beschämt, empfinde ich da auch kein wirkliches Mitleid.
Ich kann solche Textstellen relativ unberührt schreiben, ich frage mich höchstens, was Leser von mir denken, wenn sie gewisse Dinge lesen  :versteck:
Aber nicht, damit das falsch rüberkommt: Ich liebe alle meine Figuren, und ich quäle sie auch nicht gern, aber wenn, dann habe ich kein schlechtes Gewissen. 

Grüßle  :winke:
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Toni am 29. Oktober 2013, 15:57:46
Ich stimme Melenis zu: Ohne Quälereien kein Plot. Und der Plot ist nunmal die Geschichte, schön Wetter will ja keiner lesen. Deshalb hält sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen. Außerdem weiß ich ja, dass meine Figuren meist auch wieder rauskommen aus ihrer blöden Situation. Und wenn das passiert ist, sind sie gewachsen und gehen stärker durch ihr fiktives Leben als zuvor. Die Quälerei hat also etwas Positives nach sich gezogen, oder die Figur hat sich zumindest vollständig erholt.
Schwer wird es für mich, wenn es zB um Verstümmelungen geht. Wenn meine Figuren Hände oder Beine verlieren, erblinden oder wahnsinnig werden, dann habe ich wirklich ein schlechtes Gewissen. Denn dann erholen sie sich ja nicht mehr von meinen auferlegten Quälereien. Auch ein schlechtes Ende einer Geschichte schmerzt mich, obwohl ich ein großer Fan von tragischen und traurigen Enden bin.
Aber am Ende geht immer die Geschichte vor. Ich will eine lesenswerte Geschichte schreiben und wenn dafür eine Figur ihre Hand hergeben muss ist das nicht schön, aber es ist dann eben so.
Figuren zu quälen ist nicht immer schön (obwohl es manchmal auch echt Spaß machen kann :darth:) aber es muss eben sein.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sprotte am 29. Oktober 2013, 16:59:28
Wer nicht durch Dunkelheit (und/oder Blut) watet, kann nicht zum Licht werden. (Weisheit der Sprotte)
Welchen Wert hat ein Happy Ending, wenn die Figur nicht darum kämpfen mußte? Welchen Unterhaltungswert hat ein 450 Seiten starker Spaziergang im Sonnenschein - und nichts passiert!

Wenn ich Stellenausschreibungen für Helden fertige, schreibe ich mittlerweile hinein: Ich bin gemein.

Ich habe Helden mit Kastration und Vergewaltigung bedroht, ihnen Augen ausgestochen und ausgebrannt, sie umgebracht und ihnen Beine oder Hände abgesägt. Dient alles der Charakterbildung.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Nycra am 29. Oktober 2013, 17:10:32
Unter uns Sprotte gilt als die Königin des Figurenquälens (egal was sie anders behauptet) und ich bin ihr hörig äh ihre gelehrige Schülerin.

Es ist eine Sache, einen Helden eine schlimme Vergangenheit haben zu lassen und eine andere Sache, es im aktuellen Roman zu tun. Beides hat seinen Reiz, man kann die Sachen miteinander kombinieren. An und für sich lässt sich alles auf die Spitze treiben. Die Frage ist, wie viel verträgt der Autor beim Schreiben? Denn seien wir mal ehrlich: Nicht jeder kann damit umgehen, seinen Helden einer Vergewaltigung zu unterziehen (hab ich gemacht) oder ihm das Herz aus der Brust zu reißen (auch das hab ich gemacht), seine Familie abzuschlachten etc pp., nur um zwei Beispiele zu nennen. Selbst wenn man als Autor genau weiß, dass am Ende alles gut wird, es tut weh beim Schreiben. Auch mir und ich bin sicher, auch Sprotte verspürt hin und wieder ein bisschen Wehmut.

Denke ich jetzt an all die Romane zurück, die ich gelesen und für gut befunden habe, muss ich sagen: Jeder Held musste leiden. Punkt. Wie sehr, ist etwas, das jeder für sich selbst entscheiden muss, aber ich finde, ohne eine ordentliche Heldenquälerei gibt es am Ende eines Romans keine Befriedigung. Da ist dann halt ein Ende. Weichgspült und Hauptsache fertig.

Allerdings sollte man natürlich das Genre nicht außer Acht lassen. In einem Kinderbuch hat sowas nichts zu suchen. Da muss das "Quälen" behutsam eingesetzt werden. Vielleicht auch nur in Form eines ordentlichen Schreckens.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Veldrys am 29. Oktober 2013, 17:36:45
Ich habe kein Problem damit, meine Helden zu quälen, sie zu verstümmeln, in den Wahnsinn zu treiben oder ihnen das Liebste zu nehmen.  Wenn es keine Herausforderungen gibt, wenn der Held nie etwas Schlimmes erlebt, dann kann eine Geschichte schnell langweilig werden. Aber auch, wenn meinen Helden oft Schlimmes passiert, so passiert das nicht aus purem Sadismus, sondern hat einen Grund und gibt den Helden eventuell in einigen Fallen sogar die Möglichkeit, daran zu wachsen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Christopher am 29. Oktober 2013, 18:06:17
Ohne Leid, keine Entwicklung. Nichts und Niemand verändert sich, wenn es dafür keinen (mehr oder weniger, auf die eine oder andere Art und Weise) schmerzhaften Grund gibt.

Das kann seelisch, körperlich, sozial, moralisch oder sonstwie sein, aber es muss sein. Ansonsten gibt es keine Veränderung.

Dementsprechend ist es notwendig die Figuren zu "quälen" (nicht jeder empfindet das, was die Figuren erleiden unbedingt als Quälerei.

Dem Gedanken, dass Vorgeschichte und Aktuell im Roman passierendes zu unterscheiden sind stimme ich so zu. In der Vorgeschichte kann man völlig schmerzfrei alles verwursten was man möchte - das tut als Autor kaum weh.
...reisst den Leser aber auch kaum mit.

Ich bin da vielleicht ein bisschen komisch, aber ich mag es meine Figuren leiden zu lassen. Man kann mitfühlen, mitfiebern, Sympathein und Mitleid oder gar Schadenfreude entwickeln. Mit Friede, Freude, Eierkuchen-Geschichten geht das nur schwer. Da kann man vielleicht die Mühe die in ein Ziel investiert wurde respektieren, aber das Mitfühlen etc stellt sich dann für mich höchstens noch ein, wenn die Story mich persönlich im Kern trifft und anspricht.

Meine Figuren sind alle nahezu "Vergangenheitslos" geschaffen worden - alles was sie ausmacht, ihren Charakter prägt und sie zu etwas besonderem macht, durfte der Leser bisher hautnah miterleben. Dazu gehören gequält werden, Verwundungen, Folter, eine Vergewaltigung und persönliches, soziales Leid.

Die Szenen in denen etwas romantischer wird, fallen mir deutlich schwerer als die Leidensparts  :hmmm:

Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Coppelia am 29. Oktober 2013, 18:35:18
Das Problem sehe ich nicht. Natürlich muss die Figur leiden, wenn der Plot es erfordert.
Wer seine Figuren liebt, quält sie. :darth: Sie wollen es ja manchmal sogar selbst.

Was ich zu vermeiden versuche, sind Grausamkeiten um der Grausamkeit willen oder zu überladene Darstellungen. Es muss auch noch glaubwürdig bleiben. Wenn eine Figur ihre Familie verliert, vergewaltigt wird, ein Auge und die rechte Hand verliert, möchte ich, dass es immerhin in einem sinnvollen Kontext stattfindet. Und ich würde überlegen, ob das alles für den Plot notwendig ist oder ob es nicht mit weniger Leid dasselbe Ergebnis erzielen würde. Man muss auch immer überlegen, ob das Leid nicht zu stark ist, als dass die Figur anschließend noch so reagieren könnte wie gewünscht. Z. B. neigen viele Figuren dazu, sehr schnell über den Tod nahestehender Personen hinwegzukommen, weil der Plot es erfordert. Ich weiß nicht, wie glaubwürdig das ist - hängt sicher auch von der Figur ab.
In "Supernatural" wird irgendeine der Hauptfiguren jahrtausendelang täglich in der Hölle gefoltert und konnte sich auch genau daran erinnern. Da war für mich die Grenze der Glaubwürdigkeit doch sehr überschritten. Man sollte berücksichtigen, dass zuviel Leid starke psychische Auswirkungen hat, je nachdem, wie jemand drauf ist. Und wenn jemand jahrtausendelang täglich gefoltert wird, sind die Auswirkungen meiner Meinung nach so stark, dass man die Figur vergessen kann.

Übrigens denke ich nicht, dass in solchen Fällen am Ende "alles gut" wird, selbst wenn das Ende positiv ist.

Ich persönlich würde eher nicht eine Figur unter etwas leiden lassen, was nachher wie durch einen Zaubertrick ungeschehen gemacht wird. Wenn einer meiner Figuren das Knie zerschmettert wird, ist sie für den Rest ihres Lebens lahm. Ich hatte mal einen Roman, da alterte die Hauptfigur magisch um 15 Jahre und war plötzlich 60. Schlimme Sache, aber "zurückgealtert" wurde er nicht. Ich habe auch schon mit einem Eunuchen "zusammengearbeitet".

Manche Figuren leiden auch stärker als andere. Galotta wurde eigentlich nur gefeuert und hat seine Haare verloren, und er litt unbeschreiblich. ;D In einem anderen Roman von mir verliert die Hauptfigur ihre ganze Familie, allen Besitz und mehr oder weniger die Welt, in der er bisher gelebt hat. Er begreift das nicht so richtig und leidet auch nicht so richtig, ist eigentlich vor allem fassungslos. Für eine andere Figur mag es schon ausreichen, "nur" vom Liebsten verlassen zu werden, damit sie schrecklich leidet. Daher würde ich sensible Figuren nicht zu stark belasten.

Mein Mitleid mit meinen Figuren hält sich in Grenzen. Sie bekommen von mir das Leid, das sie gerade brauchen, in liebevollen Dosen zugeteilt. Das gibt ihnen das Potential, ihre aktuellen Probleme zu bewältigen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Coehoorn am 29. Oktober 2013, 18:44:06
Eigentlich quäle ich meinen Hauptprotagonisten sogar ganz gerne. Aber weniger durch Verstümmelung oder so, sondern mehr psychisch. Sohn einer Hure, unglücklich verliebt (das muss ich noch ausbauen), Spielball von mächtigeren Personen, etc.
Momentan geht es noch aber ich bin mir nicht sicher, ob er das Ende überleben wird oder sich nach dem Showdown, wenn sie dich Knoten der Geschichte lösen, in sein Schwert stürzt. Das bleibt noch abzuwarten.

Die besten Fantasygeschichten sind meist die wo die Protagonisten leiden müssen.

Frodo quält sich zum Schicksalsberg und ist am Ende gebrochen; Geralt von Riva hat ein ganzen Leben nur qualen erlebt und Ciri und Yennefer geht es nicht besser; Bastian muss erst eine Menge Fehler machen und einen Krieg vom Zaun brechen, bevor er seinen wahren Willen findet und was bei Game of Thrones abgeht, sucht seinesgleichen (wenn der so weitermacht, gehen ihm die Protagonisten aus :P)

Zitat von: Sprotte am 29. Oktober 2013, 16:59:28

Ich habe Helden mit Kastration und Vergewaltigung bedroht, ihnen Augen ausgestochen und ausgebrannt, sie umgebracht und ihnen Beine oder Hände abgesägt. Dient alles der Charakterbildung.

Der Satz gefällt mir. Das ist schon fast poetisch  ;D
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Schneeleopardin am 29. Oktober 2013, 18:58:53
Ich bin da auch nicht zimperlich und quäle gerne Figuren. Die Sache ist halt, ist es körperlich oder seelisch/psychisch? Es gibt ja nicht nur die Möglichkeit einer körperlichen Vergewaltigung, sondern auch die einer seelischen. Was schlimmer ist bzw. sein kann, darüber lässt sich streiten.
In einer meiner Buchprojekte verliert die Protagonistin einen Finger - was für sie nicht weiter schlimm wäre, wenn es nicht gerade die Antagonistin gewesen wäre, die ihr diesen Finger abgeschnitten hat und anschließend dazu verwendete, die Nutzung eines Portals zu bezahlen. Was für sie weitaus schlimmer war, war das sie ihr Kind kurz nach der Geburt in die Hände eines Drachen geben musste - zu ihrer eigenen Sicherheit und natürlich der des Kindes.
Was solche Schicksalsschläge angeht bin ich vielleicht auch ein bisschen sadistisch veranlagt. Mir tut das manchmal durchaus "leid" wenn ein Charakter was abbekommt, aber das geht auch wieder vorbei... er stirbt nicht, und das obwohl ich liebend gerne Charaktere umbringe. Keine Ahnung, bei anderen Autoren rege ich mich furchtbar auf, wenn sie meinen Lieblingschara umbringen, aber ich selbst mache das ja auch. Hmmm... ich frag mich woran das liegt  :hmmm:
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Windfeuer am 29. Oktober 2013, 19:15:01
Ich gehöre eindeutig zu den zimperlichen und zart besaiteten.

Ich verletzte mein Figuren nicht gerne körperlich. Da tue ich mich meistens immer schwer. Wenn es sein muss, weiß das der körperliche Schmerz auf irgendeine Art und weiße nachher gelindert wird, auch wenn immer mal wider Schmerzen auftauchen, fällt es mir etwas leichter.
Beim Figuren "sterben lassen" bin ich auch nicht unbedingt besser. Bei mir wird nur gestorben wenn es sein muss, nicht wenn es nicht notwendig für den Plot ist. Überhaupt kommen sinnlose Morde oder Gewalt bei mir nicht vor.

Ganz anderes sieht das bei mir mit seelischer Pein aus.  :darth:  Ohne eine seelische Qual kommen meine Protagonisten und die ein oder andere wichtige Nebenfigur nicht davon. Wahrlich. Ich lasse sie seelisch richtig leiden. Und das ohne mit der Wimper zu zucken.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Liliane am 29. Oktober 2013, 19:21:12
Mir persönlich fällt das auch nicht sonderlich schwer, mir macht es auch eher schon Spaß teilweise, weil solche Stellen ja nicht einfach leger "hingerotzt" werden können, sonst wirken sie schnell wie billige Horrorfilme auch leicht mal wirken.
Körperliche Torturen beschreibe ich nicht unbedingt hundert Prozent bis ins Detail, da benutze ich mehr gerne Metaphern, weil ich auch denke, dass man selbst, wenn man so etwas erleben würde, es mehr etwas wahnsinnig und neben der Spur sehen würde, mit Metaphern, zerrissenen Gedanken. Also auf der psychischen Ebene sind solche Situationen auf jeden Fall wichtig, wie weit man ansonsten ins Detail geht, hängt davon ab, wie wichtig man es findet.
Beides kann gut sein.
Das traurige kann eben sein, wenn dadurch Dinge, vielleicht ganze Leben verloren gehen und man sie am Ende nicht mehr hat. Wenn wichtige Charas sterben müssen, geht mir das immer ziemlich zu Herzen, aber ich würde es niemals ausschließen.
Und ich würde ein Buch/ eine Geschichte auch nicht mögen, wenn so etwas nie geschehen würde, denn es ist wahr: Menschen entwickeln sich in solchen Situationen; nicht beim Herumliegen auf der Wiese.

LG, Lili
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Grummel am 29. Oktober 2013, 19:25:39
Ich muss gestehen, dass es mir überhaupt nicht schwer fällt. Weder es meinem Helden an zu tun, noch es bis in die kleinste Kleinigkeit zu beschreiben. Ich mache das natürlich nicht andauernd, aber halt in dem einen Projekt. Und da tut es richtig gut. Hat mich allerdings auch schon "Mitleser" gekostet im letzten NaNo. Die sind dann bei meinen Schnipseln ausgestiegen.  ;D
Allerdings ist das Werk auch ein absolut überzogenes und fast schon pornöses Trashwerk, welches genau die eine Zielgruppe, die so was lesen will ansprechen soll.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Robin am 29. Oktober 2013, 19:57:24
Ich muss zugeben, dass es mir überhaupt nicht schwerfällt, meine Charas in jeder Hinsicht zu quälen. :innocent: Egal ob Prota oder Anta, oder zwischendrin: alles muss mal leiden. Es gibt tatsächlich fast keine Geschichte von mir, wo nicht irgendein Charakter auf irgendeine Weise körperlichen oder psychischen Schmerz einstecken muss.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Feuertraum am 29. Oktober 2013, 21:08:05
Ich bin froh, dass Windfeuer gesteht, dass es ihr schwerfällt, Brutalitäten der Figur gegenüber auszuleben, so bin ich wenigstens nicht der einzige "Weichkeks" (Entschuldigung, Windfeuer). Natürlich hat Witch in dem Sinne recht, dass niemand ein sorgenfreies Leben hat, dass immer und immer wieder mehr oder minder schwerwiegende Probleme an die Tür klopfen.
Dennoch schrecke ich entschieden davor zurück, meinen Protas körperliche Schmerzen anzutun.
Zum einem, weil ich selber über 18 Jahre Beleidigungen, Demütigungen und Schläge ertragen musste, zum anderen, weil ich irgendwo das nackte Grauen verspüre, wenn in irgendeinem schwachsinnigen Krieg Menschen brutal verstümmelt werden. Oder wenn es Kinder erwischt.

Ach ja, eines noch. Zwar können Schicksalsschläge den Charakter stärken. Es kann aber genauso nach hinten losgehen, von daher mag ich die Behauptung, dass man immer stärker hervorgeht bis zum Happy end, nicht unterschreiben
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Nachtblick am 29. Oktober 2013, 21:16:32
Ich bin nicht zimperlich mit meinen Charakteren. Es ist allerdings immer leichter, ihnen Vergangenheiten anzudichten. Eine komplett ausgearbeitete Figurenkonstellation werde ich nicht so leicht beseitigen, wie Familienmitglieder eines Charakters, die schon vor zwanzig Jahren umgekommen sind. Ich bin auch in manchen Geschichten zimperlicher als in anderen. Ich habe es in meinem Jugendbuch nicht geschafft, Abigail rassistisch beleidigen zu lassen oder wirklich rohe Vergewaltigungsandrohungen auszuschreiben, während ich parallel kein Problem damit habe, eine Geschichte über einen verhungernden Nazi (zugegeben) zu schreiben.
Mir tut allerdings alles weh. Manches nicht so sehr wie anderes. Um Ascar, der vor zwölf Jahren zwei Monate lang misshandelt und gefoltert wurde und daraus keinesfalls gestärkt, sondern aggressiv und grausam hervorgegangen ist, könnte ich jederzeit weinen, und auch um Oscar, der erträgt, dass sein Bruder ihn misshandelt, statt sich zu wehren.
Ich stehe auf Happy Ends. Ich stehe auf Vergebung und auf Hoffnungsschimmer. Ich nehme Misshandlungen von Figuren in anderen Texten sehr schlecht auf, wenn sie nicht wenigstens ein Stück wieder aufgewogen werden.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Merlinda am 29. Oktober 2013, 21:20:10
Uff ...
Was dieses Thema hier angeht, müsste ich eigentlich ganz klein mit Hut werden.
Jeder meiner Protas macht irgendwelche Schicksalsschläge durch, bei denen jeder meiner Leser erstmal schluckt und mich fragt, ob das wirklich sein muss.
Und dann muss ich immer wieder antworten, dass es leider sein musste. Diese Schicksalsschläge prägen meine Protas und bringen ihn dadurch auch irgendwie seinem Ziel näher. Wisst ihr, was ich meine?  :versteck:
Aber meistens kommt nach einem Schlag immer wieder ein Lichtblick.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Coryza am 29. Oktober 2013, 21:27:22
Ich muss gestehen, ich finde Happy-Ends richtig grausam, vor allem wenn von Anfang an zu sehen ist, dass es so wie so gut ausgeht.  :versteck: Ich finde eine Figur muss teilweise schon richtig leiden um sich ein Happy-End zu verdienen. Aber ich muss auch sagen, das es mir trotzdem in de Seele weh tut meine Charas zu quälen, egal ob körperlich oder psychisch. Und trotzdem muss es sein zumindest in Maßen sein.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Valaé am 29. Oktober 2013, 22:03:06
Ich gehöre ebenfalls zu denen, die wenig Probleme damit haben, eine Figur leiden zu lassen. Und ja, auch mir macht es oft Spaß. Nicht wegen der Grausamkeit - hier wurde bereits erwähnt, dass solche Szenen sich meistens nicht einfach herunterschreiben - im Gegenteil, ich empfinde sie oft als Herausforderung - wenn auch weniger die Szene selbst, als mehr das "danach". Nie bleibt ein Quälen, seelisch oder körperlich, ohne Folgen. Nie war es sinnlos. Auch ich würde nicht sagen, dass die Figuren nur daran wachsen, wenn sie gequält werden - dafür habe ich schon genug Figuren in den Wahnsinn getrieben oder an den Rand der Klippe gequält - viele meiner Figuren zerbrechen - an mir. Daran, dass ich alles andere als eine liebe Autorin bin. Meine Figuren gehen gerne und viel durch die Hölle - durchaus durch körperliche - aber meistens zumindest neben der körperlichen auch durch seelische. Seelische Höllen liebe ich - ich schreibe fast nie ohne eine. Und dabei ist es ganz egal, was sie in diese Hölle treibt, da gibt es durchaus Abstufungen. Den Einen trifft eine Sache härter, den Anderen die andere.

Ich für meinen Teil sage weniger, dass sie nur dadurch wachsen. Aber sie verändern sich nur dadurch. Ohne Schicksalsschlag keine Veränderung. Ohne Veränderung kein Plot. Es muss natürlich nicht immer die vollkommene Hölle sein, ich komme auch ohne aus und man kann alles übertreiben - es ist eben Fingerspitzengefühl gefragt und ein Gefühl für das Genre, denn auch das spielt mit bei der Frage, wie viel erlaubt ist. Ich führe gerne an, in und durch Abgründe. Dafür muss ich quälen. Leid tut mir das - manchmal. Eher selten. Meistens tue ich es eher fasziniert und mit Freude an der daraus entstehenden Geschichte. Manchmal aber habe ich durchaus auch Mitleid mit meinen Charakteren. Sie sind mir ja durchaus sehr lieb ... und gerade wenn ich sie sehr mag leide ich auch mit. Nicht immer, aber bei den ganz harten Schlägen fast immer. Manchmal wird mir auch anders, manchmal geht es mir an die Nieren, manchmal mag ich nicht mehr weiterschreiben nachdem ich einen Charakter gequält habe (besonders oft in Dystopien, da ist die Quälerei gerne so harter Tobak, dass ich sie besser nicht in vollem Umfang begreifen sollte) und manchmal weine ich beim Schreiben, wenn ich einen Charakter quäle oder auch umbringe (auch hier bin ich nicht zimperlich - kein abgeschlossener Roman meinerseits bisher kommt ohne Toten aus - bis auf einer. Und die Toten sind alle wichtige Charaktere).
Gerade wenn ich töte passiert es jedoch nie ohne Grund - natürlich quäle ich auch nicht grundlos, aber das Töten muss schon unbedingt notwendig sein. Ich trenne mich einfach zu ungerne von meinen Lieblingen - und doch muss ich es immer und immer wieder tun. Das tut weh. Aber weniger wegen den Figuren an sich, sondern weil es mir leid tut, so einen wunderbaren Perspektivträger für alle Zeiten veloren zu haben - was man mit den Toten noch für Geschichten hätte schreiben können! Wie lange wir noch zusammen hätten sein können! Und doch geht es nicht. Das ist es, was mir leid tut.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Naudiz am 29. Oktober 2013, 22:13:08
Ich gehöre zu der Fraktion derjenigen, die ihre Figuren gern quälen. Gut zu wissen, dass ich damit nicht allein bin, ich habe schon befürchtet, ein Ausnahmefall zu sein. Allerdings tue ich mich wirklich schwer mit körperlichen Qualen. Irgendwie kann ich das nicht, da sträubt sich mir alles, wenn ich zum Beispiel einer Figur eine Hand abhacken soll. Stattdessen arbeite ich lieber mit seelischer Pein. In meinen Augen und meiner Erfahrung nach bricht diese einen Menschen sehr viel nachhaltiger, als es jede Verletzung könnte. Und sie ist auch ein sehr viel größerer "Motivator". Tötet der Oberbösewicht die Geliebte des Helden, wird dieser vermutlich mehr leiden, als wenn der Fiesling ihm den Arm abhackt, aber dafür seine Liebste lässt. Wobei das auch stark auf den Charakter der Figur ankommt, wie Coppi bereits angemerkt hat.

Ich gebe zu, dass diese Vorliebe für seelische Qual zu einem Teil auch daran liegt, dass ich mich damit weitaus besser auskenne als mit physischem Schmerz. Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich psychisch krank bin und lange Zeit seelisch missbraucht wurde. Deswegen sagte ich auch "aus eigener Erfahrung". Es fällt mir nicht schwer, zu beschreiben, wie es ist, jahrelang von den eigenen Eltern systematisch fertiggemacht zu werden, über den Verlust der Heimat oder einer geliebten Person halb wahnsinnig zu werden, unter schweren Halluzinationen zu leiden, die aus Schlafmangel resultieren, oder die Verzweiflung, wenn man nicht mehr kann und kurz vor der Grenze zum Suizid steht. Das kann ich gut, das kann ich plastisch und ohne zu viel Pathos und Schmalz. Und was ich gut kann, schreibe ich lieber - was nicht heißt, dass ich meine Helden sinnlos quäle. Jedes bisschen Schmerz, das sie erleiden, geschieht aus einem bestimmten Grund, der den Plot vorantreibt oder den Grundstein legt für eine Charakterentwicklung, die später noch wichtig wird (v.a. bei Mehrteilern).
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: HauntingWitch am 30. Oktober 2013, 11:09:24
Spannend, eure Beiträge zu lesen. Und was bin ich froh, dass ich mit meinen Ansichten nicht alleine bin. :D

Auf einiges möchte ich kurz näher eingehen.

Zitat von: coppeliaManche Figuren leiden auch stärker als andere. Galotta wurde eigentlich nur gefeuert und hat seine Haare verloren, und er litt unbeschreiblich.

Ah, auch da bin ich also nicht ganz alleine. Ich habe aktuell eine Nebenfigur, die sehr stark unter einer Trennung leidet und Jahre lang frustriert ist deswegen. Hinzu kommen berechtigte Selbstvorwürfe. Ich habe mich noch gefragt, ob ich ihm irgendein ganz schlimmes Erlebnis als quasi Grund für seine Veränderungen andichten soll, weil ich befürchtete, dass es sonst unglaubwürdig ist. Aber du hast mir gerade die Augen geöffnet, es geht auch so. Mitleid habe ich trotzdem mit ihm, auch wenn das von aussen betrachtet nur etwas ,,Kleines" ist.

Zitat von: schneeleopardinWas solche Schicksalsschläge angeht bin ich vielleicht auch ein bisschen sadistisch veranlagt. Mir tut das manchmal durchaus "leid" wenn ein Charakter was abbekommt, aber das geht auch wieder vorbei... er stirbt nicht, und das obwohl ich liebend gerne Charaktere umbringe. Keine Ahnung, bei anderen Autoren rege ich mich furchtbar auf, wenn sie meinen Lieblingschara umbringen, aber ich selbst mache das ja auch. Hmmm... ich frag mich woran das liegt

Vielleicht muss man als Autor ein bisschen sadistisch veranlagt sein. Ich merke, plotten tue ich solche Sachen auch gerne, aus genannten Gründen. Nur das Schreiben der entsprechenden Szenen tut mir weh. Ist das nicht auch irgendwie ein bisschen... speziell?  :hmmm:

Zitat von: FeuertraumDennoch schrecke ich entschieden davor zurück, meinen Protas körperliche Schmerzen anzutun.
Zum einem, weil ich selber über 18 Jahre Beleidigungen, Demütigungen und Schläge ertragen musste, zum anderen, weil ich irgendwo das nackte Grauen verspüre, wenn in irgendeinem schwachsinnigen Krieg Menschen brutal verstümmelt werden. Oder wenn es Kinder erwischt.

Dann finde ich Ihre Haltung diesbezüglich sehr verständlich. Tun Sie ihnen denn seelisches Leid an?

Bei mir ist die Wirkung umgekehrt. In meiner Familie, zum Glück nicht direkt mir selbst, sind auch schlimme Dinge passiert (genauer ausführen möchte ich das ganz so öffentlich nicht), die ich recht nahe mitbekommen habe und die Folgen davon immer noch mitbekomme. Aber ich nutze mein Schreiben unter anderem auch als Ventil, um das alles zu verarbeiten.

Zitat von: NaudizIch gehöre zu der Fraktion derjenigen, die ihre Figuren gern quälen. Gut zu wissen, dass ich damit nicht allein bin, ich habe schon befürchtet, ein Ausnahmefall zu sein. Allerdings tue ich mich wirklich schwer mit körperlichen Qualen. Irgendwie kann ich das nicht, da sträubt sich mir alles, wenn ich zum Beispiel einer Figur eine Hand abhacken soll. Stattdessen arbeite ich lieber mit seelischer Pein. In meinen Augen und meiner Erfahrung nach bricht diese einen Menschen sehr viel nachhaltiger, als es jede Verletzung könnte. Und sie ist auch ein sehr viel größerer "Motivator". Tötet der Oberbösewicht die Geliebte des Helden, wird dieser vermutlich mehr leiden, als wenn der Fiesling ihm den Arm abhackt, aber dafür seine Liebste lässt. Wobei das auch stark auf den Charakter der Figur ankommt, wie Coppi bereits angemerkt hat.

Das hat etwas. Ich bin auch der Ansicht, dass man das auch verbinden kann, das Körperliche und das Seelische. Einer meiner Protagonisten hat z.B. eine körperliche Eigenschaft, die er selbst als Behinderung wahrnimmt und die ihm im Laufe der Geschichte auch psychisch zusetzt.

Ein weiterer Aspekt ist mir noch in den Sinn gekommen. Man kann in der Fantasy ein Mass von Emotionen darstellen, wie sie in der Realität nicht passieren. Mir fällt da als Beispiel die Serie True Blood ein. In der einen Folge stirbt der Macher des einen Vampirs nach etwa 1'000 oder so Jahren. Die beiden haben Jahrhunderte lang zusammen verbracht, der Schmerz dieses jüngeren Vampirs ist für einen Menschen, der ja bekanntlich durchschnittlich um die 80 Jahre alt wird, sozusagen unvorstellbar (und gut dargestellt übrigens). Und trotzdem haben wir durch diese Szene die Möglichkeit, uns in so etwas hineinzuversetzen. Uns zu denken, wie es sein könnte. Ist das nicht eigentlich etwas Tolles? :) (Allfällige Ungenauigkeiten in der Wiedergabe dürfen gerne korrigiert werden, mein Gedächtnis ist da etwas eingerostet). Einfach, dass diese Möglichkeit besteht, mitzufühlen.



Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: pyon am 30. Oktober 2013, 11:48:11
Ich zähle mich auch zu den Personen, die kein Problem damit haben ihre Figuren zu quälen. :D

Wobei ich immer das Gefühl habe, dass ich ihnen sogar noch viel zu wenig antue und es so schon einmal passieren kann, dass eine Person, die eigentlich bis zum Ende überleben sollte doch schon früh das zeitliche segnet oder ich ihnen etliche Glieder abnehme.
Ich denke aber auch, dass Abenteuer oder zumindest das, was die Helden erleben, nie gänzlich ohne Reibereien oder Schmerzen (ob nun psychisch oder physisch) auskommen können.
Auch unser normales Leben geht mal hoch und mal runter, von daher denke ich schon, dass auch meine Figuren regelmäßige Tiefs erleben müssen. Wie schon in einem Beitrag geschrieben (ich hab die meisten nur überflogen) kann man an diesen recht gut lernen und wachsen, was für Figuren, meiner Meinung nach, sehr wichtig ist.
Für mich als Leser wäre es langweilig, wenn die Figuren keine Entwicklung durchmachen und starr immer dieselben bleiben.

Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Liliane am 30. Oktober 2013, 15:17:57
Im Thread "Wann ist ein Buch zu düster?" wurde ja schon darüber geredet und ich kam letztendlich auch zu dem Schluss, dass es nicht wahr ist, dass Charaktere bloß daran wachsen, wenn ihnen grausames widerfährt. Es geht auch ohne Grausamkeiten, die sowieso total unrealistisch sind. Klar, es sind bloß Geschichten, aber manchmal denke ich mir "So viel Pech kann ein Mensch doch gar nicht haben."
Personen können auch an vielem anderen wachsen und sich entwickeln.
Andererseits schreibe und lese ich auch gerne Szenen in denen abnorme, grausame Dinge passieren :D.
Nun ja, kommt immer auf den Leser an, aber man sollte auf jeden Fall realistisch bleiben und nicht zu brutal werden, finde ich.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: HauntingWitch am 30. Oktober 2013, 15:35:39
Zitat von: Liliane am 30. Oktober 2013, 15:17:57
Es geht auch ohne Grausamkeiten, die sowieso total unrealistisch sind. Klar, es sind bloß Geschichten, aber manchmal denke ich mir "So viel Pech kann ein Mensch doch gar nicht haben."

Nun ja, ich kenne einige Menschen, die sehr viel Pech hatten in ihrem Leben. ;) Hinzu kommt, dass in der Realität oft eines zum anderen führt. Jemand, der in einer zerrütteten Familie aufwächst, wird dadurch geprägt und es schwerer haben, z.B. einen Job zu finden. Heisst nicht, dass diese Person zwangsläufig ein Leben lang Pech hat oder nur noch vom Schicksal gebeutelt ist. Aber es kommt vor. Kommt auch auf den Charakter an.

Es spielt auch eine Rolle, auf wieviel Zeit das alles verteilt ist. Wenn die Heldin innerhalb von 3 Tagen einen weiteren Anfall ihrer Fähigkeiten hat, einen ominösen Vampir kennen lernt, der sie zufällig für ein Ritual umbringen will, weswegen zufällig der Vatikan auf sie aufmerksam wird, dessen Abgeordnete sich natürlich schon nach wenigen Stunden in ihrer Stadt einfinden und ihr Ex genau gerade jetzt zurückkommen muss, um sie zu pisacken, finde ich das auch unglaubwürdig. (Ja, das Beispiel ist aus einem Buch von Tate Hallaway, falls da jetzt jemand innerlich den Fingerzeig macht.  ;)). Das ist jetzt alles nicht quälen in dem Sinn, aber ich denke man versteht, worauf ich hinaus möchte.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Liliane am 30. Oktober 2013, 15:43:14
@HauntingWitch: Ja, ich verstehe, was du meinst, das stimmt natürlich so und das meine ich auch. Man muss eben darauf achten, dass nicht zu viele Zufälle aufeinander treffen, sonst wirkt es gestellt und leicht auch mal billig.
Und es gibt schon so viele Bücher, in denen Menschen Pech haben, das wirkt auch leicht wie wieder-aufgewärmt und "noch so ein Buch mit Katastrophen; immer das selbe". Aber wenn es kreativ ist, geht es immer.
Und ich finde eben dennoch auch, dass es ohne geht und nicht zwingend zum Wachsen eines Charakters dazugehört.

EDIT: Das was Dahlia da schreibt im nächsten Kommentar: Genau das ist es, was ich auch denke, das trifft es besser als mein Kommentar :p
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Dahlia am 30. Oktober 2013, 15:49:59
Wenn es um das Quälen meiner Figuren geht, hab ich da häufig ein zwiespältiges Verhältnis  :-\

Ich weiß, für einen guten Plot brauch ich Konflikte und muss es meinen Figuren so schwierig wie möglich machen, ihr Ziel zu erreichen. Aber manchmal frage ich mich dabei, wie grausam ich zu ihnen sein kann, ohne dass es zu überzogen oder für das Genre unpassend wird.
Es kann auch einfach übertrieben wirkte, wenn einem einzelnen Charakter gleich so viel Unglück passiert, z.B. wenn schon die Backstory schlimm ist und dem Charakter dann auch die ganze Geschichte über nur immer schlimmere Dinge passieren. Auch wenn das in der Realität vorkommen mag, ein Leben das ausschließlich aus grausamen Schicksalsschlägen besteht, würde bei mir schnell das Gefühl erwecken, dass es nur um Effekthascherei geht. Ich denke, da muss man einfach auch mit viel Fingerspitzengefühl herangehen, damit es nicht melodramatisch wird.

Ich hab selten ein schlechtes Gewissen, wenn ich meine Charaktere quäle - wobei bei mir auch seelische den körperlichen Qualen vorziehe. Die Vorstellung widerstrebt mir dann doch, dass mein Protagonist keine wirkliche Möglichkeit hat, sein Trauma zu überwinden und gestärkt daraus hervor zu gehen (oder überhaupt die Möglichkeit, sich wieder zu erholen).
Andererseits merke ich aber auch, dass ich selbst gerade wenn es besonders grausam und hoffnungslos wird, mit Charaktere beim Lesen stärker mitfühle. Mich selbst dazu durchringen kann ich dann aber doch nicht :schuldig: (wobei meine Charaktere ja schon gefoltert und vergewaltigt werden, auch manchmal Gliedmaßen verlieren, aber Kastration zum Beispiel ginge einfach gar nicht. Bei Zähnen wird mir auch ganz anders :ithurtsandstings!: )

Aber ich denke auch, dass man nicht nur an Schicksalsschlägen wachsen kann, sondern auch an positiven Sachen, wie Freundschaft oder Liebe. Deswegen versuch ich auch ein bisschen die Balance zu halten und meinen Charakteren nicht nur Steine in den Weg zu legen.

[Edit: Argh, bin ich langsam... Das hat sich jetzt teilweise mit Liliane & HauntingWitch überschnitten, aber ich lass das jetzt einfach mal so stehen  :psssst: ]
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Fynja am 30. Oktober 2013, 19:46:43
Wachsen können Figuren an Schicksalsschlägen oder anderen Quälereien bestimmt, aber, wie einige bereits treffend erwähnt haben, können diese Quälereien auch dafür verantwortlich sein, dass die Figuren depressiv, aggressiver werden o.ä. In jedem Fall aber macht die Figur dadurch eine Wandlung durch, und diese Wandlungen an sich machen meiner Meinung nach die Geschichte aus.

Was körperliche Qualen betrifft, kann ich mich zu den "Weichkeksen" zählen. Ab und zu verletzen sich meine Figuren halt mal, das bleibt je nach Story nicht aus, aber ich könnte zum Beispiel niemals eine Folter- oder Vergewaltigungsszene detailliert beschreiben. Wenn überhaupt, dann mal andeuten, aber nur, wenn der Plot es erfordert. Das ist meistens einfach zu heftig für mich, auch als Leser würde ich wohl dazu tendieren, solche Stellen zu überspringen, wenn es zu genau beschrieben wird, wird mir eher schlecht dabei. Damit niemand mich falsch versteht, ich verurteile keine Autoren, die Folterszenen beschreiben, nur mich persönlich erreicht man damit nicht. Oder zu sehr, weil es mich zu sehr mitnimmt, was ja durchaus ein Zeichen dafür sein kann, dass das Buch gut geschrieben worden ist. So oder so verzichte ich darauf lieber.

Tode baue ich eigentlich auch eher spärlich ein, und wenn, dann sind es relativ schnelle Tode. Erstens würde es die Dramatik nehmen, wenn auf jeder zweiten Seite einer draufgeht, zweitens nimmt es mich meistens schon mit, weil ich jede Figur irgendwie lieb gewinne. Andererseits gilt aber auch hier, wenn es mich kalt lassen würde, wäre das auch eher ein Indiz dafür, dass die Szene schlecht geschrieben ist oder die gesamte Geschichte einfach nicht packend genug. Das gilt sowohl für Prota- aus auch Antagonisten, auch den Tod eines egoistischen, antisozialen Bösewichts kann ich nicht eben gefühllos dahin schreiben.

Seelische Qualen sind auch bei mir eine andere Sache. Ich denke, diese Art von Qualen ist mit Abstand die von mir am meisten verwendete. Sie können schön vielseitig sein, und auch subjektiv - dem einen macht ein bestimmtes Ereignis sehr viel aus, den anderen kratzt es nicht. Das ist es, was die Charaktere und die Geschichte ausmacht. Dass Konflikte unverzichtbar sind für eine Story, dürfte ja Konsens unter Schriftstellern sein. Diese haben nun mal eine äußere Seite (das, was sich objektiv zugetragen hat) und eine innere, die das Seelenleben der Figuren betrifft. Diese betone ich schon sehr gern.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Guddy am 14. Juli 2014, 21:49:45
Wann lässt man den Protagonisten eigentlich zu sehr leiden?
Wir haben einen, der irgendwie alles abbekommt - er wird verraten, rutscht in eine eigentlich hoffnungslose Liebesgeschichte rein, wird niedergestochen und in ein Gefängnis gesteckt, stürzt später ab, wurschtelt sich zu angestrengt aus einer prekären lage heraus und am Ende stirbt er wieder fast.
Das gehört alles zur Story und er ist auch keiner, den wir tausend Seiten lang über seine Lage weinen lassen ;)
Ist das generell zu viel für euch? oder kommt es auf das "wie" an?
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Zit am 14. Juli 2014, 21:56:03
Das lässt sich tatsächlich schwer sagen, ohne die Geschichte gelesen zu haben (und nicht nur den genauen Plot zu kennen). Klar ist das Wie entscheidend -- genauso wichtig finde ich es allerdings, ob die Welt das wirklich so her gibt, dass der Charakter von einer Schei*e in die andere tritt. Ob es wirklich für, ich sage mal, auch die Message der Geschichte richtig ist, dass dem Charakter immer wieder solche Sachen widerfahren. Und ob es natürlich auch im Charakter angelegt ist. (Ich bin mir sicher, es gibt noch weitere Punkte.)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Lothen am 14. Juli 2014, 22:11:17
Ich denke, das kommt wirklich auf das "wie" an. Ansonsten schließe ich mit Zitkalasa an, es sollte schon realistisch sein - und manche Typen ziehen den Ärger eben an ;)

Ich frag' mich auch oft, ob ich meiner Prota zu viel antue, aber es ist nun mal Krieg - da wäre es sogar unrealistischer, wenn sie einfach friedlich vor sich hin tanzen würde.

Ich würde allerdings auf jeden Fall dazu raten, zwischendurch auch mal ein bisschen auf die "Pause"-Taste zu drücken, ich denke, das tut dem Leser sicher gut ;)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Guddy am 14. Juli 2014, 22:20:27
Pause gibt's bei uns mehr als genug  ::) ;D

Naja ich muss mal gucken, wie andere Autoren sowas handhaben. Was Gewalt angeht fallen mir nur dummerweise keine Beispiele ein  :hmmm:
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sprotte am 14. Juli 2014, 22:24:04
Ich habe gerade erst einen Roman zerlegt und umgebaut, weil ich es in ihm übertrieben hätte. Fast tot, vom Speer durchbohrt, Folterszene 1, Folterszene 2. Die erste Folterszene ist nun geflogen, weil es einfach zu viel war.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sternsaphir am 14. Juli 2014, 22:55:21
Ich denke auch, wie bereits meine Vorredner erwähnt haben, dass ganz es auf die Geschichte ankommt.
Wenn der Prota von einem Unglück ins nächste rutscht, muss er entweder der erklärte Pechvogel sein oder es wird unrealistisch.
Aber durchaus passieren im Leben dumme Sachen, die aneinander gereiht eine schweres Los ergeben, sodass man sich fragt, wann endlich die versteckte Kamera auftaucht.

Ich habe meine Prota jetzt auch lange genug gequält. Gefangennahme, Verhöre, Freundin leiden sehen, versuchte Vergewaltigung, anstrengende Flucht, zweite Gefangennahme, Zwangsarbeit, keine Rettung, eigene Leute verachten sie . . . langsam reicht es und ich werde wieder versöhnlicher mit ihr, damit es einen Ausgleich zu der harten Zeit davor gibt.

Ich versuche immer so realistisch wie möglich zu schreiben. Aber die Menschen sind auch alle unterschiedlich. Die einen quälen mit Freunden ihre Gefangenen, die anderen versuchen es auf die sanfte Tour, um an Informationen heranzukommen.
Und wenn das ganze Setting in einer unbarmherzigen Umgebung stattfindet, darf man natürlich im Kerker keine offene Diskussionsrunde mit Tee und Keksen erwarten. Da steht dann halt der unterbezahlte und frustrierte Kerkermeister, der wegen dir keinen Feierabend machen kann.  ;)


Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Nebeldiener am 15. Juli 2014, 02:04:12
Bei mir kommt es darauf an, wie ich sie quäle. Baue ich "nur" eine Frau ein, die ihm die grosse Liebe vorspielt und anschliessend wieder verschwindet, oder wird er körperlich gefoltert, so dass er kurz vor dem Sterben ist?
Ich hatte bis jetzt aber noch nie das Gefühl, dass ich meine Protagonisten zu sehr quälen würde, denn das Quälen ist bei mir immer am Plot verschuldet und nicht daran, dass es die Spannungskurve gerade erfordert, damit ich die Spannung an diesem Punkt nicht einbricht. Somit kommt bei mir auch nie das Gefühl hoch, dass ich zu hart bin. Wenn mir etwas ganz nahe geht, entwickle ich normalerweise eine Hass auf die Verursacher.
Zum Beispiel wird in einer meiner Geschichte eine Frau als kleines Kind von ihrer Familie getrennt, in dem sie entführt wird. In solchen Momenten denke ich mir nicht, dass ich meine Protagonistin ungerecht behandle und ich die Entführung ja eigentlich gar nicht bräuchte, weil es auch so und so geht. Nein. Je mehr ich darüber schreibe, desto grösser wird meine Abneigung gegenüber den Entführer.
Am liebsten halte ich es dann so, dass die "Bösen" am Ende auch ihre verdiente Strafe bekommen haben.

Nebeldiener
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Churke am 15. Juli 2014, 10:51:28
Wer immer Gas gibt, dem geht irgendwann der Sprit aus. Daneben drohen Abnutzungseffekte und - ganz wichtig -  Ablenkung vom Wesentlichen. Wenn ich die ganz große Katastrophe habe, sollte man nicht gleich neue Schicksalsschläge rein drücken. Stellen wir uns einen Nationalspieler vor, der im Finale der Fußballweltmeisterschaft den alles entscheidenden Elfmeter verschießt. Hinterher rutscht er in der Dusche aus und dann wird auch noch sein Handy geklaut.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: phoe am 12. Juli 2015, 09:14:26
Ich buddel das mal hoch ... *huuust*

Im Moment bin ich dabei, etwas Neues auszuprobieren. Ich möchte meiner dunklen Seite etwas mehr Spielraum lassen. Ich versteck sie normalerweise, weil ich wirklich böse sein kann.
Wie weit darf ich gehen, wenn es um Kinderschänder geht? Ich will auf keinen Fall ausführlich vom Mißbrauch der Kinder schreiben. Sondern davon, wie jemand den Kinderschänder hinterher für seine Taten bestraft - ihn richtig quält. Inwieweit ist das ein Tabuthema, darf man überhaupt darüber schreiben?
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sprotte am 12. Juli 2015, 09:32:23
1. Erlaubt ist alles (ob es veröffentlichbar ist und/oder Leser findet, ist eine zweite Frage)

Es gibt Dinge, bei denen ich selbst beim Schreiben Bauchweh hätte. Wer soll bei Deiner Idee den Kinderschänder quälen? Und welchen Mehrwert hat die Folter für die Geschichte? Ein Mißbrauchsopfer oder ein Elternteil eines solchen Opfers? Ein Polizist, der zu viele mißhandelte Kinder gesehen hat?
Das schmeckt für mich persönlich problematisch, wenn eine Gestalt der grundsätzlich "guten Seite" sich in solche Abgründe begibt. Jede Tat hinterläßt Spuren in der Seele/Persönlichkeit. Auch ein Racheakt. Und ob das so befriedigend ist, dem Schänder in den Eingeweiden herumzuwühlen? Ob es der Opferseite hilft?

Mir ist in meinen Romanen aufgefallen, daß ich die schlimmsten Gegner immer am schnellsten umbringe. Ich will sie richten, nicht meine Figur sich an ihnen rächen lassen - auch um der moralischen Reinheit meiner Figur zuliebe. Edler Rächer - nicht auf einer Stufe oder gar noch darunter mit dem Übeltäter.

Hilft Dir davon was?
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: phoe am 12. Juli 2015, 09:48:04
ZitatHilft Dir davon was?
Auf jeden Fall. Vielen Dank.  :knuddel:
Zitatauch um der moralischen Reinheit meiner Figur zuliebe. Edler Rächer - nicht auf einer Stufe oder gar noch darunter mit dem Übeltäter.
Ich denke, genau diesen Punkt hatte ich nicht bedacht. Du hast Recht. Egal was geschehen ist, der/die Prota sollte nicht auf der gleichen Stufe stehen oder gar darunter.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: PinkPuma am 12. Juli 2015, 10:06:38
Ich würde Sprotte hier in allen Punkten zustimmen wollen. Nur noch einen kleinen Denkanstoß hinzufügen wollen:

Zitat von: Sprotteauch um der moralischen Reinheit meiner Figur zuliebe. Edler Rächer - nicht auf einer Stufe oder gar noch darunter mit dem Übeltäter.

Die Frage für mich wäre, inwieweit Rache den eigentlichen Täter und das sich rächende Opfer auf eine Stufe stellt? Es wäre natürlich eine absolute Gradwanderung. Das Kunststück, den Rächer so sympathisch und seine Rachegedanken (und Rachetaten) so nachvollziehbar zu machen, dass er (oder sie) Sympathieträger bleibt. Und dann wiederum stellt sich die Frage, ob es dann nicht in eine Richtung geht, Rache und Selbstjustiz zu rechtfertigen...

Eine Paradelösung kann ich auch nicht anbieten, das oben lediglich als Denkanstoß, da ich das Thema sehr spannend (und auch wichtig) finde. Es kommt wohl auch sehr auf den Kontext an. In einer Fantasywelt, in der jeder zweite mit einem Schwert hantiert und rechtsprechende Instanzen vielleicht nicht so differenziert auftreten, wäre ein solcher Rächer für mich von einer anderen moralischen Qualität als in einem Setting im 21. Jahrhundert. Auch das nur als Denkanstoß...
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sascha am 12. Juli 2015, 11:19:39
Ich denke, man kann durchaus eine gequälte Seele (wie z.B. Vater oder Bruder des Kindes) alle Grenzen überschreiten lassen. Daß derjenige sich hinterher nicht besser, sondern eher schlechter fühlt, ist dann aber die andere Seite.
Wenn ich mir vorstelle, meinen Kindern würde sowas angetan, ich weiß nicht, wozu ich fähig wäre, ehrlich. Wahrscheinlich würde mich nur die Verantwortung für mein Kind (bzw. u.U. nur noch das andere) davon abhalten, etwas zu tun, was mich lange Jahre in den Knast brächte.
Ich weiß nicht, was dem Kind in Deiner Geschichte passiert und vor allem nicht, ob es auch noch umgebracht wird. Nehmen wir letzteres an, außerdem vergehen noch ein paar Jahre, in denen der Schmerz über den Verlust die ganze Familie zerstört hat, und dann kriegt der Vater den Täter in die Finger. Er hat durch den Typ alles verloren, also auch nichts mehr zu verlieren. Und er will, daß auch der Täter jahrelang bzw. ein Leben lang leidet, so, wie der Vater (oder bei Überleben auch das Kind) und der Rest der Familie. Das könnte durchaus dazu führem, daß er dem Verbrecher schlimmstes antut. Er wird sich hinterher nicht besser fühlen, er wird nicht "befriedigt" sein, sondern eher in ein noch tieferes Loch fallen, aber erst mal könnte es durchaus dazu kommen.
Wenn man herausarbeitet, daß diese Rache am Ende niemandem geholfen hat, dann ist es auch keine Verherrlichung derselben, finde ich.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Judith am 12. Juli 2015, 11:47:25
Ich schließe mich da Sascha an.

Die Frage ist für mich auch: Liegt dir etwas an der moralischen Reinheit der Figur? Mir als Leserin nämlich normalerweise nicht, aber ich möchte nicht, dass eine Figur, die so etwas macht, als moralisch einwandfrei dargestellt wird, eben nicht als "edler Rächer" wie auch Sprotte schon geschrieben hat.
Daher wäre es für mich bei einer derartigen Szene auch sehr wichtig, wie die Figur später damit umgeht, dass sie so etwas getan hat. Das wäre für mich auch das eigentlich interessante daran, da ich solche Abgründe und auch solche moralischen Konflikte wahnsinnig spannend finde. Wenns dagegen nur um das Quälen an sich geht, würde ich persönlich das nicht lesen wollen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Angela am 12. Juli 2015, 12:22:11
Kennst du den Film Prisoners mit Hugh Jackman? Da glaubt er, den Entführer seiner Tochter in den Händen zu haben und foltert ihn über Tage. Ich fand es ziemlich unerträglich, obwohl das Opfer nie gezeigt wurde. Der Film war beeindruckend, aber verstörend.
Ebenso diese realen Lynchfilme, die man immer mal sehen kann. Selbst wenn diese Menschen üble Dinge getan haben sollten, wechselt da der Blick auf das Böse für mich ganz schnell. Was ich damit sagen will, foltern ja, aber nur, wenn es eine Notwendigkeit ist, also nicht nur dem reinen Quälen/Bestrafen an sich dient.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: phoe am 12. Juli 2015, 12:28:55
Wow, Ihr gebt mir Stoff zum nachdenken - danke.
ZitatDie Frage für mich wäre, inwieweit Rache den eigentlichen Täter und das sich rächende Opfer auf eine Stufe stellt? Es wäre natürlich eine absolute Gradwanderung. Das Kunststück, den Rächer so sympathisch und seine Rachegedanken (und Rachetaten) so nachvollziehbar zu machen, dass er (oder sie) Sympathieträger bleibt. Und dann wiederum stellt sich die Frage, ob es dann nicht in eine Richtung geht, Rache und Selbstjustiz zu rechtfertigen...
Ich wäre tatsächlich beinahe in die Selbstjustiz gerutscht. Was nicht wirklich mein Ziel war, das gut zu heißen.
ZitatWenn ich mir vorstelle, meinen Kindern würde sowas angetan, ich weiß nicht, wozu ich fähig wäre, ehrlich. Wahrscheinlich würde mich nur die Verantwortung für mein Kind (bzw. u.U. nur noch das andere) davon abhalten, etwas zu tun, was mich lange Jahre in den Knast brächte.
So geht es mir schon seit ewigen Jahren. Wobei ich nichts und erst recht nicht für mich garantiere, nicht doch im Affekt ohne nachzudenken zum Killer zu werden. Mit Zeit zum Nachdenken kommen böse Quälereien raus, die mir für so einen Unmenschen einfallen.  :darth: Ich hatte am Freitag, bei einem Treffen mit Freunden und ebenfalls Schreibenden dieses Thema angesprochen und bei den männlichen Zuhörern nicht nur eine Gänsehaut und erschrockene Gesichter gesehen.
ZitatDaher wäre es für mich bei einer derartigen Szene auch sehr wichtig, wie die Figur später damit umgeht, dass sie so etwas getan hat. Das wäre für mich auch das eigentlich interessante daran, da ich solche Abgründe und auch solche moralischen Konflikte wahnsinnig spannend finde. Wenns dagegen nur um das Quälen an sich geht, würde ich persönlich das nicht lesen wollen.
Genau, das ist es. In meinem Fall, die Rächerin müsste damit leben müssen. Mir fehlte noch einiges, was ich jetzt langsam finde.
Ich bin wahrscheinlich doch nicht dazu geschaffen, sowas zu schreiben. Ich sollte bei meinen fantasievollen Kinder- und Jugendgeschichten bleiben.  :D

Edit: @Angela, ja, den Film kenne ich. Wenn ich solche Filme sehe, dann schwanke ich zwischen Zustimmung und Abscheu. Wenn ich dran denke, meinem Kind würde etwas Schlimmes passieren, sind in dem Moment alle Folter erlaubt und viel zu harmlos. Aber nicht, wenn ich es mir einfach nur "zur Unterhaltung" ansehe, dann schalt ich auch schon mal weg.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sascha am 12. Juli 2015, 14:56:14
Zitat von: Angela am 12. Juli 2015, 12:22:11
Was ich damit sagen will, foltern ja, aber nur, wenn es eine Notwendigkeit ist, also nicht nur dem reinen Quälen/Bestrafen an sich dient.
Sorry, aber:
Folter hat keinerlei anderen Zweck als Quälen, sei es zur Strafe, aus Rache oder aus purem Sadismus. Jeglicher Aberglaube, Folter wäre dazu geeignet, wichtige Informationen aus jemandem herauszupressen, ist seit langem widerlegt, was ja bzgl. Abu Ghuraib, Guantanamo usw. erst vor wenigen Jahren mal wieder ausgiebig durchgekaut wurde. Folter als Notwendigkeit gibt es nicht.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Angela am 12. Juli 2015, 15:12:10
Zitat von: Sascha am 12. Juli 2015, 14:56:14
Sorry, aber:
Folter hat keinerlei anderen Zweck als Quälen, sei es zur Strafe, aus Rache oder aus purem Sadismus. Jeglicher Aberglaube, Folter wäre dazu geeignet, wichtige Informationen aus jemandem herauszupressen, ist seit langem widerlegt, was ja bzgl. Abu Ghuraib, Guantanamo usw. erst vor wenigen Jahren mal wieder ausgiebig durchgekaut wurde. Folter als Notwendigkeit gibt es nicht.
Die Amis haben feststellen müssen, dass es viel ergiebiger ist, die Leute langsam umzudrehen, aber das erfordert Zeit und sehr einfühlsame Verhörer. Andererseits erinnern wir uns sicher an die Entführung und Ermordung des kleinen Jungen damals, da musste der Polizeichef doch den Hut nehmen, weil er dem wahrscheinlichen Entführer des Jungen Folter angedroht hat. (Falls der Junge noch gelebt hätte, hätte er ihn so retten können.) Der Täter hat sofort geredet. Und es gibt diese Banden, die Leute nachts überfallen und foltern, bis sie ihnen ihr ganzes Vermögen geben. Mir müsstest du nur einen Zahnarztbohrer vors Gesicht halten und ich sage dir alles. Wenn es dann schnell gehen muss, halte ich es also schon für eine Option, als Autorin versteht sich.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sascha am 12. Juli 2015, 17:24:39
Okay, da hab ich mit Folter ein bißchen was anderes gemeint. Den Fall mit dem Polizeichef kenn ich natürlich, hab ich doch sogar in meinem "Kurt" angesprochen. Wobei der Ausdruck Folter da wirklich von der Presse und dem Anwalt dieses Miststücks angebracht wurde, so deutlich wird der Polizist nicht geworden sein. Er hat, glaub ich, nur gedroht, daß es sehr unangenehm werden könnte. Evtl. hat er auch "schmerzhaft" gesagt, was dann natürlich schon eindeutiger in die Richtung ginge. Solche Typen wie dieser Entführer und Mörder sind armselige Feiglinge, denen muß man wirklich nur drohen.
Als "Notwendigkeit" sehe ich Folter nicht an, wenn man jemanden Ausraubt. Als Methode, ja. Aber notwendig?

Ich hab jetzt wirklich an ausgiebige Folter gedacht, nicht die "paar Ohrfeigen", die in Krimis gerne mal verabreicht werden, um schnell an eine Aussage zu kommen. Auch, wenn die streng genommen natürlich auch so einzustufen sind, weil sonst die Grenzziehung beliebig würde, klar. Da spielt aber oft noch eine gewissen Portion Affekt eine Rolle.
Also, ich dachte an so Sachen wie: einzeln die Finger brechen, Verbrennungen, geplanter Mißbrauch oder, mehr psychisch, die berühmte Wassertropfen-Folter, Schlafentzug usw. Ganz perfide: Dauerbeschallung mit Helene Fischer im Wechsel mit Modern Talking. ;D
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Ahneun am 12. Juli 2015, 21:09:47

Zitat von: Sascha am 12. Juli 2015, 17:24:39
Also, ich dachte an so Sachen wie: einzeln die Finger brechen, Verbrennungen, geplanter Mißbrauch oder, mehr psychisch, die berühmte Wassertropfen-Folter, Schlafentzug usw. Ganz perfide: Dauerbeschallung mit Helene Fischer im Wechsel mit Modern Talking. ;D
Hallo Sascha,
also alles zusammen betrachtet, hätte ich bei Helene Fischer und Modern Talking nicht diese Empfindungen wie beim Foltern wo mir die Finger einzeln gebrochen werden.  :rofl: Da ich Schlager mag, würde ich mich über diese Foltermethode freuen.  :vibes:

Spass bei Seite, bei Pety stelle ich mir die Handlung schwierig vor, auf der einen Seite den Rächer, der die Handlung des perfiden Typen "ahndet". Auf der anderen Seite, welche Stellung nimmt dieser Rächer in dem gesamten Projekt ein. Beschreibt der Roman das Leben des misshandelten Kindes, des Kinderschänders, oder des Rächers. Und gibt es eine Schilderung wie das Kind geschändet wird? Wenn ja, wie dramatisch oder extrem, soll der Leser von der Schändung erfahren? Oder, beschreibt der Roman die Ächtung und am Ende den Tod des Schänders.

Wenn der Rächer seine Tat verübt, wer erzählt über diese Taten? Nimmt der Leser die Beobachterrolle ein oder, - wie soll der Leser über diese Tat erfahren? Sehr schwierig das alles.
Wie Sprotte bereits schrieb, - machbar/schreibbar ist alles. Ob es aber das entsprechende Publikum gibt bleibt ab zu warten. Die Story selbst finde ich spannend. Aber ich hätte als Leser gern gewusst, ob ich ein Buch in der Hand halte wo es ausschließlich um die Rache von der Kinderschändung, oder von dem Schänder lese, der am Ende ein braver Erdenbürger wird, nachdem er seine schändliche Tat bereut.

Ich glaube, hier geht es darum, den Typen, der das/die Kind(er) vorher geschändet, bzw. mehr oder weniger sich vorher an ihnen vergangen hat, zu quälen. Oder, soll sich der Leser daran erfreuen, dass der Schänder gequält wird und seine schändliche Tat aufgedeckt und nun endlich gesühnt wird? Und wie findet der Roman seinen Abschluss?

Es steht hier absolut außer Frage, wenn wir in eine solche Situation geraten, gerade dann besonnen und rechtskonform zu handen. Ich glaube, dass Jeder von uns (ich auch) zum Straftäter werden könnte. Doch hier geht es darum zu beschreiben, - was wäre wenn und wie be-schreibe ich es.

Eine interessante Frage.
LG,
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Moni am 13. Juli 2015, 11:20:11
Zitat von: Sprotte am 12. Juli 2015, 09:32:23
Das schmeckt für mich persönlich problematisch, wenn eine Gestalt der grundsätzlich "guten Seite" sich in solche Abgründe begibt. Jede Tat hinterläßt Spuren in der Seele/Persönlichkeit. Auch ein Racheakt. Und ob das so befriedigend ist, dem Schänder in den Eingeweiden herumzuwühlen? Ob es der Opferseite hilft?
Wenn es zur Geschichte passt und der Weg der eigentlich positiven Figur in den Abgrund ein Thema der Handlung ist, dann finde ich es persönlich absolut gerechfertigt auch etwas drastischer zu werden. Und der Opferseite hilft Rache eigentlich nie, darüber sollte man sich grundsätzlich klar sein. Es gibt vielleicht einen kurzen Moment, in dem man glaubt, sich besser zu fühlen. Aber danach stürzt man möglicherweise in noch größere Leere - was doch für einen Autor eine ideale Ausgangslage für eine hochinteressante Charakterentwicklung ist.  8)

Zitat
Mir ist in meinen Romanen aufgefallen, daß ich die schlimmsten Gegner immer am schnellsten umbringe. Ich will sie richten, nicht meine Figur sich an ihnen rächen lassen - auch um der moralischen Reinheit meiner Figur zuliebe. Edler Rächer - nicht auf einer Stufe oder gar noch darunter mit dem Übeltäter.

Moralische Reinheit ist aber nicht in jedem Roman sinnvoll. In einem Roman, in dem Rache (nicht Gerechtigkeit!) das zentrale Thema ist, darf die Hauptfigur von mir aus am Ende genauso dunkel und gebrochen sein wie die Person, an der sie sich rächt. Es gibt keine "edlen" Rächer. Rache ist in der Regel Selbstjustiz, da ist nix edles dran. Eine Hauptfigur muß nicht zwangsweise sympathisch sein, nur nachvollziehbar (und in dem von Pety genannten Beispiel würde ich sagen, ist der Wunsch nach Rache absolut nachvollziehbar).
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: phoe am 13. Juli 2015, 11:37:06
Ich bin inzwischen, dank Euch, inzwischen zu der Überzeugung gelangt - wenn ich mich an dem Thema ernsthaft versuche, dann wird es in ekliger Selbstjustiz enden, die keiner lesen will. Versuche ich ein wenig Abstand und Anstand in das Ganze zu bringen, dann muss ich mich derart verbiegen, dass das schreiben keinen Spaß mehr macht.
Ich danke Euch auf jeden Fall, für Eure Meinungen und Aussagen.  :gruppenknuddel:
Für mich habe ich jetzt entschieden, ich werde schreiben, was ich im Kopf hab - nur damit es da raus kommt. Anschließend wird es in den Tiefen der externen Festplatte verbuddelt. Ob als Plot, angefangene Kapitel oder einfach nur Fantasiespielereien eines Möchtgern-Psycho-Schreibers.  :snicker:
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: funkelsinlas am 24. August 2015, 17:01:31
Mich würde mal interessieren, aus welcher Perspektive ihr foltert. Schreibt ihr als Beobachter oder Täter oder Opfer? Ich will im nächsten Projekt nämlich eine Vergewaltigung aus der Sicht des Opfers schreiben und würde mich wenn gerne über ein paar Erfahrungen oder Meinungen dazu freuen.

Wie man sieht, ich folter meine Protas oft. Nicht gerne, aber es ist ja nicht meine Schuld, wenn sie nicht antworten wenn sie gefragt werden! :darth: Planen tu ich davon nur wenige Szenen, aber es passt manchmal einfach so schön. Besonders psychische Folter. Das beste ist, wenn man die beiden verbindet und der Prota ein kleines Wrack ist. Aber die Geschichte verlangt dann von ihm, dass er mit dem Eimer das Wasser aus dem sinkenden Schiff schippt. Komischerweise geht es denen, die ich besonders mag, immer am dreckigsten. Muss ich mir Gedanken machen? :engel:
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Guddy am 27. August 2015, 12:57:26
Also ich habe bisher genau eine Vergewaltigung beschrieben. Aber ich möchte kurz vor allem aus Lesersicht antworten:
Triggern kann man immer, mit allem. Aber Vergewaltigungen finde ich persönlich wirklich außerordentlich heikel.
Wenn man aus Sicht des Täters beschreibt: Was soll damit bezweckt werden? Der Täter wird es toll finden, sich an der Macht ergötzen etc.pp. - aber will ich das als Leser lesen? Die Gefahr, den Akt durch die Perspektive des Täters gewissermaßen zu glorifizieren, ist definitiv gegeben.(wie bei allen anderen Dingen natürlich auch.) Ich persönlich werde dadurch getriggert und will es einfach nicht so lesen.

Aus Sicht des Opfers würde ich ausblenden. Schon zeigen, was da passiert bzw. worauf es hinaus laufen wird, aber der eigentliche Akt.. ist unglaublich schwierig. Vor allen Dingen(!) würde ich, wenn man es ausschreibt, von jedem positiven Wort absehen. Da ist nichts positives dran und das Opfer wird nichts positives daran finden. Ich habe mal eine Vergewaltigungsszene gelesen, de sich fast erotisch angelesen hat. Das geht für mich absolut nicht.

Bei meiner Szene habe ich den Akt selber ausgeblendet und nur noch ganz kurz verzerrte Eindrücke des Geschehens seitens des Opfers beschrieben.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Fianna am 27. August 2015, 13:28:14
Opfer haben sowieso häufig einen Blackout, weil das ganze Geschehen (insbesondere der Kontrollverlust) als so traumatisch empfunden wird.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Lothen am 27. August 2015, 13:58:59
Ich möchte Guddy in den meisten Dingen zustimmen: Wenn sich eine Vergewaltigungsszene wie SM-Sex liest, dann hat der Autor definitiv was falsch gemacht. Es mag zwar Opfer geben, die sich das Erleben im Nachhinein schön reden, um es verarbeiten zu können (v.a. wenn der Täter der (Ehe-)Partner war), aber währenddessen ist da nichts Positives.

Zitat von: Guddy am 27. August 2015, 12:57:26Bei meiner Szene habe ich den Akt selber ausgeblendet und nur noch ganz kurz verzerrte Eindrücke des Geschehens seitens des Opfers beschrieben.
Als kurzes Gegenbeispiel: Ich hab es nicht so gemacht (und die Rückmeldungen waren eigentlich sehr positiv). Ich hab den Akt (aus Opfersicht) ausgeschrieben, wobei ich bei den Beschreibungen natürlich wesentlicher vager und oberflächlicher geblieben bin, als bei einer Erotikszene. Das macht, denke ich, auch einen gravierenden Unterschied aus. Das Opfer einer Vergewaltigung wird keinerlei körperliche Vorzüge am Täter wahrnehmen (selbst wenn er, objektiv betrachtet, attraktiv sein sollte) und sich vielleicht sogar ganz bewusst auf Details der Umgebung konzentrieren statt auf den Täter.

Ansonsten sehe ich es aber auch nicht als problematisch an, die Szene auszublenden. Wie so oft entstehen Schrecken ja auch allein dadurch, dass man ahnt, was passiert ist, ohne es wirklich genau zu wissen.

Viel schwieriger als die Tat an sich finde ich es übrigens, die Reaktion adäquat zu schildern. Sicher ist jeder Mensch einzigartig und reagiert auf solche Erlebnisse völlig individuell, aber trotzdem sollte die Reaktion auf den Leser ja nachvollziehbar wirken.

@Fianna : Hm, also das wäre mir neu ... Es gibt zwar traumatische Amnesien, aber die sind, meines Wissens, relativ selten. Ich denke, das ist eher ein Akt des Verdrängens und des aktiven Vergessens.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Guddy am 27. August 2015, 14:36:00
Also ich weiß auch noch gar nicht,ob ich immer ausblenden würde, da es auf den Gesamtkontext und die Wichtigkeit der Szene etc. ankommt. Bei der Szene, die im Nano kommen wird, muss ich es mir wieder neu überlegen.

Was mir aber gerade eingefallen ist: Bei Frauen ist ja die Vergewaltigungsfantasie relativ weit verbreitet, was ich auch völlig ok finde - ist eben eine Fantasie und die hat mit der Realität nicht unbedingt etwas zu tun. Wenn es also um eine Fanfiction/erotische Kurzgeschichte geht, ist es für mich etwas anderes. Da weiß der Leser schon vorher, was ihn erwartet, um welche Art Geschichte es sich handelt und was Kern der ausgeschriebenen Fantasie ist - wird also nicht inmitten eines Romans (und sei dieser an sich noch so brutal) mit einer "erotischen Vergewaltigung" konfrontiert.

Das wollte ich nur noch kurz anmerken. Also für mich. Da darf auch wieder jeder anderer Meinung sein ;)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Valkyrie Tina am 27. August 2015, 15:57:20
Funkel, ich muss noch mal was zu deinem Beitrag sagen. Ich bin mir nicht sicher, aber kann es sein, dass du da 2 Gedanken vermischt hast?

Der erste Absatz fragt sehr trocken nach Erfahrungen bei Schilderung einer Vergewaltigung.
Der zweite Absatz ändert dann völlig den Ton, und geht in die Richtung  "Oh, ich mag es wenn meine Protas in Schwierigkeiten kommen, höhö!" 

Und dieser Ton, in Verbindung mit einer Vergewaltigung geht für mich nicht zusammen.
Als Autoren müssen wir unsere Figuren in schwierige Situationen bringen, auch manchmal Spaß daran haben, was ihnen so alles an Problemen widerfährt. Aber - uns darüber freuen, wenn sie vergewaltigt werden?
In meinem letzten Buch habe ich einen Charakter, der zwischen zwei unerträglichen Entscheidungen steht und dabei immer tiefer in den Wahnsinn verfällt. Es gehört zu dem Buch, deswegen musste ich als Autor es schreiben. Ich liebe diesen Charakter, aber die Entwicklung war nötig, um der Geschichte UND dem Charakter treu zu bleiben. Und ich hab es irgendwo genossen, das zu schreiben, weil es das beste ist, was ich als Autor je zustande gebracht hab. Aber ich hab geheult, als der Charakter dann letztendlich gestorben ist. Weil es so dramatisch war, und so tragisch. 

Eine Vergewaltigung ist ein traumatisches Ereignis, und jegliches Witzchenreißen darüber ist einfach unpassend und wird dir bös angekreidet werden. Ich meine jetzt nicht die von Guddy angesprochene sexuelle Fantasie. Das ist was anderes. Das ist nichts anderes als das, eine Fantasie. Aber eine echte, beschriebene Vergewaltigung? Du kannst es machen (auch wenn ich persönlich finde, dass Vergewaltigung in 9 von 10 Fällen einfach nur Effekthascherei ist), aber dann mit dem gebührenden Ernst.




Zitat von: funkelsinlas am 24. August 2015, 17:01:31
Mich würde mal interessieren, aus welcher Perspektive ihr foltert. Schreibt ihr als Beobachter oder Täter oder Opfer? Ich will im nächsten Projekt nämlich eine Vergewaltigung aus der Sicht des Opfers schreiben und würde mich wenn gerne über ein paar Erfahrungen oder Meinungen dazu freuen.

Wie man sieht, ich folter meine Protas oft. Nicht gerne, aber es ist ja nicht meine Schuld, wenn sie nicht antworten wenn sie gefragt werden! :darth: Planen tu ich davon nur wenige Szenen, aber es passt manchmal einfach so schön. Besonders psychische Folter. Das beste ist, wenn man die beiden verbindet und der Prota ein kleines Wrack ist. Aber die Geschichte verlangt dann von ihm, dass er mit dem Eimer das Wasser aus dem sinkenden Schiff schippt. Komischerweise geht es denen, die ich besonders mag, immer am dreckigsten. Muss ich mir Gedanken machen? :engel:
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Lothen am 27. August 2015, 16:13:12
@Valkyrie Tina : Die Entwicklung, die du da beschreibst, kommt mir sooo bekannt vor. :seufz: Figuren quälen kann manchmal nötig sein (und auch Spaß machen, wenn man sieht, wie sich jemand plötzlich verändert, entwickelt, aus sich herauswächst), aber ich hab selbst gemerkt, dass man das nicht unendlich ausreizen kann. Für meine ewig gequälte Prota hab ich extra deswegen einen ultra-kitschigen Friede-Freude-Eierkuchen-Epilog geschrieben, den ich sicherlich wieder streiche, der sich aber wirklich gut angefühlt hat. :wolke:

Zitat von: Valkyrie Tina am 27. August 2015, 15:57:20(auch wenn ich persönlich finde, dass Vergewaltigung in 9 von 10 Fällen einfach nur Effekthascherei ist)
Diesen Vorwurf der Effekthascherei finde ich immer ein bisschen schwierig (allgemein, nicht nur auf Vergewaltigungen bezogen).

Klar will ich als Autor beim Leser Gefühle erzeugen, wenn ich meine/n Prota in Schwierigkeiten bringe (Wut, Rachegefühle, Hass, Ekel, Abscheu etc.) - aber ich verstehe nicht, warum das ein Problem ist? Die meisten hochemotionalen Szenen haben ja in erster Linie die Aufgabe, Gefühle zu erzeugen oder die Motivation der Figuren (z.B. des Antagonisten) zu unterstreichen. Insofern finde ich solche Szenen auch dann gerechtfertigt, wenn sie nicht unmittelbar plotrelevant sind, mich aber dem/der Protagonisten/in oder andern Akteuren näher bringen (und sei es, weil man mit ihnen mitleidet).

Sorry, das klang jetzt ein wenig konfus. Irgendwie bin ich heute nicht mehr so denkfähig. :rofl:
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Churke am 27. August 2015, 16:36:21
Zitat von: Lothen am 27. August 2015, 16:13:12
Klar will ich als Autor beim Leser Gefühle erzeugen, wenn ich meine/n Prota in Schwierigkeiten bringe (Wut, Rachegefühle, Hass, Ekel, Abscheu etc.) - aber ich verstehe nicht, warum das ein Problem ist?

Problem möchte ich nicht sagen, aber solche Effekte nutzen sich ab. Ich find's irgendwie billig, den Infanten nackte Jungfrauen pfählen zu lassen, damit der Leser sieht, was der für ein kranker Drecksack ist.


Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Lothen am 27. August 2015, 16:38:03
Da geb ich dir recht, Churke, da gibt es sicher elegantere Methoden - sofern es wiederum zum Antagonisten passt. Wenn der einfach nicht der Typ für subtile psychologische Foltermethoden ist, sondern lieber mal ein paar Köpfe abschlägt, dann ist es halt unter Umständen so. ;)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Guddy am 27. August 2015, 16:41:50
Ich schreibe in erster Linie für mich selbst, habe weder den Buchmarkt, noch die Erfahrungen etwaiger Leser im Blick. Solange sich ein "Effekt" bei mir und meinem jeweiligen Projekt nicht abgenutzt hat, ist es mir schnurz und dann benutze ich es auch. Oberstes Gebot bei mir ist, dass es zu den Charakteren und zum Setting passt. Wenn es das tut: go.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Lucien am 27. August 2015, 17:23:47
@funkelsinlas: Eine richtige Vergewaltigung habe ich bisher noch nicht geschrieben und ich denke auch nicht, dass ich das so bald tun werde. Da kann ich dir also nicht mit Erfahrung dienen.
Was Folter im Allgemeinen angeht habe ich in meinem aktuellen Projekt beides: Folter aus Sicht des Opfers und des Täters mit jeweils unterschiedlichen Motivationen. Die Folter durch den Antagonisten schreibe ich aus der Sicht des Opfers, da er einer der Protagonisten ist und sich die Perspektive dadurch von selbst ergibt. Die Folter ist sowohl physischer als auch psychischer Natur und soll das Opfer brechen. Die Folterszenen, die ich aus der Sicht der Täter schreibe, sind rein physischer Natur und sollen konkrete Informationen liefern.
Beide Varianten finde ich sowohl spannend bis vergnüglich zu schreiben als auch zu lesen.
Um jetzt wieder auf die Vergewaltigung zu kommen: Da bin ich mir nicht so sicher, wie ich persönlich es anstellen würde. Das ist etwas, was mir grundsätzlich nicht so behagt, weder beim Lesen noch beim Schreiben. In einem angefangenen Roman schreibe ich aus der Sicht des Bösen. Mein Prota genießt es mit Frauen zu spielen, allerdings nimmt er sich nur welche, die sich ihm mehr oder weniger freiwillig (ob nun aus Angst oder Faszination) fügen. Vergewaltigungen gibt es also auch da nicht. (Wobei sich an dieser Stelle natürlich darüber diskutieren ließe, ab wann man überhaupt von einer Vergewaltigung sprechen kann.)
Eine ganz eindeutige Vergewaltigung könnte und wollte ich vermutlich - sowohl aus Sicht des Opfers als auch aus Sicht des Täters - nur andeutungsweise Schreiben und würde mich darum bemühen, es nicht in irgendeiner Form zu glorifizieren. (Was aus Tätersicht vermutlich schwierig wäre, aber auch da gibt es sicher Mittel und Wege, um dem Leser klar zu machen, dass man Vergewaltigung grundsätzlich nicht gut findet. Auf der anderen Seite hoffe ich doch, dass die Leser genug Grips haben, um das auch so zu wissen.)

Was die Effekthascherei angeht, halte ich es wie Guddy: So lange es mir noch nicht zum Hals heraushängt eine Figur zu quälen und ich noch genug Einfälle habe, um für Abwechslung zu sorgen, schreibe ich es auch. Einer meiner Protas leidet quasi schon seit Beginn von Band 1 durchgehend und verbringt den größten Teil von Band 2 in den Fängen des Antas. Dabei hat sein Leid zahlreiche Facetten von profanem Liebeskummer bis hin zur tatsächlichen Folter - und ich bin es immer noch nicht leid. Es ist plotrelevant und die Entwicklung der Figur ist einfach zu spannend.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Zit am 27. August 2015, 20:49:52
Hm. (Ausgeschriebene) Vergewaltigungen sind für mich etwas, das in einem Unterhaltungsroman nichts zu suchen hat. Die erste Vergewaltigung, die mir in einem Unterhaltungsmedium begegnete, war der Missbrauch des Großvaters am Enkel bei Schöne Verhältnisse von Edward St. Aubyn. Er schildert das Vorgehen so, dass es aus der Sicht des Jungen geschrieben ist, der im Moment des Missbrauchs eher mit dem Gecko an der Zimmerdecke beschäftigt ist als mit seinem Großvater. Nach der Szene hätte ich aber trotzdem kotzen und den Großvater zu Brei schlagen können ... Die zweite Vergewaltigung, die mir begegnete, war bei Valhalla Rising, die an sich nochmal eine Spur schlimmer war, weil mir viel früher klar war, was passieren würde und die Filmemacher dann das haben auch ausspielen lassen. Danach war ich ziemlich verstört und habe Tage gebraucht, die Bilder aus meinem Kopf zu verbannen.
Vergewaltigungen sind für mich also ganz allgemein etwas, das imho weder ausgeschrieben noch ausgespielt gehört. Ich schaue ja auch nicht dabei zu wie jemand einen Menschen genüsslich ausweidet und seziert.

@Vergewaltigungsfantasien: Kann ich, ehrlich gesagt, auch nicht nachvollziehen. Klar darf der oder die Partner/in auch gerne mal bestimmend sein, aber trotzdem ist das doch alles recht gleichberechtigt. Vor einer Weile hatte ich einen Erotikroman angelesen, der mit einer Gartenparty begann und wo der Typ die Frau abgeschleppt hat wie ein Neandertaler (über die Schulter gelegt), sie Zeter und Mordio schrie und alle anderen Anwesenden nur wissend grinsten. Da habe ich als Leser nur'n Hass gekriegt. Zum einen, weil ein Stopp nicht als Stopp aufgefasst wurde (und die Szenen waren aus Sicht der Frau geschrieben, deren Gedanken eindeutig zeigten, dass sie es wirklich nicht will und nicht nur so tut) und zum anderen wegen der ganzen Idioten, die noch dummfeixend daneben standen. (Und nur weil die Gäste zu 99,99% aus der SM-Szene kommen, heißt das noch lange nicht, dass solches Zeter nur gespielt ist.)

ZitatIch will im nächsten Projekt nämlich eine Vergewaltigung aus der Sicht des Opfers schreiben und würde mich wenn gerne über ein paar Erfahrungen oder Meinungen dazu freuen.

Erfahrungen dazu freuen finde ich richtig, richtig falsch formuliert. Das klang für mich beim ersten Lesen so als würdest du erwarten, dass jemand von uns vergewaltigt wurde und jetzt bittedanke mal seine "Erfahrungen" mit uns teilen soll. :no: Ansonsten stimme ich Tina zu, was die Formulierung sonst angeht.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Cherubim am 27. August 2015, 23:05:20
Ich finde die ursprüngliche Frage sehr interessant. Ich denke momentan über ein sehr ähnliches / gleiches Thema nach. Wann leidet der Held zu viel bzw. kann der Held überhaupt zu viel leiden? Kann man das überhaupt irgendwie eingrenzen oder empfindet das nicht jeder anders?

Bei mir hat sich das im Laufe der Zeit, besonders die letzten 2 – 3 Jahre sehr verändert. Früher ist es mir sehr schwer gefallen, meine Charaktere leiden zu lassen. Einfach, weil ich selbst zu sehr mitgelitten haben bzw. ich meine Lieblinge einfach glücklich sehen wollte. Aber leider ist eine Geschichte, wo immer alles nur schön ist, auf die Dauer stinke langweilig. Mittlerweile macht mir sogar eine gewisse Freude, mir negative Dinge auszudenken, weil ich die Charaktere so an ihre Grenzen bringen kann. Gefühle zeigen und schreiben kann und die Geschichte so hoffentlich noch intensiver und emotionaler wird.

Soviel zur Theorie. Diese Ideen dann auch in einer Szene umzusetzen ist wieder etwas ganz anderes. Da kommt es dann wirklich darauf an, wie schlimm ich persönlich etwas finde. Manchmal reizt mich so eine Szene, aber es gibt auch dramatische Szene vor denen ich riesen Respekt habe. Erfahrungsgemäß ist es aber dann gar nicht so schlimm sie zu schreiben. Wenn es eine ganz ,,schlimme" Szene ist, versuche ich mich etwas davon zu distanzieren und sie eher von außen betrachtet zu schreiben. An zwei Ideen kann ich mich erinnern, die mich aus Grund persönlicher Dinge so belastet hätten, dass ich sie gelassen haben.

Mir hilft es auch, wenn ich meine Helden sehr leiden lassen, mir vor Augen zu führen, was sie am Ende alles dafür erhalten. Ich finde eine Balance ist wichtig. Mich als Leser stört es total, wenn ein Charakter nur leidet. Ab und zu soll er auch mal wieder zu Atem kommen dürfen und was Schönes erleben. Dann schlägt eine neue Katastrophe auch wieder viel besser ein.

Es kommt auch immer darauf an, wieso ein Charakter leiden muss. Bringt es den Plot voran oder will man damit etwas verdeutlichen... Für mich muss es sowohl für den Charakter, als auch für die Geschichte einen tieferen Sinn machen, nur der Dramatik wegen geht für mich gar nicht.

Coppelias Einwand finde ich auch gut. Man darf auf keinen Fall die Auswirkungen des Leids auf den Charakter außer Acht lassen. Wer gerade etwas richtig Schlimmes erlebt hat oder seine halbe Familie verloren hat, wird nicht freudestrahlend auf eine Party gehen. Auch nicht, wenn es ,,schon" fünf Tage her ist.

Ich finde es wichtig, richtig richtig wichtig Handlungen wie z. B. Krieg usw. auch als Schlimm und mit Leid verbunden dazustellen. Und auf keinen Fall zu verharmlosen.

Ich denke, die große Kunst ist es sich selbst etwas zu distanzieren, um nicht wirklich richtig mitleiden zu müssen, aber ohne Gefühl geht es für mich auch nicht. Also ein bisschen leiden muss man als Autor wohl in Kauf nehmen.

Und jetzt speziell zu funkelsinlas Frage.
Aus welcher Szene schreibe ich eine Folterszene. Aus der Sicht der wichtigeren Figur. Heißt aus der Sicht der Protagonisten. Das ist meistens die Sicht des Opfers, einfach weil ich selten Helden haben, die foltern. Es kann aber schon vorkommen, dass auch die ,,guten" Protagonisten weniger gute Dinge machen und dann ist die Szene aus der Sicht des ,,Folterers"

Ein konkretes Beispiel. Meine aktuelle Protagonistin sitzt momentan im Kerker und hat gerade die Bekanntschaft eines schlagwütigen Geweihten und eines Offiziers gemacht, der das Abtasten sehr genau nimmt. Die Szene ist aus ihrer Sicht und sie klar in der Rolle des Opfers. (Wobei es noch weit von einer Vergewaltigung und richtiger Folter entfernt ist. Noch.)
Einige Szenen vorher ist auf ihre Anweisung hin eine junge Frau auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Meine Protagonistin hat mehr oder weniger unbewusst eine Hexenjagt entflammt und das war eben die Konsequenz daraus. Die Szene ist auch aus ihrer Sicht und sie ist in diesem Fall ganz klar die ,,Böse". Aber gerade das hatte für mich den Reiz. Sie wollte es so, aber aus ihrer Gedankenwelt geht klar heraus, wie entsetzt sie darüber ist.

Ich muss mich leider auch der Meinung von Churke anschließen, gerade bei Vergewaltigungsszene denke ich mir manchmal, nicht schon wieder und das finde ich fruchtbar, da das ein sehr ernstes Thema ist und durch die Leichtfertigkeit, mit dem damit oft umgegangen wird, das ganze fast verharmlost wirkt. Das ist natürlich nicht immer so und ich will auch niemanden etwas unterstellen. Ich finde nur, man sollte gut darüber nachdenken, was man für eine Qual / Folter man seinem Charakter antut und was das wirklich für Auswirkungen auf ihn hat. Und auf die Leser.
Prinzipiell bin ich, gerade bei ziemlich krassen Szenen ein Fan von weniger – ist – mehr und würde dazu tendieren ab einen bestimmten Zeitpunkt auszublenden. Aber das ist meine ganz persönliche Meinung.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: funkelsinlas am 30. August 2015, 12:16:59
Hey,
das hab ich vielleicht etwas falsch formuliert. Bei mir stapeln sich gerade die psychiatrischen Abhandlungen zu diesem Thema und ich hab auch schon einen Bericht von einem Opfer gehört! Das wird weder glorifiziert, noch groß direkt beschrieben. Es geht eher um die Gefühlswelt. Das eigentlich wird nur angedeutet, dann bekommt man ihren Ekel, ihre Angst und Scham mit und wie sie sich an Bilder klammert, nur um gleich darauf zu finden, dass sie zu "schmutzig" für diese reinen Erinnerungen ist!
Alle Beschreibungen, die auch nur ansatzweise in Richtung einer Sexszene gehen finde ich einfach nur krank!
Die Szene ist allerdings für meinen Roman wichtig, besonders der Wechsel in ihrer Gefühlswelt. FIndet ihr das in dieser Art ok oder würdet ihr sagen man blendet besser aus?
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Norrive am 30. August 2015, 13:00:40
Es kommt darauf an.
Wenn die Szene wichtig ist, gehört sie rein. Jetzt stellt sich die Frage nach dem Wie. Wenn dein Roman sowieso ziemlich direkt Gewalt und Folter beschreibt, dann kann das Ausschreiben dieser Szene durchaus passend sein. Andererseits muss ich mich den Vorpostern anschließen, die sagen, dass das Angedeutete eigentlich schon reicht beziehungsweise auch schlimmer sein kann.
Mir fallen eigentlich gerade zwei gute Beispiele für beide Varianten ein, allerdings aus Filmen. Ich spoilere das mal, sowohl als Triggerwarnung als auch für Leute, die Verblendung oder Gran Torino noch schauen wollen.

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


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Vielleicht hilft es dir ja bei der Entscheidung, wenn du die Szenen einmal anschaust.
Bei den psychologischen Folgen ist eigentlich jedes Opfer anders, aber es stößt vielen, vielen Menschen sauer auf, wenn der Charakter das 'einfach so' weg steckt. Ich finde es gut, dass du dich scheinbar intensiv mit der Materie auseinander setzt. Es gibt schon zu viele Filme und Bücher, in denen das quasi keine Rolle spielt (zB Prota wird vergewaltigt, tötet den Täter und alles ist wieder gut. So läuft es nicht.).
Mir macht es normalerweise eigentlich wenig aus, wenn ein Buch oder Film relativ unsensibel mit Gewalt umgeht, aber in manchen Fällen erfordert es das Thema (sexuelle Gewalt, Gewalt gegen Kinder, Kriegsverbrechen...) an sich einen sehr vorsichtigen Umgang. Gerade, wenn die Sache den/die Prota betrifft und nicht nur abstrakt benutzt wird, um die Schrecklichkeit der Welt oder des Antas darzustellen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Zit am 30. August 2015, 15:27:27
Die Veränderung des Charakters lässt sich auch im Nachhinein zeigen, wenn er/ sie vom Täter zurück gelassen wird. Mein mit krimineller Energie angefixtes Hirn spuckt mir bspw. eine Szene aus, in der der Täter das Opfer bei lebendigem Leibe vergräbt, das Opfer sich aber nicht bewegen kann und zwischen der nackten Überlebensangst, dem Willen, sich zu bewegen und wegzulaufen, und aufblitzenden Erinnerungen an die Vergewaltigung schwankt. Das wäre spannend. Eine reine Vergewaltigung ist aber kein Spannungselement, und ich denke, dass der Schock und die Charakterveränderung (das eigtl. Drama also) erst im Nachhinein eintreten, wenn die Psyche versucht, die Sache zu verarbeiten (oder es eben auch nicht schafft).
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Lothen am 30. August 2015, 15:45:39
Zitat von: Zitkalasa am 30. August 2015, 15:27:27Eine reine Vergewaltigung ist aber kein Spannungselement.
Das würde ich nicht sagen, auch währenddessen kann man Spannung aufbauen. Wie weit wird der Täter gehen? Wie viel Gewalt wendet er an? Kann sich das Opfer vielleicht befreien und fliehen? Wie versucht das Opfer im Moment der Tat damit umzugehen, wie erlebt es die Tat? Sicher ist die Entwicklung im Nachhinein entscheidender für den Fortgang der Handlung und die Entwicklung der Figur als die Tat selbst, aber dass sie irrelevant wäre, denke ich nicht.

In meinem Fall leidet die Prota später noch häufig an Flashbacks, die Szenen, Sätze oder Empfindungen während der Tat enthalten. Das funktioniert aber nur, wenn der Leser weiß, was es damit auf sich hat. Wird kurz vorher ausgeblendet, kann ich mich ja später nicht mehr darauf beziehen. Gut, kann ich schon, aber dann verlieren die Rückblenden vermutlich an Macht.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Zit am 30. August 2015, 15:59:28
Ich denke nicht, dass der Leser die Vergewaltigung miterlebt haben muss, um solche Szenen deuten zu können. Das kommt darauf an wie du die Rückblenden beschreibst. Anderseits könnten man ja auch überhaupt keine Rückblenden verwenden, wenn immer vorausgesetzt werden muss, dass der Leser die eigentliche Handlung "live" miterlebt hat, um dann die Rückblende einordnen zu können.

ZitatWie weit wird der Täter gehen? Wie viel Gewalt wendet er an? Kann sich das Opfer vielleicht befreien und fliehen? Wie versucht das Opfer im Moment der Tat damit umzugehen, wie erlebt es die Tat?

Das klingt für mich als würde sich jemand* am Leid des Opfers laben und schiebt die Szene als solche in eine ganz menschenverachtende Ecke.

* Ich meine nicht dich persönlich. Es sind nur Fragen, die ich mir nicht stelle, weil ich die Antwort darauf gar nicht wissen will.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Siara am 30. August 2015, 16:05:57
Zitat von: Lothen am 30. August 2015, 15:45:39
In meinem Fall leidet die Prota später noch häufig an Flashbacks, die Szenen, Sätze oder Empfindungen während der Tat enthalten. Das funktioniert aber nur, wenn der Leser weiß, was es damit auf sich hat. Wird kurz vorher ausgeblendet, kann ich mich ja später nicht mehr darauf beziehen. Gut, kann ich schon, aber dann verlieren die Rückblenden vermutlich an Macht.
Glaube ich gar nicht unbedingt. Vielleicht können Rückblenden dann auf eine andere Art ebenso viel Macht haben. Wie Zit sagte, wird das Opfer vieles erst im Nachhinein realisieren und verarbeiten, indessen - und das ist nur eine Vermutung - während der Tat das meiste sofort verdrängt wird oder im Schock verzerrt. Wenn man also als Autor ausblendet und die Figur in diesem Moment allein lässt, kann man das Erlebte in Bruchstücken und Fetzen an Erinnerung zeigen, wenn es zum ersten Mal vom Opfer verarbeitet wird. Gut gemacht stelle ich mir das eindrucksvoll vor, und vor allem extrem nah am Perspektivträger.

Edit nach Zits Beitrag: Das ist eine Sache der Ansicht, finde ich. Es geht beim Lesen und Schreiben schließlich oft darum, die Figur in schrecklichen Augenblicken zu begleiten, mit ihr zu fühlen oder sie zu beobachten. Vergewaltigungen sind ein viel empfindlicheres Thema als das meiste, worüber wir schreiben. Aber eine Vergewaltigung auch im Detail in die Handlung aufzunehmen, kann zum einen den Leser näher ans Geschehen bringen (denn die Figur erlebt das alles schließlich tatsächlich mit den Fragen, die Lothen gestellt hat) und zum anderen auch helfen, die Entwicklung der Figur im Nachhinein besser zu verstehen, denke ich.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sprotte am 30. August 2015, 16:08:52
Ich stimme Siara zu. Ich habe einen Romanhelden, der wirklich sehr knapp einer Vergewaltigung entgeht. Der Täter wird sofort vom Retter erschlagen, die Leiche später verbrannt, was mein Held beobachtet, um sich vermeintlich von den Erinnerungen zu befreien (und wohl auch, um wirklich sicher zu gehen, dass von dem Täter keine Gefahr mehr droht). Es fallen vorher nur zwei, drei Sätze zwischen ihm und dem Täter, aber diese verfolgen ihn ebenso wie ein bestimmter Geruch den Rest des Romans.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Zit am 30. August 2015, 16:21:44
Sprotte, meinst du nach oder vor Siaras Edit? (Ich denke eher vor, aber ich bin mir nicht sicher.)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sprotte am 30. August 2015, 16:30:45
Vor dem Edit, genau! Danke für's Nachfragen und Aufmerksammachen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Mithras am 22. September 2015, 14:42:23
Zitat von: Cherubim am 27. August 2015, 23:05:20Mir hilft es auch, wenn ich meine Helden sehr leiden lassen, mir vor Augen zu führen, was sie am Ende alles dafür erhalten. Ich finde eine Balance ist wichtig. Mich als Leser stört es total, wenn ein Charakter nur leidet. Ab und zu soll er auch mal wieder zu Atem kommen dürfen und was Schönes erleben. Dann schlägt eine neue Katastrophe auch wieder viel besser ein.
Ganz meine Meinung. Ich habe mittlerweile schon meine Erfahrungen mit Charakteren gesammelt, die sich nur durch ihr Leid definieren, weil der Autor entweder Mitleid für sie erregen wollte, da sie daran (fast) zerbrechen, oder weil er sie als überlegen darstellen wollte, da sie ihr Schicksal mit ach-so-bewundernswerter Leichtigkeit wegstecken. Das wird rasch sehr oberflächlich, denn kein Charakter besteht nur aus Leid. Es mag ein dominierender Teil seines Lebens sein, doch es ist eben nur ein Teil, und vor allem sollte man nicht ignorieren, in welcher Form und welchem Ausmaß dieses Leid den Charakter dan prägt.

Ich oute mich hier als Sadist, allerdings nicht im engeren, sexuell konnotierten Wortsinn, da ich auf Vergewaltigungen gezielt verzichte. Ist einfach nicht mein Fall. Ich stehe eher auf psychologische Spielchen und füge meinen Charakteren mehr seelisches als körperliches Leid zu, zumindest nach allem, was geplant ist. Einer meiner Protagonisten ist ein skrupelloser Emporkömmling, der sich bald als einflussreicher Politiker etabliert (Vorbild: Octavian/Augustus) und Freude daran empfindet, seine Macht zu demonstrieren. Dabei muss er gar nicht zu physischer Gewalt greifen - er liebt es einfach, seine politischen Gegner mit deren bestgehüteten Geheimnissen zu erpressen und sie vor eine abscheuliche Wahl zu stellen. Damit das schriftstellerisch funktioniert, beleuchte ich natürlich auch die andere Seite, nämlich die der Opfer, in Form meiner Perspektivträger, zumindest ist das geplant. Eines dieser Opfer bringt er auf Schafott, das andere nimmt sich vor Verzweiflung selbst das Leben, und nur einer kommt heil aus der Sache heraus. Ich denke, das liegt einfach daran, dass ich düstere Szenarien und Schockerlebnisse á la Schorsch Martin liebe.

Gut geklappt hat das Quälen jüngst in meiner Kurzgeschichte, in der ich den Protagonisten Schritt für Schritt die Hoffnung und den Verstand verlieren lasse, bis er sich selbst von einer Klippe stürzt. Der Schlüssel zu seinem Leid ist seine Mitschuld, da er sich in einem Krieg unbeabsichtigt von einer dritten Partei instrumentalisieren ließ, die die beiden Kriegsparteien gegegeneinander ausgespielt hat, was zu Folge hatte, dass seine Heimatstadt belagert und gezielt ausgehungert und entvölkert wurde (Vorbild: Leningrader Blockade). Er selbst war nicht unter den Eingeschlossenen, seine Tochter hingegen verhungerte wohl im Zuge der Belagerung, doch ihre Spur verliert sich. Da es gegen Ende hin zu Kannibalismus kam, rechnet er natürlich mit dem Schlimmsten, und der Gedanke, dass er durch seinen Verrat dafür verantwortlich ist, ist ihm unerträglich. So demontiere ich ihn dann allmählich, bis er es selbst nicht mehr aushält.
Was ich nicht erwähne: Er überlebt den Sturz und kommt zur Besinnung, woraufhin er beschließt, seine Verzweiflung und seinen Hass zu kanalisieren ubd fortan Jagd auf seinen "Manipulator" zu machen. Klassischer Fall von Rachegelüsten, um sich von der eigenen Schuld freizukaufen.

Ich muss sagen, dass ich diese Spielchen mit Schuld und Verantwortung ungemein reizvoll finde. Man darf natürlich nicht übertreiben und aus Selbstvorwürfen Selbstmitleiden werden lassen, in dem der Charakter ertrinkt. Eben deshalb wurde es bei mir auch nur eine Kurzgeschichte, denn viel länger als 10k hätte ich diese Quäulerei - zumindest in dieser Intensität - nicht durchgestanden. Nicht aus Empathie, sondern aus Genervtheit.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Nachtblick am 24. September 2015, 19:10:38
Während ich meine literarischen Figuren gern physisch und psychisch quäle und auch gern Ähnliches lese, finde ich Vergewaltigungen immer extrem heikel.
In der zweiten Staffel von True Detective hatten gleich mehrere weibliche Figuren eine Hintergrundgeschichte, die Missbrauch und Vergewaltigung beinhaltete, und in einem Fall ist die Vergewaltigung der Frau durch einen Fremden, aus der ein Kind entsteht, die dramatische Geschichte ihres Ehemannes und nicht etwa ihre eigene. In der letzten Staffel von Game of Thrones
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

Vergewaltigung ist ein billiges Mittel, den Antagonisten glasklar als abgrundtief böse zu charakterisieren und, im Großteil der Fälle, nicht nur der Frau Schmerz zuzufügen, sondern ihrem Mann, der dann einen Grund hat, Rache zu nehmen und damit als Held hervorzutreten, oder sogar als Retter, wenn er die Vergewaltigung verhindert (z.B. Sandor Clegane in Game of Thrones, aber auch The Book of Eli, Watchmen, Twilight). In 28 Days Later sind die zwei Frauenfiguren dafür da, eingesperrt und mit Vergewaltigung bedroht zu werden, vor der der männliche Held sie retten kann. In Game of Thrones wird Jaimes Vergewaltigung von Cersei als einvernehmlicher Sex behauptet, obwohl sie ihm widerspricht und sich gegen ihn wehrt.
Wenn eine Frau einen tragischen Hintergrund hat, dann ist sie höchstwahrscheinlich missbraucht worden. Wenn ein Mann einen tragischen Hintergrund hat, könnte er u.U. gefoltert oder zusammengeschlagen worden sein, oder aber seine Frau (oder sogar Tochter) wurde ermordet oder vergewaltigt. Das kommt so häufig vor, dass es mich inzwischen schon überrascht, einer Frauenfigur in tragischen Umständen und mit tragischer Vergangenheit zu begegnen, die nicht sexuell missbraucht wurde.
Die Vergewaltigung von Männern oder Jungen erscheint umso monströser und unglaublicher. Fast immer sind die Täter auch Männer. In Skyfall wird James Bond vom männlichen Antagonisten sexuell belästigt, in Outlander vergewaltigt Jack Randall sowohl Frauen als auch Männer, darunter den Helden.
Ich habe es satt, Vergewaltigungen on screen zu sehen und zu lesen. Keine Ahnung, wo es ,,gut gemacht" ist, obwohl mir sicher das ein oder andere Beispiel einfallen würde. Aber die schiere Masse an Vergewaltigungen in Fiktion, immerzu und überall, ist für mich als Frau wahnsinnig unangenehm und erdrückend, gerade wenn die Leute darauf bestehen, das sei so eben realistisch und ,,damals so gewesen" (mein Lieblingsargument, wenn wir von Fantasywelten sprechen).
Ja, ich habe Figuren, die vergewaltigt wurden oder vergewaltigt haben. Aber ich versuche, mich da extrem zurückzuhalten. Das ist für mich etwas ganz anderes als eine Prügelei oder sogar eine Folterszene. Den Anfang meines nächsten längeren Projekts habe ich bereits geschrieben, es geht um eine Gruppe von Soldaten und Soldatinnen, die in einem postapokalyptischen Szenario einer Gruppe von Banditen, Männern und Frauen, in die Hände fallen. Bei dem Überfall sterben alle, nur ein Mann und ein 8-jähriges Mädchen (aus dessen Perspektive erzählt wird) entkommen. Er wird schwer verletzt und gibt ihr daraufhin seine Pistole mit der Anweisung, sie solle sich erschießen, wenn sie sie fänden. Während die Banditen das Dickicht nach dem verschwundenen Mädchen absuchen, streiten sie sich völlig beiläufig und unaufgeregt darüber streiten, wie sie ihre ,,Beute" aufteilen wollen. Alles, was tatsächlich passiert, passiert im Off, das Mädchen entkommt. Ich habe lange hin und her überlegt, ob das Gespräch nötig ist oder nur reißerisch, billig und furchtbar und ob die Implikation, was passieren wird, nicht absolut reicht.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Lothen am 24. September 2015, 20:24:12
Ach Mist. Jetzt hatte ich gerade einen Post geschrieben und der TiZi hat mich ausgeloggt. Also, neuer Versuch. ;)

Zitat von: NachtblickVergewaltigung ist ein billiges Mittel, den Antagonisten glasklar als abgrundtief böse zu charakterisieren
Hm. Wieso genau empfindest du das als billig? Ich denke, es macht schon einen qualitativen Unterschied, ob der Anta den/die Prota verprügelt, foltert oder vergewaltigt. Es trifft eine ganz andere Aussage bezüglich der Motivation des Antas, seines Charakters, seines Anspruchsdenkens oder seiner Einstellung zu Frauen/Männern. Es verändert auch das Leben des Opfers in einer ganz anderen Art und Weise. Insofern ist das schon eine relevante Entscheidung, was genau der/dem Prota widerfährt.

Zitat von: Nachtblickgerade wenn die Leute darauf bestehen, das sei so eben realistisch und ,,damals so gewesen" (mein Lieblingsargument, wenn wir von Fantasywelten sprechen).
Okay, zugegeben, das ist ein typisches Totschlag-Argument. Aber es ist letztlich nicht von der Hand zu weisen. Wenn ein Autor einen mittelalterlichen Krieg in seinen ganzen grausamen Facetten darstellt (inklusive Folter, Kriegshandlungen, Notoperationen etc.), sexuelle Gewalt aber ausspart, käme mir das nicht richtig vor. Da würde ich mich fragen, warum er sich nicht traut, dieses Thema anzusprechen. Natürlich muss es zum Ton der Geschichte passen, das ist selbstverständlich, und man muss wirklich nicht Auf-Teufel-komm-raus jede Vergewaltigung beschreiben. Aber wenn man sich entscheidet, solche Themen anzuschneiden, sollte man auch keine Angst davor haben. Dann lieber ganz darauf verzichten.

Hm. Irgendwie macht mich diese Diskussion echt nachdenklich. Ich glaube, ich denke noch mal intensiv darüber nach, ob ich meine Vergewaltigungsszenen nicht doch rauskürze. Ich fühle mich gerade in der Verteidigungsrolle gar nicht wohl.  :zensur:
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sipres am 24. September 2015, 20:30:12
@Lothen: Du stehts damit nicht allein da. Ich fühle mich auch unwohl dabei, sowas zu lesen. Allein, weil ich in vielen meiner Geschichten Vergewaltigungen benutze. Ich lasse mir das aber nicht nehmen. Ich mache das nämlich nicht einfach so, sondern weil ich ein Ziel damit verfolge. Wie du schon sagtest, ist eine Vergewaltigung etwas ganz anderes als eine Tracht Prügel. Der Charakter, dem das angetan wird, leidet ganz anders als jemand, den man zusammengeschlagen hat. Es ist also ein probates Mittel, um das Leben eines Charakters komplett zu versauen. Gerade, wenn dies in jungen Jahren passiert ist.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Guddy am 24. September 2015, 20:48:05
Das ist aber auch ein interessantes Thema: Wir schreiben über Morde, Folter, Kriegsverbrechen, Verrat, Gewalt. Es passiert überall: In der Realität, Filmen und in Büchern. Aber Vergewaltigungen haben eine ganz andere Wirkung. Warum? Ich denke, weil es uns eventuell - leider - weniger fern ist, es bedroht uns mehr als Folter und Mord. Und: Eine ermordete Person kann nicht getriggert werden, eine vergewaltigte Person jedoch durchaus.
Als Autoren benutzen wir das meiste als plot device, um zu Personen, Orte oder Situationen zu charakterisieren. Das halte ich für legitim. Die Frage ist für mich: Wie geht der Autor damit um? Scheint er es unbedacht zu verwenden, der Wirkung nicht bewusst zu sein?

ZitatVergewaltigung ist ein billiges Mittel(...)
Wieso ist es billiger als andere Mittel?

In dem Zusammenhang fällt mir The Walking Dead ein. In einer Szene fordert der Bösewicht eine Frau auf, sich auszuziehen. Er beugt sie über den Tisch - und  wendet sich von ihr ab. Das war Machtausübung und psychischer Terror, der bereits ohne "Ausführung" gut als Charakterisierung funktioniert hat. Aber das muss nicht für jede Story und jede Figur funktionieren.

Bei Game of Thrones finde ich es beispielsweise aber auch zu exzessiv benutzt. Zumal das Leid des Opfers wirklich bagatellisiert wird, meiner Meinung nach. Was ich persönlich auch nicht sonderlich mag, sind die von Nachtblick angesprochenen Charakterisierungen des männlichen Freundes des Opfers.


Ich "nutze" diese Form der Gewalt sehr, sehr sparsam, Mord, Blut und Terror jedoch nicht. Das ist eigentlich auch ein kleines Verbrechen.

Zu meinem Nano-Prota passt es, die Szene wird geschrieben werden und ich fühle mich nicht unwohl dabei. Weil es zur Geschichte passt, ich es ernst genug nehme und Autoren die Freiheit haben dürfen, Themen anzusprechen, die sie in welcher Form auch immer beschäftigen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Tigermöhre am 24. September 2015, 20:58:15
@Lothen, da ich deine Vergewaltigungsszene kenne, ich finde sie heftig, aber nicht effektheischend und billig. Ich finde auch, dass "nur" Prügel oder Folter nicht passen würde. Es charakterisiert den Anta. Ich glaube, ein Unterschied ist, dass eine Vergewaltigung ja auch die Befriedigung des Sexualtriebes ist, während eher wenige Menschen einen Prügel- oder Foltertrieb haben.

Andererseits kann ich Nachtblick auch verstehen. Oft genug ist eine Vergewaltigung unnötig und dient nur dazu, um zu schockieren.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Lothen am 24. September 2015, 21:30:08
Zitat von: Guddy am 24. September 2015, 20:48:05Aber Vergewaltigungen haben eine ganz andere Wirkung. Warum? Ich denke, weil es uns eventuell - leider - weniger fern ist, es bedroht uns mehr als Folter und Mord.
Ich glaube, ein Punkt ist auch die Motivation. Warum jemand einem anderen Menschen sexuelle Gewalt antut, das ist schwer zu begreifen. Es erscheint uns sinnlos und unnötig grausam. Rein körperliche Gewalt ist nachvollziehbarer. Jeder hat vermutlich schon mal darüber nachgedacht, dem Gegenüber eine runterzuhauen, weil man provoziert oder beleidigt wurde, oder hat es sogar schon getan. Das ist nicht so abwegig.

ZitatBei Game of Thrones finde ich es beispielsweise aber auch zu exzessiv benutzt. Zumal das Leid des Opfers wirklich bagatellisiert wird, meiner Meinung nach.
Das mag aber auch am visuellen Medium liegen. Ich hab die Bücher nicht gelesen und kann nicht sagen, wie es dort gehandhabt wird. Bagtellisieren darf man sexuelle Gewalt auf gar keinen Fall, ich denke, das ist absolut klar. Aber ich finde, das gilt für jede Art von Gewalt. Auch Folter oder körperlicher Missbrauch kann einen Menschen brechen, und das darf man auch nicht übersehen.

Zitat von: Tigermöhre am 24. September 2015, 20:58:15Da ich deine Vergewaltigungsszene kenne, ich finde sie heftig, aber nicht effektheischend und billig.
Danke. :knuddel: Den Eindruck hatte ich eigentlich auch nicht, aber gerade war ich mir da sehr unsicher.

ZitatAndererseits kann ich Nachtblick auch verstehen. Oft genug ist eine Vergewaltigung unnötig und dient nur dazu, um zu schockieren.
Das ist so ein Punkt, den ich immer etwas problematisch finde. Klar soll Gewalt (in jeder Form) schockieren - wäre dem nicht so, würde ich mir Sorgen um meine Leser machen. ;) Ich denke, es ist eine Frage der Dosis und des Ausgleichs (das hat Mithras, glaube ich, weiter oben ja schon ausgeführt). Ich muss aber auch zugeben, dass ich mich an keine Szene erinnern kann, wo ich das Gefühl hatte, sie sei nur effekthascherisch. Vielleicht mein Glück. ;)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Aljana am 24. September 2015, 21:36:08
Ich habe mir jetzt die letzten drei Seiten dieser Diskussion mal durchgelesen und fühle mich sehr an meinen eigenen Schreibprozess in den letzten Jahren erinnert.
In meiner Trilogie stand von Anfang an fest, Dass meine Protagonistin vergewaltigt werden wird. Zweimal. es ist so ziemlich das Schlimmste, das ihr angetan wurde und in bestimmten Situationen kocht das alles wieder hoch und ist für die Handlung entscheidend.
Jahrelang habe ich mit mit gerungen, wie ob und wenn ja wie explicit ich den Flashback, in dem sie sich erinnert, dann schreiben soll. Ich habe lange gedacht ich werde es nur andeuten, weil ich es nicht billig und efektheischend haben wollte. doch wie sehr es sie quält, wie schwierig es für sie ist, danach wieder vertrauen zu lernen, das kann man irgendwie nur kapieren, wenn man der harten Realität ins Auge geblickt hat.
Ich habe versucht zu verstehen, warum ich die Szene nicht geschrieben habe und gemerkt, wie unwohl ich mich bei dem Gedanken fühlte. Dann habe ich festgestellt, dass ich dieses Unwohlsein an dieser Stelle des Buchs auch in meinen Lesern erzeugen will. Für einen Augenblick. Gerade so genau, dass es kein Missverständnis gibt, was da geschieht, und gerade so knapp, dass es nicht eklig, oder unnötig in die Länge gezogen ist. Ich hoffe es damit getroffen zu haben. Doch anders als andere Gewalt, scheint sexuelle Gewalt den Leuten mehr unter die Haut zu gehen und sie reagieren sensibler.
Bei bisherigem Feedback zu dem Buch haben bisher viele Leute alles kommentiert. ALLES bis auf diese Szene. Aus dem Subtext anderer Kommentare kann ich erkennen, dass es nicht als schlecht empfunden wird, doch es ist nichts, worüber geredet wird. Ich glaube das liegt einfach daran, weil es hier nicht einfach jemandem wehtgetan wird, sondern weil etwas, das natürlich und schön und lustvoll sein sollte in sein grausames Gegenteil verkehrt wird. Damit haben die meisten ein Problem und deswegen ist sexuelle Gewalt immer noch ein so großes Tabuthema.

Zu der Szene aus Verblendung: Die fand ich sowohl im Buch als auch im Film wirklich verstörend. Aber sie war einfach ... passend. Ich habe dadurch die Figur Lisbeth Salander verstehen können. Das hätte ich vermutlich nicht, wenn es nüchterner erzählt worden wäre.

Was ich aber als meinen persönlichen Horror kennengelernt habe, ist diese wiederliche Darstellung altgriechischer Foltermethoden aus einem Antikefilm, der vor einige Jahren im Kino lief und dessen Titel ich nicht mehr weiß.
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Ich musste nicht googeln um zu wissen, dass es diese Foltermethode mal gegeben hat, aber es so deutlich zu zeigen hat mir Alpträume beschert. Einfach zu wissen, dass Menchen bestialisch genug sein können anderen Menschen solches anzutun.
Der Raubzug im Kloster in dem alten Film die Päpstin fand ich ähnlich schlimm.
Jetzt muss man sich nur fragen, war nicht genau das gewollt? Und ist es nicht wirklich 'gut' wenn ein Autor oder Regisseur es schafft uns so glaubhaft mit diesen Gräuelbildern einzufangen, dass wir uns wegdrehen oder weiterblättern möchten.

Heute bin ich zu dem Punkt gelangt, dass solche Szenen, gut gemacht, sehr wohl zur Handlung, zur Spannung und zum Wert eines Buches beitragen. Helden können nur so stark sein wie die Wiedrigkeiten, die sie durchstehen müssen.
Wobei man natürlich nicht in Abrede stellen kann, dass es Autoren gibt, die es übertreiben und es wirklich nur um des Effektes Willen machen. Aber dass sind die mega-romantischen billigen Kussszenen aus vielen Schmonzetten auch. Nur fühlt man sich dabei nicht so schlecht ;)

Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Churke am 24. September 2015, 21:44:20
Man kann die Dinge auch weniger emotionalisieren. Um mal aus Voltaires Candide zu zitieren:
Zitat"Sie leben? Und in Portugal finde ich Sie wieder? Also hat man Sie doch nicht vergewaltigt, hat Ihnen nicht den Bauch aufgeschlitzt, wie es mir der Philosoph Pangloß versicherte?"  - "Oh doch", gab die schöne Kunigunde zurück. "Aber man stirbt ja nicht immer gleich daran."
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: canis lupus niger am 25. September 2015, 15:13:41
Zitat von: Aljana am 24. September 2015, 21:36:08
Heute bin ich zu dem Punkt gelangt, dass solche Szenen, gut gemacht, sehr wohl zur Handlung, zur Spannung und zum Wert eines Buches beitragen. Helden können nur so stark sein wie die Wiedrigkeiten, die sie durchstehen müssen.
Wobei man natürlich nicht in Abrede stellen kann, dass es Autoren gibt, die es übertreiben und es wirklich nur um des Effektes Willen machen. Aber dass sind die mega-romantischen billigen Kussszenen aus vielen Schmonzetten auch. Nur fühlt man sich dabei nicht so schlecht ;)

Um einen "Helden", bzw. einen Charakter leiden zu lassen, muss man ja auch nicht jedes Detail bildhaft ausschmücken. Je nach Zielgruppe, finde ich, kann es ausreichen, hier "tell, don´t show" zu praktizieren. Es kommt eben darauf an, wo ich als Autor meinen Schwerpunkt habe, was ich für die Geschichte als wichtig ansehe.

Eine (für den Magen des Lesers) eher harmlosere Variante wäre zum Beispiel, dass ich einen Zeugen berichten lasse, was vorgefallen ist. Ich kann die Entsetzlichkeit des Geschehenen dadurch zum Ausdruck bringen, dass der Berichterstatter sich zur Sachlichkeit zwingen muss, dass er mitten im Satz abbricht, blass im Gesicht, und nur noch eine unbestimmte Handbewegung macht, damit endet, das Geschehene nicht mit Worten beschreiben zu können. Dann sind die Bilder nur so schrecklich wie die Phantasie des Lesers sie erzeugen kann. (Was um ein Vielfaches schlimmer sein kann, als das, was ich beschreiben könnte)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: HauntingWitch am 25. September 2015, 19:31:16
Beim Thema Vergewaltigungen bin ich auch sehr empfindlich, das liegt aber vermutlich mehr an meiner persönlichen Einstellung zu der Sache, als an den anderen Autoren. Für mich ist es ein No-Go, so etwas explizit zu beschreiben bzw. sich anzumassen, wissen zu wollen, was ein Opfer in einer solchen Situation empfindet. Aber ich denke, diese Darstellungen irgendjemandem verbieten zu wollen, wäre auch unsinnig.

Ansonsten sehe ich es wie Aljana.
ZitatJetzt muss man sich nur fragen, war nicht genau das gewollt? Und ist es nicht wirklich 'gut' wenn ein Autor oder Regisseur es schafft uns so glaubhaft mit diesen Gräuelbildern einzufangen, dass wir uns wegdrehen oder weiterblättern möchten.

Zweimal ja. Ich finde schon, dass das ein Qualitätsmerkmal ist. Die besten Bücher sind doch die, die einen als Leser völlig verstört zurücklassen, einem die intensivsten Gefühle geben. Und das geht halt sehr oft auch über die negativen Gefühle, über das Leid bzw. die Empathie dafür. Als Autor schreibe ich krasse Dinge, wenn ich besonders starke Emotionen erzeugen möchte. Ich möchte eine Intensität schaffen, ich möchte, dass mein Protagonist diese Gefühle hat und damit den Leser erreichen (ja, vielleicht bin ich ein Saddist, Beweise dafür gibt es aber keine :engel:).

Und ich möchte ja auch selbst ein Erlebnis haben, während ich schreibe. Bei meinem letzten Projekt war ich wirklich hin und hergerissen. Zwischen: "Ich kann dir das nicht antun!" Und: "Du musst leiden, sonst gibt es keine Story!  :darth:"
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Guddy am 25. September 2015, 19:40:22
Und genau deswegen - weil das denke ich unser aller Wunsch ist, beim Leser intensive Emotionen zu erzeugen - finde ich persönlich es anmaßend, vorschreiben zu wollen, was andere Autoren als "Mittel" nutzen, zu urteilen, warum es dieser oder jener Autor schreibt und ob oder ob nicht der es beurteilen oder nachvollziehen kann, was er schreibt und seinen Figuren in die Seele legt.

edit: Sorry, mich nimmt das Thema und der Umgang ein wenig mit, daher habe ich mich hier glaube ich ein wenig festgebissen ;) Ich halte mich raus.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Norrive am 25. September 2015, 19:40:50
Zitat von: Tigermöhre am 24. September 2015, 20:58:15
@Lothen Ich glaube, ein Unterschied ist, dass eine Vergewaltigung ja auch die Befriedigung des Sexualtriebes ist.

Nur um darauf nochmal einzugehen, da ich diese Aussage so relativ schwierig finde: Soweit ich gelesen habe, hat Vergewaltigung nicht wirklich was mit dem Sexualtrieb an sich zu tun. Also zumindest in der Mehrheit der Fälle und sofern man sich nicht in einem Kriegs- oder Menschenhandelszenario befindet. Es geht dabei meistens um Macht, Kontrolle und Demütigung. Wenn es dabei um den Sexualtrieb ginge, wären die meisten Vergewaltiger nicht Expartner, Freunde, Verwandte oder sonst irgendwie mit dem Opfer bekannt.  Beim reinen Sexualtrieb würde die Identität des Opfers nämlich erstmal keine Rolle spielen .
Nach kurzer Recherche erscheint mir der englische Wikipedia-Artikel (https://en.wikipedia.org/wiki/Causes_of_sexual_violence) über Motivation sexueller Gewalt relativ fundiert zu sein und bestätigt meine obige Aussage, zumindest was die Mehrheit der Fälle angeht. Ob die Befriedigung des Triebes da mit rein spielt wird auch diskutiert, scheint aber sehr kontrovers zu sein.

Auf eine abschäuliche Weise interessant ist da auch der Fakt, dass Kindesmissbrauch in den meisten Fällen nicht von wirklich pädophil veranlagten Menschen betrieben wird, sondern von allen möglichen Personen. Das deutet ja auch eher darauf hin, dass es nicht um den normalen Sexualtrieb geht. Ich finde die Quelle nicht mehr, wo ich das gelesen habe, bin mir aber sicher, dass das ein Artikel in einer seriösen Zeitschrift war (Stern?). Da war eine ganze Artikelserie über Pädophilie und diese Präventivtherapien, mit einem ausführlichen Interview mit dem leitenden Psychologen von der Charité.


Zitat von: Churke am 24. September 2015, 21:44:20
Man kann die Dinge auch weniger emotionalisieren. Um mal aus Voltaires Candide zu zitieren:
Zitat"Sie leben? Und in Portugal finde ich Sie wieder? Also hat man Sie doch nicht vergewaltigt, hat Ihnen nicht den Bauch aufgeschlitzt, wie es mir der Philosoph Pangloß versicherte?"  - "Oh doch", gab die schöne Kunigunde zurück. "Aber man stirbt ja nicht immer gleich daran."

Diesen Beitrag finde ich auch ganz wichtig, denn es gibt auch Opfer von Vergewaltigungen, die damit aus irgendwelchen Gründen besser bzw. anders klarkommen als man erwarten würde. Wenn ich mich recht erinnere, war Gemma Morrow, die Serien-Mutter von Jax aus Sons of Anarchy, so eine Art Frau.

Ansonsten bin ich auch der Meinung, dass sich der Leser die grausamsten Bilder selbst ausmalen wird. Vor allem beschwört das Gehirn dann ja sogar noch eine angepasste Version herauf, die die Umstände wiedergibt, die der Leser persönlich besonders furchtbar findet. Den Effekt habe ich mit einer sehr direkten Beschreibung nicht.  Letzten Endes kommt es natürlich auch auf das Buch an, den Ton des Buches und die Fähigkeiten des Autors an. Bei direkten Beschreibung muss man halt wirklich ein sehr sensibles Händchen haben, damit es nicht billig und reißerisch wirkt.

Kurzer Nachtrag zu @Witch : Naja, es gibt aber vermutlich genug Autoren, die sich aufgrund eigener Erfahrungen an die Empfindungen annähern können. Jede Frau wird im Laufe ihres Lebens zumindest einmal sexuell belästigt, wenn nicht gar schlimmeres. Und ich kann mir vorstellen, dass viele Personen auf einer Party oder Volksfesten zudringliche Männer abwehren mussten und wo es wirklich knapp war (allein wenn man sich die Kriminalstatistiken ohne Dunkelziffern anschaut). Den gleichen Kontrollverlust empfindet man da auch, wenn man sich einfach alleine nicht dagegen wehren kann und die Freunde/Passanten einen noch davor bewahren. Man kann es zwar nicht direkt vergleichen, weil man ja nochmal davon gekommen ist, aber ich denke, man kann es sich vorstellen, weil Autoren empathisch genug dafür sein sollten UND es ja auch ihre eigenen Charaktere sind. Mein Charakter fühlt ja ohnehin nur das, was ich ihm vorgebe und was ich beschreiben kann. Dass man sich in ein reales Opfer individuell natürlich nur schwer hineinversetzen kann und da jeder anders empfindet, da bin ich voll bei dir.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Zit am 25. September 2015, 20:41:57
Zitat von: Lothen am 24. September 2015, 20:24:12
Es trifft eine ganz andere Aussage bezüglich der Motivation des Antas, seines Charakters, seines Anspruchsdenkens oder seiner Einstellung zu Frauen/Männern.

Norrive ist mir zuvor gekommen, aber ich frage trotzdem nochmal nach: Welche andere Motivation hat ein Charakter für dich, wenn er vergewaltigt und nicht nicht "nur" verprügelt?

Für mich ist es trotzdem in erster Linie Machtdemonstration (wo Kontrolle ja auch einfließt), und eben Demütigung des Opfers. Dass es für mich schlimmer ist als Prügel, ist meine persönliche Einstellung. Dennoch denke ich, dass es eben nicht nötig ist, immer "nur" zu vergewaltigen wie Nachtblick schon sagte. Ein Charakter muss in meinen Augen auch nicht immer auf Null gebrochen werden. Im Gegenteil, das ist dann weniger interessant für mich. Ja, ich mag Charaktere mit Rissen, mit Depressionen, mit kaputten Seelen -- aber es muss immer noch genug übrig sein, dass sie weiterhin handeln und einen Plot tragen können. Ein vergewaltigter Charakter kann das nicht, und das für eine sehr lange Zeit (obwohl er vll. körperlich dazu in der Lage wäre; wäre jetzt der Unterschied zu einem Unfallopfer auf der Intensivstation).
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Norrive am 25. September 2015, 21:10:45
Zitat von: Zitkalasa am 25. September 2015, 20:41:57
aber es muss immer noch genug übrig sein, dass sie weiterhin handeln und einen Plot tragen können. Ein vergewaltigter Charakter kann das nicht, und das für eine sehr lange Zeit (obwohl er vll. körperlich dazu in der Lage wäre; wäre jetzt der Unterschied zu einem Unfallopfer auf der Intensivstation).

Ich muss sagen, dass ich dem nicht zustimmen kann. Wenn jemand vergewaltigt wird, heißt das nicht automatisch, dass er unfähig ist, weiter zu machen, im echten Leben, wie im fiktionalen. Mit Narben, ja, manchmal mit noch schwärenden Wunden, natürlich, und auch mit Konsequenzen für den Plot.  Die Umstände des Plots müssen ja auch so sein, dass der Prota weiter handeln muss, sonst stimmt was im Plot nicht (außer man schreibt ein Drama über sexuelle Gewalt). Der Sinn einer Geschichte ist ja irgendwo auch Charakterentwicklung und wenn man als Autor Grund für eine Vergewaltigungsszene hat, dann muss der Prota irgendwo auch daran wachsen und eben trotz der Umstände stark sein und handeln können. Sonst macht die Vergewaltigungsszene an sich tatsächlich keinen Sinn.
Aber ein Prota muss wirklich nicht immer auf Null gebrochen werden, da bin ich voll bei dir  :)

Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Zit am 25. September 2015, 21:29:14
Okey, war vll. zu dogmatisch formuliert. Was ich damit sagen will: Wenn ich mir vorstelle vergewaltigt zu werden*, dann würde ich erstmal tagelang in der Ecke liegen, völlig verschreckt sein, mich verkriechen, vll. auch aggressiv werden, wäre aber vermutlich erstmal nur betäubt als wäre mein Geist nicht zu Hause und mein Körper wüsste schon von alleine wie atmen geht. Das ist natürlich kein Komastatus -- aber in so einer Zombie-Verfassung die Welt zu retten, wird schwierig.

(Wobei ich natürlich erstens inständig hoffe, das mir das nicht passiert, und ich zweitens vermutlich eher töte als das zuzulassen. Aber, wie gesagt, die Antwort auf die Frage will ich nie wissen.)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Tigermöhre am 25. September 2015, 21:35:27
@Norrive, natürlich ist eine Vergewaltigung in erster Linie immer zuerst eine Machtausübung. Aber ohne eine gewisse sexuelle Erregung funktioniert eine Vergewaltigung nicht. Und durch einen Orgasmus baut man einfach Druck ab. Und das kommt einfach zu der Machtausübung und der Gewalt dazu. Nicht als primärer Grund, sondern als Zusatz.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Churke am 25. September 2015, 22:05:59
Zitat von: Tigermöhre am 25. September 2015, 21:35:27
@Norrive, natürlich ist eine Vergewaltigung in erster Linie immer zuerst eine Machtausübung. Aber ohne eine gewisse sexuelle Erregung funktioniert eine Vergewaltigung nicht. Und durch einen Orgasmus baut man einfach Druck ab. Und das kommt einfach zu der Machtausübung und der Gewalt dazu. Nicht als primärer Grund, sondern als Zusatz.

Es gibt auch Leute, die vergewaltigen lassen.
Dass Gaddafi an seine schwarzen Soldaten Vigra-Pillen ausgegeben hat, damit sie mehr vergewaltigen können, ist höchstwahrscheinlich ein Propaganda-Märchen. Aber irgendjemand muss sich das ausgedacht haben.
Und gibt's da so eine Dame aus Kuwait, die sich intensive Gedanken gemacht hat, wie sich (potentielle) amerikanische Soldatinnen in Kriegsgefangenschaft nützlich machen können.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Nachtblick am 25. September 2015, 22:08:42
Mein Problem mit Vergewaltigung ist, wie schon gesagt, dass Vergewaltigung überall ist. Und zwar nicht nur in der echten Welt, sondern auch in Fiktion, in allen Serien, Filmen und Büchern. In Game of Thrones wurde fast jede weibliche Figur zumindest mit Vergewaltigung bedroht, viele wurden tatsächlich vergewaltigt. Das geht natürlich nicht allen so, aber ich als junge Frau bin es gottverdammt leid, eine Frau in einer dramatischen Situation und einer bedrohlichen, feindlichen Umwelt zu sehen und zu wissen, dass sie höchstwahrscheinlich vergewaltigt werden wird, oder zumindest in eine Situation kommt, in der sie sich vielleicht selbst befreien kann, in der aber viel wahrscheinlicher ein Mann zu ihrer Rettung eilt.
Es geht oft nicht um die Frauen und ihr Schicksal und ihr Leiden. Das ist illusorisch. Vergewaltigung ist Mittel zum Zweck, etwas, was nach Lust und Laune verteilt wird, um einen bedrohlichen, dystopischen, kriegerischen Hintergrund zu zeichnen und deutlich zu machen, wie schlecht es denn nun steht. Es geht viel öfter um die Männer, die Rache für ihre Frauen nehmen müssen, die heroisch eingreifen können, die strahlende Helden im Gegensatz zu den bösen Vergewaltigern sind.
Ich weiß nicht, was diese Faszination mit Vergewaltigung ist und warum so viele das in Game of Thrones ganz normal und keineswegs bedenklich finden, gerade in den Änderungen, die die Serie an den Büchern vorgenommen hat. Hallo, Sansas Story in der letzten Staffel?
Ich gehe durch die wirkliche Welt und weiß, dass Vergewaltigung real und allgegenwärtig ist. Manchmal würde ich gern abschalten, ohne immer wieder darauf gestoßen zu werden, in dieser Masse und in dieser Anzahl an reißerischen, billigen Darstellungen, in denen Vergewaltigung völlig unverschleiert nur Mittel zum Zweck ist.

Edit: Ich frage mich halt, ob die Vergewaltigung von Männern genauso vehement verteidigt würde. (Damit meine ich durch Männer oder Frauen – und Outlander kann ich mir zwar aus vielfältigen Gründen nicht angucken, zum Beispiel, weil alles an dieser Serie unter aller Sau ist, aber auch wegen dem "bösen Schwulen", danke ...)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Judith am 26. September 2015, 09:52:19
Zitat von: Nachtblick am 25. September 2015, 22:08:42
Ich weiß nicht, was diese Faszination mit Vergewaltigung ist und warum so viele das in Game of Thrones ganz normal und keineswegs bedenklich finden, gerade in den Änderungen, die die Serie an den Büchern vorgenommen hat. Hallo, Sansas Story in der letzten Staffel?
Ich habe Game of Thrones hauptsächlich aus diesem Grund aufgehört anzuschauen. Gut, es gab vieles darin, das mich massiv gestört hat, aber für mich hat die Szene mit Cersei und Jaime das Fass zum Überlaufen gebracht. Nach dem, was ich dann über Sansas Storyline gehört habe und darüber, dass Meryn Trant zu einem pädophilen Sadisten gemacht wird, damit es dann "cool" ist, wenn Arya ihn grausam tötet, bin ich sehr froh, dass ich vorher ausgestiegen bin. Für mich ist Game of Thrones ein Beispiel dafür, wie mit Vergewaltigungen extrem schlecht umgegangen wird. Outlander wäre für mich eher ein Beispiel, wie eine Serie sehr gut damit umgeht.

Mich nervt es auch, wenn Vergewaltigungen gerade in historischen Romanen gern nur dazu dienen, damit der strahlende Held zur Rettung eilen kann und die kaum Folgen nach sich ziehen. Das ist aber allgemein etwas, das mir sehr oft in Büchern auffällt - in letzter Zeit vor allem auch in Jugendbüchern: Es kommt zu traumatisierenden Ereignissen (nicht zwangsläufig eine Vergewaltigung), aber sie haben für die Hauptfigur keine Folgen. Sie verändert sich nicht, es wird mit einem Achselzucken abgetan, es hat keine längerfristigen Folgen. Und in den Hunger Games, wo Katniss ganz klar von den Ereignissen traumatisiert ist und lange unter den Folgen zu leiden hat, wird ihr genau das von vielen Lesern vorgeworfen ...  ::)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Churke am 26. September 2015, 12:49:51
Zitat von: Nachtblick am 25. September 2015, 22:08:42
Es geht oft nicht um die Frauen und ihr Schicksal und ihr Leiden. Das ist illusorisch. Vergewaltigung ist Mittel zum Zweck, etwas, was nach Lust und Laune verteilt wird, um einen bedrohlichen, dystopischen, kriegerischen Hintergrund zu zeichnen und deutlich zu machen, wie schlecht es denn nun steht.
In einer archaischen Gesellschaft sind Frauen Kriegsbeute, und wenn man sie dem Feind wegnimmt, ist das dessen ultimative Demütigung. Auch wenn es komisch klingen mag, aber nicht die Frau ist das eigentliche Ziel der Vergewaltigung, sondern der Mann.  "Ich hab deine Frau und deine Töchter geschändet" heißt: "Du hast verloren."

ZitatEs geht viel öfter um die Männer, die Rache für ihre Frauen nehmen müssen, die heroisch eingreifen können, die strahlende Helden im Gegensatz zu den bösen Vergewaltigern sind.
Das ist nun mal Männes Job, das wurde erwartet. Wenn Germanen vom Schlachtfeld flüchteten, mussten sie damit rechnen, von ihren Frauen erschlagen zu werden. Die Helden vergangener Tage standen schon ein wenig unter Leistungsdruck.  ::)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Aljana am 26. September 2015, 13:21:32
Also ich kann mich der Aussage nur anschließen, dass solche Darstellungen wie in Game of Thrones als reißerisch und Publikumswirksam zu bezeichnen sind. Das hat mir aber dort von der ersten Folge an nicht gefallen.

Dass sie, als traumatisierendes Erlebnis gesehen, Einfluss auf die Charakterentwicklung haben, finde ich gut (Da muss ich übrigens auch grad mal zum Thema Katniss einhaken. Auch ich gehöre zu denen, die Hunger-Games nicht mögen. Ich habe eben im ersten Buch einen starken Charakter erwartet und gehofft. Dann hat die Autorin diese Romanheldin konsequent zerstört. am Ende war sie ein schwaches Mädchen, traumatisiert und nicht in der Lage wirklich was zu tun, sondern nur noch Spielball der Erwachsenen. Das war sehr realistisch, aber nicht das, was ich halt lesen wollte. Die Darstellung ist gelungen, hat mir aber kein Lesevergnügen bereitet.)

ansonsten kann ich Churke in gewisser Weise zustimmen. Auch wenn wir Frauen das nicht gerne hören, aber wir sind aus dem historischen Kontext das 'schwache Geschlecht'. Nein, nicht moralisch, nicht seelisch, aber rein von unserer Physiologie sind die durchschnittlichen Frauen schwächer als der durchschnittliche Mann. Das ist ein Geschlechtsdimorphismus, den die Evolution nun einmal hervorgebracht hat und über viele Jahrtausende hinweg hat es sich damit unter Männer eingebürgert, sich zu nehmen was sie wollen. Und Ja, jemandes Frau zu vergewaltigen hieß seinen 'Besitz' schänden.
Das mag heute nicht mehr immer das Motiv sein, doch vergewaltigende Mnner sind auch heute noch deutlich häufiger, als Frauen die das tun.
Im Übrigen gibt es da einen Film 40 Tage 40 Nächte ... kennt ihr den? Da wird am ende auch der Kerl von seiner Ex vergewaltigt. doch irgendwie törte sich da keiner daran. Ich mich schon.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Nachtblick am 26. September 2015, 14:07:51
Zitat von: Aljana am 26. September 2015, 13:21:32
Auch wenn wir Frauen das nicht gerne hören, aber wir sind aus dem historischen Kontext das 'schwache Geschlecht'.

Und ist es ein Wunder, dass wir das nicht gern hören? Ich habe es satt, auch noch in Fiktion ständig daran erinnert zu werden, dass Männer uns hassen. Ich will vor allem nicht von Männern "Na aber hör mal, damals war das so, heute ist das so, so ist das" hören, als ob mir das irgendwer erklären müsste. Niemand muss mich daran erinnern, wie die Welt ist, ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich als Frau in Gefahr bin, missbraucht zu werden. Ich will das allerdings nicht auch noch immer und überall lesen, es ist für mich nicht spannend, es ist furchtbar, und ich wüsste wie gesagt gern, ob die Männer, die hier mitreden, genauso die explizit dargestellte Vergewaltigung von Männern nicht nur ganz normal, sondern auch ansehbar finden.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Norrive am 26. September 2015, 15:37:48
@Tigermöhre Dann meinen wir prinzipiell das gleiche und haben aneinander vorbei geredet :)

Zitat von: Nachtblick am 26. September 2015, 14:07:51Ich habe es satt, auch noch in Fiktion ständig daran erinnert zu werden, dass Männer uns hassen.
Ist das jetzt nicht sehr pauschal?

Generell denke ich, dass auch die Darstellung von Vergewaltigungen von Männern und Jungen einen Platz hat und ebenso direkt oder indirekt beschrieben werden sollte. Irgendwo kommt diese Art des Missbrauchs weniger häufig vor (wobei die Dunkelziffer viel viel höher ist), aber oft genug, um sie in Büchern einzubinden.
Ein gutes Beispiel ist die Duschszene in American History X. Oder in Pulp Fiction, obwohl das da eher absurd und irritierend wirkt.  Gerade ersterer hat glaube ich überwiegend männliches Publikum. Außerdem wird das Thema explizit in diversen Krimi-/Thrillerserien wie Criminal Minds oder Law&Order: SUV behandelt und in den letzten Jahren einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Ich kann mich umgekehrt einfach nicht mit Büchern oder Filmen anfreunden, in denen potentielle Vergewaltigungen per Definition nicht vorgesehen sind. Ich denke, so etwas gehört einfach zu einer realistischen Welt mit der Spezies Mensch dazu. Menschen an sich sind brutal und aggressiv (beide Geschlechter), während das, was wir Zivilisation nennen, nur eine sehr, sehr dünne Fassade ist, weil es uns gerade ganz gut geht. Einen Abgrund hat jeder von uns, und der gehört für mich bei der Darstellung eines menschlichen Szenarios eben auch dazu.
Ich kann verstehen, dass du da einen anderen Geschmack hast. Es ist auch oft einfach richtig blöd umgesetzt in der Fiktion und übertrieben oft wird das Mittel auch genutzt, aber ich denke, es gehört eben dazu (beide Geschlechter).
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Aljana am 26. September 2015, 17:10:44
Also es gibt Geschichten, die ganz ohne explicite Gewalt auskommen und ganz ohne Vergewaltigungszenen. Nur weil eine Welt Fantasy ist und realistisch muss das nicht zwingend Teil davon sein. Aber wenn man zum Beispiel etwas düsterer schreibt oder eben ganz grim und gritty, dann sind solche Szenen unerlässlich. Und man streitet ja auch nicht darüber, ob man von einer blutigen Schlacht schreiben sollte oder nicht.
Zu expliciter Gewalt an Männern: da könnt ihr in 'die schwarzen Juwelen' von Anne Bishop fündig werden. Ihre Gesellschaft beruht auf der Herrschaft von Frauen und der expliciten Unterdrücken der Männer durch zumeist sexuelle Gewalt. Vieles an dem Buch kann man kritisieren, aber sicher nicht die gelungene Darstellungen dieser 'verkehrten' Welt. Obwohl auch Gewalt an Frauen in dem Buch nicht zu kurz kommt (das ist der Punkt wo es für mich hakt. Es ist von allem zu viel. Aber das sei hier nicht Thema) Also geben tut es das sehr wohl.

Das man sagt, man möchte das nicht lesen. Okay. Dann meidet man solche Bücher eben. Doch auch ich muss sagen, eine gefährliche Welt in der ich keine Bedrohung für Seele Leib und Leben erlesen kann, ist für mich irgendwie auch nicht echt.

aber grade in der Jugendfantasy gibt es genug Bücher, die ohne all das aus kommen und das ist doch auch gut. Ich denke alles hat seine Leser, aber man sollte nicht perse sagen, man darf das nicht oder sollte das nicht. Doch ja, aus meiner Sicht profitiert eine Geschichte manchmal davon, wenn sie einen bis in die Abgründe menschlicher Grausamkeit führt. Es ist dann keine leicht Kost mehr und man muss sicherlich schlucken, aber wenn es nicht nur um seiner selbst willen da steht, dann bringt es die Geschichte weiter
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Norrive am 26. September 2015, 18:19:30
@Aljana Ach, die Black Jewels Reihe! Danke, jetzt weiß ich wieder, in welchem Fantasy-Roman ich das mit der sexuellen Gewalt gegen Männer gelesen habe. Aber gegen Frauen ist selbige da ja auch nicht zu knapp.
Hatte vorhin überlegt ob ich auch Fantasy-Buch-Beispiele kenne, aber ich kam nicht mehr drauf.

Aber wenn die Welt, wie du sagst, nicht mit expliziter Gewalt beschrieben ist, ist man sich doch meistens bewusst und es wird angedeutet, dass sowas da genauso passiert und passieren kann, auch wenn es für das Buch keine Rolle spielt. Und klar, es wird ja zum Glück in der Realität auch nicht jede Frau ständig vergewaltigt, so wie es in manchen Serien/Büchern den Anschein hat.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Roca Teithmore am 25. Oktober 2015, 01:38:02
ZitatMein Problem mit Vergewaltigung ist, wie schon gesagt, dass Vergewaltigung überall ist. Und zwar nicht nur in der echten Welt, sondern auch in Fiktion, in allen Serien, Filmen und Büchern. In Game of Thrones wurde fast jede weibliche Figur zumindest mit Vergewaltigung bedroht, viele wurden tatsächlich vergewaltigt. Das geht natürlich nicht allen so, aber ich als junge Frau bin es gottverdammt leid, eine Frau in einer dramatischen Situation und einer bedrohlichen, feindlichen Umwelt zu sehen und zu wissen, dass sie höchstwahrscheinlich vergewaltigt werden wird, oder zumindest in eine Situation kommt, in der sie sich vielleicht selbst befreien kann, in der aber viel wahrscheinlicher ein Mann zu ihrer Rettung eilt.

Das ist Stark vom Genre abhängig oder der Zeit in der ein Buch steht. Gerade bei GoT oder auch Vikings ist das Thema recht häufig vertreten. Wobei bei Wikings, wie auch Historisch richtig dargestellt die Ehefrauen der Männer sehr anerkannt sind und Vergewaltigung bei Überfällen oder Gefangenen/Slaven praktiziert wird. Hierbei ist es ein Ausdruck von Macht und Dehmütigung des Verlierers. Warum es Frauen trifft? Sie sind wohl "einfacher" in diese Situation zu bringen. Wenn man sich das Alte Rom ansieht... Pedofelie im heutigen Sinne GAB es da nicht. Da war es völlig normal das Schüler, die damals vor allem männlich waren gewisse "Dienste" für ihre Meister zu tätigen hatten. Ob das alles immer so freiwillig war, wage ich mal zu bezweifeln...

Ich denke aber das es in den heutigen Medien eher mit einem Tabuthema für Männer zu tun hat.
Während Frauen in dem Thema eher Hilfe bekommen, da ihnen geglaubt wird. Ich will hiermit nicht eine Vergewaltigung herunter Spielen. Aber Wenn man es auch mal aus der Gleichberechtigungssicht sieht, hat es ein Mann im wirklichen Leben sehr schwer, mit dem Thema umzugehen, da es auch aus gesellschafltichen Stand undenkbar ist, dass sowas überhaupt passieren kann. Gerade wenn die Vergewaltigende Person auch noch weiblich ist. Dann kommt auch noch dazu, das viele sich das pysisch nicht vorstellen können wie das klappen solll, aber den Punkt außer acht lassen, dass auch psychischer Zwang eine Vergewaltigung umschreibt und auf lange sicht gesehen genausoschrecklich wie körperliche Gewalt ist, wenn nciht sogar schlimmer.

ZitatEs geht oft nicht um die Frauen und ihr Schicksal und ihr Leiden. Das ist illusorisch. Vergewaltigung ist Mittel zum Zweck, etwas, was nach Lust und Laune verteilt wird, um einen bedrohlichen, dystopischen, kriegerischen Hintergrund zu zeichnen und deutlich zu machen, wie schlecht es denn nun steht. Es geht viel öfter um die Männer, die Rache für ihre Frauen nehmen müssen, die heroisch eingreifen können, die strahlende Helden im Gegensatz zu den bösen Vergewaltigern sind.
Ich denke auch dass es oft benutzt wird um heraus zu stellen, wie Machtbessesen und widerwertig eine Figur ist. Auch wenn das sicherlich nicht die einzige Motivation für einen Vergewaltiger/In wäre.

Aber so gesehen finde ich es auch banal. Manchmal habe ich auch das Gefühl, das es Leute gibt, die eine wie soll ich es sagen... *räusper* Opferfantasie hegen. Bei Frauen wie auch Männern. Kontrolle zu verlieren ist oftmals gerade bei Kontrollfreakts die seite die sie Sexuell sehr anregend finden. Platt gesagt kann man auch eine Vergewaltigung so sehen, was wohl den Absoluten kontrollverlust darstellt. Für die Firgur allerdings, nicht für den Betrachter... der befindet sich nämlich noch in der Position jederzeit die Reisleine zu ziehen. Was es SM gleichen lässt. Etwas pervers, aber durchaus denkbar, das deshalb dieses Mittel derzeit in Medien so beliebt ist...

Wenn die Vergewaltigung eine Hauptfigur betrifft und sie keine Charakterentwiklung damit durchmacht würde ich den Hauptcharakter allerdings als unglaublichen Soziophaten abstempeln  :zensur:
Wer dahingehend keine Empfindung hat ist wohl nicht ganz klar in seinem Lymbischen System. Alledings bin ich mir sehr sicher dass es sich bei jedem anders auswirkt und jeder damit auch anders umgehen würde. Situationen und Menschen sind eben nicht gleich.

Ein interessantes Beispiel finde ich hier Korra von der Avatar Saga. Sie wurde zwar nicht vergewaltigt, aber von dem ersten Bösewicht in eine ähnlich beängstigende und erniedrigende Position gebracht. Obwohl die Figur eine sehr starke und selbstbewusste Persönlichkeit hat, hat sie selbst noch in der Letzten Staffel Albträume und Ängste vor ihm und muss diese erst verarbeiten...

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Was das Quälen von Hauptfiguren oder Figuren angeht... ist unterschiedlich bei mir. Es kommt stark auf das Genre an. Wobei ich besonders brutal war, während meiner Teenager Zeit. Ich weiß auch nicht, woran das liegt, aber das Phänomän ist mir bei einigen in dem Alter aufgefallen. Vermutlich versucht man damit irgendwas zu verarbeiten.
Ob es mir Spaß macht? Mmmh kommt auf die Figur an xD. Manchmal hab ich eine Perfiede Lust daran jemanden eines auszuwischen... und im nächsten moment tut mir der Hase leid den ich den Kopf umdrehen muss damit XY nicht verhungert... Vielleicht Stress abbau ider die Möglichkeit mich an Eigenschaften von Menschen zu rächen die ich im echten Leben nicht mag? Who knows. Das sollte man mal seinen Therapeuten Fragen xD

Und ja ich hatte auch schon den Fall einer Vergewaltigung bei zwei Relevanten Figuren. Warum habe ich das gemacht? Beide Punkte hatten einen signifikanten Einfluss auf die Figuren. Wobei die eine es eher stellvertretend war, da es sich um die Mutter einer Hauptfigur handelte und die andere hat eine gewisse Verhaltensweise dadurch an den Tag gelegt. Beide Szenen standen aber von meiner Teenager Zeit und ich kann mir vorstellen, das ich eigene Ängste damit verarbeitet habe. :P sagen wir mal ich war ein Spätzünder -.-
Im Moment bin ich an der Geschichte im neuen Konzept. Ich weiß noch nicht, ob die zweite Figur so bestehen bleibt, wie damals. Die Mutter wird aber leider nicht drum rum kommen und ich LIIIEEEBE diesen Charakter. Sie tut mir jedes mal sehr Leid. Dennoch ist sie eine Schlüsselfigur für die eigentliche Hauptfigur aus diesem Teil der Chronik und die Erlebnisse wirken sich extrem auf ihn aus.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Amanita am 21. Juni 2016, 22:05:54
Interessantes Thema.  Meiner Meinung nach ist es nicht besonders sinnvoll, die Protagonisten Dingen wie Folter, Vergewaltigung, Kindesmissbrauch usw. zu unterziehen, wenn das kein wichtiger Teil der Handlung sein soll. Dann stören die Folgen eher die eigentliche Handlung oder werden ignoriert. Schreckliche Erlebnisse aneinander zu reihen machen eine Geschichte keineswegs automatisch spannender oder ,,erwachsener", wenn man nicht weiß, was man tut.
Besonders genervt bin ich, wenn ich ein Buch lese, in dem der gefolterte (männliche) Held danach sofort wieder aufspringt und weiterkämpft und keinen Gedanken mehr an die Sache verliert, aber die vergewaltigte Frau ist natürlich auf ewig traumatisiert. Vor allem, wenn es sich vorher um eine starke, selbstbewusste Frau gehandelt hat, die dann vergewaltigt werden ,,muss" damit sie verwundbarer/schutzbedürftiger/weicher etc. wird sprich besser den weiblichen Rollenklischees entspricht und dies wird dann als notwendig für die Charakterentwicklung bezeichnet.  :wums:
Das bedeutet aber nicht, dass ich grundsätzlich der Meinung bin, dass das Thema Vergewaltigung nicht vorkommen sollte. Es geht nicht um das ob sondern um das wie. Bei der weiter oben beschriebenen Situation im Krieg, wo die Frauen vergewaltigt werden, um den Männern ihre Niederlage klarzumachen, liegt es ja auch am Autor, ob er sich selbst diese den Frauen ihre eigene Menschlichkeit absprechende Einstellung zu eigen macht, oder ob er das Thema so beschreibt, dass er ihnen ihre Würde lässt.
Zum Thema Folter habe ich auch einiges recherchiert und ich finde, dass das in Fantasy häufig stark verharmlost dargestellt wird. Dabei wird auch gerne übersehen, dass auch bei nicht sexualisierten Foltermethoden Erniedrigung und Zerstörung der körperlichen Integrität wichtige Ziele sind und auch das übersteht selbst ein ,,starker Mann" nicht völlig unbeschadet.

Falls in meinen Geschichten Protagonisten gefoltert werden oder foltern, tendiere ich dazu die Möglichkeiten der Fantasy zu nutzen und auf magische/telepathische Methoden zurückzugreifen. Ich weiß, dass das von vielen abgelehnt wird, aber ich persönlich finde, dass das Genre Fantasy hier eine große Chance bietet solche Themen zu behandeln, ohne direkt Szenen zu beschreiben, die manche Leser womöglich schon so ähnlich erlebt haben und die dazu noch in aktuelle politische Diskussionen fallen und den Leser damit aus der Geschichte reißen.
Vergewaltigung und reale Foltermethoden existieren in meinen Geschichten auch, aber eher im Hintergrund, sodass sie nicht direkt aus Sicht des Opfers oder Täters beschrieben werden, sondern eher die Folgen an anderen sichtbar werden.
Wobei ich aber nicht sicher sagen kann, dass sich das nicht mal ändert, wenn ich das Gefühl habe, dass die Geschichte es verlangt.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: criepy am 22. Juni 2016, 03:04:40
Zitat von: NorriveIch kann mich umgekehrt einfach nicht mit Büchern oder Filmen anfreunden, in denen potentielle Vergewaltigungen per Definition nicht vorgesehen sind. Ich denke, so etwas gehört einfach zu einer realistischen Welt mit der Spezies Mensch dazu.
Da schließ ich mich an und benutze diese Worte auch für Gewalt allgemein.

Ich persönlich lese allgemein eher "dunklere" Geschichten mit viel Blut, Gewalt und Kriegen. Ich bin immer glücklicher damit zu wissen, dass es jeden Charakter treffen kann - auch die Protagonisten. Ansonsten kommt für mich keine wirkliche Freude beim lesen auf, wenn ich weiß, den Hauptcharaktern kann sowieso nichts passieren, also ist es egal, in was für einer gefährlichen Situation sie auch stecken.
Ich finde es aber auch ganz und gar nicht gut, wenn man solche Szenen nur schreibt, um sie drinnen zu haben. Man tötet beispielsweise einen Charakter nur, damit einer gestorben ist. Find ich nicht gut. Es sollte nicht gestellt oder erzwungen wirken.

Ich schreibe aber auch eigentlich so gut wie nie wirkliche Folterszenen und von Vergewaltigungen halte ich mich auch fern. Ich kenne mich allgemein nicht genug mit diesen Thematiken aus um darüber schreiben zu können. Außerdem bin ich der Meinung, man kann seine Charakter auch andersweitig quälen, als nur mit roher Gewalt. Ein bisschen Psychoterror und Verrat sind da mehr mein Gebiet. Mentaler Missbrauch. Sowas lese ich aber nicht ganz so gerne wie oben erwähntes.  ::)
Achso, und ich mag solche "tragischen" Vorgeschichten meist nicht - da ist es mir lieber, ein glücklicher und heiler Charakter wird im Verlauf des Plotts mental verstümmelt durch ein paar gemeine Sachen. Charakter mit trauriger Kindheit halten meine Methoden selten aus und wollen sich dann irgendwann umbringen, da sie ja nie was glückliches im Leben erlebt haben.  :-\
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Thistle am 22. Juni 2016, 15:23:29
Zitat von: criepy am 22. Juni 2016, 03:04:40
Ich bin immer glücklicher damit zu wissen, dass es jeden Charakter treffen kann - auch die Protagonisten. Ansonsten kommt für mich keine wirkliche Freude beim lesen auf, wenn ich weiß, den Hauptcharaktern kann sowieso nichts passieren, also ist es egal, in was für einer gefährlichen Situation sie auch stecken.

Das kann ich nur so unterschreiben. Ich bin zu meinen Protagonisten auch nicht immer nett, wenn es so kommt, dass sie etwas Schlimmes durchleben müssen, ist es halt so, deswegen mache ich mir keine schlaflosen Nächte, aber nur um das "Quoten-Trauma" drin zu haben, würde ich es nicht reinpacken.

Zitat von: Amanita am 21. Juni 2016, 22:05:54
Falls in meinen Geschichten Protagonisten gefoltert werden oder foltern, tendiere ich dazu die Möglichkeiten der Fantasy zu nutzen und auf magische/telepathische Methoden zurückzugreifen.

Obwohl das manchmal auch schlimmer sein kann als körperliche Folter. In Eragon fand ich es sehr heftig, dass die mentale Folter die letzte, verschärfte Möglichkeit des Bösen war, was die sonst so starke Persönlichkeit an den Rand des Wahnsinns getrieben hat.
Aber generell gebe ich dir da Recht, ich foltere auch gerne psychisch. Einmal habe ich meine Protagonisten ihre schlimmsten Albträume wahr werden lassen, während sie in einer Art Trance gefangen waren. Was dummerweise zur Folge hatte, da ich der einen Frau meine eigene Angst vor Puppen angedichtet habe, dass ich selbst nachts schreiend hoch geschreckt bin. Karma, oder?  ;)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Lucien am 22. Juni 2016, 16:51:54
Zitat von: criepy am 22. Juni 2016, 03:04:40
Außerdem bin ich der Meinung, man kann seine Charakter auch andersweitig quälen, als nur mit roher Gewalt. Ein bisschen Psychoterror und Verrat sind da mehr mein Gebiet. Mentaler Missbrauch. Sowas lese ich aber nicht ganz so gerne wie oben erwähntes.  ::)
Achso, und ich mag solche "tragischen" Vorgeschichten meist nicht - da ist es mir lieber, ein glücklicher und heiler Charakter wird im Verlauf des Plotts mental verstümmelt durch ein paar gemeine Sachen. Charakter mit trauriger Kindheit halten meine Methoden selten aus und wollen sich dann irgendwann umbringen, da sie ja nie was glückliches im Leben erlebt haben.  :-\
Ich bin ein großer Fan von Psychoterror, da ich nicht wirklich "blutrünstig" veranlagt bin (Tierattacken ausgenommen). Beim Lesen kann ich mich in das Leid der Figur auch viel besser einfühlen, wenn sie psychische Gewalt erlebt, als wenn sie körperliche Gewalt erfährt. Einfach, weil ich selbst nie so schlimme Schmerzen hatte, von einmal Zahnschmerzen, die sich ebenfalls noch in Grenzen hielten, abgesehen. Wenn aber z.B. einer Figur mit dem Tod geliebter Menschen gedroht wird, kann ich nachvollziehen, wie ich mich in so einer Situation fühlen würde.
Außerdem bin ich im Bereich Psychoterror einfach viel kreativer, deshalb schreibe ich das lieber. ;D

Was tragische Vorgeschichten angeht: Ich habe in meinem Herzensprojekt einen Prota mit und einen ohne schlimme Kindheit. Es fiel mir zu Beginn sehr schwer, mich in den glücklichen Prota einzufühlen und ihn überzeugend darzustellen, während es bei dem unglücklichen sofort funktioniert hat.
Natürlich finde ich es auch spannend, eine Figur im Laufe der Geschichte mit schlimmen Dingen zu konfrontieren, die sie verändern, aber ich habe eine größere Schwäche für die leidenden Figuren (sofern es keine Heulsusen sind, die sich die ganze Zeit selbst bemitleiden). Beim Schreiben mag ich es, solche Figuren wirklich an den absoluten Rand der Verzweiflung zu treiben, bis hin zu Suizidgedanken, um ihnen am Ende dann doch ein wenigstens bittersüßes Happy End zu bescheren.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Trippelschritt am 23. Juni 2016, 13:44:53
Als gutmütiger und friedvoller Mensch tue ich mich mit Grausamkeiten immer etwas schwer beim Schreiben. Beim Lesen ist es etwas einfacher, vor allem wenn ich merke, dass die Grausamkeit nicht wegen des Effekts, sondern wegen des Plots geschrieben wurde. Vergewaltigungen oder sexueller Missbrauch sind aber wesentlicher Teil der der meisten menschlichen Kulturen. Und wenn man japanische Romane schätzt, findet man dort auch immer wieder diese Themen unter Männern, weil Homosexualität dort eine gesellschaftlich akzeptierte Spielart war. Sie wurde auch von Heteros eingesetzt, um Dominanz zu zeigen. Das nur zur Ergänzung der oben gelaufenen Diskussion.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Manja_Bindig am 01. Juli 2016, 23:59:08
Frage ist immer, ob man zum effektiven Quälen wirklich immer so extrem werden muss. Ich fühle mich bei Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch ebenfalls immer sehr, sehr unwohl, einfach weil es extrem oft sehr schlecht gehandhabt wird.
Folterszenen sind schon besser (naja, besser), aber...

Aber wie gesagt, warum so drastisch werden? Eine Figur lässt sich - je nach Plot - auch langsam zermürben und oft auch, ohne dass ihre Lieben Schaden nehmen (noch etwas, was mich an Vergewaltigungen als Plot device stört - oft genug ist es dann nicht die Geschichte der Überlebenden - die meisten Vergewaltigungen in der Literatur passieren Frauen, von daher rede ich der Einfachheit halber in der weiblichen Form - wie sie damit klarkommt und weitermacht oder Rache sucht - sondern es ist die Geschichte ihres Mannes, Vaters, Bruders, der damit zurechtkommen muss.
Gleiches gilt für dieses ekelhafte "Stuffed in the fridge" Motiv. Sprich, das Leid und der tod einer Figur ist am Ende nicht mehr etwas, was auf diese leidende Figur gerichtet ist, sondern auf jemanden, der in einer Beziehung zu ihr steht und das ganze auf sich bezieht. Mich nervt das ein bisschen.

Wie gesagt, man kann Figuren ganz gepflegt langsam kaputt schlagen. Lass sie ihren Job verlieren, an irgendwas scheitern - vielleicht durch ihre eigene Schuld. Vielleicht werden sie in ein moralisches Dilemma gebracht. Oder müssen sich einem Trauma stellen, ohne dass sie es glorios überwinden.
Vielleicht führt sich die Figur auch aus Gründen (vielleicht weil die Situation extrem stressig ist) sich wie ein Arsch auf und stößt so nach und nach alle Freunde von sich, was den geistigen Zustand nicht besser macht und - wer weiß, vielleicht versucht die Figur, zu retten was zu retten ist, aber der Schaden ist zu groß.

Wenn die Zeit es erlaubt, ist das langsame Aufbauen von Stress und Druck eine ziemlich gute Methode, eine Figur leiden zu lassen, ohne dass notwendigerweise die Freundin/Mutter/Tochter/Schwester zerstückelt werden muss.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Kelpie am 09. Juli 2016, 16:03:04
ZitatWie gesagt, man kann Figuren ganz gepflegt langsam kaputt schlagen.
Wie das klingt ;D

Ich habe irgendwie nicht sonderlich große Schwierigkeiten, solche Sachen zu schreiben. Egal ob ich einen Geliebten sterben lasse oder jemand bei der Folter ein Auge verliert - ich zögere da nicht und frage mich, ob das wirklich sein muss. Dennoch leide ich beim Schreiben wie ein Hund, denn in dem Moment stecke ich ja in der Figur und muss mich fragen, wie sehr er/ich seinen/meinen Bruder liebte und wie sehr ihn/mich sein Verlust nun trifft. Einer meiner Protas habe ich Panikattacken angedichtet und die zu schreiben war wirklich Schwerstarbeit, da ich beinahe selbst in ein Loch gefallen wäre.

Ich denke halt, man muss den richtigen Ton bei solchen Sachen treffen. Gerade Vergewaltigungen sind ein ziemlich schweres Thema und von einem gewissen Wortschatz sollte man sich da verabschieden.
Wobei ... hm. Gerade frage ich mich, wie man an so ein Thema herangehen sollte, wenn z.B. ein äußerst vulgärer und obszöner Typ eine Frau vergewaltigt oder zusieht, wie seine Frau vergewaltigt wird, es erzählt bekommt, wie auch immer ... müsste man sich dann theoretisch nicht seinem gewöhnlichen Wortgebrauch beugen und die Vergewaltigung in einer Art und Weise erzählen, wie man es eigentlich niemals gutheißen könnte? Man kann doch gerade in so einer emotionalen Szene nicht plötzlich eiskalt die Sprecherstimme verändern ...
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: criepy am 12. Juli 2016, 13:12:09
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Edit 21.1.22: Ich stehe nicht mehr hinter den Äußerungen im Spoiler und würde heute auch nicht mehr sagen, dass das wirklich hilfreiche Aussagen waren bzw das man sich an den ,,Tipp" halten soll. Überlegt euch bitte, ob ihr solche Szenen wirklich ausschreiben wollt und warum, in den seltensten Fällen haben sie einen Mehrwert für Plot und Charaktere.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Cailyn am 22. Juli 2016, 17:36:08
Criepy
Auch bei der Outlander-Saga ist sexuelle Gewalt am Mann ein grosses Thema.

Ich stimme dir zu. Wenn man nah an der Figur bleibt, kann nichts passieren. Logischerweise schreibt man deratrige Gewaltszenen aus Sicht des Opfers oder zumindest aus Sicht von jemand, der dieses Vergehen missbilligt. Und da passiert es automatisch, dass der richtige Schreibstil dafür gefunden wird.

Aus Sicht des Täters wäre es was anderes. Und da sollte man schon aufpassen. Wenn man z.B. einer Thriller schreibt und Gewalt und Missbrauch aus Sicht des Täters schreibt, sollte man sich schon Gedanken machen, wie man das bringt. Da sollte abgewogen werden, wieviel es braucht, um den Antagonisten in ein wirklich übelstes Licht zu stellen, aber doch auch davor zurückschrecken, es zu sehr "auszuschmücken". Viele vertragen das nicht. Und es wirft meiner Meinung nach auch kein gutes Licht auf den Autor, wenn Szenen unnötigerweise noch heftiger dargestellt weden, nur um der Effekthascherei wegen. Da finden sich sicher andere Wege, um das Ausmass einer Tat darzustellen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Wintersturm am 20. Januar 2022, 20:41:12
*Totenläufer-Zauber benutz*

Ich mache keinen Hehl daraus, dass meine Charaktere regelmäßig durch die Hölle gehen. Selber würde ich das in dem Ausmaß wohl nicht mehr lesen wollen, schreiben kann ich es auch nur, weil ich genau weiß, wie die Sache am Ende ausgeht. Dabei hatten meine schlimmsten Opfer bis jetzt doch ein ganz gutes Ende, auch wenn es teilweise knapp anderthalb Bücher bzw. 400.000 Wörter gebraucht hat. Die richtige Magie hilft da etwas.

Ok, weiter im Text. Ich selber begründe meine Darstellung damit, dass ich nichts beschönige, aber umgekehrt die guten Stellen auch nicht vermiese. Bei den guten Stellen ist das wirklich angenehm, aber die dunklen Stellen... Das ist pure Grausamkeit meinerseits in allen Richtungen. Meine Charaktere sind nun mal überwiegend Menschen, und die es nicht sind, sind auch nicht groß anders als Menschen. Am besten sind da noch die Arten, die zwar kein Problem mit Mord und Totschlag haben, aber stattdessen keinen Sinn in unnötiger Grausamkeit sehen und ihre Feinde eben einfach abschlachten. Menschen gehören nicht dazu. Ich behandle im ersten Teil meiner Reihe einen Vernichtungskrieg (das trifft´s einfach am besten) zwischen zwei Fürstentümern und der zweite Teil beschreibt dann den Auftakt zum eigentlichen Hauptthema der Reihe: Ein Rassenkrieg. Wie man sich denken kann, geht es bei derart extremen Konflikten entsprechend zu und man setzt zum Teil gezielt alles ein, was man hat, um den Gegner körperlich aber auch vor allem moralisch und psychisch zu vernichten. Hemmungen, da mit der Kamera draufzuhalten, habe ich eigentlich keine. Allenfalls am Anfang, aber wenn ich mal dran bin, dann wird es eher noch böser als ursprünglich geplant, obwohl ich dabei mitleide. Immerhin muss ich mir das alles inklusive der Wahrnehmung und der emotionalen Welt der Charaktere ausdenken und selber durch den Kopf gehen lassen. Ich befürchte, Game of Thrones ist dagegen eher entspannt. Vielleicht überziehe ich es etwas, aber bei mir und meinen Testlesern ist es absolut mitreißend.

Von jetzt an schreibe ich besser in Weiß. Triggergefahr unter anderem wegen sexualisierter Gewalt. Und Spoilerwarnung, falls mal einer die Geschichte liest. :hand:
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Das Beschriebene soll natürlich gezielt schocken, aber vor allem die Brutalität darstellen, zu der Menschen fähig sind. Da gibt es keine Grenzen und objektiv mag ich es nicht, wenn Autoren alles etwas zu nett und - vielleicht etwas abwertend ausgedrückt - Friede-Freude-Eierkuchen-mäßig ausdrücken. Da werden Kriege mit allen Nebengeschehnissen, (bewusste) Ausgrenzung, Leid und was es nicht alles gibt gefühlt zu schwach dargestellt und die Helden zu sehr glorifiziert, während die Gegner dämonisiert werden. Dabei gehen die Charaktere, oft genug auch auf der Seite der Gegenspieler, wenn man mal die einfachen Handlanger behandeln würde, dabei durch die Hölle und die Protas sind schuld, nur wird das nie gezeigt. Das sollte man aber nicht ausblenden, auch wenn man da als Autor vielleicht nicht gerne hinsieht.
Subjektiv ist die Sache anders, da lese ich auch lieber die guten Geschichten, in denen alles gut ausgeht und den Protas nichts Schlimmes passiert. Da hasse ich es, solche Szenen zu lesen, aber am Ende sind das dann doch die Geschichten, die ich besser finde, obwohl ich sie nicht so gerne lese. Ich meine, das sind im Grunde auch nur Menschen und als Autoren tun wir ihnen Dinge an, die im Grunde unvorstellbar wären.
Ich habe mich auch bewusst zu diesem Stil entschieden, einfach weil ich die Beschönigung irgendwo dann doch wieder nicht mag und - jetzt kommt der bösartige Teil - weil ich es zu sehr mag, detaillierte Kampfszenen zu schreiben. :darth:
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: KaPunkt am 20. Januar 2022, 22:13:45
Ich habe eine ganze Menge Gedanken zu dem, was du geschrieben hast, @Wintersturm , aber gerade kriege ich die nicht sauber sortiert.
Ich glaube, es ist immer auch eine Frage, für welches Publikum du schreibst, in welchem Genre und welche Erwartungen dort gelten.
Du schreibst Dark Fantasy bis Horror (würde ich mal sagen, nach dem, was ich bisher von dir mitbekommen habe) und diese Genre haben natürlich ihre eigenen Konventionen.

In meinen Romanen versuche ich eigentlich immer, Schwarz/Weiß aufzubrechen und eben genau die Zwischentöne und "Man kann das ganze auch anders sehen" zu zeigen. Ich schreibe größtenteils Low Fantasy, mein letzter Roman erzählt vom Untergang einer Hochkultur mit einem Body Count knapp unter Hamlet, also, völlig fremd ist mir nicht, was du beschreibst. (Die meisten meiner Recherche Themen sind anatomischer / medizinischer Natur, und dafür gibt es natürlich ebenfalls Gründe  :darth:)

Ich schreibe keine Vergewaltigungen und keine sexualisierte Gewalt (mehr). Dafür gibt es viele Gründe, die andere an anderer Stelle besser zusammengefasst und erläutert haben, die viel mit der Verantwortung des Autoren und seinem Publikum zu tun haben.
Ich lese gern Action, gern düster, gern zwiespältig, aber ich sage dir ganz ehrlich: Wenn ich eine Vergewaltigung lese (möglichst noch von einem Kerl geschrieben) die nichts anderes soll, als klarmachen, wie furchtbar die Menschen und die Welt sind, klapp ich das Buch zu.

Ab hier dann vielleicht CN für grafische Beschreibungen Vergewaltigung / sexualisierte Gewalt

Einen rein handwerklichen Grund, warum ich keinen Bock auf Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt in meinem Lesestoff habe, möchte ich dennoch erwähnen: Sie sind fast immer die billigste / einfachste / langweiligste Lösung.
Der Plot braucht eine gedemütigte / gebrochene / in den Wahnsinn getriebene Figur? Hey! Sie wird von ein paar Sadisten mit Dingen penetriert.
Das ist eine Lösungsmöglichkeit. Aber fällt dem Autor echt nichts kreativeres ein, um eine Figur kaputtzukriegen?
Es gibt fast immer andere, bessere, (gemeinere) Lösungen, anstatt das 0815 Yay, wir verkehren die schönste und instimste, vertrauensvollste Sache der Welt in ihr Gegenteil! Wie es bereits tausende vor uns getan haben!

Das ist ein bisschen, wie einen eigenen Stil entwickeln. Du kannst Bücher schreiben und dein ganzes Leben bei Standard Formulierungen bleiben "Ihm stockte der Atem" - "Hoffnung wallte in ihm auf." - "Er konnte es kaum glauben." oder du kannst dir die Mühe machen, bessere, treffendere Worte zu finden, anstatt die ersten zu nehmen, die dir einfallen. Das Ergebnis spricht meistens für sich.

Da ich keine Ahnung habe, ob ich in diesem Thread vorher schon mal geschrieben habe:
Arten, wie ich Figuren quäle:
Leiden muss einen Sinn erfüllen und sollte nicht nur misery / torture Porn sein. Wenn es für Plot und Entwicklung sinnvoll ist, ist der Eindruck meistens auch größer. Das Leiden sollte zum Allgemeinen Tonfall der Geschichte passen. Manchmal hat man locker fluffige Geschichten und plötzlich hackt der Autor dem Helden in aller Ausführlichkeit die Zehen einzeln ab. Da bin ich raus, das verdirbt mir das Lesevergnügen. Beispiele dafür: Die Lebenszeit Maschine in "Princess Bride" und die Foltermaschine in "Rumo und die Wunder im Dunkeln" (Das ist der Stand alone Rumo Band, oder?)

Das Leiden im Fluss mit der restlichen Geschichte zu halten und trotzdem nicht banal werden zu lassen, ist die Kunst.

Ich mag außerdem, wenn die Folgen ernst genommen werden. Eine mittelschwere Gehirnerschütterung hat mich mehre Tage komplett außer Gefecht gesetzt und mehr als einen Monat übel beeinträchtigt. Es macht Spaß, wenn die Figuren solche Malaien durch die Handlung mitschleppen müssen.
Gleiches gilt für psychische Folgen. Gutes Leiden ist Leiden, das ernstgenommen wird. (Das heißt nicht, dass es den ganzen Plot bestimmt. Leiden heißt nicht, nichts als Leiden zu sein. Leiden heißt, vielleicht andere Lösungswege finden zu müssen)

Im aktuellen Projekt ist meine größte Herausforderung, die Probleme und das Leid der Figuren nicht zu ernst zu nehmen. Nicht zu tief einzutauchen, sondern es ernst zu nehmen, ohne in eine dark und gritty Spirale zu rutschen. Gar nicht mal so einfach.  ;D

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Alana am 20. Januar 2022, 23:13:26
 :wache!:

Ein Hinweis für alle: Wir haben diesen Thread unter Beobachtung.

@Wintersturm Frauenfeindliche Inhalte und Ansichten zu posten, wird nicht dadurch besser, dass man sie in Spoiler setzt, auch wenn das definitiv besser war als nichts. Bitte verzichte in Zukunft auf derart bildhafte Beschreibungen und überleg dir gut, ob du sowas wirklich posten möchtest. Bitte füge deiner Triggerwarnung noch Themen hinzu z.B. "Sexualisierte Gewalt". (So neutral wie möglich formuliert.) Innerhalb von Spoilern in weiß zu schreiben, ist unnötig, der Spoiler allein reicht aus.

Prinzipiell soll man hier im Tintenzirkel über alles diskutieren dürfen, aber das sollte immer auf eine respektvolle Art geschehen und das fehlt mir hier ehrlich gesagt.

Privat möchte ich noch anfügen:

Ich finde das einen sehr seltsamen ersten Post, wenn man neu in ein Forum kommt und als Mitglied empfinde ich das als sehr unangenehm. Als Autorin würde ich dir stark empfehlen, zu überlegen, ob solche Darstellungen nötig sind. Man kann Wirkung auch ganz anders erzielen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 03:10:27
Mich stört der Umgang mit Gewalt und Grausamkeit in vielen Medien aus verschiedenen Gründen. Natürlich gehört Gewalt zum Leben dazu. Ganz ohne kommen die meisten Bücher nicht aus und in keinem meiner Romane mache ich es meinen Protagonist*innen bewusst einfach. Ich bringe sie bewusst genau in die Situationen, vor denen sie am meisten Angst haben und die sie am meisten herausfordern.

Auf psychologischer Ebene stört mich, wie unglaublich unrealistisch viele ihre eigenen Bücher durch ihre Gewaltdarstellungen werden lassen. Ja, klar, wir schreiben Fantasy und da herrscht Krieg und jede Grausamkeit, die wir in unser Buch einbauen, ist so in der echten Welt auch irgendwie schonmal vorgekommen. Die echte Welt ist grausam. Aber auf der psychologischen Ebene merkt man sehr schnell, dass viele nicht wissen, was ein Trauma eigentlich ist und wie ein Trauma aussehen kann. Man merkt, wann Ursachen und Folgen dieser Grausamkeiten von echter Recherche inspiriert sind und wann einfach nur das nachgemacht wird, was andere Geschichten schon vorher falsch gemacht haben. 

Ich habe auch das Gefühl, dass bei Männern und Frauen mit Grausamkeit anders umgegangen wird und das stört mich ebenfalls sehr. Männer dürfen generell grausamer sein als Frauen. Wenn Männern solche Grausamkeiten widerfahren, dann ist es meistens Teil ihrer Heldenreise, entweder als grausamer Rückschlag, als Lektion, um sie auf den rechten Pfad zu bringen, oder um  ihnen eine Motivation zu geben. Wenn Frauen so etwas widerfährt, dann meistens, um sie zu brechen. Sie sind tragische Figuren. Sie sind Teil der Geschichte eines Mannes, der von ihrem grausamen Schicksal motiviert wird. Sie werden darüber definiert, dass sie einem Mann wichtig sind, der sie rächen will. Sie werden als Frauen verletzt, Männer aber selten als Mann. Sie gehen daran zugrunde, während Männer daran wachsen. Und selbst wenn sie völlig gebrochen sind, geht es bei Männern darum, dass sie sich noch einmal zusammen kratzen und trotzdem Heldentaten vollbringen, während man Frauen einfach gerne dabei zusieht, kaputt zu sein und zu scheitern. Oder das Trauma wird uns als etwas präsentiert, das die Frau nur stärker gemacht hat und was sie gebraucht hat, um zu einer starken Frau zu werden wie bei Sansa Stark, was auf so vielen Ebenen so problematisch ist.

Besonders gefressen habe ich das Stereotyp der Person, der etwas unvorstellbar Schreckliches widerfährt und die daraufhin völlig irre wird. Meistens sind das auch Frauen. Zum einen ist da natürlich die Ebene, auf der psychische Störungen wieder nur für völlig stereotype und stigmatisierende Darstellungen benutzt werden, die die Vorurteile in unserer Gesellschaft nur zementieren und auch niemandem helfen. Dahinter steht auch völlig unzureichende Recherche, denn wer sich mit psychischen Störungen beschäftigt, wüsste genau, wie falsch diese Darstellung wirklich ist. Trauma funktioniert so nicht. Psychische Störungen funktionieren so nicht. Was sich Leute hier unter ,,völlig irre" vorstellen ist ein Krankheitsbild, das weder realistisch ist noch sonst irgendeinem anderen Zweck dient als sich an Gewalt zu ergötzen. Sowohl Moral als auch Realismus sprechen vollkommen gegen dieses Trope, aber aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstehe, fahren viele trotzdem völlig drauf ab.

Letztendlich werden Gewaltdarstellungen häufig eingebaut, weil es ja so realistisch ist, aber realistisch ist daran am Ende oft nichts und jeder mit Ahnung sieht genau, dass die Autor*innen hier einfach gar nicht recherchiert haben. Das Argument ist also ziemlich schwach.

Auf schriftstellerischer Ebene finde ich solche Darstellungen häufig einfach schlecht umgesetzt. Gewalt wird im Detail beschrieben, um zu zeigen, wie schlimm das alles ist, als wäre das der einzige Weg, so etwas darzustellen. Die Qualität des Textes leidet darunter, weil die Darstellung der Folgen von Gewalt vernachlässigt wird. Hier wird es schnell unrealistisch, obwohl das eigentlich das Wichtigste ist. Die Auswirkungen der Gewalt auf die Figuren sind doch das, was uns als Leser*innen wirklich mitfühlen lässt. Es kommt vor, dass sich Personen nicht mehr an jedes Detail eines schrecklichen Erlebnisses erinnern, aber trotzdem mit den Folgen zu kämpfen haben. Ich muss nicht jede Gräueltat ausschreiben, um ihre Grausamkeit zu zeigen. Ich fand zum Beispiel Eragon sehr brutal, teilweise sehr graphisch, aber die wirkliche Grausamkeit des Krieges kam überhaupt nicht rüber. Brutale Szenen kann jeder schreiben, aber die Folgen dahinter darzustellen erfordert mehr Finesse. Ich habe das Gefühl, viele machen es sich hier zu einfach.

Ein weiterer Punkt, den ich wichtig finde, ist für wen die Bücher eigentlich geschrieben sind. Traumatische Erlebnisse wie sexuelle Gewalt, die die Tat in jedem Detail zeigen, sich aber nicht realistisch mit den Folgen beschäftigen, sind nicht für Personen geschrieben, die so etwas wirklich erlebt haben. Wenn ich aber Dinge in meine Geschichten einbaue, die echte Menschen betreffen, dann sollte das Buch in den meisten Fällen auch für diese Menschen geschrieben sein. Wenn ich zum Beispiel BIPoC und queere Menschen in meine Bücher einbaue, dann gebe ich mir Mühe, sie so darzustellen, dass auch BIPoC und queere Menschen meine Bücher lesen können. Im besten Fall finden sie die Darstellung gut, finden sich ein wenig darin wieder oder freuen sich über die  Repräsentation, aber sie sollten sich mindestens nicht über die Darstellung ärgern müssen oder gar davon retraumatisiert werden. Bei Büchern über queere Menschen merkt man häufig, ob sie für queere Menschen oder vor allem für nicht-queere Menschen geschrieben wurden. Manchmal stehen auch noble Intentionen dahinter, die Darstellung von queerem Leiden soll aufrütteln und zeigen, wie schlimm die Folgen von Queerphobie sind, das soll für mehr Akzeptanz sorgen. Aber queere Menschen gibt es auch in Wirklichkeit und sie lesen diese Bücher. Die meisten queeren Menschen wollen keine exzessiven Darstellungen queeren Leidens oder von Queerphobie, besonders nicht, wenn sie nicht von Personen kommt, die das nicht selbst erlebt haben. Ein Buch, das queere Figuren enthält, sollte auch für queere Menschen geschrieben sein.

Ebenso verhält es sich mit psychischen Störungen und traumatischen Erlebnissen. Psychische Störungen betreffen echte Menschen, viele davon lesen Bücher, viele davon sind auch hier im Forum. Diversität schließt psychische Störungen mit ein. Wenn ich psychische Störungen (und PTBS gehört dazu) in meine Bücher einbaue, dann bediene ich mich der Geschichte und der Erfahrungen von echten Menschen. Mit welchem Recht tue ich das, wenn ich nicht einmal vernünftig recherchiere und die Bücher so schreibe, dass sie die Menschen, über die ich schreibe, größtenteils ausschließen? Klar kann ich nie garantieren, dass ein Buch, das Mitglieder einer Gruppe darstellt, auch jedem Mitglied dieser Gruppe gefallen wird. Aber man merkt sehr deutlich, ob beim Schreiben bedacht wurde, dass diese Dinge auch echte Menschen betreffen und nicht nur dazu da sind, unsere Bücher edgy und cool zu machen.

Das heißt alles nicht, dass Trauma, psychische Störungen und Gewalt nicht in Büchern vorkommen dürfen. Es bedeutet auch nicht, dass ich jede Darstellung von Gewalt und Trauma in Büchern doof finde. Six of Crows von Leigh Bardugo hat mir hier gefallen. Besonders bei Inej hat sich die Autorin darauf konzentriert, das Trauma der Figur darzustellen, anstatt die Ereignisse auszuschreiben, die das Trauma ausgelöst haben. Trotzdem darf Inej eine starke Figur sein und man hat gemerkt, dass es der Autorin nicht darum ging, reale Erfahrungen für ihr Buch auszuschlachten, sondern eine empowernde Geschichte zu schreiben. Die Rezensionen von Betroffenen, die ich gelesen habe, waren insgesamt auch positiv. An keiner Stelle musste Leigh Bardugo dafür diese Art der Gewalt graphisch beschreiben.

Ein Beispiel dafür, wie graphische Gewaltdarstellungen funktionieren können, war für mich Menschenwerk von Han Kang. Das Buch beschäftigt sich mit den Gwangju-Aufständen 1980 in Südkorea. Ich bin überhaupt nicht sicher, wie viele der Figuren am Ende wirklich leben oder gelebt haben und wie viele fiktiv sind, aber die beschriebenen Ereignisse sind dennoch real bzw. beruhen auf realen Geschehnissen. Das Buch schreibt Gewalt nicht nur graphisch aus, sondern konzentriert sich stark auf die psychischen Auswirkungen der Geschehnisse. Es geht um Trauer, Trauma, Ohnmacht. Dafür muss nicht immer jede Grausamkeit im Detail beschrieben werden. Manchmal zeigt sich die Brutalität der Ereignisse gerade darin, was nicht ausgesprochen werden kann, welche Ereignisse zu brutal sind, um sich daran zu erinnern und sie noch einmal zu durchleben, in den vielen Formen, die Trauma annehmen kann. Von allen Geschichten, an die ich mich erinnere, in denen Gewalt graphisch dargestellt wurde, ist das hier eines der wenigen Beispiele, von denen ich behaupten würde, dass die Darstellung gut umgesetzt wurde.

Letztendlich geht es glaube ich einfach darum, sich wirklich Gedanken darüber zu machen, warum ich etwas in mein Buch einbaue. Weil das edgy und cool ist? Kein guter Grund. Weil das realistisch ist? Aber ist es das wirklich? Stelle ich Gewalt gegen Männer anders dar als Gewalt gegen Frauen? Warum muss ich ausgerechnet aus der Perspektive des Täters draufhalten? Wie  gehe ich mit psychischen Störungen um? Warum begründe ich meine Gräueltaten mit Wahnsinn und meinen Wahnsinn mit Gräueltaten? Zeige ich wirklich die Grausamkeit der Welt, wenn ich mich andererseits so weit von einer realistischen Darstellung wegbewege? Oder geht es mir letztendlich einfach nur darum, einen Gewalt-Porno zu schreiben?

Wenn ich von Beschönigungen spreche, muss ich auch die Existenz der anderen Seite anerkennen, dazwischen ist die Realität. Und wenn ich weder beschönige noch realistisch schreibe, wo stehe ich dann?
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 11:59:04
Ok, ich glaube, ich muss hier paar Sachen geraderücken. Entschuldigung, wenn das falsch rübergekommen ist.

Zitat von: Alana am 20. Januar 2022, 23:13:26
Bitte verzichte in Zukunft auf derart bildhafte Beschreibungen und überleg dir gut, ob du sowas wirklich posten möchtest. Bitte füge deiner Triggerwarnung noch Themen hinzu z.B. "Sexualisierte Gewalt". (So neutral wie möglich formuliert.)
Ich werde es mir merken. Dazu muss ich aber eingestehen, dass ich immer Probleme mit Triggerwarnungen habe. Ich selbst habe das Glück oder Pech, von Geschehnissen wenig bis gar nicht getriggert zu werden, also habe ich bei für mich persönlich gefühlt weniger starken Triggern einfach kein Gefühl dafür, ob das schon jemanden triggert. Bei mir persönlich zieht das eben nur bei drastischeren Darstellungen. Entschuldigt, wenn ich da mitunter nicht genug aufpasse.  ???

Zitat von: KaPunkt am 20. Januar 2022, 22:13:45
Einen rein handwerklichen Grund, warum ich keinen Bock auf Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt in meinem Lesestoff habe, möchte ich dennoch erwähnen: Sie sind fast immer die billigste / einfachste / langweiligste Lösung.
Der Plot braucht eine gedemütigte / gebrochene / in den Wahnsinn getriebene Figur? Hey! Sie wird von ein paar Sadisten mit Dingen penetriert.
Das ist eine Lösungsmöglichkeit. Aber fällt dem Autor echt nichts kreativeres ein, um eine Figur kaputtzukriegen?
Es gibt fast immer andere, bessere, (gemeinere) Lösungen, anstatt das 0815 Yay, wir verkehren die schönste und instimste, vertrauensvollste Sache der Welt in ihr Gegenteil! Wie es bereits tausende vor uns getan haben!
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 03:10:27Ja, klar, wir schreiben Fantasy und da herrscht Krieg und jede Grausamkeit, die wir in unser Buch einbauen, ist so in der echten Welt auch irgendwie schonmal vorgekommen. Die echte Welt ist grausam.
Weiß. Sorry, aber der Punkt muss zur Erklärung noch sein. Es wurde gezielt gemacht, um die Krieger (männlich und weiblich) zu demütigen und zu unbedachten Handlungen zu zwingen. Die Unschuldigen sind dabei jedoch die eigentlichen Leidtragenden. Das ist eines der Themen, um die es in der Geschichte geht. Freude hatte ich bei den Szenen ganz eindeutig nicht.

Ich selbst habe da eine etwas andere Interpretation zu Geschehnissen. Man kann natürlich vieles andeuten oder aber gar nicht zeigen, nur funktioniert das nicht immer und nicht bei jedem Leser (ich selbst bin wohl das beste Beispiel). Was nicht gezeigt wird, ist auch nicht so präsent im Kopf des Lesers. Beispielsatz: Held XY ging zum Markt. Am Rand der Straße saßen Bettler.
Die Bettler sind nur dazu da, um ein Bild der Stadt zu zeichnen. Was das aber für Menschen sind und welche Schicksale damit verbunden sind, wird dabei gar nicht dargestellt. Als Leser kann man sich sicher seinen Teil dazu denken, nur ist das ganz sicher nicht wirksamer als wenn man schon davor ein paar Kapitel aus der Sicht eines Bettlers geschrieben hat, der genau dort am Straßenrand sitzt, hungert, friert, dem vom Steinboden alles wehtut und der über sein verlorenes Zuhause trauert. Und dann kommt der Held der Geschichte vorbei und tut... nichts. Er geht zum Markt, wo er sich mit irgendwem treffen wird, weil das so abgesprochen ist und es für den Plot wichtig ist. Wer aber am Hauptplot unbeteiligt ist, wird außer Acht gelassen.
Natürlich kann man solche Figuren nicht in die Geschichte aufnehmen, sonst würde ein Buch von 100.000 Wörtern am Ende 2.000.000 Wörter haben, aber genau eine solche Szene würde wunderbar zeigen, wie der Held auch nur an seinen Kram denkt und die umgebenden, unbeteiligten Menschen ignoriert. So kann man es sehen. Nur ist das definitiv nicht die Darstellung, die man als Autor von seinen Helden will. Nicht mal von den Antihelden. Schwarz zeichnen kann man alles und jeden, man muss nur die richtigen Wörter finden. Nur macht man lieber das Gegenteil und zeichnet seine Helden und Antihelden weiß. Der Leser soll sich mit ihnen identifizieren und sie mögen. Dazu werden dann gerade die positiven Szenen ausgebaut, bei denen die Helden etwas Gutes tun, wo man Sympathie aufbauen kann und die Helden mag. Die negativen Szenen werden (es kommt mir so vor) gezielt heruntergespielt.
Und darum geht es. Ich will alle Seiten widerspiegeln. Die Helden dürfen gut sein, die Bösen böse, aber dazwischen ist ein riesiger Berg an Opfern, die in der Geschichte zu oft einfach übersehen werden. Natürlich kann man nicht alles zeigen, aber Ausschnitte.
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 03:10:27
Ich habe auch das Gefühl, dass bei Männern und Frauen mit Grausamkeit anders umgegangen wird und das stört mich ebenfalls sehr. Männer dürfen generell grausamer sein als Frauen. Wenn Männern solche Grausamkeiten widerfahren, dann ist es meistens Teil ihrer Heldenreise, entweder als grausamer Rückschlag, als Lektion, um sie auf den rechten Pfad zu bringen, oder um  ihnen eine Motivation zu geben. Wenn Frauen so etwas widerfährt, dann meistens, um sie zu brechen. Sie sind tragische Figuren. Sie sind Teil der Geschichte eines Mannes, der von ihrem grausamen Schicksal motiviert wird. Sie werden darüber definiert, dass sie einem Mann wichtig sind, der sie rächen will. Sie werden als Frauen verletzt, Männer aber selten als Mann. Sie gehen daran zugrunde, während Männer daran wachsen. Und selbst wenn sie völlig gebrochen sind, geht es bei Männern darum, dass sie sich noch einmal zusammen kratzen und trotzdem Heldentaten vollbringen, während man Frauen einfach gerne dabei zusieht, kaputt zu sein und zu scheitern.
Da hast du definitiv recht. Zwischen Männern und Frauen wird viel zu oft unterschieden. Es geht aber in beide Richtungen und hier möchte ich klarstellen, dass ich da keinen Unterschied mache. Nur sind Frauen aus der Geschichte heraus eben häufiger die Opfer irgendwie gearteter physischer Gewalt, welche auch psychische Nachwirkungen hat. Nun, wobei man das bei Männern auch so sehen kann, Stichwort toxische Männlichkeit.
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 03:10:27Oder das Trauma wird uns als etwas präsentiert, das die Frau nur stärker gemacht hat und was sie gebraucht hat, um zu einer starken Frau zu werden wie bei Sansa Stark, was auf so vielen Ebenen so problematisch ist.
Sansa war nie stark. Catelyn war stark, aber Sansa war bis zum Ende gebrochen. Man konnte ihr die Schwäche nicht mehr direkt ansehen, aber aus meiner Sicht hat sie nie wirklich zu ihrer Stärke gefunden, sondern sich nur paar mal abgeschaut, was man machen kann.
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 03:10:27Sowohl Moral als auch Realismus sprechen vollkommen gegen dieses Trope, aber aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstehe, fahren viele trotzdem völlig drauf ab.
Genau deswegen, weil das gegen Moral und Realismus spricht und der Mensch diesen Ausgleich gerne sucht, aus seinem langweiligen Alltag auszubrechen und frei zu sein, alles erleben zu können. Wohlgemerkt natürlich, ohne wirklich daran zu denken, was das für Folgen für die dargestellten Personen hat. Sind ja nur erfundene Figuren. Dass das in der Realität aber anders ist, wird dabei natürlich ausgeklammert. Da will niemand, dass seiner Familie und seinen Freunden (und vielleicht auch anderen Menschen, je nachdem) passiert, was mit solchen Figuren passiert.
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 03:10:27Ich fand zum Beispiel Eragon sehr brutal, teilweise sehr graphisch, aber die wirkliche Grausamkeit des Krieges kam überhaupt nicht rüber. Brutale Szenen kann jeder schreiben, aber die Folgen dahinter darzustellen erfordert mehr Finesse. Ich habe das Gefühl, viele machen es sich hier zu einfach.
Also bis auf die Szene in Yazuac (ich hoffe, das war das richtige Dorf) fand ich eigentlich keine Stelle wirklich brutal. Im Gegenteil, ich fand, dass da nahezu gar keine Grausamkeit wirklich dargestellt wurde. Der Hauptgrund dafür ist einfach, dass man (bis auf Nasuadas Gefangenschaft) alles nur aus Heldensicht sieht und die Helden sich ohne weitere Gedanken durch Galbatorix´ Soldaten schlachten. Eine wirkliche Gegendarstellung gab es quasi nie, wie auch, wenn das Buch aus der Sicht der Helden geschrieben ist? Und wenn es eine üble Darstellung gab, dann nur, um den Gegner noch weiter zu dämonisieren.
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 03:10:27Ein weiterer Punkt, den ich wichtig finde, ist für wen die Bücher eigentlich geschrieben sind.
Ok, da gebe ich zu, dass meine Testleser vom sozialen Stand her in einer recht ähnlichen Lage wie ich sind und dass wir daher wohl alle eine gewisse Abgestumpftheit gegenüber unschönen Dingen haben, die andere Leser wiederum nicht haben. Umgekehrt ist es dann aber so, dass bei weniger deutlichen Darstellungen einfach nichts ausgelöst wird und der mit einem Satz nebenbei erwähnte Leichenhaufen einfach mit 'ok' abgestempelt wird. Solche Leser gibt es eben auch. Da braucht es dann etwas mehr, um die gewünschten Emotionen auszulösen und das ist eben eine Gruppe, die es auch gibt. Aus meiner Erfahrung achte ich da dann einfach nur auf die Story, aber wirkliche Schockmomente durch die Darstellung habe ich nie. Da gibt´s dann nur ein "ist halt so".
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 03:10:27
Ein Beispiel dafür, wie graphische Gewaltdarstellungen funktionieren können, war für mich Menschenwerk von Han Kang.
Das merke ich mir mal.
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 03:10:27
Wenn ich von Beschönigungen spreche, muss ich auch die Existenz der anderen Seite anerkennen, dazwischen ist die Realität. Und wenn ich weder beschönige noch realistisch schreibe, wo stehe ich dann?
Ich versuche ja nicht nur, die dunklen Stellen darzustellen, ganz im Gegenteil. Die hellen Stellen gibt´s bei mir auch, wenn auch etwas weniger. Würde ich einfach nur über den Alltag meiner Figuren schreiben, dann wäre das oft genug allenfalls hellgrau, aber eher weiß. Die Geschichte meiner Welt ist riesig und die meiste Zeit passiert an den meisten Orten kaum etwas. Das will aber niemand lesen (oder doch?) und ich will es auch nicht schreiben. Da hätte man ja dann ein Buch von zigtausend Wörtern, wo im Grunde gar nichts passiert. Die Charaktere stehen auf, essen ihr Frühstück, gehen zur Arbeit oder zum Unterricht, essen zu Abend, quatschen miteinander und gehen schlafen. Das Spannendste ist da dann noch, wenn ein Pärchen ins Bett geht, sonst ist das komplett öder Alltag. Darum schreibe ich das nicht. Nur die entscheidenden Ereignisse in der Geschichte meiner Welt werden aufgegriffen und zu mehreren Reihen verarbeitet (ich werde ewig da dran sitzen) und da passieren eben auch unschöne Dinge.

Am Ende möchte ich sagen, dass ich hier niemanden angreifen will. Nur komme ich aus einem anderen Umfeld und da ist eben auch die Sichtweise auf bestimmte Dinge anders. Wenn ich irgendwen damit angegriffen habe, dann tut es mir leid. Es war keine Absicht.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sikania am 21. Januar 2022, 13:06:47
Ich habe eine Weile nachgedacht, ob ich etwas dazu schreiben möchte, doch ich denke, dass ich es nicht so stehen lassen kann.

Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 11:59:04
Ich werde es mir merken. Dazu muss ich aber eingestehen, dass ich immer Probleme mit Triggerwarnungen habe. Ich selbst habe das Glück oder Pech, von Geschehnissen wenig bis gar nicht getriggert zu werden, also habe ich bei für mich persönlich gefühlt weniger starken Triggern einfach kein Gefühl dafür, ob das schon jemanden triggert. Bei mir persönlich zieht das eben nur bei drastischeren Darstellungen. Entschuldigt, wenn ich da mitunter nicht genug aufpasse.  ???

Prinzipiell können Menschen von allem getriggert werden. Verschiedene Arten der Gewalt sind wohl recht leicht und nachvollziehbar zu verstehen. Sicher kannst du, wenn du nicht betroffen bist nur schwer an alles denken (zum Beispiel, dass manche Menschen mit Essstörungen auch von beschriebenem Erbrechen getriggert werden können), dennoch finde ich es schwierig, dass du schreibst »Glück oder Pech«. In welcher Vorstellung könnte es denn Pech sein, von etwas nicht getriggert zu werden? Ich empfehle dir von Herzen, dich zum Thema Trigger und psychische Erkrankungen fortzubilden. Ich selbst bin glücklicherweise nicht betroffen, kenne jedoch durch meinen Freundes-/Bekanntenkreis und meine Arbeit genügend Beispiele, die weniger Glück hatten und denen eine Beschreibung in der Art durchaus zurecht übel aufstoßen könnte. Wenn du dir nicht sicher bist, ob etwas triggern könnte, pack es lieber mit einer Warnung in einen Spoiler. Zu viel Warnung ist nicht schädlich, zu wenig sehr wohl.

Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 11:59:04Da hast du definitiv recht. Zwischen Männern und Frauen wird viel zu oft unterschieden. Es geht aber in beide Richtungen und hier möchte ich klarstellen, dass ich da keinen Unterschied mache. Nur sind Frauen aus der Geschichte heraus eben häufiger die Opfer irgendwie gearteter physischer Gewalt, welche auch psychische Nachwirkungen hat. Nun, wobei man das bei Männern auch so sehen kann, Stichwort toxische Männlichkeit.

Warum ist es denn vorgegeben, dass Frauen aus der Geschichte häufiger Opfer sind? Sicher – in Medien (Film und Büchern) wird gerne darauf zurückgegriffen. Doch ebenso wie es die Frauen in Opferrollen gibt, gibt es sie im echten Leben in Täterrollen und die Männer auch in Opferrollen. Es gibt genug Beispiele für männliche Opfer aller Arten von Gewalt im echten Leben. Warum sollte es diese dann in der Geschichte explizit häufiger bei Frauen geben? Bei Männern wird leider nicht darüber gesprochen. Ein Beispiel: Wird eine Frau in der Beziehung von einem Mann geschlagen und sie meldet es, kommt die Polizei und sie kann in ein Frauenhaus. Ist es andersherum, gibt es kein Männerhaus und den Herren wird mitunter gesagt, sie sollen sich nicht so anstellen. Frauen sind per se nicht schwach und Opfer, sie sind nicht per se rettungsbedürftrig. Männer hingegen sind aber auch nicht per se stark und unverletzlich, auch Männer können Hilfe benötigen. Es gibt bei allen Geschlechtern alle Ausprägungen und leider auch alle Arten der Gewalt.

Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 11:59:04Ok, da gebe ich zu, dass meine Testleser vom sozialen Stand her in einer recht ähnlichen Lage wie ich sind und dass wir daher wohl alle eine gewisse Abgestumpftheit gegenüber unschönen Dingen haben, die andere Leser wiederum nicht haben. Umgekehrt ist es dann aber so, dass bei weniger deutlichen Darstellungen einfach nichts ausgelöst wird und der mit einem Satz nebenbei erwähnte Leichenhaufen einfach mit ›ok‹ abgestempelt wird. Solche Leser gibt es eben auch. Da braucht es dann etwas mehr, um die gewünschten Emotionen auszulösen und das ist eben eine Gruppe, die es auch gibt. Aus meiner Erfahrung achte ich da dann einfach nur auf die Story, aber wirkliche Schockmomente durch die Darstellung habe ich nie. Da gibt´s dann nur ein »ist halt so«.
Ich versuche ja nicht nur, die dunklen Stellen darzustellen, ganz im Gegenteil. Die hellen Stellen gibt´s bei mir auch, wenn auch etwas weniger. Würde ich einfach nur über den Alltag meiner Figuren schreiben, dann wäre das oft genug allenfalls hellgrau, aber eher weiß. Die Geschichte meiner Welt ist riesig und die meiste Zeit passiert an den meisten Orten kaum etwas. Das will aber niemand lesen (oder doch?) und ich will es auch nicht schreiben. Da hätte man ja dann ein Buch von zigtausend Wörtern, wo im Grunde gar nichts passiert. Die Charaktere stehen auf, essen ihr Frühstück, gehen zur Arbeit oder zum Unterricht, essen zu Abend, quatschen miteinander und gehen schlafen. Das Spannendste ist da dann noch, wenn ein Pärchen ins Bett geht, sonst ist das komplett öder Alltag. Darum schreibe ich das nicht. Nur die entscheidenden Ereignisse in der Geschichte meiner Welt werden aufgegriffen und zu mehreren Reihen verarbeitet (ich werde ewig da dran sitzen) und da passieren eben auch unschöne Dinge.

Leider hat die Erfahrung von Gewalt nicht ausschließlich mit sozialem Stand zu tun. Sicher kommt es rein statistisch in weniger behüteten Umgebungen zu mehr Übergriffen, weil die soziale Kontrolle mitunter fehlen kann. Das schließt aber nicht aus, dass einem Menschen aus einer Akademikerfamilie in einem Industriestaat dasselbe schreckliche Ereignis widerfahren kann. Sicher, statistisch gesehen unwahrscheinlicher, aber nicht unmöglich.
Ich glaube, dass niemand von uns von dir erwartet, alltägliche öde Handlungen zu beschreiben. Ich persönlich erwarte auch nicht von dir, dass du diese Dinge nicht schreibst, doch sollte dir bewusst sein, welche Zielgruppe du damit erreichen kannst und bei welcher du damit auf deutlichen Gegenwind stoßen könntest.

Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 11:59:04
Am Ende möchte ich sagen, dass ich hier niemanden angreifen will. Nur komme ich aus einem anderen Umfeld und da ist eben auch die Sichtweise auf bestimmte Dinge anders. Wenn ich irgendwen damit angegriffen habe, dann tut es mir leid. Es war keine Absicht.
Ich sehe die Absicht, dass du es richtig machen willst und dich entschuldigst, was ein guter Anfang ist. Allerdings sehe ich auch, dass du deine Entschuldigung durch deine – nennen wir es entschuldigendes Argument – rechtfertigen willst und sie damit in ihrer Aussagekraft leider auch gleich wieder abschwächst. Ganz nach dem Motto: Entschuldige, dass ich dir mit meinem Auto über den Fuß gefahren bin, aber wo ich herkomme, laufen Fußgänger nicht auf die Straße und deshalb konnte ich dich gar nicht kommen sehen.

Zuletzt möchte ich, um zum Thema des Threads zurückzukommen aber auch etwas zum Thema der Figurenquälerei schreiben.
In einer meiner Geschichten befinden sich die Protagonisten zu unterschiedlichen Zeiten in Gefangenschaft und kriegerischen Auseinandersetzungen. Da ich meine Geschichte an ein erwachsenes Publikum schreibe, möchte ich auch die Boshaftigkeit und Grausamkeit klar genug beschreiben, denn ein Sklavenbergwerk wird in keiner Welt ein Zuckerschlecken sein. Doch will ich mich wiederum nicht zu sehr in der Gewalt verlieren, da diese nun mal weder Inhalt noch treibende Kraft der Geschichte ist. Ich merke, dass ich mich mit der Zeit auf besonders einen männlichen Charakter eingeschossen habe, der die meiste Zeit den Ärger abbekommt – auch weil er diesen zum Schutz der anderen sucht. Nun frage ich mich aber, wenn ich immer – nennen wir ihn Karl – die Gewalt erfahren lasse, wird das mit der Zeit doch sicher auch langweilig. Andererseits wird von der Charaktereigenschaft eben dieser Karl sich immer in die Schussbahn werfen, wenn seine Freunde in Gefahr sind. Habt ihr auch Charaktere, die ihr mehr als andere quält und das nicht zwingend, weil sie Hauptcharaktere sind? Wie findet ihr die Balance, dass es nicht zu vorhersehbar wird und nicht in torture Porn ausartet?
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 13:40:38
Zitat von: Sikania am 21. Januar 2022, 13:06:47In welcher Vorstellung könnte es denn Pech sein, von etwas nicht getriggert zu werden?
Weil es mitunter nicht so toll sein kann, wenn alle anderen um einen herum von irgendwelchen Geschehnissen schockiert sind und man sich selbst eigentlich nur denkt: "na und?" Das ist keine schöne Erfahrung, erst recht nicht in den Auswirkungen. Ich kann ja verstehen, dass irgendwas Leute mehr triggert als andere, nur kann absolut alles ein Trigger sein und ich denke, man kann es immer übertreiben.

Zitat von: Sikania am 21. Januar 2022, 13:06:47Warum ist es denn vorgegeben, dass Frauen aus der Geschichte häufiger Opfer sind?
Das Thema gab es hier im Thread glaube ich schon. Rein körperlich ist die durchschnittliche Frau eben schwächer als der durchschnittliche Mann und damit im Durchschnitt eher durch körperliche Angriffe/Misshandlungen gefährdet. Da, wo es eventuell Chancen gibt, sich mit körperlicher Gewalt noch aus der Sache zu befreien, geht es bei schwächeren Personen eben nicht. Rein statistisch ist es rein vom körperlichen Standpunkt her seltener, dass ein Mann von einer Frau körperlich misshandelt werden kann, während das umgekehrt wesentlich leichter ist. Mitunter spielt da dann auch die Erziehung mit rein. Wenn jemand eben dazu erzogen wurde, sich zu stellen und zu kämpfen, wird er eher aus der Sache rauskommen als jemand, der dazu erzogen wurde, zu gehorchen. Psychische Schäden sind da noch etwas völlig anderes und treffen beide Geschlechter gleich, aber körperlich kommt es eben viel auf die körperliche Verfassung und den eigenen Kampfeswillen an.
Zitat von: Sikania am 21. Januar 2022, 13:06:47Frauen sind per se nicht schwach und Opfer, sie sind nicht per se rettungsbedürftrig. Männer hingegen sind aber auch nicht per se stark und unverletzlich, auch Männer können Hilfe benötigen. Es gibt bei allen Geschlechtern alle Ausprägungen und leider auch alle Arten der Gewalt.
Ich habe nie das Gegenteil behauptet und ich habe auch durchaus kaputte Männer in meinen Geschichten. Aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen und gesellschaftlicher Unterschiede fallen die Störungen dabei mitunter anders aus, aber verwundbar sind beide Seiten.

Zitat von: Sikania am 21. Januar 2022, 13:06:47Ich glaube, dass niemand von uns von dir erwartet, alltägliche öde Handlungen zu beschreiben. Ich persönlich erwarte auch nicht von dir, dass du diese Dinge nicht schreibst, doch sollte dir bewusst sein, welche Zielgruppe du damit erreichen kannst und bei welcher du damit auf deutlichen Gegenwind stoßen könntest.
Ich merke es gerade.

Bisher habe ich mich ja recht viel über körperliches Leid ausgelassen, da füge ich dann noch hinzu, dass ich auch Charaktere mit seelischen Schäden habe. Krieg bleibt nicht ohne Folgen und damit habe ich Erfahrungen aus zweiter Hand.
Was man auch ansprechen könnte und was gerade bei Fantasy sehr interessant ist, sind die Nebenwirkungen von Magie und Unsterblichkeit. Überlegt mal. Da hat ein Charakter die Macht, Städte niederzubrennen. Benutzt er sie jetzt oder nicht? Zu was macht ihn das? Und wenn es dann an sein persönliches Umfeld geht, weil er seine Kräfte nicht eingesetzt hat? Wie wird er reagieren? Was ist mit dem hohen Alter? Wie wird ein Mensch, wenn er nicht mehr altert, aber seelisch immer noch ein Mensch ist?
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Soly am 21. Januar 2022, 15:01:32
Ich möchte nur kurz auf ein paar Punkte eingehen, ich habe trotzdem alle Beiträge komplett gelesen.

Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 13:40:38
Weil es mitunter nicht so toll sein kann, wenn alle anderen um einen herum von irgendwelchen Geschehnissen schockiert sind und man sich selbst eigentlich nur denkt: "na und?" Das ist keine schöne Erfahrung, erst recht nicht in den Auswirkungen. Ich kann ja verstehen, dass irgendwas Leute mehr triggert als andere, nur kann absolut alles ein Trigger sein und ich denke, man kann es auch übertreiben.
Es stimmt, es ist nicht toll, als einzige Person nur mit den Schultern zu zucken. Das kenne ich auch. Ich kenne aber auch das Gefühl, wenn mich etwas triggert, und das ist wesentlich schlimmer und überhaupt kein Vergleich.
Zum Thema Übertreiben: grundsätzlich ja, grundsätzlich kann man alles irgendwie übertreiben. Du wirst niemals irgendwo eine Triggerwarnung für Gewürzgurken finden, selbst wenn vielleicht irgendwo eine Person existiert, die genau davon getriggert wird. Das wäre übertrieben.
ABER gerade in diesem Thread reden wir über wirklich ernsthafte Gewalt und körperliche wie psychische Traumata, und da ist die Wahrscheinlichkeit, in einem 400 Leute großen Forum jemanden mit so einem Thema zu triggern, wirklich groß. Im Rahmen so eines Themas würde ich sagen, nein, man kann es nicht übertreiben. Wie @Sikania sagt, hier lieber einmal zu oft warnen als einmal zu selten.

Eine eher allgemeine Sache:
Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 11:59:04
Am Ende möchte ich sagen, dass ich hier niemanden angreifen will. Nur komme ich aus einem anderen Umfeld und da ist eben auch die Sichtweise auf bestimmte Dinge anders. Wenn ich irgendwen damit angegriffen habe, dann tut es mir leid. Es war keine Absicht.
Es ist gut, dass du das so deutlich dazusagst, und dass du dich prophylaktisch entschuldigst. Nur einen Grundsatz möchte ich dir noch anknüpfend an @Sikania mitgeben, um zu verhindern, dass du mal wirklich böse irgendwo aneckst:
Wenn du keinerlei böse Absichten hast und niemanden angreifen möchtest, kann es dir trotzdem passieren, dass jemand durch deine Worte verletzt wird. Das sage ich nicht, um ein Blamegame zu spielen, oder dich zu be- oder verurteilen. Es kann einfach passieren, und zwar jedem von uns. Deshalb sollten wir alle gerade bei solchen eher sensiblen Themen wie erlebter Gewalt im Vorfeld überlegen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Satz, Abschnitt oder ganzer Post jemand anderen unabsichtlich verletzt.
Eine prophylaktische Entschuldigung ist gut, aber meistens ist es noch besser, sich im Vorfeld Gedanken zu machen. Wenn du weißt, dass deine persönliche Schmerzgrenze über dem Durchschnitt liegt, dann kannst du dadurch erst recht dir und anderen viel ersparen.
Okay? :)

Zitat
Was man auch ansprechen könnte und was gerade bei Fantasy sehr interessant ist, sind die Nebenwirkungen von Magie und Unsterblichkeit. Überlegt mal. Da hat ein Charakter die Macht, Städte niederzubrennen. Benutzt er sie jetzt oder nicht? Zu was macht ihn das? Und wenn es dann an sein persönliches Umfeld geht, weil er seine Kräfte nicht eingesetzt hat? Wie wird er reagieren? Was ist mit dem hohen Alter? Wie wird ein Mensch, wenn er nicht mehr altert, aber seelisch immer noch ein Mensch ist?
Das sind auch alles sehr, sehr interessante und spannende Fragen, aber ich glaube, es wäre besser, wenn wir erstmal beim Thema Gewaltdarstellung und deren Diskussion bleiben, weil es da noch ein bisschen was zu sagen gibt. :)


Zum eigentlichen Thema:
@Sikania Ich denke, bei diesem Beispiel muss es gar nicht in exzessive Gewalt ausarten. Vielleicht beschreibst du einmal, was mit Karl passiert und gemacht wird, und die nächsten Male weiß man als Leser*in schon, was passiert, so dass du vorher ausblenden kannst und nur hinterher seinen körperlichen Zustand beschreiben musst.
Dass es vorhersehbar wird, halte ich für kein großes Problem. Je nachdem, welche Rahmenbedingungen herrschen, hat das immer gleiche Muster ja trotzdem unterschiedliche Folgen und Implikationen für Karl. Wenn ich in einer Szene weiß, dass Karl am Ende alles abkriegt, kann ich trotzdem mitfiebern, wenn sich abzeichnet, wie es immer und immer schlimmer wird, und wünsche mir vielleicht irgendwann, dass Karl es diesmal bittebitte nicht auf sich nimmt.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 15:23:02
ZitatIch werde es mir merken. Dazu muss ich aber eingestehen, dass ich immer Probleme mit Triggerwarnungen habe. Ich selbst habe das Glück oder Pech, von Geschehnissen wenig bis gar nicht getriggert zu werden, also habe ich bei für mich persönlich gefühlt weniger starken Triggern einfach kein Gefühl dafür, ob das schon jemanden triggert. Bei mir persönlich zieht das eben nur bei drastischeren Darstellungen. Entschuldigt, wenn ich da mitunter nicht genug aufpasse.  ???

Dafür gibt es im Internet viele Ressourcen und hier im Forum einen eigenen Thread. Natürlich kann man nicht jeden Trigger vorhersehen, dafür ist das zu individuell. Bei manchen Themen (sexuelle Gewalt, Suizid, Essstörungen) kann man aber davon ausgehen, dass das häufige Trigger sind. Aber du wusstest ja auch, dass dein Beitrag triggern könnte, deshalb hast du den Abschnitt weiß geschrieben, in Spoiler gepackt und "Triggerwarnung" drüber geschrieben, da warst du also nicht so ahnungslos. Der Hinweis "Triggerwarnung" alleine bringt halt nur absolut gar nichts. Du solltest auch die Themen aufführen, die an diesem Abschnitt triggern könnten.

ZitatIch selbst habe da eine etwas andere Interpretation zu Geschehnissen. Man kann natürlich vieles andeuten oder aber gar nicht zeigen, nur funktioniert das nicht immer und nicht bei jedem Leser (ich selbst bin wohl das beste Beispiel). Was nicht gezeigt wird, ist auch nicht so präsent im Kopf des Lesers.

Als Autor entscheidest du, was in den Köpfen der Leser*innen passiert. Schreibhandwerk besteht zu einem wesentlichen Teil daraus, herauszufinden, wie man bestimmte Bilder in den Köpfen der Leser*innen entstehen lassen kann. Dinge graphisch darzustellen oder explizit auszuschreiben ist ein Weg dafür, aber das ist, als würde ich Malerin werden wollen und die einzige Farbe, die ich benutze, ist grün. In deinem Beispiel mit dem Bettler bedarf es keiner ganzen Szene, die zeigt, wie schlecht es dem Bettler geht, um zu zeigen, dass der Held zu sehr in seinem eigenen Kopf gefangen ist, um ihn zu bemerken. Du brauchst dafür kein ganzes Kapitel aus der Sicht eines Bettlers. Das ist, als wäre ich Handwerker und in meinem Handwerkskasten habe ich nur Hammer in verschiedenen Größen, aber kein anderes Werkzeug.

ZitatNatürlich kann man solche Figuren nicht in die Geschichte aufnehmen, sonst würde ein Buch von 100.000 Wörtern am Ende 2.000.000 Wörter haben, aber genau eine solche Szene würde wunderbar zeigen, wie der Held auch nur an seinen Kram denkt und die umgebenden, unbeteiligten Menschen ignoriert. So kann man es sehen. Nur ist das definitiv nicht die Darstellung, die man als Autor von seinen Helden will. Nicht mal von den Antihelden. Schwarz zeichnen kann man alles und jeden, man muss nur die richtigen Wörter finden. Nur macht man lieber das Gegenteil und zeichnet seine Helden und Antihelden weiß. Der Leser soll sich mit ihnen identifizieren und sie mögen. Dazu werden dann gerade die positiven Szenen ausgebaut, bei denen die Helden etwas Gutes tun, wo man Sympathie aufbauen kann und die Helden mag. Die negativen Szenen werden (es kommt mir so vor) gezielt heruntergespielt.

Vielleicht liegt das Problem auch darin, dass du nur schlechte Bücher liest. Was du beschreibst, ist was Autor*innen von schlechten Büchern machen, aber nicht, was irgendwelche anderen Autor*innen machen, die ich kenne. Wir beschäftigen uns hier im Forum ständig mit den Schwächen unserer Held*innen.

ZitatDa hast du definitiv recht. Zwischen Männern und Frauen wird viel zu oft unterschieden. Es geht aber in beide Richtungen und hier möchte ich klarstellen, dass ich da keinen Unterschied mache. Nur sind Frauen aus der Geschichte heraus eben häufiger die Opfer irgendwie gearteter physischer Gewalt, welche auch psychische Nachwirkungen hat. Nun, wobei man das bei Männern auch so sehen kann, Stichwort toxische Männlichkeit.

Du sagst "Ich mache keinen Unterschied" und im nächsten Satz "Aber ich mache einen Unterschied". Natürlich machst du einen Unterschied, das hast du in einen Beiträgen eindeutig so beschrieben. Und ich frage mich, ob du historische Romane oder Fantasy schreibst. Ich bin hier auch nicht mehr neutral und sachlich, aber mich kotzt es so an, dass Autoren den Sexismus in ihren Büchern damit rechtfertigen, dass Frauen eben in der Geschichte die Opfer sind, dass das so historisch korrekt ist. "Ich habe keinen Fingerbreit wirklich recherchiert, vermische in meinem Buch mehrere historische Epochen, die Jahrhunderte auseinanderliegen, ich habe Drachen und Elfen und Magie, aber Sexismus muss sein, weil das ist historisch korrekt und realistisch." Sag doch gleich, dass deine Bücher nicht für Frauen geschrieben sind. Sag doch gleich, dass du nur für Männer schreibst und nicht willst, dass Frauen deine Bücher lesen. Sag doch gleich, dass Frauen dir egal sind.

Du stellst Sexismus in deinen Werken dar, aber wenn du Sexismus nicht gezielt auflöst und entkräftest, dann reproduzierst du ihn nun. Und nein, wenn du zeigst, wie schlimm Sexismus ist, indem du ausgiebig Sexismus und Gewalt gegen Frauen und deine ach so tollen Vergewaltigungsszenen in dein Werk einbaust, nur um zu zeigen, wie schlimm das alles ist und schau mal, die Arme Frau, das alles ist so furchtbar, dass sie völlig irre wird, fuuuuurchtbar, dann reproduzierst du nur Sexismus und das hilft niemandem weiter und das will auch keine Frau lesen.

ZitatGenau deswegen, weil das gegen Moral und Realismus spricht und der Mensch diesen Ausgleich gerne sucht, aus seinem langweiligen Alltag auszubrechen und frei zu sein, alles erleben zu können. Wohlgemerkt natürlich, ohne wirklich daran zu denken, was das für Folgen für die dargestellten Personen hat. Sind ja nur erfundene Figuren. Dass das in der Realität aber anders ist, wird dabei natürlich ausgeklammert. Da will niemand, dass seiner Familie und seinen Freunden (und vielleicht auch anderen Menschen, je nachdem) passiert, was mit solchen Figuren passiert.

Okay, lass es mich deutlicher machen: Das Trope ist scheiße. Es gibt keinen guten Grund, es in sein Buch einzubauen. Es ist diskriminierend und stigmatisierend gegenüber Menschen mit psychischen Störungen. Deine Darstellung von Trauma und psychischen Störungen ist problematisch und gleichzeitig vollkommen unrealistisch.

ZitatOk, da gebe ich zu, dass meine Testleser vom sozialen Stand her in einer recht ähnlichen Lage wie ich sind und dass wir daher wohl alle eine gewisse Abgestumpftheit gegenüber unschönen Dingen haben, die andere Leser wiederum nicht haben.

Psychische Störungen gibt es in jedem "sozialen Stand". Frauen auch. Queere Personen auch.

ZitatUmgekehrt ist es dann aber so, dass bei weniger deutlichen Darstellungen einfach nichts ausgelöst wird und der mit einem Satz nebenbei erwähnte Leichenhaufen einfach mit 'ok' abgestempelt wird. Solche Leser gibt es eben auch. Da braucht es dann etwas mehr, um die gewünschten Emotionen auszulösen und das ist eben eine Gruppe, die es auch gibt. Aus meiner Erfahrung achte ich da dann einfach nur auf die Story, aber wirkliche Schockmomente durch die Darstellung habe ich nie. Da gibt´s dann nur ein "ist halt so".

Vielleicht liegt es auch nicht daran, dass die Darstellung nicht deutlich oder krass genug war, sondern dass du den Leichenhaufen schriftstellerisch nicht gut eingesetzt hast. Es ist keine einfache, lineare Gleichung aka mehr Grausamkeit = mehr Emotion. Oh, da kommen keine Emotionen auf, muss ich wohl grausamer schreiben. So funktioniert das nicht. Du kannst Emotionen auch auf andere Weise auslösen. Wie oben schon gesagt, es gibt im Handwerkskasten mehr als nur den Hammer und wenn du die Schraube nicht mit dem Hammer lösen kannst, dann ist die Antwort nicht ein größerer Hammer.

ZitatIch versuche ja nicht nur, die dunklen Stellen darzustellen, ganz im Gegenteil. Die hellen Stellen gibt´s bei mir auch, wenn auch etwas weniger. Würde ich einfach nur über den Alltag meiner Figuren schreiben, dann wäre das oft genug allenfalls hellgrau, aber eher weiß. Die Geschichte meiner Welt ist riesig und die meiste Zeit passiert an den meisten Orten kaum etwas. Das will aber niemand lesen (oder doch?) und ich will es auch nicht schreiben. Da hätte man ja dann ein Buch von zigtausend Wörtern, wo im Grunde gar nichts passiert. Die Charaktere stehen auf, essen ihr Frühstück, gehen zur Arbeit oder zum Unterricht, essen zu Abend, quatschen miteinander und gehen schlafen. Das Spannendste ist da dann noch, wenn ein Pärchen ins Bett geht, sonst ist das komplett öder Alltag. Darum schreibe ich das nicht. Nur die entscheidenden Ereignisse in der Geschichte meiner Welt werden aufgegriffen und zu mehreren Reihen verarbeitet (ich werde ewig da dran sitzen) und da passieren eben auch unschöne Dinge.

Wo hat hier irgendjemand gesagt, dass du nur den Alltag beschreiben sollst?

Zitat
ZitatIn welcher Vorstellung könnte es denn Pech sein, von etwas nicht getriggert zu werden?
Weil es mitunter nicht so toll sein kann, wenn alle anderen um einen herum von irgendwelchen Geschehnissen schockiert sind und man sich selbst eigentlich nur denkt: "na und?" Das ist keine schöne Erfahrung, erst recht nicht in den Auswirkungen. Ich kann ja verstehen, dass irgendwas Leute mehr triggert als andere, nur kann absolut alles ein Trigger sein und ich denke, man kann es immer übertreiben.

Du weißt nicht, was ein Trigger wirklich ist und was es bedeutet, getriggert zu werden. Sonst würdest du das nicht so schreiben. Außerdem würde ich dir empfehlen, dir den Thread im Forum zum Thema Triggerwarnungen durchzulesen. Stell es dir vor wie Allergenhinweise auf Nahrungsmitteln. Dann hast du gerade im Prinzip geschrieben "Wenn ich Erdnüsse esse, dann schmecken sie mir nicht so richtig, mir fehlt da der richtige Kick".

ZitatDas Thema gab es hier im Thread glaube ich schon. Rein körperlich ist die durchschnittliche Frau eben schwächer als der durchschnittliche Mann und damit im Durchschnitt eher durch körperliche Angriffe/Misshandlungen gefährdet. Da, wo es eventuell Chancen gibt, sich mit körperlicher Gewalt noch aus der Sache zu befreien, geht es bei schwächeren Personen eben nicht. Rein statistisch ist es rein vom körperlichen Standpunkt her seltener, dass ein Mann von einer Frau körperlich misshandelt werden kann, während das umgekehrt wesentlich leichter ist. Mitunter spielt da dann auch die Erziehung mit rein. Wenn jemand eben dazu erzogen wurde, sich zu stellen und zu kämpfen, wird er eher aus der Sache rauskommen als jemand, der dazu erzogen wurde, zu gehorchen. Psychische Schäden sind da noch etwas völlig anderes und treffen beide Geschlechter gleich, aber körperlich kommt es eben viel auf die körperliche Verfassung und den eigenen Kampfeswillen an.

Du schreibst Fantasy. Alles davon ist deine freie Entscheidung als Autor. Warum willst du über Elfen schreiben und hier plötzlich "realistisch" sein?

@Sikania: Ich persönlich würde mich hier auf die Folgen der Gewalt konzentrieren. So etwas macht ja etwas mit einem Menschen und verändert ihn. Du musst vielleicht die Gewalt nicht immer ausschreiben, um das deutlich zu zeigen. Die Gewalt verliert irgendwann die Wucht für die Leser*innen, aber die Folgen und Nachwirkungen der Gewalt, die psychischen Narben, lassen die Leser*innen am Ende wirklich spüren, was so etwas mit jemandem macht. Gerade dann hat es auch mehr Wucht, wenn sich deine Figur trotz allem wieder in die Schussbahn wirft, um jemanden zu retten.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 15:56:51
Ok, können wir uns jetzt bitte wieder beruhigen?
Menschen unterscheiden sich in ihren Ansichten und Empfindungen und was bei dem einen einschlägt, ist für den anderen nicht mehr als ein sanfter Windhauch.

Zum Thema:
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 15:23:02
Vielleicht liegt es auch nicht daran, dass die Darstellung nicht deutlich oder krass genug war, sondern dass du den Leichenhaufen schriftstellerisch nicht gut eingesetzt hast. Es ist keine einfache, lineare Gleichung aka mehr Grausamkeit = mehr Emotion.
Es gibt eben Leser, bei denen löst der schlichte Leichenhaufen keine großen Reaktionen aus. Darauf wollte ich hinaus. Ich habe da schon genug gelesen und bei mir haben sich bei solchen Dingen eben nie wirklich Emotionen eingestellt.
Entscheidender ist vielmehr die Reaktion der Figur darauf. Ohne ist der Leichenhaufen nur Bühnenbild. Und da ist der Punkt. Mit persönlichem Schmerz kann man sich sehr viel leichter und direkter identifizieren. Was die Szene also funktional macht ist die Reaktion der Figur und deren Empfindungen, die dann durchaus variieren können. Was die Figur dann denkt, kommt eben drauf an und genau diese Reaktion sagt einiges über den Charakter der Figur aus. So kann man mit Emotionslosigkeit auch Wirkung erzielen. Das Gegenteil ist aber, wenn man gezielt durch Qual Emotionen auslösen will. Das klappt nicht immer, wenn man es nur von außen und in seinen Folgen zeigt. Die direkte Darstellung wirkt da meiner Meinung nach eben besser.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 16:08:03
Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 15:56:51
Ok, können wir uns jetzt bitte wieder beruhigen?
Menschen unterscheiden sich in ihren Ansichten und Empfindungen und was bei dem einen einschlägt, ist für den anderen nicht mehr als ein sanfter Windhauch.

Deshalb sollte man sich beim Schreiben immer Gedanken darüber machen, dass auch andere das Buch lesen, für die Sexismus, Diskriminierung, Trauma und Gewalt nicht nur ein sanfter Windhauch sind, die der Geschichte die nötige Würze verleihen, um extra edgy zu sein, sondern Dinge, die sie erlebt haben oder tagtäglich erleben. Das nennt sich Rücksicht. Und wenn man nicht bereit ist, diese Rücksicht aufzubringen, dann sollte man sich dieser Geschichten auch nicht bedienen. Dann hat man kein Recht, sie zu schreiben. Denn letztendlich sind das nicht nur einfach Geschichten, es sind Dinge, die Menschen so oder so ähnlich auch real passiert sind und als Autor*innen bedienen wir uns auch in Fantasyromanen dieser Ähnlichkeiten. Und wenn wir Sexismus nur reproduzieren, um das Buch spannender zu machen oder weil wir uns einbilden, es wäre dann realistisch, wenn wir Gewalt nur einbauen, um auf die Tränendrüse zu drücken, wenn wir aktiv zur Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Störungen beitragen, nur weil das cool und edgy ist und uns über Plotlöcher hinweghilft, ohne auch nur einen Fingerbreit zu recherchieren, dann dürfen wir nicht erwarten, dass das jeder geil findet. Dann müssen wir damit rechnen, dass irgendwann jemand sagt "Nein, das sind Dinge, die realen Menschen passieren, und genau diese Menschen schließt du von den deinen Geschichten aus, obwohl du dich ihrer Geschichten bedienst, genau diesen Menschen schadest du mit deinen Geschichten".

Und wenn wir bereit sind, Drachen und Elfen und Magie in unseren Geschichten zu akzeptieren, aber Sexismus und Gewalt gegen Frauen muss es geben und zwar auf eine bestimmte Weise, weil das nur realistisch ist, und dann aber auch nur auf eine bestimmte Weise, dann sollten wir uns vielleicht mal fragen, warum das so ist. Warum akzeptieren wir nur diese Art von Frauendarstellungen als realistisch und wenn sich daran etwas ändert, dann stören wir uns daran? Warum müssen Frauen in unseren Geschichten nur schwach sein und nur auf eine ganz bestimmte Weise stark? Warum schreibe ich verschiedene Völker, aber keines, in dem die Frauen körperlich stärker sind als die Männer? Vielleicht liegt die Antwort nicht im realen Sexismus, der sich durch die Geschichte zieht, sondern in dem Sexismus in unseren Köpfen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Vaporea am 21. Januar 2022, 16:23:48
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 15:23:02Auf schriftstellerischer Ebene finde ich solche Darstellungen häufig einfach schlecht umgesetzt. Gewalt wird im Detail beschrieben, um zu zeigen, wie schlimm das alles ist, als wäre das der einzige Weg, so etwas darzustellen. Die Qualität des Textes leidet darunter, weil die Darstellung der Folgen von Gewalt vernachlässigt wird. Hier wird es schnell unrealistisch, obwohl das eigentlich das Wichtigste ist. Die Auswirkungen der Gewalt auf die Figuren sind doch das, was uns als Leser*innen wirklich mitfühlen lässt. Es kommt vor, dass sich Personen nicht mehr an jedes Detail eines schrecklichen Erlebnisses erinnern, aber trotzdem mit den Folgen zu kämpfen haben. Ich muss nicht jede Gräueltat ausschreiben, um ihre Grausamkeit zu zeigen.
Darf ich das hier ganz dick unterschreiben?

Ansonsten habe ich momentan nicht genügend Kraft/Löffel/whatever, um mich groß in die Diskussion einzuklinken. Deshalb Danke an alle, die sich hier kritisch äußern!

Nur eine Sache:

Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 13:40:38Rein körperlich ist die durchschnittliche Frau eben schwächer als der durchschnittliche Mann und damit im Durchschnitt eher durch körperliche Angriffe/Misshandlungen gefährdet. Da, wo es eventuell Chancen gibt, sich mit körperlicher Gewalt noch aus der Sache zu befreien, geht es bei schwächeren Personen eben nicht. Rein statistisch ist es rein vom körperlichen Standpunkt her seltener, dass ein Mann von einer Frau körperlich misshandelt werden kann, während das umgekehrt wesentlich leichter ist.
Diese Argumentation lese ich häufiger und ganz ehrlich? Sie ist ein riesiger Trugschluss, weil sie jeglichen Kontext außer Acht lässt. Drück einer "schwachen" Figur eine Pistole in die Hand und schwupp, schon spielt ihre körperliche Unterlegenheit so gar keine Rolle mehr. Exzessive Gewalt gegen Frauenfiguren mit einer (vermeintlichen) körperlichen Unterlegenheit zu rechtfertigen ist viel zu kurz gedacht.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 17:13:18
Zitat von: Vaporea am 21. Januar 2022, 16:23:48
Drück einer "schwachen" Figur eine Pistole in die Hand und schwupp, schon spielt ihre körperliche Unterlegenheit so gar keine Rolle mehr. Exzessive Gewalt gegen Frauenfiguren mit einer (vermeintlichen) körperlichen Unterlegenheit zu rechtfertigen ist viel zu kurz gedacht.
Würde genauso auch mit Magie gehen. Gut, da hab ich dann aber auch ein paar Kritikpunkte.
Wie lange gibt es alltagstaugliche und handliche Schusswaffen, die keine nennenswerten Nachteile durch körperliche Unterschiede haben? Sowas muss die Welt auch haben und wenn nicht, dann geht das auch wieder nicht.
Sind die Opfer denn immer bewaffnet? Nein, meistens hat man als "Waffen" nur das zur Verfügung, das der Körper von sich aus besitzt. Waffen, die Kraft und Geschick zum richtigen Einsatz benötigen, was bei weitem nicht jeder kann. Jemand, der die Kraft hat und kämpfen kann, ist nicht körperlich unterlegen, und Können kann Kraft in einem gewissen Rahmen durchaus ausgleichen oder übertreffen.
Tja, und da ist es dann nun mal so, dass körperliche Unterlegenheit eben doch eine Rolle spielt. Oder sollen wir jetzt ein Wettrüsten anfangen? Bringt anderorts ja auch nichts. Es gibt eben immer irgendjemand schwächeres und mir ist es herzlich egal, welches Geschlecht das in einer Geschichte ist. Das kann jeder so schreiben, wie er will. Es wird aber immer die leidtragende Gruppe sein.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Fianna am 21. Januar 2022, 17:29:30
Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 17:13:18Es gibt eben immer irgendjemand schwächeres und mir ist es herzlich egal, welches Geschlecht das in einer Geschichte ist. Das kann jeder so schreiben, wie er will.
Das kann jeder schreiben, wie er will.

Das ist der springende Punkt.
Jeder Aspekt des Weltenbau ist eine Entscheidung des Schreibenden.

Man könnte eine Welt erschaffen, in der nur Frauen von Natur aus Magie begabt sind und damit Männern klar überlegen sind.

Man könnte eine Welt erschaffen, die nicht auf Geschlechterbinarität gründet (schließlich gibt es in unserer Welt auch nicht-binäre oder genderfluide Menschen).

Man könnte eine Welt erschaffen, die die Unterschiede im Machtverhältnis nicht primär am Geschlecht fest macht.

Aber wenn man es nicht tut, und dann exzessive Gewaltdarstellungen gegenüber den weiblichen Figuren rechtfertigen will, muss man sich nicht wundern, wenn das Kritik hervorruft.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Andersleser am 21. Januar 2022, 17:35:36
Zitat von: Sikania am 21. Januar 2022, 13:06:47
Warum ist es denn vorgegeben, dass Frauen aus der Geschichte häufiger Opfer sind? Sicher – in Medien (Film und Büchern) wird gerne darauf zurückgegriffen. Doch ebenso wie es die Frauen in Opferrollen gibt, gibt es sie im echten Leben in Täterrollen und die Männer auch in Opferrollen. Es gibt genug Beispiele für männliche Opfer aller Arten von Gewalt im echten Leben. Warum sollte es diese dann in der Geschichte explizit häufiger bei Frauen geben? Bei Männern wird leider nicht darüber gesprochen. Ein Beispiel: Wird eine Frau in der Beziehung von einem Mann geschlagen und sie meldet es, kommt die Polizei und sie kann in ein Frauenhaus. Ist es andersherum, gibt es kein Männerhaus und den Herren wird mitunter gesagt, sie sollen sich nicht so anstellen. Frauen sind per se nicht schwach und Opfer, sie sind nicht per se rettungsbedürftrig. Männer hingegen sind aber auch nicht per se stark und unverletzlich, auch Männer können Hilfe benötigen. Es gibt bei allen Geschlechtern alle Ausprägungen und leider auch alle Arten der Gewalt.

Danke, dass du das schreibst. Genau das hat mir nämlich auch auf dem Herzen gelegen. Dass es eben Fakt ist, dass es jeden treffen kann und trifft. Egal welches Geschlecht die Person nun hat. Ich konnte es nur nicht so gut in Worte packen (und traue mich zugegeben auch bei solchen Diskussionen nicht immer mich zu beteiligen.) Auch hier wollte ich dann doch lieber nichts schreiben. Ich schütze mich sozusagen mit Schweigen, was im Grunde nicht unbedingt die beste Strategie ist, aber so eckt man weniger an. Trotzdem ist es mir sehr wichtig, dass gesehen wird, dass alle Arten der Gewalt jeden treffen können. Generell trau ich mich das oft gar nicht so zu sagen, weil meistens Kommentare zurück kommen, die runterspielen wollen, das Männer genauso Opfer von Gewalt sind wie Frauen, oder weil ich Sorge habe, dass es mir dann komplett um die Ohren fliegt. Zu vielen ist gar nicht bewusst, wie hoch eigentlich die Dunkelziffer ist und dass es bei Männern eben nicht nur "in Ausnahmefällen" vorkommt, aber dafür sehr, sehr, sehr oft geschwiegen wird. Einfach weil man kaum darüber sprechen kann. Man wird nicht ernst genommen, es wird alles runtergespielt und am Ende ist man selber schuld, wollte es so, denkt sich etwas aus, ist ein Weichei oder darf sich sonstige Kommentare anhören. Zum einen die gleichen Dinge wie Frauen, zum Teil wieder andere. Echt traurig eigentlich, die Männer werden wegen jenem nicht ernst genommen und die Frauen wegen diesem nicht. Jedenfalls wollte ich sagen, dass ich mich wirklich darüber freue, dass du das schreibst, weil ich mich deshalb auch trauen kann zu schreiben. Und weil es eben doch gesehen wird.

Nochmal allgemein:
Außerdem sagt das Geschlecht nicht zwingend stark oder schwach aus, die körperlichen Gegebenheiten können auch andersrum sein. Und selbst wenn nicht, muss eine Frau nicht zwingend dem Mann körperlich unterlegen sein, das kann auch andersrum sein. Und auch wenn ein Mann rein körperlich überlegen ist, heißt es nicht, dass dieser sich tatsächlich auch gegen einen Angriff wehren kann, auch das kommt vor. Es spielt so viel mehr eine Rolle, als nur der Körper oder die Kraft. Das ist allerdings etwas, das man nicht unbedingt greifen kann, wenn man es nicht kennt. Wenn man selbst sich z.B. wehren kann (angenommen in jeder Situation, oder weil man noch keine ganz schlimme Situation hatte), dann kann man nicht wissen wie es ist tatsächlich wehrlos zu sein, obwohl alle meinen "Du hättest dich doch wehren können", nur weil man körperlich überlegen sein soll. Und das ist wie gesagt nicht immer der Fall, weil jeder Mensch verschieden ist und selbst der Durchschnitt nicht alles vorgibt, da hier ausschließlich der körperliche Durchschnitt genutzt wird. Wie z.B. bei der Körpergröße. Der berücksichtigt aber keine anderen Faktoren, die da noch wichtig sind.
Helfen kann da Recherche oder Sensitivity Reading. Oder einfach ein Gespräch mit jemanden, der es kennt, entsprechende Literatur, oder Dokus und ähnliches - so kann man sich mehr hineinversetzen.

Zitat von: Sikania am 21. Januar 2022, 13:06:47
Zuletzt möchte ich, um zum Thema des Threads zurückzukommen aber auch etwas zum Thema der Figurenquälerei schreiben.
In einer meiner Geschichten befinden sich die Protagonisten zu unterschiedlichen Zeiten in Gefangenschaft und kriegerischen Auseinandersetzungen. Da ich meine Geschichte an ein erwachsenes Publikum schreibe, möchte ich auch die Boshaftigkeit und Grausamkeit klar genug beschreiben, denn ein Sklavenbergwerk wird in keiner Welt ein Zuckerschlecken sein. Doch will ich mich wiederum nicht zu sehr in der Gewalt verlieren, da diese nun mal weder Inhalt noch treibende Kraft der Geschichte ist. Ich merke, dass ich mich mit der Zeit auf besonders einen männlichen Charakter eingeschossen habe, der die meiste Zeit den Ärger abbekommt – auch weil er diesen zum Schutz der anderen sucht. Nun frage ich mich aber, wenn ich immer – nennen wir ihn Karl – die Gewalt erfahren lasse, wird das mit der Zeit doch sicher auch langweilig. Andererseits wird von der Charaktereigenschaft eben dieser Karl sich immer in die Schussbahn werfen, wenn seine Freunde in Gefahr sind. Habt ihr auch Charaktere, die ihr mehr als andere quält und das nicht zwingend, weil sie Hauptcharaktere sind? Wie findet ihr die Balance, dass es nicht zu vorhersehbar wird und nicht in torture Porn ausartet?

Hmm, auf jeden Fall indem ich hinterfrage, ob das tatsächlich nötig ist. Ich bediene mich mal bei deinem Namensbeispiel: Muss es nun wirklich Karl sein, oder können es auch Tina oder Paul sein? Oder Muss das überhaupt passieren? Oder vielleicht schafft Karl den Sprung in die Schusslinie einfach einmal nicht rechtzeitig, sodass es eben doch Georg trifft. (Und was macht das dann mit Karl, für den das ja absolut wichtig ist, seine Leute zu schützen? Das könnte wirklich tragisch für ihn werden und auch der Punkt sein, an dem er tatsächlich mehr zerbricht, als an der Gewalt, obwohl sicher auch die Gewalterfahrungen so einiges mit ihm machen könnten - wie steckt er das so weg, wie verändert es ihn vielleicht auch? Hat er Trigger, die er vorher nicht hatte?

Wenn es charakterlich aber gut passt, dass Karl mehr abbekommt als andere, kann es ja auch selbst dann gut funktionieren, denk ich, wenn er es eben immer wieder abbekommt . Du musst es ja auch nicht jedes Mal ausschreiben. Außer es ist tatsächlich von Beginn an klar, der Karl, der wird wieder einstecken. Da könnte man versuchen, es so zu gestalten, dass eben bis dahin doch irgendwie offen bleibt, wen es trifft. Oder der innere Karl muss sich zurücknehmen, damit der geschriebene Karl nicht immer in den Fokus des Schmerzes will. Wenn es zur Story passt könnte man natürlich auch die Karl-Schmerz-Situationen verringern. Wenn es sie braucht, dann könnte man ja aber vielleicht wirklich gucken, ob es was mit ihm macht, oder vielleicht sogar einmal beleuchten, warum er das eigentlich tut. Warum ist es Karl solch ein Bedürfnis, wieso opfert er sich immer wieder, obwohl es ihn vielleicht umbringen könnte und obwohl es ihn innerlich irgendwann vielleicht zerbrechen lässt?
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 17:42:42
Am Ende wird sich wohl immer irgendwer durch irgendwas angegriffen fühlen. Man kann es nicht allen recht machen und ich hänge mich selbst immer etwas daran auf, wenn Kampfszenen so unbeherzt und einfach geschrieben werden. Als Angriff würde ich das aber nicht bezeichnen.

Jetzt aber back to topic.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Arcor am 21. Januar 2022, 17:43:15
Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 15:56:51
Es gibt eben Leser, bei denen löst der schlichte Leichenhaufen keine großen Reaktionen aus. Darauf wollte ich hinaus. Ich habe da schon genug gelesen und bei mir haben sich bei solchen Dingen eben nie wirklich Emotionen eingestellt.
Da widersprichst du dir aber jetzt selber. In deinem Ausgangspost für die Diskussion hast du geschrieben:
ZitatSubjektiv ist die Sache anders, da lese ich auch lieber die guten Geschichten, in denen alles gut ausgeht und den Protas nichts Schlimmes passiert. Da hasse ich es, solche Szenen zu lesen, aber am Ende sind das dann doch die Geschichten, die ich besser finde, obwohl ich sie nicht so gerne lese.
Wenn du selber doch lieber die guten Geschichten liest, macht doch exzessive Gewaltdarstellung auch etwas mit dir. Denn es macht dir keinen Spaß, so etwas zu lesen, du hasst es sogar. Warum fällt es dir dann schwer, die jede Menge gut begründeten Argumente hier anzunehmen, warum es zum einen nicht unbedingt schriftstellerisch notwendig ist und zum anderen Menschen triggert und auch sexistisch bzw. frauenfeindlich sein kann?
(Wenn ich hier jetzt in deine Worte etwas Falsches hineininterpretiere, korrigiere mich bitte.)


Rein aus persönlicher Sicht:
Ich würde auch sagen, mit dieser Schreibe bedienst du eine ganz bestimmte Zielgruppe, selbst innerhalb der Dark Fantasy, die eher brutal und düster daherkommt. Wie @Mondfräulein sagt, wird kaum eine Frau eine Geschichte lesen wollen, in der seitenlang eine Frau vergewaltigt wird. Und ich wage auch einfach mal zu behaupten, dass auch viele Männer das nicht lesen wollen. Ich z. B. habe mir nicht einmal deinen Spoiler komplett durchgelesen. An dem Punkt hätte ich das Buch weggelegt oder weggeworfen oder eine Serie abgebrochen, so wie ich es mit The Magicians oder Game of Thrones gemacht habe.

Und schriftstellerisch genügt es in meinen Augen völlig, eine Folter gleich welcher Art anzudeuten, sie vielleicht auch über ein paar Sätze zu beschreiben und dann einen Szenenschnitt zu einem späteren Zeitpunkt zu machen. Die Lesenden verstehen, was passiert ist, dazu muss man nicht jedes blutige Detail beschreiben.
Überhaupt ist weniger meist mehr (ein Problem, mit dem ich in meinen Geschichten auch immer wieder ringe, wenn auch nicht im Punkto Gewalt). Geschichten sind keine Darstellung der Wirklichkeit. Geschichten erzählen etwas - und damit das möglichst gut funktioniert, muss man es so eindampfen, dass ein Fokus auf Plot und Figuren bestehen bleibt.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 18:01:57
Sexismus zieht sich durch unsere Geschichte und Sexismus ist in unserer Welt und in unseren Köpfen immer noch vorhanden. Trotz all der Arbeit und all der Fortschritte, die wir gemacht haben, war unsere Gesellschaft so lange so unglaublich sexistisch, dass man das nicht so leicht loswird, auch wenn man Sexismus prinzipiell doof findet. Ich bin auch immer noch dabei, mich ständig selbst zu hinterfragen, um diesen internalisierten Sexismus nach und nach loszuwerden. Das spiegelt sich dementsprechend auch in den Geschichten wieder, mit denen wir aufgewachsen sind. Fantasy war lange ein unheimlich sexistisches Genre. Auch Fantasy, die von Frauen geschrieben wurde, ist davon nicht frei (man schaue sich nur mal den ganzen Sexismus in Harry Potter an).

Das Fantasygenre klammert sich seit Jahrzehnten verzweifelt an diesem Sexismus fest. Ich vermute, es liegt teilweise daran, dass wir nicht gerne zugeben, dass wir falsch liegen und uns selbst nicht gerne korrigieren, teilweise daran, dass wir dann auch die Bücher hinterfragen müssten, die uns zum Schreiben inspiriert haben. Aber uns muss dennoch bewusst sein, dass es eine bewusste Entscheidung ist, diesen Sexismus in unseren Werken zu reproduzieren. Wir könnten ohne Probleme eine Welt schreiben, in der alle Geschlechter gleichberechtigt sind. Ich finde das in den Büchern von Leigh Bardugo gelungen, weil sie es schafft, Sexismus gegen Frauen zu zeigen und gleichzeitig klar macht, dass das eine kulturelle Norm ist und dass es nicht überall so aussehen muss. Die verschiedenen Kulturen in ihren Büchern gehen unterschiedlich mit Frauen um und alleine das zeigt, dass Sexismus kulturell bedingt ist.

Die Argumentation, dass das halt so sein muss, weil Frauen körperlich unterlegen sind, finde ich wahnsinnig gefährlich. Das unterstellt, dass Frauen naturgegeben Opfer sind und dass die Abwesenheit von Sexismus einfach nur der Gnade von Männern zu verdanken ist, die sich entscheiden, keine Gewalt mehr gegenüber Frauen auszuüben. Das finde ich ziemlich widerlich und gefährlich. Und ganz ehrlich, in körperlichen Auseinandersetzungen kommt es nicht immer auf pure Kraft an, auch im echten Leben.

Letztendlich geht es hier also darum, sich zu fragen, warum man Sexismus unbedingt in seiner Geschichte haben will, denn es gibt keinen guten objektiven Grund, warum Sexismus gegen Frauen die Geschichte besser oder realistischer macht. Es ist eher reine Gewohnheit. Es ist vielleicht auch Bequemlichkeit. Vielleicht auch einfach purer Sexismus. Aber diese Kritik dann mit "Es wird sich immer jemand angegriffen fühlen" ist ziemlich... da fällt mir kein nettes Wort für ein. Da machst du es dir zu einfach. Es gibt kein Argument, warum du es in deiner Geschichte drin haben musst. Du willst es drin haben. Und da fragen wir uns berechtigterweise warum. Darauf hast du aber noch keine Antwort geliefert.

Ich verstehe, dass es nicht einfach ist, sich so etwas bewusst zu werden und sich hier selbst zu hinterfragen. Ich war auch mal an diesem Punkt. Ich verspreche, dass du hier ein ganzes Forum hast, das gerne dabei hilft, solche Dinge zu hinterfragen, das gerne Fragen beantwortet und das dir dabei helfen kann, den Sexismus in deinen Geschichten zu hinterfragen und die Geschichten dadurch besser und vor allem für andere Menschen als nur für cis Männer zugänglich zu machen. Man muss nicht sexistisch sein wollen, um Sexismus verinnerlicht zu haben, denn wirklich jeder von uns hat Sexismus verinnerlicht. Wir wachsen damit auf. Es prasselt seit unserer Geburt unreflektiert auf uns ein. Aber ich helfe ehrlich gesagt nicht gerne, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Gegenüber nicht sehen will, dass es hier überhaupt ein Problem geben könnte und meine berechtigte Wut über den Sexismus in unserer Welt und in unseren Büchern mit "irgendjemand fühlt sich immer angegriffen" abgetan wird. Du machst es dir hier zu einfach. Du entziehst dich deiner Verantwortung.

Ansonsten hat @Andersleser einige echt wichtige Punkte genannt. Das ist ein wirklich komplexes Thema, aber genau derselbe Sexismus, der Männer und Frauen in starre Rollenbilder zwängt (und so tut, als würde es alle anderen Geschlechter gar nicht geben) schadet sowohl Männern als auch Frauen. Er macht Frauen zu Opfern und Männer zu Tätern. Das führt aber auch dazu, dass Männer hier keine Opfer sein dürfen, weder von anderen Männern noch von Frauen. Und das schadet auch wieder Männern, die natürlich genauso Opfer von Gewalt jeder Art werden können. Auch Frauen können Täterinnen werden. Und diese Dynamiken sind oft so viel komplizierter, als es in den meisten Fällen dargestellt wird.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 19:42:05
Zitat von: Arcor am 21. Januar 2022, 17:43:15
Wenn du selber doch lieber die guten Geschichten liest, macht doch exzessive Gewaltdarstellung auch etwas mit dir. Denn es macht dir keinen Spaß, so etwas zu lesen, du hasst es sogar.
Mein Motto ist: Qualität kommt von Qual.
Ich möchte da einen Vergleich anführen. Ich selber sitze auch gerne auf meinem Sofa, faulenze, esse, trinke, dusche schön warm,... Momentan fühlt man sich dann gut, aber langfristig? Im Gegenzug dazu, wenn ich Sport mache und mich an die Grenzen treibe, wenn ich einen Berg besteige oder wenn ich mich welcher Herausforderung auch immer stelle, dann fühle ich mich momentan einfach nur schlimm. Alles tut weh, man bekommt keine Luft, ist völlig am Ende,... Am Ende aber bleibt das im Gedächtnis, man kann auf sich stolz sein und fühlt sich wirklich gut.
Ebenso bei Geschichten. Direkt beim Lesen und danach. Momentan gefällt das ganz sicher nicht, man hasst es sogar, und würde viel lieber die schönen Szenen lesen, wo alles gut wird. Aber erst danach kann die Geschichte wirklich gut werden und im Gedächtnis bleiben. All die schönen Szenen sind morgen früh wieder vergessen, aber erst die dunklen Szenen sorgen dafür, dass die Schlüsselmomente der Geschichte für Jahre im Gedächtnis bleiben. Zu viel war es für mich bisher noch nie. Da fand ich die Szenen, wo jemand ganz ohne einen Tropfen Blut im Herzen verletzt wurde, fast immer schlimmer.
Und so handhabe ich es. Je dunkler die Finsternis, desto heller das Licht. Und am Ende bekommen die gequälten Charaktere oft genug ein Happy End. So fühle ich das.
Zitat von: Arcor am 21. Januar 2022, 17:43:15Warum fällt es dir dann schwer, die jede Menge gut begründeten Argumente hier anzunehmen, warum es zum einen nicht unbedingt schriftstellerisch notwendig ist und zum anderen Menschen triggert und auch sexistisch bzw. frauenfeindlich sein kann?
Weil ich ein sturer Dickkopf bin.
Zitat von: Arcor am 21. Januar 2022, 17:43:15
eine Serie abgebrochen, so wie ich es mit The Magicians oder Game of Thrones gemacht habe.
Also Game of Thrones hätte ich eher aus Langeweile abgebrochen. Durchgelesen habe ich es trotzdem, aber nach den Geschehnissen, die in Staffel 4/ im 6. Buch passiert sind, wurde es schlicht langweilig. Zu viele Intrigen und zu viele Handlungsstränge, bei denen einfach zu undetailliert beschrieben wurde, was gerade bei dem Charakter passiert. Dazu hätten die Bücher nochmal doppelt so lange sein müssen und es hätte mehr Unterteilungen geben müssen, bei denen in einem Buch nur einzelne Handlungsorte behandelt werden. Brutal habe ich es nicht unbedingt empfunden, eher als Mittelfeld. Brutal fand ich eher das Schicksal der Nazgul in Herr der Ringe, welches auch nur angedeutet war, aber detailliert ausformuliert wohl ein Buch ergeben hätte, welches ich hinterher in höchsten Tönen gelobt hätte, auch wenn ich es beim Lesen gehasst hätte. Nur funktioniert die Trauer über deren Schicksal nur dann, wenn man bedenkt, was sie verloren haben. Ohne das Licht kann es keinen Schatten geben, aber umgekehrt genauso.
Zitat von: Arcor am 21. Januar 2022, 17:43:15Und schriftstellerisch genügt es in meinen Augen völlig, eine Folter gleich welcher Art anzudeuten, sie vielleicht auch über ein paar Sätze zu beschreiben und dann einen Szenenschnitt zu einem späteren Zeitpunkt zu machen. Die Lesenden verstehen, was passiert ist, dazu muss man nicht jedes blutige Detail beschreiben.
Das sehe ich anders. Ich quäle die Charaktere ja nicht zum Spaß, sondern, weil das eine Bedeutung hat. Im Verlauf der Reihe müssen sich die Charaktere immer den Folgen stellen (außer sie sterben davor, und dann manchmal auch noch) und sie überwinden. Spätestens da muss ich sie durch diese Erlebnisse durchschieben. Ich kann ja schwer schreiben (überspitzt formuliert): "A rief sich die Tage in der Folterkammer ins Gedächtnis. Er roch das glühende Eisen, hörte B´s Lachen, während er schrie. Aber das war nicht mehr. Es war vorbei. Die Wunden seines Körpers waren verheilt. Er hatte B eigenhändig erwürgt. Er hatte sich selbst befreit. Hatte dem Schmerz damals standgehalten. Er würde es wieder tun. Es gab keinen Grund, sich noch vor Ort C zu fürchten."
Da denke ich mir als Leser: Und dafür habe ich mir jetzt zig Seiten durchgelesen, wie schlecht es A die ganze Zeit geht? Nein, die Charaktere dürfen ruhig mit etwas zu kämpfen haben und ihre liebe Mühe haben, damit zurecht zu kommen. Da muss ich aber auch schreiben, wo das Problem liegt.
Persönlich finde ich eben, dass man gerade diese Heilung des Charakters, wenn er oder sie sein/ihr Selbstwertgefühl wiederfindet, selber wieder zu eigener Kraft findet, viel besser spürt und viel tiefer miterlebt, wenn man selbst die grausamen Momente in der Vergangenheit des Charakters durchleben musste. Oder aber umgekehrt, dass ich den Fall eines Charakters sehr viel besser durch seine Taten darstellen kann.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Elona am 22. Januar 2022, 07:08:11
Ich gestehe vorab, ich habe nicht mehr alle Beiträge gelesen.

Es ist ein Irrglaube, dass ausgeschriebene brutale Szenen mehr ziehen, als wenn man sie der Fantasie des Lesers überlässt. Du hast selbst schon gesagt, dich tangieren manche Szenen nicht mehr wirklich. Das geht anderen ebenso. Eine Szene wird nun einmal subjektiv beurteilt und für jeden ist ein worst case Szenario ein anderes. Ziehe ich mir jeden Tag Horrorfilme oder Rape & Evenge Filme rein (was ich nicht tue), relativiert sich vor dem Hintergrund vieles und da hier in der heutigen Zeit leider auch "höher, weiter, besser" im Sinne von "härter, blutiger, grausamer" gilt ... ehrlich, es wäre utopisch davon auszugehen, dass man das noch toppen könnte.

An der Stelle sind wir dann bei nem Thema, das viele Autor*innen als schrecklich einengend für ihre Kreativität empfinden und ein sorry, mimimi halten: Ob es einem gefällt oder nicht, man trägt Verantwortung und ja, auch ne gesellschaftliche. Wenn man sich allein schon überlegt, wie die Kameras mittlerweile bei Leid von anderen Menschen um der Effekthascherei draufgehalten werden ... ist beim Schreiben nichts anderes.
Was man sich wirklich mal fragen sollte, findet man das echt so geil? Denn was einem dabei auch bewusst sein sollte, wenn du gerade selbst getroffen bist, dann wird es dir genauso (er)gehen und plötzlich ist das ganze dann nicht mehr witzig und unter "irgendjemand wird immer mal getriggert werden - persönliches Pech" abzutun. Das ist ne Gesellschaft, die jeder mitkreiert hat, ob es einem gefällt oder nicht.

Und das letzte, was ich zu dem Thema sage: Ich hoffe wirklich sehr, dass mein Kind, wenn es groß ist, verstehen wird, das hinter jedem brutalen Mist, der irgendwo gezeigt wird, und egal wie sehr man auch das Label "Fantasy" o.ä. draufklatscht, ne Lebensrealität dahintersteckt von echten Menschen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Nina Louise am 22. Januar 2022, 09:20:46

ZitatMein Motto ist: Qualität kommt von Qual.

Nein, Wintersturm, ich muss dir hier massiv widersprechen. Anstrengung ist gut, Schmerz ist es nicht. Gilt im Sport genauso wie im Leben und in der Liebe.

Mal abgesehen davon, dass ein Verzicht auf/Reduzierung von Brutalität einen Roman nicht zwangsläufig zur Schmonzette macht, sind detaillierte Beschreibungen von Gewalt ganz sicher kein Zeichen von Qualität, sondern eher das Gegenteil. Es mag ein Zeichen der Zeit sein, dass auf alles der Kamerazoom draufgehalten wird (auch im übertragenen Sinne), aber das macht es nicht besser und es trägt m.E. auch zur allgemeinen Verrohung bei. Mit jedem Satz, der sich an einer Folter ergötzt, wird die Grenze weiter verschoben. Überlege mal, was bei einigen Demonstrationen inzwischen gefordert wird!

Ich kann mich sehr wohl gruseln, in eine Figur hineinversetzen, mit ihr leiden und ihren Anta hassen, auch wenn ich ihre Leidensgeschichte nicht bis ins Letzte beschrieben vorgesetzt bekomme. Das blutige Silbertablett, das du forderst, führt eher dazu, dass ich selbiges quer durch den Raum schleudere, angewidert - und auch zutiefst beleidigt.
Denn ich kann mir durchaus vorstellen, was hinter der Tür ist. Blick durchs Schlüsselloch oder ein Horchen reicht, du musst sie nicht weit öffnen und das Deckenlicht anschalten. Man kann das Grauen auch ohne den Folterknecht schildern. Ist halt nur schwieriger.

Auch
ZitatWeil ich ein sturer Dickkopf bin.
macht es nicht besser. Schade, dass du dich den sehr gut begründeten Argumenten der anderen Tintenzirkler so verschließen willst.

Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Soly am 22. Januar 2022, 12:12:08
Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 19:42:05
Mein Motto ist: Qualität kommt von Qual.
Ich möchte da einen Vergleich anführen. Ich selber sitze auch gerne auf meinem Sofa, faulenze, esse, trinke, dusche schön warm,... Momentan fühlt man sich dann gut, aber langfristig? Im Gegenzug dazu, wenn ich Sport mache und mich an die Grenzen treibe, wenn ich einen Berg besteige oder wenn ich mich welcher Herausforderung auch immer stelle, dann fühle ich mich momentan einfach nur schlimm. Alles tut weh, man bekommt keine Luft, ist völlig am Ende,... Am Ende aber bleibt das im Gedächtnis, man kann auf sich stolz sein und fühlt sich wirklich gut.
@TinkersGrey hat das schon schön auf den Punkt gebracht, aber ich möchte das nochmal unterstreichen. Wenn du (Extrem-)Sport machst, ist das auch eine Quälerei, die mit Verletzungen und teilweise psychischen Folgen einhergeht, aber letzten Endes bist es immer du selbst, der dich quält. Das ist ein MASSIVER Unterschied dazu, von einer anderen Person gefoltert, vergewaltigt, oder sonstwie körperlich missbraucht zu werden. Also der Vergleich hinkt gewaltig.
Und vor allem geht es bei diesen Themen nicht nur darum, dass man es beim Lesen kurz doof findet, aber hinterher alles wieder gut ist. Es geht darum, dass sehr viele Leser*innen genau solche Gewaltakte schon einmal selbst oder mittelbar erlebt haben. Wenn du so etwas dann in aller Detailverliebtheit auserzählst, dann werden diese Leser*innen wieder zurück in ihre eigenen traumatischen Erlebnisse geworfen und durchleben alles nochmal. Stell dir vor, du bist selbst körperlich gequält worden und leidest unter den Folgen, und dann liest du Jahre später nichtsahnend ein Buch, und plötzlich wirst du gezwungen, den ganzen Scheiß, den du hinter dir gelassen hast, in deinem Kopf nochmal zu erleben.
Das ist es, wovor wir dich die ganze Zeit versuchen zu warnen. Je grafischer du wirst, desto wahrscheinlicher wirst du echte Menschen sehr verletzen.

Zitat
Und so handhabe ich es. Je dunkler die Finsternis, desto heller das Licht. Und am Ende bekommen die gequälten Charaktere oft genug ein Happy End. So fühle ich das.
Ich gebe dir Recht, dass das Happy End umso schöner wird, je mehr die Figuren vorher durchmachen und je härter sie dafür kämpfen mussten. Ich mache das genauso, dass meine Figuren zuerst durch ihre persönliche Hölle gehen müssen.
Im letzten NaNo haben sich meine Mitleser*innen "beschwert", dass alles so düster und hoffnungslos wirkt, und ich - wörtliches Zitat - einfach nur böse zu meinen Figuren bin. Mit anderen Worten, ich habe offensichtlich Emotionen ausgelöst, aber ich bin trotzdem ohne eine einzige grafische Beschreibung von Gewalt ausgekommen.
Zu beschreiben, was es mit den Figuren macht, hat viel mehr Effekt, die optischen Details stellen sich die Leser*innen dann sowieso viel gruseliger vor als wir Autor*innen jemals beschreiben könnten. Da reichen echt Andeutungen.

Ich gehe jetzt auf dein ausformuliertes Beispiel aus deinem letzten Post ein, aber ich packe es in Spoiler, weil das schon wieder potentielle Trigger enthält.
CN: Folter, Traumafolgestörung
Kurzfassung: Obwohl du das Beispiel mit den Worten "Ich kann ja schwer schreiben" eingeleitet hast, halte ich es für ziemlich perfekt.
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Zum Schluss noch eine Sache:
Zitat
Weil ich ein sturer Dickkopf bin.
Falls das sarkastisch gemeint war: keine gute Idee. Sarkasmus kommt schriftlich genau nie rüber und sorgt meistens für mehr Konflikte als er löst.

Falls es ernst gemeint war:
Tja, schade. Das heißt dann im Grunde, wir können uns die Finger blutig tippen, und du wirst trotzdem genauso weitermachen, weil du eh Recht hast und wir alle doof sind?
Dann mach halt so weiter. Schreib extra blutige Gewaltszenen und schlachte jede Vergewaltigung bis ins letzte Detail aus.
Du wirst sehr viele Menschen sehr stark verletzen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Alana am 22. Januar 2022, 12:15:16
Ich möchte mal kurz allen danken, die hier so wertvolle Beiträge schreiben, Zeit und Energie investieren und sich um Erklärung und Abgrenzung bemühen. :knuddel:

@Mondfräulein Vielen Dank für deine ausführlichen, wunderbaren Posts, die genau ausdrücken, was ich denke. Danke, dass du dir die Zeit dafür genommen hast.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Arcor am 22. Januar 2022, 16:01:11
Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 19:42:05
Mein Motto ist: Qualität kommt von Qual.
Davon abgesehen, dass der Folter-Sport-Vergleich - um es freundlich auszudrücken - mehr als nur hinkt, ist das in meinen Augen ein Denkfehler. Selbst wenn Qualität von Qual kommen soll (zu diskutieren), dann aber nur von deiner als Autor*in, eine gute Geschichte - und diese so gut und interessant wie möglich - zu erzählen und dafür Zeit, Nerven, Anstrengung, Gehirnschmalz etc. reinfließen zu lassen. Die Geschichte wird qualitativ nicht besser, wenn die Figuren maximal und möglichst explizit auf jeder nur erdenklichen Ebene leiden.

Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 19:42:05
Das sehe ich anders. Ich quäle die Charaktere ja nicht zum Spaß, sondern, weil das eine Bedeutung hat. Im Verlauf der Reihe müssen sich die Charaktere immer den Folgen stellen (außer sie sterben davor, und dann manchmal auch noch) und sie überwinden. Spätestens da muss ich sie durch diese Erlebnisse durchschieben. Ich kann ja schwer schreiben (überspitzt formuliert): "A rief sich die Tage in der Folterkammer ins Gedächtnis. Er roch das glühende Eisen, hörte B´s Lachen, während er schrie. Aber das war nicht mehr. Es war vorbei. Die Wunden seines Körpers waren verheilt. Er hatte B eigenhändig erwürgt. Er hatte sich selbst befreit. Hatte dem Schmerz damals standgehalten. Er würde es wieder tun. Es gab keinen Grund, sich noch vor Ort C zu fürchten."
Da denke ich mir als Leser: Und dafür habe ich mir jetzt zig Seiten durchgelesen, wie schlecht es A die ganze Zeit geht? Nein, die Charaktere dürfen ruhig mit etwas zu kämpfen haben und ihre liebe Mühe haben, damit zurecht zu kommen. Da muss ich aber auch schreiben, wo das Problem liegt.
Auch das ist für mich ein Denkfehler. Du machst in deinem Beispiel den Gleichsatz auf: "Keine Beschreibung des Erlittenen = keine Beschreibung der Verarbeitung". Ergo ist dein Umkehrschluss, um zu detaillierter Beschreibung der Verarbeitung zu kommen, eine detaillierte Beschreibung des Erlittenen, wie du propagierst.
Musst du aber nicht machen. Du kannst auch "Keine/kaum Beschreibung des Erlittenen = detaillierte Beschreibung der Verarbeitung" schreiben. Beim Film The Guilty, den ich zuletzt gesehen habe, erfährt man erst ganz am Ende, warum der Protagonist in der Notrufzentrale gerade Dienst schiebt. Dass da etwas vorgefallen ist, checkt man sehr schnell, was genau erfährt man erst am Ende. Sehen tut man es gar nicht. Ich sehe aber die Reaktionen des Protagonisten, wie er es verarbeitet, wie es seine Handlungen bestimmt/lenkt. Ergo kann ich mitfühlen.

Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 19:42:05
Also Game of Thrones hätte ich eher aus Langeweile abgebrochen. [...] Brutal habe ich es nicht unbedingt empfunden, eher als Mittelfeld. 
Wow, also wer GoT als mittelmäßig brutal beschreibt, wo die Serie ab einem gewissen Punkt dauerhaft unnötige Gewalt, die im Buch nicht drin ist, in Folgen packt, nur um extra edgy zu sein und noch mehr zu schocken, der ist vielleicht auch einfach so abgestumpft, dass er das Problem wirklich nicht sieht.

Zitat von: Wintersturm am 21. Januar 2022, 19:42:05
Weil ich ein sturer Dickkopf bin.
Wie @Solmorn es sehr treffend ausgedrückt hat, ist es schade, wie du dich damit jeglicher Diskussion verwehrst.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sanjani am 22. Januar 2022, 19:26:58
Hallo zusammen,

zu den vielen guten Beiträgen möchte ich nur noch eine Sache erwähnen: Wenn jemand sehr schlimmer Folter o. ä. ausgesetzt ist, dann ist es absolut nicht ungewöhnlich, dass die person gar nicht mehr alles im Detail erinnert. Ganz im Gegenteil. Es kann gut sein, dass die Person nur noch einzelne Dinge erinnert, vorzugsweise sensorisch oder emotional, aber das kohärente Erzählen der Geschichte in der richtigen Reihenfolge gelingt oft nicht. Das ist oftmals u. U. teil des Problems, dass die Verarbeitung nicht gut abschließen kann und sich eine Traumafolgestörung entwickelt. Nun haben natürlich auch nicht alle Protagonisten, die Leid und Qualen erleben, eine klassische PTBS, aber wenn man sich ein bisschen damit auskennt, dann erkennt man die Traumafolgen schon sehr leicht.
Bei solchen Szenen ist es im Buch wie im echten Leben immer wichtig, warum die gerade eine besondere Bedeutung haben. Z. B. kann das die eine Szene sein, wo der Prota dachte, jetzt ist es aus, ich sterbe. Oder eine besondere Szene, wo ein Prota beobachtet, wie jemandem ein Leid zugefügt wird, und ihm wird klar, er kann nicht helfen, und dafür gibt er sich die schuld.
Und natürlich ist es auch so, dass selbst wenn man die Rache ausgeführt hat, das noch lange nicht heißt, dass es damit jetzt auch gut ist.

Zum Thema Trigger möchte ich noch sagen: Man kann Leute immer triggern. Eine ehemalige Patientin bekam z. B. Angst, als sie das Wort "Spring" in einer Zeitschrift sah, weil ihre Stiefmutter, die sie übelst misshandelt hat, immer "Spring und hol dies oder jenes" zu ihr gesagt hat. Aber man sollte sich immer im Klaren sein, dass man Menschen auch etwas antun kann, wenn man Ihnen Gewalt im Detail präsentiert, da tragen wir Verantwortung, auch gegenüber gesunden Menschen. Man kann auch Probleme bekommen, wenn man einer schlimmen Sache beiwohnt oder auch nur davon erfährt. Ich kenne Leute, die sehr verstört waren, nachdem sie die Hochwasserbilder im Juli letzten Jahres gesehen haben usw. usf.

Und Menschen, die unsere Bücher lesen, können sich ja nicht schützen, weil sie gar nicht wissen, was auf sie zukommt.

Ich weiß noch, ich habe mal eine Zeitlang einige Bände von "Das Schwert der Wahrheit" gelesen. Da gibt es in irgendeinem Band auch eine ziemlich detaillierte Folterbeschreibung. Nachdem ich das gelesen hatte, konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen, weil mich das so beschäftigt hat und mir so ein unangenehmes Gefühl gemacht hat. Und ich bin niemand, der eigene Erlebnisse aus so einer Kategorie vorzuweisen hat.

Trotzdem beschreibe ich so etwas auch manchmal, aber wohl überlegt und immer mit dem Gedanken im Kopf, brauche ich das wirklich so im Detail? Und sollte mir jemals ein*e Leser*in zurückmelden, dass das zu viel des Guten ist, wäre ich dafür auch sehr dankbar.

LG Sanjani
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Wintersturm am 22. Januar 2022, 20:12:35
Ich sollte mir wohl angewöhnen, bei jeder meiner Geschichten vorher ausführliche Triggerwarnungen zu schreiben.

Zitat von: Solmorn am 22. Januar 2022, 12:12:08
Also der Vergleich hinkt gewaltig.
Klar hinkt der. Der war auch explizit nur auf den Punkt beschrieben, was das mit mir macht. Aus meiner Sicht als Leser. Eine gute Geschichte braucht Qual für Qualität und wie das bei mir zieht, dazu komme ich gleich.

Am Ende schreibe ich primär für mich und wenn ich was zum Veröffentlichen schreibe, dann auch mit sehr viel mehr Zurückhaltung. Diese... Szenen sind eben aus dem Konflikt des Buches heraus entstanden, sonst schreibe ich auch nicht so gnadenlos. Nur wenn man als Thema Vernichtungskrieg hat... schwierig und da benutze ich eben zuallererst, was bei mir selbst wirkt.
Zitat
Ganz ehrlich, ich finde diesen kurzen Schnipsel richtig stark!
Echt jetzt? Bei mir zieht das nämlich fast 0. Für ne Rückblende finde ich es ok, aber für mich persönlich zieht es eben besser, wenn ich genau weiß, was passiert ist. Wenn ich seitenlang A´s Martyrium durchlebt habe. Das brennt sich dann im Kopf soweit fest, dass mit ein paar Worten alles wieder da ist. So ist es halt mal passiert. Das ist meine Wahrnehmung davon.
Zitat
Weil ich ein sturer Dickkopf bin.
Ok, ok, die Formulierung war ranzig. Ich weiß, Schreiben ist auch Handwerk, aber anders als irgendwas Technisches kann man hier nicht mit unwiderlegbaren Messergebnissen kommen, sondern eben immer mit der subjektiven Reaktion des Lesers. Und wenn ich als mein erster Testleser und vor allem die anderen Testleser eben sagen: "Das hab ich richtig gefühlt! Das hat genau so wehgetan, wie ich es erwarte!", dann muss ja irgendwas dran sein, dass das so funktionieren kann. Und da bleibe ich dann dran, weil das im Gegensatz zu anderen Methoden funktioniert.
Ich habe überhaupt kein Problem damit, andere Methoden auszuprobieren, nur von dem, was ich bis jetzt gelesen habe - und da war ne Menge dabei, denke ich an GRRM, Sanderson, Sapkowski, Canavan, Paolini, Hennen, Schwartz und all die anderen - habe ich nie einen wirklichen Schocker von Gewaltdarstellungen bekommen. Nur tragische Liebe zieht bei mir, aber das legt sich auch nach einer Weile und ich kann abends immer gut schlafen. 
Zitat von: Arcor am 22. Januar 2022, 16:01:11
Wow, also wer GoT als mittelmäßig brutal beschreibt, wo die Serie ab einem gewissen Punkt dauerhaft unnötige Gewalt, die im Buch nicht drin ist, in Folgen packt, nur um extra edgy zu sein und noch mehr zu schocken, der ist vielleicht auch einfach so abgestumpft, dass er das Problem wirklich nicht sieht.
Mag sogar sein. Um das endgültig ins richtige Verhältnis zu rücken, damit allen klar wird, wo mein Problem mit der Sache liegt: Gewaltdarstellung wirkt bei mir nur sehr begrenzt. Ich habe kein Problem mit GoT oder (aus dem Anime-Bereich und gerade recht prominent) Attack on Titan. Und da stelle ich dann eben auch genau das dar, was passiert.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Soly am 22. Januar 2022, 21:07:55
Zitat von: Wintersturm am 22. Januar 2022, 20:12:35
Ich sollte mir wohl angewöhnen, bei jeder meiner Geschichten vorher ausführliche Triggerwarnungen zu schreiben.
Jap. Das ist eine sehr gute Idee. :)

Zitat
Am Ende schreibe ich primär für mich und wenn ich was zum Veröffentlichen schreibe, dann auch mit sehr viel mehr Zurückhaltung.
Okay, das ist wirklich gut zu wissen, und ich bin froh, dass du das jetzt explizit klarstellst. Bisher wirkte es so, als würdest du grundsätzlich alles mit maximaler Brutalität ausschreiben.
Aber wenn du dich bei Veröffentlichungen mehr zurückhältst, klingt das schon ganz anders.

Zitat
Wenn ich seitenlang A´s Martyrium durchlebt habe. Das brennt sich dann im Kopf soweit fest, dass mit ein paar Worten alles wieder da ist.
Hmm, da sind wir eben wieder beim Thema. Für dich ist das nur eine besonders einprägsame Szene aus einem Buch.
Bei einer Person, die selbst körperlich gequält wurde, sorgt das seitenlange Martyrium dafür, dass sie gezwungen wird, ihr eigenes traumatisches Erlebnis nochmal zu durchleben. Wenn die Person von ihrem eigenen Erlebnis an PTBS oder einer anderen Anpassungsstörung leidet, sorgt die Szene dafür, dass die Symptomatik zurückkommt oder schlimmer wird.
Das kann keiner wollen.
Deshalb sind solche Szenen in veröffentlichten Werken eben so gefährlich.

Zitat
Ich habe überhaupt kein Problem damit, andere Methoden auszuprobieren, nur von dem, was ich bis jetzt gelesen habe - und da war ne Menge dabei, denke ich an GRRM, Sanderson, Sapkowski, Canavan, Paolini, Hennen, Schwartz und all die anderen - habe ich nie einen wirklichen Schocker von Gewaltdarstellungen bekommen.
Frage - ist es erforderlich, einen Schocker von Gewaltdarstellungen zu bekommen? Ist eine Geschichte nur dann gut, wenn die Leser*innen davon zutiefst geschockt werden?

Zitat
Gewaltdarstellung wirkt bei mir nur sehr begrenzt.
Anschlussfrage - ist es für dich eine notwendige Bedingung für die Qualität eines Buches, dass du an irgendeiner Stelle die Wirkung einer Gewaltdarstellung spüren musst?
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Wintersturm am 22. Januar 2022, 21:40:08
Zitat von: Solmorn am 22. Januar 2022, 21:07:55
Frage - ist es erforderlich, einen Schocker von Gewaltdarstellungen zu bekommen? Ist eine Geschichte nur dann gut, wenn die Leser*innen davon zutiefst geschockt werden?
Nein. Sollte es aber, wenn die Geschichte wirklich ernsthaft sein soll, finde ich.
Zitat
Anschlussfrage - ist es für dich eine notwendige Bedingung für die Qualität eines Buches, dass du an irgendeiner Stelle die Wirkung einer Gewaltdarstellung spüren musst?
Gewalt ist keine so schöne Sache und nur weil ich durch die Darstellung nicht viel spüre, heißt das nicht, dass sie das nicht doch tun sollte. Wenn man aber Kriege und Kämpfe nicht nur als Beiwerk bei sich hat, sondern das auch als eines der Themen der Geschichte (ein Buch ist es ja erst, wenn es gedruckt ist, wobei man da auch diskutieren kann), dann sollte man auch die Kriege entsprechend darstellen. Gerade wenn alles am Ende gut für eine Seite ausgeht und die Geschichte insgesamt über Jahrtausende geht, wo man doch merkt, dass der Krieg 300 Jahre zuvor doch die bessere Entscheidung war, finde ich es zweckmäßig, da dann auch darzustellen, dass bei all der glücklichen Zukunft doch ein gewaltiger Preis dafür bezahlt wurde. Jetzt kann man natürlich auch wieder streiten, ob Krieg überhaupt was Gutes bewirkt, dagegen kann man dann das Totschlagargument 3. Reich und 2. Weltkrieg führen, wo der Kampf dagegen wohl zweifellos die bessere Entscheidung war, aber am Ende will ich in meiner Darstellung auch zeigen, dass manch ein Krieg am Ende doch die bessere Entscheidung war, während ein anderer gar keine gute Idee war und nur Opfer hinterlassen hat. Aber wie Krieg ist, das will ich auf jeden Fall darstellen, und zwar an Einzelschicksalen, die diese Kriege durchleben. Sowohl zivil als auch militärisch. Daraus bedingt stelle ich Gewalt dann eben sehr bildhaft dar und lasse meine Figuren detailliert die Hölle durchleben.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Yamuri am 22. Januar 2022, 22:17:04
@Wintersturm:

Gewaltdarstellungen sind in ihrer expliziten Form nicht immer nötig. Es wirkt manchmal wesentlich dramatischer, wenn man nur andeutet, aber nichts Konkretes schreibt. Ich habe das mal ausprobiert, in einer privaten Gruppe. Auf meinem Computer, für mich ausgeschrieben, war die komplette Szene, im Detail. Den anderen in der Gruppe habe ich nur Andeutungen gezeigt und sie fanden diese Andeutungen sehr eindrücklich und meinten, es würde viel dramatischer wirken, als wenn ich es detailliert beschreiben würde. Denn wenn es eben nicht explizit ist, dann stellen sich die Lesenden selbst vor, was sie sich eben vorstellen.
Grundsätzlich würde ich bei sensiblen Themen aber immer dazu schreiben, dass sensible Themen realistisch thematisiert werden. Dann können Überlebende sich selbst entscheiden, ob sie sich das geben möchten oder eben nicht. Und es betrifft ja alle sensitiven Menschen. Denn auch für Menschen ohne Traumaerfahrung kann das Lesen eines solchen Textes traumatisch sein. Kommt darauf an, wie sensibel und empathisch man ist. Als ich das Buch Aufschrei, von Truddi Chase gelesen habe, konnte ich das nicht am Stück lesen. Das ging echt unter die Haut und ist nichts für schwache Gemüter. Es ist aus der Perspektive einer Überlebenden geschrieben, die infolge eine multiple Persönlichkeit entwickelt hat und ein Buch geschrieben hat, um damit ihre Vergangenheit zu verarbeiten.
Daher würde ich zwar einerseits nur mit Andeutungen und indirekt arbeiten, andererseits aber trotzdem einen Hinweis setzen, dass sensible Themen thematisiert werden. Diejenigen, die solche Themen gar nicht wollen, sind dann halt nicht die Zielgruppe. Nicht jeder mag sowas lesen, nicht jeder mag es thematisieren. Wenn ein Mensch ein Thema aber thematisieren will, dann hat das seine Gründe und ist auch völlig in Ordnung so. Man würde es nicht thematisieren wollen, wenn es nicht einen persönlichen Bezug hätte. Und sei es, weil man in einem früheren Leben so gestorben ist.
Frühere Leben sind für mich ein Faktum, auch wenn viele nicht an sowas glauben. Aber das, was uns an Themen in diesem Leben beschäftigt und nicht loslässt, kann eben aus einem früheren Leben sein und sollten wir auch ernst nehmen. Schreiben kann helfen diese Themen zu verarbeiten, an die wir uns nicht mehr aktiv erinnern. Es hat immer einen Grund, wenn uns ein best. Thema nahe geht und wir darüber schreiben möchten.
Bis zu einem gewissen Grade denke ich auch, dass detaillierte Gewaltdarstellung notwendig sein kann, wenn es realistisch und ernsthaft behandelt wird. Aber es geht zum Teil auch mit Andeutungen und kann auch dann unter die Haut gehen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Amanita am 23. Januar 2022, 13:34:57
Meiner Meinung nach muss man sich bei diesem Thema erst einmal darüber klarwerden, welches Ziel man beim Schreiben verfolgt. Geht es darum, eine Geschichte über Krieg, Gewalt, Folter... auf eine der Thematik angemessene, nicht "weichgespülte" Art und Weise zu erzählen? Oder besteht das Ziel darum, möglichst viele der Leser durch den Inhalt möglichst stark zu schocken?
Ich selbst bin kein Fan der zweiten Kategorie von Büchern oder Filmen, aber das ist keine universelle Wahrheit, sonst wäre beispielsweise ein Film wie Saw nie so erfolgreich gewesen. Deswegen bin ich auch dagegen so etwas verbieten zu wollen, nur weil es mir nicht gefällt. Ich finde es aber wichtig, in der Beschreibung deutlich zu machen, ob die Geschichte in die erste oder zweite Kategorie gehört, damit Buch und Zielgruppe wirklich passend zusammenkommen. Leider werden diese zwei Dinge auch sehr oft vermischt, obwohl es eigentlich zwei ganz unterschiedliche Schreibziele sind.

Wenn man als Autor aber ersteres anstrebt, vertete ich die Devise "So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich." Und je mehr Hintergrundwissen zu einem Thema vom Leser zu erwarten ist, desto weniger Details sind nötig.
Schlachtszenen, in dene sich der Held durch die Feinde mäht ohne dass dabei Blut fließt oder jemand Schmerzen erleidet, sind nicht nur unrealistisch, sondern verharmlosen sogar noch das Beschriebene. Bei Themen wie den Folgen von schweren Verletzungen und den Symptomen von Krankheiten und Vergiftungen ist auch ein gewisses Maß an Detailfülle notwendig, weil es viele Leser gibt, die sich damit nicht auskennen und sonst nicht verstehen, was da passiert. Genauso ist es logischerweise auch bei fantastischen Verletzungen oder Foltermethoden, falls es solche in der Geschichte gibt. Wenn der Autor dafür nicht die richtigen Beschreibungen findet, werden solche Szenen belanglos.
Wenn dem Folteropfer Knochen gebrochen oder Brandwunden zugefügt werden, ist dagegen weniger Beschreibung erforderlich. Die meisten von uns haben schonmal an eine heiße Herdplatte oder Ähnliches gefasst und viele hatten schon Unfälle mit Knochenbrüchen. Da kann der Anblick des Opfers nach der Tat vollkommen reichen, damit sich der Leser vorstellen kann, was passiert ist.

Thema sexualisierte Gewalt im Roman

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Der Inspektor am 31. Januar 2022, 01:05:10
In der Diskussion kam zwischendurch der Begriff der sozialen Stellung auf, und ich glaube, das ist gar kein so falscher Ansatz. Natürlich will ich hier nicht von irgendeiner Kausalität sprechen, denn selbstverständlich gibt es diese nicht, aber einen Zusammenhang gibt es eben schon. Nicht, weil in bildungsferneren Schichten häusliche Gewalt geläufiger ist als woanders, und der Bürger der unteren Mittelschicht deswegen besonders abgebrüht ist. Es hat vielmehr damit zu tun, dass mit der Abwesenheit von literarischer Bildung, nicht nur in manchen Schichten, sondern zunehmend in der ganzen Gesellschaft, eine Abstumpfung und eine geradezu negative Entwicklung einer ganz grundsätzlichen Form von Sensibilität einhergeht. Das Explizite, das Ausbuchstabierte und offen Dargestellte ist ja nur dann vonnöten, wenn die Fähigkeit fehlt, Dinge auch zu begreifen, die einem nicht in allem bombastischen und nackten Detailreichtum serviert werden. Und genau das ist es, das wir in Asi-TV oder aktuellen Marvel- und Disney-Produktionen sehen. Das ist es, das wir auf Tiktok und Instagram beobachten können, wo über die reine Oberfläche, die zum Clicken bewegen soll, gar nichts mehr hinausgeht. Und am Ende sind wir hier auch beim erwähnten Porno angekommen, sei es nun ein Sexfilm oder, wie hier, eine Gewaltorgie, denn genau das ist auch das Rezept dieser Art von Unterhaltung.

Wintersturm hat keine Möglichkeit ausgelassen, um zu erwähnen, dass ihn die Darstellungen von Gewalt, Leid und Schrecken in der zeitgenössischen Literatur nicht berühren können, und das ist in Wahrheit vor allem für ihn ein großer Verlust. Denn zusammen mit seiner offensichtlich völlig fehlenden Sensibilität für Themen wie Sexismus und psychische Erkrankungen ist ihm offenbar das abhandengekommen, was so wichtig ist für einen Autoren, der über Menschen schreibt, nämlich die Empathie.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Tasha am 31. Januar 2022, 10:12:26
Ich stimme zu, dass ein großes Maß an Empathie ganz sicher hilfreich ist für Autor*innen und es schwieriger wird zu schreiben, wenn einem das fehlt, ganz egal welche Art von Literatur man schreibt. Auch um zu schocken muss man sich ja zum Beispiel sehr gut in Menschen einfühlen können.
Ich würde allerdings widersprechen, dass es so Unterschiede in verschiedenen Schichten gibt. Die empathielosesten Menschen sehe ich ehrlich gesagt oft in Spitzenpositionen, während Menschen, die an der Armutsgrenze und darunter leben die hilfsbereitesten und sensibelsten sind. Da wäre ich also wirklich vorsichtig mit Verallgemeinerungen.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Der Inspektor am 31. Januar 2022, 10:29:16
Du hast völlig Recht, aber deswegen habe ich auch geschrieben, dass es eben keine Kausalität zwischen sozialer Schicht und Empathie gibt. In Spitzenpositionen gibt es wahrscheinlich noch viel weniger Empathie als irgendwo sonst, weil die Leute sonst gar nicht in ihren Positionen wären. Aber ich habe das überhaupt auch nur erwähnt, weil Wintersturm sein soziales Umfeld o.Ä. angesprochen hat, und ich das weiterdenken wollte. Mir geht es nicht darum, seine Empathielosigkeit mit seiner Herkunft zu erklären, sondern mehr um einen Trend, der die ganze Gesellschaft erfasst, weil sie zunehmend weniger liest und sich mehr von Oberflächlichem berieseln lässt. Das mit der sozialen Stellung war da eher die Einleitung für mein Argument.

Aber natürlich ist auch ein solcher emotionaler Verfall der Gesellschaft eine superstarke Verallgemeinerung. Am Ende ist das vielleicht auch mehr ein Gedankenexperiment als etwas, was man irgendwie nachweisen könnte. :)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Soly am 31. Januar 2022, 10:45:09
Nur ganz kurz, weil ich eigentlich gar keine Zeit habe, aber das loswerden will:

Ich finde, wir sollten vorsichtig damit sein, uns an Personen abzuarbeiten. Deshalb möchte ich mich an der Stelle mal schützend vor @Wintersturm stellen. Er hat Dinge geschrieben und Ansichten vertreten, die ich nicht unterschreiben konnte, aber er hat am Schluss auch deutlich gemacht, wo er seine persönliche Grenze zieht, wenn es um Veröffentlichungen geht, und das müssen wir genauso berücksichtigen. Wir können seine schriftstellerischen Ansätze in Bezug auf Gewalt beurteilen, weil er die ausführlich dargestellt hat, aber wir können und sollten nicht ihn als Person be- oder sogar verurteilen. Wie viel Empathie er persönlich besitzt, steht uns nicht zu zu bewerten.

Außerdem noch der technische Hinweis - wenn wir (Teil-)Beiträge an oder über andere Mitglieder schreiben, ist es sinnvoll, sie zu taggen, indem man ein @ vor den Nicknamen setzt. Dann haben sie eine bessere Chance, die Beiträge zu sehen und darauf einzugehen.

@Der Inspektor Es tut mir leid, dass ich nicht inhaltlich auf deinen Beitrag eingehen kann, sondern nur rummeckere. Ich hole das nach, wenn ich mehr Zeit habe, das war mir nur wichtig, möglichst schnell anzubringen. :)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Der Inspektor am 31. Januar 2022, 11:38:09
@Solmorn Das mit dem Taggen merke ich mir, danke für den Hinweis.

Ich verstehe deinen Ansatz, und auch ich bin kein Freund von Internet-Bashing oder ähnlichem. Aber der Aussage, dass wir nicht über andere Personen urteilen können und sollen, muss ich wirklich widersprechen.

Können: Gerade das Schreiben und das Ausformulieren von Fantasien ist doch eine Form der Ausdrucksweise, die extrem viel über jemanden verrät. Sei es über das Weltbild, das man vertritt, Werte, die einem wichtig sind oder über das Empathievermögen beim Umgang mit menschlichen Figuren - das sind alles Dinge, die man in sein Schreiben einfließen lässt. Dazu kommt ferner, dass nicht nur Textauszüge gepostet wurden, sondern dass @Wintersturm auch viel über sich selbst gesprochen hat (Thema "Leichenberge lassen mich kalt" zum Beispiel, oder seine Reaktionen auf die Trigger-Hinweise). Natürlich kenne ich ihn nicht persönlich, aber das wirft ja auch eine andere Frage auf, denn ab wann kann man überhaupt über jemanden urteilen? Kann ich jemals über jemanden urteilen, wenn ich ihn nur über das Internet kenne? Wie viele Stunden muss ich mit ihm verbacht haben? Letzten Endes kann man natürlich nie wirklich ein objektives Urteil fällen, weil man nichts so betrachten kann, wie es wirklich "ist", aber genau deswegen nehme ich eben das, was ich hier, in diesem Thread, kriege. Ganz abgesehen davon, dass @Wintersturm mir ja gerne widersprechen kann.

Sollen: Jetzt kann man natürlich sagen, dass es mir ja egal sein kann, was jemand anderes denkt und schreibt, denn schließlich ist das seine Sache, aber das sehe ich grundlegend anders. Kritik ist wichtig, wenn Menschen sich schlecht verhalten, und scharfe Kritik erst recht, denn sonst kann man sie zu leicht abtun. Wenn Klimademonstranten nicht überspitzen würden, und mit teilweise harten Begriffen wie "Weltuntergang" oder "Korruption" in Richtung der Politik argumentieren würden, würde sich die Politik dann so sehr dafür interessieren? Würde sich etwas an der Geschlechterungerechtigkeit unserer Gesellschaft ändern, wenn Mittel wie das Gendern, was sich für viele sehr drastisch anfühlt, nicht eingeführt werden würden? Wenn ich einem Kohlelobbyisten Egoismus oder einem Massentierhaltungslobbyisten eine unethische Einstellung vorwerfe, ist das dann schlecht und steht mir nicht zu?
Ich glaube, dass eine gewisse Härte und auch Überspitzung in der Kritik nötig ist, und sei sie noch so unbequem und manchmal persönlich, denn nur dann hat sie die Möglichkeit, etwas zu bewirken.

Es geht bei diesem "Urteil" schließlich gar nicht nur um @Wintersturm selbst, sondern um viel prinzipiellere Dinge. Wie gehe ich eigentlich als Autor mit Dingen um, von denen ich nichts aus eigener Erfahrung weiß? Wenn ich nie Erfahrungen mit (sexueller) Gewalt gemacht haben musste oder unter keinen Traumata leide, wie kann ich das so darstellen, dass es der Sache gerecht wird? Das sind Fragen, die man sich als Autor stellen muss, und dabei darf man sich nicht hinter dem fadenscheinigen Argument verstecken, dass es einem darum ginge, etwas wie Krieg in all seiner Schrecklichkeit darzustellen. Denn wenn man das tatsächlich möchte, dann muss man das realistisch tun, dabei erzählerisch geschickt bleiben, und darf sich eben nicht in einer Orgie aus Gewaltfantasien ergehen.

Und zuletzt: Ob @Wintersturm auch nur einen Gedanken daran verschwendet, was ich über seine Empathie geschrieben habe, ist ihm überlassen. Ich bin nur jemand, den er nicht kennt und der ihn nicht kennt, und dementsprechend egal kann es ihm auch sein, was ich schreibe. Schön fände ich es trotzdem, wenn das alles für ihn nicht nur leere Worte wären.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Malinche am 31. Januar 2022, 13:34:43
 :wache!: Mod-Hinweis: Die Beiträge hier haben sich mittlerweile deutlich vom eigentlichen Threadthema entfernt. @Der Inspektor, vor allem in deinen letzten Postings lese ich mehr persönliche Ansprache und Urteil gegenüber einem anderen Mitglied als Auseinandersetzung mit der Ausgangsfrage. Auch wenn du deine Ausführungen zum Teil mit Grundsatzfragen der Autor*innentätigkeit verquickst, überschreitest du mit deinen auf Wintersturm gemünzten Äußerung zum Teil Grenzen. Bitte beachte, dass wir hier Handwerkliches diskutieren – persönliche Unterstellungen und Angriffe sind fehl am Platz.

Ob und wie wir ausgehend von einem Text oder einzelnen Textaspekten – wie etwa der Gewaltdarstellung – über den*die Autor*in urteilen können, ist nicht Gegenstand dieses Threads. Bitte kehrt zum eigentlichen Thema zurück und bleibt anderen Mitgliedern gegenüber sachlich und fair, auch wenn ihr inhaltlich nicht übereinstimmt.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Der Inspektor am 31. Januar 2022, 13:53:13
@Malinche Okay, ich muss mich wohl noch ein bisschen an die Regeln und Bräuche im Forum gewöhnen. Tut mir leid, wenn das zu ausufernd war. :)
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Sikania am 06. Februar 2022, 12:43:14
Deutlich verspätet aber dennoch:

@Solmorn
Zitat von: Solmorn am 21. Januar 2022, 15:01:32
Zum eigentlichen Thema:
Ich denke, bei diesem Beispiel muss es gar nicht in exzessive Gewalt ausarten. Vielleicht beschreibst du einmal, was mit Karl passiert und gemacht wird, und die nächsten Male weiß man als Leser*in schon, was passiert, so dass du vorher ausblenden kannst und nur hinterher seinen körperlichen Zustand beschreiben musst.
Dass es vorhersehbar wird, halte ich für kein großes Problem. Je nachdem, welche Rahmenbedingungen herrschen, hat das immer gleiche Muster ja trotzdem unterschiedliche Folgen und Implikationen für Karl. Wenn ich in einer Szene weiß, dass Karl am Ende alles abkriegt, kann ich trotzdem mitfiebern, wenn sich abzeichnet, wie es immer und immer schlimmer wird, und wünsche mir vielleicht irgendwann, dass Karl es diesmal bittebitte nicht auf sich nimmt.

@Mondfräulein
Zitat von: Mondfräulein am 21. Januar 2022, 15:23:02
Ich persönlich würde mich hier auf die Folgen der Gewalt konzentrieren. So etwas macht ja etwas mit einem Menschen und verändert ihn. Du musst vielleicht die Gewalt nicht immer ausschreiben, um das deutlich zu zeigen. Die Gewalt verliert irgendwann die Wucht für die Leser*innen, aber die Folgen und Nachwirkungen der Gewalt, die psychischen Narben, lassen die Leser*innen am Ende wirklich spüren, was so etwas mit jemandem macht. Gerade dann hat es auch mehr Wucht, wenn sich deine Figur trotz allem wieder in die Schussbahn wirft, um jemanden zu retten.

Ich danke euch beiden sehr für diese Einschätzung und Ideen. Ich denke, damit kann ich gut arbeiten und dafür Sorgen, dass "Karl" mal auch in andere Richtungen gelenkt wird. Vor allem, was mit ihm passiert, wenn er es nicht schafft, jemandem zu helfen ist etwas, was sofort ein kleines Plotbunny geweckt hat  :jau:
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: Biene am 08. März 2022, 19:43:20
Ich habe mir die von @Wintersturm angestoßene Unterhaltung im Januar mit großem Interesse durchgelesen, habe viel mit dem Kopf geschüttelt und viel genickt.
An erster Stelle möchte ich mich bei @Mondfräulein bedanken. Ich habe mich
ZitatDie Qualität des Textes leidet darunter, weil die Darstellung der Folgen von Gewalt vernachlässigt wird. Hier wird es schnell unrealistisch, obwohl das eigentlich das Wichtigste ist. Die Auswirkungen der Gewalt auf die Figuren sind doch das, was uns als Leser*innen wirklich mitfühlen lässt. Es kommt vor, dass sich Personen nicht mehr an jedes Detail eines schrecklichen Erlebnisses erinnern, aber trotzdem mit den Folgen zu kämpfen haben.
gleich ertappt gefühlt. Ich versuche zwar logisch und schlüssig zu schreiben, aber was die realistischen Folgen von Gewalt angeht, schludere ich. Ist mir bis jetzt nicht bewusst gewesen und kommt auf die To-Do-Liste.
Ich bin auch definitiv im Team weniger ist mehr. Allzu ausführliche Beschreibungen (egal von was) nehmen mir den Spaß am Lesen. Ich möchte gerne selber denken und meine Fantasie spielen lassen und nicht alles vorgekaut bekommen. Und was Darstellungen von Gewalt angeht, will ich das im Detail nicht wissen. Andeutungen reichen und meine Vorstellungskraft baut das Ganze dann in dem Maße aus, wie ich es verkraften kann, ohne Albträume zu bekommen – genau das, was hier schon mehrfach aufgeführt wurde.
So halte ich es auch, wenn ich schreibe und ich nutzte Gewalt nur, wenn es für die Story notwendig ist. Es gibt so viele Möglichkeiten, die Charaktere zu quälen, ohne ihnen Schmerzen zuzufügen. Allerdings, wenn ich mir das so recht überlege, ist bei den Alternativen zur körperlichen Gewalt, oft psychische Gewalt mit im Spiel. Auch damit muss man vorsichtig umgehen, hier können die Auswirkungen auf den Leser ja ähnliche Folgen haben.
Titel: Re: Eine Figur zu quälen
Beitrag von: AlpakaAlex am 29. März 2022, 15:58:23
@Mondfräulein hat hier einfach so viele gute Takes! Lass mich das einmal laut aussprechen!  :herzchen: Hat natürlich viele Überschneidungen zu deinem Trauma-Thread. Aber eins. Ich schreibe hier mal was dazu.

Also, so ... Hot Take: Ich schreibe "quälen" von meinen Figuren in der Regel nicht aus. Denn ich gehe davon aus, dass die Leser*innen genug Empathie haben, um es auch ohne explizite Beschreibung zu verstehen. Das ist mir auch extrem wichtig. Ich möchte solche Dinge auch nicht explizit ausgeschrieben lesen. Das gilt vor allem für die Themenbereiche Vergewaltigung und Folter.

Ich habe mehrere Figuren, die Erfahrungen mit Vergewaltigungen haben - dazu habe ich ja im Trauma-Thema bereits etwas geschrieben. Es gibt auch eine Sidestory von Mosaik (Kontrolle), in der auch eins der schlimmsten Trauma der Protagonistin ihren Anfang hat. Aber hier ist die Sache: Ich schreibe es praktisch nicht aus - abgesehen von etwas am Anfang und etwas kurz bevor sie der Situation entkommt. Speziell beschreibe ich die Vergewaltigungen, die in dem Zug passiert sind, nicht. Ich blende weg, bevor es in der Situation zu der ersten Vergewaltigung kommt - und blende erst bei der letzten Vergewaltigung ehe sie entkommt wieder ein. Ich sehe absolut keinen Sinn darin, es detailreicher zu beschreiben, denn wer ob dieser Randbeschreibung nicht die Empathie aufbringen kann, der wird es auch nicht bei einer Detailbeschreibung tun. Das einzige, was in meinen Augen eine Detailbeschreibung erreicht ist, dass etwaige Betroffene getriggert werden, und etwaige Nicht-Betroffene sich daran aufgeilen. Beides Dinge, die ich nicht will.

Und es macht mich übrigens kaum etwas in den Medien so wütend, wie Männer, die über die Vergewaltigung von Frauen schreiben oder beispielsweise bei Filmen es für UNBEDINGT NÖTIG empfinden, Vergewaltigungen bildlich zu zeigen.  :happs: Letztes Jahr war ganz schlimm darin, weil gleich zwei kritisch gelobte Filme (The Last Duel und Midnight in Soho) es unbedingt für nötig hielten, das Thema auszubreiten - natürlich beides Filme, die von Männern gemacht wurden. Weil natürlich wäre die Handlung der Filme absolut nicht verständlich gewesen, wenn man es nicht bildlich gezeigt hätte, ne?  :wums: Argh.

Es gibt in meinen Augen wirklich einfach keinen Grund es auszuschreiben (oder in Filmen zu zeigen).

Grundlegend habe ich nichts dagegen, dass Figuren Qualen erfahren. Aber es muss eben nicht ausgeschrieben sein. Ausnahme sind halt Verletzungen, die in Kämpfen passieren und dergleichen.