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Grammatikalische Kleinigkeiten

Begonnen von Ratzefatz, 21. November 2007, 06:23:44

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Thaliope

#405
Da ich gerade auch an die Grenzen meiner Grammatik gestoßen bin, hab ich mal kurz bei Wikipedia zur Verwendung der Zeitformen nachgeschlagen. Da steht unter anderem:

ZitatIn literarischen Texten, insbesondere Romanen, ist das verwendete Erzähltempus das Präteritum, das hier jedoch die Gegenwart innerhalb der erzählten Geschichte ausdrückt. In der Erzählung gibt es kein Perfekt – es sei denn, der Roman ist im Präsens geschrieben. Vergangenes wird mit dem Plusquamperfekt ausgedrückt.
und außerdem:
ZitatIn nichtliterarischen Texten wie z.B. Berichten drückt das Präteritum Handlungen und Vorgänge aus, die in der Vergangenheit abgeschlossen wurden und keinen unmittelbaren Bezug zur Gegenwart haben. Besteht ein Bezug zur Gegenwart, wird dagegen das Perfekt benutzt.

Ich würde daraus schließen, dass, wenn eine Geschichte im Präsens erzählt ist, das Perfekt durchaus als Vergangenheitsform benutzt werden kann.
Davon abgesehen würde ich auch eher sagen, dass Jakobs Wissen in die Vergangenheit und nicht in die Gegenwart gehört, wenn er gleichzeitig irgendwo tot im Graben liegt - zumindest wenn man es in dem Sinne versteht: Das hat er schon vorher gewusst, als er sich freiwillig gemeldet hat.

LG
Thali

EDIT: Ich hab dann auch nochmal meinen Grammatik-Duden zurate gezogen, und der sagt:
ZitatDa das  Perfekt in der Standardsprache nicht als Erzähltempus dient, darf es auch icht reihend in längeren Texten  gebraucht werden, dafür steht das Präteritum zur Verfügung. Allerdings werden mit dem Perfekt gerne Erzählungen u.ä. begonnen oder geschlossen.

Daraus geht jetzt nicht eindeutig hervor, wie sich das auf Erzählungen im Präsens auswirkt. Ich würde fast vermuten, dass man es ähnlich handhabt wie mit dem Plusquamperfekt: Bei längeren Rückblenden den ersten und letzten Satz im Perfekt und dazwischen dann der angenehmeren Lesbarkeit halber ins Präteritum wechseln.


Malinche

@Joel: Stimmt, das hatte ich wahrscheinlich im Hinterkopf - bzw. ist es im Spanischen auch so.  :)

Und jetzt hat Thali ja schon eine schöne Erklärung gefunden!
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Debbie

Zitat von: Joel am 28. April 2013, 17:39:42
Also im Englischen ist das auf jeden Fall so: Perfekt --> Eine Handlung, die in der Vergangenheit begonnen hat und bis in die Gegenwart andauert. (Bsp.: I have gone to school for five years.)
Präteritum --> Eine Handlung, die in der Vergangenheit liegt. (Bsp.: I went to the cinema yesterday.)
Korrigiert mich, wenn ich es jetzt völlig verzapfe  ;)


Ist im Deutschen auch so - allerdings ist mir der Gegewartsbezug (der im Allgemeinen sowieso Auslegungssache ist) hier nicht klar. Die Sachen, die vorher passiert sind, liegen für mich eindeutig (abgeschlossen) in der Vergangenheit.

Zitat von: Thaliope am 28. April 2013, 17:47:52
Ich würde daraus schließen, dass, wenn eine Geschichte im Präsens erzählt ist, das Perfekt durchaus als Vergangenheitsform benutzt werden kann.
Davon abgesehen würde ich auch eher sagen, dass Jakobs Wissen in die Vergangenheit und nicht in die Gegenwart gehört, wenn er gleichzeitig irgendwo tot im Graben liegt - zumindest wenn man es in dem Sinne versteht: Das hat er schon vorher gewusst, als er sich freiwillig gemeldet hat.

Ja, absolut. Man kann das Perfekt verwenden - mit oder ohne Gegenwartsbezug. Das letztere sehe ich anders - steht das "wissen" im Impferfekt, hat es - zumindest in diesem kurzen Abschnitt - den Anschein, als würde die Geschichte im Imperfekt erzählt. Wie es sich dann in einem längeren Text verhält, ist natürlich nochmal eine andere Sache  :hmmm:

Thaliope

#408
@Debbie: Aber die inhaltliche Aussage zu verändern (vorausgesetzt, sie ist so gewollt, wie ich sie verstanden habe), kann doch eigentlich nicht die richtige Methode sein, um die Erzählzeit deutlich zu machen. Bei "Jakob hat das gewusst" würde dann der Bezug zur Gegenwart deutlicher.

Alles in allem würde ich nach dem, was ich jetzt nachgeschlagen habe, zu folgender Lösunge kommen:

ZitatDie meisten Soldaten werden kein Grab bekommen. Jakob hat das gewusst. Er hat sich gemeldet, als es noch freiwillig war. Der Brief mit Bescheid und Fahrkarte kam schnell. Zusammen mit den Jüngsten vom Hof ist er abgereist. Jetzt liegt sein Körper unweit des Grabens in einer Senke.

Nur mit Perfekt sähe es dann so aus:

Zitat

Die meisten Soldaten werden kein Grab bekommen. Jakob hat das gewusst. Er hat sich gemeldet, als es noch freiwillig gewesen ist. Der Brief mit Bescheid und Fahrkarte ist schnell gekommen. Zusammen mit den Jüngsten vom Hof ist er abgereist. Jetzt liegt sein Körper unweit des Grabens in einer Senke.


Bei der Kürze der Rückblende könnte man sich sogar zwischen diesen beiden Varianten entscheiden - ob man lieber für nur einen Satz ins Präteritum wechselt oder einen Satz mehr mit "hat" und "ist" dastehen haben möchte, wäre dann eine Geschmacksfrage. Grammatisch richtig dürfte beides sein.

Aber ich muss mir ganz dringend mal ein Buch über Zeitformen und Stil in erzählenden Texten organisieren. Das ist ja manchmal wirklich knifflig. Und so richtig, richtig sicher bin ich mir immer noch nicht, ob ich aus den gefundenen Quellen auch die richtigen Schlüsse gezogen habe. :hmmm:

EDIT: Und je länger ich drüber nachdenke, desto unsicherer werde ich, ob man nicht doch die unterschiedlichen Funktionen von Perfekt und Präteritum berücksichtigen müsste, weil ein fiktionaler Text im Präsens ggf. wie ein nichtfiktionaler Text behandelt würde? Aus dem Wikipedia-Artikel geht das nicht eindeutig hervor. Na toll, jetzt macht mich das ganz wuschig.  :wums:

Nachtblick

Zitat von: Malinche am 28. April 2013, 17:30:50Was mich verwirrt: Ab wann soll Jakob es gewusst haben? Für mich kommt das aus beiden Texten so heraus, dass er es schon auf dem Hof gewusst hat.

Ha! Genau das! Das habe ich auch gesagt, aber meine Freundin meinte, man könnte das lösen, indem man zwei unterschiedliche Vergangenheitsformen benutzt.

Debbie, da liegt ein Irrtum vor: die Geschichte wird nicht aus Jakobs Sicht erzählt, sondern aus Arthurs. Sorry, hätte ich kenntlich machen müssen.

Danke, Thali, fürs Raussuchen! Ich leite das so einfach mal an meine Freundin weiter, denn mein Kopf platzt gleich! Himmel. ;D Ich nehme aber die Regel Präsens, dann Vergangenheit in Perfekt, dann zur Einfachheit halber Präteritum, bevor wieder Präsens auch so wahr.

Danke für die Hilfen! Scheint ja echt verzwackt zu sein, bin froh, dass das nicht nur wir drei Vollidioten sind (meine Kommilitonen und ich)!

Adam_Charvelll

Ich steh auch gerade auf der Leitung und bin gerade nicht mehr in der Verfassung, das Problem objektiv zu analysieren bzw. zu lösen  :gähn:
Mag mir jemand helfen?   :)

ZitatSie wusste genau, wem sie die Schuld an dieser Tragödie geben musste. Demselben, der sie jeden Tag mit diesem unerträglichen Grinsen frösteln ließ

ZitatSie wusste genau, wem sie die Schuld an dieser Tragödie geben musste. Demselben, der ihr jeden Tag mit diesem unerträglichen Grinsen frösteln ließ

Da ist doch die erste Variante richtig bzw. besser? Oder spinn ich?  ;D
Oder geht beides? Was ist allgemein der Unterschied zwischen "sie fröstelte" und "ihr fröstelte", denn da würde ich "ihr fröstelte" bevorzugen, weil es viel intensiver klingt?

Zit

#411
Ich würde die Sache ja so lösen: "Die meisten Soldaten werden kein Grab bekommen. Jakob wusste das. Er meldete sich als es noch freiwillig war. Der Brief mit dem Bescheid und der Fahrkarte kam schnell. Zusammen mit den Jüngsten vom Hof reiste er ab. Jetzt liegt sein Körper unweit des Grabens in einer Senke."

@Adam:

"... der ihr ... frösteln ließ." ;D "sie" ist schon richtig.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

chaosqueen

Meine intuitive Lösung des Soldatensatzes:

ZitatDie meisten Soldaten würden kein Grab bekommen. Jakob hatte das gewusst. Er hatte sich gemeldet, als es noch freiwillig gewesen war. Der Brief mit Bescheid und Fahrkarte war schnell gekommen. Zusammen mit den Jüngsten vom Hof war er abgereist. Jetzt liegt sein Körper unweit des Grabens in einer Senke.

Warum ich hier "würden" im ersten Satz setze: Weil es nicht sicher ist, dass alle Soldaten sterben werden und ja auch noch nicht alle tot sind. Das heißt, kein Grab zu bekommen, ist eine Wahrscheinlichkeit, aber keine unumstößliche Tatsache.
Alternativ kann man auch "Die meisten Soldaten bekommen kein Grab" setzen, dann hat man ganz klares Präsens hier und damit auch eindeutig die Erzhlzeit im Präsens.

"hatte das gewusst": Weil er es bis zu seinem Tod wusste und es somit bis in die Gegenwart relevant ist. Alles, was davor geschehen ist, muss damit zwangsweise ebenfalls im Plusquamperfekt stehen, da sonst die Zeitebenen nicht mehr stimmen. Das "Problem", das hier auftaucht, besteht in der unterschiedlichen Nutzung der Zeiten: Zum einen wird mit dem Präteritum und Plusquamperfekt etwas beschrieben, das bis ins Präsens bzw. Perfekt relevant ist, zum anderen wird mit den verschiedenen Zeiten aber auch die chronologische Reihenfolge festgelegt. Genau das macht diesen Satz so schwierig, denn eigentlich haben wir drei Zeitebenen:

Das Jetzt: Jakob ist tot und bekommt kein Grab.
Die jüngere Vergangenheit: Jakob weiß, dass er kein Grab bekommen wird.
Die ältere Vergangenheit: Jakob meldet sich freiwillig, bekommt ein Einberufungsbescheid und verlässt den Hof.

Allerdings besteht hier noch ein besonderes Problem, weshalb die mittlere Ebene keine eindeutige zeitliche Zuordnung braucht bzw. haben kann:

Man kann aus dem Absatz nicht herauslesen, ob Jakob schon auf dem Hof gewusst hat, dass er kein Grab bekäme, weil so zwar die chronologische Reihenfolge ist "freiwillige Meldung - Hof verlassen - Bescheid wissen", aber wann er das Wissen erworben hat, geht nicht daraus hervor. Der Satz "gestern habe ich gewusst, wie man Eier trennt" sagt aus, dass ich es gestern wusste, kann nach dem Kontext aussagen, dass ich es bis heute vergessen habe, sagt aber nichts darüber aus, wann ich das Wissen erworben habe.
Diese Information muss also im obigen Text noch kenntlich gemacht werden, zum Beispiel mit einem "zwischenzeitlich": "Die meisten Soldaten würden kein Grab bekommen. Jakob hatte das zwischenzeitlich erfahren."

Und weil es schon genannt wurde und als Stilmittel absolut seine Berechtigung hat, kann man natürlich nach dem ersten Satz im Plusquamperfekt auch im Perfekt weitermachen, dann sieht der Satz so aus:

ZitatDie meisten Soldaten würden kein Grab bekommen. Jakob hatte das gewusst. Er hatte sich gemeldet, als es noch freiwillig war. Der Brief mit Bescheid und Fahrkarte kam schnell. Zusammen mit den Jüngsten vom Hof ist er abgereist. Jetzt liegt sein Körper unweit des Grabens in einer Senke.

Ich hoffe, ich hab jetzt nicht mehr Verwirrung gestiftet als ohnehin schon herrschte. ;)

Adam, Zit hat Recht, frösteln steht mit Akkusativ, das Grinsen lässt sie daher frösteln. ;)

Zu Deiner zweiten Frage: "Sie fröstelte" ist korrekt, "ihr fröstelte" allenfalls umgangssprachlich analog zu "ihr war kalt". Genauso heißt es "es fröstelte sie" und nicht "es fröstelte ihr". ;D

Adam_Charvelll

Danke euch beiden, habe es mittlerweile selbst kapiert  ;D

Zitat von: chaosqueen am 28. April 2013, 23:47:22
Zu Deiner zweiten Frage: "Sie fröstelte" ist korrekt, "ihr fröstelte" allenfalls umgangssprachlich analog zu "ihr war kalt". Genauso heißt es "es fröstelte sie" und nicht "es fröstelte ihr". ;D

Genau das war die Wurzel allen Übels.

Cairiel

Hallo ihr Lieben,

ich bin gerade ein klein wenig verzweifelt - mir gefällt der Satz im Kontext so gut, aber jemand meint, er stimmt so nicht:

ZitatEr hatte so feine Hände, wie weder ein Bauer noch ein Handwerker sie gebrauchen konnte.

Kann ich das so sagen, oder stimmt der grammatikalisch nicht? Mein Gefühl, auf das ich mich fast immer verlassen kann, sagt, es passt.  :hmmm:  Besagter Leser meint, es müsste wenn dann "Er hatte so feine Hände, wie sie kein Bauer oder Handwerker gebrauchen konnte" heißen. Könnt ihr mir vielleicht weiterhelfen?

Nirahil

Spontan würde ich auch sagen, er passt. Ich denke, dein Leser fand die Setzung des "sie" merkwürdig, weil es meiner Meinung nach eher vorne verwendet wird, also "Er hatte so feine Hände, wie sie weder ein Bauer noch ein Handwerker gebrauchen konnte."
Allerdings kann ich da auch nur nach meinem Gefühl gehen.
Ich tanze wie ein Kind im Nebel,
zufrieden, weil ohne Ziel.
Callejon - Kind im Nebel

Coppelia

Der Satz ist meiner Ansicht nach völlig korrekt. Ein Vergleichssatz mit "so ... wie". Wenn man das "sie" umsetzt, wie Nirahil es vorschlägt, wird er etwas flüssiger.

Alana

#417
Grammatisch ist das korrekt, aber stilistisch klingt es nach einem Märchen. Wenn das zum restlichen Text passt, kein Problem. Mir gefällt es. :)
Alhambrana

Cairiel

Mir fällt ein Stein vom Herzen.  :vibes:  Danke! Das mit dem Märchen freut mich - ich liebe Märchen und in dem Fall darf es gerne danach klingen.

Zit

"weder" steht nie allein. Es fehlt ein "noch". Also: Weder ein Bauer noch ein Handwerker.
Wobei es komisch ist, dass du den Bauern so genau als Beruf bezeichnest aber den Handwerker nicht.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt