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Ein knackiger Anfang - der erste Absatz, die erste Seite

Begonnen von Coppelia, 10. Januar 2009, 07:43:08

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Archibald

Zitat von: Graukranz am 28. September 2021, 13:05:49
Ich glaube, Anfänge, und vor allem der erste Satz, werden tendenziell überschätzt.
Wenn ich mir überlege, wie Leser im Buchladen vorgehen, lesen sie ja meist erst den Klappentext. Der weckt die Neugier auf die Geschichte. Dann lesen sie den Anfang, um zu sehen, ob ihnen der Stil gefällt. Das merkt man recht schnell, meistens schon nach dem ersten Absatz, maximal nach der ersten Seite, dann wird der Kaufentscheid getroffen.
Natürlich sollte der Anfang neugierig machen, aber ich glaube, das Wichtigste ist, dass er zur Geschichte passt, wie hier auch schon gesagt wurde. Dazu muss er nicht besonders spannend oder knackig sein.

Die Entscheidung fällt noch früher. Ich suche mir in der Buchhandlung zuerst die Abteilung, die mich am meisten interessiert, dann schaue ich bei den Neuerscheinungen.

Bei mir bereits bekannten Namen zuckt meine Hand schneller, als bei Unbekannte – und dann folgt der Klappentext. Interessiert mich das Thema, lese ich rein.

Wenn ich z.B. entdecke, dass ich ein Ich-Erzählung im Präsens vorliegen habe, lege ich das Buch (mittlerweile) sofort wieder weg, da ich eine regelrechte Aversion gegen diese Perspektive und Zeitform entwickelt habe – dass rettet dann auch keine vielversprechende Story mehr.

Ich denke, dass ein gut geschriebener Klappentext mehr Auswirkungen auf die Kaufentscheidung hat als der schönste Anfang. 

Zitat von: Graukranz am 28. September 2021, 13:05:49

Nehmen wir den ersten Satz von Harry Potter:
"Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar."

Dieser Satz sagt einem gleich, dass am Rest der Geschichte ganz bestimmt überhaupt nichts normal sein wird.
Danach erfahren wir ziemlich viel über die Dursleys, obwohl diese ja gar nicht Hauptfiguren der Geschichte sind. Wir verfolgen Mr. Dursley zur Arbeit, erfahren, was er denkt und über welche unwichtigen Dinge er sich aufregt, und man fragt sich, warum wir den Tag aus Sicht dieser anscheinend ziemlich unsympathischen Figur erleben.
Natürlich schwebt auch immer ein Geheimnis über dem Ganzen, etwas über die Potters, aber ich glaube trotzdem, die wenigsten Autoren hätten diesen Anfang gewählt (vor allem auch, wenn man die Zielgruppe bedenkt). Vielleicht hätten sie gezeigt, wie Hagrid Harry aus der Ruine rettet. Oder wie Dumbledore von Voldemorts Verschwinden erfährt. Oder sie hätten gleich mit dem zweiten Kapitel angefangen. Jedenfalls etwas, wo ein bisschen mehr passiert und wo Harry auch tatsächlich vorkommt. Das erste Kapitel fällt ja auch deswegen aus dem Rahmen, weil der Rest des Buches aus Sicht Harrys geschrieben ist. Harry selbst wird sogar erst auf der zweiten Seite erwähnt, und auch da nicht namentlich. Über die Hauptfigur erfährt man am Anfang eigentlich überhaupt nichts (ausser, dass die Dursleys nichts mit ihm zu tun haben wollen).

Hier passieren noch andere merkwürdige Dinge, die wir aus der Perspektive von Vernon Dursley sehen. So sieht er zum Beispiel eine Katze, die eine Straßenkarte studiert, sieht komische Gestalten in weiten Umhängen, eine alter Mann in violettem Umhang spricht mit ihm und umarmt ihn sogar ...

Im Grunde also ein ziemliches Kontrastprogramm. Die spießigen Dursleys werden aus ihrer gewohnten Trott gerissen. Die Potters und Harry werden indirekt eingeführt, gleichzeitig wird Voldemort in der Form: Du-weist-schon-wer das erste Mal erwähnt.
Rowling feuert gleich eine ganze Breitseite an Ködern ab.
Was ist mit den Potters?
Was sind das für seltsame Gestalten?
Wieso liest da ein Katze eine Straßenkarte?
Wieso verhalten sich die Eulen im ganzen Land so merkwürdig, dass sie sogar in den Fernsehnachrichten auftauchen?
Sternschnuppen?
Wer ist Du-weist-schon-wer?
Wieso ist er tot?
Warum tuscheln die Leute in seltsamen Umhängen über die Potters?
...
Durch das Aufwerfen all dieser Fragen liest man automatisch weiter.

Rowling hat das schon sehr geschickt gemacht, dass sie Vernon Dursley dafür genommen hat. Der darf sich über alles wundern und aufregen. Hagrid und Dumbledore hätten das nicht gekonnt. Allerdings hat Rowling, soweit ich weiß, den Anfang ziemlich oft neu geschrieben.

Graukranz

Zitat von: Archibald am 29. September 2021, 14:02:06

Ich denke, dass ein gut geschriebener Klappentext mehr Auswirkungen auf die Kaufentscheidung hat als der schönste Anfang. 


Da bin ich absolut bei dir.

Zitat von: Archibald am 29. September 2021, 14:02:06

Hier passieren noch andere merkwürdige Dinge, die wir aus der Perspektive von Vernon Dursley sehen. So sieht er zum Beispiel eine Katze, die eine Straßenkarte studiert, sieht komische Gestalten in weiten Umhängen, eine alter Mann in violettem Umhang spricht mit ihm und umarmt ihn sogar ...

Im Grunde also ein ziemliches Kontrastprogramm. Die spießigen Dursleys werden aus ihrer gewohnten Trott gerissen. Die Potters und Harry werden indirekt eingeführt, gleichzeitig wird Voldemort in der Form: Du-weist-schon-wer das erste Mal erwähnt.
Rowling feuert gleich eine ganze Breitseite an Ködern ab.
Was ist mit den Potters?
Was sind das für seltsame Gestalten?
Wieso liest da ein Katze eine Straßenkarte?
Wieso verhalten sich die Eulen im ganzen Land so merkwürdig, dass sie sogar in den Fernsehnachrichten auftauchen?
Sternschnuppen?
Wer ist Du-weist-schon-wer?
Wieso ist er tot?
Warum tuscheln die Leute in seltsamen Umhängen über die Potters?
...
Durch das Aufwerfen all dieser Fragen liest man automatisch weiter.


Das stimmt, es werden viele Fragen aufgeworfen, aber das ist im zweiten Kapitel ähnlich:
Warum lebt Harry in einem Schrank?
Warum hat er eine Blitznarbe?
Warum hat er keine Eltern mehr?
Warum behandeln ihn die Dursleys so schlecht?
Warum reagiert Mr. Dursley so, nur weil Harry ein fliegendes Motorrad in einem Traum erwähnt?
Warum geschehen immer merkwürdige Dinge um Harry herum?
Warum kann er mit Schlangen sprechen?
Was ist mit dem grünen Licht?
Warum erkennen ihn merkwürdige Leute?

Und wenn wir uns auf die erste Seite des ersten Kapitels beschränken, ist eben fast nichts da, was einen so richtig "packt", ausser, dass es irgendein Geheimnis über die Potters gibt, das auf keinen Fall jemand erfahren darf. Aber da die Dursleys in den vorherigen Absätzen als ziemlich spiessige Leute dargestellt wurden, die sich über alles aufregen, was aus ihrer Sicht ansatzweise nicht normal ist ("... denn mit solchem Unsinn wollten sie nichts zu tun haben."), könnte auch das ja nur eine Banalität sein.

Zitat von: Archibald am 29. September 2021, 14:02:06

Rowling hat das schon sehr geschickt gemacht, dass sie Vernon Dursley dafür genommen hat.


Einverstanden, aber wie gesagt, wie viele Autoren hätten das so gemacht (und wie viele Ratgeber empfehlen es)? Ich finde, es ist ein ziemlich mutiger Anfang. Gedacht war es ja eigentlich als Kinderbuch, dann muss man erst mal darauf kommen, die Geschichte aus der Sicht eines langweiligen, eher fiesen Erwachsenen zu erzählen. Und wenn man dann eben daran denkt, dass Leser in einem Buchladen selten mehr als eine Seite lesen, ist es umso mutiger. Sie erwarten eine Geschichte voller Abenteuer und Zauberer, und lesen dann von den Dursleys und Bohrmaschinen.

Zitat von: Archibald am 29. September 2021, 14:02:06

Der darf sich über alles wundern und aufregen. Hagrid und Dumbledore hätten das nicht gekonnt.


Sie hätten sich nicht darüber wundern können, aber der Leser schon. Wenn Rowling zum Beispiel mit der Rettung Harrys durch Hagrid begonnen hätte, hätte sie ja trotzdem die merkwürdigen Gestalten zeigen können, und all die Eulen, und Sternschnuppen. Hagrid hätte natürlich anders darauf reagiert als Mr. Dursley, aber die Fragen hätte sich der Leser trotzdem gestellt.

Meiner Meinung nach ist es ihr Schreibstil, der entscheidend ist, weniger der Inhalt.

Nina Louise

Ich erhöhe den Schwierigkeitsgrad auf etwas, was Autoren und Autorinnen nicht ganz selbst in der Hand haben:
den Titel und das Cover.

Wie viele schöne Bücher sind mir wohl schon durch die Lappen gegangen, weil das Cover so schrecklich war, dass ich es nicht mal geöffnet habe, um in irgendeine Seite reinzuschnuppern (das mache ich lieber als den Klappentext zu lesen), möchte ich gar nicht wissen.

Gerade im Fantasy-Genre sind Titel und Titelbilder häufig übelst verkitscht, dass es mich geradezu aus der Abteilung im Fachhandel/der Bibliothek heraustreibt.
Ich habe damit nicht immer recht - aber wenn keine Buchhändlerin des Vertrauens greifbar ist, die sagt "mach einfach den Schutzumschlag weg, der Inhalt ist gut", wird das nichts. Natürlich hatte ich auch schon genug Bücher in der Hand, wo mir das Cover gefallen hat, aber Klappentext und/oder Probeseite bitter enttäuschend waren. Doch die hatten es immerhin geschafft, meine Aufmerksamkeit zu erlangen.

Da machen wir uns stundenlang Gedanken über den allerersten Buchstaben auf dem Papier - doch das Erste, was ein potentieller Leser wahrnimmt, sind Verpackung und Titel.
(Ich hätte niemals Harry Potter gelesen, wenn mein Patenkind mir nicht einen vorgeschwärmt hätte. Und dann gab's irgendwann mal eine Ausgabe für Erwachsene. Sagt mir also nicht, dass das Verlags-Marketingwesen sowas nicht merkt.)
Fantastische Geschichten aus der Luftschlosserei.

Andersleser

Ich finde es ja immer spannend, wie unterschiedlich es ist, wieso man zu einem Buch greift. Oder ob man den Anfang nun wichtig findet oder nicht. Es gibt schon echt klasse Anfänge, oder welche die einfach witzig sind. In Witchghost z.B. besteht Kapitel 1 aus einem Satz mit 5 Worten. "Die Katze starrte mich an." Und das wars. Danach geht es auf der nächsten Seite bei Kapitel 2 weiter. Fand ich witzig und schräg. Es hat tatsächlich ausgereicht, dass ich weiterlesen wollte. Warum auch immer. Vermutlich weil es normalerweise nicht so gemacht wird? Es ist eben schon irgendwo ein Stilelement, oder ein "Stilbruch".

Im Buchladen achte ich nicht auf Autorennamen und das Cover ist mir auch egal. Gut, sind es meine liebsten Autoren, dann springt mir der Name schon ins Auge und ich sehe es mir dann natürlich auch an. Genau so, wenn mich zuvor AutorInnen begeistert haben und ich mir den Namen gemerkt habe, aber generell ist für mich bei einem Buch die Geschichte wichtig. Das Cover dagegen ist natürlich auf dem Tisch liegend ein Blickfang und zieht dort ausgestellt gerade dadurch an. Auch ich liebe schöne Cover und ein furchtbares kann durchaus abschreckend sein, aber wenn die Bücher im Regal stehen und ich nur den Rücken sehe, dann ist mir auch das Cover egal, weil ich beim rausziehen sofort die Rückseite lese und das Cover gar nicht beachte.

Klingt der Titel interessant, zieh ich das Buch aus dem Regal und lese den Klappentext. Ist hinten keiner drauf, dieser nicht gerade aussagekräftig oder aber ich bin mir nicht sicher, ob es mich anspricht, dann schau ich ob eine Innenklappe da ist (sofern es kein normales Taschenbuch ist). Ansonsten - oder zusätzlich - lese ich die erste Seite. Meist sagt mir aber der Klappentext schon genug. Im Laden achte ich z.B. auch nicht auf Neuerscheinungen oder Bestseller-Listen, oder was auch immer. Ich stöbere einfach. Im Online-Shopping hat das Cover aus meiner Sicht viel größere Wirkung. Aber das ist ja eh bei allen Menschen anders.

Um kurz bei Harry Potter zu bleiben:
Ich habe über die Jahre vier Anläufe gebraucht, um überhaupt bis zum Auftauchen von Hagrid zu kommen. So viel zu Anfängen.  :rofl:
Beim vierten Mal las ich dann alle Bücher hintereinander weg. Wenn der Anfang durch ist, wird es tatsächlich gut. Der erste Versuch mit 9 bis 10 Jahren, als damaliger Lesemuffel, war allerdings furchtbar. Denn ich finde den Anfang eher sehr langatmig und langweilig. Als Kind dazu noch extrem anstrengend. Umso spannender finde ich jetzt, was ihr darüber schreibt. Die Fragen tauchen ja tatsächlich auf.

Araluen

Im Laden hilft mir die erste Seite auch eher selten. Wie bei @Andersleser sind mir Autor und Cover relativ egal (ich bin ein Titelkäufer), außer es ist einer meiner Lieblingsautoren und/oder das Cover entspricht einem gewissen Schubladendesign. Ich habe nichts gegen Schubladendesign - wie zum Beispiel prominent ausgestellte Helme oder Waffen für Schlachtenfantasy (Heitz, Hennen... sowas) oder Hochglanzmodels in Ballkleid, die einem über die Schulter einen schmachtenden Blick zuwerfen für romantische Fantasy. Die erleichtern an der Stelle die Schnelleinschätzung, ob es sich überhaupt lohnt (ob die Schublade zu meinen Lesegewohnheiten passt), den Klappentext zu lesen. Wenn der Klappentext in seinen Eckpunkten dann spannend wirkt und das gewisse Extra andeutet, dann lese ich rein und zwar mittendrin. Ich schlage ganz bewusst irgendeine Seite auf. Dabei möchte ich mindestens einen Dialog lesen.

Aber die Welt hat sich ja bekanntlich weiter gedreht und die meisten Buchkäufe finden wohl im Internet statt. Hier ist es bei mir nun die Kombination aus Titel und Cover, die meine Auswahl beeinflusst. Klappentexte überfliege ich noch mehr als vorher schon. Dafür muss nun die Leseprobe so richtig überzeugen, auch weil ich zwar mittlerweile das Geld hätte auch mal einen Blindflug zu starten, mir dafür aber die Zeit zu kostbar ist und das Angebot auch einfach groß genug, und die besteht in der Regel aus den ersten Seiten.

Christoph Marzi ist für mich ein Meister der ersten Seite. Er schafft es sofort mich in seinen Bann zu ziehen. Wenn ich mir die ersten Sätze seiner Bücher anschaue, werde ich immer schwach vor Neid. Oft schafft er es sogar die Quintessenz der kompletten Geschichte in den ersten Satz zu packen - was man natürlich erst am Ende so richtig begreift.
ZitatDie Welt ist gierig und manchmal verschlingt sie kleine Kinder mit Haut und Haaren. Emily Laing erfuhr dies, bevor ihre Zeit gekommen war. - Christoph Marzi, "Lycidas"
Die meisten Lügen sind wahr und spinnen sich von ganz allein, kaum jemand kannte diese Wahrheit besser als Colin Darcy. - Christoph Marzi , "Fabula"
Alle Bücher träumen von Geschichten. - Christoph Marzi, "Mitternacht"
Wir waren nicht allein im Kino. - Christoph Marze, "Der letzte Film des Abraham Tenenbaum"

@Andersleser: Witchghost hätte ich nach der Leseprobe vermutlich auch mitgenommen :), einfach weil es mal was anderes ist.

Zu Harry Potter: Als Kind fand ich den Einstieg zäh und langatmig und diese ganzen Fragen hatten mich nur am Rande interessiert. Dank Klappentext wusste ich ja bereits, dass Harry ein Zauberer ist. Ich habe nur sehnsüchtig auf den Moment gewartet, an dem Harry endlich zur Zauberschule gehen durfte. Der Zauber der Geschichte begann für mich mit dem Erhalt des Briefes. Alles davor war für mich als Kind beim Lesen nur schwer erträglich (bis auf die Szene mit der Schlange, die fand ich schon immer cool). Dass dann auch noch die die Dursleys, die nicht nur unsympathisch sondern auch noch erwachsen sind, zu Beginn Perspektive hatten, war dabei noch das Schlimmste. Hätte ich den ersten Band nicht bereits im Ferienlager mittendrin angelesen (war ein Event bei uns auf dem  Zimmer), wäre ich nicht durchs erste Kapitel gekommen.

Graukranz

Zitat von: Andersleser am 27. Oktober 2021, 20:49:03
Um kurz bei Harry Potter zu bleiben:
Ich habe über die Jahre vier Anläufe gebraucht, um überhaupt bis zum Auftauchen von Hagrid zu kommen. So viel zu Anfängen.  :rofl:
Beim vierten Mal las ich dann alle Bücher hintereinander weg. Wenn der Anfang durch ist, wird es tatsächlich gut. Der erste Versuch mit 9 bis 10 Jahren, als damaliger Lesemuffel, war allerdings furchtbar. Denn ich finde den Anfang eher sehr langatmig und langweilig. Als Kind dazu noch extrem anstrengend. Umso spannender finde ich jetzt, was ihr darüber schreibt. Die Fragen tauchen ja tatsächlich auf.

Zitat von: Araluen am 28. Oktober 2021, 09:25:08
Alles davor war für mich als Kind beim Lesen nur schwer erträglich (bis auf die Szene mit der Schlange, die fand ich schon immer cool). Dass dann auch noch die die Dursleys, die nicht nur unsympathisch sondern auch noch erwachsen sind, zu Beginn Perspektive hatten, war dabei noch das Schlimmste.

Ich weiss nicht mehr, wie es bei mir war, ob ich als Kind den Anfang schwierig fand oder nicht. Wenn ich es jetzt aber wieder lese, finde ich eben genau wie ihr, dass dieser Anfang für Kinder eher langweilig ist, und dass kaum ein Kinderbuchautor so begonnen hätte.
Umso interessanter, dass die Bücher so ein Erfolg waren. Und wieder mal ein Beispiel dafür, dass man nicht allzu sehr auf Schreibratgeber hören sollte  ;)

Frostschimmer

Der Einstieg in ein Buch ist auf jeden Fall etwas, auf das der Autor besonders achten muss. Bei mir war das damals beim Herrn der Ringe ein unerträgliches Prozedere, den Einstieg zu lesen, es passierte gefühlt gar nichts, aber das auf zig Seiten. Zu Schulzeiten sollte ich einmal das Buch Deutschstunde von Siegfried Lenz lesen. Es war unmöglich, spätestens auf Seite 18 war ich vor Langeweile eingeschlafen. Da ich das Buch ja für den Unterricht kennen sollte, versuchte ich es dann mit dem Hörbuch, doch auch dabei konnte ich nicht wach bleiben, zäh und unerträglich. Aber selbst bei dem noch relativ neuen Film will die entsetzliche Langeweile nicht weichen, also kenne ich den Inhalt auch heute noch bloß aus Zusammenfassungen und von Wikipedia.
Grundsätzlich gebe ich einem Buch 50 Seiten, um mich zu packen, wenn mir der Schreibstil gefällt. Wenn ein Buch aber mit ellenlangen Landschaft- oder Umgebungsbeschreibungen beginnt, lege ich es wahrscheinlich zur Seite.

Nina Louise

Da stimme ich dir zu, @Frostschimmer.
Wenn es ein Buch in meine Hand geschafft hat, kriegt es auch eine faire Chance. Es gibt tatsächlich nur wenige, wo ich gestreikt habe. Mein innerer Monk kann sehr schlecht damit umgehen, nicht zu wissen, wie eine Geschichte ausgeht. "Der Zauberberg" gehört dazu. Und "Nachtzug nach Lissabon".

Der erste Absatz macht es für mich nicht aus. Selbst, wenn der "schlecht" ist, verzeihe ich ihm, wenn es danach gut wird. Oder - und das kann ja auch sein - wenn man sich aneinander gewöhnt hat. Den Rhythmus kennt und sich darauf eingestellt hat. Und dann ist er gar nicht schlecht, sondern eben nur eine Einstimmung in den Style des Buches.

Interessant ist natürlich die Zeitachse. Ich würde "Herr der Ringe" heute wahrscheinlich unerträglich finden (lassen wir die Verfilmung mal außen vor). Diese ewigen Seiten, wo sich z.B. die Helden darum streiten, wer welche Waffen mit den Thronsaal nehmen darf. Es gibt sogar eine Menge Bücher, die mir heute nicht mehr gefallen würden, würde ich sie noch einmal lesen - die Welt hat sich weitergedreht, die gesellschaftlichen und persönlichen Blickwinkel verändert.

Aber das ist ein eigenes Thema.
Fantastische Geschichten aus der Luftschlosserei.

NatNat

Ich finde es ja echt cool, wie stark sich wirklich unterscheidet, wonach ein Buch gekauft wird :rofl:

Ich zum Beispiel renne gezielt in die Abteilung, wo ich immer hinrenne (Fantasy und Erotik - manchmal auch Romantik, weil die Romantasys dort gerne stehen) und dann schaue ich, welcher Titel mich anspricht. Dann auf das Cover und den Klappentext. Spricht mich eines von Beiden an, schaue ich mal rein - nicht auf die erste Seite, sondern irgendwo inmitten des Buches. ;D
Wenn es das Buch nicht schafft, auf dieser wahllos aufgeschlagenen Seite innerhalb einer Seite mein Interesse zu wecken, landet es gleich wieder zurück im Regal. Wobei ich bei meinen Lieblingsautoren auch mal 2 Seiten Zeit gebe. ;D

Harry Potter wurde mir als Kind immer vorgelesen - vermutlich hätte ich den Anfang niemals durchgezogen, weil den wirklich langweilig fand.
Und Herr der Ringe ... Tolkien mag ein tolles Werk geschrieben haben ... aber ich hasse seine Art der Beschreibungen. Ich möchte nicht Seitenlang erfahren, wie eine Blume aussieht. Oder ein Haus. Oder eine Person. Deswegen ... hab ich es nie durchgezogen und weder die Filme, noch die Bücher bisher gelesen. Viel zu langatmig, finde ich. :rofl:

ZitatDer Einstieg in ein Buch ist auf jeden Fall etwas, auf das der Autor besonders achten muss

Scheint zu stimmen - mir ist der Einstieg wurscht, aber ich lese hier, dass echt viele darauf achten ... und auch Schreibratgeber sagen ja immer, man soll auf den Einstieg achten.

Felix Fabulus

Zitat von: Frostschimmer am 29. Oktober 2021, 13:58:46
Bei mir war das damals beim Herrn der Ringe ein unerträgliches Prozedere, den Einstieg zu lesen, es passierte gefühlt gar nichts, aber das auf zig Seiten.

Das ist der Klassiker unter den schwierigen Buchanfängen. HdR habe ich auch nur gelesen, weil er mir empfohlen wurde mit dem ausdrücklichen Hinweis, die ersten 100 Seiten seien todlangweilig. Ich war damals 13. Lustigerweise habe ich bis nach Bruchtal durchgehalten, dann aber das Buch noch einmal für ein Jahr beiseite gelegt. Erst danach habe ich es von A-Z durchgelesen. Zum Glück war das, bevor von einer Verfilmung die Rede war. Sonst hätte ich vielleicht gar nicht erst angefangen.

Zu Harry Potter: Ich fand Kapitel 1 genial. Für mich war das ein wichtiger Grund, dabeizubleiben. Die comichafte Überzeichnung (in diesem Falle des Spiessbürgertums) und die Ironie haben mich damals gepackt. Der Stil zieht sich ja durch alle Bände. Insofern wurde hier ein Versprechen abgegeben und gehalten.
Wortwebereien aus der Geschichtenmühle, gespeist vom Ideensee, der Fantasie und dem Bächlein Irrsinn.

Wintersturm

Ein paar haben hier ja schon angesetzt, dass der Anfang überschätzt wird. Ich möchte noch weiter gehen und sage, dass die ersten 100 Buchseiten praktisch geschenkt sind. Zugegeben, ich habe es als Leser immer so gemacht, dass ich jedes Buch, und sei der Anfang noch so schlecht, einfach durchgezogen habe, und bei etwa 2x2m Regalfläche voll mit Fantasy war genau eine Reihe dabei, wo ich hinterher sagen konnte: Ne, das war jetzt echt verschwendete Zeit und verschwendetes Geld.
Aber von der Geschichte gefesselt war ich praktisch nie am Anfang. Ebenso mit dem Kopfkino. Da war am Anfang nichts. Sowas ergibt sich eben erst mit der Zeit und wenn die Geschichte für sich es auf den ersten 100 Seiten schafft, den Leser zu packen, dann reicht das völlig aus. Am Ende kommt es einfach auf die Geschichte selbst an und ob der Autor die Geschichte ganz ordentlich in Worte fassen kann. Ich mache das so, dass ich einfach stur anfange zu schreiben, mich durch den Anfang quäle und erstmal das Buch zu Ende bringe. Oder den Teil der Reihe. Dann lese ich alles durch, fluche über mein Ungeschick am Anfang und wenn ich dann alles durchgelesen habe und genau meine Autorenstimme gerade durch den Kopf schwirrt, setze ich mit der Überarbeitung des Anfangs an. Am Ende kommt dann was bei rum, was durch die ganze Geschichte in etwa die gleiche Stimme hat und das reicht mir persönlich völlig aus.
Es dauert eben, in die Geschichte reinzukommen und in 100 Seiten sollte man es schon schaffen, die Handlung ins Rollen zu bekommen. Die erste Seite ist da so egal. Wenn die Handlung erst mal läuft und man keinen Schrott zusammenschreibt, dann passt das auch. Hätte ich jedes Buch, wo die erste Seite langweilig war, direkt dann weggelegt, hätte ich vermutlich nichts aus meinem Regal zu Ende gelesen. Das ist zumindest meine Lesersicht. Ich lege ja nicht einfach ein Buch weg, was ich bezahlt habe und was ne Weile gebraucht hat, um bei mir anzukommen. Nur weiß ich eben danach, ob der Autor was taugt und ich gerne mehr von ihm lese oder ob ich den auf die Liste setzen kann, von dem ich nichts lesen will, weil es langweilig ist.
Das einzige, wo ich es wirklich grenzwertig mit dem Anfang fand, war Herr der Ringe. Das hat sich gezogen ohne Ende und ich hab mich zu Tode gelangweilt, bis endlich mal Aragorn dazukam und etwas Schwung in die Sache kam. Witzigerweise hab ich das Silmarillion verschlungen. Aber sonst bin ich einfach mit dem Mindset an die Sache gegangen: Durch den Anfang musst du durch, aber mit der Zeit findest du dich (oder auch nicht) und dann passt das schon.