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Ein knackiger Anfang - der erste Absatz, die erste Seite

Begonnen von Coppelia, 10. Januar 2009, 07:43:08

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Nycra

Also ich weiß jetzt nicht mehr genau, wann und woher ich das gelernt habe, aber ich höre immer eine leise Stimme in meinem Unterbewusstsein, die mir sagt: Romane werden niemals mit wörtlicher Rede begonnen, bei Kurzgeschichten ist das egal. An diese Regel halte ich mich und soweit ich mich erinnere, hat auch kein einziger der Romane, die ich bisher gelesen habe, mit wörtlicher Rede begonnen. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Regel tatsächlich existiert und das Verlage bzw. Agenten darauf sicher ein Auge haben. Genau wissen kann ich das natürlich nicht.

Alana

@Nycra: Genau diese Stimme höre ich eben auch. Aber es kommt wohl wirklich dazu, dass der Anfang mir unnatürlich vorkommt. Ich werd mal versuchen, ihn zu ändern.
Alhambrana

Antonia Assmann

Mein aktueller Roman beginnt mit einem Dialog und liegt gerade bei ein paar Agenturen zur Begutachtung. Also wenn ich das vorher gelesen hätte, hätte ich den Anfang wohl ein wenig abgewandelt. Allerdings gefällt er mir, so, wie er ist immer noch sehr gut. Aber jetzt bin ich natürlich gerade am...  :versteck:

Berjosa

Ich überlege schon die ganze Zeit an Beispielen herum, weil ich sicher bin, dass ich solche Anfänge schon gelesen habe. Und siehe da, es gibt ziemlich langlebige Helden, die ihre Abenteuer mit wörtlicher Rede beginnen:

Zitat"Und ist es wirklich wahr, Sihdi, daß du ein Giaur bleiben willst, ein Ungläubiger, welcher verächtlicher ist als ein Hund, widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frißt?"
(Karl May, Durch die Wüste)

Der wirft auch noch mit komischen Wörtern um sich und verrät seinen Namen nicht. Dabei ist das der Beginn einer Serie und der allererste Auftritt der Figur.


Zitat"Jetzt haben wir den Salat!" sagte Lord Peter Wimsey.
(D. L. Sayers, Der Glocken Schlag; Ü: Otto Bayer)

Der hatte da schon ein, zwei Auftritte als Meisterdetekiv hinter sich, und strenggenommen steht darüber noch das übliche Zitat am Kapitelanfang, hier aus einer Abhandlung "On Change-Ringing".

Es geht also. Falls es eine Regel dagegen gibt, ist sie schon erfolgreich gebrochen worden.
In Alanas speziellem Fall könnte ich mir vorstellen, dass die wörtliche Rede ziemlich gut in die Situation am Anfang des Buches passt.
Und für Antonias Manuskript würde ich das mal als gutes Omen werten, wenn es ähnlich anfängt wie zwei Longseller.

Joel

Zwei weitere Beispiele für Romane, die mit direkter Rede anfangen:
Der erste Band vom "Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin.
Oder ein Beispiel aus dem deutschen Sprachraum: "Das Lächeln der Fortuna" von Rebecca Gablé.

Wenn ich jetzt in meinem Bücherregal weitersuchen würde, würde ich bestimmt auch noch auf etliche andere Romananfänge mit direkter Rede stoßen. Also ein absolutes No-Go ist es mit Sicherheit nicht, auch wenn ich es selbst vermutlich nicht machen würde, was aber bei meinen Projekten bisher auch immer daran gelegen hat, dass es einfach nicht gepasst hätte.

@ Alana: Wenn du das Gefühl hast, dass es für den Anfang passt, dann würde ich es stehen lassen und nicht versuchen, jetzt irgendeinen anderen Einstieg zu finden, von dem du vielleicht weniger überzeugt bist.
Was du natürlich auch versuchen könntest, sind verschiedene Anfänge für deinen Roman zu schreiben und dann am Ende zu schauen, welcher von ihnen sich für dich am "richtigsten" anfühlt.


Snöblumma

Nun, da wir Beispiele in jede Richtung haben, scheint ja wirklich beides zu funktionieren. Ich habe mir darüber ehrlich gesagt bis gestern noch keine Gedanken gemacht, weil ich die Anfänge meistens so schreibe, wie sie sich in meinem Kopfkino präsentieren.

Alana, wenn du selbst ein ungutes Gefühl hast, dann schau doch noch einmal genau, woran es liegt. Ich persönlich mag es ja, wenn die Kamera erst ein wenig Umgebung einfängt, ein paar Gerüche vielleicht, die generelle Stimmung (aber bitte nicht "It was a dark and windy night, when..." ;) ), ein paar flüchtige Impressionen, damit man sich zurechtfindet. Was empfindet deine Prota gerade? Riecht sie etwas besonderes? Sieht sie etwas ungewöhnliches? Ist alles genau wie immer? Auf welchem Bodenbelag läuft sie? Ist es kalt oder eher warm? Scheint die Sonne? Draußen? Drinnen? Nur ein paar dieser Impressionen, und dann noch eine kurze Wertung aus Sicht deiner Prota ("Leider konnte sie die Sonne nicht genießen.  "Direkte Rede"), und das könnte dein ungutes Gefühl vielleicht entschärfen?

Romy

#66
Zitat von: Joel am 27. März 2013, 13:35:50
Oder ein Beispiel aus dem deutschen Sprachraum: "Das Lächeln der Fortuna" von Rebecca Gablé.
Ah, gut das Du das Beispiel erwähnst. :D Ich hatte nämlich auch diffus an Rebecca Gablé gedacht, war bei meinem letztem Posting nur nicht in der Nähe des (Großteils) meiner Büchersammlung, um das zu überprüfen. Aber gerade eben habe ich nachgeblättert und alle Bücher, die ich von Rebecca Gablé besitze, beginnen mit Dialog. Also außer "Lächeln der Fortuna" wären das noch:

"Die Hüter der Rose"
"Die Siedler von Catan"
"Der König der Purpurnen Stadt" und
"Das Zweite Königreich"
Vielleicht kann noch mal jemand ihre übrigen Romane überprüfen, die ich nicht besitze. Würde mich mal interessieren, ob sie das vielleicht immer macht.

Und als ich dann zum erstbesten nächsten Buch in meinem Regal gegriffen habe, fand ich bei "Die Schattenmatrix" von Marion Zimmer Bradley ebenfalls gleich im ersten Satz Dialog.
Das nächste Buch, das ich von einem anderen Regalbrett wahllos gegriffen habe, war ein DSA Roman: "Aus dunkler Tiefe" von Barbara Büchner, beginnt ebenfalls mit Dialog. Ebenso wie ein weiterer DSA-Roman: "Das magische Erbe" von Christel Scheja.

Ich bin jetzt zu müde, meine gesamte Büchersammlung zu überprüfen, aber ehrlich: Wenn es da eine Regel geben sollte, im ersten Satz keinen Dialog zu verwenden, dann wurde die schon ziemlich häufig gebrochen. Von daher denke ich echt nicht, dass man da auf Teufel komm raus anders formulieren muss, wenn wörtliche Rede nun einmal gut passt. ;)


EDIT: Noch eins gefunden, das mit Dialog beginnt: "Das Vermächtlich der Anne Boleyn" von Robin Maxwell. Okay, Königin Elisabeth spricht. Die kennt man als an Historienromanen interessierter Mensch ja vermutlich. ;D Aber trotzdem. ;)
Jetzt hör ich aber wirklich auf zu suchen. Es ist spät und ich denke die vielen Beispiele sprechen für sich.

EDIT 2: Okay noch ein Letztes, dann ist aber wirklich Schluss: "Elfenwinter" von Bernhard Hennen und es beginnt auch noch mit einem klassischem "Köder-Satz".
Zitat"Sie werden versuchen, die Königin zu töten."

Coppelia

Was ich hier schreibe, ist auf niemanden hier bezogen, nur etwas, was mir bei Schreibratgebern und Schreibtipps schon länger auffällt und mich manchmal stört. Was einem eine Orientierung geben soll, wird oft zu einer Einschränkung der Möglichkeiten. Das ist häufig gar nicht die Schuld des Schreibratgebers selbst, sondern mehr der Effekt, der sich einstellt, wenn Dinge über mehrere Instanzen vermittelt werden (jemand erzählt jemanden, was jemand ihm erzählt hat, was er in einem Schreibratgeber gelesen hat). Dann entstehen durch die unvermeidliche Vereinfachung oder Zusammenfassung merkwürdige Regeln wie "nie das Passiv verwenden", "nie Adjektive verwenden", "nie den Roman mit direkter Rede beginnen" , "nie die Perspektive in einer Szene wechseln" usw. Wie gesagt, das lässt sich kaum vermeiden, und der Ursprung der Regel hat oft auch Sinn. Aber durch die Verabsolutierung werden manchmal Einschränkungen daraus.

Natürlich ist es klar, dass man sich, wenn man sich unsicher ist, wie man etwas anfangen soll, an Leuten orientiert, die offenbar mehr von dem verstehen als man selbst - vielleicht Sol Stein oder irgendeinen Bestsellerautor. Aber ich finde, man sollte sich selbst auch nicht zu sehr unterschätzen und durchaus darauf vertrauen, dass man entscheiden kann, was für eine Geschichte, zumal die eigene, richtig ist. 

Ich habe mir gerade den Anfang zu Plaschkas "Das Licht hinter den Wolken" durchgelesen. Ich finde den Text sehr schön. Aber unabhängig davon, wie ich ihn finde - er enthält immerzu Perspektivenwechsel von "personal" zu "allwissend". Ein No-Go nach den meisten Schreibratgebern. Trotzdem wurde das Buch verkauft und erscheint in einem großen Verlag. :)

Joel

Der Vollständigkeit halber: Rebecca Gablés "Das Spiel der Könige" - auch ein Einstieg mit direkter Rede. Scheint also tatsächlich eine Art "Markenzeichen" von ihr zu sein, wenn man genau hinschaut.

Ok, und nur ganz kurz, sonst führt das vermutlich zu weit vom eigentlichen Thema weg:
ZitatWas ich hier schreibe, ist auf niemanden hier bezogen, nur etwas, was mir bei Schreibratgebern und Schreibtipps schon länger auffällt und mich manchmal stört. Was einem eine Orientierung geben soll, wird oft zu einer Einschränkung der Möglichkeiten.
Das setzt natürlich voraus, dass man die Möglichkeiten auch kennt. Vor allem für einen Anfänger kann es aber vielleicht beruhigend sein, eine Art roten Faden zu haben, an dem er sich quasi entlanghangeln kann. Je mehr man sich dann mit der Materie auskennt, umso "freier" kann man sich natürlich auch mit diesen sogenannten Regeln aussetzen.

Zitat"nie Adjektive verwenden"
Ja, das ist eine von diesen Regeln. Ich verwende Adjektive sehr gerne, habe sie trotzdem sparsam und wohlüberlegt eingesetzt - und im Lektorat wurden sie mir dann doch fast alle rausgestrichen  ;)

Alana

#69
@Coppelia: Was Schreibratgeber angeht, sehe ich das genauso wie du. Alles sind ja mehr oder weniger Stilmittel, die man gut oder schlecht einsetzen kann. Deswegen ärgern mich pauschale Schreibtipps auch irgendwie immer und ich frage dann lieber hier, wenn ich mir bei etwas nicht sicher bin, und dann überlege ich, was ich mache.
Schreibratgeber sind für mich eher eine Art Inspirationsquelle, die mir zeigen, was man machen kann und wie.


Alhambrana

Churke

Zitat von: Coppelia am 30. März 2013, 07:35:52
"nie Adjektive verwenden"

Anfang von "Die Excalibur-Alternative", David Weber:
"Ein dämonischer Wind begrüßte das bleiche Tageslicht mit höllischem Wutgeheul."

Anfang von "Ehre unter Feinden", David Weber:
"Skipper, wir haben ein Problem."

Anfang von "Miles Vorkosigan", Lois McMaster Bujold:
"Ich bin zur Raumflotte abkommandiert!"

Anfang von "Borders of Infitity", Lois McMaster Bujold:
"Sie haben Besuch, Leutnant Vorkosigan."

Anfang von "Carnelians", Catherine Asaro:
"I'm already the most hated man in the universe", Jaibriol said. "Tell me something new."


Die machen das nicht immer so, aber manchmal halt schon.  :engel:




Robin

Ich denke überhaupt, dass man das nicht für alle Geschichten über einen Kamm bürsten kann. (Verzeiht diese ach so schreckliche Metapher. ;) )

Bei manchen Geschichten ist halt ein nüchterner Ton angebrachter, bei anderen muss man mehr verzieren. Manche vertragen es eher, wenn man weniger ins Detail geht, andere brauchen diese Details unbedingt, damit sie sich gänzlich erschließen. Schlussendlich ist Schreiben lernen ein ständiges Try & Error, und der Anfang wird immer am schwersten sein. Jedenfalls meinem Gefühl nach. :)
~Work in Progress~

Churke

Da mir das keine Ruhe gelassen hat, habe ich mal ein bisschen im Bücherregal gestöbert.

"Nein, Hauptmann. Ich denke nicht daran, Ihnen Platz zu machen!"
Jules Verne: Reise durch das Sonnensystem

"Carmen hält keine zwei Tage mehr aus."
Jack London: Der Sohn des Wolfs

"But you are going to marry him, Margaret?"
Edgar Wallace: The Gunner

"Eh bien, mon prince, Gênes et Lucques ne sont plus des apanages, als Erbgüter, de la famille Buonaparte."
Leon Tolstoi: Krieg und Frieden

"Also sie ham uns den Ferdinand erschlagen", sagte die Bedienerin zu Herrn Schwejk, der vor Jahren den Militärdienst quittiert hatte, nachdem er von der militärärztlichen Kommission endgültig für blöd erklärt worden war, und der sich nun durch den Verkauf von Hunden, häßlichen, schlechtrassigen Schäuslälern, ernährte, deren Stammbäume er fälschte.
Jaroslav Hasek: Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk

"In sternloser, düsterer Nacht wanderte ein Mann auf der ebenen Landstraße dahin, die, in einer Länge von zehn Kilometern die Rübenfelder schnurgerade durchschneidend, Marchiennes mit Montsou verbindet."
Emile Zola: Germinal


Solche Tipps aus Schreibratgebern sollte man nicht allzu ernst nehmen...

Debbie

#73
Vielleicht lest ihr einfach nur die falschen Ratgeber ... Nur ein Scherz!  ;)

Zitat"nie den Roman mit direkter Rede beginnen"

Hab ich noch nirgendwo gelesen (und ich habe schone einige von den Dingern verschlungen) - wo steht das denn??


Zitat"nie Adjektive verwenden"

Kenne ich auch nicht.  :hmhm?:  Ich kenne "so wenig Adverbien wie möglich verwenden", was für mich auch Sinn macht - außer da, wo sie konkret als Stilmittel eingesezt werden. Ich kenne auch "Mit Adjektiven sparsam umgehen" - es ist nämlich tatsächlich schöner (und liest sich besser), starke Verben (oder auch starke Substantive zu benutzen), als etwas, dass man in einem Wort auf den Punkt bringen kann, mit einem schwachen Verb/Substantiv zu benennen und es dafür noch mit ein bis zwei (oder vielleicht sogar noch mehr) Adjektiven/Adverbien zu "konkretisieren" ... Auch kenne ich den Vorschlag, lieber außergewöhnliche Adjektive und Adverbien zu verwenden. Und auch diesen Vorschlag finde ich aus stilistischer Sicht sehr hilfreich und wirkungsvoll.
Das jemand, der Ahnung hat und vom Fach ist, raten würde auf Adverbien und Adjektive zu verzichten, kann ich mir garnicht vorstellen. Das wäre stilistisch praktisch unmöglich, und würde den Text sehr unnatürlich und unrund wirken lassen.


ZitatDas ist häufig gar nicht die Schuld des Schreibratgebers selbst, sondern mehr der Effekt, der sich einstellt, wenn Dinge über mehrere Instanzen vermittelt werden (jemand erzählt jemanden, was jemand ihm erzählt hat, was er in einem Schreibratgeber gelesen hat) ... Aber durch die Verabsolutierung werden manchmal Einschränkungen daraus.

Genau das ist meiner Meinung nach das wirkliche Problem - nicht die Schreibratgeber sind schlecht, nur die Art der individuellen Wahrnehmung und Reflexion (sofern überhaupt vorhanden  :snicker:). Das ist wie mit Gerüchten, wo bei einem Autounfall aus vier Verletzten, vier Schwerverletzte und dann vier Tote werden. Differenzierung und Detailtreue gehen den meisten Leuten heutzutage einfach abhanden.  ::)


Edit:
ZitatSchreibratgeber sind für mich eher eine Art Inspirationsquelle, die mir zeigen, was man machen kann und wie.
Das würde ich so unterschreiben!  ;D Und vielleicht noch ein "... und auf was man achten sollte, wenn man für ein breites Publikum schreiben möchte und eine Veröffentlichung in einem großen Publikumsverlag anstrebt" hinzufügen.

Graukranz

Ich glaube, Anfänge, und vor allem der erste Satz, werden tendenziell überschätzt.
Wenn ich mir überlege, wie Leser im Buchladen vorgehen, lesen sie ja meist erst den Klappentext. Der weckt die Neugier auf die Geschichte. Dann lesen sie den Anfang, um zu sehen, ob ihnen der Stil gefällt. Das merkt man recht schnell, meistens schon nach dem ersten Absatz, maximal nach der ersten Seite, dann wird der Kaufentscheid getroffen.
Natürlich sollte der Anfang neugierig machen, aber ich glaube, das Wichtigste ist, dass er zur Geschichte passt, wie hier auch schon gesagt wurde. Dazu muss er nicht besonders spannend oder knackig sein.

Nehmen wir den ersten Satz von Harry Potter:
"Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar."

Dieser Satz sagt einem gleich, dass am Rest der Geschichte ganz bestimmt überhaupt nichts normal sein wird.
Danach erfahren wir ziemlich viel über die Dursleys, obwohl diese ja gar nicht Hauptfiguren der Geschichte sind. Wir verfolgen Mr. Dursley zur Arbeit, erfahren, was er denkt und über welche unwichtigen Dinge er sich aufregt, und man fragt sich, warum wir den Tag aus Sicht dieser anscheinend ziemlich unsympathischen Figur erleben.
Natürlich schwebt auch immer ein Geheimnis über dem Ganzen, etwas über die Potters, aber ich glaube trotzdem, die wenigsten Autoren hätten diesen Anfang gewählt (vor allem auch, wenn man die Zielgruppe bedenkt). Vielleicht hätten sie gezeigt, wie Hagrid Harry aus der Ruine rettet. Oder wie Dumbledore von Voldemorts Verschwinden erfährt. Oder sie hätten gleich mit dem zweiten Kapitel angefangen. Jedenfalls etwas, wo ein bisschen mehr passiert und wo Harry auch tatsächlich vorkommt. Das erste Kapitel fällt ja auch deswegen aus dem Rahmen, weil der Rest des Buches aus Sicht Harrys geschrieben ist. Harry selbst wird sogar erst auf der zweiten Seite erwähnt, und auch da nicht namentlich. Über die Hauptfigur erfährt man am Anfang eigentlich überhaupt nichts (ausser, dass die Dursleys nichts mit ihm zu tun haben wollen).

Bartimäus von Jonathan Stroud beginnt mit einer ziemlich langen Beschreibung. Das Buch habe ich zum ersten Mal mit 14 oder so gelesen, und damals haben mir solche Anfänge überhaupt nicht gefallen. Erst am Ende der ersten Seite kommt der Zwist, aber im Buchladen muss man ja erst mal so weit lesen.
Im Nachhinein passt der Anfang total, weil der Protagonist eben gerne quasselt, aber das merkt man erst, wenn man ein paar Seiten gelesen hat.

Children of Blood and Bone, Tomi Adeyemi: beginnt mit einer Prüfung. Für eine Fantasy-Geschichte ist das ja wirklich überhaupt nichts Originelles, und der Anfang hätte mich auch eher gelangweilt, wenn nicht diese eine Info über das schneeweisse Haar gewesen wäre. Damit hatte mich die Autorin am Haken. Warum hat sie schneeweisses Haar?

Die Seltsamen von Stefan Bachmann: die ersten paar Sätze finde ich nichts Besonderes, aber der Satz, der mich dann nicht mehr loslässt, ist: "Die meisten jedoch spannten ihre Regenschirme auf und widmeten sich weiter ihrem Tagewerk."
Der kommt aber erst im dritten Absatz.

Schlussendlich geht alles, wenn es passt und gut gemacht ist.