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Präsens oder Präteritum für "Zeitloses"?

Begonnen von Rynn, 01. Dezember 2011, 20:40:14

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Rynn

Huhu liebe Zirkler!

Ich schlage mich mit einem kleinen Problem herum, bei dem mein Sprachgefühl sich mit der Ästhetik prügelt; und wenn ich mir nicht bald Hilfe hole, könnte es blutig werden. ;D

Okay, es geht um einen Satz wie diesen:
Zitat(...) dort hing eine christliche Darstellung, die ich nicht kannte: ein Mann auf einem Pferd, der einen Drachen erstach.
Diese Formulierung klingt in meinen Ohren schöner. Aber ich hab irgendwie den Eindruck, es müsste so lauten:
Zitat(...) dort hing eine christliche Darstellung, die ich nicht kannte: ein Mann auf einem Pferd, der einen Drachen ersticht.
Denn immerhin existiert das Bild ja auch nach dem Ende der Geschichte weiter und, was ich noch wichtiger finde, die Darstellung als solche erscheint mir 'zeitlos' und als 'nicht in der Zeit der Geschichte verhaftet', 'nicht auf diese spezielle Darstellung beschränkt'.

Wofür würdet ihr euch entscheiden? Gibt es dafür möglicherweise sogar eine Regel, die ich nicht kenne? Oder mache ich aus ner Mücke nen Elefanten und man kann nehmen, was immer man möchte? :zensur:
»Dude, suckin' at something is the first step to being sorta good at something.« – Jake The Dog

Sanne

Hmm - ich würde trotzdem die erste Bezeichnung nehmen.

Begründung: Das Bild ist ja eine Geschichte, die mal passiert ist und im Nachhinein abgebildet wird.
Ob das nun aber richtig ist, weiß ich nicht.  :hmmm:

Mir gefällt es aber besser.  :versteck:

Runaway

Ich liefere dann gleich mal eine Gegenstimme ;D Wirklich Ahnung hab ich auch nicht und mir begegnet das Problem auch immer wieder. Ich schreib's dann immer in Version A, mache dann Version B und dann doch wieder A...
Ich würde aber die zweite, die Präsens-Version, nehmen, einfach weil der das da auf dieser Darstellung gerade tut. Ehrlich gesagt müßte ich es jetzt im Gesamtkontext sehen, denn ich glaub, ich würde das Präsens nehmen, wenn ich das, worum es da geht, betonen will. Ansonsten würde ich vielleicht das andere nehmen, um es nicht aus der Gesamt-Vergangenheit rausfallen zu lassen.
Ja, ich glaub, das ist meine Antwort. Wenn das, worum es da geht, betont werden soll, würde ich das Präsens nehmen. Gott, wie fundiert  :hmhm?:

Thaliope

Hmmm ... die meisten Sachen, die der Erzähler beschreibt, sind noch da, nachdem der Erzähler wieder gegangen ist. Das alleine reicht fürs "Zeitlose" nicht aus. Du würdest ja auch nicht sagen:

Ich ritt über die Anhöhe, auf der ein Olivenbaum steht.

(Außer vielleicht, er nimmt in der Gegenwart auf genau diesen Baum Bezug, der immer noch da steht, aber das wäre ein Spezialfall.)
Ich würde sagen, du solltest in der erzählten Zeit bleiben. Ins Präsens wechseln würde ich höchstens bei allgemeingültigen, wirklich zeitlosen Aussagen (von denen mir jetzt natürlich keine einfällt ... sowas wie "Wie Männer nun mal so sind" zB).

Gegen Danis Gegenstimme: Aus Sicht des Erzählers trifft das "es gerade tun" ja auf alles zu, und die gewählte Erzählzeit ist eben das Präteritum.   

LG
Thali

Runaway

Bei dem Baum gebe ich dir recht, denn der tut einfach nichts. Das ist für mich keine Aktion. In dem Beispielsatz ging es mir darum, daß die Zeit diese Aktion betonen könnte. Aber nicht müßte. Ach, ich weiß es doch auch nicht. *Rynn die Hand reich*

Rynn

#5
Schon mal ein Danke für eure Meinungen!

Zitat von: Thaliope am 01. Dezember 2011, 20:55:21
Hmmm ... die meisten Sachen, die der Erzähler beschreibt, sind noch da, nachdem der Erzähler wieder gegangen ist. Das alleine reicht fürs "Zeitlose" nicht aus. Du würdest ja auch nicht sagen:

Ich ritt über die Anhöhe, auf der ein Olivenbaum steht.
Das ist allerdings auf jeden Fall ein sehr gutes Argument, da hast du natürlich recht!
Ich habe nur irgendwie dieses Gefühl im Bauch, dass sich das bei Bildern anders verhalten könnte.

@Dani
Ich kann das ja mal ein wenig konkretisieren: Aktuell habe ich zwei solcher Szenen, in der die Erzählerin etwas über die Bilder an der Wand sagt; sie erkennt sie nicht, aber Leser mit einem kleineren oder größeren Bibelhintergrund (okay, für die oben zitierte Stelle braucht man ein größeres Wissen, der Dargestellte ist Georg, einer der vierzehn Nothelfer) wissen, was meine Erzählerin sieht. Ich hätte vielleicht besser die andere Stelle als Beispiel genommen, denn da sieht sie zum Beispiel ein Bild, das das Gleichnis des barmherzigen Samariters darstellt (das wird dann unterschwellig in der Szene thematisiert, sozusagen, um mal die Wichtigkeit der Erwähnung zu beantworten).
ZitatIhr Blick wanderte (...)  über die verblichenen Bilder an den Wänden (...): ein Mann, der einen Verletzten am Straßenrand versorgt, ein Bauer, der etwas aussät, Männer, die ein riesiges Fischnetz auswerfen.
Und ich habe (ich schiebe mal meiner Beschäftigung mit Bildtheorie im Rahmen meines Studiums den schwarzen Peter zu) immer dieses Gefühl, dass solche Darstellungen eigentlich nur Abbilder einer zeitlosen Vorstellung sind ... kann man das nachvollziehen? :gähn:

@Sanne
Hehe, ja, am Ende muss man wohl das nehmen, was besser klingt ... ;D
»Dude, suckin' at something is the first step to being sorta good at something.« – Jake The Dog

Thaliope

@Rynn: Hm, jetzt bin ich mir auch nicht mehr ganz so sicher ... Deine letztgenannten Beispiele wirken auf mich wie Stereotype, die dem Zeitlosen schon sehr nahe kommen. Da würde ich das Präsens akzeptieren.
In den meisten anderen Fällen wäre für mich ausschlaggebend, dass die Bilder durch die Wahrnehmung des Perspektivträgers gefiltert sind und deshalb in dessen Zeit gehören, also in die Vergangenheit.

LG
Thali

Runaway

Find ich richtig, wie du das gemacht hast. Hätte ich auch so gemacht. Und Thalis Erklärung ist in dem Zusammenhang sehr schlüssig.

Nirathina

Ich berufe mich jetzt mal auf das, was ich noch bis vor ein paar Monaten im Deutsch-LK eingetrichtert bekommen habe  :engel:

Wir reden hier von einer zeitlosen Darstellung. Zeitlos - das ist der Knackpunkt.

Sowohl Variante A, also Erzählzeit Präteritum mit Präsens-Beschreibung, als auch Variante B, Präteritum+Präteritum, sind möglich. Variante A ist deshalb möglich, weil du eine Darstellung beschreibst, die noch weiter existieren soll. Wäre diese Darstellung halb zerstört und man erkennt nur noch ansatzweise, was dort einmal dargestellt gewesen ist, dann müsstest du Präteritum nehmen.
Variante B funktioniert, weil du die Darstellung der Perspektive deines Charakters anpasst.

Kurzum: Du hast die Qual der Wahl  ;D

Lomax

Du solltest da nicht zu viel über die Zeitform nachgrübeln und darüber, was jetzt angemessen wäre, um die "tatsächliche" zeitliche Einordnung widerzugeben. Ich zitier mich mal selbst aus einem älteren Thread:
ZitatWenn du beispielsweise im Fließtext Präteritum (Imperfekt) verwendest, dann handelt es sich im Allgemeinen um das "erzählerische Präteritum", das keine echte Aussage über die Zeit des erzählten Geschehens beinhaltet, sondern diese irgendwie "in der Schwebe" lässt.
Also, das "epische Präteritum" ist keine Vergangenheit, sondern an sich schon "zeitlos". Es ist einfach nur die grammatische Form, in der du deinen Text erzählst, und gibt keine Aussage darüber, ob und wann das je passiert ist - dementsprechend kannst du natürlich auch Variante A verwenden, ohne dass du die Existenz des Bildes damit in die Vergangenheit verlegst. ;)

Rynn

#10
Noch mal danke für eure Anmerkungen!

@Thaliope & Dani
Genau ungefähr so habe ich mir das nämlich vorgestellt. Thaliopes Erklärung hat da meine Überlegungen wirklich ziemlich gut getroffen.

@Nirathina
Ui, sowas macht ihr im Deutsch LK? Das grenzt ja schon an Schreibseminar. ;D Vielen Dank für die Klärung, dann weiß ich wenigstens, woher dieses Gefühl kommt, ständig zwischen beiden Möglichkeiten zu schwanken, wenn beide möglich sind.

@Lomax
Hmm, das klingt allerdings logisch und direkt wie die passende Begründung für Nirathinas Anmerkung. Danke. :)
»Dude, suckin' at something is the first step to being sorta good at something.« – Jake The Dog

Siara

#11
Meine Frage schiebe ich mal eben hier mit rein, weil sie in eine sehr ähnliche Richtung geht. Allerdings betrifft sie nicht das materiell-Zeitlose, sondern verallgemeinernde Aussagen. Immer wieder frage ich mich, welches Tempus für grundsätzliche Begebenheiten verwendet werden sollte. Eigentlich schreibe ich im Präteritum.

Ein Beispielsatz, die aktuelle Version:
ZitatMacht zählt zu den Dingen, die ihrem öffentlichen Bild widersprechen, anstatt ihm gerecht zu werden.

Oder die Alternative:

ZitatMacht zählte zu den Dingen, die ihrem öffentlichen Bild widersprachen, anstatt ihm gerecht zu werden.

Dies ist eine gedankliche Feststellung eines POVs, die er aber eben als Grundsatz auffasst. Einerseits stolpere ich beim Lesen immer wieder über den Übergang zwischen Präteritum zu Präsens. (In diesem Fall nicht ganz so fatal, da der oben genannte Satz der Beginn eines Kapitels ist). Andererseits klingt die Aussage aber im Präteritum zu abgeschlossen, was sie nicht ist, da sie eine zeitlose Gesetzmäßigkeit ausdrücken soll. Sie trifft nicht allein innerhalb der Anderswelt zu genau der Zeit zu, sondern ist universell gültig. (Jedenfalls in den Augen des POVs).

Also, was meint ihr? Danke für jegliche Meinungen dazu. ;D
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Fynja

Meines Wissens nach trifft auch da das zu, was Nirathina und Lomax zur vorherigen Diskussion gesagt haben. Also, dass rein grammatisch beides möglich wäre, wenn man die erste Variante als allgemeinen (wenn auch subjektiven) Grundsatz ansieht. Mir selbst würde allerdings die zweite Variante besser gefallen, eben weil du das Präteritum als Erzählzeit gewählt hast (und diese Zeitform in dem Fall, wie Lomax angemerkt hat, nicht unbedingt die endgültige Vergangenheit darstellt) und weil ich als Leser wohl kurz stocken würde, wenn die Zeitform so abrupt ändert. Aber falsch wäre die erste Variante, wie gesagt, meiner Auffassung nach nicht.

HauntingWitch

Ich finde es besser, wenn zeitlose Dinge im Präsens stehen. Ob das Orte sind, die immer noch existieren, oder Grundsatzgedanken, ich finde, das Präsens schafft mehr Nähe zum Leser. Man bekommt das Gefühl, in einer Welt zu sein, die noch ist, wirklich so existiert und in der gewisse Dinge (immer noch) aktuell sind. Völlig egal, ob ein Buch in der realen oder einer fiktiven Welt spielt, das Präsens bei solchen Sachen verstärkt dieses Gefühl, dass die Buchwelt tatsächlich existiert oder existieren könnte. Daher würde ich das bevorzugen.

Debbie

Also für mich gibt es da nur Variante 2 - einfach weil das Präteritum ja die "Jetztzeit" deiner Geschichte ist und manche allgemeinen Feststellungen sich eben nur auf diesen Roman, die Figuren oder diese Welt erstrecken. Aber ich sehe das aus einem eher mathematisch-grammatikalischen Blickwinkel. Das kommt vom jahrelangen Nachhilfegeben in englischer und deutscher Grammatik.

Baut jemand bei sowas einen Präsenssatz mitten in eine Präteritumgeschichte, finde ich es zudem sehr unschön und störend, was die Sprachharmonie und den Lesefluss angeht.