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Wandel der Sprache innerhalb der Geschichte?

Begonnen von Cavenaught, 07. November 2014, 11:02:00

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Cavenaught

Es geht um folgendes: in vielen - oder den meisten - Fantasy Settings spielt die Sprache eine wichtige Rolle für die Atmosphäre. In einer Welt, die ich gerade entwerfe, gibt es die Adeligen, die in einer, ich nenne es mal gehobenen Sprache, miteinander umgehen, und die ,,einfachen" Leute wie Söldner, Diebe, Bauern etc, die ohne auf Etikette zu achten miteinander sprechen.

Ein Beispiel: Wenn nun ein Adeliger zu jemandem sagt ,,Mein werter Herr, mich dünkt, Ihr redet wirr" würde es bei den einfachen Leuten eher ,,Freundchen, du redest vielleicht einen Scheiss" lauten, da diese im Umgang untereinander wesentlicher rauer sind.

Wenn nun dieser Adelige aus welchen Gründen auch immer eine sehr lange Zeit mit diesen Leuten verbringt, würde sich seine Ausdrucksform nach und nach verändern, auch wenn er lange Zeit versucht, sich dagegen zu sträuben und seine anerzogenen Manieren aufrecht zu erhalten? Würde die Figur durch diesen Wandel ihre Glaubwürdigkeit verlieren oder gar die ganze Atmosphäre der Geschichte negativ beeinflusst werden? Oder würde es eher eine Charakterentwicklung bzw –wandlung darstellen?

Das ganze Drumherum befindet sich noch in der Entwicklung, mir geht es vorerst nur um den Konflikt dieser Figur. Behält er, ungeachtet jedweder möglicher Konsequenzen, seinen Stolz und die Erziehung bei oder passt er sich den neuen Umständen an? Und wie leicht bzw schwer würde es ihm fallen, zwischen diesen Ausdrucksformen zu wechseln oder gar wieder in die gehobene Sprache zurück zu finden, nachdem er eine sehr lange Zeit bei den "einfachen" Menschen gelebt hat?

Ich danke euch jetzt schon für Meinungen, Vorschläge und Kritik  :)

Thaliope

Hallo Cavenaught,

ich würde sagen, das hängt ganz von deiner Figur ab. Es gibt Charaktere, die würden sich eher anpassen, andere behalten ihrer Erziehung länger aufrecht. Der eine möchte in seiner Umgebung nicht auffallen, der andere sich um jeden Preis abheben. Prinzipiell wären für mich also alle Szenarien denkbar und plausibel.

Wenn du weißt, wer deine Figur ist und wie sehr sie sich mit ihrer Herkunft identifiziert, wirst du vermutlich automatisch wissen, ob und unter welchen Umständen sie ihre sprachlichen Gepflogenheiten aufgibt.

(Ich stell es mir gerade so lustig vor, wie er erst gehoben spricht, und dann, wenn ihn die anderen fragend angucken, es noch einmal fürs einfache Volk übersetzt. "Mich dünkt, ich verspürte ein Bedrüfnis der Natur." Große Augen. "Ich muss aufn Donnerbalken, verdammt." Aber das nur ganz am Rande)

Nuya

Äh, ja schade - ich wollte genau das schreiben, was Thali schon geschrieben hat. ;D

Anpassung halte ich für authentisch, das kann allerdings Zeit in Anspruch nehmen. Genauso, sich wieder zurück-anzupassen, wenn man das Umfeld wieder verändert. :)

Pygmalion

Sehe ich wie Thaliope.

Gerade durch Sprache fällt man auf und wenn er in einer Söldnerbande weiterhin so abgehobenn redet, könnte ihm das durchaus negativ ausgelegt werden und er wird komisch angeguckt. Da ist es ein einfacherer und gangbarer Weg, sich sprachlich etwas anzupassen und mit dem Pöbel zu laufen. Über Sprache identifiziert man sich miteinander und als gleichberechtigter Teil der Gruppe wird er sich der gleichen Sprache bedienen (müssen). Anders würde es sich vielleicht verhalten, wenn er der Chef ist (z.B. einer Söldnergruppe), da könnte er sich durchaus durch seine adelige Sprache abheben (bewusst) und so auch bei Verhandlungen mit Auftraggebern mehr auf Augenhöhe kommunizieren.

Churke

Zitat von: Cavenaught am 07. November 2014, 11:02:00
Behält er, ungeachtet jedweder möglicher Konsequenzen, seinen Stolz und die Erziehung bei oder passt er sich den neuen Umständen an? Und wie leicht bzw schwer würde es ihm fallen, zwischen diesen Ausdrucksformen zu wechseln oder gar wieder in die gehobene Sprache zurück zu finden, nachdem er eine sehr lange Zeit bei den "einfachen" Menschen gelebt hat?

Ich glaube, Thaliope und Pygmalion geht zu sehr von heutigen Verhältnissen aus. Das Anpassen an das soziale Umfeld ist eine moderne Entwicklung.

In einer standesdünkelnden Gesellschaft zeigt man mit der Sprache an, wo man steht. Ich würde sogar erwarten, dass der Adelige ganz bewusst versucht, sich sprachlich von den Bauern abzugrenzen. Nur Bauern reden wie Bauern!

Die Sache wäre anders, wenn der Sprachunterschied so groß ist, dass er nicht mehr verstanden wird. Wenn der Adelige also Flektionen spricht und Wörter, Grammatik und Zeitformen verwendet, bei denen die Bauern nicht mehr mitkommen UND er darauf angewiesen ist, dass die Bauern ihn verstehen - weil er etwas von ihnen will.
So etwas setzt aber eine jahrhundertelange Sprachtrennung voraus und ist in einem Roman nur sehr schwer darzustellen.

Golden

Zitat von: Churke am 07. November 2014, 12:38:46
In einer standesdünkelnden Gesellschaft zeigt man mit der Sprache an, wo man steht. Ich würde sogar erwarten, dass der Adelige ganz bewusst versucht, sich sprachlich von den Bauern abzugrenzen. Nur Bauern reden wie Bauern!

Die Sache wäre anders, wenn der Sprachunterschied so groß ist, dass er nicht mehr verstanden wird. Wenn der Adelige also Flektionen spricht und Wörter, Grammatik und Zeitformen verwendet, bei denen die Bauern nicht mehr mitkommen UND er darauf angewiesen ist, dass die Bauern ihn verstehen - weil er etwas von ihnen will.
So etwas setzt aber eine jahrhundertelange Sprachtrennung voraus und ist in einem Roman nur sehr schwer darzustellen.
Außer es ist gewollt -> Rotwelsch (aber in dem Fall soll es ja auch die Identifizierung von Kollegen vereinfachen)

@Cavenaught: Ich finde Veränderungen und Anpassungen auch authentisch. Wobei man auch einen schönen Kontrast setzen kann, wenn eine Person der Gruppe total herausfällt (der Magier/Gebildete im Ganovenlager :-D).

Pestillenzia

Ich schließe mich Thalis und zum Teil auch Churkes Posts an. Glaubwürdig ist das, was zu deiner Figur passt. Jemand, der voller Standesdünkel ist, wird lieber Nachteile in Kauf nehmen, als sich (sprachlich) auf eine Ebene mit dem niedrigen/gemeinen Volk zu begeben. Zumindest so lange, bis die Nachteile überwiegen.

Jemand, der von Haus aus liberaler ist, wird damit weniger Probleme haben.

Pygmalion

ZitatIch glaube, Thaliope und Pygmalion geht zu sehr von heutigen Verhältnissen aus. Das Anpassen an das soziale Umfeld ist eine moderne Entwicklung.

Also, Anpassung an das soziale Umfeld ist nicht wirklich modern, finde ich. Das kann man sehr anschaulich an der Assimilation der slawischen Bevölkerung im heutigen Norddeutschland sehen. Nachdem das Gebiet unter die Herrschaft deutschsprachiger Fürsten gelangte und der Landesausbau massiv durch deutsche Siedler gefördert wurde, war es ein Nachteil, Slawe zu sein. Deswegen haben sie (natürlich in einem längeren Prozess) sich vollständig assimiliert. Gerade für den Adel gilt das, da der sich den neuen Bedingungen anpassen musste, um auf seiner Position bleiben zu können (religiös, rechtlich wie auch sprachlich, wobei wir hier natürlich von einer ganz anderen Sprache reden und die Verständigung wohl gelitten hat). Das scheint in den höheren Bevölkerungsschichten auch sehr schnell von statten gegangen zu sein. Man war also auch hier durchaus freiwillig dazu bereit, seine ganze Kultur aufzugeben, um keine ökonomischen Nachteile zu erleiden und seinen Status zu erhalten.

Es wird ja einen Grund dafür geben, dass dieser Adelige unter Bauern, Tagelöhnern, was auch immer lebt, deswegen erscheint es mir so, als sei er auf die Akzeptanz dieser Gesellschaftsschicht angewiesen. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch der besterzogenste Adlige nach "einer sehr langen Zeit" mit derbe sprechenden Menschen zumindest einen Teil von deren Ausdrucksweise übernimmt. Wer lange als Bauer lebt, verändert vermutlich auch seine Selbstwahrnehmung.

Cavenaught

Ich danke euch für die Denkanstöße, Anregungen und Erklärungen. Es hilft mir, die Figur weiter auszuarbeiten. Entweder, er wird gezwungen sein, sich anzupassen, oder aber er findet mit der Zeit selbst Gefallen an seinem neuen Leben, was allerdings einen sehr nachvollziehbaren Handlungsstrang erfordert. Mal sehen, ob ich das hinkriege. :)

canis lupus niger

Anpassung war schon immer eine soziale Notwendigkeit. Ebenso, wie eine Person mit vornehmerer Herkunft in einer Gruppe einfacherer Leute unangenehm auffallen würde, würde ein "Underdog" in einer feinen Gesellschaft extrem anecken. Ob und wie sehr die jeweilige Person das absichtlich oder unabsichtlich tut, bzw. verweigert kann ein sehr wertvolles Mittel zum Vermitteln seines/ihres jeweiligen Charakters sein. Das haben viele namhafte Autoren in vielen Büchern bereits verwendet.

Ein bewusst denkender und handelnder Mensch könnte sich zum Beispiel seiner Umgebung notwendigerweise in der Sprache anpassen, aber bei der Rückkehr genauso wieder in seine alte Sprache und seine früheren Lebensgewohnheiten  zurück verfallen. Je nachdem, wie gut ihm das gelingt und wie sehr seine jeweilige Umgebung ihn dabei unterstützt (oder ihn deswegen ausgrenzt), können sich die sozialen Probleme der Geschichte gestalten.

Cavenaught

Hallo,
ich habe alles noch einmal wirken lassen und nun drei mögliche Szenarien, warum er sich mit der Sprache beschäftigen muss.

1. Aus einer Sauflaune heraus wetten Freunde mit ihm, dass er in den unteren Schichten nicht zurechtkommt und er gibt sich Mühe, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Er passt sich an, um nicht aufzufallen, was ihm zu Beginn schwer fällt, aber dann neben den ganzen abwertenden Vorurteilen auch die Herzlichkeit und die Zusammengehörigkeit dieser "Unterschicht" erkennt und sich zunehmend wohler fühlt.

2. Er wird nach einer durchzechten Nacht einfach "vergessen", wacht bei den einfachen Leuten auf und als er zurück in sein normales Leben will, scheint ihn niemand mehr zu kennen und zweifeln an seiner Person (Eine Intrige im Hintergrund ist der Auslöser, andere Adelige wollen ihn loswerden, weil er sich politisch engagiert, um den einfachen Leuten mehr Rechte zu gewähren). Er passt sich also an, schmiedet Pläne für seine Rückkehr und überlegt wie er beweisen kann, wer hinter der Sache steckt, und verbündet sich auf diese Weise mit den Leuten.

3. Er wird entführt und gefangen gehalten, muss die schriftlichen Forderungen für die Verhandlungen verfassen und befasst sich dadurch mit der Sprache.

Mein Grundgedanke war ja, eine nachvollziehbare Wandlung der Sprache darzustellen. Welche dieser Möglichkeiten würde am ehesten sinnvoll erscheinen?

Grüße
Cave

Feather

Müsste ich wählen würde ich mich für deine erste Möglichkeit entscheiden, da sie für mich am ehesten plausibel erscheint.

Ich hätte jedoch noch eine andere Idee, die ich gern in den Raum werfen würde.

Ein Umzug.
Vielleicht in ein Gebiet in dem die Hirachien nicht so hoch gesteckt sind. Einfach weil die Bewohner dort nicht so großen Wert auf diese Unterteilung legen und anders mit ihren Untergebenen umgehen.
Da diese extreme Abgrenzung der Sprache hat mich in diesem Zusammenhang etwas mit "Herabbehandlung" zu tun. Sie wollen nicht so einfältig daher reden wie ihre untergebenen Bauern.

Oder aber er passt sich an, da er der normalen Sprache der Bauern dauerhaft ausgesetzt ist. Einfach weil es dort nicht so viele Adlige gibt, unter die er sich mischen kann. Und zwangsläufig ihre Sprachlichen Eigenheiten annimmt. Wenn auch nur zu einem gewissen Teil.

Wenn er nach einer gewissen Zeit dann wieder auf einen Adligen seiner Sparte trifft und peinlich darauf angesprochen wird, kann er sich vielleicht anfangen seine Sprache genau zu analysieren, was er da eigentlich von sich gibt, ohne groß vorher darüber nachgedacht zu haben.

Wenn man einen Dialekt spricht verhält es sich ähnlich, egal wie sehr man auch an den manchmal komisch abgehakten Worten hängt, zwangsläufig verändert man diese, einfach um verstanden zu werden. Ich habe es an eigenem Leib erfahren müssen. Allein an dem Beispiel -wa? Diese einfache Nachfrage, ob der Gegenüber etwas verstanden hat, oder aber wenn man seine positive Zustimmung erhalten wollte, ist einfach nicht verstanden worden. Ich musste es entweder ganz weg lassen, ein oder einfügen, oder aber ein -woll hinten an stellen (das mir nicht wirklich gefällt und daher von mir konsequent ignoriert wird).

Soviel dazu, wa?

Churke

Noch eine Option: ein Führer.
Es gab immer Leute, die sich unters gemeine Volk gemischt haben.
Manche, weil sie sich dort wohl fühlten (z.B. Heinrich IV. von Frankreich). Andere, weil sie ihr Ikognito lustig fanden. Zu letzteren gehörte übrigens auch Nero, der in Kneipen gerne Schlägereien anzettelte.

Wenn deine Figur einem anderen Adligen begegnet, der das Inkognito propagiert ("Merkt auf, Ich spreche jetzt wie ein Bauer!") der vielleicht sogar höheren Ranges ist, könnte ihn dieser dazu verleiten, Geschmack an der Sache zu finden.
Wenn Nero sagt "Komm, wir mischen eine Kneipe auf!", dann sagt man doch nicht nein und lacht immer, wenn der Kaiser auch lacht.. 

Pygmalion

Zitat3. Er wird entführt und gefangen gehalten, muss die schriftlichen Forderungen für die Verhandlungen verfassen und befasst sich dadurch mit der Sprache.

Diese Möglichkeit würde ich nicht benutzen... 1. Dauert das viel zu lange, seine Sprachgewohnheiten zu verändern, 2. ist es unglaubwürdig, dass Bauern schreiben können in dem Setting und 3. richtet sich ja das Lösegeldschreiben wiederum an die anderen Adeligen.

Mir fällt auch noch eine Möglichkeit ein: Er muss sich verstecken, sei es, weil er Parteigänger eines rebellischen Herzogs oder Usurpators war und dieser den Krieg verloren hat oder weil er aus irgendeinem anderen Grund in Ungnade gefallen ist (Königstochter geschnackselt, aber viel zu unbedeutend um als Ehemann in Frage zu kommen). Da wäre die Anpassung sogar essentiell, um nicht zu auffällig zu werden.

Cavenaught

Vielen Dank euch allen, ihr habt mir erneut einige Denkanstöße gegeben. Sich unter das Volk zu mischen ist wirklich ein interessanter Aspekt. Obwohl mir die Flucht vor dem mordlüsternen Vater eines Mädchens auch gut gefällt. Hach, da werden Erinnerungen wach  ;D

Jetzt habe ich einige Aspekte, an denen ich arbeiten und schleifen kann.  :jau:
"Wohl an denn, eilends die Feder gezückt und die gedanklichen Ergüsse auf das erhabene Pergament gebannt" - oder einfach "Ich schreib dann mal"  :D

Grüße
Cave