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Bereichernde Irrtümer

Begonnen von Wave, 03. Oktober 2014, 11:58:11

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Wave

Liebe Tintenzirkler,

früher – als ich noch als Teufelchen in der Hölle weilte – agierte ich anfänglich als eifrige Verfechterin so genannter aktiver Verben, obgleich ich diesen Ausdruck noch nicht einmal kannte ;).
Ich stürzte mich also, frisch angekommen, mit meiner allerersten Röstgabel auf meine ersten Opfer im Sinne der Eliminierung aller "hatte/n",  "war/en"  & Co. Oh, und wie wurde  ;D ich fündig!
*piek, piek, piiiiiiiiiiek, rupf*.
Ständig wies ich mit meinem Dreizack auf dieses "war" und jenes "hatte", bezeichnete sie unterschiedslos als schwach und schlabbrig, sprach ihnen jegliche Substanz und fast schon ihre Daseinsberechtigung generell ab.
Und in vielen Fällen passte diese Vorgehensweise sogar. Es passte so häufig, dass es sich bei mir als Regel einschlich und ich nicht mehr weiter darüber nachdachte ...

Eines Tages saß ich röst- und rupfbereit wieder vor einem Text – hach, schon wieder alle die schwachen Verben – machte Vorschläge, wie aus den schwachen starke Verben werden konnte und – ich weiß nicht mehr, ob ich damals die Röstung nachträglich zurückgezogen habe oder ob es mir noch währenddessen klar wurde: Als ich mir selber diesen Text mit meinen Änderungsvorschlägen nochmal durchlas, sprang er mir so eigenartig entgegen, sprang er mich so eigenartig an, dass ich zuerst gar nicht wusste, wo das Problem war – aber irgendetwas stimmte jedenfalls nicht.
In meiner Verwirrung dachte ich mir, ok, setzt Du alles zurück auf den alten Stand und fängst nochmal von vorne an. Verb um Verb zurückgesetzt, Verb um Verb  hatte ich weniger das Gefühl, dass der Text mich anschrie und – so – ganz – allmählich – dämmerte es mir ...

Ich hatte hier eine andere Art eines Textes vorliegen, wobei es mir da weniger um Gattung und Genre geht als um Atmosphäre und Stimmung, eng verwoben mit Struktur und Inhalt. Es war eine so feine, scheinbar leichte Atmosphäre an der Oberfläche verbunden mit einer tiefen inneren Schwere im Hintergrund als Gegenspieler. Und hier machte es plötzlich einen Sinn, dass diese Verben an der Oberfläche blass waren – blass, aber keinesfalls substanzlos. Ruhig und still – aber keinesfalls schwach. Im Gegenteil, sie unterstützten den gesamten Inhalt und Sinngehalt des Textes. Hier hatten meine kräftigen Verben einfach wie ein Elefant im Porzellanladen gewirkt: Die ganze Stimmung, die ganze Atmosphäre, der ganze Sinn war zerschlagen.

Nun, für mich war dies damals eine ziemliche Offenbarung, und ich bin äußerst dankbar, dass ich durch diesen Irrtum zu einer solchen Bereicherung gelangen konnte.

Kennt Ihr ähnliche Erfahrungen? Dann freue ich mich davon hier zu lesen.

Liebe Grüße

Wave

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Mir ist klar, dass "Bereichernde Irrtümer" nicht so ganz korrekt ist, da ja nicht der Irrtum an sich bereichernd ist, sondern die Erkenntnis daraus, andererseits: Ohne den Irrtum könnte auch nicht die Erkenntnis ihm entspringen ;D.
(Dies ließe sich dann noch endlos weiterführen ... ;D)


EDIT: wiederholten Titel im Thread gelöscht, weil: überflüssig ;D; statt dessen Begrüßung hinzugefügt, weil: höflich ;D

Dämmerungshexe

Nett geschriebener Text - aber leider etwas verwirrend. Ich musste zweimal lesen, um mitzubekommen, was du eigentlich sagen willst. Für eine Diskussion im Forum wären etwas weniger Schnörkel glaube ich ganz sinnvoll, selbst wenn das hier ein Forum für Literaten ist ^^

Aber zum Thema:
Gerade ist es mir aufgegangen - meine andauernden Bemühungen Dialoge sinnvoll und logisch linear zu gestalten, sind hinfällig. So laufen Gespräche nunmal nicht ab. Schon gar nicht wenn die Sprechenden aufgewühlt sind.
Also kann man da ruhig mehr nach Gefühl gehen. So lange man an den Punkt gelangt, von dem aus man die Geschehnisse weiterführen wollte, ist es egal, ob all die Worte, die man sich ausgedacht hat, auch gesagt wurden ...

Es hat natürlich immer geholfen ersteinmal eine Möglichkeiten durchzuspielen und zu schauen in welche Richtungen verschiedene Antworten führen können. Man ist immer wieder erstaunt was für neue Ideen da heraus kommen.
Aber am Ende muss man sich entscheiden.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Wave

Zitat von: Dämmerungshexe am 04. Oktober 2014, 11:04:59
[...]Für eine Diskussion im Forum wären etwas weniger Schnörkel glaube ich ganz sinnvoll, selbst wenn das hier ein Forum für Literaten ist ^^

Oh. *Röstgabel intensiv anschau*: Warum haddu mir nix gesagt?

Zum Thema:

Ja, Dialoge ... davon kann ich auch ein Lied singen :D.
Anfänglich stopfte ich alles rein, was mir in meiner realen Welt so begegnete und auffiel, sollte ja schließlich schön plastisch und realistisch sein ;D.
Und ich habe lange nicht begriffen, dass Realität und Realitätsdarstellung zwei recht unterschiedliche Dinge sind :D. Und ein Eins-zu-Eins-Abkupfern von Realität eben nicht der Königsweg zu einer gelungenen Realitätsdarstellung ist. Zudem es manches in unserer Alltagsrealität gar nicht gibt  -  wie zum Beispiel Redebegleitsätze. Nirgendwo steht bei Alltagsdiskussionen  jemand am Rande, der darauf verweisen muss, wer gerade spricht ;D.  Oder dass gesprochen wird. Und wie. Im Alltag bekommen wir das eben alles so mitgeliefert. ---

canis lupus niger

Hach, herrlich! Da fallen mir doch unzälige Kritiken nicht nur zu eigenen Texten ein, die die stilistische und sprachliche Perfektion einforderten, wenn Situationen beschrieben wurden, in denen Stilsicherheit das Letzte ist, was den akteuren in den sinn käme. Da werden Geliebte sterbend im Arm gehalten, bewegende Geständnisse abgelegt und über die Anspannung vor dem Beginn einer Schlacht nachgegrübelt, aber bitte sprachlich ausgefeilt formuliert.

Wie oft hat mich so eine Forderung irritiert! Ich danke euch für diese befreienden Worte!

Wave

Zitat von: canis lupus niger am 05. Oktober 2014, 15:37:40
Hach, herrlich! Da fallen mir doch unzälige Kritiken nicht nur zu eigenen Texten ein, die die stilistische und sprachliche Perfektion einforderten, wenn Situationen beschrieben wurden, in denen Stilsicherheit das Letzte ist, was den akteuren in den sinn käme. Da werden Geliebte sterbend im Arm gehalten, bewegende Geständnisse abgelegt und über die Anspannung vor dem Beginn einer Schlacht nachgegrübelt, aber bitte sprachlich ausgefeilt formuliert.
Wie oft hat mich so eine Forderung irritiert! Ich danke euch für diese befreienden Worte!

Ja, auch innerhalb dieses Bereiches habe ich lange Zeit – sagen wir mal – sehr hölzern Regeln angewandt. Nein, ich habe sie nicht angewandt – ich habe sie befolgt. Aber ich habe sie nicht hinterfragt. Oft habe ich die Einseitigkeit einer Regel gar nicht gesehen.
Manches steckt so sehr drin, dass es lange Zeit dauern kann (jedenfalls war das bei mir so ;D), bis man überhaupt erkennt, dass man dem Irrtum "Das gilt immer und für alle Zeiten" aufgesessen ist.  Manchmal ist etwas so eingebläut worden, und das oft in einem ganz anderen schreiberischen Kontext, dass es eine Bereicherung und Befreiung sein kann (wie canis lupus ja auch schon schrieb ;)), all diese Regeln nicht zu verdonnern, sondern sie ... zu kneten, weicher zu machen und zu erkennen, was für eine Reichhaltigkeit das enthalten kann, was wir gelernt haben zu vermeiden. Eins der schönen Beispiele dafür ist auch der "Und am Satzanfang"-Thread. :vibes:

Liebe Grüße

Wave

Eluin

Schönes Thema. (Und den Und-Thread  ;D muss ich mir wohl auch mal ansehen. Hast du den Link parat?)

Ich erinnere mich da an eine Blockade, die in diese Richtung geht. Es hat zwar nicht mit stilistischen Irrtümern zu tun, aber mit dem Thema Plotten vs. Bauchschreiber.

Vor einigen Jahren habe ich bei einer Schreibschule mitgemacht und parallel andere Schreibratgeber gelesen. Vorher war ich kreativ, hatte Ideen und habe einfach drauf los geschrieben. Durch die Ratgeber und Schreibschule kamen natürlich so Dinge dazu wie "achte auf deine Wortwahl", "aktiv nicht passiv", "Show don't tell"... Soweit okay. Aber ich stieß immer wieder auf das Problem "du musst plotten".
Ich habe es versucht. Immer wieder. Jede Kurzgeschichte, die ich geplottet habe war am Ende murx und für die Tonne. Wenn ich nicht geplottet habe gefiel meinen Lesern und mir der Text.

Da habe ich es noch nicht gemerkt und mich hin und her gewunden zwischen "ich muss plotten" und "es klappt nicht". Erst als ich von Stephen King den Schreibratgeber in der Hand hatte und er so schön beschrieb, wie er sozusagen als Archäologe die Skelette der Geschichte Stück für Stück frei legt, machte es bei mir klick. Ja, man kann plotten. Für viele mag es hilfreich sein, aber im Endeffekt muss ich meinen eigenen Weg gehen. Erst danach habe ich von Bauchschreibern erfahren.

Mittlerweile suche ich für jede Geschichte, jeden Roman den Weg, der für den jeweiligen Text am Besten klappt. Meistens habe ich nur ein paar Eckpfeiler notiert, die ich anlaufen möchte. Nur selten wird es mehr.

Seit dem dieser Knoten vor einigen Jahren bei mir geplatzt ist, klappt es auch endlich so mit dem Schreiben, wie ich möchte und ich kann mich darauf konzentrieren an meinen Inhalten und meinem Stil zu arbeiten.  :vibes:

:winke:

Eluin
Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!
Mein Spruch, mein Motto.

Wave

Zitat von: Eluin am 08. Oktober 2014, 12:45:45
Schönes Thema. (Und den Und-Thread  ;D muss ich mir wohl auch mal ansehen. Hast du den Link parat?)
Yapp, hab' ich, nachdem ich jetzt gefühlte drei Stunden ausprobiert habe, wie's das noch funktioniert ;D. Hier ist er:

"Und" am Satzanfang

Zitat
Aber ich stieß immer wieder auf das Problem "du musst plotten".

Siehst Du, da ist es  ja wieder: Dieses "Du musst" - im Sinne von "Anders geht es nicht/funktioniert es nicht". Aber auch da kann man/frau sich eben irren. Für den einen funktioniert das bestens so, für den anderen nicht.

Zitat
Erst als ich von Stephen King den Schreibratgeber in der Hand hatte und er so schön beschrieb, wie er sozusagen als Archäologe die Skelette der Geschichte Stück für Stück frei legt, machte es bei mir klick.
Ich finde die Darstellung von King auch für mich sehr bereichernd. Ich plotte nur bei Geschichten, bei denen ich von vorneherein weiß, dass ich mich andernfalls völlig verfransen würde, weil sie z. B. unterschiedliche Zeit-/Dimensionsebenen enthalten oder sonst recht verzwickt sind.

Den Ansatz von King jedenfalls finde ich spannend, zudem er auch irgendwo in seinem Buch betont, dass er fast nie den Handlungsablauf im Voraus plant. Er spricht davon (sinngemäß), man "soll" beobachten, wohin die Geschichte läuft, in welche Richtung sie sich entwickeln möchte.

Zitat
Seit dem dieser Knoten vor einigen Jahren bei mir geplatzt ist, klappt es auch endlich so mit dem Schreiben, wie ich möchte und ich kann mich darauf konzentrieren an meinen Inhalten und meinem Stil zu arbeiten.  :vibes:
Ja, und wie sollte man je einen eigenen Stil entwickeln, wenn man sich strikt stets nur an alles mögliche Vorgegebene hält? Wobei ich finde, dass das Vorgegebene keinesfalls schlechter sein muss, als das, was man schließlich selbst macht. Es ist nur anders. Und alles kann - so sehe ich das jedenfalls ;) - je nach Kontext, Person, Gefühl, Situation ... passen.

Zitat
:winke:

*zurückwink* :winke:  :vibes: