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Die schreckliche Deutsche Sprache

Begonnen von Tenryu, 08. Dezember 2008, 20:49:06

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Churke

Man geht von einer protogermanischen Ursprache aus, die sich um Christi Geburt in west-, ost- und nordgermanische Sprachen aufteilte.
Viel Kaffeesatzleserei, denn die frühesten Zeugnisse der germanischen Sprache (Wulfila-Bibel, 4. Jh.) entstammen ausgerechnet dem ausgestorbenen ostgermanischen Sprachzweig. Die anderen germanischen Sprachen wurden erst ab dem 7. oder 8. Jh. verschriftet.

Insgesamt ist es beachtlich, dass es gelungen ist, trotz der politischen Zersplitterung Deutschlands eine gemeinsame Hochsprache zu entwickeln.

Aithoriell

Danke Lomax und Churke. Nun bin ich wieder ein wenig schlauer. Aber trotzdem bleibe ich dabei: Es ist wird wohl überbewertet, dass sich in einem kleinen Land wie Deutschland eine Sprache bis heute entwickelt hat. Das kann man ja von Großbritannien dann auch sagen, wo sich seit dem frühen Mittelalter eine gemeinsame englische Sprache entwickelt hat. Oder das Spanische oder... oder... oder... faszinierender wohl die asiatischen Sprachen. Letzten Endes sind wir ja auch gerade wieder dabei, die Schönheit der entwickelten Sprache wieder zu verlieren. Ihren Höhepunkte hatte das Deutsch - das wir heute noch verstehen - wohl in der Aufklärung (subjektive - meine - Betrachtungsweise). Ich glaube nicht, dass wir in unserer heutigen Sprache noch wirklich von Entwicklung im eigentlichen Sinne reden können. Was meint ihr?

Judith

Zitat von: Churke am 10. Dezember 2008, 15:50:45
Man geht von einer protogermanischen Ursprache aus, die sich um Christi Geburt in west-, ost- und nordgermanische Sprachen aufteilte.
Viel Kaffeesatzleserei, denn die frühesten Zeugnisse der germanischen Sprache (Wulfila-Bibel, 4. Jh.) entstammen ausgerechnet dem ausgestorbenen ostgermanischen Sprachzweig. Die anderen germanischen Sprachen wurden erst ab dem 7. oder 8. Jh. verschriftet.
Naja, nur wenn man von längeren Texten ausgeht. Aber früheste schriftliche Zeugnisse der germanischen Sprachen sind natürlich die Runeninschriften, wo es einige vor der Wulfila-Bibel gibt. Und die überliefern durchaus auch ganze Sätze.

Churke

Zitat von: Aithoriell am 10. Dezember 2008, 16:55:03
Letzten Endes sind wir ja auch gerade wieder dabei, die Schönheit der entwickelten Sprache wieder zu verlieren. Ihren Höhepunkte hatte das Deutsch - das wir heute noch verstehen - wohl in der Aufklärung (subjektive - meine - Betrachtungsweise). Ich glaube nicht, dass wir in unserer heutigen Sprache noch wirklich von Entwicklung im eigentlichen Sinne reden können. Was meint ihr?
"Früher war alles besser." Hat schon Macchiavelli beobachtet.  ;D

Eine Sprache ist kein Museum. Sie muss sich entwickeln, um funktionsfähig zu bleiben. Die Alternative dazu ist eine artifizielle Hochsprache, die irgendwann, eines fernen Tages, von niemandem mehr verstanden wird. Das Deutsche bietet seinem Anwender alle Möglichkeiten, er muss sie nur zu nutzen wissen. Und, um mich mal zu outen, wenn ich SF schreibe, dann betreibe ich auch ein wenig Sprachpanscherei.

Aithoriell

Ja, das ist richtig. Aber eine Sprach"panscherei" im Sinne einer kreativen Science-Fiction-Sprache ist ja schon wieder etwas besonderes in literarischer Hinsicht. Was auf den Straßen von Leuten gesprochen wird, die wahrscheinlich niemals eine Geschichte von dir lesen werden, weil allein das Umblättern einer Buchseite schon zu anstrengend ist, ist eine Verstümmelung und ich denke, auch nicht wirklich langlebig.

eclipse

Sprache wird sich immer entwickeln, genauso wie die Gesellschaft, in der sie gesprochen wird, nicht immer dieselbe bleiben wird. Mein Deutschlehrer hat uns das damals schon mit Horrorvisionen wie "In 50-100 Jahren wird man wahrscheinlich nicht Mehr 'Glas' sagen und schreiben, sondern 'Klas', weil das der Aussprache viel mehr entgegenkommt." schockiert und im Germanistik-Studium sind solche Thesen bei mir derzeit an der Tagesordnung.

Zitat von: Aithoriell am 15. Dezember 2008, 22:57:37
Was auf den Straßen von Leuten gesprochen wird, die wahrscheinlich niemals eine Geschichte von dir lesen werden, weil allein das Umblättern einer Buchseite schon zu anstrengend ist, ist eine Verstümmelung und ich denke, auch nicht wirklich langlebig.
Oh, die Zunge ist ein träges Instrument, unterschätze mal die Auswirkungen menschlicher Bequemlichkeit auf die Sprache nicht. ;) Es ist ganz normal, dass sich im Lauf der Zeit z.B. bestimmte Aussprachen oder Abkürzungen entwickeln und festigen, weil es einfach bequemer für den Sprecher ist. Und das hat nichts mit Ghetto-Slang zu tun. Hör dir nur mal an, wie die "Studis" an den "Unis" untereinander kommunizieren - da wird gekürzt, was das Zeug hält.
Meiner Meinung nach wird sich sprachlich auch in Zukunft bei uns so einiges tun, vielleicht gerade in unserer Zeit, auch wenn es uns als Mit-Erleber weniger bewusst sein mag.

Manja_Bindig

Das ist es immer.
In jeder Generation treten Veränderungen in der Sprache auf, die man frühestens dann mitbekommt, wenn sie in der Generation der enkel Gang und Gäbe sind... damit muss man wohl leben. Aber dass Sprache nicht tot ist, wissen wir ja inzwischen. Dass sie sich auf eine Art und Weise entwickelt hat und immer noch entwickelt, die einem nach ein paar 100 Jahren komisch vorkommen mag(wenn man nur flüchtig draufblickt - kaum befasst man sich mal linguistisch damit, hat das alles durchaus seine Logik) - nun, das macht es doch gerade interessant. Alles wird doch erst dann interessant, wenn es für uns subjektiv - und auch objektiv  nicht so bleibt, wie es ist.

Lomax

Zitat von: eclipse am 16. Dezember 2008, 23:42:17Mein Deutschlehrer hat uns das damals schon mit Horrorvisionen wie "In 50-100 Jahren wird man wahrscheinlich nicht Mehr 'Glas' sagen und schreiben, sondern 'Klas', weil das der Aussprache viel mehr entgegenkommt."
Da hat dein Lehrer wohl vergessen, dass Schriftsprache sehr stark konservierend wirkt ;) Sprache verändert sich ohne Zweifel, und auch Schreibweisen. Aber Letzteres nur sehr träge. Wenn die gesprochene Sprache sich zu schnell verändert, ist es eher wahrscheinlich, dass Schreibweise und Aussprache in hundert Jahren stärker auseinanderklaffen werden als heute.
  Zumindest, solange noch eine einheitliche Schriftsprache von der Kultur gepflegt wird. Wer weiß, womöglich ändert sich das ja auch wieder :)

Churke

Um das Glas ist mir nicht bange, weil der P(f)älzer grundsätzlich kein K aussprechen kann. ;D

Zitat von: Lomax am 17. Dezember 2008, 01:14:28
Wenn die gesprochene Sprache sich zu schnell verändert, ist es eher wahrscheinlich, dass Schreibweise und Aussprache in hundert Jahren stärker auseinanderklaffen werden als heute.
Wie ich gelesen habe, konserviert die griechische Orthographie zum Teil den Lautstand von 400 v.Chr. Man schreibt ein Wort also noch genauso wie vor 2400 Jahren, aber wenn man es auch ausspricht, dann wird man nicht mehr verstanden.

eclipse

Über die Einheitlichkeit unserer Schriftsprache kann man sich derzeit auch ganz gut streiten - uns wurde in der Schule mühevoll die alte Rechtschreibung abgewöhnt und nun bin ich kürzlich über eine Stellenanzeige gestolpert, in der ausdrücklich die Beherrschung der alten Rechtschreibung gefordert wurde. :pfanne:
Hätte durchaus was für sich, das Konservieren zu Gunsten größerer Transparenz mal sein zu lassen.

Gut, das Glas war ein etwas unseliges Beispiel (dass mir das passieren konnte - mitten in Franken - unglaublich :D ), aber der Zweck heiligt in dem Fall hoffentlich die Mittel.

Tenryu

Man hört ja mannigfach, eine Sprache müsse sich entwickeln.
Aber habt ihr den Eindruck, unsere Sprache entwickele sich zum Besseren? Denkt ihr, daß sich die Menschen heute treffender und differenzierter auszudrücken vermögen, als vor 100-200 Jahren?

Ich habe eher den Eindruck, daß die Sprache am verarmen ist. Wenn die Leute z.B. nicht mehr den Unterschied zwischen der Schild und das Schild erkennen - um nur mal einen Fehler zu nennen, dem ich in letzter Zeit häufiger begegnet bin - dann geht eben viel Ausdruckskraft verloren.

Von allein verbessert sich die Deutsche Sprache anscheinend nicht. Und von Seiten der Obrigkeit werden ja gerne teuere und nutzlose Reformen angestrengt. Doch bringen die rein gar nichts.
Oder fällt es euch heute leichter zu schreiben, als vor der letzten Reform? Machen die Schüler heute weniger Fehler beim Diktat, als vor 10 Jahren? Sind die Änderungen etwa logischer und nachvollziehbarer, als die alten Regelungen? Fällt es den Ausländern inzwischen leichter, Deutsch zu lernen?

Manja_Bindig

1: Ja, mir fällt es leichter, nach der neuen Reform zu schreiben.

2: Du schwingst dich hier auf ein ziemlich hohes Ross, Tenryu; du - eigentlich keiner von uns - bist nicht in der Lage, zu beurteilen, ob die Veränderung unserer Sprache so gut oder schlecht ist. Es ist eine Entwicklung. Basta. Unsmag sie nicht so wirklich gefallen, aber zu Sturm und Drang-Zeiten hat es den alten Aufklärern auch nicht gefallen, was ein junger Goethe so fabriziert hat. Und? Heut betrachten wir es als große Kunst.(naja... zumindest die deutschlehrer wollen uns das dafür verkaufen). Entwicklungen brauchen immer so viel Zeit, selbst jetzt, wo es schneller geht - wie will sich da ein einzelner Mensch unter 30 anmaßen, die Entwicklung zu beurteilen?
Plus, dass ich es ziemlich unverschämt und - tut mir Leid, aber so ist es nun mal - dämlich finde, eine sehr, sehr LANGE bisherige Entwicklung dermaßen infrage zu stellen. Grund für die Entwicklung einer Sprache ist - der Sprecher. Der irgendwann anders beeinflusst wurde, zu faul wurde, was so und so auszusprechen, etc. Ein ganz normaler Prozess, eine Weiterentwicklung, wenn man so will, denn umgekehrt nehmen wir ja immer wieder Fremdwörter in unsere Sprache auf, passen sie an, mauscheln...

Mal eine Frage - ich hab den Eindruck, dass dir die deutsche Sprache ziemlich zuwider ist(korrigiere mich bitte, wenn ich mich irre - und weise mich auf stellen hin, wo du deine Affinität zum Deutschen zeigst). Warum also schreibst du dann auf deutsch(davon geh ich mal aus)?

Churke

ZitatAber habt ihr den Eindruck, unsere Sprache entwickele sich zum Besseren? Denkt ihr, daß sich die Menschen heute treffender und differenzierter auszudrücken vermögen, als vor 100-200 Jahren?
Teilweise ja.

"Was bis in den Monat März 1788 vorgegangen, ist einer ansehnlichen Gewerkschaft durch die dritte Nachricht bekanntgemacht worden. In dem Oktober 1789 wurde dieselbe durch ein vorläufiges Schreiben des damaligen Bergsekretärs Voigt von dem, was indessen geschehen, unterrichtet, und die zur Direktion dieses Bergbaus niedergesetzte Kommission verschob nur bisher eine detaillierte Darstellung, weil sie Ursache genug zu hoffen hatte, daß man das Flöz durch die angewandten Mittel ersinken, daß alsdenn jener Zeitpunkt eintreten würde, wo ein neuer Plan, eine neue Beratung für die Folge sich notwendig machte. Ist gleich die Epoche noch nicht völlig erschienen, so ist doch das bisher Geschehene wichtig genug und die gegenwärtige Lage aller Aufmerksamkeit würdig. Wir verspäten daher nicht länger eine Nachricht, welche die sämtliche Gewerkschaft nach unserm Versprechen erwarten kann, und hoffen, daß auch dadurch das Zutrauen zu dem Werke sowohl als zu denen, die das Werk bisher beschäftigt hat, sich befestigen werde." Und so weiter...

Versteht das jemand?

Vorbrochen hat das unser Dichterfürst Goethe, II. Nachricht von dem Fortgang des neuen Bergbaues zu Ilmenau, 1791.

Wie schön, dass wir heute Denglisch haben...

Eine Sprache wird nicht "besser" oder "schlechter", sondern sie wird von den Sprechen an ihre Bedürfnisse angepasst. So gesehen sind alle romanischen Sprachen das Ergebnis von 2000 Jahren Sprachverarmung und Sprachpanscherei.

Lomax

#43
Zitat von: Tenryu am 18. Dezember 2008, 00:09:40Ich habe eher den Eindruck, daß die Sprache am verarmen ist. Wenn die Leute z.B. nicht mehr den Unterschied zwischen der Schild und das Schild erkennen
Manches fällt weg, anderes kommt hinzu. Ich wüsste nichts, was die Sprache vor - beispielsweise - 200 Jahren hätte differenziert ausdrücken können, was ich heute nicht mehr sagen kann ;) Umgekehrt fiele mir manches ein ...
  Was sich beobachten lässt, ist ein größeres Problem mit langen Bezügen. Da ist heute die Toleranz der Leser im Durchschnitt geringer als vor 50 Jahren. Und die alten Lateiner gar erachteten das über viele Sätze hinweg als normal. Aber das betrifft ja weniger die Sprache, denn rein grammatisch kann die Sprache das heute wie zu jeder anderen Zeit - es will nur niemand mehr lesen ;)
Zitat von: Tenryu am 18. Dezember 2008, 00:09:40... Sind die Änderungen etwa logischer und nachvollziehbarer, als die alten Regelungen? Fällt es den Ausländern inzwischen leichter, Deutsch zu lernen?
Ein deutliches "ja" auf diese Fragen ;D Obwohl die Logik nach der letzten "Reform der Reform" ein wenig gelitten hat, was allerdings darauf zurückzuführen ist, dass allzu viel von den alten Regeln wieder eingeflossen ist und die klare Linie verwässert. Dieses hin und her hat dem Verständnis sicher mehr geschadet als jede "Logikfrage", denn Sprache ist nun mal eher Gewöhnung als "Regelmäßigkeit".

Kerimaya

Zitat von: Tenryu am 18. Dezember 2008, 00:09:40
Ich habe eher den Eindruck, daß die Sprache am verarmen ist.

Oder, wie wir hier im Pott sagen würden: "Am verarmen dranne ist". Entschuldige Tenryu, aber der Satz war einfach zu schön ;)

Ich bin kein Freund der Rechtschreibreform(en) aber: Sprache ist ein Bild ihrer Gesellschaft. Es kann einem gefallen oder nicht gefallen, aber aufhalten kann man es nicht. Diese Entwicklung ist es, was Sprache aus- und vor allem so interessant macht. Im Deutschen gibt es Adaptionen, Bedeutungsverengung und - erweiterung und dieser Prozeß ist IMMER NOCH aktiv!

Im Mittelalter wurden die Wörter 'kraß' und 'geil' ebenso gebraucht, wie das Wort 'ficken'. Allerdings hatten alle drei Wörter ganz andere Bedeutungen als heute.  Das Wort 'Hochzeit' war ebenso gebräuchlich, hatte dabei aber nur am Rande etwas mit der Vermählung zweier Menschen zu tun.

Wandel in Sprache ist notwendig, spannend und interessant. Man muss sich nur darauf einlassen und nicht gleich alles heillos verdammen, was sich verändert ;) Und ich schalte den Germanisten-Klugscheisser-Modus jetzt mal wieder aus  :engel: