Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Weltenbau => Thema gestartet von: Rakso am 10. November 2010, 20:56:08

Titel: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Rakso am 10. November 2010, 20:56:08
Hallo an Alle, hogy vagy (wie geht's euch so),

Mit Fantasy assoziiert ja man gerne eine mittelalterliche Gesellschaft, mit Königen, verschiedenen Völkern und natürlich mit einer starken religiösen Prägung.

Ich hab' mal was anderes ausprobiert. Und zwar schreibe ich an einer Fantasy-Krimi-Reihe und die sollte eigentlich in einer Welt spielen, die mit unserer vergleichbar ist.

Zum Beispiel gibt es große Millionenstädte mit Hochhäusern (natürlich im etwas antikerem Stil), Luftschiffe, mit denen man schön und bequem weite Strecken überqueren kann, modernen Staatswesen wie Demokratien oder Diktaturen (auch hier überwiegen die "fantasy-typischne" Monarchien) und es gibt eine modernere Auffassung von Recht und Sozialwesen, mit einer wenn auch mikrigen Sozialhilfe und etwas läppischen Rechtsschutz.
Ich habe mir auch eine Entwicklung hin zur Unterhaltungs- und Konsumgesellschaft und zur Zock- und Ausbeutermentalität überlegt.

Auch hat diese Welt sämtliche Stationen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts unserer Welt passiert, natürlich etwas abgewandelt. Also spirch: Kolonialismus, Romantik, Industrialisierung, Rassismus, internationale Zusammenarbeit, usw.

Naturalmente gibt es verschiedene intelligente Spezies, die sich mit den Menschen, Staaten, Lebens- und Arbeitsraum teilen.
Und habe auch versucht eine Bezug zur Antike herzustellen, mit römischen politischem System und Polizei/Armee und antiken Idealen.

Mich würde mal interessieren, was ihr davon so haltet, ob ihr ein paar Verbesserungsvorschläge und Anregungen habt oder ob das alles kompletter Mist ist.

Gruß

Esteve
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Derexor am 10. November 2010, 21:05:41
Hallo Esteve,

grundsätzlich: Mach alles was du darstellen kannst.
Genauer: Mach alles was in deine Zielgruppe passt und von dieser Aktzeptiert wird.

Ich selbst bin ein Fan von klassichen Mittelalterwelten, einfach weil ich sie mag. Bei anderen Romanen bin ich allerdings z.B. deiner Idee auch nicht abgeneigt, je nachdem wie das rübergebracht wird.

Grüße.

Derexor
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Tanrien am 10. November 2010, 21:13:50
Zitat von: Derexor am 10. November 2010, 21:05:41
grundsätzlich: Mach alles was du darstellen kannst.
Genauer: Mach alles was in deine Zielgruppe passt und von dieser Aktzeptiert wird.

Dem würde ich zustimmen. Ich bin ein Fan von New Weird (offiziell: F, SF & Horror gemischt), da sind die Welten auch schonmal recht modern und es passt wunderbar. Ich selbst schreibe auch nie Fantasy im Mittelaltersetting, weil ich das persönlich langweilig finde, also, ja, erlaubt ist alles - es ist dann nur halt eben nichts für Fans von Mittelalterfantasy. Aber z.B. Urban Fantasy spielt ja auch nicht im Mittelalter. :)
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Romy am 11. November 2010, 04:28:27
Joa, das sehe ich ähnlich wie Tanrien. Es gibt ja viele Spielarten der Fantasy. Jene Subgenres mit dem typischen Mittelaltersetting sind z.B. High- und Low-Fantasy.
Was Du beschreibst klingt mir nach Science-Fantasy. Vielleicht nicht sooo weit verbreitet aber auch ein "offizielles" Subgenre, soweit ich weiß. ;)
Auch Urban-Fantasy spielt nicht im Mittelaltersetting und Dark Fantasy ist ziemlich unabhängig vom Setting, außer natürlich, dass es irgendwie düster sein sollte.

Also hey, es ist Fantasy, da ist der Fantasie kaum eine Grenze gesetzt. ;)
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: ShiFanbin am 11. November 2010, 06:41:37
Deine Frage scheint ein wenig in die Richtung des gleichen Problems zu gehen, welches ich mit dem Begriff "Steampunk" für das meinige Setting habe.

Kurz gesagt, jedoch, ist Fantasy in meinen Augen jedoch technologieunabhängig. Dies wird an folgendem Vergleich zu Science Fiction deutlich:

(Anmerkung: es handelt sich hierbei um meine Interpretation. Genres werden meist stark subjektiv interpretiert)

Star Wars ist Fantasy. Es basiert auf dem Prinzip des phantastischen, unerklärlicher Mächte, mystischer Dinge, der "Macht", genau genommen. Für den Leser/Zuschauer in diesem Fall ist es irrelevant, wie genau Raumschiffe eineinhalbfache Lichtgeschwindigkeit erreichen oder wie genau Jedi Gegenstände zum Fliegen bringen können. All das ist Teil einer fremden Welt mit anderen, unbekannten und mystischen Regeln, die dafür nicht unbedingt "High Fantasy" sein muss.

Star Trek ist Science Fiction. Nicht ohne Grund hat das Star Trek Universum Technobabble "erfunden" - zwar sind die Naturgesetze hier stark verbogen, aber sie dienen immer als Augangspunkt, ebenso wie die grundlegene Geschichte und Anspielerungen auf Sozialstrukturen unserer hiesigen Welt.

Übrigens finde ich als großer Enthusiast nicht-mittelalterlicher Fantasy-Welten das von dir beschriebene Setting sehr interessant :)
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Thaumaturgon am 11. November 2010, 12:55:49
Ich kann auch allem bisher hier Gesagten zustimmen und möchte hinzufügen, dass letztlich nur die Stimmigkeit einer Welt über ihre Überzeugungskraft bestimmt. Zum Beispiel wird die Regierungsform einer Gesellschaft von ihren Gegebenheit abhängen (Größe, Lage, Wirtschaftskraft, Bildungsverbreitung usw.). Eine Gesellschaft wird immer diejenige Organisationsform annehmen, die insgesamt am produktivsten ist (weil sie sonst von einer anderen erobert wird, militärisch, kulturell oder wirtschaftlich). Solange Du die Dinge, die in Deiner Welt geschehen, durchdacht hast, wird die Welt stimmig erscheinen. Ein Beispiel dazu:


Ich habe mal für mein Rollenspiel über den Funktionsumfang von Zauberstäben nachgedacht und ein mögliches Ausstattungsmerkmal sollte es sein, mit ihnen die Reichweite von Zaubern zu vergrößern. Wir haben da im Regelwerk ein bissel getüftelt und es kam heraus, dass man zum Beispiel einen Kampfzauber mit einem drei Meter langen Stab auf, ich weiß es nicht mehr genau auswendig, aber so auf hundert, zweihundert Meter ausdehnen kann. Das wollten wir so haben, und dann folgte der notwendige Schritt, für den ich hier Reklame machen will:

WENN es so etwas in Deiner Welt also gibt, dann wird das Militär davon wissen (im Laufe der Zeit kriegen die das raus, ganz sicher) und es haben wollen. Also wird es militärische Magie-Fernkämpfer irgendeiner Form geben und auch Formen der Gegenwehr dagegen. Schlachten werden anders ablaufen, es gibt Spezialisten und so fort.

Wenn also in einem Roman ein einziges Mal ein Zauberer einen Kampfzauber aus dreihundert Metern spricht, muss entweder klar sein, dass aus sehr speziellen Gründen NUR DER das machen kann oder NUR JETZT, dank hochspezieller Umstände, oder aber es muss mit allen Konsequenzen bereits in die Welt integriert sein, damit man nicht von einer Widersprüchlichkeit in die nächste stolpert.

Ich hoffe, dass ich damit jetzt nicht totales Unverständnis auslöse oder offene Türen einrenne, aber das war zu dem Thema eben

mein Senf. :-)

Grüßle

Thauma
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Lisande am 11. November 2010, 14:38:39
Also, auch wenn es langweilig wird: ich schließe mich meinen Vorrednern an.

Und um es nicht zu langweilig werden zu lassen, möchte ich das, was Thaumaturgon zum Thema Magie ausgeführt hat, noch um einen Punkt erweitern: je mehr Magie in einer Welt vorhanden ist, desto stärker wird sich das auch auf die Technik auswirken. Natürlich kann Technik die Magie für nicht magisch Begabte ersetzen, aber wenn Magie ein halbwegs weit verbreiteter Bestandteil der Welt ist, dann werden sich Technik und Magie auch mischen.
Vielleicht gibt es ja in den Firmen grundsätzlich auch den Magier, der sich Gedanken darüber macht, wie man durch den Einsatz von Magie z. B. Energiequellen ersetzen kann? Oder wie man mit einem kleinen Bisschen Magie teure Rohstoffe ersetzen kann? Die Haltbarkeit des Produktes verbessert, oder sonstwie darauf einwirkt?
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Churke am 11. November 2010, 17:36:32
ZitatEine Gesellschaft wird immer diejenige Organisationsform annehmen, die insgesamt am produktivsten ist (weil sie sonst von einer anderen erobert wird, militärisch, kulturell oder wirtschaftlich).

Ich halte diese These für sehr gewagt. Selbst wenn wir den Darwinismus ("Kampf ums Dasein") als gegeben annehmen, haben wir es doch mit Prozessen zu tun, die Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte dauern können. Das Wilhelminische Deutschland hatte die modernste und stärkste Wirtschaft, aber Gesellschaftsstrukturen von vorgestern. (Dreiklassenwahlrecht in Preußen)

Für mich sind Magie und Wissenschaft Gegensätze. Magie ist irrational, Wissenschaft ist rational. Es kann nebeneinander bestehen, aber Wissenschaft mit Magie zu pimpen, kann ich mir einfach nicht vorstellen. Denn bei einem technischen Gerät habe ich eine Vorstellung, wie es funktioniert. Wenn ich dann Magie ins Spiel bringe, ist das vorbei.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Rakso am 11. November 2010, 18:42:48
Puh, eingentlich war ich nicht auf so eine Resonanz vorbereitet. Habt vielen Dank.

So ähnliche Gedanken habe ich mir auch schon gedacht, aber ich war mir immer unsicher, wer so etwas lesen sollte und ob man da nicht als schlechter Fantasy-Autor hingestellt wird, wenn man sich zu nah an der Realität orientiert. Fasziniert hat es mich aber schon immer. Und dank dieser Rückmeldungen hab' ich wieder etwas Mut gefasst.

Das größte Problem wird wohl die Ausgestalltung sein. Was ich mit was kombiniere, also wie sich das schon angesprochene Verhältnis von Magie und vorhandener Technik entwickelt hat und momentan auftritt. Es muss ja auch sinnvoll sein, z. B. ein magisch verbesserter Staubsauger währe wohl lustig, aber nicht so sinntragend, wie ein Energiespeicher der mit Magie effizienter gemacht wurde, dass nicht alle paar Stunden ein Luftschiff auf die Städte niederrieselt.


Zitat von: Thaumaturgon am 11. November 2010, 12:55:49
Zum Beispiel wird die Regierungsform einer Gesellschaft von ihren Gegebenheit abhängen (Größe, Lage, Wirtschaftskraft, Bildungsverbreitung usw.). Eine Gesellschaft wird immer diejenige Organisationsform annehmen, die insgesamt am produktivsten ist (weil sie sonst von einer anderen erobert wird, militärisch, kulturell oder wirtschaftlich). 

Diese Sicht von Thaumaturgon, z. B. hatte ich noch nicht berücksichtigt. Danke für die Anregung, ich werds im Hinterkopf behalten.

Und das Steampunk-Genre kannte ich nicht früher beim Namen. Also die Ausarbeitung war mir schon bekannt und es hat mich seit ich das erste Mal "Das Schloss im Himmel" oder "Nausicaä aus dem Tal der Winde" von Hayao Miyazaki gesehen habe, begeistert. Ich werd' mich weiter Informieren. Auch hier meinen besten Dank.

Das hat mich wieder bestärkt weiter zu machen und diese Idee nicht zu verwerfen.

Gruß

Esteve

PS. Ai!! :wums:
Es heißt nicht hogy vagytok sonder hogy vagy. Die Mehrzahl hat mich durcheinander gebracht. Sorry.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Lomax am 11. November 2010, 19:42:50
Zitat von: Churke am 11. November 2010, 17:36:32Für mich sind Magie und Wissenschaft Gegensätze. Magie ist irrational, Wissenschaft ist rational. Es kann nebeneinander bestehen, aber Wissenschaft mit Magie zu pimpen, kann ich mir einfach nicht vorstellen.
Na ja, im "Lichtbringer" habe ich gerade das zum Alltag gemacht. Wie eine Romanfigur da mal feststellt, "noch nie gab es so viele Magier und so wenig Magie" - weil eine technologische Gesellschaft entstanden ist, in der gerade durch die Verschmelzung plötzlich auch Jobs für "Magier" da sind, die gar nicht die Kraft hätten, selbst fühlbare Zauber zu wirken. Aber um in einer Fabrik den magischen Kristall einer Handykarte zu laden, der die Verbindung zum magischen "Nexus" hält, und den dann mit den technischen Komponenten zu verbinden, die die über den Nexus übertragenen Daten in Sprache kodieren und dekodieren, dafür reicht es dann.
  Weswegen, wie betreffende Figur feststellt, plötzlich jede Menge Diplom-Magier rumlaufen, bei denen man zu ihrer Zeit keinerlei förderungswürdigen magischen Fähigkeiten festgestellt hätte.
  Und als Parallele zur Theorie der "technologischen Singularität" (also die Entwicklung einer KI, die die typisch menschliche intellektuelle Leistung ersetzen kann und den Menschen zu ihrer Weiterentwicklung nicht mehr braucht) unserer Welt ist beim "Lichtbringer" genau diese Schwelle ein zentrales Thema - hier ist die herandämmernde technologische "Singularität" die Entwicklung einer Technologie, die eigenständig Magie wirken kann und damit die Magie endgültig zu einem rein technischen Problem macht, für das man keine Magier mehr benötigt.

Aus eigener Erfahrung kann ich also sagen, dass Magie und Technik keineswegs unvereinbare Gegensätze bleiben müssen, sondern dass es im Gegenteil sogar Potenzial für erzählerische Details bieten kann, eben diese Unterschiede und Nahtstellen explizit zu beleuchten und einfach mal damit zu experimentieren.
  Wie groß das Publikum dafür dann ist, oder ob die Leser nicht lieber Fantasy = archaisch und SF = ohne Magie und Fantasy lesen wollen, das ist dann wiederum eine andere Frage. Abseits der etablierten Genregrenzen zu schreiben, ist immer problematisch.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Spinnenkind am 24. November 2010, 23:07:48
Ich sehe das auch ähnlich wie Lomax - Magie und Technik, das müssen keine Gegensätze sein.

In meiner Welt ist Magie zwar spirituellen Ursprungs, aber das ganze System ist sehr institutionalisiert, mit Universitäten, Forschung, Lehrstühlen etc. Nebenher existiert noch eine Randgruppe, die mehr oder weniger unsere heutigen Wissenschaftler darstellt, die aber in der Welt als völlig borniert und irre angesehen werden, weil sie die Kraft des Geistes leugnen ;D
Ich denke, Magier müssen keine "besonderen" Menschen sein, die einsiedlerisch ihr Dasein fristen - sie können durchaus im Zusammenhang mit dem Modernen, jetzt auch mal abgesehen von Technik, stehen. 

Ich habe den Eindruck, dass solche Anlehnungen an die Moderne immer populärer in Büchern werden und keinesfalls schlecht sind, wenn sie gut ausgeführt werden. 

War jetzt nichts groß Neues, wollte dich nur nochmal ermutigen - es gibt so abgefahrene Sachen auf dem Büchermarkt, spinn ruhig herum und mach das, was dir Spaß macht!
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 08. Dezember 2010, 20:27:37
Ich sehe auch kein direktes problem, Magie und technik zusammen zu bringen.
Ich spiele zur Zeit ebenfalls mit der idee für ein Setting, das sehr stark an Sci-Fi und Steampunk erinnert (Luftschiffe und so Zeug ...). Dabei soll es auch etwas ähnliches wie Magie geben, das einfach als Energie definiert wird, die alles antreibt. Also an sich vergleichbar mit Elektrizität (nur natürlichen Urspungs).

Ich denke was das besondere an der typischen Fantasy-Magie ist, ist, dass die Menschen (also die die es können, spirch Zauberere) diese Energie nutzen können um Taten zu vollbringen, zu denen keiner sonst fähig ist. mal davon abgesehen dass wir Maschinen brauchen, um Elektrizität zu nutzen, besteht für mich also kein so großer Unterschied. Immerhin würden Menschen, die aus der Vergangenheit in unsere Zeit versetzt würden, die Elektrizität und alles was damit möglich ist wahrscheinlich als Magie bezeichnen.

(Das Einzige was mich immer daran hindert Settings zu machen, die sich zu weit von der klassischen Fantasy entfernen ist die Tatsache, dass ich nicht weiß inwieweit ich von meinen Lesern erwarten kann, dass sie meine Vorstellungen nachvollziehen können. Die Bilder zum klassischen Fantasy-Setting haben sie ja zur Genüge im Kopf. Deswegen juckt es mich immer bei solchen Settings eher auf einen Comic zu setzen als auf einen Roman.)
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Rakso am 08. Dezember 2010, 21:53:38
Was mich in letzter Zeit beschäftigt ist die Frage, wie das Verhältnis zwischen Magie und Technik sein soll.

Soll Technik langsam die angewandte Magie verdrängen, und nur noch zum Antreiben von Maschinen und Geräten dienen, oder gibt es einen Rücklauf? Das ist dann wohl eher eine atmosphärische Frage und wie die Welt auf den Leser wirken soll.

Die Weltgeschichte zeigt uns, dass es nie eine Zeit technischen Stillstandes gibt. Immer wird gedacht, geschraubt und gebastelt um etwas zu verbessern. Da ist man als Autor auch gefordert, wenn man eine Romanreihe über 20 Jahre schreibt und die Welt am Ende genau die Gleiche ist, wie sie am Anfang der Reihe war.

Eine weitere Frage hätte ich noch: Was haltet ihr vom kommerziellen Verkauf von Magie, also als instand-Magie, wenn man so will. Man macht die Packung auf und ein fertiger Zauber kommt heraus gekrochen, ohne nerviges und kräftezehrendes Beschwören/Spruch aufsagen. Aufwendige Sprüche für den Normalo-Bürger. Ist das zu schräg, unsinnig oder ratet ihr generell davon ab?

Gruß,
Esteve
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Zit am 08. Dezember 2010, 21:59:53
Ich würde sagen, Instant-Magie gibt's in Form von Zaubertränken schon einige Zeit. ;D
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Churke am 08. Dezember 2010, 22:40:43
Zitat von: Esteve am 08. Dezember 2010, 21:53:38
Die Weltgeschichte zeigt uns, dass es nie eine Zeit technischen Stillstandes gibt. Immer wird gedacht, geschraubt und gebastelt um etwas zu verbessern. Da ist man als Autor auch gefordert, wenn man eine Romanreihe über 20 Jahre schreibt und die Welt am Ende genau die Gleiche ist, wie sie am Anfang der Reihe war.

Also das sehe ich jetzt nicht so. Die Japaner haben es geschafft, an der portugiesische Muskete des 17. Jahrhunderts über 250 Jahre absolut NICHTS zu verändern.
Das Beispiel ist extrem. Aber es gibt noch andere statische Epochen. Dass es so etwas wie Fortschritt gibt, ist eine Vorstellung der Neuzeit. Man kann sich durchaus auf den Standpunkt stellen, dass man alles weiß und dass Neuerungen nur schädlich sind.


Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Lomax am 09. Dezember 2010, 02:07:00
Zitat von: Churke am 08. Dezember 2010, 22:40:43Dass es so etwas wie Fortschritt gibt, ist eine Vorstellung der Neuzeit. Man kann sich durchaus auf den Standpunkt stellen, dass man alles weiß und dass Neuerungen nur schädlich sind.
Nun, da muss man die Vorstellung von Fortschritt aber vom Fortschritt an sich trennen. Fortschritte bzw. neutral ausgedrückt "Entwicklungen" gibt es immer, selbst in Epochen, die nicht daran glauben. Die Epochen, die nicht daran glauben, sind allerdings deutlich in der Mehrheit. ;)
  Und dass eine Veränderung, die man als "Fortschritt" deuten kann, so schnell kommt wie heute, das ist auf jeden Fall eine Besonderheit der Moderne. Bei 20 Jahren muss man sich je nach Setting tatsächlich nicht viele Gedanken machen. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich über Jahrhunderte gar nicht viel verändert. Veränderungen gibt es dann schon - Könige wechseln, ein Dorf wird vom Krieg zerstört - aber mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wird es danach genau mit den gleichen Werkzeugen wieder aufgebaut werden, die schon der Urururgroßvater beim Bau des ersten Dorfes verwendet hat.
  Denn Neuerungen, die die Wirtschaftsform betreffen, sind tatsächlich in Vormodernen Gesellschaften viel seltener, als wir das heute gewöhnt sind. Und bis da so viele Veränderungen zusammenkommen, dass man das als Autor wirklich in die Geschichte einfließen lassen muss - da muss die Geschichte schon einen sehr großen Zeitraum umspannen. Der historische Regelfall wird eher sein, dass der Enkel das Schwert seines Großvaters aus dem Schrank holt und dann immer noch mit der topmodernsten State-of-the-Art Waffe seiner Zeit in den Krieg ziehen kann. Entsprechender Erhaltungszustand vorausgesetzt. ;D

Bei 20 Jahren wird man sich mehr Gedanken um politische als um technische bzw. gesellschaftliche Veränderungen machen müssen. Dass hat sogar nur indirekt mit der "Moderne" zu tun - auch wenn grundsätzlich bei vielen Hochkulturen eine dezidiertere Entwicklung in Kleinigkeiten zu beobachten ist (so haben die Römer zum Beispiel eine Menge auf die Beine gestellt), so ist es doch nicht immer so, dass eine entwickelte Hochkultur mehr technische Entwicklung hat als eine stärker traditionelle, stammesmäßige Gesellschaft.
  Da kommt dann oft auch die "Mentalität" einer Kultur zum tragen. So war die chinesische Gesellschaft beispielsweise über lange Zeiträume hinweg so konservativ, dass sie selbst vorhandene technische Ansätze und Entdeckungen eher zögerlich um- und eingesetzt hat und so die "Durchdringung" der Gesellschaft durch (technische) Entwicklungen deutlich geringer blieb, als es uns heute selbstverständlich vorkommen würde. Man kann also selbst modernere und entwickelte Gesellschaften noch glaubwürdig so darstellen, dass sich am "Look & Feel" des Alltags selbst über lange Zeiträume aus Sicht von Protagonisten wenig ändert, wenn man nur die Kultur mit einer entsprechenden Skepsis gegen Neuerungen zeichnet.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: FeeamPC am 09. Dezember 2010, 08:36:35
Irgendein Wissenschaftler hat mal gesagt, daß genügend entwickelte Technik sich nicht mehr von Magie unterscheidet. Da wäre also der Berührungspunkt.

Und was den Weltenbau angeht- für mich war immer Darkover von Marion Zimmer Bradley die beste Welt mit einer gelungenen Mischung von Science Fiction und Fantasy. Eine hochtechnische Zukunft mit Raumfahrt, aber auf Darkover regieren Familien mit magieartigen Psi-Kräften (Laran),  die durch geheimnisvolle Steine verstärkt werden, zusätzlich existieren irgendwelche mehr oder weniger realen Wesen der Vorzeit als durchaus körperlich eingreifende Götter. Und das alles paßt prima zusammen.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Churke am 09. Dezember 2010, 12:31:09
Zitat von: Lomax am 09. Dezember 2010, 02:07:00
Nun, da muss man die Vorstellung von Fortschritt aber vom Fortschritt an sich trennen. Fortschritte bzw. neutral ausgedrückt "Entwicklungen" gibt es immer, selbst in Epochen, die nicht daran glauben.
Das ist wohl war. Und je länger man das Rad der Zeit anhält, desto heftiger setzt es sich irgendwann in Bewegung.
Dennoch: Wissenschaftlicher Fortschritt erfordert die Bereitschaft, alte Weisheiten in Frage zu stellen. Die Überzeugung, dass Galen nicht falsch liegen kann, verhinderte über Jahrhunderte jeden medizinischen Fortschritt.

Zitat von: FeeamPC am 09. Dezember 2010, 08:36:35
Irgendein Wissenschaftler hat mal gesagt, daß genügend entwickelte Technik sich nicht mehr von Magie unterscheidet. Da wäre also der Berührungspunkt.
Kein Wissenschaftler, das war Arthur C. Clarke.

In der Foundation-Triologie beschreibt Asimov, wie sich das Galaktische Imerpium vom Stillstand über den Rückschritt bis zum Zusammenbruch entwickelt. Eine Schüsselszene hierzu ist der Besuch des kaiserlichen Gesandten auf Terminus. Der Gesandt ist ein gelehrter Mann, aber für ihn besteht "Forschung" daraus, in der Bibliothek von Trantor die Argumente großer, vor Jahrhunderten verstorbener Kapazitäten abzuwägen und sich dann einer Meinung anzuschließen.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Thaumaturgon am 09. Dezember 2010, 21:12:24
Das mit der "Luminarität der Entwicklung" ist so eine Sache. Entwicklungen gibt es immer, manche sieht man im Nachhinein als Fortschritt, andere nicht. Entwicklung ist nicht überall gleich schnell. Manche Regionen springen regelrecht vorwärts, andere treten auf der Stelle oder machen sogar Rückschritte. Wie hoch die Fortschrittsgeschwindigkeit ist, hängt auch vom Umgebungsdruck ab. Hätten die Chinesen nicht die Mongolen vor der Nase gehabt, hätten sie die Mauer nicht gebaut und vielleicht auch nicht im zwölften Jahrhundert schon Raketen gehabt. Wozu sich den Kopf zerbrechen, wenn es keine Bedrohung gibt? Wenn aber, dann richtig. Das Militär war und ist eine der Hauptfortschrittsantreiber überhaupt.

Wenn man über das Verhältnis von Magie und Technik spricht, muss man sich letztlich auf eine Perspektive festlegen, die "alchimistische", oder die "rationalistische". Wenn ein Zauberer etwas tut, das ein anderer nicht durchschauen kann, könnte der andere glauben, es sei magisch. In dem Moment bedeutet das erst einmal, dass derjenige nicht versteht, wie das ging, also was die Technik dahinter ist.
Worin man sich als Autor entscheiden muss, ist nun: versteht nur keiner der anderen die Technik des Zaubernden, oder GIBT es TATSÄCHLICH keine Technik in dem Sinne, dass der Zaubernde genau weiß, was er tut? Wenn er nur einem funktionierenden Ritual folgt, und gar nicht weiß, warum es funktioniert, dann sind wir in einer anderen Welt. GIBT es ein naturwissenschaftliches System in der Welt, das letztlich all diese "magischen" Effekte ermöglicht, und das der Zauberer bewusst oder unbewusst einsetzt, oder ist es eine mystische Welt, in der die Logik sozusagen Grenzen hat, in der es Bereiche gibt, die nicht unerklärt sind, sondern per se unerklärLICH? In der ersten Welt trifft es zu, dass Magie und Technik sich irgendwann treffen, in der zweiten nicht.

Für eine der Welten muss sich der Autor eben entscheiden.

Oder gibt es noch mehr Möglichkeiten? :-)

Grüßle

Thauma
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Rakso am 13. Dezember 2010, 20:47:45
Hallo,

Zitat von: Zitkalasa am 08. Dezember 2010, 21:59:53
Ich würde sagen, Instant-Magie gibt's in Form von Zaubertränken schon einige Zeit. ;D

äh, ich meinte das eher im Sinn von, Packung auf drübba. Aber auf Zaubertränke bin ich noch nicht gekommen.

@Lomax:
Die 20 Jahre waren eher salopp gewählt. Es hätten auch 50, 70 oder 120 Jahre sein können. Aber zum Beispiel wenn man einen Roman schreiben würde, der zwischen 1753 bis 1773 handelt, dann würde ja auch die Erfindung der Dampfmaschine in diesen Zeitraum hinein fallen. Aber grundsätzlich stimme ich zu.

@Thaumaturgon:
Ich denke mal auch hier gilt wieder die Formel: Wenn's stimmig ist, kann man's machen.

Aber wir leben ja mitten drin, in einer Zeit, in der alles katalogisiert und erforscht wird. Warum sollte das in einer anderen Welt nicht genauso sein? Mann hat zum Beispiel früher nicht verstanden, wie Leben im eigentlichen Sinne funktioniert (bis heute hat man es nicht ganz richtig verstanden) oder es gibt Philosophen die sich auch mit der Frage auseinandergesetzt haben, warum alles nach unten fällt. Es könnte ja auch nach links, rechts, oben oder nach links, einen Bogen machen und dann nach oben verschwinden. Heute weiß man, dass das mit der Anziehungskraft der Erde zu tun hat.
Das heißt dann im Folgeschluss: Dass, in einer Welt die relativ modern ist, eine Entmythisierung statt finden könnte, dass man versucht Magie auf Logik zu reduzieren (was bestimmt nicht so einfach ist) und versuchen wird sie in bestimmte Gesetze einzuteilen usw. Das wäre dann das Ende vom magischen Ahh-Effekt, eine Entromantisierung von Magie. Und das wäre, in meinen Augen, für einen Fantasy-Autor glatt "Geschäftsschädigend".
Entweder schafft man nun einen Gegenpol, religiöse Sekten die Forschung als Sünde sehen oder Herrscher die kein Interesse an Fortschritt haben, (aber dann würde ja erst recht Geforscht werden) oder man bildet eben eine Übergangszeit ab.

Äch, jetzt brummt mir der Schädel  ??? 
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Churke am 14. Dezember 2010, 10:31:44
Zitat von: Esteve am 13. Dezember 2010, 20:47:45
Heute weiß man, dass das mit der Anziehungskraft der Erde zu tun hat.
Das heißt dann im Folgeschluss: Dass, in einer Welt die relativ modern ist, eine Entmythisierung statt finden könnte, dass man versucht Magie auf Logik zu reduzieren (was bestimmt nicht so einfach ist) und versuchen wird sie in bestimmte Gesetze einzuteilen usw.

Die alten Griechen haben die Welt ebenfalls entmythisiert und sie durch Naturgesetze erklärt, Götter spielten darin keine Rolle mehr.
Das Gleiche galt für Zauberei und andere übernatürliche Phänomene.

Im 4. Jahrhundert n. Chr. stand schon auf die Nichtanzeige von Zauberei die Todesstrafe. Die Hexenjagden der Spätantike waren erheblich schlimmer als die des Mittelalters bzw. der frühen Neuzeit.

Auch heute lässt sich durchaus eine gewisse Tendenz zur Irrationalität und Esoterik erkennen. Ich will nicht ausschließen, dass man in 200 Jahren Gesetze gegen Vampire erlässt.

Alles, was man dazu braucht, ist eine Entkoppelung von Volksglaube und Wissenschaft, eine Überwindung der Wissensgesellschaft.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: AlpakaAlex am 29. August 2021, 15:01:02
Nun, ich bin jemand, der bevorzugt Urban Fantasy schreibt und liest, weswegen meine Antwort natürlich ist: So modern wie möglich.

Um ehrlich zu sein reizen mich diese mittelalterlichen Fantasy-Welten so gar nicht. Auf der einen Seite sind sie einfach nur super ausgelutscht vom Konzept her (sorry, not sorry) und häufig halt auch nicht wirklich gut durchdacht. Also es macht einfach keinen Sinn, warum diese Welten auf dem Stand vom Mittelalter rumhängen, obwohl es so viele Faktoren gibt, die dagegen sprechen. Magie allen voran. Denn in meinen Augen sollte Magie eher ein Aspekt sein, der für technischen Fortschritt spricht, als dagegen.

Spannend finde ich auch Fantasy-Welten, die sogar leicht futuristisch angehaucht sind. Oder auch weniger leicht. Ich bin halt bspw. auch ein riesiger Fan von Shadowrun und finde solche Settings unglaublich spannend.

Allgemein finde ich es eigentlich komisch und wenig nachvollziehbar, warum die Fantasy so oft am (europäischen) Mittelalter festklebt, anstatt den Rest der Menschheitsgeschichte zu erforschen.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Zit am 29. August 2021, 15:19:33
Zitat von: AlpakaAlex am 29. August 2021, 15:01:02
Allgemein finde ich es eigentlich komisch und wenig nachvollziehbar, warum die Fantasy so oft am (europäischen) Mittelalter festklebt, anstatt den Rest der Menschheitsgeschichte zu erforschen.

Ich denke, die Antwort darauf lässt sich im kurzen Thread bereits finden: Unsere moderne Welt ist entmystifiziert. Wir haben die Erklärung der Welt durch Religion und Aberglauben mit Wissenschaft ersetzt. Sich also innerhalb einer Welt zu bewegen, die diesen Schritt noch nicht (vollends) gegangen ist, macht es etwas einfacher. Daneben spielt dann sicherlich auch eine Rolle, dass Märchen ebenso im gefühlten, zeitlosen Mittelalter-Limbus spielen und dass das Mittelalter in Romanen exotisiert und romantisiert wird (und ich das Gefühl habe, dass Romantisierung vergangener Epochen eine Art inneres Bedürfnis im kollektiven Gedächtnis/ der kollektiven, menschlichen Psyche ist?). Heißt natürlich nicht, dass es nicht auch in der Moderne magische Elemente gibt, nur die Erklärung dieser Magie ist regelmäßig eher naturwissenschaftlicher Natur, s. Vampire und Zombies durch Viren. Oder bewegt sich in religiösen Bereichen, in denen Engel und Dämonen wenig magisch sind, sondern eine höhere/ andere Lebensform. Religion hat für sich ja auch immer den Anspruch gepachtet, nicht nur wahr sondern auch real zu sein wodurch sich dann kaum Dissonanzen ergeben, wenn bspw. der Teilchenphysiker mit Raphael über Gottes Pläne diskutiert. (Oder so ähnlich. ;D)
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: AlpakaAlex am 29. August 2021, 15:31:23
Zitat von: Zit am 29. August 2021, 15:19:33
Wir haben die Erklärung der Welt durch Religion und Aberglauben mit Wissenschaft ersetzt.
Wobei das halt eben auch nur erklärt, warum man etwas nicht in der modernen Welt spielen lässt, allerdings nicht, warum alles ausgerechnet im Mittelalter angesiedelt ist und nicht bspw. in der Antika oder einer noch früheren Zeit, wo es ja noch einmal deutlich mehr Aberglauben gab.

Ich meine, gut, letzten Endes kenne ich die Antwort: Im Rahmen des Kolonialismus wurde das Mittelalter halt zu diesem romantischen, idealen Etwas hochstilisiert, das wir heute kennen und bis heute auch in der Fantasy gerne verwenden. Ziel damals war halt eben dabei eine Narrative zu erreichen, in der Europa halt schon immer viel besser als alle anderen war, es also komplett begründet und sinnvoll ist, dass Europa es ist, das alle anderen Gebiete kolonialisieren kann - immerhin war Europa schon immer mystisch toll.

Aber genau deswegen geht es mir halt auch so auf den Keks, dass genau dieses koloniale Narrativ wieder und wieder reproduziert wird, ohne dass großartig darüber nachgedacht wird.

Und Schwerter. Schwerter in Fantasy nerven. Gebt mir Speere.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Zit am 29. August 2021, 16:58:17
Ja, in die koloniale Verklärung habe ich nicht gedacht. Ich denke, es liegt vielleicht auch daran, dass "Antike" keine Epoche ist, in der wir Deutschen besonders geglänzt haben (sollen). Natürlich haben wir nicht alle im Dreck gelebt, aber auf dem Zivilisationsstand der Römer waren wir auch nicht. :hmmm: Was wohl das koloniale Narrativ ist, von dem du sprichst.
Wobei mir jetzt auch Titel aus dem Zirkel einfallen, die in der römischen Antike spielen, aber ich kann dir gerade nicht sagen, ob die alle so phantastisch sind.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Amanita am 29. August 2021, 19:52:30
Ich bin selber auch kein Fan von mittelalterlichen Settings und schreibe in einer Fantasywelt auf technologisch und gesellschaftlich modernem Stand.
Trotzdem kann ich in gewisser Weise nachvollziehen, warum pseudomittelalterliche Settings so beliebt sind. Anders als in späteren Epochen gibt es da einerseits noch keine Elemente, die nach Meinung vieler Fantasyfans stören würden (Schusswaffen, naturwissenschaftliches Denken...), aber dafür Monarchien und Adel, die ja bei vielen sehr beliebt sind. Im Gegensatz zur Antike mit Sklaverei, Gladiatorenkämpfen und extremem Sexismus und zu den später folgenden, von Hexenverfolgung, brutalen Religionskriegen und Kolonialsierung geprägten Jahrhunderten sind die damaligen (christlichen) Werte aber zu großen Teilen nah genug an unseren heutigen, dass man sich damit identifizieren kann, oder werden zumindest so dargestellt. Dazu kommt dann auch noch die Verklärung einer gefühlt besseren Vergangenheit im Einklang mit der Natur und ohne Entfremdung durch Großstädte, Industrie usw. ein Topos, der ja auch bei Tolkien eine zentrale Rolle spielt.

Letzteres macht auch ein antikes Setting ziemlich schwierig. Wenn es nicht gerade um ein Grim and Gritty-Setting geht, soll in der Fantasy ja normalerweise die bestehende Kultur als schützenswert und moralisch integer dargestellt werden, Helden, die ohne ersichtlichen Grund gegen ihr Umfeld rebellieren und moderne Sichtweisen vertreten, sidn ja bekanntlich eher unbeliebt. Mit einer antiken Gesellschaft, wo Sklaverei ganz selbstverständlich dazugehört und friedliche Prediger zu Tode gefoltert werden, ist das aber kaum machbar.
Dass die eher klägliche Rolle unserer Vorfahren in dieser Zeit viele Autoren abschreckt, halte ich eher für unwahrscheinlich, wobei ein Fantasyroman, mit blonden, hellhäutigen, pseudogermanischen Eingeborenenstämmen, die sich gegen das südliche Imperium verteidigen müssen und dabei von der Versklavung bedroht sind, vielleicht auch aus ganz anderen Richtungen auf Kritik stoßen würde. Könnte man auch wunderbar für rechte Propaganda instrumentalisieren.

Persönlich fände ich auch gerade 18. und 19. Jahrhundert bis frühes 20. Jahrhundert als Setting recht spannend, gerade wegen der vielen Konflikte, aber da findet man wenn überhaupt eher die viktorianischen Werke, die in unserer Welt spielen und dann auch häufig noch aus  für mich unerfindlichen Gründen den Sexismus dieser Zeit romantisieren.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Yamuri am 05. September 2021, 18:44:43
Mir stellt sich hier zunächst die Frage. Wie definieren wir Fantasy? Was zeichnet Fantasy aus? Gibt es eine allgemeingültige Definition?

Denn die Antwort auf die Threadfrage steht in Abhängigkeit dazu, wie Fantasy definiert ist. Fantasy Welten dürfen so modern sein, wie es im Bereich der Definition des Genres liegt. Wenn das Genre z.B. dadurch definiert ist, dass es vergangene Welten als Inspiration hat, dann liegt die Grenze anders, als wenn die Definition keinen Zeitrahmen festlegt.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Archibald am 06. September 2021, 12:42:45
Zitat von: AlpakaAlex am 29. August 2021, 15:01:02
Allgemein finde ich es eigentlich komisch und wenig nachvollziehbar, warum die Fantasy so oft am (europäischen) Mittelalter festklebt, anstatt den Rest der Menschheitsgeschichte zu erforschen.
Das beschränkt sich nicht nur auf die Fantasy, würde ich sagen. Wie viele Historienromane spielen in (und mit) dieser Zeit?
Ich denke, es liegt einerseits daran, dass der überwältigenden Anteil der meisten AutorInnen aus Europa kommt und dass wir in vielen Ländern Europas – auch heute noch – mehr als nur Überreste der damaligen Epoche(n) vorfinden. Kathedralen, Burgen, Klöster, jahrhundertealte Häuser, und auf der anderen Seite viele schriftliche Quellen verfügbar sind, die je nach Bedarf hemmungslos ausgeschlachtet werden. (Königreiche, Fürstentümer, Könige, Kaiser, Schlachten, Belagerungen, Pest, Hunger, Elend, Leibeigenschaft usw.)
Ich denke, es ist sehr bequem, aus diesem reichhaltigen Fundus auszuwählen und es erhöht die Immersion, da – selbst wenn ich eine fantastische Geschichte drumrum spinne, mein Unterbau doch sehr plausibel erscheint, und ich als Leser weiß, was ein König ist, ein Kaiser, ein Schankwirt ist etc. Ich erspare mir also viel Arbeit, indem ich das Setting nicht groß zu erklären brauche.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Mondfräulein am 06. September 2021, 14:31:06
Ich habe den Eindruck, dass High Fantasy da einfach so festgefahren ist. Man macht das so, weil man die Vorstellung hat, dass das Genre halt so ist. Vielleicht auch, weil man sich noch zu sehr an Tolkien orientiert.

Ich finde es aber umso spannender, wenn Romane da ausbrechen. Die Grisha-Welt orientiert sich eher am 18. Jahrhundert und das fand ich viel interessanter. Dadurch kommen auch gleich ganz neue Themen auf, zum Beispiel, dass Schusswaffen die magische Grisha-Armee irgendwann überflüssig machen könnten. Die Neuzeit ist ja auch eine Epoche, die sich über 500 Jahre erstreckt, und ich glaube nicht, dass ich irgendwann mal einen wirklich mittelalterlichen Fantasy-Roman schreiben werde, wenn ich mich auch irgendwo da ansiedeln kann.

Obwohl ich ehrlich sagen muss, dass ich den Gedanken eines wirklich abstrahierten Disney-Mittelalters auch spannend finde. Die Märchen-Version, wie damals in der Gummibärenbande, die es so wirklich nie gab.
Titel: Re: Wie modern dürfen Fantasy-Welten eigentlich sein?
Beitrag von: Yamuri am 06. September 2021, 14:53:08
Zitat von: MondfräuleinIch habe den Eindruck, dass High Fantasy da einfach so festgefahren ist. Man macht das so, weil man die Vorstellung hat, dass das Genre halt so ist.

Den Eindruck habe ich auch. Und ich muss da gestehen, ich klebe auch an dieser Vorstellung, dass Tolkien dieses Genre definiert. Daher frage ich mich momentan aber auch: ist diese Vorstellung vielleicht falsch? Was wäre wenn High Fantasy viel mehr sein dürfte? Was wäre, wenn High Fantasy einfach nur bedeutet, ich habe eine Heldenreise und Mythologie, die nicht wissenschaftlich erklärt werden muss? Dann könnte man quasi ein Setting entwerfen, das entweder in mythischen Zeitaltern der Erde spielt oder in einer fernen Zukunft, nur ohne Technologie und stattdessen Magie? Man wäre viel freier, wenn die Vorstellung, High Fantasy sei sowas wie Tolkien, falsch wäre.

Irgendwo habe ich ein Projekt, das sehr mythologisch ist und quasi in einem Zeitalter der sagenumwobenen Kontinente wie Mu/Atlantis oder gar selbst erfundene versunkene Kontinente spielen würde. Aber wegen meiner Vorstellung, dass High Fantasy ja sowas wie Tolkien ist, würde mir nie in den Sinn kommen, das als High Fantasy zu klassifizieren. Wahrscheinlich werde ich es zwar deutlich zu Science-Fantasy machen, aber so grundsätzlich ist es eigentlich schade, wenn man sich so einschränken muss, nur weil man an einer best. Vorstellung von High Fantasy klebt.