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Handwerkliches => Auskunft und Recherchen => Autoren helfen Autoren => Archiv: Auskunft und Recherchen => Thema gestartet von: Wolkentänzerin am 22. Oktober 2016, 18:33:56

Titel: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Wolkentänzerin am 22. Oktober 2016, 18:33:56
Hallo ihr Lieben :)
Ich habe schon öfters im Forum gelesen, dass sich einige von euch ganz gut mit Kampfsport auskennen, daher stelle ich hier meine Frage.
Ein Charakter ist durch einen Unfall erblindet. Sie war davor bei einer Art Militär, sehr sportlich und gut im Kämpfen. Besonders der Nahkampf ohne Waffen lag ihr schon immer sehr gut. Ich würde mir wünschen, dass sie trotz ihrer Erblindung dies weiter praktiziert und sogar Schüler darin unterrichtet.
Doch welche Art von Kampfsport würde sich für Blinde eignen? Ich habe mir schon Judokämpfe von blinden Sportlern angesehen, doch das ist nicht ganz das, was ich suche.
Der Kampfsport sollte nicht nur zu Verteidigung, sondern auch zum Angriff geeignet sein. Die Schüler lernen es, um in Konflikten neben Waffen noch eine weitere Kampfmethode zu haben.
Kennt ihr Kampfsportarten, die dies erfüllen, aber auch noch gut von einer Blinden auszuführen sind? Sie konnte früher sehen, also hat noch eine gewissen Vorstellungskraft. Gerne können es auch verschiedene Arten sein, die ich dann kombinieren und eine neue Kampfsportart daraus basteln kann.
LG Wolkentänzerin
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Anj am 22. Oktober 2016, 19:29:46
Dazu fällt mir gerade ein Karatedojo ein, in dem es offenbar einen blinden Trainer gibt: http://www.sakura-karate.de/documents/trainer.htm

Vielleicht hilft dir das weiter?
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Wolkentänzerin am 22. Oktober 2016, 19:38:07
Vielen Dank schon einmal! :)
Ich informiere mich gerade ein wenig darüber und sehe mir Videos an, ich denke einige Elemente daraus könnte ich gut benutzen. :buch:
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Slenderella am 22. Oktober 2016, 19:38:31
Hast du dich mal mit Zatoichi befasst? Da kann man ganz gut was von abwandeln, wenn man einen blinden Charakter hat.
Oder befinden wir uns hier so überhaupt gar nicht in fantastischen Gefilden?
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Wolkentänzerin am 22. Oktober 2016, 19:46:17
@Slenderella
Zatoichi kannte ich noch gar nicht, danke!  :)
Fantastisch schon, allerdings technisch etwas weiter fortgeschritten, sodass ich sie wahrscheinlich nicht mehr mit Schwertern kämpfen lasse.
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Sturmbluth am 22. Oktober 2016, 20:27:50
Ich denke, man muss hier zwei Ebenen betrachten:
A) Was ist realistisch?
B) Was ist vielleicht nicht vollends realistisch, unterstützt aber die Story?

Zu (A) ist zu sagen, dass aufgrund der starken Behinderung am ehesten Kampfsportarten mit taktiler Ausprägung in Frage kommen, denn der verlorene Sehsinn muss irgendwie kompensiert werden. Judo finde ich da schon sehr realistisch. Auch Ringen. Wenn du trendy sein willst und den Nimbus der Unbesiegbarkeit plus Exotenbonus haben willst, dann kannst du Brazilian Jiu-Jitsu wählen.  ;D

Nun zu (B), der vielleicht nicht vollends realistischen, aber für die Story interessanten Ebene. Hier empfehle ich Wing Chun (manchmal auch Wing Tsun geschrieben). Diese Kampfkunst enthält Übungen, die das taktile Empfinden schulen, weil man davon ausgeht, dass taktile Reize schneller ans Gehirn gelangen als optische (ob das stimmt, sei mal dahingestellt). Im Training sieht das so aus, dass die Praktizierenden ihre Arme aneinander "reiben", um zu fühlen, was der andere vorhat - mal vereinfacht dargestellt. Daraus könntest du sicher etwas basteln.

Hab mal ein Video rausgesucht, das besser erklärt, was ich meine:
https://www.youtube.com/watch?v=qaP1X-lEtgc
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Churke am 22. Oktober 2016, 20:54:35
Was ist mit Ringen? Da braucht man den Gegner nicht zu sehen.
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Wolkentänzerin am 24. Oktober 2016, 21:10:47
Danke für eure Vorschläge.  :)
@Sturmbluth Ich habe mir gerade das Video angeschaut und muss zugeben, dass ich so etwas noch nie gesehen habe. Auf den ersten Blick sieht das sogar ziemlich locker und entspannt aus, auch wenn es wohl alles andere als dies ist. Ich denke, einige Elemente davon werde ich definitiv einbauen können, da ich mir das auch gut vorstellen kann an meinem Charakter.
Ansonsten gefällt mir Jiu Jitsu auch ganz gut, zumindest was ich bisher auf Youtube gesehen habe. Wahrscheinlich werde ich einige Kampfsportarten kombinieren. :)
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: canis lupus niger am 26. Oktober 2016, 10:51:19
Grundsätzlich könnte ich mir für eine Blinde vorstellen, dass sie zurechtkommt, wenn sie Tuchfühlung zum Gegner hat. Das würde zum Beispiel bei Jiu-Jitsu, Judo oder Aikido, aber auch beim klassischen Ringen der Fall sein.

Andernfalls müsste Deine Prota die Sehfähigkeit durch andere Sinne zu ersetzen lernen. Das halte ich zwar bei Kampfszenen wegen der schnellen Bewegungen und kurzen Reaktionszeiten für extrem schwierig, aber andere Autoren und auch Filmemacher haben das auch schon angewendet, z.B. im Film "Blinde Wut" mit Rutger Hauer. Da kommt es darauf an, wie glaubhaft Du das rüberbringen kannst. 
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Big Kahuna am 02. November 2016, 22:54:35
Wing Tsun wäre eventuell eine Möglichkeit, da diese Selbstverteidigungskunst häufig darauf ausgelegt ist, die Bewegungen des Gegners zu fühlen (wenn man beispielsweise am Handgelenk gepackt wird). Ist ähnlich wie Jiu-Jitsu.
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Kamen am 02. November 2016, 23:22:03
@Wolkentänzerin : Frag Sanjani hier im Forum! Die ist blind und kann dir aus erster Hand was erzählen als Blinde beim Kampfsport. Macht sie nämlich auch.
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Chrissy am 26. Januar 2017, 17:03:42
Also nach meiner Erfahrung fände ich Kung Fu sinnvoll. Dabei geht es viel um innere Ruhe/Kraft in erlernten Bewegungen sogenannte Formen und diese in der Situation umzusetzen. Ich kann natürlich nur von meiner Erfahrung sprechen - ich war früher bei Judo und danach kurz Wing Tsun, bin aber schließlich beim südlichen Kung Fu Stil gelandet. (Das wird gerne in Filmen als Karate verkauft.) Aber in Endeffekt glaube ich, dass du von jedem Stil profitieren kannst.
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Silberfuchs am 02. Februar 2017, 19:23:54
Ich selbst habe Erfahrungen im Judo, Krav Maga, MMA, Taekwondo, Boxen, Muay Thai, Dao Wing Chun und Kickboxen, daher kann ich nur davon berichten.

Wenn dein Charakter vor dem Unfall schon Kampfsport gemacht hat, wird es kaum ein Problem sein, den Sport weiter auszuführen. Beim Karate kann man die Katas weiterhin trainieren, beim Kickboxen kann man trotz Blindheit am Sandsack arbeiten, Judo funktioniert mit engem Körperkontakt und da denke ich, sind auch richtige Wettkämpfe möglich. Bei Kampfsportarten wie Kickboxen und Taekwondo ist richtiges Kämpfen allerdings unmöglich, da man auf jeden Fall seine Augen braucht. Wo ist der Gegner, wo schlägt er zu, was macht er, wo muss ich was setzen? Und das in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. Ich bezweifle, dass man sich da auf andere Sinne verlassen kann. Daher wäre eine Art sinnvoll, die viel mit Kontakt funktioniert, oder eben sie macht nur die 'theoretische Praxis'.
Beim Dao Wing Chun gibt es zudem bei den höheren Schülergraden auch Formen, die man blind macht. Auch die basieren auf Körperkontakt, das richtige Erkennen der Bewegungen und das dazugehörige Handeln.

Also im Grunde bin ich der Meinung, da geht alles auf seine Art und Weise. Nur das Unterrichten kann ich mir schwer vorstellen, da man als Trainer seine Schüler ja sehen muss, um Bewegungen zu korrigieren. Ich hätte absolut keine Ahnung, wie ich meine Kickboxklasse unterrichten sollte, wenn ich nicht sehe, was die einzelnen Schüler machen.
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Ahneun am 03. Februar 2017, 04:13:30
Liebe Wolkentänzerin,
ich möchte Dir auch noch schreiben. Wobei Silberfuchs schon alles geschrieben hat. Da kann ich nichts mehr hinzu fügen.

Ich selbst habe Jahrelang Judo trainiert. Später kamen dann Jui-Jitzu, Ju-Jutsu und Karate hinzu.

Mich interessiert Deine Aussage,
Zitat von: Wolkentänzerin am 22. Oktober 2016, 18:33:56
Hallo ihr Lieben :)
Der Kampfsport sollte nicht nur zu Verteidigung, sondern auch zum Angriff geeignet sein. Die Schüler lernen es, um in Konflikten neben Waffen noch eine weitere Kampfmethode zu haben.
LG Wolkentänzerin
Es handelt sich um einen Erblindeten, er konnte also vorher sehen.
Warum sollte ein Blinder angreifen? Er ist in seiner Wahrnehmung stark eingeschränkt und muss nun seine noch vorhandenen Sinne so schulen, dass sie das fehlende Sehvermögen ausgleichen. Ich meine, die Kampftechniken sind so ausgelegt, dass sie der Verteidigung dienen.
Ein Blinder, der angreift benötigt ein Ziel wohin er seinen Angriff richtet. Da ist es doch besser, wenn er angegriffen wird und hier seinen Fähigkeiten (seinen gut ausgeprägten Fähigkeiten) entsprechend reagiert. Dann kann er seine Angreifer auch abwehren bzw. bekämpfen.

Wie gesagt, ich stimme, was Silberfuchs geschrieben hat vollkommen zu. Ein Blinder benötigt den Körperkontakt oder einen ausgeprägten Orientierungssinn. Bitte verfall nicht in Euphorie wenn Du die Kampfszenen von inszenierten Hollywood Verfilmungen siehst. Die Realität ist weitaus nüchterner und unspektakulärer.

Liebe Grüße
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Simara am 04. Februar 2017, 16:00:05
Ich trainiere vorallem eine Form des Nin-Jutsu (übrigens kein Kampfsport, sondern eine Kampfkunst) und unserem Trainer ist es tatsächlich wichtig, dass wir auch lernen "blind" zu kämpfen. Aus eigener Erfahrung kann ich vorausstellen, dass es weder einfach noch schmerzfrei ist und ich mir mit verbundenen Augen bereits zweimal beinahe die Nase gebrochen habe. Mit sehr viel, sehr intensivem Training könnte ich mir jedoch vorstellen, dass auch jemand der erblindet ist (gerade mit Vorerfahrung) hier doch sehr weit kommen könnte. (Mein Trainer behauptet ja immer, wer nichts sieht habe sogar einen Vorteil, da er sich auf die Wichtigen Dinge konzentriert, aber das halten ich und meine blauen Flecken für Euphemismus) Nin-Jutsu könnte sich für deine Zwecke auch deshalb gut eignen, da es sehr viel um Gefühl geht und auch eine etwas mystische, semi-psychologische Komponente hat. Soll heißen: Bewegungen des Gegners sollen wenn möglich vorhergesehen, erspürt und gegen ihn eingesetzt werden. Außerdem variieren die Trainingsformen je nach Dojo sehr stark, man hat beim Schreiben daher Spielraum ohne sofort unrealistisch zu klingen.
Viel Erfolg beim Austüfteln!
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Ahneun am 04. Februar 2017, 23:06:19
Zitat von: Wolkentänzerin am 22. Oktober 2016, 18:33:56
Hallo ihr Lieben :)
Der Kampfsport sollte nicht nur zu Verteidigung, sondern auch zum Angriff geeignet sein. Die Schüler lernen es, um in Konflikten neben Waffen noch eine weitere Kampfmethode zu haben.
LG Wolkentänzerin

Hi Simara, *verbeug mich*
Kannst Du Dir vorstellen, mit verbundenen Augen (blind) einen Angriff zu führen? Hast Du mit verbundenen Augen Jemanden angegriffen, ohne Dich zu verteidigen? (im Training natürlich) Ich kann mir vorstellen, dass bei einem Angriff mehr Koordination erforderlich ist, als bei einer Verteidigung. Ich weiß nicht, wie man blind, Angriffszenen üben und letztendlich durchführen kann.
LG

PS: Nin-Jutsu kannte ich bis jetzt auch noch nicht.
Hab´s gegooglt, nun weiß ich Bescheid.  ;D
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Simara am 05. Februar 2017, 11:13:16
Zitat von: A9 am 04. Februar 2017, 23:06:19
Kannst Du Dir vorstellen, mit verbundenen Augen (blind) einen Angriff zu führen? Hast Du mit verbundenen Augen Jemanden angegriffen, ohne Dich zu verteidigen? (im Training natürlich) Ich kann mir vorstellen, dass bei einem Angriff mehr Koordination erforderlich ist, als bei einer Verteidigung. Ich weiß nicht, wie man blind, Angriffszenen üben und letztendlich durchführen kann.

Ich würde sagen, angreifen ist blind deutlich einfacher als verteidigen. Das schöne an Angriffen ist, dass sie, egal wie man sie für die gegebene Situation umwandeln, immer auf bestimmte Grundbewegungen/ Techniken zurück gehen, die man in und auswendig kennen sollte. Wenn man also erstmal (dank Gehör und ein wenig Gefühl) korrekt einschätzen kann, wo der Gegner ist, kann man deshalb auch überraschend präzise treffen. Verteidigen finde ich deshalb schwerer: Man weiß zwar, wo der Gegner ist, muss aber vorhersagen können, wohin er zielt und wie er sich weiter bewegt. Und wenn man sich verschätzt, kann man auch schon einmal direkt in die ausgestreckte Faust hinein "ausweichen".  ::) Das Wichtigste am Training ohne Augen, würde ich mit meiner Halbbildung mal vermuten, ist wahrscheinlich das Gehör und die Reflexe "ausgleichend" zu schulen. Und man muss einen klaren Kopf behalten können, Panik ist bekanntlich schlecht für die Konzentration. Gemeinhin gilt zudem, dass Training ob mit oder ohne Augen sich im Kern recht ähnlich ist: Machen, bis es klappt.  ;)
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: cryphos am 05. Februar 2017, 11:53:46
Ich bin nicht blind, habe aber Zivildienst an einer Blindenschule/Internat für Blinde und Mehrfachbehinderte geleistet.
Blind kämpfen ist möglich aber schwer. Gut machbar ist der Kampf mit Körperkontakt bzw. im Gerangel/Grabbling/Infight. Da fühlt man einfach, wo der Gegner ist. Ringen, Aikido, Judo eignen sich gut dafür sehr gut, (bzw. diese drei wurden an der Blindenschule unterrichtet).
Alles mit kurzen schnellen Schlägen und Tritten, Hebeln, Griffen, Würfen ist prinzipiell gut geeignet.

Schwerer ist der Angriff ohne Kontakt. Die Entfernungen Richtung einzuschätzen (ist der Gegner schon in Reichweite, oder brauche ich eine Ausfallschritt) ist schwer. Dazu braucht es mehr als etwas Übung (ich habe 10 Monate immer mal wieder mittrainiert und mir viel es nach 10 Monaten noch sehr schwer, bzw. ich hab es nicht geschafft).

Karate ist möglich aber extrem schwer. Ich muss nicht nur wissen wo der Gegner ist sondern auch abschätzen wie er sich positioniert, damit ich einen Schlag zielgerichtet ausführen kann. Ist mit sehr viel Erfahrung möglich. Ehemals Sehende haben hier deutliche Vorteile, weil ihr räumliches Denken wesentlich besser ausgeprägt ist. Oft nutzt man ungeziehlte Schlagtechniken um den Gegner zu finden. Also man schlägt/tritt in Richtung des Gegners und sobald man Widerstand spürt greift man zu und geht in den Infight. Hier sind Blinde extrem gut.

Fazit: Sobald der/die Blinde am GegnerIn ist, kann gut gekämpft werden. Alles ohne Kontakt zum Gegner gestaltet sich schwer.
Kampf mit Waffen wie dem Bo, Schwert oder ähnlichem ist theoretisch möglich, wurde an der Blindenschule aber nicht praktiziert.
Ich habe Blinde geärgert, indem ich mich hinhockte und den Schlag über meinen Kopf hinweg abwartete bevor ich angriff. Netter Vorteil, denkt man. Das machte ich aber nur ein paar mal, dann bekam ich die Tritte ab.
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Sanjani am 05. Februar 2017, 17:24:46
Hallo Wolkentänzerin,

nachdem du mich ja nicht angefragt hast, das Thema aber noch aktuell zu sein scheint, erzähle ich dir mal ein bisschen was aus meiner Erfahrung, wobei ich versuche, mich kurz zu halten und nichts unnötig zu wiederholen.

Ich habe Erfahrungen mit Judo, Wing Chun und Brasilianisch Ju-Jitsu.
Alle drei Kampfkünste sind für blinde Menschen sehr gut geeignet und nebenbei auch gut kombinierbar. V. a. das BJJ und das Wing Chun machen mehr im Bereich Selbstverteidigung. Letzteres ist nur hierfür konzipiert worden und eignet sich dafür sehr gut.

Daneben habe ich letztes Jahr an einem Sommercamp meiner Kampfsportschule teil genommen, wodurch ich die Gelegenheit hatte, auch ins Kickboxen und Muay Thai hineinzuschnuppern. Alle Sportarten, die auf Distanz arbeiten und ohne Kontakt sind aus meiner Sicht wenig geeignet für eine auch späterblindete Person. Natürlich gibt es einzelne Leute, die so etwas können, aber man muss sich als Autor auch immer die Frage stellen, welches Bild man von der behinderten Person zeichnen möchte. 90% der Informationen über Menschen mit Behinderung erhalten wir aus den Medien, und wir betroffenen sind dann immer diejenigen, die es ausbaden müssen, wenn andere eine völlig falsche Vorstellung von dem bekommen, was man können sollte und was nicht. Kampfsportüberflieger also bitte eher nicht.

Einen Angriff würde ich nur dann wagen, wenn ich wüsste, dass ich die Situation bis zum Schluss im Griff habe. Für eine blinde Person ist es wichtig, in Kontakt zu kommen und dann auch zu bleiben. Es nützt mir nichts, wenn ich z. B. dem anderen einen saftigen Tritt verpasse, aber danach nicht mehr weiß, wo er sich befindet. Bitte denkt auch daran, dass das Gehör ausfällt, sobald man z. B. in lauter Umgebung ist, wo viele Leute sind - Stichwort Publikum, vorbeifahrender Zug etc. Hier kann man sich nur aufs Gefühl verlassen und das ist in der Tat sehr gut, wenn man sehr viel trainiert. Unser Wing Chun Grüngurt war z. B. obwohl sehend mit verbundenen Augen sehr sehr gut, weil er einfach anhand der Körperspannung bzw. anhand der Armstellung oder was auch immer er gerade unter den Fingern hatte, spürte, wie der andere steht und daraus ableiten konnte, was der wann höchstwahrscheinlich tun würde. Das war sehr beeindruckend.

BJJ in Kombination mit Judo finde ich für mich im Moment total gut, Ich kann meine alten Sachen aus dem Judo noch anwenden und lerne gleichzeitig, wie ich mich verteidigen kann, z. B. wenn ein Kerl mich am Boden hat um mich zu vergewaltigen. Ich lerne auch, wie ich z. B. jemanden erwürgen kann. Im Wing Chun lerne ich, wie ich jemandem das Genick brechen kann usw. Also man kann sich mit so was schon gut schützen. Und v. a. das Wing Chun sagt ja im Endeffekt, wenn mich einer angreift, muss ich in der Lage sein, den unschädlich zu machen. Ich würde als blinde auch z. B. nie das Risiko eingehen, jemanden zu Boden zu ringen und dann wegzugehen, weil ich ja nie im Leben so schnell weglaufen könnte und auch nicht sehen würde, ob der andere wieder aufsteht. Ich würde ihn also zu Boden bringen, mich so auf ihn draufsetzen, dass ich die maximale Kontrolle habe, und dann Hilfe holen. Wing Chun ist gut geeignet, wenn man sich gegen mehrere Gegner behaupten muss. Das dürfte für eine blinde Person aber schon extrem schwer sein, glaube ich.

Ich bin natürlich nicht das Maß aller Dinge und beende damit meinen Senf an dieser Stelle, aber wie gesagt sollte man immer im Hinterkopf behalten, welches Bild man von dem Protagonisten zeichnen möchte.

VG Sanjani

Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Imperius am 08. Februar 2017, 16:44:41
Zufällig läuft mir Sanjanis Erfahrungsbericht über den Weg. Jede Erblindete, die Kampfsport betreibt, hat meinen größten Respekt. Ich bin kampfsporterfahren und kann insofern gut beurteilen, wie schwer es bereits mit Sehkraft ist, Angriffe ( durch Fäuste , Tritte ... ) auszuweichen oder diese zu blocken und dann auch noch zielgenau zu kontern ( wobei auch der Gegner Angriffe abwehrt, ausweicht ...).
Ich hätte spontan gesagt, Kampfsport für einen Erblindeten passt zwar in einen Fantasy - Roman, hat aber mit der Realität nichts zu tun. Aber man lernt ja immer dazu.
Verteidigung mit Körperkontakt gegen Festhalten usw , also Nahkampf, habe ich aber auch vorher schon  für realistisch gehalten.
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Sanjani am 08. Februar 2017, 18:33:52
Hallo Imperius,

nun, man liest ja auch immer mal wieder was von blinden Menschen, die Opfer eines Taschendiebs werden sollten und den aber dann am Ende am Boden hatten, weil sie eben Judo oder ähnliches trainiert hatten. Es ist also durchaus denkbar, dass man sich auch in der Realität verteidigen kann.

Ich wollte aber noch was zum Thema Training sagen: Mein Kampfsportlehrer sagt immer, man muss die Technik im Training zu 100% drauf bekommen, weil man in der Realität nie das Maximum an Leistung abrufen kann. Das heißt, wenn man 100% im Training schafft, schafft man in Echt vielleicht maximal 80%, und das muss dann eben reichen, um sich gegen einen Angreifer zur Wehr zu setzen. Wir machen es in der Kampfsportschule so, dass immer die älteren Schüler mit eingespannt werden, um den neueren z. B. Techniken noch mal zu erklären, die die noch nicht so gut können. Anfangs dachte ich, ohje, das kann ich ja nie. Mit der Zeit lernt man aber die Bewegungsabläufe so kennen, dass man schon spüren kann, wenn der andere was falsch macht. Aber ich denke, es ist sehr schwer, als Blinder andere zu trainieren. Erstens, weil du ja mit jedem Schüler mindestens einmal trainieren musst, damit du spürst, ob er es richtig macht. Und zweitens, weil du die feinen und wichtigen Details aus meiner Sicht nicht unbedingt sehen kannst, also du kannst nicht spüren, ob der andere es wirklich bis ins Detail richtig macht. Das glaube ich jedenfalls. Es dürfte also schwierig sein, anderen etwas beizubringen. Wobei ich es mir in Einzelstunden schon eher vorstellen könnte, also wenn man nur einen trainiert. Da hat man dann ja auch die Zeit, sich alles genau zeigen zu lassen, wie der andere es macht, und nachzufragen, ob er ein bestimmtes Detail richtig macht. Man weiß ja mit der Erfahrung, was Schüler oft bei bestimmten Techniken falsch machen, und kann dann präventiv sozusagen immer wieder checken, ob der Schüler daran denkt.

So viel noch mal von meiner Seite.

VG Sanjani
Titel: Re: [Kampfsport] Kampfsport für Erblindete
Beitrag von: Ahneun am 08. Februar 2017, 19:29:16
Danke Sanjani! Es macht Lust sich bei der nächsten Gelegenheit mal wieder auf die Matte zu stellen - mit verbundenen Augen.
:knuddel: