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Wie weit lasst ihr eure Charaktere gehen?

Begonnen von Wildfee, 05. August 2018, 18:35:22

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Wildfee

(Man möge mir verzeihen, wenn ich trotz intensiver Nutzung der Suchfunktion keinen vergleichbaren Thread gefunden habe)

Neulich fiel in einem Gespräch mit einer Bekannten von ihr folgender Satz: "ich habe mal gelesen, dass Figuren immer soweit gehen, wie es ihr Charakter vorschreibt, bis an die Schmerzgrenze" im Zusammenhang mit Entwicklung eines Charakters bzw. notwendigem Leidenlassen.
Das hat mich doch arg zum Grübeln gebracht.

Ich als Leserin kann diesem Standpunkt nur schwer etwas abgewinnen. Ich leide viel zu sehr mit, wenn der Held oder die Heldin von Antagonisten/anderen Umständen körperlich/seelisch gequält werden und sie anscheinend nur dadurch eine bestimmte Entwicklung durchmachen oder etwas besser verstehen oder ähnliches.
Ich frage mich, was das über unsere Gesellschaft aussagt, wenn wir als Autoren dem Leser unterschwellig vermitteln, dass Erkenntnisgewinn/Charakterentwicklung nur durch Schmerz stattfinden kann.

Es fängt ja schon bei Harry Potter an, der jedes Jahr aufs neue Leid und Schmerz erfährt in einem Ausmaß, das unsereins ja normalerweise nicht erlebt.

Ist es denn wirklich notwenig, die Übertreibung/Überspitzung als Stilmittel zu verwenden, wenn es um das Erleiden von Schmerz und Leid geht?

Kann ein böser Charakter nicht böse sein, ohne bis zum Äussersten gehen zu müssen? Macht ihn die Zurückhaltung nicht eher greifbarer und komplexer?

Was meint ihr? Wie handhabt ihr es?

Christopher

Hm. Ich entnehme dem Threadtitel, dass es eher um die Antagonisten/Bösewichte und deren Taten geht, als um die Protas, die quasi darunter leiden (in welcher Form auch immer).

Den Gedanken und die Kritik dahinter kann ich absolut nachvollziehen. Bösewichte die einfach Dinge tun, die allgemein als "böse" anerkannt sind um klar zu machen wie schlimm und böse sie sind, die aber keine Motivation dahinter haben, finde ich urlangweilig/unglaubwürdig. Dementsprechend tue ich so etwas nicht oder vermeide es bewusst wo es geht.
Ein guter Bösewicht braucht eben auch eine gute Motivation.
Negatives Beispiel: Sauron war als Charakter für alle die das Silmarillion nicht kannten absolut unnachvollziehbar. Nimmt man nur den Herrn der Ringe, ein absolut grottenschlechter Bösewicht.
Positives Beispiel: Loki (der Marvel Loki) ist ein hervorragender Bösewicht. Klare Motive mit guten, nachvollziehbaren Gründen für seine Taten.
Be brave, dont tryhard.

Evanesca Feuerblut

Was im echten Leben schleichend durch monatelange Veränderungen stattfindet, muss im Roman sozusagen in kondensierter Form und beschleunigt stattfinden. Anders als durch Zuspitzung kann man das oft nicht erreichen. Ich arbeite aktiv damit, erhoffe ich mir gerade vom schmerzhaften Mit-Leiden im Sinne Gandhis doch auch eine gewisse Katharsis-Wirkung bei den Leser*innen.
Darum setze ich nur dort Grenzen, wo ich nicht mehr in der Lage bin, etwas zu beschreiben. Dann deute ich nur an, dass es passiert, aber nicht, wie genau. Habe beim Schreiben auch schon geweint, gezittert, mich beinahe übergeben ... gehe aber trotzdem beim Schreiben immer so weit, wie ich nur kann. Wenn ich schon so leide, dann kommt es vielleicht bei den Leser*innen an und hat den von mir gewünschten Effekt.

FeeamPC

Zurückhaltung ist bestimmt nicht das, was die Leser sehen wollen. Durchschnitt erleben sie jeden Tag genug. Der Held kann nur strahlen, wnenn auch die Widrigkeiten angemessen groß sind, der Antagonist entsprechend böse handelt (allerdings sollte er tatsächlich einen guten Grund dafür haben).

Holger

#4
Dass Charaktere Probleme/Herausforderungen haben, ist für mich wichtig. Dass sie leiden durchaus auch. Es muss sich aber natürlich aus Charakterkonstellationen ergeben und sollte nicht zu gezwungen sein. Außerdem gibt es Momente, in denen man in meinen Augen als Autor nicht "erbarmungslos die Kamera draufhalten muss". Sollte es beispielsweise zu einer Folterszene kommen, würde ich nur die Momente ausschreiben, die wirklich wichtig für die Charakterentwicklung sind und auch gezeigt werden müssen. Den Rest würde ich andeuten. Manche Sachen will ich persönlich einfach nicht schreiben - egal, wie realistisch sie wären.

Beispiel aus Game of Thrones (der Serie, nicht der vergleichbaren Stelle im Buch, Staffel 3):

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Leser wollen gerne ein Happy End, aber intensiver und bemerkenswerter wird eine Geschichte meiner Ansicht nach, wenn der Leser nicht genau das bekommt, was man will - und das bewegt dann vielleicht sogar ein wenig mehr oder bleibt länger in Erinnerung. Daher finde ich es schon wichtig, dass auch meine Charaktere nicht das erhalten, was sie wollen, sondern dass sie scheitern und sich aufrappeln müssen.

So überlege ich beispielsweise, was meine Charaktere als Ziel haben und als Erfolg sehen und dann nehme ich es ihnen entweder vor der Nase weg oder gebe es ihnen nur teilweise. Das führt zu spannenden Entwicklungen und erzeugt weiteren Plot, denn damit muss der Charakter umgehen lernen und einen Ausweg finden.

Für mich besteht die Charakterentwicklung nicht nur aus "Leiden". Im Prinzip kann ein Charakter an jedem Problem, das er übersteht, wachsen oder daran zerbrechen. Beides ist Charakterentwicklung. Es geht dabei also meiner Ansicht nach weniger um einen "Leidensweg", sondern um die Konflikte, die sich ihm in den Weg stellen und spannend ist, wie er damit umgeht. Das kann zum "Leiden" führen, aber auch zu anderen Dingen, wie Triumph, Versagen, Flucht etc.

Was die Bösewichte angeht, stimme ich Christopher außerdem zu, dass sie nachvollziehbar sein sollten. Es mag zwar sicherlich auch wahnsinnige Bösewichte geben, die frei von Motivation und Ziel sind und auch die haben ihre Daseinsberechtigung. Es gibt tolle Plots und Ideen und Szenarien, in denen jemand einfach grundlos böse ist. Doch das sind spezielle Dinge. Für einen "menschlichen" Gegenspieler, der mehr oder weniger normal, aber eben böse/egoistisch/heimtückisch/selbstsüchtig/etc. ist, sollte alles nachvollziehbar bleiben.
"No one asks for their life to change, not really. But it does. So, what are we? Helpless? Puppets? No. The big moments are gonna come, you can't help that. It's what you do afterwards that counts. That's when you find out who you are."
(Buffy: The Vampire Slayer; S02E21: Becoming - Part 1)

Fianna

Bei mit findet Figurenentwicklung in der Regel über psychische Qualen statt: die Hauptfigur muss erkennen, dass sie jemanden nicht vertrauen kann, nur benutzt wurde, in einem entscheidenden Punkt angelogen wurde oder Ähnliches.
In den Harry-Potter-Büchern fand ich auch die Stellen interessanter, in denen Harry erkennen muss, dass ihm eine wichtige Information vor enthalten wurde oder Ähnliches. Die Showdowns waren für mich (abgesehen vom letzten Band) eher Szenen, über die mal schnell drüber liest - jaaaa, jetzt wird er schon wieder so krass verletzt, aber er muss ja überleben, weil das noch gar nicht der letzte Band ist... nicht so besonders interessant wie der "Verrat" von Vertrauenspersonen.

zDatze

Oh, mir ist da sofort der Thread eingefallen: Eine Figur zu quälen. Allerdings hat der auch schon etwas Staub angesetzt.

Generell finde ich es auch nicht wirklich reizend, den Charakter immer nur durch Schmerz zu formen. Das ist doch etwas einseitig, aber ich nehme an, dass es wohl einer der leichtesten Wege ist und daher auch oft benutzt wird. Immerhin haben die meisten Menschen eine starke Abneigung gegen physischen und psychischen Schmerz.

Ich selbst verlasse mich eher auf psychischen Schmerz und Manipulation (zumindest denke ich das :hmmm:). Klar steht auch mehr als einmal das Leben meiner Protas auf dem Spiel, aber meist versuchen sie doch etwas gerade zu rücken, dass in der Vergangenheit mächtig schief gelaufen ist. Das hat oft mit Entbehrungen zu tun, die sie in Kauf nehmen. Manchmal auch mit einem Opfer, das sie bringen und ja, manche gehen auch (dauerhaft) verletzt aus dem Kampf hervor.

Natürlich kann man auch Geschichten schreiben, die die Figuren eben nicht auf diesen Leidensweg schicken. Abenteuer oder auch Mystery-Plots kommen durchaus ohne diese Elemente aus. Da ist es viel interessanter die Rätsel zu lösen oder die Welt zu entdecken.
Meine Vermutung ist, dass aber oft das höchste am Spiel steht, das für die Figuren möglich ist: ihr Leben. Und um das zu behalten, müssen sie leiden. (Klingt etwas pathetisch, aber ich kanns gar nicht besser ausdrücken.)

Churke

Zitat von: Wildfee am 05. August 2018, 18:35:22
Ich frage mich, was das über unsere Gesellschaft aussagt, wenn wir als Autoren dem Leser unterschwellig vermitteln, dass Erkenntnisgewinn/Charakterentwicklung nur durch Schmerz stattfinden kann.


Aus Schaden wird man klug, sagt der Volksmund. Es gibt keinen Output ohne Input, und die ultimativen Lehrmeister sind nun mal Misserfolg und Enttäuschung.

Zauberfrau

#8
Also bei mir ist das auch eine sehr konkrete Frage, wie weit ich meinen Prota leiden lassen darf, wenn er in die Fänge meines Antagonisten kommt ...

Trippelschritt

Ich gehe immer sehr weit. Denn nichts ist so fiszinierend, wie das Verhalten von Menschen in Ausnahmesituationen zu erleben. Aber das sollte lieber in Romanen als im wirklichen Leben stattfinden. Das darf auch durchaus einmal bis zum Anschlag gehen. Aber das bedeutet nicht gleichzeitig, dass die Beschreibung dieser Konfrontation in den grellsten Farben geschehen muss.
Manche Thrillerautoren gefallen sich darin, Grausamkeiten sehr detailliert zu beschreiben. Aber darum geht es eigentlich nicht. es geht darum, was das Opfer spürt, was es tut, wie es damit umgeht.

Im Übrigen halte ich mich an das, was Fee gepostet hat. Über Alltagsleben muss ich nicht schreiben. Das will niemand lesen, denn das erlebt jeder von uns täglich und aufs Neue.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Vaporea

Zitat von: Christopher am 05. August 2018, 18:47:39
Hm. Ich entnehme dem Threadtitel, dass es eher um die Antagonisten/Bösewichte und deren Taten geht, als um die Protas, die quasi darunter leiden (in welcher Form auch immer).

Ehrlich gesagt habe ich den Threadtitel komplett anders gelesen und bin dementsprechend überrascht, dass sich die daraus entstandene Diskussion so sehr auf die Leidensfähigkeit der Protagonisten und die Boshaftigkeit der Antagonisten konzentriert.

Für mich persönlich gehört zu einer guten Geschichte, dass alle Figuren Ziele verfolgen. Das bedeutet für den Antagonisten, dass er eben nicht automatisch ein Bösewicht sein muss, der besonders böse Dinge tut. Es reicht schon, wenn Prota und Anta gegensätzliche Ziele haben und sich im Laufe der Geschichte in die Quere kommen.

Gleichzeitig finde ich, dass ein gutes Ziel jede Figur dazu zwingen sollte, bis zum Äußersten zu gehen. Ich finde kaum etwas langweiliger als Geschichten, in denen der Protagonist die Lösung seiner Probleme vor die Füße geworfen bekommt. Um sein Ziel zu erreichen, sollte er über seine eigenen Schmerzgrenzen hinaus gehen müssen.

In der Frage bzw. der Aussage im Anfangspost geht es in meinen Augen also nicht nur um klassische Bösewichte, sondern sehr wohl auch darum, wie weit man als Autor seine Protagonisten gehen lässt und da würde ich für mich persönlich ganz klar sagen: So weit wie möglich.

Für die Charakterentwicklung bedarf es meiner Meinung nach auch gar keinen klassischen, boshaften Antagonisten, der dem Protagonisten physische oder seelische Qualen zuführt. Ein Charakter kann sich schließlich auch prima weiterentwickeln, indem er innere Konflikte beseitigt. Eine schüchterne Figur kann sich schon alleine dadurch entwickeln, dass sie einen Fremden auf offener Straße anspricht. Dazu muss sie nicht in Lebensgefahr schweben oder von einem Vertrauten hintergangen werden. Sie muss einfach nur die Grenze ihrer Schüchternheit übertreten.

Ja doch, ich finde, dass Charaktere im Laufe der Handlung bis an ihre Schmerzgrenzen gehen müssen. Ich finde aber nicht, dass dieser Schmerz zwingend durch eine lebensbedrohliche Situation und/oder äußeren Qualen definiert sein muss. Innere Konflikte, das Ausbrechen aus der eigenen Komfortzone usw. können ebenfalls Schmerz für eine Figur bedeuten.

Wildfee

Ich bezog mich bei der ursprünglichen Fragestellung tatsächlich mehr auf das Zusammenspiel zwischen Protagonist und Antagonist  ;) Ich merke aber beim Lesen der Antworten, dass das Thema viel umfassender ist und ich die Frage zu einseitig gestellt habe  :jau:


Gizmo

Zitat von: Wildfee am 05. August 2018, 18:35:22
Ich leide viel zu sehr mit, wenn der Held oder die Heldin von Antagonisten/anderen Umständen körperlich/seelisch gequält werden und sie anscheinend nur dadurch eine bestimmte Entwicklung durchmachen oder etwas besser verstehen oder ähnliches.
Ich frage mich, was das über unsere Gesellschaft aussagt, wenn wir als Autoren dem Leser unterschwellig vermitteln, dass Erkenntnisgewinn/Charakterentwicklung nur durch Schmerz stattfinden kann.

Viele Heldengeschichten verlangen ihren Protagonisten ab, sich in haarsträubende Situationen und Lebensgefahr zu bringen. Wenn der Charakter nicht gerade davon überzeugt ist, zu diesen Handlungen berufen zu sein, muss er häufig durch Extremsituationen dazu gezwungen werden - psychischer oder physischer Natur. Um bei deinem Beispiel von Harry Potter zu bleiben: Harry wäre sehr gerne ein junger Zauberer gewesen, der ein 'normales' Leben führt. Erst durch die drohenden Gefahren und den ganzen Schmerz - der auch beweist, dass diese Gefahren real sind und abgewendet werden müssen - wurde er zu seinen späteren Handlungen getrieben.

Ich habe auch einige Charaktere, auf die das zutrifft. Aber mir ist immer wichtig, sie neben dem Schmerz auch etwas Positives erleben zu lassen. Wäre es anders und sie durchlebten nur noch Schlechtes, würde ich mich fragen, warum sie nicht einfach aufgeben. Also: Leiden ja, aber positiven Erlebnissen als Gegengewicht und Motivation.
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

Erin

Das ist ein sehr interessanter Gedanke. Was das über unsere Gesellschaft aussagen könnte... Tja, wahrscheinlich vor allem anderen, dass die Menschheit einen starken Hang zur Dramatik hat. Ich verstehe, was Du meinst. Ich leide auch immer recht stark mit, was mir wiederum aber nicht wirklich etwas ausmacht, weswegen ich da noch nie wirklich drüber nachgedacht habe. Jetzt, da ich darüber nachdenke, fällt mir auf, wie viele Skrupel ich doch selbst immer habe Charakteren in meinen Geschichten etwas anzutun. Ich denke, es ist nicht zwingend notwendig, um eine Geschichte spannend zu machen. Auch Charakterentwicklungen gelingen ohne extremen Schmerz, wenn man es richtig anstellt. Aber ich denke, dass es auch ein wenig darauf ankommt, wie sich der Charakter entwickeln soll. Wenn er eine negative Entwicklung durchmachen soll, wie zum Beispiel an der Gewalt und Ungerechtigkeit zu verzweifeln und zu verbittern, dann ist es natürlich logisch, dass er Schmerzen durchleben muss. Aber auch bei positiven Charakterentwicklungen ist es manchmal von Nutzen den Charakter einiges durchleiden zu lassen. In meinen Geschichten lasse ich die Schurken den Protagonisten bisweilen grausame Dinge antun, damit es hinterher ein umso größeres Wunder scheint, wenn mal einer der besagten Protagonisten trotz des durchlebten Leides in der Lage ist zu verzeihen. Ich nutze den Kontrast, sodass etwas Gutes hervorgehoben werden kann. Dadurch gelingt beim Protagonisten eine positive Charakterentwicklung, gleichzeitig kann dies dann auch den Schurken verunsichern und dazu bringen seine Taten zu hinterfragen, wodurch er sich auch noch positiv entwickeln könnte.

Fazit: Protagonisten müssen nicht zwingend viel durchleiden, um sich zu entwickeln, jedoch macht es eine Charakterentwicklung extremer und hebt sie hervor. Und Antagonisten kann man sicherlich auch böse erscheinen lassen, ohne sie zu grausame Dinge tun zu lassen, aber es hilft natürlich dabei sie als böse darzustellen. Jedoch sollte man selbstverständlich auch die "guten Seiten" des Antagonisten in Betracht ziehen, vorausgesetzt der Charakter lebt nicht nur davon böse zu sein, sondern soll einen komplexeren Eindruck erwecken. Die von dir erwähnte "Zurückhaltung" in manchen Fällen, macht einen Antagonisten also durchaus greifbarer, wobei es auch hier völlig individuell auf den Charakter ankommt, vor allem darauf, wie er so geworden ist, wie er nun ist, und warum er tut, was er tut. Ich würde jedenfalls eine Geschichte mit einem Schurken bevorzugen, der nicht ausschließlich nur grausam ist, sondern dem anmerkt, dass er eine Vergangenheit hat, dass auch er nur ein Mensch ist. Vorausgesetzt es handelt sich um einen Menschen. Wenn nicht, dann anstelle des Wortes bitte die treffende Lebensform einfügen.

Amanita

Erstmal ziehe ich den Gedanken in Zweifel, dass das Interesse an Geschichten mit drastischen Gewaltschilderungen etwas Neues ist, was irgendwie mit unserer heutigen Zeit zusammenhängt. Man schaue sich nur mal die in den Kirchen aufgemalten Darstellungen der Heiligenmartyrien an, unter anderem...
Ansonsten bin ich nicht grundsätzlich gegen schwierige und potenziell verstörende Themen in Büchern, ich bin aber auch nicht der Meinung, dass man unbedingt ins Extrem gehen muss. Wie weit die Charaktere gehen bzw. was sie erleiden müssen hängt auch immer von der Geschichte ab. Ein gewisses Maß an Leid halte ich durchaus für notwendig, aber was wirklich auf dem Spiel steht, hängt vom Genre und vom Thema der Geschichte ab.
Im Pferdebuch für Mädchen kann es schon reichen, dass das Lieblingspferd verkauft wird und vielleicht noch Liebeskummer dazukommt, in der dystopischen Endzeitvision muss sich der Protagonist vielleicht entscheiden, ob er lieber verhungert oder zum Kannibalen wird.
Ich finde aber auch, dass man einer Figur nicht zu viel aufbürden sollte und auch aufpassen muss, dass der Leser durch ständige schreckliche Geschehnisse nicht abstumpft und aufhört, überhaupt noch mitzufiebern. Sonst leidet die Leserin womöglich irgendwann mehr mit der Protagonistin, die ihr Lieblingspferd verliert, als der Heldin, die nach dem Verlust ihres Geliebten auch noch eine Fehlgeburt erleidet und dann zum fünften Mal gefangengenommen und gefoltert wird, weil sie sich einfach von dieser Geschichte distanziert hat, wie es ja auch bei grausamen Nachrichtenbildern gerne der Fall ist.
Wenn man sich mit den psychologischen Auswirkungen eines traumatischen Ereignisses beschäftigt, halte ich es auch für wirksamer, dass dieses in den Mittelpunkt gestellt wird. Der Krieger, der damit leben muss, dass er nach dem Verlust eines Armes kein Schwert mehr benutzen kann, muss nicht auch noch gefangengenommen und sexuell missbraucht werden, auch wenn man in dem Fall vielleicht diskutieren könnte, ob beides Aspekte einer empfundenen Entmännlichung sind, also ist das vielleicht doch kein so gutes Beispiel, ich denke aber, ihr merkt, worauf ich hinaus will.

Eher billig finde ich es auch, wenn Antagonisten dadurch als solche gekennzeichnet werden, weil sie diverse Verfehlungen in sich vereinen, die von der beabsichtigten Zielgruppe als besonders abstoßend empfunden werden. Da finde ich es viel spannender, wenn die Antagonisten eine Überzeugung, die man aus gutem Grund haben kann zum fanatischen Extrem treiben.