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Mit dem Alter handzahm?

Begonnen von Feuertraum, 15. April 2013, 21:03:46

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Feuertraum

Hallo an Alle!

Ich hoffe, ich habe für meine Frage/Diskussionsanstoß den richtigen Bereich gefunden.
Mein Anliegen richtet sich auch an die etwas älteren Tintenzirkler unter uns.

Früher, ganz ganz früher, als ich mein Fernstudium zum Thema belletristisches Schreiben absolviert habe (das war Ende der 80er/Anfang der 90er), da war ich immer extrem kritisch. Ich habe sämtliche Bücher, die ich zu diesem Zeitpunkt gelesen habe, unter den handwerklichen Regeln gelesen, wie ich sie mir über die Lernhefte damals angeeignet habe. Fehler, die ein Autor machte (also nicht nach den Regeln schrieb), wurden von mir angekreidet und diese Szenerie bekam ein "Das kann ich aber weitaus besser als dieser Autor!".
Auch mit meinen eigenen "Werken" war ich mehr als kritisch.
Ich korrigierte und korrigierte und korrigierte und korrigierte.

Inzwischen sind an die 25 Jahre vergangen.
Der Spürhund beißt nicht mehr zu, akzeptiert so gut wie jede Szenerie, stößt sich nur noch ganz ganz selten mal an etwas, was dann aber wirklich wehtun (Sätze wie zum Beispiel "Er fischte die Flöte aus der Tüte und begann auf ihr zu spielen, die er sich heute gekauft hatte")
Aber ansonsten?
Auch mit meinen eigenen Werken bin ich nicht mehr so kritisch.
Nicht, weil sie gut sind, um Himmels willen, nein.
Vielmehr, weil ich an mir festgestellt habe, dass ich einen Text schreiben kann, ihn dann korrigiere und korrigiere und korrigiere und im Grunde genommen doch nie wirklich an den Punkt herankomme, der mir vorschwebt. Sprich: ich werde immer unzufrieden sein, egal wie oft ich Wörter austausche, Sätze neu schreibe, etwas wegnehme oder etwas dazugebe.

Geht es nur mir so?
Oder werden auch andere Autoren, die sich schon so langsam auf die 50 zubewegen, nicht mehr so wirklich kritisch mit seinen und anderen Werken?
Wie sehen Sie das?

Neugierige Grüße
Feuertraum
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Sprotte

Ich bin kritisch. Aber ich weiß, daß nichts, was Menschen schaffen, wirklich perfekt sein kann. Ich lese nicht gerne Beta, aber wenn ich es tue, bin ich voll dabei und furchtbar kritisch und gemein (Ich schäme mich auch!) und kreide auch wirklich jede Korinthe an, die ich irgendwo in einem staubigen Winkel finden kann.
Ich mag meine eigenen Texte. Bin ich wirklich zufrieden mit ihnen? Im Gesamtbild: ja. Mit der Lupe: keinesfalls!

Grummel

Ich neige dazu, Kritik "sanfter" zu verpacken. Aber weniger ist es nicht geworden. Das liegt bei mir aber eher daran, dass ich erst seit "relativ" kurzer zeit intensiv und ernsthaft schreibe. Also seit ca. 5 Jahren. Mit mir selber gehe ich sehr hart ins Gericht. Härter als manchmal gut ist, weil ich dann erstmal Schreibpausen einlegen muß, bis ich mir selber wieder unter die Augen treten kann. ;)
"Kaffee?"
"Ja, gerne."
"Wie möchtest du ihn?"
"Schütte ihn mir einfach ins Gesicht!"

Leann

Bei mir ist es eher umgekehrt. Früher fand ich fast alles toll, was ich gelesen habe. Und auch das, was ich selbst schrieb. Später, als ich dann etwas älter war, ist mir zwar aufgefallen, wenn ein Schreibstil nicht so gut war, aber das war mehr so ein Gefühl, ich hätte nicht konkret sagen können, was mir genau missfällt.
Seit ich selbst wieder intensiv schreibe, mich mit dem Schreiben beschäftige und diverse Ratgeber lese, bin ich oft überkritisch. Das vergällt mir manchmal das Lesevergnügen. Meist sind die "Defizite", die ich anderen ankreide, genau die Schwächen, die ich in meinen eigenen Texten finde.
Und wenn ich selbst schreibe ... nee, das geht sehr oft gar nicht. Ständig scheint ein Kritiker hinter mir zu stehen und jedes Wort, jede Formulierung runterzuputzen. Das stürzt mich regelmäßig in riesige Schreibblockaden. Die meiste Zeit finde ich einfach nur alles grottenschlecht, was ich schreibe, und der Gedanke, dass es einmal jemand lesen könnte, treibt mir die Schamesröte ins Gesicht. Bei jedem Türklingeln erwarte ich, von der Plotpolizei verhaftet oder der Formulier-Behörde verhört zu werden oder sowas. Aber es gibt auch die seltenen Momente, in denen ich einen Text von mir lese und darüber erstaunt bin, wie gut er mir gefällt. Für diese Momente schreibe ich weiter und in der jetzigen "Lernphase" kann ich auch ruhig noch überkritisch mit mir sein. Wer weiß, vielleicht überfällt mich in ein paar Jahren die "Altersmilde". 

Luna

#4
Ich habe mir letztens die Neufassung von Stephen Kings erstem Band Schwarz seiner Dunklen Turm Saga als Hörbuch erstanden. In seinem Vorwort hat er erklärt, warum er u. a. dieses Buch nochmal neu schreiben musste. Die anderen Gründe würden hier zu weit führen, aber, das, was ich mir behalten hatte, war, dass er meinte, damals waren zu viele Schreibratgeber im Umlauf. Er meinte, seinerzeit, also Anfang der 80' er, sich in weiten Teilen daran halten zu müssen. Wobei er aber seit jeher schon gerne mit vielen Regeln gebrochen hat. Ich sage nur: " Das war das letzte, was sie erleben würde" oder sowas in der Art. Was ja schon sozusagen zu seinem Markenzeichen geworden ist. Jedenfalls führte er weiter aus, dass sich seit den Anfängen des Dunklen Turms (die ich im Übrigen miterlebt habe, ich kannte noch die Ursprungsfassung von Schwarz) vieles schreibtechnisch bei ihm getan hat alleine durchs regelmäßige  Schreiben. Dadurch habe er sich enorm weiterentwickelt. Zwischen dem ersten Band der Saga und dem letzten liegen Welten, OK vielleicht gut über 20 Jahre. Da musste er, wie er sagte, seinen erstes Buch an seine heutige Schreibe und an die neueren Bände des Dunklen Turms anpassen. Wie Sie sehen, sogar Altmeister werden mit dem Alter ... zwar nicht handzahm, er bricht immer noch gerne Regeln, aber das Alter, bzw. die Erfahrung hatte wesentlichen Einfluss auf sein Schreiben.

Pestillenzia

Ich scheine auf dem besten Weg zu sein, eine "böse Alte" zu werden. Von Altersmilde ist bei mir jedenfalls keine Spur zu sehen, ganz im Gegenteil. Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich kritischer geworden bin oder ob es mir nur so vorkommt - und das nicht nur meinen Texten gegenüber. Mit selbst verfassten/verbrochenen Texten stand ich schon immer auf Kriegsfuß und finde sie nie gut genug. Nur in seltenen Momenten bin ich zufrieden, meistens aber schwebe ich zwischen hinschmeißen und weitermachen.

Bei fremden Texten - und hier meine ich bereits lektorierte und gedruckte Werke - bin ich relativ ungnädig und lege automatisch den Finger auf die Stellen, die mich stören, seien es Formulierungen, die ständig wiederholt werden oder - wie in dem Buch, das ich gerade lese - wenn sich schon auf den ersten zwanzig Seiten die Klischees fröhlich die Klinke in die Hand geben. Das trübt natürlich einerseits meine Lesefreude, macht mir aber auch Hoffnung, weil ich mir manchmal denke "so kann ich das aber auch" - ohne mich jetzt als potentiellen Bestsellerautor zu sehen oder mich besser machen zu wollen als ich bin. Ich sehe dann lediglich, dass andere (auch Bestellerautoren) nur mit Wasser kochen - und manchmal einen sprachlichen oder erzähltechnischen Bock nach dem anderen schießen.

Trotzdem können mich Bücher immer noch so sehr mitreißen, dass ich alles um mich herum vergesse. Das sind dann in der Regel Romane, bei denen als allererstes Figuren und Story überzeugend sind, in zweiter Linie aber auch das Drumherum, also Technik etc., stimmt. Sicher hat jedes Buch so seine Schwächen, nur stören die mich dann nicht, wenn das Gesamtpaket überzeugt.

Grundsätzlich gebe ich jedem Roman die Chance, mich zu überzeugen. Ich geh nie bewusst her und fange an herumzufieseln oder einen Text zu zerpflücken. Lesen ist für mich eine der schönsten Beschäftigungen, die es gibt - aber ich bin nicht bereit, alles zu schlucken.


Alessa

#6
Nein, eigentlich kann ich das nicht sagen. Meine Kritik steigt eigentlich mit dem Alter. Ob das indes ausschließlich am Lebensalter liegt, glaube ich nicht. Ich denke eher, es ist eine Kombination zwischen dem durchackern einiger Schreibratgeber und dem Lesen vieler Romane. Für mich ist Lesen mein liebstes Hobby, was es mit sich bringt, dass ich schon viele bedruckte Seiten gelesen habe. Allerdings bin ich in den letzten Jahren wesentlich kritischer mit dem Lesefutter geworden, was mir hin und wieder das Vergnügen an meinem Lieblingshobby raubt. Zu viele Klischees und Wiederholungen von Formulierungen lassen mich durchaus auch mal einen Roman für gewisse Zeit zur Seite legen. Aber diese Handlung hilft mir auch, meine eigenen Texte auf solche 'Schwachstellen' abzuklopfen. Es ist für mich erschreckend zu sehen, wie sehr ich als Autorin ebenfalls in diese Fallen laufe. Daher bin ich eigentlich dankbar, dass ich als Leser nicht mehr blind durchs Leben wandle, auch wenn mir meine steigende Kritik hin und wieder das Lesevergnügen raubt.

Feuertraum

Heiho!
Danke ersteinmal für die Antworten. Ehrlich gesagt geben mir diese ein wenig zu denken, weil ich dann - so scheint es zumindest - der einzuge bin, der handzahm geworden ist  :(
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Pestillenzia

Aber das ist doch nichts Schlimmes, Feuertraum! Das muss Ihnen nicht zu denken geben. Menschen sind zum Glück verschieden und das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere.

Antonia Assmann

Nein, sind Sie nicht! Ich bin auch zahmer geworden, allerdings nicht zahnlos. Ich kritisiere heute weniger als früher, einfach, weil ich heute früher ein Buch zur Seite lege als noch vor zehn Jahren. Früher konnte ich mich Stunden über ein schlecht geschriebenes Buch aufregen und genau aufdröseln wo die Fehler liegen. Heute lege ich es auf den Stapel - Bücher, die die Welt nicht braucht und nehme mir ein neues.
Bin ich jetzt zahmer? Ich denke eher mir geht die Zeit aus. Man hat schon soviel gelesen, sich so viele Gedanken gemacht, warum etwas funktioniert und warum nicht. Ich habe dazu keine Lust mehr. Wenn mich ein Buch fesselt, oder der Stil eines Schriftsteller fesselt dann halte ich inne und versuche zu verstehen, warum.
Wenn ich ein Buch schlecht geschrieben finde, brauche ich nicht allzu lange nachdenken, warum. Das macht die Erfahrung, behaupte ich frech.
Soll jetzt nicht überheblich klingen, aber ich finde es allgemein einfacher zu benennen, was man kritikwürdig befindet, als Dinge, die einem gefallen.

Also zahmer vielleicht, aber nicht zahnlos. Beim Beta-Lesen sage ich noch immer sehr offen meine Meinung und nehme auch kein Blatt vor den Mund. Natürlich im angemessenen Ton, es hat mir ja keiner was getan  ;D
Bei mir selber wird der Ton schon harscher. Ich bin selten mit etwas zufrieden. Gerade weil man so viel gelesen hat, werde ich mir gegenüber immer kritischer. Ändert nicht viel am Stil, macht aber herrlich unglücklich...  :darth: