Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Luciel am 30. Juli 2010, 13:27:51

Titel: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Luciel am 30. Juli 2010, 13:27:51
Die Frage beschäftigt wahrscheinlich jeden Autor, wie viel Alltägliches braucht die Geschichte und ab wann wird es langweilig?

Mir ist das gerade beim Lesen von "Sonea" aufgefallen. Die Autorin entwickelt sich gerade zur Meisterin der Langeweile des Alltäglichen. Es gibt da eine Szene, in der zwei Reisende Abschied nehmen - und das genau mit den Sätzen, Gedanken und Gesten, die man bei einem Abschied eben erwarten darf. Gewürzt mit Wiederholungen aus einem vorhergehenden Gespräch ... *gähn* Ich hätte diese Szene komplett gestrichen und gleich in der Kutschfahrt begonnen (wo man dann immer noch auf den Abschied rückblicken könnte).

Da ich selbst gerade an einer Szene schreibe, die an einem Krankenlager spielt, frage ich mich natürlich sofort, ob ich auch der Versuchung erliege, etwas zu alltägliches zu beschreiben, nur um die Szene zu füllen.
"Er sieht schlecht aus ... Du solltest noch nicht aufstehen ... etc."
Das Übliche eben, was sich wohl mehr oder weniger an jedem Krankenbett abspielt und was sich der Leser ohnehin vorstellt.
Bin ich einfach zu schnell gelangweilt beim Lesen (insbesondere als eingefleischter Fantasy-Leser) oder ertappe ich Autoren beim Versuch, ihre Seiten mit chronologischen Abläufen zu füllen?

Wie haltet ihr die Balance? Geht das überhaupt? Gibt es ein Erkennungsmerkmal dafür, wann es zuviel wird?
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Antonia Assmann am 30. Juli 2010, 13:42:14
Prinzipiell wird mir zuviel Alltagsgeschehen auch schnell langweilig. Ich frage mich dann immer, ob diese Art zu schreiben im November besonders beliebt ist... ;D Also, ich habe mich auch schon dabei erwischt, dass ich so einen Ablauf reingebracht habe, aber das war für NaNo. Allgemeinm würde ich sagen weniger ist mehr, außer ich brauche genau diese Alltäglichkeit, als Kunstgriff, weil dann das, was später passiert umso chaotischer, grausamer, witziger, aberwitziger oder wie auch immer rüberkommt. Also rein als Hintergrund, wenn man es aus der Sicht eines Males betrachen möchte.
Ansonsten bin ich auch jemand, der lieber seine Leser mitdenken lässt.

Liebe Grüße
Antonia
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: zDatze am 30. Juli 2010, 14:15:25
Gegen ein bisschen Alltag habe ich nichts einzuwenden. Sei es, um die Welt besser kennen zu lernen oder den/die Prota. Und da wären wir auch schon bei dem Punkt, der für mich persönlich sehr wichtig ist. Auch in einer Alltagsszene sollte ein Funken Sinn (optional auch ein Funken Spannung) stecken.
Darunter verstehe ich nicht nur motorisches Abarbeiten eines Tagesablaufes. Wenn "von außen" (das wäre für mich der Plot) kein Anstupser kommt, dann sollte er "von innen" (der Charaker des Protas) kommen. Das heißt, es sollte auf irgendeine Weise eine Weiterentwicklung passieren. Oder ein weiterer Konflikt aufgeworfen werden.

Ich denke, wenn man seine Geschichte mit langweiligem Alltagsgeschehen vollstopft, dann stimmt etwas am Plot nicht. (Oder man hat einfach nichts zu erzählen.)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Luna am 30. Juli 2010, 14:32:03
Wie heißt es so schön, die Dosis macht das Gift. Ich denke, über das Alltagsgeschehen zu schreiben, um den Charakter des Protas oder seine Marotten und Vorlieben näherzubringen ist nicht verkehrt. Ich habe auch vor, über eine Badeszene zu schreiben. Allerdings sollte das Alltagsgeschehen wohl dosiert und vor allem kurz gehalten sein, so als Erholung, bzw. Verschnaufpause für Leser nach einem spannenden Moment/Höhepunkt.
Mich auf jeden Fall interessieren keine seitenweise Beschreibungen über Leute, die morgens aufstehen, frühstücken, zur Arbeit fahren, nachhause kommen, duschen und sich die Zehennägel lackieren :hand:. 
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Rigalad am 30. Juli 2010, 14:37:38
Ich sehe das sehr ähnlich. Ein wenig Alltag darf ruhig ausgeschrieben werden.
Meiner Meinung nach ist das sogar notwendig. Ich habe auch schon oft Bücher gelesen, in denen die Handlung Schlag auf Schlag abgearbeitet wurde und der Leser von einem Drama ins nächste geschleudert wurde.
Durch sowas verliert man auch ein wenig seine Glaubwürdigkeit, finde ich. Keine Chara fährt mit Loopings durchs Leben. Das ist unrealistisch. Ich finde, das sollte man auch so darstellen.
Ab und an braucht der Leser auch mal ein paar Seiten Zeit zum Atmen.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Churke am 30. Juli 2010, 15:06:26
Da stelle ich doch die Frage: Was ist Alltag überhaupt?
Andere Länder, andere Sitten, sagt man, und das sollte doch umso mehr bei einem Fantasy-Roman der Fall sein. Wenn nicht, unterstelle ich dem Autor Einfallslosigkeit, und dafür gibt es keine Entschuldigung.
Denn was für die Figuren Alltag ist, könnte für den Leser hochspannend sein. In einem meiner Historischen geht der Held in die Caracalla-Thermen und stellt fest, dass das "Schwimmbecken" (natatio) nur 1 m tief ist. Mit dem Schwimmen hatten's die Römer nicht so. Sein Führer, ein christlicher Fanatiker, geht da sowieso nicht rein. Anschließend kehren sie in ein popina ein. Die Schankmagd liefert nicht nur Essen an den Tisch, sondern ist - gegen Vorkasse - auch anderweitig zu haben.
Also ein ganz normaler Tag in Rom, bevor die Barbaren vorbei schauen.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Schreinhüter am 30. Juli 2010, 15:15:13
@Luciel  Eine interessante Frage, eine, die zum nachdenken anregt. Besonders lustig für mich aber ist, dass du ebenfalls gerade eine Krankenlagerszene schreibst. Damit beginnt in diesen Tagen nämlich mein zweiter Roman  ;D

Alltag ist für mich in einem Fantasyroman der Seitenhieb der Realität, die kleine Stütze von Aussen, die den Leser immer wieder davon überzeugt, dass es auch in seiner Welt möglich wäre, oder dass eben die Charaktere auch "nur" Menschen sind. Gerade in einer Welt mit Krieg, Schlachten und allerlei Unheil ist es doch der ruhige Moment, in dem man sich ein kräftiges Schwarzbrot schmiert, oder mit einem Grinsen an der Seite seines Schlachtkumpanen in einer kalten Brise über die Kanonenbootreling...na, ihr wisst schon  ;)  Derber Alltag und notwendiger Alltag, aber nicht das, was Luna schon sehr richtig beschrieben hat - eben das langweilige, was nicht zum Überleben notwendig ist.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Lexa am 30. Juli 2010, 15:17:31
Das alltägliche Leben sollte nur soweit beschrieben werden, wie es für den Leser nicht alltäglich ist. In einer Fantasywelt darf meiner Meinung nach vorallem am Anfang gerne etwas mehr Einblick in die fremde Welt gewährt werden, doch sobald Dinge beschrieben werden, die ich selber jeden Tag mache und die nichts zur Handlung beitragen, ist für mich Schluss.
Ich würde hier auch an die Vorstellungskraft der Leser appellieren. Wenn der Prota zu Abenteuern aufbricht, kann man sich denken, dass er vorher aufgestanden ist, gegessen und sich bereit gemacht hat. Aber lesen muss man das nicht. Und deshalb auch nicht schreiben.
Ausnahmefälle kann  es jedoch wie überall immer geben  ;)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Schreinhüter am 30. Juli 2010, 15:31:59
@Lexa

Deinen Punkt kann ich gut verstehen, aber ist es nicht auch so (Schwarzbrot-Beispiel), dass man parallel alltägliche Handlungen vollführen kann, wenn es den Fortlauf der fantastischen Handlung stützt?
Z.B : Ein Elfenjäger im Wald, der immer nur Fährten liest, hetzt und das Tage lang, ohne sich einmal an einen Bachlauf zu setzen, einmal Wasser zu trinken, das Gesicht zu waschen und einen Apfel zu schälen? Das fände ich dann doch ein wenig zu fantastisch. Aber die Grenzen sind da dünn und wenn du sagst, man muss es nicht lesen, wie gleichwohl auch nicht schreiben, dann wäre ich schon ein von dir angesprochener Ausnahmefall.  ;)
Versteh mich nicht falsch, aber wenn man, jetzt ganz nach deinem Beispiel, die Vorbereitung einer Reise nicht trifft, oder den Prota nicht Mal sich selbst sein lassen kann - wie lerne ich als Leser ihn dann besser kennen, oder noch besser: Wie lerne ich als Autor meine Charaktere kennen?
Natürlich, wie du sagst, gibt es Ausnahmen überall, vielleicht bin ich in diesem Fall eine. Deswegen wäre ich gespannt auf andere Meinungen  :)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Rika am 30. Juli 2010, 16:02:50
Ich denke auch, es kommt darauf an, was in der Szene drin steckt. Lernen wir den Charakter näher kennen, vielleicht über seine/ihre Sorgen, oder darüber wie er/sie auf etwas im Alltag reagiert? So könnte z.B. Geduld, oder Hitzköpfigkeit gezeigt werden, oder ob der Chara fröhlich ist, oder depressiv, oder...
Oder zeigt die Alltagsszene vielleicht das Umfeld/die Gesellschaft in der der Chara lebt? Wird ein Nebenchara eingeführt oder weiterentwickelt? Schafft die Szene die Stimmung für den Chara/die Geschichte? Gibt die Szene einen guten Kontrast her, entweder zu vorhergehender oder nachfolgender "action"? Entwickelt die Szene das Plot irgendwie weiter, auch wenn es nicht sofort offensichtlich ist?

Im Zweifelsfall würde ich die Szene erstmal schreiben, und hinterher gucken ob sie gestrafft werden muß, doch ganz gestrichen (weil überflüssig), oder vielleicht sogar wichtiger war, als ich erst gedacht hatte.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Drachenfeder am 30. Juli 2010, 16:17:44
Es kommt ja immer drauf an wie man das beschreibt und in welchem Zusammenhang es steht.

Ich habe mal eine Kurzgeschichte geschrieben, in der eine Frau überfallen wird. Vorher ist sie bei der Hausarbeit. Ich beschreibe ein bisschen wie sie etwas macht, dass sie einen Putzfimmel hat, und alles sehr korrekt macht und dadurch nicht mitbekommt, dass jemand in das Haus gekommen ist.

Beschreibungen vom Alltagsgeschen kommen doch generell nur Zustande wenn es für die Geschichte notwenig ist, bzw. wenn daraus etwas hervorgeht, oder?
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Zonka am 30. Juli 2010, 16:20:05
Alltagsschilderungen finde ich dann wichtig, wenn sie allgemein die Handlung voranbringen, oder eben wichtige Hinweise geben auf die Charaktere, die Situation, oder das Setting.
Mich persönlich langweilen seitenweise Beschreibungen, seien sie auch noch so gut, wenn dadurch die Handlung stagniert.
Gezielt eingesetzte Alltagsschilderungen lassen den Leser aber zwischen turbulenten Szenen zum Durchatmen kommen und haben mit Sicherheit ihre Berechtigung.

LG
Zonka
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Lucien am 30. Juli 2010, 19:21:12
*hust* Ich starte eine Geschichte auch mit einem Krankenlager...  ;D
Ich bin auch der Meinung, dass ruhig etwas Alltag in die Geschichte rein darf, meinetwegen auch mal etwas häufiger. Ich persönlich finde, dass es die Geschichten durchaus auch etwas "authentischer" macht, sofern man bei Fantasy davon reden kann. Es findet im Leben nunmal nicht immer und zu jedem Zeitpunkt etwas spannendes statt.
Allerdings sollten diese Szenen nicht zu sehr ausarten oder immer wieder das gleiche beschrieben werden ... oder wenn, dann bitte schön mit einem triftigen Grund, der den Plot vorantreibt.
Aber kein Mensch braucht eine detailierte Beschreibung davon, wie sich ein Mädel eine Lasgane öffnet, in die Mikrowelle schiebt, den Knopf drückt ... Okay, ganz ruhig.  :omn:

Ansonsten sind Alltagsszenen, wie schon gesagt wurde, ganz praktisch, um die Charaktere und die Gebräuche in der Welt kennenzulernen. (Übringens finde ich in dem Zusammenhang auch Beschreibungen von Wohnungen ganz interessant, die ja irgendwie auch zu diesem Alltag gehören.)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Kati am 30. Juli 2010, 19:22:33
Wie schon gesagt wurde, die Menge machts. Ich finde es wichtig ein bisschen Einblick in den Alltag zu geben, damit das Unalltägliche, was darauf folgt oder parallel geschieht, gewichtiger und verstörender erscheint. Ich beschreibe immer viel zu viel Alltag  ::), bin gerade dabei mir das abzugewöhnen.
Wo ich es richtig schlimm fand, war "The Hollow" von Jessica Verday. Ein schönes Buch, aber im Mittelteil teilt einem die Prota ständig alles mit, was sie macht und das muss dann doch nicht sein.  :) 

Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Telas am 30. Juli 2010, 19:28:42
Ich finde ein wenig Alltagsgeschehen speziell am Anfang eines Romans sehr wichtig. Es hilft, die Menschen in dem Werk zu verstehen und ihre Sitten und Gebräuche besser kennen zu lernen (wie Jenny ja schon sagt). Mit fortschreitender Handlung sollte die "Dosis" meiner Meinung nach reduziert werden, da sich andernfalls ohnehin alles wiederholen würde. Außerdem will sicher niemand vor dem großen Showdown hundert Seiten über den neuesten Klatsch in den Städten lesen. Gut, das war vielleicht ein wenig überspitzt gesagt, aber sollte es doch mein Ansinnen deutlich machen. Am Anfang mehr, um den Leser gut einzuführen und zum Höhepunkt hin wenig bis kein Alltagsgeschreibsel mehr.

EDIT:

Eigentlich müsste man Alltagsszenen auch als Brücke zu einer unerwarteten Situation einsetzen können. Beispiel: der Prota läuft zuerst ganz friedlich seinen täglichen Spazierweg ab, doch dann fällt ihm eine krasse Unregelmäßigkeit auf (zum Beispiel eine Leiche). So kann aus einer vermeintlichen Alltagsszene vielleicht noch ein Spannungshöhepunkt werden.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Nachtblick am 30. Juli 2010, 19:35:03
Ich liebe guten Alltag. Ich meine, das war jetzt nicht gerade Fantasy, aber ich habe gerade "Die Bücherdiebin" ausgelesen. Es ist so unglaublich viel von dieser Geschichte Alltag. Mich hat sie in keinem Augenblick gelangweilt. Wie immer würde ich einfach die unnötige Länge vermeiden. Nicht die Länge des Kapitels oder der Szene an sich, sondern die Länge der Einzelheiten, unnötige Wiederholungen, unnötige Beschreibungen, unnötig viel zwischen den Dialogen.

Das meiste macht die Korrektur dann wie von selbst. Mit Distanz hat man im Auge, was überflüssig und langweilig ist. Viel schlimmer ist, wenn immer nur das Außergewöhnliche gezeigt wird. Dann ist bald alles Einheitsbrei. Gerade das Auf und Ab muss ein Text haben, und den Alltag fesselnd zu gestalten, ist natürlich eine Kunst. Ansonsten finde ich wichtig, was Rika erwähnt hat. Eigentlich sollte jede Szene irgendwie einen Sinn haben, sei er nun ein großer oder ein kleiner, um die Geschichte weiter oder aus dem Alltag etwas nicht Alltägliches zu entwickeln.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Lexa am 30. Juli 2010, 19:38:52
@Schreinhüter

Okay, vielleicht habe ich es etwas überspitzt ausgedrückt 8). Denn eigentlich stimme ich dir in deinem Gesagten zu. Vorallem auch deinem Beispiel.
Aber für welchen Otto-Normalleser ist es Alltag, sich im Wald aufzuhalten und Spuren zu lesen? Das meinte ich mit Alltagsbeschreibungen, solange es für den Leser nicht alltäglich ist. Für ihn ist das alles neu und die Handlungsbeschreibungen tragen auch wesentlich zur Atmosphäre bei. Daher sind solche Alltäglichkeitsbeschreibungen vorallem auch am Anfang einer Geschichte in einer fremden Welt wichtig. Aber wenn nach 2/3 des Buches immer noch gezeigt wird, wie die Protas auf die Toilette gehen, obwohl schon bekannt ist, wie man die Notdurft in dieser Welt erledigt, dann geht das mir als Leser auf die nerven, weshalb ich das als Schreiber selber vermeiden möchte. :buch:

Wenn ich meinen Post jetzt lese, fällt mir auf, das mein Beispiel schlecht gewählt war, da der Aufbruch in ein Abenteuer sehr unalltäglich ist und deshalb auch beschrieben werden soll/muss/darf/kann ;D
. Was ich damit zeigen wollte war eher, dass man auch mal den Leser selbst denken lassen soll, z.B. dass nach einer Badeszene, auf die ein Auftritt in der Öffentlichkeit folgt, klar sein dürfte, dass sich die Protas zwischenzeitlich etwas angezogen haben, auch ohne diesen Vorgang beschrieben zu haben. Aber auch hier könnte das Anziehen beschrieben werden, wenn damit Atmosphäre transportiert wird. Das wäre dann einer dieser Ausnahmefälle :)

Deinem Punkt mit dem Schwarzbrotbeispiel kann ich nur zustimmen, am liebsten bringe ich alltägliche Handlungen so unter, dass sie einfach beiläufig erwähnt werden.
Ich glaube, wir sind da ziemlich auf einer Linie, nur war mein erster Post etwas wirr und überspitzt formuliert :)

Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Luciel am 31. Juli 2010, 12:41:28
Rikas Idee finde ich gut, die Szenen erst mal so ausführlich zu schreiben wie sie einem gerade einfallen und dann später zu streichen.

Es stimmt natürlich, dass es oft darauf ankommt, was man aus einer Szene macht. Auch eine eigentlich ganz alltägliche Szenerie kann etwas besonderes werden. Schon die hohe Kunst des Schreibens, würde ich mal sagen.
Wahrscheinlich hat mich gerade das so gestört an dieser Abschiedsszene an der Kutsche, die mich so genervt hat. Es passierte nichts Neues, es gab keine neues Aspekte, die Dialoge waren genauso wie man sie an jedem Bahnhof belauschen könnte .... also wenn die einzige Begründung für eine solche Szene ist: "Meine Protas reisen ab", dann kann man sie getrost weglassen. Wobei ich mich natürlich frage, warum einer Autorin zu einer Abschiedsszene nichts einfällt, was den Leser aufrüttelt ...?

Ich werde mein Krankenlager-Kapitel also schön ausführlich beschreiben und später schauen, wo sich der Charakter meiner Protas zeigt, wo es spannend oder humorvoll ist ... und wo einfach nur langweilig, weil schwerkranke Leute eben langweilig sind ...  :ithurtsandstings!: (kleiner Scherz)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Ilargi am 31. Juli 2010, 14:28:08
Kaixo [< das heißt Hallo auf Baskisch]

Ich denke es kommt darauf an was man beschreibt, nehmen wir mal an eure Figur ist gerade in einen Zwerg verwandelt worden, oder etwas ähnliches nicht Menschliches, und sie oder er hat noch niemals mit dem Alltag der Zwerge zu tun gehabt, dann ist der Alltag für diese Person und auch für den Leser etwas vollkommen neues  ;)

Der Leser entdeckt mit der Figur zusammen die Kultur und das Leben dieses Volkes und wenn man es dann auch noch richtig schreibt kann es doch gar nicht langweilig sein, oder wie seht ihr das?
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Mondwölfin am 31. Juli 2010, 16:57:36
Bei mir kommt es ziemlich auf die Stimmung, das Können des Autors und die Geschichte an.

Bei den ewiglangen Umfeldbeschreibungen des Karl May hab ich als Kind immer drübergeblättert. Mit 24 hab ich die Bücher nur wegen dieser Beschreibungen wieder gelesen ^^

Grundsätzlich finde ich auch, dass Alltagsbeschreibungen mit Maß und Ziel unverzichtbar sind. Und für mich bilden sie oft das perfekte Drumherum für einen internen Konflikt meiner Charaktere.
Um das Beispiel von Lexa weiterzuentwickeln: Natürlich kann man den Akt des Anziehens als selbstverständlich nehmen. Man kann aber auch wesentliche Charakterzüge damit beschreiben - ist der Prota unsicher, kann er sich nicht für ein Outfit entscheiden, ist der folgende Termin wichtig oder unwichtig, sodass er sich auch mit seinem Auftritt beschäftigt etc.

Wie so oft, ein klares Ja oder Nein ist nicht möglich :)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Schreinhüter am 01. August 2010, 08:12:43
@Lexa

Ja, ich denke auch, wir sind auf einer guten Wellenlänge hier. Wer mir gerade noch eingefallen ist, einer meiner Lieblingsautoren in Sachen Beschreibung - Leo Tolstoi. Gute Güte, wenn der Mann nicht so viele Dinge des Alltages haarklein wiedergegeben hätte...Aber so wusste man auch immer bis in den letzten Winkel seiner Gedankenräume, wie das Russland aussah, welches er so impressiv einfängt. Ich möchte kein Schnauzerpudern, oder Briefe öffnen in seinen Klötzen von Schreibwerk missen - aber sowas funktioniert natürlich auch nicht immer.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Runaway am 04. August 2010, 18:22:38
Sollte jemand sich über mein plötzliches inflationäres Posten hier wundern - ich prokrastiniere, weil ich da so nen Berg von Lernstoff für drei Klausuren neben mir habe ... pfui! Das hat noch ein bißchen Zeit ;D

Aber ich find dieses Thema auch interessant, weil ich mich auch das grad beim Überarbeiten noch selbst gefragt habe. Ich bin inzwischen dazu übergegangen, einfach immer erst zu schreiben, was ich schreiben will und dann hinterher zu kürzen. Genau wie Rika eigentlich.
Ich hab sogar grad Sachen gekürzt, die ich mal unverzichtbar fand. Aber Detailbeschreibungen von alltäglichen Dingen bringen, wenn man sie richtig dosiert, auch Leben in eine Geschichte. Und manchmal sind sie auch Stilmittel, heben zum Beispiel einen Gegensatz hervor.
In meiner aktuellen Geschichte beschreibe ich ausführlich, wie abends gekocht und dann ferngesehen wird, weil genau in diese Normalität zwei Stunden später einfach ein Mörder reinplatzt.

Das ist irgendwie wie bei richtigem Brainstorming - einfach erst mal alles zulassen und hinterher rauswerfen.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: silence am 29. August 2010, 23:19:18
Ich find diesen Thread auch eine Überlegung werd. Und ich komme für mich selbst zum Schluss: Ich muss Runaway zustimmen. Ich schreib auch erstmal, und stößt es mir selber später beim Lesen auf, überarbeite ich die Stelle, bzw. cancel sie gleich ganz. Alltag ist wichtig, weil ich so dem Leser das Leben meiner Darsteller näherbingen kann.

Nehmen wir mal das Beispiel einer Wohnung. Der Darsteller geht in die Wohnung. Klar kommt eine grobe Beschreibung, aber ins feine Detail gehe ich am besten im alltäglichen. Ich mein ich schreibe ja nicht von vornerein

"In der Wohnung befand sich ausserdem ein Bad mit einer Badewanne."

Sondern eher

"Nach dem Tag wollte sie nur noch eins. Sich richtig entspannen in der Badewanne."

Kommt aufs gleiche hinaus. Der Leser weiß, es ist eine Badewanne vorhanden. Aber für mich als Autor und Leser ist das 2.te ansprechender. Und sollte ich dabei mal übertreiben (Gott sei Dank nur selten), so fällt es mir beim Lesen auf. Und selbst wenn ich es nicht sehe, spätestens mein(e) Co-Leser bekommen es mit.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Geli am 30. August 2010, 08:57:24
Ich kann bei dieser Frage natürlich nur für mich sprechen. Für mich ist Alltagsgeschehen immer und grundsätzlich die Würze und der Kontrast zum Außergewöhnlichen, von dem es gerade bei Fantasy-Literatur ja so einiges gibt. Ich gebe Euch mal ein Beispiel, wie ich das meine: Die Heldin meines aktuellen Projekts erlebt das Desaster schlechthin: Ihr augenblicklicher Lover, ein notorischer Lügner und Spieler, stirbt bei einem Unfall, der auf Grund einiger Unstimmigkeiten dazu führt, das die Kripo alle privaten Sachen des Lovers aus der Wohnung der Heldin beschlagnahmt. Dabei fällt dem Ermittlerteam im Bad der Heldin das Rasierwasser des Lovers auf die Fliesen und sie sammeln auch die Scherben ein.
Das ist (natürlich) für den Fortgang der Handlung so unerheblich wie nur was ... ich baue aber gerne solche Miniszenen ein, weil sie im "normalen" Leben passieren, bzw. passieren können. Jedem von uns ist schon mal irgendetwas aus dem Fußboden zerschellt. Und jeder von uns weiß, wie schrecklich zuviel Parfüm riecht. Ich gebe dem Leser gerne etwas Vertrautes, damit er sich von der hoffentlich verbreiteten Spannung des Romans zwischendurch ausruhen kann.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Sternenlicht am 30. August 2010, 10:12:06
Als Leser werden mir Alltagsdetails schnell zu viel, da lässt bei mir die Spannung schlagartig nach.
Als Autor erwische ich mich aber häufiger dabei ;). Ich versuche, Alltagsgeschehen nur zu beschreiben, wenn es dazu dient eine Person oder Situation zu charakterisieren oder damit ein bestimmter Zweck verbunden ist.
Bei der Überarbeitung gebe ich jeder Szene Punkte, wie wichtig sie für die Hauptthemen der Geschichte ist. Bei zu wenig Punkten muss die Szene weg, egal wie ich an der Beschreibung hänge   :schuldig:
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Redwood am 30. August 2010, 17:31:25
Ich denke, der Alltag ist speziell bei solchen Personen interessant, die immer kleine Nebensachen, die man nicht unbedingt erwartet hätte, reinstreuen. Auch ungewöhnliche Angewohnheiten sind gut zu lesen und lockern die Geschichte richtig auf. Wenn man seine Figur so normal wie möglich macht ist diese auflockerung nicht gegeben und man kann das lesen mit dem Schwimmen durch Zement vergleichen.   :P

Also: Soviel ungewöhnlicher Alltag wie möglich (natürlich nur so ungewöhnlich, dass nicht gleich Raum und Zeit auseinanderfallen) und sowenig wie es geht an natürlichen Reaktionen (auch im Höflichkeitsbereich). Man vergleiche:

"Reichst du mir mal die Butter, Xyxyxyx?"
"Aber natürlich, liebste Mutter."

und

"Reichst du mir mal die Butter, Xyxyxyx?"
  Sie stupste mit den sorgfältig auf dem tisch drapierten und dreckstarrenden Stiefeln gegen die Plastikdose, die mit einem deutlichen Knall auf den roten Fliesen landete.
"Oh! Verzeihung.", heuchelte sie.

So. Wer hat was gemerkt?
LG, Redwood
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Topaz am 28. Oktober 2018, 21:46:14
*buddel, schaufel, grab*
Vielen Dank an alle für die tollen Ansichten zum Alltagsgeschehen.  :)

Ich habe kürzlich zu dem Thema gehört, dass man aufpassen muss, was für Alltag man auswählt.
Vorgeschichte:
Zum Beispiel habe ich mich immer gefragt, warum die Charaktere nie aufs WC müssen in den Büchern und Filmen die ich kenne. Oder die Frauen haben nie ihre Periode, bzw. beeinflusst die das null und gar nicht. Genausowenig wie Kinder in der Familie da Einfluss auf Nachtleben und Job haben. Scheint immer eine Nanny da zu sein.
Was ich jetzt gehört habe ist:
Schreib nur nie, dass dein Charakter mal muss. Der Leser denkt dann auch gleich er muss mal, steht auf und geht aufs WC. Dann kommt er aber nicht wieder weil abgelenkt. Puff ist das Buch vergessen.
Es soll wohl noch mehr so tu-das-auf-keinen-Fall Alltagssachen geben, mit denen man den Leser sofort verscheuchen kann.

Kennt ihr da weitere Beispiele? Oder habt ihr das schon mal an euch selber beobachtet?
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Araluen am 28. Oktober 2018, 22:59:04
Also ich erinnere mich an zwei, drei Fälle, wo ich tatsächlich mal lesen durfte, dass eine Figur sich erleichtern ging. Meine Blase war davon herrlich unbeeindruckt. Ich hab den Abschnitt dann aber nur quergelesen, weil mich derartige Details echt nicht interessieren.
Die Periode kommt öfter mal vor, ist dann in der Regel aber immer plotrelevant. Ist sie es nicht, wird tatsächlich selten darauf eingegangen wie Frau damit fertig wird. Das finden die meisten Leser vermutlich auch nicht so lecker.
In Filmen würde es unnötig wertvolle Zeit fressen, wenn eine Figur zur Toilette geschickt wird, nur damit sie mal zur Toilette geht. Die Zeit ist in der Regel ja eh schon knapp bemessen für Plot, Charakterentwicklung und Effektgewitter. Da bleibt für sowas keine Zeit.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Maja am 28. Oktober 2018, 23:15:58
... und dann findet man einen acht Jahre alten Thread, der besser in ein anderes Board passen würde. Daher verschoben. :)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Tintenteufel am 28. Oktober 2018, 23:42:56
Jaein.
Einerseits stimmt schon, was Araluen sagt: Es ist für den Autoren schon eine große Zeitersparnis, wenn er den Alltag implizieren kann, ohne ihn wirklich zu zeigen. Man hat mehr "Platz" für die wirklich interessanten Sachen.
Die andere Begründung, dass Alltagsgeschichten zu lesen aus der Lektüre rausziehen würde, halte ich allerdings für Unsinn. Oder eher gesagt gilt sie nur für eine sehr spezielle Art der eskapistischen Literatur und selbst dann nicht für alle. Einige der besten Geschichten, die wir haben, erzählen nichts anderes als Alltag. "Ullysses" ist beinahe nichts als Alltag, verpackt in einer dicken Schicht aus Stilistik und Spiel.
In manchen Erzählungen geht es ja auch gerade um genau diesen Alltag - wieso sollte ich ihn dann nicht beschreiben? Sicher, in epischen Fantasyplots ist das schicksalsträchtige Gefecht mit dem bösen Tyrannen von Bedeutung. Aber es gibt ja auch eine Reihe an Romanen, in denen es um den Alltag der Helden geht oder wo er eine wichtige Funktion für die Erzählung erfülllt. Nicht für den Plot sondern für das Worldbuilding, das nebenbei abgehandelt wird. Defäkieren ist jetzt klar nicht unbedingt das beste Beispiel... aber ob die sich die Zähne putzen oder nicht, ob die sich die Hände waschen können oder nicht... Das kann interessant sein, Farbe geben.

Das mit der fehlenden Zeit, wie Araluen sagt, ist aber nur so etwa die halbe Wahrheit. Die Sache verhält sich nämlich erstaunlich kompliziert. Toiletten werden zwar eher in relevanten Plotsituationen gezeigt (zumindest im Film und gerade im Horrorfilm gibt es leicht dutzende Beispiele) aber selbst das erst seit 1960 - seit Psycho, um genau zu sein.  Zwischen 1928 und 1960 wird es schwer im Mainstream Kino (das ist: Hollywood) eine Toilette irgendeiner Art zu finden. Gleich ob wichtig für den Plot oder nicht. Die fielen als "vulgarity" unter den sogenannten Hays Code (https://en.wikipedia.org/wiki/Motion_Picture_Production_Code), wie im übrigen auch Sex, Drogen, positive Verbrechen, Blasphemie und andere und waren damit verpönt. Hitchcock ist tatsächlich der erste, der seit "The Crowd" von 1928 wieder eine Toilette bzw. direkt danach eine duschende Frau gezeigt hat und auch er ist damit nur durch gekommen, weil er die Szene zum Wendepunkt des Films gemacht hat - ansonsten wäre sie schlicht raus geschnitten worden.
Der Hays Code ist übrigens auch einer der Gründe, warum das Mainstreamkino lange Zeit so prüde war. Das ist ganz und gar nicht selbstverständlich, die ersten Lichtspielhäuser waren quasi augenblicklich als Schmuddelkinos bekannt. Der erste (bekannte) Pornofilm ist von 1896 und damit älter als der Zeppelin und der Staubsauger.  ;D
Jedenfalls: Bestimmte eher unschöne Alltagssituationen wurden (obwohl sie vor 1928 durchaus vorkommen) schlicht aus Filmen geschnitten, um der sehr strengen und sehr prüden Zensur des Mainstreamkinos zu entgehen. Es ist also nicht ganz so einfach zu sagen, dass das einfach wertvolle Zeit fressen würde und sonst kein Platz wäre. Die meisten Menschen können neben dem urinieren sehr gut noch Gespräche führen, Zeitung lesen oder anderweitig den Plot voran treiben - aber vierzig Jahre Zensur treiben ihre Blüten und die meisten Schreiber lehnen sich dann doch eben bei eher bekannten Sachen an.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Luna am 29. Oktober 2018, 06:57:36
Ich sehe das so ähnlich wie Tintenteufel - auch wenn mir die Hintergründe nicht bekannt und auch nicht bewusst waren - aber im Grunde genommen sollte man eine solche Szene auch wie jede andere behandeln: Ist sie wichtig für die Geschichte?

Wenn die Helden nachts vom Camp wegschleichen, um mal zu müssen und dabei oder danach überrascht werden? Oder um zu zeigen, dass der Besuch des Aborts in der Welt vollkommen anders abläuft und sich daraus Probleme in der Bevölkerung herleiten lassen (z.B. höhere Krankheitsraten durch fehlende Hygiene) (etc.).

Worldbuilding ist für den Plot ebenso wichtig wie der Plot selbst - der Plot funktioniert ja (eventuell) nur in der Welt. Und Alltagssituationen die die Welt aufbauen sind durchaus besser als ein Infodump.

Unter dem Strich: Wenn jemand Regeln aufgestellt hat, dann sollte man sich mit diesen auseinandersetzen um zu wissen, ob man sie befolgen sollte oder vielleicht auch wann man sie brechen sollte.

Alltagssituationen können auch dabei helfen, den Charakter eines Protagonisten besser auszuleuchten ... Nagut, die Stuhlfarbe hilft da jetzt nicht weiter ... aber der Charakter zeigt sich jetzt nicht so gut auf der Toilette (außer vielleicht du hast jemanden der beim Geschäft gerne die Wände 'quittiert'?).
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Volker am 29. Oktober 2018, 07:26:31
Gerade weil jeder Alltagsgeschehen so gut kennt eignet es sich um Charaktäre zu zeichnen.
Springt er beim ersten Ton des Weckers aus dem Bett und schüttelt vor'm Zusammenlegen kurz die Kissen auf - oder quält er sich aus den Kissen die er genauso zerknautscht liegen lässt wie er sich fühlt?
Single-Frühstück: am gedeckten Tisch mit Ei und Speck, oder Kaffee auf dem Weg 'raus muss reichen?
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Gizmo am 29. Oktober 2018, 07:34:44
@Tintenteufel Danke für deine interessante Ausführung zum Hays Code, davon hatte ich noch nie etwas gehört. Mir waren zwar die Auswirkungen bekannt, aber nicht, dass es tatsächlich einen Code gab. Und wieder was gelernt! :)

Ansonsten sehe ich es wie meine Vorposter. Der Alltag kann für das das Worldbuilding sehr relevant sein, und wenn eine Geschichte in einer fremden Welt oder anderen Zeit spielt, möchte ich auch etwas darüber lesen. Schließlich ist der Alltag ja auch das, was die Charaktere bis zum Beginn der Geschichte formt. Nicht nur ihre Einstellung, sondern auch ihre Physis, ob sie z.B. gut genährt oder krankheitsanfällig sind, weil es im Alltag keine Hygiene / Medikamente gibt.

Schließlich glaube ich, kann man alltägliche Dinge durchaus erwähnen, ohne sie im Detail zu beschreiben. Zum Beispiel hier:
Zitat von: Topaz am 28. Oktober 2018, 21:46:14
Oder die Frauen haben nie ihre Periode, bzw. beeinflusst die das null und gar nicht.
Es ist nur meine persönliche Meinung, aber ich fände es gut, wenn das zuweilen zumindest anerkannt wird. Wie Araluen schrieb, würden manche Leute eine Beschreibung nicht lesen wollen, aber die Auswirkungen sind ja dennoch da. Und über diese kann man doch schreiben, auch wenn es nicht absolut plotrelevant ist und über das Schicksal der Welt entscheidet.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Araluen am 29. Oktober 2018, 07:44:25
@Tintenteufel: Danke für die Ausführung. War ja klar, dass Hollywood da wieder seine Finger im Spiel hat.

In einem sind wir uns ja einig. Alltagsszenen haben ihren Platz, sofern sie eine Aufgabe erfüllen(Plot, Figuren, Worldbuilding). Alltag um des Alltags willen sollte man vermeiden. Ich persönlich würde keine Szene schreiben mit dem Vorsatz: Beim Prota ist es jetzt 12 Uhr - Zeit fürs Mittagessen. Also geht er jetzt essen - Schnitzel mit Kartoffelsalat. Der Prota setzt sich einfach nur zuhause hin und holt sich aus dem Kühlschrank sein Essen. Mehr gäbe diese Szene nicht her, denn mir als Autor ginge es in diesem Moment nur darum zu zeigen, dass der Prota etwas isst. Natürlich kann man darüber diskutieren, was die Wahl des Mittsgessens über die Figur aussagt, aber das ist in diesem Fall wohl so sinnvoll wie der Versuch aus Farbklecksen die Schöpfungsgeschichte zu deuten.

Die Frage war aber auch, ob es Regeln gibt bestimmte Alltagsszenen wie Toilette, Periode, Rauchen, Drogenkonsum, Sex etc. Auszuklammern, weil sich solche Szenen auf den Leser auswirken und er daraufhin das Buch weglegt, weil er spontan wie auf die Toilette muss, weil er davon gelesen hat.
Wie gesagt, meine Blase ist davon herrlich unbeeindruckt, das Wort Toilette zu lesen. Von daher glaube ich nicht wirklich an diese Theorie. In meinen Augen soll der Prota ruhig auf Toilette gehen, wenn es für die Geschichte Sinn macht. Der Leser wird darüber ohne Blasenprobleme hinwegkommen.
Ist euch schon einmal aufgefallen, dass in Film und Büchern tendentiell mehr Männer als Frauen auf Toilette gehen? Szenen mit Männer am Pissoir gibt es häufiger oder wie sie sich mal eben im Busch erleichtern, Aber Frauen auf Toilette? Das trifft man seltener zumindest nach meinem Empfinden.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Tintenteufel am 29. Oktober 2018, 09:14:46
Zitat von: Gizmo am 29. Oktober 2018, 07:34:44
@Tintenteufel Danke für deine interessante Ausführung zum Hays Code, davon hatte ich noch nie etwas gehört. Mir waren zwar die Auswirkungen bekannt, aber nicht, dass es tatsächlich einen Code gab. Und wieder was gelernt! :)

Zitat von: Araluen am 29. Oktober 2018, 07:44:25
@Tintenteufel: Danke für die Ausführung. War ja klar, dass Hollywood da wieder seine Finger im Spiel hat.
Gern! Ich könnte Seiten über diesen dussligen Code und die Geschichte von Filmmotiven schreiben.  :wolke:

Zur ersten Frage möchte ich noch anfügen, dass Alltagsbeschreibung mit Funktion zumindest relativ breit ausgelegt werden kann. Ich würde sogar sagen, dass manchmal Alltag um des Alltags willen noch dazu zählt - im Horror z.B. gibt es traditionell das erste NormaloFünftel, in dem nichts weiter als Charakterzeichnung passiert.

Zur zweiten Frage bleibe ich dabei, dass das alles seinen Sinn haben kann und im Idealfall auch muss. Meine Charakere schlagen sich mit Mord, Wahnsinn, Selbstmord, Depression, Drogenmissbrauch usw. herum - wenn der Leser das aus irgendwelchen Gründen nicht aushält, dann möchte ich doch gar nicht, dass er sich das weiter antut.
Was ich da recht praktisch finde, ist ein "Signal": Bei "Breaking Bad" gibt es in der zweiten Folge(!) eine Szene, in der ein menschliches Wesen in einer Säurelösung aufgelöst wird, die sich dann im halben Haus verteilt als schmieriger Brei. Super widerlich und etwas ähnliches passiert für zwei oder drei Staffeln nicht. Aber die Szene dient als Signal für Zuschauer, die Gewalt oder Mord oder ähnliches nicht ausstehen können: Dort geht die Reise hin. Wenn ihr dabei bleibt, dann werdet ihr mehr davon sehen (müssen). Es ist besser, wenn ihr jetzt ausschaltet, als euch drei Jahre lang emotional in die Charaktere zu investieren und dann frustriert zu sein.

Klar, die Periode ist jetzt nicht so ein krasser Fall. Aber auch wenn sie nicht plotrelevant ist, kann sie ja z.B. andeuten, dass es um intimere, persönlichere und vor allem körperlichere Probleme gehen wird, als die Welt zu retten. Helden haben keine Körperfunktionen, weil sie streng genommen keine Menschen sind, aber Protagonisten sehr wohl. Ich finde z.B. vollkommen angemessen, die Auswirkungen einer fiesen Magenkrankheit zu beschreiben, wenn es später um Magenkrebs oder meinetwegen die Bedingungen in einem Folterkeller ohne Abort gehen soll. Die Alltagsszene erfüllt dann die Funktion eines Signals für Leser, die die extremere Version nicht sehen wollen.
Also ich würde das in dem Sinne ähnlich wie mit Triggerwarnungen handhaben: Nicht unbedingt vorne drauf schreiben, aber auch klar machen, dass es nicht um eine auf Hochglanz polierte Katalogwelt geht.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Maubel am 29. Oktober 2018, 09:17:40
Auf Toilette muss ich wegen der Erwähnung auch nicht, allerdings kann es durchaus sein, dass ich Hunger bekomme, wenn ich von köstlichem Essen lese. Allerdings mehr in Richtung Appetit und dabei würde mir die Hälfte in der Realität nicht mal schmecken, aber es ist dann so gut beschrieben, dass es den Appetit anregt. Wirklich aufgestanden und mir was zu essen geholt habe ich aber nicht. Verboten kann das auch nicht sein, denn Leute wie George R.R. Martin werden für ihren geschriebenen Foodporn hochgelobt. Der war übrigens auch der erste Autor, bei dem ich gelesen habe, wie jemand sich mal erleichtern ging. Da weiß ich noch, wie ich vor 16 Jahren gestutzt habe, es aber irgendwie ganz cool fand, dass das mal erwähnt wurde. Und natürlich gehörte das mit zu der Szene und war nicht der Fokus davon, es geschah eben "nebenbei" und ich finde, daran könnte man schon öfter mal arbeiten, alltägliche Dinge einfließen zu lassen.

Ein anderer Alltagseffekt wäre wohl die Erotik. Ich meine, es spricht nicht jeden an, aber es gibt genug Leute, die auf die erotischen Szenen entsprechend reagieren. So ganz aus der Luft gegriffen ist es also nicht. Allerdings heißt auch das nicht unbedingt, dass man das Buch gleich weglegt und danach nie wieder anrührt.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Gizmo am 29. Oktober 2018, 09:28:15
Ich musste bisher weder zur Toilette, bloß weil ich davon gelesen habe, noch habe ich z.B. Hunger durch eine Beschreibung bekommen. Bevor Topaz es erwähnt hat, wäre ich aber auch nie auf den Gedanken gekommen, dass das möglich sein könnte.
Andererseits, selbst wenn ich so abgelenkt würde, würde ich wohl kaum das Buch darüber vergessen.

Zitat von: Maubel am 29. Oktober 2018, 09:17:40
Der war übrigens auch der erste Autor, bei dem ich gelesen habe, wie jemand sich mal erleichtern ging. Da weiß ich noch, wie ich vor 16 Jahren gestutzt habe, es aber irgendwie ganz cool fand, dass das mal erwähnt wurde. Und natürlich gehörte das mit zu der Szene und war nicht der Fokus davon, es geschah eben "nebenbei" und ich finde, daran könnte man schon öfter mal arbeiten, alltägliche Dinge einfließen zu lassen.

Das ist genau das, was ich gemeint habe! Ich erinnere mich eine ähnliche Szene in der TV-Serie 'Firefly', ich glaube gleich in der ersten Folge. Man sah einfach nur, wie jemand auf dem Raumschiff, auf dem die Serie spielt, eine versenkbare Toilette zurück in die Wand schob. 2 Sekunden, und ich fand das ein klasse Detail, denn es sagte mir: Das sind 'echte' Personen, die in einer realen Umgebung leben - auch wenn es in einem Space Western ist. :)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Trippelschritt am 29. Oktober 2018, 10:01:05
Es gehört nur in eine Geschichte, was der Geschichte hilft. Egal ob Alltagssituation oder Weltuntergang. Selbstverständlich kann deshalb eine Alltagssituation beschrieben werden. Aber der Autor muss die Frage beantworten können, warum er diese Situation beschrieben hat. "Der Vollständigkeit halber" wäre eine falsche Antwort. Auch unsere Dialoge haben ja nichts oder nur weniger damit zu tun, wie wir wirklich reden. Das würde sich kein Leser antun.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: FeeamPC am 30. Oktober 2018, 14:06:14
Genau. Alltag wird nur beschrieben, wenn er relevant ist. Mein durchgefrorener Held bekommt im Wirtshaus als erstes ungefragt einen fetten warmen Eintopf und einen warmen Würzwein vorgesetzt. Was er all die Tage vorher gegessen hat unterwegs, war nicht relevant. Dass er sich im Wirtshaus wohlfühlt, dagegen schon, denn da begegnet ihm nachher unverhofft seine Nemesis.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Minna am 31. Oktober 2018, 00:17:33
Interessanter Weise ist in allen Plotsystemen die ich kenne, der Alltag ein wichtiger Punkt. Sie beginnen immer mit: Stelle den Alltag des Protagonisten dar- seine Ausgangssituation.

Ich persönlich habe damit immer so meine Schwierigkeiten. Ja das ist eine Chance für Worldbuilding und Charakterisierung und wenn man gut ist, bekommt man auch noch Plotrelevanz mit rein. Und trotzdem finde ich diese Teile immer schwer zu schreiben, eben weil ich das Gefühl habe es wäre zu langweilig. Die meisten meiner Erstentwürfe setzen normaler Weise beim, oder kurz vor dem ersten Turn ein.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Fianna am 31. Oktober 2018, 00:34:34
Wenn der Alltag darin besteht, dass man die Mathehausaufgaben macht und auf Instagram Bilder liket, ist das sicher nicht so spannend.

Wenn man dagegen mit Dämonen verhandelt, Leichen beseitigt oder mit den Geistern seiner Vorfahren streitet, ist das schon interessanter.
Alltag ist eine Definitionssache - bei Harry Potter war Ron doch auch ganz gelangweilt von den Schulregeln, und für Harry war die Zaubererwelt sehr aufregend. (Und als Leer habe ich mir nur gedacht "Wieso schimpfst Du über Hausaufgaben? Verdammte Axt, Du lernst zaubern!!")

Ein Alltag, in dem sich der Leser nicht direkt wieder findet, kann sehr spannend sein. Eine sehr skurille magische Welt, von der Protagonist gelangweilt ist, kann sehr lustig wirken.


Aber ich bin kein Freund davon, zu beschreiben, wie man die Kuh auf die Weide treibt und einen Korb Äpfel sammelt, um zu illustrieren, in was für einer heilen Welt der Held lebt (bzw. gelebt hat, bis die Handlung einsetzt).


EDIT:
@Minna
Das klingt sehr nach Quest / Heldenreiseplot. Viele Systeme wie z.B. die 7-Punkte-Struktur werden oft daran erklärt, weil das in Film und Büchern sehr gebräuchlich ist. Es gibt aber noch viele andere klassische Plotmuster, wie z.B. Adventure, Revenge, Riddle... Dazu kann ich das Buch "20 Masterplots" sehr  empfehlen.


(Ich habe beim Lesen festgestellt, dass ich in der Phantastik fast ausschließlich Riddle schreibe. Das hat mir sehr geholfen, als ich mit den 7-Punkten gekämpft habe und bemerkt habe, dass die Beispiele aus Quest-Plots stammen und inwiefern ich das auf meinen Plot übertragen kann).
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Minna am 31. Oktober 2018, 01:21:08
@Fianna: Grobübersichten über die Masterplots habe ich schon mal gesehen und nutze sie auch gerne. Geht das Buch da noch ein bisschen mehr ins Detail wie Anfang, Mitte und Ende in anderen Plotarten aufgebaut sind?
Ich lese nicht so oft Geschichten aus anderen Genres, aber die meisten Romaces oder Krimis, die ich kenne beginnen auch oft mit dem Alltag der Protas (Ok. Manchmal ist es erst der Mord und dann der Alltag). Und in den meisten Filmen, die mir spontan einfallen, ist es auch so. Andererseits sind Hollywoodfilme ja meistens nach Schema F gestrickt, das wiederum auf der Heldenreise aufbaut. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Hast du Beispiele für andere Anfänge?
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Fianna am 31. Oktober 2018, 02:26:42
Nur meine eigenen  :versteck:
Nach dem NaNo schaue ich mal, was ich im Forum finde und verlinke es hier (oder erstelle einen neuen Thread, den ich verlinke) und ich mache (oder ergänze) einen Buchempfehlungs-Thread für die Masterplots, das etwas mehr auf die Inhalte eingeht und für wen es sich lohnt.  :)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Trippelschritt am 31. Oktober 2018, 06:11:24
Zitat von: Minna am 31. Oktober 2018, 00:17:33
Interessanter Weise ist in allen Plotsystemen die ich kenne, der Alltag ein wichtiger Punkt. Sie beginnen immer mit: Stelle den Alltag des Protagonisten dar- seine Ausgangssituation.

Ich persönlich habe damit immer so meine Schwierigkeiten. Ja das ist eine Chance für Worldbuilding und Charakterisierung und wenn man gut ist, bekommt man auch noch Plotrelevanz mit rein. Und trotzdem finde ich diese Teile immer schwer zu schreiben, eben weil ich das Gefühl habe es wäre zu langweilig. Die meisten meiner Erstentwürfe setzen normaler Weise beim, oder kurz vor dem ersten Turn ein.

So formuliert ist dieser Ratschlag missverständlich. Der Leser braucht für alles, was er verstehen soll, zunächst einmal eine Orientierung. Vielleicht ist das in den Plotsystemen gemeint. Außerdem beginnt eine Geschichte häufig mit dem Protagonisten, der zunächst einmal eingeführt werden muss. Es ist recht einfach, einen Protagonisten über sein Alltagsleben einzuführen, vor allem wenn fast alle Geschichten damit beginnen, dass der Held seine gewohnte Umgebung verlässt oder diese durch etwas von außen gestört wird. Aber damit wird bereits klar, dass eine solche Beschreibung eine ganz bestimmte Funktion innerhalb der Geschichte hat. Und deshalb sollte man auch damit arbeiten. Aber es geht dabei nicht um Alltag, sondern um den Alltag einer Figur. Und Leser interessieren sich neist auch für den Beruf einer Figur.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Fianna am 31. Oktober 2018, 07:08:53
Ich habe ein Problem mit dem Muster an sich: auf einmal wird das idyllische Leben gestört, weil... Mich stört auch diese schemahafte Stilisierung von einer Figur, die nahezu bei Null anfängt. Und immer gleiche, generische Settings. So kann man auf die bequemste Weise die größtmögliche Veränderung darstellen.
In manchen Genres und Erzählmustern passt das sehr gut rein, aber es ist nicht alles High Fantasy und es passt (nach meinem Empfinden) nicht immer, dennoch überwiegt das als Erzählmuster. 

Meine Figuren verändern sich auch. Aber nicht von 0 auf 100; ich habe in der Regel sehr fähige Figuren, die diese ganze Entwicklung Vom-Noob-zum-Helden bereits hinter sich haben. Dennoch machen sie eine große Veränderung durch - ich erschüttere ihren Glauben an etwas, oder ich stelle ihn (teilweise) wieder her. Ich konfrontiere sie mit einem moralischen Dilemma und erzwinge eine Entscheidung.


Ich finde es zu vereinfacht, diesen Alltag und diese Störung immer auf dieselbe Weise darzustellen, mit dem kleinsten möglichen Nenner. Das habe ich versucht, weiter oben zu erläutern: wäre nicht Harry der Protagonist, sondern ein anderer Hogwartsschüler, hätten die Bücher ganz anders begonnen. Mit der Zaubererschule.
Ich bevorzuge es, wenn der Alltag des Helden, der für ihn vielleicht sehr langweilig sein mag, den Leser in ein spannendes fremdartiges Setting mitnimmt. Wenn es nicht das idyllische 0815-Dorf mit Schmiede, Schenke und Kühen ist oder das englische Reihenhaus mit Satellitenanlage und Stereoanlage.

Dann folgt man immer noch dem Muster "Zeige erst den Alltag des Helden und verändere dann etwas", aber es ist die ganze Zeit ein fremdartiges Setting und damit nicht so generisch und austauschbar.

Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: heroine am 31. Oktober 2018, 07:39:55
Nun Muster dienen ja nur zur Hilfestellung. Also man kann sich dran halten oder auch nicht, wenn es einem nicht gefällt. Manche gehen auch "spät rein", das bedeutet fangen genau an dem Punkt an, an dem der Alltag aufhört und die Geschichte beginnt. Was man persönlich mag ist eben Geschmacksache und individuell.

Tabus bei Alltag fallen mir jetzt eigentlich nicht ein; Periode, Toilette, Krankheiten etc. Der Leser weiß ja nach einer Weile, was ihn bei einem Autor erwartet und was nicht. Entsprechend, wird er Bücher, bei denen er 'enttäuscht' wurde durch zu viel oder zu wenig oder zu detailierten Alltag beiseite legen oder gar nicht erst kaufen. Von daher sehe ich auch keinen Grund etwas raus zu nehmen, weil man es halt nicht tut. Man muss nur einfach mit den Konsequenzen leben können.

Ich persönlich finde aber auch, dass Alltag einige sehr nützliche Eigenschaften fürs Schreiben hat.

Zum einen: Geschwindigkeit. Man kann Geschwindigkeit reduzieren, in dem man Alltag rein packt. Es geht alles Schlag auf Schlag. Erst stirbt die Oma, dann geht die Welt unter, dann droht die Hölle zu frieren. Ohne ein bisschen wohldosierten Alltag für "Erholungspausen" sowohl für den Protagonisten als auch für den Leser, kann das sehr schnell anstrengend werden.

Wie schon oft erwähnt: Es liefert Kontext. Nirgends zeigt sich der Charakter so schön, wie in Alltagssituationen in denen er nicht ganz alltäglich reagiert (aber für ihn selbst total normal). Beispielsweise der Charakter, der nur zu Hause aufs Klo geht. Oder jemand der beim Einkaufen immer alle Inhaltsanagaben liest oder nur blaue Verpackungen einpackt. Oder jemand der beim Lesen, die Buchseiten rausreißt: wenn er es beim ersten Mal nicht auswendig kann, dann verdient er es nicht nochmal nachlesen zu dürfen.

Desweiteren: Es macht Situationen lebendiger. Man kann die Diskussion ob man nun gegen den bösen Tyrannen mit Wattebällchen oder mit einem Attentat angehen möchte einerseits in einem sterilen Umfeld führen oder während man kocht. Wenn beide in der Kirche stehen, dann zupft der eine sich am Ärmel. Wenn sie Gemüse schneiden, dann fuchtelt die andere vielleicht mit dem Messer durch die Luft.

Und weiterhin kann sich in Alltagssituationen auch die Entwicklung eines Charakters gut zeigen. Am Anfang hat er sich unwohl gefühlt alleine zum Supermarkt zu gehen, gegen Ende isst er in seelenruhe einen Apfel auf dem nächtlichen Friedhof und plaudert mit einem Zombie über gesunde Ernährung.

Natürlich gibt es noch unzählige weitere Einsatzmöglichkeiten. Ich finde wie schon so oft gesagt: Es ist wichtig, dass man weiß, wieso man Alltag benutzt und dass es eben zur Geschichte passt und eben so wichtig: zum persönlichen Stil.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Aphelion am 31. Oktober 2018, 16:08:21
Eine wichtige Funktion, die zumindest explizit noch nicht angesprochen wurde, sind Pausen. In diesem Punkt unterscheiden sich Mainstream-Filme mMn deutlich von Büchern. Ein Buch hat keinen so strikten Zeitplan.

Eine Pause für den Protagonisten kann durchaus relevant sein, auch wenn nichts passiert - weil genau das der Punkt ist: Es passiert nichts, der Prota darf mal durchatmen und er selbst sein. (Da sind wir wieder bei der Charakterisierung, die bereits angesprochen wurde.) Aber auch der Leser darf mal durchatmen, den Adrenalinspiegel runterkommen lassen und sich auf die nächste Schlacht, Strategiebesprechung oder den nächsten wichtigen Hinweis zu freuen.

Solche Pausen können paradoxerweise dabei helfen, die Spannungskurve zu halten, weil sie Vorfreude auf die nächste Überraschung oder die nächste Actionszene ermöglichen. Und die Vorfreude ist manchmal genau so schön.

Darüber hinaus können "banale" Szenen auch als Kontrast dienen.

Noch etwas ganz Anderes: Ich würde grundsätzlich zwischen Szenen unterscheiden, die für Leser potenziell eklig oder mit Tabus verbunden sind (Toilette, en détail), und solchen, die wirklich nur banal sind (Marmeladenbrot schmieren). Erstere haben immer noch eine weitere, gesellschaftliche Funktion – selbst wenn es nur um Provokation geht.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: heroine am 31. Oktober 2018, 16:20:41
@Aphelion
Ich fühle mich gerade ein klein bisschen ignoriert oder ich verstehe dich falsch. Ich hab direkt im Posting vor dir die Geschwindigkeit angesprochen. Was macht da denn Unterschied zu den Pausen, die noch nicht auf dem Tisch waren?
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Aphelion am 31. Oktober 2018, 19:04:28
Pausen sind für mich schon etwas anderes als unterschiedliche Tempi, insofern habe ich dich nicht ignoriert. ;)

Eine Pause... ist eine Pause. Bei langsamem Tempo geht es immer noch vorwärts.

Abgesehen davon habe ich noch andere Aspekte und Begründungen angesprochen, insofern könnte ich mich nun ebenfalls ignoriert fühlen. :P (Tu ich aber nicht, keine Sorge. *g*)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: heroine am 01. November 2018, 05:32:52
Bin ich froh, dass man so offen über Gefühle reden kann. :vibes: Aber gut, dann hab ich den Unterschied auch begriffen und bin deiner Meinung: Pausen sind auch wichtig.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: AlpakaAlex am 30. Januar 2019, 11:32:59
Oh. Ein Thema zu einem Pet Peeve von mir. Das ist schön.

Nein, mein Pet Peeve ist nicht das Vorhandensein von Alltagsszenen, sondern das Fehlen von Alltagsszenen. Für mich sind Alltagsszenen wichtig und ich bin schnell frustriert von Büchern, in denen es keinen Alltag gibt - umso mehr, wenn es Fantastik oder generell spekulative Fiktion ist.

Ich finde Alltag ist wichtig, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Charaktere normal handeln, ohne dass ihr Leben gerade gefährdet ist und ohne dass sonst etwas ungewöhnliches passiert. Es hilft Charaktereigenheiten ein bisschen deutlicher hervor zu rufen und, wie @heroine auch schreibt, das Tempo rauszunehmen und damit gleichzeitig Verschnaufspause, als auch Grundlage für Spannung zu geben.

Alltag war für mich von den zarten Schreibanfängen an schon immer ein wichtiges Thema. Nicht zuletzt da mein großes Schreib-Idol (ein japanischer Autor) halt sehr viel auf Alltag gab und in seinen Geschichten viel Wert darauf legte, das soziale Umfeld der Charaktere, aber auch die Welt durch alltägliche Handlungen deutlicher aufzubauen.

Das letztere ist etwas, was mir gerade bei Fantasy allerdings oft fehlt: Der Alltag in einer anderen Welt und wie sich dieser von unserer unterscheidet. Gerade bei epischen Fantasygeschichten bin ich oft schon frustriert gewesen, dass es in der Welt offenbar nur Abenteurer, Ritter und Söldner gibt, aber keinen einzigen Bauern oder Fischer. Irgendein bekannter Fantasyautor (ich weiß partout nicht mehr wer) hatte es schön ausgedrückt: "Viele Fantasywelten sind nur dazu da, darin Abenteuer zu erleben, aber niemand kann in ihnen einfach nur leben." (Kein direktes Zitat, aber etwa der Inhalt.) Und ja, das ist eine Sache, die mich halt stört.

Insofern: Meine Geschichten haben meistens recht viel Alltagsszenen gemeinsam, in denen die Charaktere einfach Charaktere sind, ihre Beziehungen zueinander entwickeln und zurück zu sich selbst finden können, nachdem sie schlimmes erlebt haben.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Antennenwels am 12. Februar 2019, 23:34:28
Ich liebe Alltagsszenen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich jemals ein Buch weggelegt hätte, weil es mir zu langweilig war. Wie @Aphelion schon schrieb, finde ich ist es wichtig das Geschichten immer wieder Verschnaufpausen haben, in denen die Charaktere mehr oder weniger ihrem normalen Alltag nachgehen (auch wenn der vielleicht ganz anders aussieht, als sie es gewohnt waren, da sie unterwegs, oder an einem neuen Ort sind). Solche Momente der Ruhe sind nicht nur ausgezeichnet um die Charaktere kennen zu lernen und die Beziehungen zwischen ihnen zu entwickeln, sondern vor allem auch um zu sehen, wie sie mit all dem was zwischen den ruhigeren Szenen geschieht, umgehen. Vor allem in der Urbanfantasy sehe ich manchmal die Tendenz, dass sich eine Action-scene an die andere reiht und den Charakteren gar keine Zeit gegeben wird diese Geschehnisse zu verarbeiten.

Zitat von: NelaNequin am 30. Januar 2019, 11:32:59
Das letztere ist etwas, was mir gerade bei Fantasy allerdings oft fehlt: Der Alltag in einer anderen Welt und wie sich dieser von unserer unterscheidet. Gerade bei epischen Fantasygeschichten bin ich oft schon frustriert gewesen, dass es in der Welt offenbar nur Abenteurer, Ritter und Söldner gibt, aber keinen einzigen Bauern oder Fischer. Irgendein bekannter Fantasyautor (ich weiß partout nicht mehr wer) hatte es schön ausgedrückt: "Viele Fantasywelten sind nur dazu da, darin Abenteuer zu erleben, aber niemand kann in ihnen einfach nur leben." (Kein direktes Zitat, aber etwa der Inhalt.) Und ja, das ist eine Sache, die mich halt stört.

Ich würde mir auch mehr Alltagsszenen in High fantasy wünschen, aber vielleicht hat es auch ein wenig damit zu tun, dass solche Bücher ohnehin schon sehr lange sind und die Autoren sie dadurch nicht noch verlängern möchten. Ich lese im Moment gerade zum ersten Mal das Rad der Zeit und das ist eine Buchreihe, die definitiv viele Alltagsszenen beinhaltet und man bekommt einen Einblick in viele verschiedene Kulturen. Die Buchreihe ist allerdings auch 14 Bände lang... und gewisse Leser werden davon sicherlich abgeschreckt.
Es ist wohl oft eine Gratwanderung, das richtige Mass zu treffen.

Ich denke beim Schreiben habe ich eher zu viele, als zu wenige Alltagsszenen und werde bei meinem momentanen Projekt wohl am Ende einiges davon streichen müssen. Es liegt wohl auch daran, dass es bei mir keine grossen Kämpfe oder ähnliches in der Art gibt und es deshalb oft ziemlich alltägliche Szenen sind, welche den Plot vorantreiben.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: FeeamPC am 13. Februar 2019, 15:11:33
Alltagsszenen müssen in die Erlebenswelt der Protagonisten passen.
Wenn ich über einen Ritter schreibe, ist es extrem wahrscheinlich, dass ihn Bauern überhaupt nicht interessieren. Sie sind da, sie bauen Korn an und sorgen für Milch und Eier, basta. Mehr nimmt der Ritter sie normalerweise nicht zur Kenntnis, und entsprechend wenig kommt der Bauer in einem Roman mit Ritter als Hauptperson vor.
Was anderes ist es, wenn der Roman in der Unterschicht spielt, aber dann kommen kaum die Lebensumstände der Ritter zur Sprache.
Einzige Möglichkeit für einen Autor, mehr als nur allgemeine, wenige Sätze zu anderen Gesellschaftsschichten zu schreiben, ist eine Geschichte mit verschiedenen Perspektivträgern aus verschiedenen Gesellschaftsschichten. und das liegt nicht jedem Autor.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Antennenwels am 13. Februar 2019, 19:01:07
Zitat von: FeeamPC am 13. Februar 2019, 15:11:33
Alltagsszenen müssen in die Erlebenswelt der Protagonisten passen.
Wenn ich über einen Ritter schreibe, ist es extrem wahrscheinlich, dass ihn Bauern überhaupt nicht interessieren. Sie sind da, sie bauen Korn an und sorgen für Milch und Eier, basta. Mehr nimmt der Ritter sie normalerweise nicht zur Kenntnis, und entsprechend wenig kommt der Bauer in einem Roman mit Ritter als Hauptperson vor.

Ich stimme vollkommen mit dir darin überein. Allerdings gibt es auch im Leben eines Ritters alltägliche Szenen. Wie ihm jemand dabei helfen muss seine Rüstung an oder aus zuziehen, oder wie er klammheimlich versucht ein paar Dellen wieder rauszubekommen und seine Rüstung zu polieren, in der Hoffnung, dass dadurch niemandem auffällt, dass sie nicht mehr von allzu hoher Qualität ist. Auch ein Ritter verbringt mal einen Abend mit Freunden in einer Taverne, oder entspannt seine schmerzenden Muskeln bei einem Besuch in einem Badehaus. Alltagsszenen gibt es in jeder sozialen Schicht und ich würde auch den Ritter gerne mal ausserhalb eines Kampfes/ einer Schlacht oder aber der Besprechung der nächsten Krisensituation sehen.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Koboldkind am 22. Februar 2019, 21:23:56
Dem stimme ich uneingeschränkt zu, @Antennenwels . Ich schreibe grade eine Fanfiction im Mittelaltersetting, unter anderem gerade deshalb, um das Leben auf der Reise und zwischen den Schlachten zu schreiben. Mir fehlt es gerne mal, dass Charaktere nicht essen müssen oder anscheinend wochenlang die gleichen Kleider tragen. Abgesehen von der Ruhe und genügend Schlaf, die Helden auch und besonders brauchen, mag ich Alltagsszenen daher sehr gerne. Mehr davon :)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: canis lupus niger am 25. Februar 2019, 11:35:08
Zitat von: Trippelschritt am 29. Oktober 2018, 10:01:05
Es gehört nur in eine Geschichte, was der Geschichte hilft. Egal ob Alltagssituation oder Weltuntergang. Selbstverständlich kann deshalb eine Alltagssituation beschrieben werden. Aber der Autor muss die Frage beantworten können, warum er diese Situation beschrieben hat. "Der Vollständigkeit halber" wäre eine falsche Antwort.
GRR Martin hat im Vorwort zum Game-of-Thrones-Kochbuch (von jemand anderem) beschrieben, warum ihm Details wie das Essen in seinen Büchern so wichtig ist. Sinngemäß ist es für ihn ein Genuss, sich in dem Setting umher zu bewegen, es zu erleben und zu genießen. Und er ginge davon aus, dass es den meisten seiner Leser ähnlich geht. Sich beim Schreiben auf das für den Plot zwingend notwendige zu beschränken würde aus einem Roman im Extremfall einen Vorgangsbericht machen.

Diese Aussage trifft hundertprozentig meine eigene Meinung. Ich schreibe Fantasy, weil ich etwas sichtbar, fühlbar und erlebbar machen will. Dazu gehören auch Details auch dem Alltag. Das heißt nicht, dass die Flut von Alltagdetails die Geschichte ersticken darf. Das richtige Maß muss man schon treffen.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Churke am 25. Februar 2019, 14:50:15
Essen betrachte ich nicht als Alltagsgeschehen.
Ob Riberys Gold-Steak, vegane Pizza, koschere Salami oder Donald Trumps Mittags-Taco. Man ist, was man isst.  ;)

Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: FeeamPC am 25. Februar 2019, 18:25:39
Aber selbst Essen ist nicht immer wichtig.
Der Bauer isst jeden Tag Linsensuppe? Uninteressant. Außer, es kommt ein Ritter zu Besuch und er setzt ihm Linsensuppe vor (entweder ist der Ritter erfreut, mal was anderes als Braten zu kriegen, oder er zürnt, weil der Bauer ihm nicht wenigstens ein Huhn geschlachtet hat).
Lisa liebt Schokolade? Uninteressant. Außer, es tröstet sie darüber hinweg, dass ihr Freund sie hat sitzenlassen, oder sie schwelgt in einem sinnlichen Vergnügen, dass sie Leser mit dahinschmelzen.
Hannes geht jeden Tag zur Schule? Uninteressant. Außer, an diesem Tag schwänzt er, oder er erlebt unterwegs als Augenzeuge einen Unfall, oder er wird gemobbt, oder er verknallt sich in die neue Lehrerin.

Will heißen, Alltagsgeschichten ja, aber tatsächlich nur, wenn sie für die Handlung etwas bringen.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Silvia am 25. Februar 2019, 21:46:47
Als ich damals "Der Drachenbeinthron" von Tad Williams gelesen habe, fand ich nicht nur die Beschreibungen von Umwelt und Lebensart im Detail super, sondern auch die Tatsache, dass man mal mitbekam, was es auf Reisen am Lagerfeuer zu essen gab. Und nicht nur da. Nicht nur einmal hätte ich zu gern daneben gesessen und mal probiert, da gab es schon leckere Sachen - ob nun rustikal einfach oder königlich. :-) Ich mag sowas als Leserin.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: FeeamPC am 25. Februar 2019, 23:54:10
Manchmal klappt es und so eine Beschreibung ist gut und passt. Ansonsten aber landet der Lektor bei eiem Manuskript, in dem die Hauptfigur drei Seiten braucht, um sich eine Tasse Kaffee zu kochen, weil der Alltag so genau beschrieben wird...
Habe ich schon gehabt.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Kunstmut am 26. Februar 2019, 03:41:53
Interessanter Thread. Eigentlich kann man auch generell und allgemein fragen: Wie viel Beschreibung gehört in einen Text? Würde man mit Zucht und Strenge jegliche Langsamkeit und Banalität liquidieren, könnte man sich im Kreis der Autoren auch darauf einigen, nur noch Kurzgeschichten zu schreiben. Längere Sequenzen gingen dann nur noch über zusammenhängende Kurzgeschichten oder Novellenzyklen. Gab es schon in der Geschichte. Man denke nur an "Tausend und eine Nacht" oder das "Dekameron" mit allen Nachahmern. Und dann gibt es wieder Phasen der verschwafelten Aufblähung, sei es der Ehrenmann Siegfried von Donnerfels, der mindestens drei Monster und Kieselbert den Dürren besiegen muss oder die moderne Fantasy, die Minderwertigkeits-Komplexe entwickelt, wenn sie nicht mindestens eine Trilogie von dreitausend Seiten Umfang als epochemachendes Schlafmittel präsentieren darf.

Da ich von Backofen-Anleitungen bis hin zur Dialektik des Nicht-Ich in Resonanz zum An-Sich-Sein, Für-Sich-Sein und Rotwein und Weißwein alles lese, kann ich an der Stelle sagen, dass es "l'art pour l'art" gibt. Das ist der strenge Unterschied zum Bestseller-Page-Turner-Roman, der nur auf oberflächliche Affekte setzt, um Leser in eine Seifenoper des großen Dramas zu schicken. Oder in anderen Worten: Theodor Fontanes ewig lange Beschreibungen seiner Wanderungen durch die Mark Brandenburg haben genauso ihre Existenzberechtigung wie Dan Browns Illuminati. Es kommt auf den Geschmack des Lesers an, und natürlich zuerst einmal auf das künstlerische Wollen des Autors, das im Kapitalismus immer mit den ökonomischen Zwängen kämpft.

Tintenteufels Beispiel mit dem Hollywood-Kino muss man insofern als irreführend beschreiben oder eingrenzen, als dass es das populäre Medium für die einfache Unterhaltung betrifft. Das ist so, als würde man zum Beispiel bei Romanen nur auf Genreromane schauen und das stetig wachsende Regal mit Klassikern der Weltliteratur ignorieren. Oder als würde man sich nur an der Popmusik festbeißen und dabei vergessen, dass dennoch, abseits vom kapitalistischen Fernsehen nach USA Vorbild ja weiterhin Orchester und Big Bands spielen. Ist dann eben nur die Minderheit und hat wenig Einfluss auf die historisch prägenden Strömungen. Als Beispiel kann ich Andrei Tarkovsky - Der Spiegel geben (hab den erst neulich zum zweiten Mal gesehen). Ein Film ohne klassischen Plot oder Aufbau, eine kunstvolle Verschmelzung aus Biographie, Träumen und tollen Montagen und Kameraschwenks. Dazu Gedichte und klassische Musik.

Der springende Punkt ist: Wie reagiert das Publikum?

Mehr Leute werden Dan Brown lesen als Theodor Fontane. Genauso wie mehr Leute heute vermutlich Taylor Swift oder Ariana Grande hören, als zeitgenössischen Jazz aus Schweden oder Litauen. An sich hängt es einerseits vom Schreibstil ab, ob man weiterlesen möchte und andererseits von der eigenen Verfassung als Leser. In manchen Phasen kann ein Leser mühelos ewig lange Romane lesen, weil er gerade trainiert ist und ständig liest. Wer dagegen aus x-Gründen nicht zum Lesen kommt, wird bei einem Kaltstart nach langer Leseabstinenz wohl eher zu einem kurzen Science-Fiction Roman mit krassen Katastrophen greifen, als sich in langatmige Werke a la Knausgard zu vertiefen. Zumindest bietet  Youtuber Pewdiepie genau dieses Szenario. Vielleicht gibt es auch Leute, die jahrelang nichts lesen und dann gleich alles von Brandon Sanderson verschlingen. Die Welt der Leser ist so komplex wie die Menschheit.

Aber um mal etwas Neues in diesem Thread beizusteuern, bringe ich ein Beispiel zum Thema Alltagsgeschehen aus der Weltliteratur. In letzter Zeit schätze ich Joseph Conrad sehr, da er einen unaufgeregten Stil schreibt, der gleichzeitig in Sachen Eloquenz, Tiefgründigkeit und Witz zum Besten gehört, was je des Menschen Hand auf Papier schrieb.

Aus der Kurzgeschichte (ca. 53 Seiten), Jugend- Ein Bericht.
Es geht um einen 20-Jährigen Mann, der zum ersten Mal die Seefahrt erlebt. (Selbstverständlich mit verschiedenen Anekdoten verschiedener Leute, Seemannsgarn, Philosophie und Geschichte angereichert; was man natürlich beim Lesen bemerkt, weil diverse mündliche Erzähltechniken, Erinnerungen, Abenteuerhandlung und Rührseligkeiten gekonnt durcheinander gemischt werden, um dieses unbestimmbare Gefühl der Nostalgie nach der See aufzubauen. Wohl typisch für Conrad - depressive Männer und das Meer :D)

Die Stelle beginnt mit:

"Wir liefen aus London mit Ballast aus - Sandballast -, um in einem nördlichen Hafen eine Ladung Kohle für Bangkok aufzunehmen."

Das wäre das Thema 'Marmeladenbrot schmieren' oder oh Wunder, Kühe und eine Schmiede im 0815 Fantasy-Dorf. Was macht ein Schiff im Handelsverkehr denn auch sonst, als Ladung, meist Rohware, von A nach B zu schiffen?

Jetzt erfolgt Kunstgriff Nummer 1: Innerer Gedankenstrom des Protagonisten, um seine Gefühle zu verstehen.

"Bangkok! Mir ging es durch und durch! Ich war nun schon sechs Jahre zur See gefahren, hatte aber erst Melbourne und Sidney gesehen, sicher sehr beachtliche Ortschaften und in ihrer Art sogar reizend - aber Bangkok!"

Aus einer banalen Situation des Handels per Schiff wird ein Traum eines naiven, jungen Mannes, der sich Exotik und Abenteuer vorstellt und dadurch auf ungesunde Weise euphorisch wird. Was ihm später helfen wird, den ganzen Mist zu durchstehen, weil er ja immer diese Vision, diesen Traum vom fernen Osten vor Augen hat, was ihn durchhalten lässt. Direkt darauf kommt eine jener toll eingebauten Alltagsbeschreibungen, die Würze geben. Es wäre für den Plot nicht zwingend notwendig, da der Nordseelotse, der beschrieben wird, für die weitere Handlung nicht mehr wichtig ist, aber Conrad baut es ein, malt es förmlich aus, dass man lachen muss.

"Wir liefen unter Segel aus der Themse aus und hatten einen Nordseelotsen an Bord. Er hieß Jermyn, drückte sich den ganzen Tag in der Kombüse herum und trocknete sein Taschentuch am Herd. Anscheinend schlief er nie. Er war ein trübsinniger Mensch, dem ständig ein Tropfen an der Nasenspitze hing. Entweder hatte er Kummer gehabt oder hatte eben jetzt Kummer oder erwartete demnächst Kummer - jedenfalls fühlte er sich nicht wohl, wenn nicht irgend etwas schiefging. Er mißtraute meiner Jugend, meinem Wirklichkeitssinn und meinen seemännischen Fähigkeiten und ließ keine Gelegenheit aus, mich das durch hundert kleine Nadelstiche spüren zu lassen. Nun, er wird im Grunde schon recht gehabt haben. Ich habe damals wohl wirklich wenig verstanden und verstehe auch jetzt nicht viel mehr, aber diesen Jermyn hasse ich noch heute aus tiefstem Herzensgrund."

Übrigens ist das gleichzeitig ein gutes Beispiel, warum manchmal tell besser ist als show. Sonst hätte man den Absatz und den Humor nie im Leben so herüberbringen können. Der Clou ist jetzt aber, dass Conrad nach diesem Geplänkel zur Sache kommt.

"Es kostete uns eine Woche, bis zur Reede von Yarmouth hochzukreuzen, und dann gerieten wir in einen Sturm - den berühmten Oktobersturm vor zweiundzwanzig Jahren, mit tollen Windstärken, Blitzen, Graupelschauern, Schnee und einer entsetzlichen See."

Joseph Conrad nutzt diese Techniken gekonnt aus, um aus diversen Steinchen ein Mosaik zu bauen, das den Anschein erweckt ein homogener Text zu sein. Dieser Eindruck wird durch den Stil erweckt, der klingt wie ein klassischer Text aus dem antiken Rom. Klare, präzise Sätze ohne zu viele blumige Worte. Damit wird gekonnt kaschiert, dass es eine teuflische Arbeit sein musste, all diese, nennen wir sie mal - Happen - zu etwas Lesbarem zusammenzufügen. Was mir persönlich dabei aufgefallen ist, wie einfach und passend es wirkt, wenn man zwischendrin ein paar Absätze Geschichtsunterricht oder moralische Erwägungen oder allgemeine Betrachtungen über Land und Leute einfließen lässt. Wirkt wie ein längeres drum fill in einem sechs Minuten Song. Alleine würde man sich dieses 'Geschehen' nicht anhören, aber richtig eingesetzt, macht es den Song erst hörenswert. (Ja, ich spiele gerade auf Blind Faith an ...)



Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Trippelschritt am 26. Februar 2019, 08:16:46
Beschreibungen sind für mich als Leser ausgesprochen wichtig. Auch Beschreibungen des Alltags. Aber jede Beschreibung erfüllt auch eine ganz bestimmte Funktion. Und wenn das nicht erkennbar ist, dann wird sie unnötiger Füllstoff.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Churke am 26. Februar 2019, 10:31:56
Zitat von: Kunstmut am 26. Februar 2019, 03:41:53
Aus einer banalen Situation des Handels per Schiff wird ein Traum eines naiven, jungen Mannes, der sich Exotik und Abenteuer vorstellt und dadurch auf ungesunde Weise euphorisch wird.

Ich denke, dass das vor 120 Jahren ein großes Abenteuer war. Mit dem Ferienflieger kam man jedenfalls nicht nach Bangkok...

Conrad scheint mir auch in der russischen Erzähltradition zu stehen. Lukjanenko arbeitet recht ähnlich. Dazu gehören auch exzessive Beschreibungen der russischen Küche. Wie das auf Russen wirkt, weiß ich nicht. Für mich war's neu.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Alys am 26. Februar 2019, 11:51:53
Zitat von: Churke am 26. Februar 2019, 10:31:56
(...) Lukjanenko arbeitet recht ähnlich. Dazu gehören auch exzessive Beschreibungen der russischen Küche. Wie das auf Russen wirkt, weiß ich nicht. Für mich war's neu.

Bei Lukjanenko fand ich das auch toll, weil man so noch besser mit dem Prota mitfühlte.

Sowas kann auch einfach Ritualcharakter bekommen, speziell in Serien. In den Brunetti-Krimis von Donna Leon wird auch dauernd gegessen. Für sich genommen sind die Szenen nichtssagend, aber durch die Alltagsschilderung rutscht man rein in die Welt und kann sie besser erfühlen. Bestünde das ganze Buch nur aus dem Espresso hier und dem Bruschetta dort, dann wäre es todlangweilig, aber als kleine reaktive Szenen ab und zu erfüllen sie durchaus ihren Zweck. Und gerade, weil diese Krimis eh wahnsinnig repetetiv sind in ihrem Schema, erwartet man auch in jedem der Bücher, dass genau diese Alltagsszenen vorkommen.
(Ging mir zumindest bei den ersten Bänden so. Die letzten habe ich nicht mehr gelesen, weil eben zu repetitiv. Aber genau diese alltäglichen Mittagessen-Szenen habe ich immer gerne gelesen, weil sie sich so authentisch anfühlten.)
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Turquoise am 26. Februar 2019, 20:31:31
Für mich kommt es natürlich auch auf das Buchgenre an. Gerade bei Krimis kann man durch solche Szenen mit der Familie gut zeigen, dass der Ermittler eben auch nur ein Mensch ist, der genauso auch mal Streit mit seinem Ehepartner oder den (pubertären) Kindern hat. Auf der anderen Seite kann gerade das Fehlen von solchen zwischenmenschlichen Beziehungen auch sehr viel über einen Charakter aussagen. Meistens tendiere ich dazu, in den ersten Kapiteln einige recht alltägliche Situationen zu schildern, damit der Leser ein erstes Gefühl für den Charakter bekommt. Allerdings muss es die Situation natürlich auch wert sein, erzählt zu werden, sodass man das Buch nicht gleich gelangweilt zuklappt. Daher greife ich tatsächlich gerne auf die altbekannte Hinrichtung/Volksfest/Geburtstag oder Turnier zurück. Die Geschehnisse sind zwar aus dem Alltag eines Charakters gegriffen, allerdings trotzdem außergewöhnlich genug, um für den Leser interessant zu sein. Und damit schlägt man noch eine weitere Fliege und führt den Leser gleichzeitig ein wenig mehr in seine Welt ein. Für andere Genres mag etwas anderes gelten, aber zumindest für die Fantasy ist das so mein Grundkonzept: Evtl. einen Prolog mit Action bzw. einem Geheimnis, die Lust auf mehr machen und dann das erste Kapitel aus Sicht des Protagonisten, der sich gerade in einer mehr oder weniger gewöhnlichen Situation befindet.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Anj am 27. Februar 2019, 10:08:19
Ich beobachte bei mir als Leserin zwei Tendenzen.
Wenn ich die Figuren interessant finde, dann lese ich auch die langweiligste Alltagshandlung sehr gerne, einfach, weil ich Zeit mit der Figur verbringen will. Interessiert mich die Figur nicht, will ich auch den Alltag nicht lesen. In der Regel sind erstere Alltagshandlungen aber auch gut durch die Figur gefiltert, sodass sie zwischen den Zeilen immer auch etwas über die Figur offenbaren, bzw. als Reize für Gedankenströme, Erinnerungen oder innere Monologe fungieren. Bei zweiteren sind es meist austauschbare Beschreibungen von Handlungen, die jede x-beliebige Pappfigur so ausführen könnte, bzw. sind sie wie Filme ohne Ton. Und die ersten, interessanten Alltagshandlungen treten meist erst ab dem Punkt auf, an dem ich die Figur bereits liebgewonnen habe und sind nicht die Warmschreibübungen des Autors am Anfang der Geschichte, der sein Kennenlernen der Figur im Text stehen gelassen hat. (Ausnahmen gibt es sicher, aber so empfinde ich es in den meisten Fällen)

Ist die Geschichte allerdings ganz klar plotbasiert, dann überblättere ich die Alltagshandlungen ebenfalls, weil sie mich nur aufhalten und für die Geschichte in der Regel uninteressant sind. (Die Figuren interessieren hier aber eben auch nicht, sondern die Geschichte an sich)

Als Autorin überprüfe ich durch Testleser für mich so auch, ob ich interessante Figuren geschaffen habe. Wenn alle Testleser die Stellen streichen, leben meine Figuren einfach nicht. Wenn es die Hälfte ist, ist vielleicht noch zuviel vom eigenen Kennlerngeschwafel drin und wenn es nur wenige sind, dann teste ich ggf. eine gekürzte Version, die sich in der Regel wieder auf ein gesundes Maß anfüttert, wenn ich sie mit Abstand wieder lese. Was dann noch draußen bleibt, war ebenfalls überflüssig.

In den Serien allerdings geht es mir zunehmend auf den Senkel, dass Alltagszenen ständig ausfallen. Ich kann mich einfach immer weniger mit Figuren identifizieren, die nur Alibijobs und -aufgaben haben.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Tanja am 03. März 2019, 21:06:15
Ich persönlich bin ja eher jemand, der Actionszenen überspringt - seitenweise Verfolgungsjagden oder Kämpfe sind nicht mein Ding.

Alltagshandlungen oder ganz normale Dinge finde ich aber insbesondere bei Serien sehr interessant. Das zeigt mir einfach, dass der Held oder die Heldin menschlich ist. z.B. gibt es von Ursula Poznanski eine Krimireihe (der erste Band ist meine ich "Fünf"), in der die ermittelnde Kommissarin eine alleinerziehende Mutter ist. Immer wieder dreht es sich in dem Buch auch darum, wie sie ihren Alltag mit zwei kindern trotz einer Mordermittlung organisiert.
Klingt vielleicht seltsam, aber ich finde es tröstlich, dass auch wahre Helden sich um Dinge wie Elternsprechtage oder den Abwasch kümmern müssen.

Ich mag Einblicke in alltägliche Dinge auch zur "Erholung" nach besonders spannenden oder emotionalen Szenen.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Turiken am 23. April 2020, 11:20:35
Oh ja, Alltag in Romanen - kann herrlich oder grauenhaft sein. Gut geschrieben, können Alltagsszenen manchmal unterhaltsamer sein als die eigentliche Handlung. Egal ob der Charakter beim Einkaufen, Saubermachen, Trainieren oder sonst was ist. Ich glaube, darin zeigt sich auch eine gewisse Kunst: etwas Stinknormales interessant zu machen. Dabei kann man viel über den Charakter und sein Leben erfahren bzw. als Schreiberling verraten, es erzeugt eine gewisse heimelige Atmosphäre und in so einem Moment lassen sich dann prima kleine Bomben einbauen, die aus dem Alltäglichen das Besondere machen. Natürlich nicht in jeder Szene, sonst wirds langweilig. Umgekehrt helfen diese Szenen auch, nach irgendeinem Plottwist oder so was auch wieder etwas Ruhe ins Geschehen zu bringen. Und gerade in der Fantasy oder in historischen Romanen ist es ungemein atmosphärisch, die täglichen kleinen Handgriffe zu lesen, die eine Geschichte brutal aufpeppen können, selbst wenn sie nichts, aber auch überhaupt gar nichts zur Handlung beitragen.

Und wenn diese Alltagsszenen nicht so gut geschrieben sind, sind diese Passagen die ersten, die der geneigte Leser nur noch überfliegt oder gänzlich überblättert. Wenn es einfach nur eine öde Aneinanderreihung von Handgriffen ist, braucht es so was nun wirklich nicht. Jetzt ist die Frage "Ja, und wann ist so eine Alltagsszene gut geschrieben?" Ich wüsste es selbst gern, dann würde ich das genau so immer machen. ;D

Aber ich glaube, immer wieder eingestreute, nicht zu lange Alltagsszenen, die vllt noch mit ein bisschen Story angefüllt sind (und sei es nur, dass der Stallbursche das Pferd versorgt, während er sich mit dem Ritter unterhält), können richtig viel aus einer Geschichte herausholen. Sowohl was die Charakterzeichnung als auch was die Atmosphäre angeht.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Tasha am 23. April 2020, 12:13:38
Ich sehe das genau wie @Tanja und @Turiken , dass gerade die Alltagsszenen oft das sind, was einen Roman ausmacht. Oft bleiben sie mir auch viel mehr im Gedächtnis, als Actionszenen. Das ist bei mir besonders der Fall, wenn es entweder für mich ungewöhnliche Szenen sind, auch wenn sie zum Alltag des Charakters dazu gehören. Bei "Zusammen ist man weniger allein" fand ich es zum Beispiel toll, wenn beschrieben wurde, wie Camille zeichnet oder Franck kocht. Und bei Fantasy Romanen ist es ja oft so, dass man sich zum Beispiel mit den alltäglichen Dingen, die ein Charakter betreibt gar nicht gut auskennt.
Wenn mir ein Charakter schon sehr am Herzen liegt, beobachtete ich ihn sowieso gern auch bei alltäglichen Dingen. Dazu muss eben schon eine Verbindung aufgebaut sein.
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: LisaKober am 23. April 2020, 12:57:43
Gut geschriebene Alltagsszenen finde ich auch sehr spannend. Auf eine schöne leise Art, nicht mit dem Hammer voll ins Gesicht. Ich finde aber, dass die nicht gleich an den Anfang gehören. Für mich werden sie dann interessant, wenn ich den Charakter schon ein bisschen kenne, weiß, wie er tickt. Dann könnte ich mir auch zwei Seiten darüber durchlesen, wie gewissenhaft er seine Wohnung aufräumt, wenn der Autor das liebevoll im Detail beschreibt. Ich bewundern das, wenn man dafür ein Gespür hat: Wann ist die richtige Zeit für so einen Szene/Wie lang und detailliert darf sie sein?/Lernt der Leser dabei etwas Neues über den Charakter?

Mich würde sehr interessieren, was eure Lieblingsstellen zum Thema Alltag sind. Vielleicht erinnert ihr euch ja noch an bestimmte Stellen und teilt sie mit uns?
Titel: Re: Alltagsgeschehen beschreiben oder weglassen?
Beitrag von: Tex am 23. April 2020, 15:53:05
Ich bin der Meinung, dass gerade in Alltagsszenen einige Rückschlüsse auf den Charakter gegeben werden. An dem, was er tut oder was in seinem Leben die Normalität darstellt, können viele Entscheidungen legitimiert werden.
Beispiel: In der Alltagsszene sitzt der Prota nur rum und redet, während seine Geschwister/Kinder/Eltern das Essen machen, aufräumen etc.. Dann ist es glaubhafter, dass er sich später dafür entscheidet, erstmal abzuwarten,  als sich gleich zwischen zwei Streitende zu werfen.
Beispiel 2: Der Alltag ist sehr autoritär bestimmt: Der Bürgermeister, Großeltern, Eltern, Chef usw. geben die ganze Zeit Befehle. Dann kann ich verstehen, dass er später, wenn er gerade Selbstbewusstsein aufgebaut hat, total rebellisch ist und vollkommen überreagiert, als xy ihm sagt, was er tun soll.

Ich finde, dafür eignen sich Alltagsszenen super. Natürlich darf man sie nicht zu trist gestalten, um den Leser nicht wegschlafen zu lassen, aber das sollte ja sowieso klar sein.