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Bewusste Doppeldeutigkeit eines Romanes

Begonnen von Fianna, 15. Juli 2013, 12:33:36

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Fianna

Gerade habe ich beim Lesen gestutzt und mich gefragt, ob man dieses Prinzip in Fantasyromanen auch einsetzen kann.
Mir fiel es bisher nur bei Historischen Romanen auf.

Eine Doppeldeutigkeit, die der Autor bewusst und nur an einem Punkt hineingeschrieben hat, ist das was ich meine.
Kein "Man könnte ihn als Antagonist oder Protagonist sehen", sowas bezieht sich ja immer auf das Gesamtwerk. Ich meine es wirklich punktuell, bestimmte Sätze, die so geschrieben wurden, dass sie 2 Lesarten ergeben.

Beispiel: Rebecca Gablé, "Hiobs Brüder": die Helden treffen einen Thomas Becket, der etwas Probleme hat, über die Planke eines Schiffs zu gehen. (Abneigung gegen Wasser)
Zitat"[...] Seither gehe ich nicht gern übers Wasser."
"Vielleicht solltest du doch Priester werden", meinte Wulfric. "Es heisst ja, je heiliger man ist, umso leichter fällt es einem."
Thomas Becket lachte vergnügt. "Ich glaube nicht, dass ich das Zeug zu einem Heiligen habe."
(Rebecca Gablé, "Hiobs Brüder", S. 527)
Jeder "normale" Leser bezieht das auf die vorher gezeigte Genusssucht des Charakters und sein Gefallen an kostbaren Gewändern etc.
Wenn man aber weiß, dass der gute Mann knapp 18 Jahre später a) tot war und b) heilig gesprochen und c) sein Grab zu einem populären Wallfahrtsort wurde, erkennt man natürlich einen Insider-Witz.
Thomas Beckets Schicksal wird in dem Roman nicht mehr aufgegriffen, soweit ich mich entsinne.


~~~~~~~~~~

Nun habe ich mich gefragt, wie man diesen Kniff "Eine bestimmte Textstelle, 2 Lesarten" in den Fantasyroman übertragen könnte.


Mir ist bisher nur eingefallen, dass der Autor
a) eine Figur in Roman B eine Aussage über eine andere (verstorbene) Figur treffen lässt, die in Roman A des Autors eine wichtige Rolle spielte. Die in Werk B gebilligte / als Wahrheit dargestellte Aussage widerspricht der Darstellung des Autors in Roman A.

b) Gleiches könnte man natürlich mit einem anderen Fakt anstellen, also einem allgemeinen Sachverhalt (z.B. der Bewertung eines Landes / Volkes, "Die Alandarianer sind nunmal....") oder aber sich auf ein "historisches Ereignis" der Fantasywelt beziehen, das in Roman A zentraler Punkt war und in Roman B, der in derselben Welt aber x Jahre später spielt, anders tradiert wird. (Z.B. die Bewertung eines Krieges oder Ähnliches).

c) Man könnte auch mit verkümmertem Wissen so eine Doppeldeutigkeit geben: die Kenntnis um eine Fertigkeit (nehmen wir mal Magie) ist relativ in Vergessenheit geraten.
In Roman A des Autors ist der Grund [Edit: ...Grund, das manche Leute magische Fähigkeiten besitzen und andere nicht] noch bekannt (irgendetwas Kompliziertes z.b.), allerdings darf das in Roman B niemand wissen, weil sonst der Plot nicht funktioniert, also ist das Wissen darum in Roman B verkümmert. Man lässt also die spekulierenden Charaktere in Roman B eine Überlegung machen, die entgegen gesetzt zu der tatsächlichen Erklärung steht: also entweder das genaue Gegenteil, oder aber der wahre Grund ist etwas Hochkompliziertes, die Figuren in Roman B spekulieren mit einem einfachen Szenario (beispielsweise es wird über die Mutter bzw. den Vater vererbt).


Das wars eigentlich.
Ist euch denn noch etwas anderes beim Lesen von Büchern aufgefallen oder wendet ihr diesen Kniff in Fantasywerken auf eine Weise an, die hier nicht aufgezählt wird?


Ich mache es selbst eigentlich gar nicht, aber ich freue mich als Leser immer so, wenn ich bemerke, dass der Autor 2 Ebenen des Verständnisses für den Leser geschaffen hat, dass ich mal sehe, wie ich es einbauen kann.
Bei Fantasy fällt mir jedoch wie gesagt leider nur innerhalb der Geschichte der Verweis auf eine andere Figur oder ein Ereignis ein, und das kann man ja nur in begrenztem Umfang anwenden (ein Roman, der als Einziger oder Erster in einer bestimmten Welt spielen wird, ist schonmal disqualifiziert.)


Nachtrag: als hundertprozentiger Vermeider von einem Setting in der realen Welt habe ich natürlich an Romane gedacht, die in einer erfundenen Welt spielen  ;D Wo Bezüge zu üchern der Weltliteratur etc natürlich etwas erschwert werden ^^

Steffi

Ich liebe solche Sachen ja auch und baue sie, wenn mich die Inspiration mal trifft, auch gerne ein :)

Als Beispiel aus der Fantasy fällt mir sofort "American Gods" von Neil Gaiman ein...da gibt es eine Stelle, wo die Hauptfigur am Mississippi steht und sich kurz vorstellt, wie es wäre, mit dem Floß nach Cairo zu fahren. Weiter wird darauf nicht eingegangen aber ich hab das Buch voller Liebe an mein Herz gedrückt, weil es genau das ist, was Huck Finn und der Sklave Jim in Mark Twains Roman tun  :vibes:
Sic parvis magna

Thaliope

Also geht es eigentlich um "Anspielungen" (auf Literatur oder Fakten in der echten Welt), aber so verpackt, dass der Leser den Text auch versteht, wenn er nicht weiß, worauf sich die Anspielung bezieht?

Sowas finde ich auch ganz toll, habe es in letzter Zeit aber ziemlich vernächlässigt, fällt mir gerade auf. Darüber könnte ich mir wirklich mal wieder Gedanken machen ...

LG
Thali

Fianna

Zitat von: Thaliope am 15. Juli 2013, 12:53:03
Also geht es eigentlich um "Anspielungen" (auf Literatur oder Fakten in der echten Welt), aber so verpackt, dass der Leser den Text auch versteht, wenn er nicht weiß, worauf sich die Anspielung bezieht?
In der Grundfrage von mir nicht, da ich ja nur Fantasy in komplett erfundenen Welten schreibe. Dieser Mangel an historischen Fakten, die allgemein bekannt sind, oder an Weltliteratur, die ich aufgreifen kann, ist in allen Spielarten um High Fantasy leider ein Problem...  :(

Arcor

Parallelen zu realen Personen und Schauplätzen in Fantasy-Literatur finde ich immer sehr schön, sofern es zum Setting und zur Welt passt.
Z.B. gibt es in Sapkowskis Hexer-Welt eine Stadt, die Oxenfurt heißt und in der es eine sehr berühmte und gute Universität gibt.  ;)
Ganz stark ist das auch in der Warhammer-Welt von Games Workshop ausgeprägt. Die Kontinente der Welt entsprechen etwa den irdischen, es gibt Völker, die an irdische angelehnt sind, mitsamt passenden Kulten und Sagen und Heldenfiguren.
Auch bei Harry Potter gibt es das ja ein wenig. Der Magierkrieg, der am Ende zwischen Dumbledore und Grindelwald entschieden wird, findet in den 1940er Jahren statt und Grindelwald kommt zufällig aus Deutschland.  ;)

In den Romanen von mir, die alle in meiner Fantasy-Welt spielen, liebe ich so etwas und baue es mit Freuden ein. Protagonist A ist der Ur-ur...ur-Enkel einer Figur, die in Roman B auftaucht, wo auch noch eine Person C erwähnt wird, die wiederum Protagonist von Roman C ist. Geschichtliche Ereignisse, die man in der einen Geschichte miterlebt, werden in anderen Werken, die weit danach spielen, angezweifelt oder anders erzählt, weil sich die Wahrheit nicht durchgesetzt hat in der Überlieferung.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Fianna

Zitat von: Arcor am 15. Juli 2013, 13:12:44
In den Romanen von mir, die alle in meiner Fantasy-Welt spielen, liebe ich so etwas und baue es mit Freuden ein. [...] Geschichtliche Ereignisse, die man in der einen Geschichte miterlebt, werden in anderen Werken, die weit danach spielen, angezweifelt oder anders erzählt, weil sich die Wahrheit nicht durchgesetzt hat in der Überlieferung.
Ich hoffe, Du nimmst das Angebot nicht sofort war (temporärer Zeitmangel), aber grundsätzlich stehe ich Dir als Betaleser zur Verfügung :)

Arcor

Zitat von: Fianna am 15. Juli 2013, 13:14:34
Ich hoffe, Du nimmst das Angebot nicht sofort war (temporärer Zeitmangel), aber grundsätzlich stehe ich Dir als Betaleser zur Verfügung :)
Ich hoffe, du bist jetzt nicht zu enttäuscht, wenn ich dir sage, dass von diesen Projekten noch keines fertig, geschweige denn beta-fertig ist.  ;)
Aber ich komme mit freuden darauf zurück/erinnere dich daran, wenn eines so weit ist  :) - wobei du ja mehr als eines lesen müsstest, um die Parallelen zu sehen.
Ach, und erwähnte ich, dass ich auf Mehrteiler stehe.  :d'oh: :versteck:
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Faye - Finding Paradise

Valaé

Oooh, ich liebe so etwas!
Ich schreibe ja seit gewisser Zeit in zwei Schienen: Das eine sind Romane, die mir persönlich immer noch die Liebsten sind, und die meine eigene, mittlerweile sehr große Fantasywelt als Setting haben, ineinander enorm verschachtelt sind und mit der klassischen High Fantasy gerne Dinge anstellen, die alles andere als klassisch sind.
Das andere sind grundsätzlich andere Romane, die eben nicht in dieser Welt spielen und die letztlich eigentlich immer die marktfähigeren sind, aber auch die, die mir weniger Spaß machen.

Aber zurück zur Frage: In meiner Fantasywelt ist dieses Doppeldeutige bereits als ein Grundproblem angelegt, im Bezug auf die Religion nämlich. So habe ich eine detaillierte Tafel dessen, was meine verschiedenen Völker glauben und dessen, was wirklich geschehen ist (das weiß nur ich  ;D). In den meisten Romanen die dort spielen tauchen dann auch prompt religiöse Figuren und/oder sogar Priester auf und streuen den Glauben weit aus - hier und da lasse ich sie auf ein paar der Widrigkeiten und Unklarheiten treffen, meistens aber wird in Buch A ein Glaube geschildert und in Buch C (anderes Volk/andere Zeit) aufgedeckt, wie es wirklich ist. Dazu kommt der Zyklus ganz am Ende der bisherigen Zeitleiste, in der ein Protagonist alle Irrtümer aufdeckt und entdeckt und dabei genau auf den Spuren derer wandelt, die bereits in Buch C einen Widerspruch gefunden haben - so fügt sich dann der Kreis.

Dazu kommt, dass ich ein Volk habe, welches aufgrund seiner Beschaffenheit nur eine sehr kurze Gedächtnisspanne hat und dieses ist mein absolutes Lieblingsvolk. Aufgrund dieser Eigenschaft lassen sich so viele Irrtümer und Missinterpretationen einbauen, dass eigentlich in jedem Roman einer aus diesem Volk vorkommt und verschiedenste Sachverhalte aus Vergangenheit oder fremden Kulturen gerne verdreht und anders geschildert werden. Ihre halbe Zivilisation baut auf einem enormen Irrtum auf.

Ansonsten entwickele ich sowieso fast immer einen neuen Roman auf Grundlage einer Lücke in einem alten. Irgendwo gibt es einen Ahnen, dessen Geschichte interessant ist? Dann schreibe ich sie als nächsten Roman.
Einer meiner Charaktere könnte Nachfolger haben, die sich Jahre später genau seinem Problem wieder widmen und dabei Dinge finden, die er übersehen hat? Wunderbar, das wird geschrieben.

Ich finde, da gibt es unglaublich viele Möglichkeiten zu Anspielungen, Weiterentwicklungen, Spin- Offs. Man muss zwar aufpassen wie ein Teufel, weil man sich unglaublich schnell verzettelt, gerade wenn man entgegengesetzt der von mir bevorzugten Weise schreibt und in die Vergangenheit geht - einen Roman x Jahre später voller Anspielungen und Enthüllungen sein zu lassen ist vergleichsweise einfach, weil man die Vergangenheit gut kennt und auf sie den neuen Mythos oder die Wahrheit aufbauen kann - andersherum wird es schwieriger, da man enorm schnell Dinge vergisst und sozusagen einen Unterbau nachliefern muss. Das kann sehr schnell schief gehen.

Wenn man dieses Prinzip so wie ich wirklich gerne hat und exzessiv durchzieht, können da unglaublich verstrickte Welten herauskommen, bei denen man aber sehr stark die Plausibilität beachten muss und wahnsinnig schnell irgendeinen Fehler macht.
Aber man muss es ja nicht so auf die Spitze treiben, ich tue das auch nur, weil ich eine Veröffentlichung für diese verschachtelte Welt schon lange ausgeschlossen habe (zumindest über konventionellem Wege). Aber in viel kleinerem Maßstab ist das sicher auch möglich. Beispielsweise innerhalb einer Trilogie.  Sobald man aus einer Reihe hinaus plant fängt natürlich das Problem an, dass es denke ich immer schwieriger ist, mehrere Reihen aus einer Welt auch an den Mann zu bringen - ob das dann klappt kann man natürlich nie wissen.
Aber an sich ist das ein wunderbarer Spielplatz und zumindest meine Testleser fanden es auch immer spannend, dass man sich bei mir darauf verlassen konnte, alte Gesichter  und/oder Geschichten zu sehen oder zu hören, wenn man ein neues Werk zugeschickt bekam. Mein Freund sucht sie sogar mit Vorliebe  ;D.

Leann

Mir gefällt so etwas sehr gut als Leserin, und beim Schreiben mache ich es so ähnlich wie Arcor und Valaé, natürlich aber nicht so ausgefeilt. So taucht z.B. eine Figur aus einer ganz anderen Geschichte auf oder es wird ein Roman erwähnt, den eine Schriftstellerin aus einem anderen Werk geschrieben hat (oder das andere Werk wird direkt als Roman genannt). Das ist aber bisher nur Insider für mich, und zum großen Teil der Tatsache geschuldet, dass ich mich von einigen Figuren nur sehr schlecht trennen kann.
Im Fernsehen gibt es das ja auch öfter, z.B. bei Serien. So tauchen in einem Film, der in Chicago spielt, in einer Krankenhausszene Ärzte aus der Serie "Chicago Hope" auf, und ich fand das nichtmal seltsam.

Arcor

Wow, Valaé, bei dir klingt das ganze ja schon deutlich weiter ausgefeilt/gediehen als bei mir.  :jau:

Zitat von: Valaé am 15. Juli 2013, 13:35:45
Ansonsten entwickele ich sowieso fast immer einen neuen Roman auf Grundlage einer Lücke in einem alten. Irgendwo gibt es einen Ahnen, dessen Geschichte interessant ist? Dann schreibe ich sie als nächsten Roman.
So ähnlich habe ich das auch schon erlebt. Zum einen laufen mir interessante Nebenfiguren über den Weg, die auf einmal eine ganze Lebensgeschichte mitbringen, die man toll erzählen könnte. Zum anderen habe ich auch schon Figurenideen gehabt, bei denen ich auf einmal feststelle, wie wunderbar sie doch in eine Lücke einer anderen Geschichte passen. Über solche Einfälle kann ich mich immer tagelang freuen.  ;D

Aber was meinst du mit der Plausibilität? Du erwähntest ja, dass man als Autor höllisch aufpassen muss, sich bei so unterschiedlichen Erzählperspektiven und Anspielungen nicht zu verzetteln. Ich sehe da aber bei mir bisher gar nicht so das Problem, solange man es schafft deutlich zu machen, dass gerade Anspielungen in Roman B auf die bereits erzählte Geschichte A vielleicht nur als Vermutungen verstanden werden.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Valaé

Bei mir ist es vor allem sehr ... weit gestreut. Als schon wirklich ausgefeilt würde ich es nicht bezeichnen, es zieht sich zwar schon über 4 existierende und mehrere geplante Bücher, nur leider gehören die absolut essentiellen Informationen noch zu den geplanten Büchern - was das Ganze zu einem ziemlich schwer zu überblickenden Konzept in meinem Kopf macht. Aber ich gebe mein Bestes, das im Blick zu behalten.

ZitatZum einen laufen mir interessante Nebenfiguren über den Weg, die auf einmal eine ganze Lebensgeschichte mitbringen, die man toll erzählen könnte. Zum anderen habe ich auch schon Figurenideen gehabt, bei denen ich auf einmal feststelle, wie wunderbar sie doch in eine Lücke einer anderen Geschichte passen. Über solche Einfälle kann ich mich immer tagelang freuen. 

Das kann ich mal direkt so unterschreiben. Klingt wie der Grund für schon viele euphorische "Ach da gehörst du rein!"-Momente  ;D.

Zitat
Aber was meinst du mit der Plausibilität? Du erwähntest ja, dass man als Autor höllisch aufpassen muss, sich bei so unterschiedlichen Erzählperspektiven und Anspielungen nicht zu verzetteln. Ich sehe da aber bei mir bisher gar nicht so das Problem, solange man es schafft deutlich zu machen, dass gerade Anspielungen in Roman B auf die bereits erzählte Geschichte A vielleicht nur als Vermutungen verstanden werden.
Jein. An sich stimme ich dir zu, dass eben wichtig ist, darauf zu achten, dass es nur auf Vermutungen basiert, aber gerade wenn man wie ich gerne auch für den Leser erst einmal eine Täuschung aufbauen will, um sie später einzureißen, muss man durchaus enorm vorsichtig sein. Denn auch Vermutungen basieren auf irgendwelchen Fakten und Missverständnisse haben zumindest irgendwo einen Kern Wahrheit - und da erfordert es manchmal ein ganz schönes Fingerspitzengefühl, eine Situation hinzubekommen, bei der plausibel ist, dass sie wie in Roman A verstanden werden kann, aber sie wie in Roman C verhält - vor allem wenn dann auch noch Roman B mitspielt, in dem ein anderes Volk denselben Sachverhalt wiederum anders interpretiert. Hat man dann auch noch den Ehrgeiz, dass der Leser aus Schilderung A und Schilderung B den tatsächlichen Verhalt C bereits erahnen kann (kleines Schmankerl für Leser, die sich gut auskennen - und für mich. Eigentlich hauptsächlich für mich, ich mag so was eben  ;D) dann begibt man sich auf ganz schön dünnes Eis. Denn wie gesagt - auch Vermutungen müssen ja auf Fakten oder Hinweisen fußen, sie sind ja nicht einfach aus der Luft gegriffen. Da steckt dann meistens jahrhunderte oder wenigstens jahrealte Editionsgeschichte/ mündliche Tradierung dahinter. Und da muss man schon aufpassen, nicht irgendwo etwas reinzubauen, das sich widerspricht oder unlogisch wirkt. Die Missverständnisse müssen ja plausibel bleiben.
Wobei man natürlich auch aus allem eine Wissenschaft machen kann und nicht muss - ich bin da sehr akribisch  ;D. Wenn ich denn überhaupt mal wieder dazu komme, daran zu basteln. Da diese ganzen Romane nur für meine Schublade geschrieben werden komme ich leider viel zu selten dazu ... außer im NaNo  :vibes:.

Coppelia

#11
Valaé, das kann ich wirklich so unterschreiben! :)

Mir scheint es hier um mindestens 3 unterschiedliche Dinge zu gehen, die aber auch teilweise zusammenfallen oder zusammenfallen können:

- tragische oder dramatische Ironie: Dadurch, dass der Leser mehr weiß als die Figur, bekommen Aussagen und Handlungen der Figur einen "Mehrwert".

- Anspielungen auf Dinge außerhalb der fiktiven Welt des Romans (Realität, andere fiktive Werke)

- Anspielungen auf Dinge innerhalb der fiktiven Welt eines Romans oder einer Romanreihe

;)

Ich mache alles davon gern. ;D

Ein Beispiel für tragische Ironie in den Kessel-Romanen sind die Bemühungen des Feldherrn Kimra, den Staat zu retten. Seine an sich vorbildlichen Handlungen lösen eine Kette von Ereignissen aus, die Kimra schließlich dazu veranlasst, den Staat zu zerstören. Man muss aber mehrere Romane kennen, um das zu überblicken.

Anspielung ohne tragische oder dramatische Ironie: In einem der Romane ist eine Figur A mit einer anderen Figur B unterwegs. Die beiden können sich nicht ausstehen. Sie werden im Lauf der Handlung sehr unheldenhaft von Soldaten verprügelt. 15 Jahre später, in meinem aktuellen Roman, befragt eine Figur C die Figur A über Figur B. Und Figur A erzählt nicht nur, dass Figur B sie nicht alle hat (was im Auge des Betrachters liegt), sondern auch, wie heldenhaft sie zusammen gekämpft haben. ;D Ja nee, ist klar. Sowas macht mir dann Spaß; wer den anderen Roman nicht kennt, versteht natürlich den Witz nicht. Macht aber nichts.

Diese ganzen Bezüge können Romane wirklich sehr kompliziert machen. Als in einem Romananfang mein Superredner einmal eine Rede zugunsten von Kimra halten sollte, bin ich vor lauter Hintergrundwissen über alle beteligten Personen und die Handlung kaum in der Lage gewesen, diese unendlich komplizierte Szene zu schreiben. O.o Kaum irgendwas, was nicht in einem anderen Roman eine Rolle spielt.

Ansonsten bin ich ein großer Freund von Anspielungen auf antike Texte. :) Im "Aschengeist" wurde z. B. ein wenig Lucan zitiert. In einem (leider abgebrochenen) DSA-Roman las jemand eine Epen-Textstelle, wo ein böser Kaiser einen Baum in einem heiligen Hain fällte - ebenfalls eine Anspielung auf Lucan, wo der böse Cäsar genau das tut.
Außerdem gibt es in Kessel natürlich das ultimative Epos, den "Kampf um Lelva". Alles, was in diesem Epos vorkommt, ist eine Anspielung auf Dinge, die in realen antiken Epen vorkommen. Die eigentliche Handlung dieses ultimativen Epos kenne ich gar nicht, nur einzelne Handlungselemente. In der Kessel-Welt ist dieses Epos so ein Klassiker, dass es immer wieder heißt, dies und jenes komme doch im "Kampf um Lelva" vor. ;D Und hin und wieder zitiert auch jemand mal ein paar Verse.

In "Highland Quest" gibt es allerlei Anspielungen auf schottische Lieder.

Leann

Mir fällt gerade noch ein, dass es derartige Doppeldeutigkeiten schon lange gibt, und nicht nur in historischen Romanen.
In der irischen Literatur finden sich z.B. sehr viele Doppeldeutigkeiten und Anspielungen. Klassisch ist da wohl James Joyce, der selbst über "Ulysses" sagte:
Zitat,,Ich habe so viele Rätsel und Geheimnisse hineingesteckt, dass es die Professoren Jahrhunderte lang in Streit darüber halten wird, was ich wohl gemeint habe, und nur so sichert man sich seine Unsterblichkeit."
Aber auch andere irische Schriftsteller lieben Doppeldeutigkeiten und Anleihen. In Flann O`Briens "In Schwimmen zwei Vögel" finden sich zahlreiche Anspielungen auf die irische Mythologie und Literatur.

Fianna

Da ist ja doch eine ganz schöne Sammlung zusammen gekommen  :vibes:

Was ich auch gerne mache: Romane etwas lose verknüpfen.
Z.B. Roman A endet mit dem Untergang eines Volkes, deren Überreste von dem Kontinent verschwinden.
In Roman B hatte eine anderes Fantasyvolk mit genau diesem verschwundenen Volk aus A ein massives Problem, A belegte Teile des Gebietes mit einem Bann, so dass die Mitglieder des anderen Volkes erkranken und sterben, wenn sie sich dort aufhalten... Und als der Protagonist diese Verbindung aufdeckt und in diplomatische Verhandlungen mit dem Volk aus A treten will, stellt er schockiert fest, dass die Siedlung verlassen ist und andere Siedlungsteile, mehr im äußeren Teil, sind alle verbrannt... So ist sein eigenes Volk auch zum Untergang verurteilt...
In Roman A gibt es Thronfolgeunklarheiten, weil der Sohn des Elbenkönigs nach Osten geht, um sich dort der Mission eines anderen Elben anzuschließen... Diese (zweischneidige und verhängnisvolle) Vision des Mannes wird Gegenstand von Roman C.
In diesem Roman C wird einer der Kritiker in die Verbannung geschickt (nur ein ganz kleiner Nebenstrang).
Dieser Elb tritt in Roman D auf, wo er als freiberuflicher Spion/Informant/Agent in einem anderen Land tätig ist... Selbst sein Auftraggeber (der Protagonist) weiß nicht, was genau er ist, aber alle Menschen sind eingeschüchtert, weil sie bemerken, dass er über mehr als menschliche Kräfte verfügt....

Ich hatte mal überlegt, ob ich das herausnehmen "muss", aber ich hatte mich dazu entscheiden, es drin zu lassen  ;D
Ich mag dieses Prinzip "viele Geschichten passieren gleichzeitig", und wenn nunmal ein Land oder Volk eines Romanes x perfekt für den Plot eines Romanes y passt, wozu soll ich dann ein neues erfinden?

Churke

Ein einfaches Selbstzitat ist für mich keine Doppeldeutigkeit.

Doppeldeutig ist eine Äußerung oder Handlung, die einen tieferen Sinn hat, der idealerweise dem vordergründigen diametral entgegen gesetzt ist.

Der Haken bei einem Fantasy-Setting ist, dass sich oftmals nur sehr schwer Bezüge zum Hier und jetzt herstellen lassen. In meiner Burgenwelt-Geschichte beispielsweise fällt der Spruch: "Dann seid Ihr Kalif anstelle des Kalifen!" Man muss sich genau überleben, ob man das will, oder ob das nicht zu klamaukig wird. Ich habe es drin gelassen, weil der Sprecher absolut nichts dafür kann, dass Isnogud den selben Text hat wie er...  :engel:

In Schadenzauber, Stichwort historisches Setting, bewaffnet sich Ansoalda mit ULFBERTH-Schwertern, gewinnt den Kampf und gibt sie mit den Worten zurück: "Das sind keine Ulfberth-Schwerter." Ohne weitere Erklärung. (ULFBERTH wurde im Mittelalter viel gefälscht) Ein echter Insider-Witz...

Man muss diese Anspielungen nicht bemerken, aber ich bleibe immer fair und geben dem Leser eine Chance. Witzig finde ich Anspielungen auf die Zukunft, die in dem Moment, in dem sie gesagt werden, wie völlig belangloses Geschwätz erscheinen.