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Harter Tobak - Wie viel ist zu viel?

Begonnen von Maja, 24. August 2019, 06:56:55

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Gizmo

#15
Zitat von: KaPunkt am 24. August 2019, 09:16:04
So wie du es jetzt beschreibst würde ich es drinlassen.
Er ist bewusstlos und liegt in seinem Erbrochenem. Das ist so. Du musst ja nicht weiter auf Geruch, Konsistenz etc. eingehen. 

Ich sehe das wie KaPunkt. Dass er sich bewusstlos getrunken hat und nun in seinem Erbrochenen liegt, ist (für mich) zunächst einmal eine Information, die ich als Leser verarbeiten kann. Ich kann es mir näher ausmalen oder nicht, aber es ist wichtig. Es zeigt die Umstände, charakterisiert Kevron weiter, und ist auch wichtig, wie z.B. andere Charaktere auf ihn reagieren, falls sie ihn finden.

Näher ausgestalten würde ich es ebenfalls nicht, weil ich selbst ungern Schlachtplatte oder so etwas im Detail lese. So bleibt mir selbst überlassen, wie genau ich mir alles vorstelle, und mir ist selten eine detaillierte Darstellung von Blut, Gewalt usw. begegnet, die einen wirklichen Mehrwert für die Geschichte hatten. Damit meine ich jetzt natürlich nicht Genres wie Horror, wo das z.T. erwartet wird.
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

Trippelschritt

Ich befürchte, Maja, dass es auf Deine Frage keine Antwort gibt. Ob Du mit der Kamera voll drauf hältst oder nicht, hängt u.a. von der Gesamtstimmung Deiner Geschichte ab. Und von der Frage, was die Nahaufnahme für Deine Geschichte bringt. Wenn es nichts bringt, kannst es getrost streichen.

Viel wichtiger ist aber wie du beschreibst. Denn das kannst du klinisch kalt tun oder extrem bildhaft. In gewisser Weise ähnelt die Frage nach "Wie viel Ekel?" der Frage nach sexuellen Details. Da ist die übereinstimmende Meinung, dass das, was die erotische Spannung ausmacht, selten die Beschreibung des Vorgangs ist, weil er dem Leser bekannt ist. Und die Ausnahme Pornographie zeigt, dass es gar nicht so einfach ist, aus etwas, das jeder kennt noch etwas herauszuholen.

In diesem Fall geht es möglicherweise ebenfalls um eine starke Gefühlsreaktion. Welche möchtest Du denn erzeugen? Ist es wirklich Ekel? Oder Mitleid mit wem auch immer? Dem Betrunkenen, seinen Angehörigen, dem Fachpersonal, die sich darum kümmern müssen etc. Und schon sind wir wieder bei der Funktion der Szene.

Übrigens sind die Vergewaltigungs- und Folterszenen bei George Martin auch nicht unbedingt gut bei der Leserschaft angekommen, wie ich mich an eine alte Diskussion erinnere. Nach der Meinung recht vieler Leser erschienen sie aufgesetzt und des Effekts wegen geschrieben. Wenn das die Reaktion ist, schwächt es die Geschichte.

Ich hätte Dir gern eine einfachere Antwort gegeben.

Wird schon
Trippelschritt

Coppelia

#17
Mir ist noch ein Aspekt eingefallen, den ich für recht wichtig halte. Ich hatte mal eine Geschichte, in der jemandem der Bauch aufgeschlitzt wurde. In der Szene habe ich absichtlich auf alle Details verzichtet. Rückmeldung einer Betaleserin: Die Szene sei so schlimm, ich solle doch bitte all die schrecklichen Details rausnehmen. Ich habe die Szene noch mal gelesen, sie gefragt, was sie meint. Daraufhin nannte sie zahlreiche Details. Nur dass keins davon im Text stand.
Man hat als Autor*in wohl nur bedingt Einfluss darauf, was im Kopf der lesenden Personen abgeht. Wenn man es schafft, mit wenigen Worten ein lebhaftes Kopfkino zu erzeugen, spricht das vermutlich irgendwie für die Qualität des Textes, aber vielleicht sind die Folgen dann traumatischer, als es die Schilderung von Details wäre. Es ist gut möglich, dass Leser*innen unter Details leiden, die nie im Text standen, aber in ihren Köpfen sind, und sich ggf. auch in Rezensionen darüber beschweren. Wenn man negative Reaktionen auf alle Fälle verhindern möchte, muss man sich wohl die Inhalte insgesamt verkneifen. Nicht dass ich diesen Weg in jedem Fall gehen möchte.

@Trippelschritt
Mit Sexszenen meinte ich nicht Vergewaltigungs-Szenen, um das klarzustellen.

Christian

Zitat von: Coppelia am 24. August 2019, 11:42:44
Rückmeldung einer Betaleserin: Die Szene sei so schlimm, ich solle doch bitte all die schrecklichen Details rausnehmen. Ich habe die Szene noch mal gelesen, sie gefragt, was sie meint. Daraufhin nannte sie zahlreiche Details. Nur dass keins davon im Text stand.
Das habe ich auch schon einige Male als Rückmeldung erhalten.

Zitat..., aber vielleicht sind die Folgen dann traumatischer, als es die Schilderung von Details wäre.
Wenn ich darüber nachdenke, geht es mir als Leser eigentlich so. Mein Kopfkino ist in der Regel schlimmer als tatsächliche Details, wenn sie im Text stehen und eigentlich bin ich dann für Details im Text ganz dankbar. Wie es hier im konkreten Fall wäre, kann ich aber nicht sagen, weil mich das nicht sonderlich berührt. Ich weiß, wie so etwas in der Realität aussieht und ich weiß wie es sich anfühlt.

ZitatWenn man negative Reaktionen auf alle Fälle verhindern möchte, muss man sich wohl die Inhalte insgesamt verkneifen. Nicht dass ich diesen Weg in jedem Fall gehen möchte.
Hmm, ja, nein ... Ich habe mich bei einem Buch davon überzeugen lassen, bestimmte Dinge rauszunehmen und ich habe die Argumente verstanden und eigentlich stehe ich auch noch hinter der Entscheidung (die ja letztlich meine gewesen ist), aber das hat mir auch negative Reaktionen eingebracht, dass das Buch zu lasch, zahm und blutarm sei. Andere finden es hingegen brutal. Ich selber empfinde es als ... "glatt". ;D

Ilva

Zitat von: Jen am 24. August 2019, 10:33:45
Als in Heitz' Legenden der Albae direkt im Prolog Augen zerstochen wurden, wusste ich immerhin, dass ich dieses Buch nicht lesen möchte. Triggerwarnungen oder Ekelhaftes direkt zu Beginn finde ich sinnvoll. Bei Erbrochenem wäre die Triggerwarnung z.B. für (ggf. ehemals) Bulimiekranke sinnvoll.
Das finde ich z.B. fast wichtiger als die Frage, ob es drin sein soll oder nicht. Wenn früh im Buch eine krasse Szene drin ist, dann passt das für mich. Wenn vorher alles Friede Freude Eierkuchen war, dann würde ich vielleicht nicht allzu sehr ins Detail gehen - ausser natürlich, du willst die Leser richtig schockieren. Von dem her würde es mir viel mehr darum gehen, dass die krassen Szenen ähnlich krass sind (entsprechend dem Plot natürlich). Da schliesse ich mich der "Tolkien vs GRRM"-Fraktion an.

Ich würde die Szene drinlassen, ausser sie tanzt völlig aus der Reihe. Hier würde mich nicht nur die Tatsache interessieren, dass er in seinem eigenen Erbrochenen liegt, sondern v.a. was er empfindet, wenn er aufwacht (und nein, ich meine nicht einfach den Kopfschmerz :D). Oder die Person, die ihn findet.

Bei Fernsehserien macht man das auch häufig, dass in der ersten Folge irgendwas sehr Heftiges passiert. Gibt auch einen bestimmten Ausdruck dafür, den ich leider vergessen habe.

Christopher

Zitat von: Christian am 24. August 2019, 11:59:28
Zitat..., aber vielleicht sind die Folgen dann traumatischer, als es die Schilderung von Details wäre.
Wenn ich darüber nachdenke, geht es mir als Leser eigentlich so. Mein Kopfkino ist in der Regel schlimmer als tatsächliche Details, wenn sie im Text stehen und eigentlich bin ich dann für Details im Text ganz dankbar. Wie es hier im konkreten Fall wäre, kann ich aber nicht sagen, weil mich das nicht sonderlich berührt. Ich weiß, wie so etwas in der Realität aussieht und ich weiß wie es sich anfühlt.

Meine Rede. Jetzt ist natürlich die Frage: Warum stellst du dir das schlimmer vor, als es beschrieben ist, und kann das was du dir vorstellst, oberhalb deiner "Schmerzgrenze" liegen? Was Coppi da beschreibt, zeigt, dass es zumindest einigen so gehen kann. Ich denke aber nach wie vor, dass das offen lassen die bessere Variante ist. Es gibt dem Leser mehr Freiraum und die Möglichkeiten für Fehler/zu viel Details sind einfach kleiner.

Aber das Thema, ob die eigene Vorstellung die ein Leser erzeugt oberhalb seiner Schmerzgrenze liegen kann, bzw. wie oft das vorkommt, wäre einen eigenen Thread wert.
Be brave, dont tryhard.

Trippelschritt

Zitat von: Coppelia am 24. August 2019, 11:42:44
@Trippelschritt
Mit Sexszenen meinte ich nicht Vergewaltigungs-Szenen, um das klarzustellen.

Ich hatte auf Dein Posting auch gar nicht angespielt. Ich meinte Martins (Halb)vergewaltigungen. Sie waren für den Fortgang der Handlung nicht nötig und wären deshalb besser unterblieben.
Das war es schon.

Trippelschritt

Maja

Ich denke nicht, dass Triggerwarnungen in meinem Fall, bei einem Buch für Erwachsene, das grundsätzlich an Grausamkriten spart, die richtige Lösung sind. Ich hielte es für Hohn, allein für die Erwähnung des Wortes "Erbrochenes" eine Warnung an eventuelle ehemalige Bulimiekranke auszusprechen, wenn die Szene tatsächlich Gefahrpotenzial für (trockene) Alkoholiker mitbringt. Und Alkoholiker müssen lernen, mit der Existenz von Alkohol zu leben, da ist die Supermarktkasse gefärlicher als ein Roman.

An der Stelle kann man es auch übertreiben, sonst müsste ich echt alles mit Triggerwarnungen versehen, weil jeder Mensch mit irgendwas traumatische Wrfahrungen gemacht haben kann und damit leben muss, dass sie existieren - ich bekomme Angst, wenn ich Männer in einer bestimmten Tonlage herumkrakrlen höre, seit ich einmal zusammengeschlagen worden bin. Da muss ich kernrn, meine Angst zu bewältigen, statt zu verlangen, dass Männer nicht mehr krakelen dürfen.

Für ein einziges Wort halte ich Triggerwarnungen für unangemessen, sie wirken oft reißerisch und sensationsgeil und bauschen Situationen unnötig auf. Bei langen, ausführlichen Beschreibungen halte ich einen grundsätzlichen Hinweis für angebracht - nicht unbedingt unter dem Titel "Triggerwarnung", was daran liegen kann, dass ich dieses Wort verabscheue, aber da hilft es, wenn das im Klappentext so verpackt wird, dass der, der gerne solche Szenen liest, angesprochen wird und der, der das nicht mag, die Hände davon lässt. Warnungen haben zu oft eine allein abschreckende Wirkung, das kann man auch neutraler verpacken.

Zurück zu meiner Szene: nach euren Kommentaren denke ich, die grundsätzliche Erwähnung des Erbrochenen sollte zumutbar sein, aber keine Details (Farbe, Konsistenz, Geruch), das kann der Leser im Zweifelsfall im Geiste ergänzen. Es ist auch in meinen Augen ein Unterschied, ob ich neutrale Worte wie "erbrechen" und "sich übergeben" verwende oder vulgäre Ausdrücke, die einen höheren Ekelfaktor mitbringen.

Ich glaube, aus eigener Erfahrung, dass eingefleischte Antialkoholiker (wie ich selbst einmal war) diese Szene so oder so als ekelig empfinden werden, allein durch die Situation, dass sich da eine Figur buchstäblich ins Koma getrunken hat, und für die der ganze Handlungsbogen eher unangenehm ist, mit Erbrochenem oder ohne. Ich lasse den Halbsatz also drin, aber ich spare mir alle Ausschmückungen.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Golden

Wäre in so einer Szene nicht das Einbringen von "Ekeldetails" gut, um dem Ekel der anderen Figuren mehr Gewicht zu geben? :hmmm:

Churke

Zitat von: Maja am 24. August 2019, 06:56:55
Ich stehe hier gerade beim Überarbeiten vor einer Szene, wo eine alkoholkranke Hauptfigur, die sich fast zu Tode getrunken hat, in ihrem Erbrochenen liegt. Details gibt es keine, nur die Feststellung, dass es so ist,  und mein Mann meint, das ist schon zu viel, und ich soll nur schreiben, dass er nicht mehr bei Bewusstsein ist.

Ehrlich gesagt finde ich deine Szene bereits geschönt. Du bewegst dich damit in der Komfortzone der Realität. Alkies sind so. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Ekel-Szene, die sich der Autor aus den Fingern gesogen hat. Wenn du den Alkie zensierst, unterschlägst du dem Leser wesentliche Informationen über die Figur.

Maja

Zitat von: Churke am 24. August 2019, 23:55:59
Zitat von: Maja am 24. August 2019, 06:56:55
Ich stehe hier gerade beim Überarbeiten vor einer Szene, wo eine alkoholkranke Hauptfigur, die sich fast zu Tode getrunken hat, in ihrem Erbrochenen liegt. Details gibt es keine, nur die Feststellung, dass es so ist,  und mein Mann meint, das ist schon zu viel, und ich soll nur schreiben, dass er nicht mehr bei Bewusstsein ist.

Ehrlich gesagt finde ich deine Szene bereits geschönt. Du bewegst dich damit in der Komfortzone der Realität. Alkies sind so. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Ekel-Szene, die sich der Autor aus den Fingern gesogen hat. Wenn du den Alkie zensierst, unterschlägst du dem Leser wesentliche Informationen über die Figur.
Ja, das ist der Grund, warum ich es jetzt dringelassen habe - weil es sonst einfach nicht ehrlich ist. Und wenn es eine Sache am ersten Teil gibt, die Rezensenten gelobt haben, dann meine Ehrlichkeit im Umgang mit den Figuren. Auch wenn Kevron Hauptfigur und Sympathieträger ist und ihn diese Sache viele Leserstimmen kosten kann, ist das eben so. Genauso wie klar ist, dass Kevron zwar immer wieder eine Zeitlang ohne Alkohol auskommen kann und trotzdem immer wieder rückfällig werden wird - ich finde es so verlogen, wenn in einem Roman eine Figur als schwerer Trinker anfängt, dann die Erleuchtung hat, sich zusammenreißt, keinen Tropfen mehr anrührt und ein großer Held wird.

So funktioniert das leider nicht, und erst recht nicht in einer mittelalterlich geprägten Fantasygesellschaft, in der es keinen medizisch begleiteten Entzug gibt. Er wird sich nicht innerhalb der Trilogie zu Tode zu trinken, aber er ist alkoholkrank und wird es bleiben. Es tut mir ein bisschen für die Leser leid, denen das unangenehm ist, aber Kevron ist Perspektivträger, und sein Denken kreist, auch wenn er nüchtern ist, immer wieder um den Alkohol - ich glaube, das ist die Liebesgeschichte, der in diesem Buch der größte Raum eingeräumt wird.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Trippelschritt

Ich halte Triggerwarnungen für grundsätzlich überflüssig. Es ist doch gerade symptomatisch für einen Trigger, dass, wenn er aktiviert wird, ein unkontrollierbares Programm abläuft, der Trigger selbst aber alss Mögliche sein kann. Für alles Mögliche kann man aber nicht von außen keine Vorkehrungen treffen. Es muss anders herum geschehen. Wer weiß, dass er anfällig für Trigger ist, muss schauen, dass er diese Gefahr entschärft.

Ich mache diese Bemerkung nicht ohne Anlass. In Montsegur hatten wir gerade eine leidenschaftliche Diskussion, wie sensititv ein Autor zu sein hat. Die Meinungen waren sehr breit gestreut, aber wenn ich den Verlauf richtig beurteile, sah die Mehrheit eine größere Gefahr darin, mit einer Schere im Kopf zu schreiben. Das war auch der Anlass der Diskussion. Ein ehemaliges Mitglied des Forums hatte ein längeres Statement (Artikel, Essay?) im literarischen Cafe gepostet, das genau diese Gefahr sah.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Amanita

Meiner Meinung nach ist es bei "Giftszenen", was der Alkoholmissbrauch nunmal ist, durchaus sinnvoll und geboten, die Wirkungen auch realistisch zu beschreiben. Das muss und soll nicht ins letzte Detail gehen, aber die Figur einfach friedlich und sauber bewusstlos werden zu lassen, wäre auch unehrlich.

Wobei ich zugeben muss, dass ich mir mit einer dauerhaft alkoholkranken Hauptfigur vermutlich als Leser schwertun würde, aber da sind die Geschmäcker natürlich verschieden. Wenn man aber entscheidet, dass man diese Problematik thematisieren möchte. In dieser Situation ist aber schließlich schon von vorneherein klar, dass es sich nicht um eine "heile Traumfantasywelt" handelt, sodass der Leser auch nicht so geschockt sein sollte, schließlich ist der Erbrechen auslösende Effekt von übermäßigem Alkoholkonsum allgemein bekannt und die meisten haben das vermutlich auch schon miterlebt.

Wenn man realistische und auch unschöne Szenen vermeiden möchte, gibt es in der Fantasy ja immer noch die Möglichkeit, bei Dingen wie Gift (und Folter) auf erfundene Mittel zurückzugreifen, um sich mit den Themen befassen zu können, ohne zu nahe an realen Erlebnissen zu sein, aber reales Gift sollte auch reale Wirkungen haben.

KaPunkt

She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Steffi

Zitat von: Maja am 25. August 2019, 05:02:38
Zitat von: Churke am 24. August 2019, 23:55:59
Zitat von: Maja am 24. August 2019, 06:56:55
Ich stehe hier gerade beim Überarbeiten vor einer Szene, wo eine alkoholkranke Hauptfigur, die sich fast zu Tode getrunken hat, in ihrem Erbrochenen liegt. Details gibt es keine, nur die Feststellung, dass es so ist,  und mein Mann meint, das ist schon zu viel, und ich soll nur schreiben, dass er nicht mehr bei Bewusstsein ist.

Ehrlich gesagt finde ich deine Szene bereits geschönt. Du bewegst dich damit in der Komfortzone der Realität. Alkies sind so. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Ekel-Szene, die sich der Autor aus den Fingern gesogen hat. Wenn du den Alkie zensierst, unterschlägst du dem Leser wesentliche Informationen über die Figur.
Ja, das ist der Grund, warum ich es jetzt dringelassen habe - weil es sonst einfach nicht ehrlich ist. Und wenn es eine Sache am ersten Teil gibt, die Rezensenten gelobt haben, dann meine Ehrlichkeit im Umgang mit den Figuren. Auch wenn Kevron Hauptfigur und Sympathieträger ist und ihn diese Sache viele Leserstimmen kosten kann, ist das eben so. Genauso wie klar ist, dass Kevron zwar immer wieder eine Zeitlang ohne Alkohol auskommen kann und trotzdem immer wieder rückfällig werden wird - ich finde es so verlogen, wenn in einem Roman eine Figur als schwerer Trinker anfängt, dann die Erleuchtung hat, sich zusammenreißt, keinen Tropfen mehr anrührt und ein großer Held wird.

Ehrlich gesagt ist das der Punkt, an dem der Alkoholismus deiner Figur für mich unrealistisch werden würde. Alkoholiker sind an Alkohol gewöhnt, vor allem gewöhnen sie sich langsam daran. Sie steigen nicht von jetzt auf gleich von Null auf drei Flaschen Wodka am Tag um. Sie funktionieren darum auch noch bei Promillezahlen, bei denen andere Leute längst im Krankenhaus lägen, da sie sich ihre Toleranz über einen langen Zeitraum aufgebaut haben. Ich habe über viele Jahre eine schwere Alkoholikerin begleitet und sie nicht einmal in ihrem eigenen Erbrochenem vorgefunden. Diese Szene wäre für mich nicht eine realistische Darstellung von Alkoholismus, sondern Effekthascherei.
Sic parvis magna