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ownvoice

Begonnen von Maria, 13. April 2019, 04:51:36

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Maria

(Ich habe dasselbe auch bei Montesegur gefragt, doch hier ist die AutorInnengemeinschaft meinem Gefühl nach näher dran am Thema und auch social media affiner, vielleicht hat jemand von euch ja mehr von der Diskussion mitbekommen als ich):

Über Twitter bin ich letzthin auf eine neu aufgeflammte #ownvoice Diskussion gestoßen.

Offenbar war eine bekannte Autorin auf Instagram in eine Diskussion verwickelt, in der es darum ging, dass eine Geschichte über Homosexuelle nicht authentisch genug sein könnte, wenn sie von einer weblichen Autorin aus der Sicht eines homesexuellen Charakters erzählt wird.

Die betreffende Autorin hat dann offenbar überspitzt formuliert, dass ein Autor in diesem Falle nur dann Krimis schreiben könnte, wenn er selbst Mörder oder Kriminalbeamter wäre.

Auf Instagram hat diese Ansicht viel Zustimmung gefunden, auch kam da wohl die Meinung durch, dass man Autoren nicht die Freiheit nehmen darf über jedes Thema zu schreiben.


Ich wollte es nachlesen, doch das vorher öffentliche Profil der Autorin ist jetzt nur noch privat.

Auf Twitter schlug das Pendel genau in die andere Richtung, da waren die Stimmen häufiger, dass die Autorin keine Ahnung hat von der richtigen Bedeutung des Hashtags.

https://bluecrowpublishing.com/2018/03/30/what-does-ownvoices-mean/
(musste ich erst suchen, weil ich es auch nicht parat hatte)

Wie arbeitet ihr, wenn ihr Randgruppen in euren Büchern auftreten lasst? Schreibt ihr als Betroffene (Angehörige von Betroffenen) oder nehmt ihr die Beratung von Betroffenen in Anspruch (Interviews, Testleser ect...)?

Wie stellt ihr die Authenzität der Figuren sicher?

Feuertraum

Irgendein (amerikanischer(?)) Autor hatte einmal den Satz geschrieben: Man muss nicht in einer Pfanne gelegen haben und gebraten worden sein, um über ein Schnitzel zu schreiben.

Ich persönlich finde die Behauptung, man könne etwas nicht, weil man es nicht erlebt hat, es nicht am eigenen Leib erfahren hat, vollkommener Schwachsinn. Wenn ich recherchiere und mich mit einem Menschen unterhalte, der es eben erlebt hat, und irgendjemand kommt an und sagt: Aber du hast es nicht erlebt, deswegen ist es nicht authentisch, dann würde das ja bedeuten, dass meine Quelle nicht authentisch wäre.
Von daher finde ich diese Authenzitätsablehnung vollkommenen Quatsch.
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

FeeamPC

#2
So eine Ansicht würde im Umkehrschluss bedeuten, dass jemand, der einer Randgruppe angehört, nicht mehr über "normale" Leute schreiben dürfte. Vollkommener Quatsch. Solange ich nicht falsch behaupte, einer Randgruppe anzugehören, solange kann ich schreiben, über wen und was ich will. Auch über dreibeinige Aliens mit rabenschwarzer Haut und fünf Geschlechtern und einem Helden, der nur zweieinhalb Beine hat (das ist schließlich auch nicht authentisch).

Zit

#3
Zitat von: FeeamPC am 13. April 2019, 10:40:54Solange ich nicht falsch behaupte, einer Randgruppe anzugehören, solange kann ich schreiben, über wenund was ich will.

Relativ. Gibt auch, milde ausgedrückt, "geschönte" Biografien, warum sollte sowas davon verschont bleiben.

Ich habe den Aufruhr auf Twitter nur halb verfolgt, weil einige Zirkler darin verwickelt waren, und mich sonst rausgehalten habe. Es gibt immer Leute, die das, was man macht und wie man es macht, kacke finden und/ oder einen dann noch diskreditieren wollen.  Das sollte einen dann aber nicht davon abhalten, bestimmte Themen nicht aufzugreifen und zu bearbeiten. Ich denke, dass einzig wichtige ist, dass man am Ende vom Tag noch in den Spiegel schauen kann. Heißt: Schreib halt keinen wie-auch-immer-gelagerten-phoben Schmonz. :omn:
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Rigalad

#4
Ich habe mich ja "drüben" auch schon geäußert und teile meine Gedanken gern auch hier. :)

Die Diskussion flammte vor einiger Zeit ja schon mal auf, als Laura Kneidls Roman "Someone New" erschienen ist, und nun wieder, weil Anne Freytag wohl einige Gedanken dazu äußerte, die in die Richtung gingen, dass man als Autor eben nicht als selbst erlebt haben muss, um darüber schreiben zu können. Leider hat sie die Storys ja recht schnell wieder gelöscht, sodass ich nur einen Teil davon gesehen habe, aber angeblich wurde der typische Vergleich, dass man ja auch kein Mörder/Polizist/whatever sein muss, um einen Krimi zu schreiben.
Dieser Vergleich wurde extrem kritisiert, und teilweise stimme ich dem zu. Es ist ein Unterschied, ob ich über irgendetwas Beliebiges schreibe oder über Randgruppen, die fortwährend mit Diskriminierung zu kämpfen haben.

Trotzdem bin ich selbst auch etwas zwiegespalten und überlege schon lange, ob ich mich in diese Diskussion mit meinen Gedanken einschalten kann. Denn was mir bewusst geworden ist: Man muss heute sehr aufpassen, was man sagt und wie man es formuliert. Die Storys auf Instagram der besagten Autorin habe ich nur zum Teil gesehen, kann mir da also kein wirkliches Urteil bilden, bei dem, wie ich sie aber bisher kennengelernt habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie wirklich so holzfällerartig gesprochen hat, wie man es ihr nachsagte. Aber irgendwie scheinen Diskussionen schnell auf einen Shitstorm herauszulaufen, weshalb ich mir wirklich dreimal überlege, ob ich mich äußern soll oder nicht. Denn bei aller Kritik: Anne hat ganz offenbar so viel abbekommen, dass sie alles von ihrem Kanal genommen und ihr Profil auf Privat gestellt hat. Und da frage ich mich: Wie wollen wir Debatten führen? So? Dass man seine Gedanken äußert und man dafür einen Shitstorm abbekommt, bis jemand gar nichts mehr sagt? Wir reden hier auch nicht über solche krassen Aussagen wie z.B. neulich beim Bundesamt, sondern von jemanden, der der Meinung ist, dass Kunst eben "frei" ist und jeder sie mit entsprechender Empathie und Recherche nutzen darf.

Ich habe dazu zwei Dinge, die mich stören. Bei all den Twitter- und Instagrambeiträgen habe ich fast nur BloggerInnen gelesen. Keine Beiträge von Betroffenen selbst. Und die fände ich gleich viel spannender und auch wichtiger. So wirkt es auf mich, als würden weiße cis Bloggerinnen gegen weiße cis Autorinnen wettern, um für Betroffene in die Bresche zu springen. Aber ist das dasselbe, als wenn Betroffene mit eigener Stimme sprechen? Damit tue ich mich vor allem deshalb schwer, weil ich selbst einer dieser Randgruppen angehöre und nicht möchte, dass sich irgendwer "in meinem Namen" dahinstellt und sagt, wer was wie schreiben soll, weil ich selbst vieles anders sehe.

Dann kam der Vorwurf auf: Diese Autoren nehmen den OwnVoice-Autoren den Platz weg, weil Verlage solch einen Stoff nur schwer veröffentlichen. Da frage ich mich: Ist das so? Oder ist es nicht eher so, dass es eben wahnsinnig viele Autoren gibt, davon aber nur ein winziger Teil zu Randgruppen zählt. Sind dort also auch genügend Autoren dabei, die eine gute Geschichte, das passende Handwerk etc. besitzen? Und muss man nicht auch im Hinterkopf haben, für welche Zielgruppe ein Buch geschrieben ist?

Und zuletzt: Kann man eine Geschichte über Randgruppen denn am Ende überhaupt so schreiben, dass sie vollkommen "korrekt" ist? Nehmen nicht auch Betroffene ihren Alltag unterschiedlich wahr?

Evanesca Feuerblut

ZitatDann kam der Vorwurf auf: Diese Autoren nehmen den OwnVoice-Autoren den Platz weg, weil Verlage solch einen Stoff nur schwer veröffentlichen. Da frage ich mich: Ist das so? Oder ist es nicht eher so, dass es eben wahnsinnig viele Autoren gibt, davon aber nur ein winziger Teil zu Randgruppen zählt. Sind dort also auch genügend Autoren dabei, die eine gute Geschichte, das passende Handwerk etc. besitzen? Und muss man nicht auch im Hinterkopf haben, für welche Zielgruppe ein Buch geschrieben ist?
Ich finde das sehr problematisch, denn woher wollen die Leute wissen, ob man einer Randgruppe angehört? Ich bin auf Twitter geoutet, im Tintenzirkel geoutet. Auf Facebook und auf meiner Homepage nicht. Warum? Weil meine Mutter da mitliest und ich mich nicht bei meiner Familie outen will.
(Das in Bezug auf Randgruppe Nummer eins. Gerade bei den Vorwürfen, dass "überwiegend cis-het Frauen z.B. Gay Romance schreiben". Okay. Ich schreibe keine Gay Romance, aber u.a. Romane mit bisweilen zu 80% queerem Cast. Und auch wenn ich ein perfektes Straight-Passing habe ... Sorry, Leute, aber ich bin nicht het. Habe ich damit nun mehr Legitimation für meinen queeren Cast als eine Frau, die es ist? Das fühlt sich für mich falsch an).

Punkt 2 ist ... ich habe oft das Gefühl, dass man auf Own Voices mit einer gewissen Erwartungshaltung schaut und teilweise erwartet, dass sie in ihren Büchern zwingend auch für ihre Gruppe sprechen. Man will in irgendeiner Weise das, was ich als "Problemliteratur" bezeichne. So in Richtung Kaminer / Vertlib / Wodin, um für eine "meiner" Gruppen zu sprechen.

Irgendwie fühle ich mich bei der aktuelle Debatte extrem unwohl und sitze zwischen sehr vielen Stühlen.

AlpakaAlex

Eigentlich geht es bei der Own Voice debatte nicht darum, ob andere darüber schreiben "dürfen". Die meisten Minorities wünschen sich mehr Repräsentation - auch von Leuten, die nicht selbst Minority sind. Worum es geht, ist um bestimmte Themen, die immer wieder aufkommen, wenn Leute, die nicht betroffen sind, darüber schreiben. Ein Teil davon ist, wie sehr queere Charaktere bspw. über ihre Queerness definiert werden. Wie sehr dann auch gerne - gerade im YA-Bereich - dann das Coming Out und das "Nein, ich kann gar nicht schwul/lesbisch sein!" reingebracht wird. Und wie sehr immer wieder Diskriminierung als wirklich billiges Drama-Element genutzt wird, das gefühlt aber in jede Geschichte, komme was wolle, reingehämmert wird, in der cisgender heterosexuelle über queere Leute schreiben. Schlimmstenfalls halt sogar so, wie in Someone New mit: "Ja, klar, unsere bigoten Eltern haben meinen Bruder rausgeworfen, aber eigentlich sind sie ganz lieb!" Nein. Sorry, sind sie nicht, Mädel.

Na ja, das oder Homosexualität wird fetischisiert. Das ist eben die Sache mit Gay Romance.

Und das führt halt eben dazu, dass so etwas enorm dominiert und es ist gelinde gesagt Scheiße, wenn alle Geschichten über queere Personen über die Unterdrückung berichten und darüber, wie sie aus dem Denial ausbrechen - aber eben geschrieben von jemanden, der diese Erfahrungen nur aus zweiter Hand kennt und sie wirklich nur als Drama-Element betrachtet. Oder anders gesagt: Wenn eine nicht-queere Person eine Geschichte, die sich zentral mit queeren Personen beschäftigt, schreibt und die auch veröffentlicht wird, dann sind die Chancen gut, dass die queeren Figuren unter ihrer Queerness in irgendeiner Form leiden und dass es ein zentraler Aspekt - direkt oder indirekt ist - dass die queeren Figuren lernen müssen, ihr Leid zu akzeptieren.

Das führt halt eben auch dazu, dass viele queere Personen, die ich kenne (mich eingeschlosse) eben genau diese Themen (Coming Out, Denial, Bigotrie) umschiffen. Nicht, weil wir es nicht sinnvoll fänden, darüber ordentlich zu schreiben. Sondern weil wir darunter leiden, dass wir in Geschichte ständig nur darüber definiert werden, dass wir eben queer sind, und eben darunter, dass uns permanent gezeigt wird, wie schlimm und dramatisch diese Queerness und der Weltschmerz ja sind. Anstatt das Figuren einfach nur queer sind und ansonsten genau solche Abenteurer wie ... Nun, alle anderen. Deswegen schreiben viele von uns dann einfach nur Geschichten über queere Abenteurer, die Abenteuer erleben und dabei halt queer sind.

Das große Problem ist letzten Endes, dass wer nicht Own Voice ist, schnell dazu neigt, Figuren darüber zu definieren, wie sie anders als man selbst sind. Nicht darüber, wie sie doch eigentlich recht ähnlich sind. Und das andere große Problem ist eben, dass einfach nicht zugehört wird, wenn Minderheiten erzählen, inwiefern sie falsch dargestellt werden, und darum bitten, bestimmte Themen auszulassen, weil sie halt verletzend sind - speziell in bestimmten Darstellungen.

Ich rede dabei halt vorrangig aus der Sicht einer queeren Person. Weil ich selbst queer bin. Aber ich denke, dasselbe lässt sich halt auch über andere Minderheiten sagen. Ich meine, zur Hölle, ich habe mich lang und breit für Recherche mit Irak-Veteranen unterhalten - und halt immer wieder gehört, wie sie eben genau dasselbe erleben. Es wird über sie sehr viel geschrieben, aber die meisten scheren sich einen Scheiß um eine vernünftige, respektvolle Darstellung.

Und ganz nebenbei: Diese immer wiederkehrenden Sachen von "Ich kann auch über Elfen schreiben ..." Ja, kannst du. Aber Elfen sind nicht real. Wenn du über einen Elfen schreibst, der ständig darunter leiden muss, dass er ein Elf ist, vermittelst du keinen Elfenkindern, dass sie zwangsweise wohl auch darunter leiden würden und daher ihr Elfsein besser verstecken müssen oder es für sie prinzipiell so wenig Möglichkeiten gibt, dass sie am besten direkt sich einer Elfengang anschließen. Und wenn du einen Klischeehaften Elfen schreibst, dann feuerst du damit nicht weiter eine bigote Anti-Elfen Narrative an, die Elfen unterdrücken will, beziehungsweise Elfen wirklich unterdrückt. Und weißt du warum? Weil es keine Elfen gibt. Queere Personen, PoC, Neurodiverse Menschen, behinderte Menschen und Überlebende von bestimmten traumatischen Erfahrungen gibt es dagegen aber. Wir sind nicht Fantasie. Wir sind real. Und wir müssen teilweise mit den Folgen leben, die durch miese Darstellungen in Geschichten von selbst nicht-betroffenen Autoren entstehen.

Und noch mal: Die meisten, die ich kenne, freuen sich, wenn man über etwaige Minorities schreibt. Aber es kommt eben darauf an, wie. Es hat einen Grund, warum so viele Leute Rick Riordan feiern. Einen weißen, cishetero Mann, der über alle möglichen Charaktere schreibt. Und das ist, weil er einfach extrem diverse Casts schreibt, in denen Charaktere vor allem eben Charaktere sind, deren Probleme wenig damit zu tun haben, dass sie Minderheiten angehören. Ich habe ja nichts mehr in Magnus Chase geliebt als am Ende: "Moment, Alex ist gerade ein Junge ... Huh, egal, ich liebe ihn dennoch." Und das war alles, was Magnus zum Thema "Ich bin wohl nicht hetero" einfiel.
 

Franziska

@NelaNequin danke für diesen Beitrag! Ich kann dem nur zustimmen.
Obwohl ich selbst Gay Romance schreibe und der kritisierten "Fetischisierung" nicht komplett widersprechen kann. Nach meiner Erfahrung und auch nach einer kürzlichen Umfrage in dem Genre sind mind. die Hälfte der Autoren in dem Genre nicht hetero! Die Gründe, das Genre zu schreiben sind vielfältig.
Ich persönlich habe zum Beispiel oft bisexuelle Figuren, also Männer. Ich bin selbst bi. Ich verarbeite auch eigene Erfahrungen und Gefühle in meinen Texten. Aber mir ist klar, dass es nicht "ownvoice" ist. Die Erfahrung mag immer noch anders sein.
Und ja, das Argument mit Krimi oder den Elfen ist Quatsch! Das wichtigste ist, finde ich, dass man sich seines Privlilegs bewusst ist, wenn man nicht zu der marginalisierten Gruppe gehört, über die man schreibt und sich Leser holt, die zur Gruppe gehören und sie fragt, ob man irgendwelche dummen Patzer gemacht hat, die man einfach nicht wissen kann.
Dazu gab es auf Twitter letztens auch etwas, da gibt es eine Liste mit  Leuten, die sich für verschiedene Themen als Leser anbieten.


Kaeptn

#8
Zitat von: Rigalad am 13. April 2019, 11:07:55Aber irgendwie scheinen Diskussionen schnell auf einen Shitstorm herauszulaufen, weshalb ich mir wirklich dreimal überlege, ob ich mich äußern soll oder nicht

Den Eindruck hab ich auch gewonnen und halte tunlichst meine Klappe. Twitter erscheint mir da nochmal ne ganze Ecke empöriger als Facebook.

Ich finde diese Diskussion deshalb beinahe paradox, weil sich hier zwei aktuelle Trend-Themen mMn beißen. Einerseits mehr Repräsentation, andererseits aber OwnVoice. Wie soll mehr Repräsentation gehen, wenn Autoren das Recht abgesprochen wird, über Minderheiten zu schreiben, denen sie nicht angehören? Irgendwie beißt sich da die Maus in den schwanz, denn das die meisten Autoren keiner Minderheit angehören ergibt sich nun mal zwangsläufig aus dem Verhältnis von Mehrheit zu Minderheit.

Danke @NelaNequin für Deinen Beitrag. Ich finde du bringst es gut und für Nicht-Angehörige der Minderheit verständlich auf den Punkt!

Alana

#9
Ich glaube, nur sehr wenige Leute aus der Community wollen nicht-betroffenen Autoren das Recht absprechen, über diese Themen zu schreiben. Diese Leute gibt es natürlich auch und je nach Thema haben sie damit vielleicht auch recht. Aber ich glaube tatsächlich, dass das sehr wenige sind und dass es der erste wichtige Schritt in dieser Diskussion ist, sich von diesem Gedanken frei zu machen, dass jemand einem etwas verbieten möchte. Denn sonst kommt man aus der Perspektive eines Menschen, der das Gefühl hat, etwas bestimmtes zu verdienen und in diesem Fall würde man sich anmaßen, ein Recht zu haben, die Geschichten von Menschen zu erzählen, von deren Leben man eigentlich nicht wirklich Ahnung hat. Natürlich darf man alles schreiben. Aber von dieser Perspektive des "Entitlement" wegzugehen, wie man so schön auf Neudeutsch sagt, bringt einen in die Position, die Menschen aus der Community wirklich zu hören und das sollte die absolute Grundlage sein, wenn man darüber schreiben möchte. Auch ohne diese Diskussion. Denn nur dann kann man überhaupt mit der nötigen Sensibilität an diese Themen herangehen.

Abgesehen davon ist mein Eindruck, dass vor allem gewünscht wird, dass man sich darüber Gedanken macht, welche Themen man wie verarbeitet und sich vor allem bewusst macht, dass man, nur weil man mit Repräsentation was Gutes tun möchte, nicht davor gefeit ist, die Situation durch die eigenen gut gemeinten Texte  zu verschärfen, anstatt sie, wie beabsichtigt, zu verbessern. Dies ist ein Gedanke, der mir zum Beispiel früher so nie gekommen ist. Klar, man möchte keine Klischees darstellen. Dass das nicht unbedingt hilft, versteht jeder. Aber man kann bei der Darstellung so viele Fehler machen (zum Beispiel eben, indem man das Leben eines queeren Menschen als endlosen Kampf darstellt und ihn nur darüber definiert), die einem überhaupt nicht bewusst sind, wenn man nicht zuhört. Dass das meistens trotzdem in wirklich guter Absicht geschieht, wird von vielen aus der Community auch anerkannt, aber trotzdem sollten wir uns wirklich bemühen, zu verstehen, warum darauf so heftig reagiert wird, anstatt abwehrend zu reagieren.

Ich habe selbst die letzten Monate damit verbracht, mich zu entscheiden, ob ich eine Geschichte mit einer WoC in der Hauptrolle schreiben möchte. Grundsätzlich möchte ich das unheimlich gerne, denn ich finde, der Buchmarkt sollte unbedingt diverser sein. Wenn es einfach nur eine Tatsache ist, dass sie schwarz ist, es aber thematisch kaum Auswirkungen auf die Geschichte hat, hätte ich es wohl auch getan. So wäre es aber in meinem Roman nicht. Die Figur wäre tief verwurzelt in der schwarzen Community der USA und ihre Lebensrealität und ihr Einsatz für die Community würden eine Rolle spielen. Es wäre nicht das Hauptthema, aber es würde eine wichtige Rolle spielen. Deswegen habe ich so lange überlegt und darüber auch mit vielen Menschen gesprochen. Niemand hat mir dabei gesagt, dass ich es lassen soll, sondern alle haben versucht, mir zu einer Entscheidung zu verhelfen. Ich habe mich nun dagegen entschieden, ganz einfach, weil ich  das Gefühl hatte, dass ich mir, wenn ich aus der Perspektive einer schwarzen Frau, die sehr durch die Community motiviert ist und sich dafür einsetzt, etwas aneignen würde, das mir nicht gehört.

Geholfen hat mir dabei zusätzlich zu den Gesprächen dieser Artikel:

ZitatI'm okay with saying that it is my hope that white writers who are interested in writing about cultures and subjectivities outside of their own consider very carefully: 1) how many writers from the culture you wish to represent have been published in your country writing in the same language you will use (i.e. English) to write the story, 2) why do you think you're the best person to write this story? 3) who will benefit if you write this story? 4) why are you writing this story? 5) who is your intended audience? 6) if the people/culture you are selecting to write about has not had enough time, historically and structurally, to tell their story first, on their own terms, should you be occupying this space?

Quelle: https://www.hiromigoto.com/wiscon38-guest-of-honour-speech/

Ich habe das Gefühl, dass das die richtige Entscheidung ist. Repräsentieren kann man trotzdem und ich tue das in jedem meiner Bücher. Irgendwann kommt vielleicht mal eine Geschichte zu mir, in der eine WoC einfach die Hauptfigur ist und ich mich als der richtige Mensch fühle, diese Geschichte zu schreiben. Dann werde ich es auch tun.

@Evanesca Feuerblut Danke für diesen Einblick, ich hatte ehrlich gesagt an diesen Aspekt noch gar nicht gedacht, dass der Ruf nach Own Voice auch als Zwang zum Outing gesehen werden kann.

Alhambrana

Angela

Mir geht bei all diesen Diskussionen bei Twitter und Co auf den Keks, dass es in der Regel nicht um Austausch geht, sondern um 'meine Meinung ist die einzig richtige' und wenn du die nicht teilst, bist du xyz. Geht garnicht.

Keiner von uns kann sich davon mal ganz abgesehen wirklich in die Lage eines anderen Menschen versetzen. Das ist immer nur das Bild, das man sich von seiner Situation macht. Ich schreibe immer wieder über Protas, die, egal was sie tun, nie ganz dazu gehören. Weil sie anders aussehen. Da verarbeite ich meine Kindheit, weil mir das lange so ging. Aber das war meine Kindheit, und jemand anders, der so dunkel war wie ich, hat (vielleicht sogar an meinem Wohnort) ganz andere Erfahrungen gemacht.

Lothen

#11
Zitat von: Kaeptn am 13. April 2019, 13:58:03
Ich finde diese Diskussion deshalb beinahe paradox, weil sich hier zwei aktuelle Trend-Themen mMn beißen. Einerseits mehr Repräsentation, andererseits aber OwnVoice. Wie soll mehr Repräsentation gehen, wenn Autoren das Recht abgesprochen wird, über Minderheiten zu schreiben, denen sie nicht angehören? Irgendwie beißt sich da die Maus in den schwanz, denn das die meisten Autoren keiner Minderheit angehören ergibt sich nun mal zwangsläufig aus dem Verhältnis von Mehrheit zu Minderheit.
Anfangs fand ich das auch seltsam, mittlerweile ist mir aber klar, dass sich das hervorragend vereinbaren lässt. Jede*r Autor*in mit etwas Fingerspitzengefühl, Empathie und dem Willen zu Recherche kann wunderbar über queere Figuren, People of Color, Menschen anderer Religion, Menschen mit Behinderung etc. schreiben. Die Frage ist aber: Sollte ich als Autor*in, sofern ich nicht betroffen bin, über Queersein schreiben? Über ein Leben mit Behinderung? Über das Ertragen von Rassismus oder Diskriminierung?

Genau da kommen Own Voices ins Spiel. Wenn es sich ein Roman zum Ziel gesetzt hat, die Erfahrungen von Menschen aus diesen Gruppen wiederzuspiegeln, dann funktioniert das am Besten aus dem Blickwinkel derer, die diese Erfahrung wirklich erlebt haben. "The hate u give" oder "Zerrissene Erde" sind deswegen so gut und so erfolgreich, weil sie von schwarzen Frauen erzählt werden, die darin ihre eigenen Erfahrung verarbeiten. Sicher hätte auch ein*e weiß*e Autor*in eine gute Geschichte über diese Themen schreiben können, aber dann nie mit dem selben Ausmaß an Authentizität.

Von daher: Divers und inklusiv schreiben kann jeder, denn auf dem (deutschen) Fantasy-Buchmarkt mangelt es immer noch an Vielfalt, die nicht problematisiert wird, sondern die einfach existiert. Man kann wunderbar über eine queere Figur schreiben, ohne, dass es primär um ihr Queersein geht. Man kann wunderbar eine*n dunkelhäutige*n Prota haben, ohne dass es primär um Hautfarbe geht. Man kann wunderbar eine*n behinderte*n Prota haben, ohne ständig zu thematisieren, wie schwierig und problemreich das Leben mit Handicap ist.  Solche Themen überlasse ich gerne Own Voices, weil ich nicht galube, dass ich das wirklich stimmig erzählen und wiedergeben kann.

Ansonsten stimme ich Alana zu, die Fragen, die in dieser Rede gestellt werden, finde ich auch enorm hilfreich. Das Zauberwort heißt Reflexion. Nur, weil jemand sagt, er wünsche sich mehr Diversität, mehr Own Voices o.ä. muss man nicht gleich vor Entsetzen aufschreien, weil man ja jetzt "nichts mehr dürfe". Ehrlich gesagt nervt mich das. Das Einzige, was in der Diskussion um Own Voices und Diversität wirklich im Fokus steht, ist die Bitte nach Empatie, Offenheit und Selbstreflexion. Ich finde, das ist für Autor*innen nicht zu viel verlangt.

Sascha

Ich greife mal Angelikas ursprüngliche Fragen auf:

Zitat von: AngelikaD am 13. April 2019, 04:51:36
Wie arbeitet ihr, wenn ihr Randgruppen in euren Büchern auftreten lasst? Schreibt ihr als Betroffene (Angehörige von Betroffenen) oder nehmt ihr die Beratung von Betroffenen in Anspruch (Interviews, Testleser ect...)?

Wie stellt ihr die Authenzität der Figuren sicher?

Ich versuche, die Personen, in die ich mich mangels persönlicher Erfahrung nicht wirklich reindenken kann, nur so weit zu beschreiben, wie ich es guten Gewissens tun kann. Klar weiß man spätestens als verheirateter Mann um die allmonatlichen Problemtage von Frauen, und überzeugte Christen kennt man als Oberbayer auch. Einen bisexuellen Mann und seinen ziemlich tuckigen Freund habe ich auch, aber ich hüte mich, da zu sehr in die Tiefe zu gehen. Ich lasse die beiden einfach so sein, ziehe daraus auch ein paar Gags, mache sie aber weder lächerlich noch spiele ich den Anwalt für queere Leute. Kann ich nicht.
Den Vater zweier Kinder dagegen kann ich natürlich gut beschreiben, wobei ich meine eigene Familie halt in vielem als Vorbild nehme. Aber gerade die Erfahrung als Familienvater mit Kinderlosen, die meinen, alles über Erziehung zu wissen ("Ich hab schließlich zwei Nichten ..."), hat mich gelehrt, daß man einiges schon selbst erlebt haben muß, um authentisch zu sein. Und dann weichen immer noch die eigenen Erfahrungen teils massiv von denen Anderer ab. Deshalb, wie gesagt, lasse ich zwar diverseste Figuren auftreten, versteige mich aber lieber nicht dazu so zu tun, als kenne ich deren spezifische Situation.

Franziska

@Alana danke, das sind sehr gute Argumente und Aspekte. Die Fragen finde ich auch sehr gut.

Wobei ich es manchmal echt schwierig finde. Es gibt leider auch die Leute, die sagen, Frauen sollten keine Gay Romance schreiben, weil das falsche Klischees bedient und schwule Männer fetischisiert. Ja, es gibt diesen Aspekt. Aber die Bücher, die ich gerne lese, kann ich da nicht wirklich einsortieren. Aber von daher ist mir diese ownvoice-Debatte schon seit Jahren bekannt und kommt in dem Gerne immer wieder hoch.
Nur über die Probleme und Diskriminierung soll ich nicht schreiben. Ein Happy End aber auch nicht. Dann bleibt mir nur eine Nebenfigur. Tragische Liebesgeschichte ist auch zu lange die Norm gewesen und nicht gewünscht.
Die gleichen Leute empfehlen dann aber "Love Simon", was auch von einer Frau geschrieben wurde und für mich total typisch Gay Romance Jugendbuch ist. Ich habe schon zahlreiche und bessere Geschichten vor zehn Jahren auf Fanfiction gelesen. Ich meine, ich kann das Argument nachvollziehen, wenn es sich in den Büchern nur um das eine dreht, aber dann ist es Erotik oder Porno. Männer in Heteroromance werden genauso zum Sexobjekt. Ja, hetero Männer werden nicht diskriminiert. Das verstehe ich schon irgendwie. Aber ich finde es dann auch ungerecht, das ganze Genre deshalb zu verurteilen. Es ist sehr vielfältig. Ich lese am liebsten Bücher, wo es um erster Linie um die Menschen geht und die Entwicklung der Figuren. Probleme mit dem Outing kommen vielleicht mal vor, sind aber nicht Hauptthema.

Tintenteufel

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass es bislang für mich keine Rolle gespielt hat und ich jedenfalls kaum darüber nachdenke. Ich schreibe zwar Horror, der mit Jordan Peele und Dokumentationen wie "Horror Noire" sich dieses Themas zwar annimmt... aber ich könnte nicht einmal ansatzweise die persönliche und intime Erfahrung derart extrapolieren.
Also lasse ich es. Das käme mir wie Aneignung vor.

Das Argument der Authentizität finde ich auch schwierig, weil Romane und Erzählungen bestenfalls realistisch, niemals aber real sein können. Und mir der Anspruch von Realismus und Authentizität ehrlich gesagt insgesamt zu viele Möglichkeiten einschränkt. Selbst wenn er in bestimmten Situationen hilfreich und förderlich sein kann. Ich "repräsentiere" auch nichts. Ich bin kein gesellschaftlicher Spiegel, kein Sprachrohr für eine Generation oder unterdrückte Massen und kein Repräsentant von irgendetwas außer mir selbst. Ich trage keine Verantwortung, eine gerechte Welt in meinen Werken zu erschaffen oder reale Probleme darzustellen oder zu lösen. Oder jedenfalls nicht nur diese und nicht jene Probleme.
Verantwortung oder Repräsentation ist etwas gänzlich anderes als verantwortlich denen gegenüber sein, die man für seine Werke benutzt oder reale Ereignisse/Themen/Menschen, die man verwendet.

Kunst - und ich zumindest habe das Verlangen danach, Kunst zu schreiben - gehört ein gewisses Maß an Autonomie.

Soll heißen: Bei mir gibt es wenig marginalisierte Gruppen. Nicht mit Absicht, nicht, weil ich finde, die gehören da nicht hin. Sondern weil ich erstens noch Schwierigkeiten genug damit habe, meine mir sehr gut bekannten Figuren vernünftig rüber zu bringen (ein Großteil meines Casts sind verrückte Künstler, gescheiterte Akademiker und von Ehrgeiz zerfressene arme Leute) und zweitens derlei Dinge selten eine Rolle bei mir spielen. Die meisten meiner bisherigen Sachen sind sehr introspektiv und eher Kammerstücke mit zwei oder drei Charakteren, von denen die Hälfte tot, untot, pervers oder imaginär ist. Es gibt intradiegetisch keine Gesellschaft, die da jemanden marginalisieren könnte.

Man könnte sich darüber streiten, ob mein Figurenregister zu eintönig ist (und ich gebe frei zu, dass es das wahrscheinlich ist), aber ich sehe es wie gesagt nicht als meine Verantwortung irgendjemand anderen als mich selbst zu repräsentieren in meiner Schreiberei.