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Interessante Art von Dialogführung oder schlichtweg schlechtes Handwerk

Begonnen von Feuertraum, 24. Juni 2008, 21:51:24

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Feuertraum

Ich lese gerade von John McLaren "Remote Control", und ich schwanke bei seiner Art der Dialogführung gerade zwischen einem "Irgendwie genial" und "Absolutes Verbot".
Die Dialoge, die er schrieb, sind reine pure Dialoge.
Das heißt, als Leser weiß man nicht, wie die Personen aussehen, man weiß nichts von der Umgebung. Es gibt keinerlei beschreibende Bewegungen, keine Mimik. Noch nicht einmal, ob die Stimme erhoben wird oder leiser. Das allerdings schafft er mit seiner Wortwahl - McLaren setzt also auf das Wissen und die Erfahrung, dass ein jeder die Worte beim Lesen richtig "hören" kann.

Auf der einen Seite finde ich diese Dialogführung schlichtweg klasse: der Autor setzt zum einem auf die Regel, dass weniger mehr ist und dadurch radikal kürzt. Zum anderen wird man schneller lesen, weil es keine "Bremsen" gibt (sorry, momentan fällt mir keine bessere Umschreibung dazu ein). Und der Leser wird gefordert, sich aus dem Dialog den Zusammenhang zu erschließen. Ihm wird also nichts vorgekauft, er muß eigenständig mitdenken.

Auf der anderen Seite fehlt jedoch die Atmosphäre, das Bild im Kopf, dass man sich ausmalen sollte; Farben, Gerüche, Bewegungen, Klänge...

Was meinen Sie: Käme für Sie eine solche Art der Dialogführung in Frage? Oder haben Sie lieber kleine Einschübe mit drin, Beschreibungen, um das ganze aufzulockern?

Neugierige Grüße

Feuertraum
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Ary

Hallo,
ich weiß nicht, ich glaube, das wäre nicht so meins, zumindest nicht, wenn das ganze Buch in dieser Art geschrieben ist. Ich mag ausschweifende Beschreibungen, ich möchte, wenn ich einen Dialog lese, wissen, wie die Stimmen klingen, wie die Charaktere aussehen, wenn sie sprechen und was sie fühlen, vor allem letzteres. Ath,osphäre ist für mich elementar wichtig, ohne sie habe ich beim Lesen kein "Kopfkinogefühl", und das ist genau das, was ich von einem für mich guten Buch erwarte - ich will den Film im Kopf. Selbst so wie von Ihnen beschrieben meine Geschichten schreiben würde ich nicht. Ob man das nun als schlechtes Handwerk oder Kunstgriff bezeichnen sollte, kommt auf das Buch an. Das würde ich erst in dem Moment beurteilen, in dem ich es gelesen habe.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Luisa

Genau kann man das, glaube ich, nicht sagen, da ein purer Dialog ehrlich gesagt schwer vorstellbar ist.
Ich persönlich lese am liebsten die gute Mischung: Nicht zu viel  Details am Rande, in denen das Gespräch untergeht, aber trotzdem die ein oder andere Beschreibung der Haltung der Person, des Klangs der Stimme usw.
Vermutlich wäre es ganz interessant einen derart rohen Dialog zu lesen, aber ob ich mir davon ein ganzes Buch antun müsste?
Übrigens: Ein ähnlich merkwürdiges Buch habe ich in Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" gefunden. Hier gibt es überhaupt keine Dialoge in dem Sinne, sondern nur indirekte Rede!     

Churke

Hm, nur Dialog, das erinnert ich jetzt irgendwie an das Symposion von Platon. Oder meinetwegen auch ein unspielbares Theaterstück, weil es die Einheit von Ort und Zeit ignoriert. Kann man das überhaupt noch als Roman bezeichnen?  ???

Für mich klingt's nach ner Masche. Die Idee ist ja nicht neu, sie hat sich nur nicht durchsetzen können.

ZitatEin ähnlich merkwürdiges Buch habe ich in Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" gefunden. Hier gibt es überhaupt keine Dialoge in dem Sinne, sondern nur indirekte Rede! 

Das finde ich jetzt weniger merkwürdig. Ist eben eine Frage des Stils. Durch die indirekte Rede lassen sich lange Dialogpassagen gut abkürzen.... oder der Herr Kehlmann war der Meinung, dass er keine Dialoge schreiben kann, was weiß ich... :innocent:

Feuertraum

Äh...kurzer nachtrag: Das Buch besteht jetzt nicht nur aus Dialog. Aber der Dialog ist so wie beschrieben und geht gleich in media res
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Aidan

Ich für mich selber kann es mir kaum vorstellen, höchstens mal eine kurze Passage, wenn wenig Gestik und Mimik vorkommen und vorher die "Optik" der Sprechenden geklärt ist. Als Stilmittel, um zu verdichten, das Tempo zu erhöhen, aber nicht grundsätzlich.

Aber Dialoge sind auch - zugegeben - meine große Schwäche. Ich kann eher mit Worten malen, als meine Typen reden lassen. Bei mir sprechen sie mehr mit dem Körper, Atmung, dem drumherum, als mit ihren Worten. Leider.
"Wenn du fliegen willst reicht es nicht, die Flügel auszubreiten. Du musst auch die Ketten lösen, die dich am Boden halten!"

,,NEVER loose your song! Play it. Sing it. But never stop it, because someone else is listening."

Coppelia

Ich denke, gute Dialoge können sich wirklich rein auf den Dialog beschränken, und häufig halte ich das sogar für die bessere Idee. Wichtig ist, dass man weiß, wer gerade spricht. Wenn die Dialogpartner immer abwechselnd sprechen und es am Anfang klar ist, wer anfängt, ist das aber kein Problem. Die Worte können (und müssen meiner Meinung nach sogar) Gestik und Mimik und den Klang der Stimme transportieren, ohne dass der Text Ergänzungen benötigt. Das funktioniert vor allem dann, wenn keine Widersprüche zwischen den Worten und dem Befinden der Sprechenden bestehen.

"Ihr seid ein Verbrecher! Irgendwann wird Euch noch einmal jemand diese käufliche Zunge herausschneiden."
"Nicht eher, als dass jemand Euren Dickkopf an einer Mauer zerschlägt. Nein, wartet - die Mauer würde zuerst zerbrechen."
"Immer noch dieselbe alte Drecksschleuder."

usw. Das geht gut, finde ich

Aber wenn es so ist, müsste man ergänzen:
"Alter Verbrecher, irgendwann wird Euch noch einmal jemand diese käufliche Zunge herausschneiden." A ging auf den grauhaarigen Mann zu und lächelte.
Bs Gesicht hellte sich auf, als er ihn erkannte. "Aber nicht eher, als dass jemand Euren Dickkopf an einer Mauer zerschlägt." Sie reichten einander die Hände. "Nein, wartet - die Mauer würde zuerst zerbrechen."
"Immer noch dieselbe alte Drecksschleuder." A klopfte ihm freundlich auf die Schulter.


Ich hab häufig lange Dialogpassagen ohne Unterbrechungen. Das habe ich auch schon immer so gemacht, aber angeblich soll es eher ungewöhnlich sein, auch wenn ich das nie so gesehen habe.
Gestern habe ich z. B. erst eine erzählende Rückblende, in der es um die Hochzeitsnacht meiner Antagonistin ging,  als Dialog mit ihr und ihrem Mann umgearbeitet, ohne sontige Ergänzungen als den reinen Dialog. Ich finde sie jetzt wirklich wesentlich besser, und der Dialog zeigt durch die Wortwahl meiner Meinung nach sehr gut das Verhältnis zwischen den beiden. Ehrlich gesagt versuche ich immer die Informationen, die über die Worte im Dialog hinaus gegeben werden, möglichst gering zu halten, und alles, was der Leser wissen muss, in den Dialog selbst zu legen.
Und ich glaube, dass Dialoge meine größte Stärke beim Schreiben sind ...

Koriko

Dazu müsste ich jetzt wirklich das Buch lesen, so direkt kann ich das nicht beantworten. Eine gesunde Mischung aus beidem. Man muss nicht nach jedem Satz wörtlicher rede eine Beschreibung hinzusetzen, aber so ganz ohne, wäre es mir dann doch zu wenig. Ich hab das mal gelesen und im Grunde ist es nicht schlecht, aber das war in dem Fall eine Kurzgeschichte, da war es nicht so dramatisch. Besonders da sie nur aus wörtlicher Rede bestand und man sich wirklich anhand der Kommentare das meiste ausdenken und hinzufügen konnte.

Bei einem ganzen Roman und bei jedem Dialog stelle ich mir das auf die Dauer anstrengend vor.
"Das schönste aller Geheimnisse: ein Genie zu sein und es als einziger zu wissen." - Mark Twain

www.assjah.de
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Judith

Diese Art von Dialog ist ja im Grunde typischer Krimistil - ich kenn es von zahlreichen Krimiautoren, dass sie es so bei Verhören machen. Insofern bin ich daran gewöhnt und würde mich nicht sonderlich daran stören. Außer, wenn man gar nicht mehr versteht, wer was sagt - sowas ist dann natürlich unangenehm und sehr anstrengend zu lesen.

Churke

Ich schreibe auch sehr dialoglastig. Wenn man einen Dialog mit Handlung verquickt, reißt man ihn auseinander. Innerhalb einer Dialogpassage schreibe ich nur: knappe, kommentierende Gedanken des Protagonisten
(z.B.: "Was hatte der denn geraucht?") und ein wenig Erzähltext wie "A bohrte in der Nase" oder "B grinste blöde". So etwas hilft dem Leser, die direkte Rede einem Sprecher zuzuordnen.

Durch Subtext kann man auch Handlung mit der direkten Rede implizieren. Der Klassiker: "Haben Sie Feuer? Danke."

Bei den von Judith erwähnten Krimis (ich :happs: Krimis) sind die Rollen durch die Frage-und-Antwort-Spielchen überschaubar zugeordnet.

Tenryu

Längere Dialogpassagen brauchen m.E. keine ergänzenden Beschreibungen. Vor allem, wenn sich nur zwei Personen unterhalten. Bei drei oder mehr Sprechern, wird das dann schnell unübersichtlich.

Issun

Bei längeren Dialogpassagen habe ich auch oft das Problem, dass ich- vor allem, wenn die Charaktere beginnen, durcheinanderzureden- den Überblick verliere, und mich frage, wer denn nun eigentlich das Wort hat.
Aber es gibt auch Vorteile, wenn den Schwerpunkt seiner Geschichte auf reinen Dialog legt. Ich finde, dass die dirkete Rede oft noch belebter wirkt, wenn der Autor nicht jedesmal eine lahme Erklärung wie "sagte er wütend" etc. abgibt- obwohl ich selbst sehr schwach im Dialogschreiben bin und keine Szene verfassen könnte, die nur auf gesprochenen Worten beruht.

Artemis

Zitat von: Issun am 27. Juni 2008, 15:58:20
Bei längeren Dialogpassagen habe ich auch oft das Problem, dass ich- vor allem, wenn die Charaktere beginnen, durcheinanderzureden- den Überblick verliere, und mich frage, wer denn nun eigentlich das Wort hat. 

Solche Szenen sind wie geschaffen für das spezifische Sprachmuster der einzelnen Sprecher. Hat der Autor das in seine Charaktere "eingebaut", kann man schon an der Art und Weise, wie sie sprechen, erkennen, wer denn nun das Wort hat. Der eine Charakter ist ein einsilbiger Zyniker, der nächste plappert hektisch und ohne Punkt und Komma, der Dritte spricht geschwollen und hochtrabend ...
Es gibt viele Möglichkeiten, dem Gespräch Farbe zu verleihen, ohne dass der Leser unter die Nase gerieben bekommt, wer nun am Sprechen ist  :)

Tenryu

Wenn man den Überblick verliert, wer gerade redet, ist das ein sicheres Zeichen, daß der Dialog nicht gut strukturiert ist und zu viel unnötiges geschwätzt wird. Versuche, auf das wesentliche zu reduzieren. Wenn zwei sich streiten, sollte aus den ersten Sätzen klar werden, wer welche Postion einnimmt. Oder wer die Fragen stellt und wer die Antworten gibt, usw.

Julia

Grundsätzlich tue ich mich mit dieser Form der Dialogführung ziemlich schwer, aber da ich das Buch nicht kenne, kann ich mich dazu kaum kompetent äußern.
Allerdings fällt mir in der letzten Zeit zunehmend auf, dass "sperrige" Bücher in Mode kommen - sei es durch einen ungewöhnlichen Erzählstil (siehe oben) oder durch ungewöhnliche Inhalte (siehe das Buch mit dem rosa Umschlag und dem Pflaster auf dem Cover, das zur Zeit die Bestsellerlisten belagert).
Man bekommt irgendwie den Eindruck, dass gut erzählte Geschichten (geschrieben in solidem, schriftstellerischen Erzählstil) schlichtweg "out" sind. Was man zur Zeit auf dem Markt bekommt (zumindest an neuen Autoren) ist häufig entweder langweiliger Mainstream-Strunz (ich liebe Anglizismen  ;D ) oder eben ... nun ja, keine Geschichte, sondern ein Selbstzweck. Oder anders gesagt: Entweder man schwimmt auf der Welle mit und schreibt das fünfhundertste Buch über Orks (sorry, das ist gegen niemanden persönlich gerichtet) oder den neununddreißigsten historischen Roman über xyz (hier bitte beliebige Epoche einsetzen). Oder man kreiert ein Werk, dass eine solche Zumutung für den Leser darstellt, dass es eigentlich nur Kunst sein kann und damit schon wieder gut sein muss.
Sorry, dass ich jetzt ein wenig vom Thema abweiche (falls gewünscht mache ich damit auch gern einen neuen Thread auf), aber dass oben genannte Buch passt damit genau ins Schema. Oder wie seht Ihr das?

Liebe Grüße,

Julia