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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Nikki am 07. August 2020, 13:15:57

Titel: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Nikki am 07. August 2020, 13:15:57
Ich habe möglichst viele Begriffe in den Titel gepackt, weil wohl alle Begriffe etwas Ähnliches meinen und doch nicht dasselbe sind. Wenn jemand die Suche bemüht, sollten nicht null Treffer dabei rauskommen, nur weil ich eine Bezeichnung unter den Tisch habe fallen lassen. Ich hoffe, das sind die gängigen Bezeichnungen, die auch Personen, mit dem entsprechenden Hör(un)vermögen verwenden. Ich stehe noch ganz am Anfang meiner Recherchen und bin für jeden Input dankbar.  :)

Eine meiner Figuren, ein Teenager, wird auf Dauer auf ein Hörgerät angewiesen sein. Ursache ist eine Explosion, die dem Trommelfeld in einem Ohr irreversiblen Schaden zugefügt hat. Diskriminierung aufgrund des veränderten Hörvermögens wird nicht passieren, da das nahe Umfeld der Figur beim Unfallhergang vor Ort war und jede anwesende Person ihr Päckchen abbekommen hat. Vermindertes Hörvermögen ist das jener Figur. Diese ist übrigens Schlagzeuger. Es geht mir also wirklich, um die veränderte Wahrnehmung und Handhabung der Lebenswelt meiner Figur.

Nun wollte ich euch um positive Beispiele, die einer respektvollen Darstellung dienen, um eure eigenen Erfahrungen (own voice oder vom Schreiben) oder andere Recherchetipps bitten, die helfen, ein Gespür dafür zu entwickeln, was in Zukunft für das Gehör dieser Figur zu berücksichtigen ist. Kennt ihr schwerhörige Schlagzeuger*innen/Musiker*innen (mit Hörgerät)?

Gerne kann das hier eine Sammelstelle für Fragen, Anregungen, Wünsche zum Thema Gehör der Figuren werden. Auch Gebärdensprache ist sicher rein relevanter Aspekt. Ich hoffe auf einen Austausch in alle Richtungen.  :)
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Wildfee am 07. August 2020, 13:52:24
Mein Göttergatte (Freizeitmusiker) hat sich als Teenager das Trommelfell mit einem Wattestäbchen durchstoßen (jaa...ziemliche Doofheit) und trägt seitdem ein Innenohrhörgerät. Er hat als Folge davon einen Tinnitus, einen hohen Pfeifton.
Ich muss nochmal nachfragen, aber mit den neuen Hörgeräten hat er bei Auftritten dann am Hörgerät immer was rumgestellt (runtergeregelt), damit er die anderen Musiker hören konnte. Wie gesagt, ich frage mal nach. Die neuen Hörgeräte sind mittlerweile glaub ich auch Blue Tooth tauglich und können mit Handy etc. verbunden werden.
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Nikki am 07. August 2020, 13:58:48
Danke für deine schnelle Antwort :)
Tinnitus und den hohen Pfeifton hat er sowohl mit, als auch ohne Innenohrhörgerät? Da fällt mir ein, dass ich bis jetzt nur das Hörgerät, das von außen leicht erkennbar ist, vor Augen hatte und mich noch gar nicht nach Alternativen umgesehen habe. War die Sichtbarkeit der Hörgeräts ein Faktor für die Entscheidung fürs Innenohrhörgerät?
Gibt es außer den Auftritten (und Proben, schätze ich) andere Situationen, in denen grundsätzlich die Einstellungen verändert werden müssen?
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Gilwen am 07. August 2020, 14:27:10
Ich habe vor ein paar Wochen "Maybe someday" von Colleen Hoover gelesen, da geht es um einen gehörlosen Gitarristen, er komponiert auch. Er ist, meine ich, seit seiner Geburt gehörlos, und er hat in dem Buch auch Perspektive. Für mich als Nicht-Profi klang sein Part überzeugend, er erklärt unter anderem auch, wie er Töne wahrnimmt, aber ob das alles wirklich fundiert ist, weiß ich nicht.
Bin nicht sicher, ob das in die Richtung geht, die du suchst, aber vielleicht hilft es dir ja  :vibes:
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Nikki am 07. August 2020, 14:39:04
Danke für den Lese-Tipp :)
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Minna am 07. August 2020, 20:14:43
Mandy Harvey ist eine großartige Sängerin, die mit 20 Jahren taub geworden ist. Ich bin mir sicher du findest einige Interviews mit ihr. Vielleicht könntest du sie sogar anschreiben?
"Die stille Seite der Musik" hat einen gehörlosen Protagonisten, allerdings ist er nicht der Perspektivträger. Der Roman stammt von Svea Lundberg, die hier im Forum als @PinkPuma unterwegs ist und dir vielleicht auch ein paar Tipps geben kann.
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Barra am 07. August 2020, 21:14:48
Ich schließ mich hier an. Ich hab im letzten NaNo eine schwerhörige Prota mit Hörgeräten.
Ausschlaggebend waren zwei Personen in meinem Leben: Eine die seit der Kindheit Hörgeräte trug und eine Freundin meiner Schwester war.
Und eine aktuelle Bekannte: die hat mal einen Schlag abbekommen, seitdem hört sie auf der einen Seite nichts mehr. Aufgefallen ist mir das, als sie bei uns die Treppe hoch wollte und ich ihr etwas sagen wollte, sie mich aber "ignoriert" hat und ich dann erst später erfuhr: sie hat mich einfach wirklich nicht gehört.
Mein Wissen reicht aber auch nicht tiefer, als bis zum nächsten Hörakustikergeschäft, mit denen ich letztes Jahr mal über das Thema ein wenig geratscht habe. Kann ich halt generell empfehlen, einfach mal in so ein Geschäft gehen und mit denen darüber reden. Oder eben anrufen, heutzutage.  :pompom:
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Nikki am 08. August 2020, 12:41:00
Danke @Minna für die Tipps.  :vibes:

Dann bist du hier bestens aufgehoben, @Barra  :winke:

Ich bin noch am Brainstormen, wie viel und welchen Platz ich Schwerhörigkeit bzw. Gehörlosigkeit widmen will. Beeinträchtigtes Gehör mit einem (sichtbaren) Hörgerät für die eine Figur ist schon mal fix, ein Familienmitglied würde ich gerne mit den entsprechenden Merkmalen ausstatten, sodass (österreichische) Gebärdensprache zwischen den beiden verwendet und sichtbar gemacht werden kann.

Einen Lektüretipp, den ich geben kann, ist Tomaten auf den Ohren. Wenn die Welt verstummt (2018) von Jill Dolisy, eine junge Luxemburgerin, die aus erster Hand darüber erzählt, wie es ist harthörig zu sein. (Diese Bezeichnung kommt mir zum ersten Mal unter.) Sie schreibt ziemlich ausführlich über Diskriminierung und Mobbing (in der Schule) aufgrund ihres nicht guten Gehörs. Des Weiteren spricht sie auch darüber, wie es nicht nur ist, schlecht zu hören, sondern auch Allergikerin und kurzsichtig zu sein und wie diese drei Umstände sich gegenseitig beeinflussen.
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Soly am 08. August 2020, 16:32:47
Ich bin selbst ein schwerhöriger Schlagzeuger, allerdings ohne Hörgerät. Meine Höreinschränkung ist auch nur einseitig, deshalb weiß ich nicht, wie viel du von meinen persönlichen Erfahrungen tatsächlich gebrauchen kannst.

Bei Auftritten und Proben komme ich ganz gut dadurch klar, dass ich im Gegensatz zu allen anderen keine Ohrenstöpsel trage, bzw nur auf der linken Seite, die normal hört. Dadurch kommt bei mir ungefähr die gleiche Lautstärke an wie bei den anderen.
Generell im Alltag bin ich meist auf Lippenlesen angewiesen, um Gesprächspartner zu verstehen, damit komme ich aber ziemlich weit.
Problematisch sind vor allem Situationen, in denen viel Hintergrundlärm herrscht, also in Zug/Straßenbahn, in Menschenmengen, am Rand stark befahrener Straßen... und wenn ich kaue, vor allem  knusprige Dinge, dann kannst du mich anschreien - ich verstehe dich nicht.

Das als grober Input auf Erfahrungsbasis. Bei Fragen gern eine PM  ;)
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Nikki am 08. August 2020, 16:58:51
Vielen lieben Dank, @Solmorn  :vibes:
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Waldhex am 08. August 2020, 20:11:02
Mein Mann (Hobbymusiker) ist seit einem Badeunfall auf der einen Seite schwerhörig. Nach einem Sprung ins Wasser ist bei ihm im Ohr etwas beschädigt worden. Er ist nicht vollkommen gehörlos auf dieser Seite, gewisse Frequenzen kommen noch durch. Seine andere Seite ist durch seinen starken Tinnitus beeinträchtigt.
Er trägt kein Hörgerät. Durch die einseitige Schwerhörigkeit hat er das Problem, dass er Geräusche nicht orten kann. Er kann also nicht sagen, ob ein Geräusch von links oder von rechts kommt. Wenn man ihn "von der falschen Seite aus" anspricht, hört er,  je nach Geräuschpegel drum herum gar nichts, oder nur dass jemand gesprochen hat, aber nicht was.
Das Problem, das weiter oben angesprochen wurde hat er auch, also dass es für ihn schwierig ist in geselliger Runde einzelne Wortmeldungen korrekt zu verstehen.
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Hanna am 09. August 2020, 10:54:57
Oh, da hänge ich mich mal dran. Meine Protagonistin verliert nämlich ebenfalls durch eine Explosion linksseitig das Gehör. Ein Freund von mir ist übrigens Hörgeräteakustiker. Aber ich bin noch nicht dazu gekommen, ihn auszuquetschen.

Meine Schwägerin hat durch einen Reitunfall auf einer Seite ihr Gehör verloren. Sie geht seitdem auf keine Feiern mehr, weil sie es nicht ertragen kann, wenn viele Menschen durcheinander reden. Es ist für sie wichtig, dass man sie nur von der guten Seite aus anspricht. Auch, wenn man bei ihr zum Essen eingeladen ist, muss man darauf achten, dass immer nur eine Person zur Zeit spricht. Sie ist aber generell eher schwierig.  ;)
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Nikki am 09. August 2020, 11:00:06
Oh, schön, dass du da bist, Hanna  :)

Kannst du vielleicht etwas zur Selbstbezeichnung bzgl vermindertes Hörvermögen sagen? Ich habe das Gefühl, dass Schwerhörigkeit und Co Fremdbezeichnungen sind und nicht unbedingt mit denen übereinstimmen, mit denen betroffene Leute sich wohl fühlen. Ich frage mich, ob Label wie "schwerhörig" den entsprechenden Personen einen Gefallen tun oder sie eher stigmatisieren.

Reicht es ihnen vielleicht sogar, einfach darauf hinzuweisen, dass sie (auf einer Seite) nicht gut hören und man bitte lauter/deutlicher/auf die andere Seite/etc. sprechen sollte? :hmmm:
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Lucien am 09. August 2020, 22:26:44
Keine Ahnung, ob meine Infos sinnvoll für dein Projekt sind, aber ich teile trotzdem mal mein Wissen.

Meine Schwägerin ist auch einseitig schwerhörig und trägt kein Hörgerät. Deshalb habe ich eine feste Seite, wenn wir uns treffen, damit ich in ihr gutes Ohr spreche. Darüber hinaus schränkt es ihr alltägliches Leben - zumindest soweit ich weiß - nicht ein. Sie hat neulich auch ein Klavier gekauft, hat aber noch nicht gelernt zu spielen.

(Ich selbst war diesen Frühling vorübergehend auf der rechten Seite fast ganz gehörlos, weil ich eine üble Trommelfellentzündung hatte und hatte in der Zeit große Schwierigkeiten, die Richtung von Geräuschen zu bestimmen. Deshalb habe ich mich im Straßenverkehr viel mehr als sonst umgeguckt, damit ich heil am Ziel ankomme. Zum Glück hat sich mein Gehör wieder erholt.)

Meine Mutter ist seit ihrer Kindheit schwerhörig, hat mit 14 Jahren angefangen Orgel zu spielen und das auch 5 Jahre lang gemacht, bis sie nach einem Gehörsturz gar nichts mehr gehört hat. Sie könnte es aber theoretisch immer noch, weil sie gut Noten lesen kann.

Sie leidet an einer Verknöcherung der Cochlea auf beiden Seiten, weshalb sie ihr Gehör langsam verloren hat (von den Phasen nach ihren Hörstürzen - sie hatte zwei - abgesehen). Ich habe deshalb von Anfang an gelernt, dass ich nur mit meiner Mutter sprechen kann, wenn sie mich anguckt und von den Lippen abliest und dass ich deutlich sprechen muss. Wenn wir unterwegs waren, habe ich zum Teil das Hören für sie übernommen und sie gewarnt, wenn z.B. ein Fahrrad von hinten kam und ihr gesagt, wenn jemand nach ihr gerufen hat. Ich habe das nie als Problem empfunden. Gebärdensprache benutzen wir nicht. Meine Mutter hat sie selbst fast verlernt.
Im Gegensatz zu mir ist meine Mutter trotz ihrer Hörbehinderung übrigens ein sehr kontaktfreudiger Mensch. Sie schämt sich nicht dafür, sondern macht andere auf ihre besonderen Bedürfnisse aufmerksam und beantwortet auch immer gerne Fragen, die sich dadurch ergeben.
Allerdings hat sie auch mit den hier schon erwähnten Problemen zu kämpfen: Hintergrundgeräusche, wenn mehrere Menschen durcheinanderreden und wenn ihr Gesprächspartner beim Sprechen das Gesicht abwendet und sie nicht mehr von den Lippen ablesen kann. (Daraus ergibt sich, dass auch Telefonieren schwierig, aber nicht unmöglich, ist und z.Z. sind auch die Allgegenwärtigen Masken ein Hindernis für eine reibungslose Kommunikation.)
Auch problematisch: synchronisierte Filme, bei denen das Mundbild nicht mit dem Gesagtem übereinstimmt. Da muss dann der Untertitel - falls überhaupt verfügbar - her.

Nun zur Technik: Ich weiß noch, dass die Batterien immer im falschen Moment leer wurden und unerwartete Regengüsse ein Problem waren. Meine Mutter hatte auch immer wieder mal Probleme mit Druckstellen, wenn sie ein neues Passstück brauchte oder ein komplett neue Hörgeräte gekriegt hat, weil die alten nicht mehr ausgereicht haben. Oder weil sie eine neue Brille gekriegt hat, die noch nicht optimal saß. (Da sind die neuen Geräte im Ohr ein echter Vorteil.)
Das sind Nachteile, mit denen man u.U. zu kämpfen hat, aber in erster Linie sind Hörgeräte natürlich eine große Hilfe, besonders, wenn man noch andere technische Hilfsmittel hat. Was die Dinger inzwischen alles können, weiß ich nicht, weil meine Mutter längst einen Schritt weiter ist, aber ich weiß, dass sie zum Telefonieren und Fernsehen auf die T-Spule (https://hob-ev.de/gut-zu-wissen/barrierefreies-hoeren/was-ist-eine-t-spule) umschalten konnte.
Seit ein paar Jahren hat meine Mutter nun auf beiden Seiten Cochlea-Implantate (CIs). Das sind Elektroden, die direkt in die Cochlea eingeführt werden und mit einem Prozessor außen am Kopf verbunden sind. (Der Prozessor wird mit einem Magneten, der unter der Kopfhaut sitzt, an den Kopf gepappt.) Der Vorteil ist, das die Reize von außen direkt an die Hörnerven geleitet werden. Der Nachteil ist, das eventuell vorhandenes Restgehör durch den Eingriff verloren geht und man ohne den Prozessor auf dem entsprechenden Ohr vollständig taub ist. Deshalb macht das erst Sinn, wenn das Hörgerät nicht mehr ausreicht.
Wie gut man damit hören kann, hängt davon ab, wie lange das Ohr schon taub ist, weil das Gehirn das Hören mit der Zeit "verlernt", d.h. die Nerven verkümmern, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Außerdem klingt nach dem Eingriff alles erstmal blechern und wie Mickiemaus, aber das normalisiert sich mit der Zeit. (Meine Oma hat nach dem Augenlasern von einem ähnlichen Phänomen berichtet. Sie hat mit dem "neuen" Auge die Farben erstmal anders gesehen.) Das Hören muss neu gelernt werden. Meine Mutter kann jetzt besser hören als vorher mit den Hörgeräten und es gab viele lustige Momente, als sie z.B. zum ersten Mal gehört hat, wie unser Hund trinkt und nicht wusste, woher das komische Geräusch kommt oder wie laut die Vögel im Wald zwitschern. Aber an "gesundes" Hören reicht es trotzdem nicht heran.

An dieser Stelle ist es vielleicht interessant zu wissen, dass bei den Voruntersuchungen zur ersten OP rausgekommen ist, dass meine Mutter links bereits völlig taub war, obwohl sie sich sicher war, da noch etwas zu hören. Ihr Körper hatte den fehlenden Sinn ausgeglichen (aber ich weiß jetzt nicht mehr, wie das genau war).

Meine Schwägerin sagt übrigens immer nur, dass sie "auf einem Ohr schwerhörig" ist, während meine Mutter sich früher als schwerhörig und heute als gehörlos bezeichnet. Die Bezeichnung "taub" verwenden wir für gewöhnlich nicht.

Hier noch ein paar weitere hoffentlich nützliche Infos:

Schon als meine Mutter noch Hörgeräte getragen hat und "nur" schwerhörig war, hatte sie einen Schwerbehindertenausweis (https://www.hoerbehindertenselbsthilfe.de/hoerenundverstehen/128-schwerbehindertenausweis.html).
Es gibt Hilfsmittel wie z.B. die Induktionsschleife (https://de.wikipedia.org/wiki/Induktive_H%C3%B6ranlage). Die Kirche unserer Gemeinde hat z.B. eine, sodass Hörgerät-/CI-Träger ihr Gerät nur entsprechend umschalten müssen und schon können sie störungsfrei dem Gottesdienst folgen.

Grundsätzlich macht meine Mutter gute Erfahrungen. Die meisten Menschen begegnen ihr mit Rücksicht (und nehmen z.B. den Mundschutz runter, wenn sie mit ihr reden), aber besonders nachdem sie gerade die CIs gekriegt hat, kam es immer wieder vor, dass Familienmitglieder oder Bekannte dachten, dass ja jetzt mit ihrem Gehör alles gut ist, weil sie diese neuen High-Tech-Geräte hat und dann musste meine Mutter denen mühsam verständlich machen, dass sie trotzdem noch eine Hörbehinderung hat und die anderen immer noch darauf Rücksicht nehmen müssen. Die Krankenkasse hatte den gleichen Denkfehler, sodass der Arzt meiner Mutter der Versicherung schreiben musste, dass sie sogar zu 100% gehörlos und somit immer noch schwerbehindert ist, sobald sie die Prozessoren ablegt.

So, das ist alles, was mir spontan dazu einfällt. Bestimmt habe ich die Hälfte vergessen, aber die kann ich ja zur Not noch nachtragen. ::)
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Mara am 10. August 2020, 12:27:19
Am Theaterhaus Hildesheim gibt es seit einigen Jahren immer wieder inklusive Stücke für Hörende und Gehörlose. Die Grundidee ist, dass der Text teils in Lautsprache und teils in Gebärdensprache ist und alles übertitelt wird. Letztes Jahr bei WOY hat ein gehörloser Schauspieler die Hauptrolle gespielt und auch an den Choreografien für die Lieder mitgearbeitet, die in dem Stück vorkamen. Es war eine Art Mischung aus Lautsprachbegleitenden Gebärden, Tanz und Gebärdensprachpoesie. Unser Techniker hat die Musik dann so eingestellt, dass man den Bass gut fühlen konnte, ohne dass es für die Hörenden unangenehm laut wird. Wie genau das funktioniert, konnte meine mangelnde Ahnung von Akustik nicht so ganz erfassen, aber es hat auch für einige Soundeffekte wie etwa den Donner funktioniert ^^
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: zDatze am 11. August 2020, 19:13:39
Hallo Nikki!
Eine sehr interessante Musikerin (Schlagwerk), die ich vor Jahren entdeckt habe, ist Evelyn Glennie. Es gibt auch eine Doku von ihr, der Titel ist "Touch the Sound". Es gibt auch einen sehr interessanten TED-Talk von ihr: How to truly listen (https://www.youtube.com/watch?v=IU3V6zNER4g). Vielleicht ist da etwas Brauchbares für dich dabei. :)
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Nikki am 13. August 2020, 08:06:04
Vielen lieben Dank für eure Antworten, die so vielfältig ausfallen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll, um mich daran zu bedienen.  ;D

Du hast super ausgeführt, wie unterschiedlich sich Schwerhörigkeit bilden und auswirken kann, @Lucien, dafür bin ich dir sehr dankbar! :vibes: Es gibt nicht nur diese eine Art von vermindertem Hörvermögen, das kann man gar nicht oft genug betonen und sich selbst verinnerlichen, wenn man nicht unmittelbar davon betroffen ist. Ich hoffe, dass ich mir immer vor Augen halten kann, keine allgemeingültigen Aussagen (die sind ja ohnehin zum Schmeißen) aufgrund des veränderten Hörvermögens meiner Figur zu tätigen.

Etwas, was ich immer im Hinterkopf behalte, ist die Warnung davor, die entsprechenden Figuren auf ihre Merkmale zu reduzieren, die von der vermeintlichen Norm abweichen. Mit dieser Figur habe ich einen "Startvorteil", da sie ja bereits im Vorfeld durchdekliniert wurde und das zerfetzte Trommelfell eines von vielen Merkmalen ist. Dennoch muss ich darauf achten, in Zukunft ihre Schwerhörigkeit nicht zu überbetonen. Ich möchte mit meinen Figuren eine möglichst vielfältige Lebenswelt abbilden, aber damit nicht übers Ziel hinausschießen, indem ich, subtil oder auch nicht, schreibe: Seht hier, Person XY steht für dieses oder jenes!

Eure Antworten helfen da sehr, einen differenzierten Blick zu erhalten und ein Gespür zu entwickeln, inwiefern die Figur in ihrer Handlungs- und Denkweise durch ein vermindertes Hörvermögen verändert wird oder eben auch nicht.

Danke euch beiden, @Mara und @zDatze , da habe ich gleich etwas mehr zu recherchieren :)

ZitatMeine Schwägerin sagt übrigens immer nur, dass sie "auf einem Ohr schwerhörig" ist, während meine Mutter sich früher als schwerhörig und heute als gehörlos bezeichnet. Die Bezeichnung "taub" verwenden wir für gewöhnlich nicht.

Das finde ich sehr spannend. Ich habe das Gefühl, dass "taub" mehr Fremd- als Eigenbezeichnung ist. "Taubstumm" ebenso. Wenn ich Redewendungen wie "sich taub stellen" verwenden will, habe ich immer Bauchweh, ob diese Redewendung wirklich angemessen ist. Eigentlich ist sie ja schon ein Widerspruch in sich, da "Taubsein" kein Zustand ist, den man je nach Belieben an- und wieder abschalten kann. Ähnlich empfinde ich bei Formulierungen "blind vor Liebe" etc. Habt ihr euch darüber schon Gedanken gemacht? Wendet ihr bewusst diese Redewendungen an? Lest ihr sie gerne? Sucht ihr nach Alternativen?
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Rynn am 13. August 2020, 08:57:09
Zitat von: Nikki am 13. August 2020, 08:06:04
Das finde ich sehr spannend. Ich habe das Gefühl, dass "taub" mehr Fremd- als Eigenbezeichnung ist. "Taubstumm" ebenso.
Ich glaube, ob "taub" oder "gehörlos" ist nicht so relevant. Eine Zeit lang war ich der Meinung, "gehörlos" wäre eher die Eigenbezeichnung, aber das scheint nicht mehr so ganz aktuell zu sein. Mittlerweile wird, glaube ich, beides verwendet. Was aber meines Wissens überhaupt nicht verwendet werden sollte, ist "taubstumm". Da gibt es online viele Quellen von Experten und Gehörlosen, wie diese hier: https://gebaerden.de/de/151591-Gehoerlos-oder-Taubstumm oder diese hier: https://www.eltern-bildung.at/expert-inn-enstimmen/gehoerlos-und-nicht-taubstumm/ Gebärdensprache ist eine Sprache, weshalb Gehörlose, die die Gebärdensprache beherrschen, eben nicht stumm sind, ich spreche nur eben ihre Sprache nicht.

Ich finde das Thema übrigens sehr spannend. Danke für den tollen Thread, @Nikki, und die vielen Anworten. :)
Titel: Re: Darstellung von Schwerhörigkeit, Taubheit, Gehörlosigkeit
Beitrag von: Nikki am 13. August 2020, 14:30:24
ZitatWas aber meines Wissens überhaupt nicht verwendet werden sollte, ist "taubstumm".

Ich hatte so etwas dunkel im Hinterkopf, konnte es aber nicht mehr einordnen. Danke für die super Links, @Rynn  :) Ich hoffe, dass wir zumindest unseren Teil dazu beitragen, eine positive Repräsentation voranzutreiben und verletzende Sprache als solche auch erkennbar zu machen und in der jeweiligen Community empfohlene und gebrauchte Bezeichnungen als allgemeinbekannte Begriffe zu etablieren.