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Schreibt ihr eigentlich über euch selbst?

Begonnen von Grey, 21. Juni 2007, 00:20:54

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ChaldZ

Zitat von: Fuchsfee am 22. Januar 2009, 15:17:56
Aber wie kann der Böse das überzeugend tun, wenn sein Schöpfer im Grunde weiß, dass ds alles schlecht ist. ichmeine, ein Böser ist ja wohl böse, weil er denkt, das sei das Richtige. Klar kann er das auch machen, weil er Spaß dran hat. Dann ist er wahrscheinlich ein Irrer. Aber das ist mir zu oberflächlich. Wie kann er überzeugend rüberbringen, dass er denkt, er tut das Richtige wenn der Autor im Grunde weiß, dass es falsch ist? Da hat mich noch keiner überzeugt.

Meiner Meinung nach gibt es hier vier Möglichkeiten.

Die erste ist, dass der "Böse" ein Psychopath ist und in seiner verquerten Welt denkt, das Richtige zu tun oder einfach das tut, wonach ihm der Sinn steht.
Das ist schwierig zu beschreiben, denn man soll ja als Leser dennoch nachvollziehen können, warum der Char so handelt, auch wenn seine Taten "böse" sind. Es muss nicht der Logik in unserem Sinne entsprechend, muss aber für den Char - und somit nachvollziehbar für den Leser - Sinn ergeben.
Schafft der Autor das, bekommt man einen sehr interessanter Char, der trotz seines chaotischen Geistes nachvollziehbare Aktionen macht, die "böse" sein können.

Die zweite ist, dass der Char in einem Umfeld aufgewachsen ist, in dem bestimmte Regeln und Handlungsweisen als legitim und wünschenswert eingestuft werden. Klassisch hier ist zum Beispiel das System Herr und Sklave. Oder dass, um eine Machtposition zu erhalten, alles erlaubt ist.
Mit dem entsprechenden Hintergrundwissen sind solche Chars nachvollziehbar. Dafür ist es aber nötig, erst einmal selbst viel über die Lebensumstände des "Bösen" zu wissen (was ja generell nie schlecht ist) und diese Ideale und Traditionen auch dem Leser zugänglich zu machen.
Leistet der Autor diese Arbeit, erhält man einen "Bösen", der für sich und die Umstände seines Großwerdens nicht "böse" ist, sondern meint, das Richtige zu tun. Für die Moralvorstellungen des Lesers sind die Taten aber unmoralisch, falsch und scheinen vielleicht unreflektiert. Ich denke, man bekommt so bestenfalls einen "Barbaren", aber keinen wirklich "bösen" Char. Dennoch ist es einfacher zu bewerkstelligen als einen Psychopathen.

Die dritte Möglichkeit ist es, dem "Bösen" ein Ziel einzugeben.
Ich denke, das ist die meist genutzte Option. Allerdings auch oft sehr flach ausgearbeitet. Für einen Char zu sagen "ich will die Welt beherrschen und jeder, der sich mir in den Weg stellt, wird getötet" ist nicht wirklich nachvollziehbar. Zwar gerne genutzt, weil es eben so einfach ist; aber mal ehrlich: Wer von euch würde sagen: Ja, das ist nachvollziehbar?
Viel interessanter sind solche Chars, die durch Erlebnisse in ihrem Leben ein Ziel haben, zu dessen Erreichen ihr Lebensinhalt wird. Das Ziel sollte nicht in Beherrschung der Welt ausarten, für mich ist das zu klischeebehaftet. Vielleicht wurden sie von einer mächtigen Familie in Grund und Boden gedemütigt und arbeiten sich hoch, um mit ihrer neuen Machtposition Rache nehmen zu können. Der Moral haben sie entsagt, doch Menschlichkeit ist noch immer zu finden. Das macht den Char nachvollziehbarer, interessanter.
Schafft man es überzeugend, einem Char solch ein Ziel einzugeben, hat man einen runden "Bösen", der nachvollziehbar ist. Das ist mit einer Hintergrundgeschichte relativ einfach hin zu bekommen und die Taten sind wirklich "böse".

Die vierte Möglichkeit (mein Favorit).
Umstände, die einen Char dazu verleiten, (vermeintlich) "Böses" zu tun. Eine Geschichte, die, aus einer Perspektive erzählt, dazu verleitet anzunehmen, dass die Gegenfraktion "böse" ist oder "böse" handelt.
Meiner Meinung nach die schönste Variante, da sie Überraschungen in der Geschichte und interessante Wendungen zulässt.
Aus der einen Perspektive wirken die Handlungen niederträchtig. Doch später und aus anderer Perspektive sind sie nachvollziehbar und es lässt sich nicht mehr in "Gut" und "Böse" einteilen.

Vielleicht hat sich der ein oder andere gewundert oder auch davon genervt gefühlt, dass ich "böse" ständig in Anführungsstriche gesetzt habe. Doch meiner Meinung nach liegt hier genau darin die Wurzel von einem "bösen" Char, der nicht nachvollziehbar ist: Einfach "böse" zu sein, weil er eben böse ist und Spaß daran hat. Das ist nicht nachvollziehbar.
Die Kunst ist, hinter diesen Char eine Geschichte zu stellen, die mit ihm harmoniert und stimmig ist, einen Grund liefert, warum der Char genau so ist, wie er ist.
Wenn man einen "Bösen" braucht, so sollte man sich nicht ausmalen, wie "böse" er ist. Sondern was ihn dazu verleiten könnte, keine Moral mehr zu haben, der Moral abgeschworen zu haben, ein Ziel über alle Güte zu setzen.
Und dann wird auch der Char automatisch interessant.


@Topic:
Sicher haben Charaktere Züge von mir selbst. Doch sie entscheiden nicht wie ich, sondern eben so, wie es diejenigen Züge, die sie haben, eben "vorschreiben" oder implizieren.
Charakterzüge sind auch keine Schalter, die entweder "an" oder "aus" sind. Jeder hat jeden Charakterzug. Bei manchen ist er mehr oder weniger ausgeprägt, bei anderen vom Gegenteil überragt, so dass er nicht in Erscheinung tritt.
Insofern ist in jedem Char und in jedem Menschen etwas von uns (jemand zuvor brachte das Beispiel mit den Menschen auf der Straße, die genauso was von ihm selbst haben wie seine Chars).
Richtig ist zwar, dass alles das, was in unserem Texten steht aus uns kommt; aus dem Bewusstsein oder Unterbewusstsein. Aber solange wir nichts beschreiben, das wir persönlich erlebt haben, sondern nur nachempfinden, uns hinein versetzen und dergleichen, hat das für mich nichts Autobiographisches.
Insofern legt man sicher in Charaktere Eigenschaften, die bei einem selbst vielleicht ausgeprägter sind. Aber ich denke nicht, dass man damit über sich selbst schreibt.

Einige sagten, sie würden nicht über sich selbst schreiben, weil das viel zu langweilig wäre. Ich würde ebenfalls eine miese Romanfigur abgeben. Da würde nichts passieren.
Chars leben davon, dass sie überspitzt sind, dass sie extrem sind, leidenschaftlich, wechselhaft, aber immer nachvollziehbar bleiben.
Wir selbst sind selten extrem... dafür aber zumeist für uns selbst nicht nachvollziehbar.
Schon von daher wäre es schwer, über einen selbst zu schreiben.

Ohje, entschuldigt den langen Text... habe mich etwas gehen lassen  :-[

Evenia

Also ich schreibe nicht über mich selbst. Jedenfalls nicht so, dass ich etwas bestimmtes erlebe oder fühle und dazu dann eine passende Situation in einem meiner texte schreibe. Ich fühle mich einfach in die Hauptperson rein, so dass nicht sie meine Situationen noch einmal erlebt, sondern ich ihre... Das klingt jetzt bescheuert und an den Haaren herbeigezogen, ist aber so.
Trotzdem hab ich kein Problem mit Leuten die über ihre eigenen Erlebnisse schreiben. Solange der Text am Ende gut ist, ist doch alles egal oder?

Grey

Zitat von: ChaldZ am 03. Mai 2009, 17:27:42
Ohje, entschuldigt den langen Text... habe mich etwas gehen lassen  :-[

Der lange Text ist gar kein Problem - aber bei all der Mühe wäre das ein schöner Beitrag in einem entsprechenden Workshop-Thread gewesen. ;) Jetzt ist er leider nur ein gewaltiges OT, und niemand, der etwas zur überzeugenden Darstellung von Bösewichten sucht, wird ihn jemals mit der Suchfunktion finden können ... :seufz: Schade drum, eigentlich. ;)

Churke


Grey

Ja - das wollte ich doch damit sagen. In so einem Thread wäre der Beitrag besser aufgehoben gewesen. ;)

Lavendel

Und es spricht nichts dagegen, das in besagtem Thread zu wiederholen, da du dir schon so viel Mühe gegeben hast ;).

ChaldZ

Schön, dass ihr alle so dezent seid  :pfanne: ... mittlerweile habe sogar ich es verstanden  ;D

Joscha

Mal zurück zum eigentlichen Thema:
Ich schreibe nicht bewusst über mich selbst, zumindest in Fantasy-Romanen, da kann ich mich gut distanzieren (wenn ich in der heutigen Zeit und Welt schreibe, passiert es mir öfter mal, dass ein Charakter unbeabsichtigt ein bisschen mehr Ich ist als ich will). Allerdings merkt man vor allem bei meinen Plots, dass meine Weltanschauung zu Tage tritt. In meinem aktuellen Projekt spielt zum Beispiel eine mächtige Kirche eine Rolle, deren obere Kreise weitestgehend korrupt sind und deren Gott nicht existiert. (Ich hoffe, es fühlt sich jetzt niemand beleidigt. Ist eben nur meine Sicht der Dinge.) Der halbwahnsinnige Massenmörder  hat, hoffe ich mal, keinen meiner Charakterzüge geerbt, das würde nicht gerade für mich sprechen.  ;D

Antonia Assmann

Direkt über mich selber, wäre zuviel gesagt. Aber ich muss doch zugeben, dass meine weiblichen Hauptdarsteller so manche Eigenschaft von mir haben- manchmal auch welche, die ich mir selber gar nicht so gerne zugebe... ;)
Wenn dann die Anderen reagieren sehe ich ja was dabei rauskommt. Ich finde es manchmal herrlich erfrischend, wenn meine Heldin mal so richtig draufhauen darf, was sich natürlich im RL nicht so einfach machen lässt. Doch, ich würde schon sagen, dass ich auch über mich schreibe.

Antonia

Waffelkuchen

Bewusst schreibe ich nicht über mich selbst- allerdings wurde mir mit ein, zwei Jährchen Abstand zu meinem ersten Roman klar, dass der weibliche Hauptprota genau den Konflikt in sich trug, den ich auch in mir hatte- bei ihr war es der Wunsch nach Freiheit und die gleichzeitige Angst davor, bei mir der Wunsch nach mehr Selbstständigkeit. Irgendwie ironisch, dass ich mir danach ein Stück ihrer Freiheit in mein Leben geholt hab- seitdem mache ich nämlich regelmäßig lange Waldspaziergänge, um meine Gedanken zu ordnen und zur Ruhe zu kommen. Sie ist nur aufgebrochen, um die Welt zu retten. *hüstel*
Noch dazu hatte ich auch eine recht komplizierte Vater-Tochter Beziehung eingebaut, die im Nachhinein auch an mein eigenes verkorkstes Verhältnis zu meinem Paps erinnert. (Das hat sich mittlerweile auch zum Besseren verändert. ;) )
Aber damals, beim Schreiben und als ich privat mitten in dieser Sitaution war, hab ich das natürlich nicht gesehen. Irgendetwas von seinen eigenen Konflikten fließt wohl irgendwie immer ein, mal in stärkerem und mal in schwächerem Umfang.
Ich heb mein Glas und salutier dir, Universum / Dir ist ganz egal, ob und wer ich bin
Du bist ungerecht und deshalb voller Hoffnung / Ich setze alles, warte auf den Wind
Fremde - Max Herre, Sophie Hunger

Lavina

Über mich schreibe ich nicht, aber ich versuche schon meine Gefühle oder Eindrücke in meine Geschichten einzubauen, allerdings verteilen die sich beinahe gleichmäßig auf die Charaktere. Ich fühle mich damit stärker mit der Geschichte verbunden und kann sie so besser erzählen.

Coppelia

Im Moment finde ich, dass in meinem Prota ein Teil von mir steckt, aber ich bin nicht so sicher, ob mir der Teil gefällt. :-\ Vor allem, weil das ohnehin kein gutes Ende nimmt.
Aber ich schätze, ein Teil von mir steckt in allen Protas, wie ich ja auch schon mal vorher ausgeführt habe, auch wenn man es nicht gleich merkt. Und man hat ja nicht nur Eigenschaften, die einem selbst gefallen (na ja, die meisten).

Drachenfeder

Zitat von: Coppelia am 21. Mai 2009, 08:28:47
Aber ich schätze, ein Teil von mir steckt in allen Protas,

Das sehe ich bei mir auch so. Ob mir dann die Eigentart gefällt ist wieder eine andere Sache. Meine Freundin sagte vor einiger Zeit, als sie eine meiner großen Storys das erste mal gelesen hatte: "X bist du und xx ist so wie du gerne wärst." Uff... ok, ich habe mir mal drüber Gedanken gemacht. Bei der ein oder anderen Sache musste ich ihr sogar Recht geben  :-\



Dämmerungshexe

Schwer zu sagen ob ich tatsächlich über "mich" schreibe. Ich weiß dass ich ab und an gewisse Eigenschaften und Ansichten von mir auf meine Figuren projiziere, aber ich denke das ist ein gutes Mittel um sie etwas glaubhafter zu machen. Irgendwie steckt in jeder Figur etwas von ihrem Schöpfer und wieweit der das durchblicken lässt ist seine Entscheidung.
Was mir ab und an wirklichen Spaß macht, ist eine Figur einzubauen, die tatsächlich die Position eines "Autors" einnimmt - jemand der alles über jeden zu wissen scheint und alle Fäden in der Hand hält. Mit so einer Figur zurechtzukommen ist eine große Herausforderung für die anderen Charaktere.
Es gibt auch einige Autoren, nicht unbedingt im Fantasy-Bereich, die die Metalepse auf die Spitze treiben und tatsächlich sich selbst als Autor in ihre Geschichten schreiben und ihren Figuren das auch auf die Nase binden (die daraufhin, vielleicht zurecht, ziemlich sauer auf ihren Schöpfer sind). Ich müsste das entsprechende Zitat nocheinmal heraussuchen, es stand in einem Buch über "transmediale Erzähltheorie".

Dämmerungshexe

PS: Coppelia - ich denke nicht unbedingt dass es schlecht ist, dass eine Figur wie du wirkt und eine andere wie dein Idealbild. Immerhin geht es in Geschichten darum, dass sich die Figuren entwickeln und dass die Leser diese Entwicklung nachvollziehen können und vielleicht selbst etwas daraus lernen. In soweit sind Autoren auch nicht viel mehr als Philosophen, die versuchen die Welt zu verbessern.  ;)
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Schreiberling

*Thread wieder ausgrab*

Ich habe mir jetzt nicht alles durchgelesen, dafür war es mir dann doch zu viel, aber viele sagen, dass nur Teile von ihnen in den Charakteren ihrer Projekte stecken und sie mehr auch gar nicht wollen.
Meine Frage dazu: Warum nicht?
Ich rede jetzt nicht von den Geschichten, die eine Figur erlebt, sonderm schlichtweg von ihrem Charakter. Warum nicht eine Figur haben, die einem (bis auf Kleinigkeiten) gleich ist?
Zu langweilig ist dafür niemand, ich bin jetzt einfach mal so kühn zu behaupten, dass jeder Mensch unglaublich interessant ist und es auch wert wäre, ein Buchcharakter zu sein. ;) Denn was unterscheidet uns von einem selbst konstruierten Charakter, warum nicht gleich die eigene Persönlichkeit nehmen?

Rede ich schon wieder Unsinn?