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Alles zur Perspektive

Begonnen von Lastalda, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Coppelia

Figurenperspektive hat etwas Jojo-Mäßiges. Mit verschiedenen erzählerischen Mitteln ist man unterschiedlich nah an der Figur dran. Sehr nah ist man z. B. mit der "Bewusstseinsstrom"-Erzählweise dran, aber die ist auch sehr anstrengend für den Leser. Auch freie indirekte Rede ist sehr nah an der Figur (beide Mittel sind auch ziemlich ähnlich). Ansonsten ist man mal mehr, mal weniger nah an der Figur dran, ohne ihre Perspektive zu verlassen.
Zwischendurch gibt es auch immer mal wieder Textstücke, bei denen nicht klar ist, dass eine Figur Perspektive hat. Ein Beispiel ist z. B. direkte Rede.
"Was wollen Sie von mir?", fragte Björn.
Das könnte ebenso sehr Björns Perspektive sein wie die von jemand anderem.

Wenn du etwas besser und packender findest, solltest du es so machen. Ansonsten ist die unterschiedliche Nähe zur Figur, die Perspektive hat, meiner Ansicht nach normal.

Ich nehme schon manchmal wahr, wie mir etwas dämmert oder ich die Stirn runzele. Wörter, die Wahrnehmung oder Gedanken anzeigen, gelten als Hinweise auf Figurenperspektive (man kann an ihnen auch Perspektivenwechsel feststellen). Trotzdem sind sie nicht unbedingt nötig, auch anderes kann verraten, dass eine Figur Perspektive hat.

Siara

Also ich denke schon, dass man auch in der personalen Erzählform solche Infos wie ein Stirnrunzeln geben kann. Wenn man auf diese Weise schreibt, erwähnt man schließlich ständig Dinge, die man in Wirklichkeit nicht beachtet oder unbewusst tut - das ist auch nur schwer zu vermeiden, irgendwoher muss der Leser seine Erklärungen ja bekommen.

Im Grunde dürftest du dann ja nicht einmal schreiben "...", sagte Tom. Denn schließlich hört dein Erzähler an der Stimme, dass Tom gesprochen hat, und sieht ihn außerdem. Aber der Leser sieht und hört ihn nicht, deswegen ist eine Erklärung, wer gesprochen hat, notwendig. Personal ist für mich immer mit Einschränkungen verbunden, selbst in der Ich-Variante. Wichtig ist nur, dass 1. Gefühle mit einfließen können und 2. nur das erklärt und gewusst werden kann, was auch der Erzähler weiß.

Ausnahmen bilden Szenen, in denen der Erzähler vollkommen schockiert oder anderweitig abgelenkt ist. Da dürfen die Gedanken dann gerne mal etwas wirr werden. Auf die Dauer wäre mir so etwas aber zu anstrengend, sowohl als Schreiberling als auch als Leser. Wenn du die Faust auf dem Tisch ein wenig "personaler" gestalten willst, könntest du ja auf etwas ausweichen wie: "Selbst Björn erschrak, als ihm klar wurde, dass er soeben auf die Tischplatte geschlagen hatte. Betäubt beobachtete er, wie sein Kaffee im Becher kreisrunde Wellen schlug..." Also eine Wertung und/oder Reaktion mit hineinbringen. Das macht die Szene vielleicht weniger neutral und hebt die personale Erzählweise hervor.

Ansonsten ist der Leser auch auf die Infos angewiesen, die für den Erzähler selbstverständlich sind. In deinem konkreten Fall würde mir auch die zweite Variante ausreichen. Auf Dauer würde ich vermutlich etwas an Informationen vermissen. Kann aber auch Geschmackssache sein, ich persönlich kann mich besser auch in einen personalen Erzähler einfühlen, wenn ich etwas über seine Mimik weiß. 

I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

HauntingWitch

#287
Ich finde Variante zwei ebenfalls besser. Dann musst du allerdings irgendwo vorher klar machen, dass man gerade bei Björn ist. In der ersten Variante tust du das ja mit dem ersten Satz.

ZitatAuf der anderen Seite fallen mir dann aber wesentliche Gestaltungsmittel weg. Wie soll ich dem Leser dann zum Beispiel sagen, dass Björn mit der Faust auf den Tisch schlug? Er denkt es ja nicht, sondern er tut es.

Wenn er es tut, kannst du einfach sagen, was er tut. Wenn du das gleich mit seinen Gefühlen/Gedanken verbindest, wirkt es nicht unnatürlich. In etwa so:
"Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Was bildete dieser Mistkerl sich eigentlich ein? Er war doch nicht sein Fussabtreter!"

Aber ich glaube, ich weiss, was du meinst. Mich stört z.B. immer der Zusatz "dachte er." Warum beschreibt der Autor die Gedanken nicht direkt? Und wenn es ein personaler Erzähler ist, gehe ich ja davon aus, dass ich mich in den Gedanken des Protagonisten befinde. Stirnrunzeln usw. finde ich unproblematisch, denn man spürt das ja selbst, wenn man so etwas macht. Wenn ich die Augen zusammenkneife, spüre ich diese Bewegung ja und mir ist bewusst, dass ich das tue.

Anj

Hallo liebe Zirkler,

im Zuge meiner Auseinandersetzungen mit dem Thema Perspektive, bin ich letztens über den Effekt gestolpert, dass der Perspektivträger (zumindest bei der personalen Perspektive) alles um sich herum auf sich beziehen sollte. Ähnlich wie wir ja auch jede Handlung in Bezug zu unserem eigenen Leben setzen. Zumindest unbewusst läuft das ja ständig ab.
Strenggenommen würde das bedeuten, dass im Grunde immer erkennbar sein muss, was der Satzinhalt für die Figur bedeutet. In bekannten Situationen und Umgebungen (beispielsweise im Supermarkt beim Wocheneinkauf) ist das sicher nicht ganz so wichtig, weil man automatisch von sich auf die Figur schließt, aber wenn die Figur in eine (für sie oder den Leser) fremde Umgebung kommt, wird es ziemlich wichtig, um ein Gefühl für die Figur zu kriegen und um die Welt als real zu erleben.
Ich zitiere mich selbst noch mal aus einem anderen Forum, um den Gedankengang noch deutlicher zu machen:
ZitatDas zweite worum es mir geht, ist ebenfalls dann wichtig, wenn ich die personale Perspektive sehr präsent haben möchte und vermutlich auch bei mehreren Perspektivträgern innerhalb einer Gruppe.
Der Perspektivträger muss sich als Mittelpunkt des Geschehens erleben, denn es ist seine Geschichte, die wir lesen. So wie wir uns auch im Mittelpunkt unseres Lebens empfinden und die Interaktionen, die wir erleben, immer auf uns beziehen, muss das auch eine Figur tun. Egozentrik (nicht Egoismus!) heißt hier vielleicht das Schlüsselwort. Alles was die Figur erlebt und für erzählenswert wahrnimmt, muss in Bezug auf sie gefiltert sein. Sprich es muss auch beim Verhalten der anderen deutlich werden, was eben dieses Verhalten mit dem Perspektivträger zutun hat.
Und, um Clarks Herangehensweise an aktiv und passiv noch mal etwas verändert aufzugreifen: Der Perspektivträger muss immer (oder zumindest im Großteil des Textes?) der aktiv beschriebene Part sein. "Er (Subjekt) tut etwas" und nicht "mit ihm (Objekt) geschieht etwas".
Selbst wenn er in eine passive Rolle rutscht, behält er den Status des Subjektes, denn dann "lässt er (Subjekt) etwas mit sich geschehen".
Ist das nachvollziehbar? Das ist etwas schwierig theoretisch zu erklären, was ich meine. 

Meine Frage ist nun, da ich weder in Ratgebern, noch in diversen Schreibblogs darüber gestolpert bin, 1. ob es einen korrekten Begriff dafür gibt und 2. ob ich mit der Überlegung überhaupt richtig liege, oder mich in einem Tunnelblick befinde.
Da sich hier doch weit mehr Autoren (und auch einige mit einem größeren theoretischem Wissen, bzw. Erfahrungen) tummeln, würde mich tatsächlich mal interessieren, was ihr zu den Gedanken sagt.   ;)  :jau:
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Klecks

Ich finde das sehr schlüssig und versuche auch immer, so zu schreiben. Ich beschreibe dann nicht einfach den Ort, an dem sich meine Protas befinden, sondern das, was ihnen daran auffällt, was sie besonders schön finden, was sie stört, was sie bemerkenswert finden. Für mich ist genau diese Vorgehensweise sehr wichtig beim Schreiben - dass ich dieses Gefühl, dass die Figur aktiv im Geschehen ist und lebt, vermitteln kann.  ;D

Coppelia

Soweit ich weiß, müsste das unter den Oberbegriff der Subjektivität fallen. Subjektivität ist aber (je nachdem, welcher "Schule" man angehört) generell ein Merkmal jeder Art von Erzählperspektive und somit theoretisch auch dann vorhanden, wenn sie nicht in irgendeiner Form auffällt.

Anj

@Klecks: Ja, mir geht es auch immer so. Wobei das in der Ich-Perspektive, in der ich am liebsten schreibe, relativ einfach ist. Aber mir gehts eben auch so, dass ich erst dann beim Lesen richtig eintauchen kann, wenn ich wirklich ganz durch die Augen der Figuren die Geschichten erleben kann. Und beim Schreiben rutsche ich da immer ziemlich automatisch rein. Da muss ich immer eher wieder einiges rausstreichen^^

@Coppelia: Danke für den Hinweis. Dann werde ich mal verstärkt auf den Begriff achten. ;)
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Saelle

ZitatMeine Frage ist nun, da ich weder in Ratgebern, noch in diversen Schreibblogs darüber gestolpert bin, 1. ob es einen korrekten Begriff dafür gibt und 2. ob ich mit der Überlegung überhaupt richtig liege, oder mich in einem Tunnelblick befinde.

Die Perspektive, die du beschreibst, kenne ich, zumindest in der Literaturwissenschaft, als 'interne Fokalisierung'. Fokalisierung bedeutet einfach aus wessen Sicht erzählt wird und wenn es intern fokalisiert ist, dann entspricht der Erzähler der Figur und sagt nie mehr als die Figur weiß und erlebt. Erzähler gleich Figur kann sowohl ein Ich-Erzähler als auch ein Erzähler in der dritten Person sein. Es lässt sich auch einfach als 'Mitsicht' bezeichnen. Die Erzählung ist hier direkt an die Wahrnehmung einer Figur gebunden, der Erzähler blickt nie von außen auf die Figur (das wäre dann die externe Fokalisierung).

Coppelia

#293
"Fokalisierung" ist nur ein anderer (und von mir bevorzugter, aber das ist eine andere Geschichte) Begriff für "Perspektive". Die Begriffe, Schwerpunkte, Details, Analysemodelle u. ä. unterscheiden sich je nach Schule/Wissenschaftler, aber im Großen und Ganzen ist es dasselbe. Oder, wenn ich noch mal so drüber nachdenke: Es werden mit diesen Begriffen dieselben Phänomene beschrieben.

Schön ist der Hinweis von Saelle auf die unterschiedliche Betrachtungsweise: Während ich auch früher in der Schule und auch im Studium noch gelernt habe, dass die Pronomina ("er", "ich") einen wichtigen Unterschied in der Perspektive machen, haben wir hier eine Betrachtungsweise, dass die Art der Präsentation, der Inhalt, den Unterschied ausmacht. Ich habe mich damals sehr gefreut, als ich vom Fokalisationsmodell erfahren habe, denn für mich gab es logisch noch nie einen Unterschied zwischen sogenannter personaler und Ich-Perspektive, wie mir die Theorie bis dahin immer hatte einprügeln wollen. ;) Es freut mich, dass sich diese Betrachtungsweise offenbar inzwischen etwas mehr durchzusetzen beginnt.


Anj

#294
ZitatFokalisierung bedeutet einfach aus wessen Sicht erzählt wird und wenn es intern fokalisiert ist, dann entspricht der Erzähler der Figur und sagt nie mehr als die Figur weiß und erlebt. Erzähler gleich Figur kann sowohl ein Ich-Erzähler als auch ein Erzähler in der dritten Person sein. Es lässt sich auch einfach als 'Mitsicht' bezeichnen. Die Erzählung ist hier direkt an die Wahrnehmung einer Figur gebunden, der Erzähler blickt nie von außen auf die Figur (das wäre dann die externe Fokalisierung).
Die einfache Unterscheidung zwischen den Perspektiven ist mir schon klar. (Und durchaus auch diverse Diskussionen darüber, ob Figur und Erzähler identisch sind/sein können ;) ) Das ist aber nicht genau das, was ich meine. Mir geht's nicht nur um das Wissen der Person, sondern eben auch darum, dass die Figur quasi alles auf sich selbst bezieht, oder anders gesagt, es dreht sich immer alles um die Figur. Theoretisch kann eine Figur ja auch einfach nur nüchtern Tatsachen feststellen, ohne aus ihrer Perspektive zu fallen. Die Egozentrik, die ich meine wäre dann aber nicht vorhanden.

Aber vermutlich zerpflücke ich mal wieder Sachen auf einer Ebene, die die meisten ganz selbstverständlich finden. :hmmm: Wär nicht das erste Mal :versteck:
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Coppelia

#295
ZitatMir geht's nicht nur um das Wissen der Person, sondern eben auch darum, dass die Figur quasi alles auf sich selbst bezieht, oder anders gesagt, es dreht sich immer alles um die Figur. Theoretisch kann eine Figur ja auch einfach nur nüchtern Tatsachen feststellen, ohne aus ihrer Perspektive zu fallen. Die Egozentrik, die ich meine wäre dann aber nicht vorhanden.
Aber Egozentrik eines Perspektiventrägers bzw. Fokalisators ist etwas anderes als Fokalisierung/Perspektive an sich. Wenn sich bei der Analyse eines Erzähltextes Egozentrik feststellen lässt, kann das ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass Fokalisierung durch eine Figur (von Genette interne Fokalisierung genannt) bzw. Figurenperspektive vorliegt, und auch darauf, welche Figur Perspektive hat/fokalisiert. Vor allem aber ist es ein Hinweis auf die Denkweise dieser Figur. Ich würde es als Bestandteil der Figurencharakterisierung betrachten, die durch den Gebrauch von Fokalisierung/Perspektive möglich ist.

Aber ich bin nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe.

Debbie

#296
Ich bin auch nicht ganz sicher, ob ich genau weiß was du meinst ... Für mich hört es sich so an, als ging es dir um die Interaktion der Figur mit der Außenwelt. Also nicht, dass die Person alles auf sich bezieht, im Sinne von "damit hat er bestimmt mich gemeint" oder "das macht er nur, um mir einen Gefallen zu tun/mir eins auszuwischen" etc.. Das wäre nämlich ein Teil der Charakterisierung, wie Coppi schon so schön gesagt hat ... Paranoia, wenn du mich fragst  ;)

Das andere, dass die Außenwelt des Charas sowie die anderen Figuren nur durch die Wahrnehmung des Charas widergegeben werden (der VP Charakter also gemäß seines Charakters und seiner Weltanschauung "filtert" welche Information der Lesern bekommt und/oder mit seiner subjektiven Wahrnehmung den Leser beeinflusst), ist das, was Coppi als "Subjektivität" angeführt hat und ich schätze darum geht es. Und auch da hat Coppi wieder recht: Subjektivität ist immer vorhanden, nur nicht immer wahrnehmbar. Nicht wahrnehmbare Subjektivität sorgt aber für den Eindruck einer "neutralen" (gefühllosen) Sichtweise - also etwas, dass man als Romanautor möglichst niemals anstreben sollte, es sei denn man will es bewusst als Werkzeug einsetzen und damit einen gewissen Effekt erzielen. Für den durchschnittlichen Romanautor ist die spürbare Subjektivität des VP Charakters aber von großer Bedeutung.

Wichtig ist dann eben (zwecks Konstanz in der Perspektive und um Beschreibungen möglichst gleichzeitig als Werkzeug zur Charakterisierung zu nutzen), dass die Erzählfigur "wertend" wiedergibt. Je besser dem Autor diese Technik gelingt, desto höher die Identifikation mit der Figur, die Manipulation des Lesers (eben durch Identifikation oder Abneigung) und je leichter der Zugang zur Geschichte und der Welt.


@Coppi: Wir haben in Literaturwissenschaft ebenfalls nur noch Genette gelernt. Und auch wenn ich diese Fokalisierungssache ganz nett finde, gefällt mir die englisch-amerikanische Einteilung der Perspektiven noch immer am besten. Genette hat selbst unserem angehenden Herrn Doktor der Germanistik das Leben schwer gemacht, da die Fokalisierungsgeschichte ja selbst bei gleichbleibender Erzählfigur immer wieder eine andere Fokalisierung zulässt - kapitelweise, absatzweise oder sogar satzweise. Mit einfacher Perspektive (also: wer erzählt) ist es da ja längst nicht mehr getan. War schon lustig den Guten bei der Analyse von Manns "Tristan" schwitzen zu sehen  :snicker:

Coppelia

#297
-- Erzähltheoriegelaber, bei Nichtinteresse nicht lesen ;) --

ZitatUnd auch wenn ich diese Fokalisierungssache ganz nett finde, gefällt mir die englisch-amerikanische Einteilung der Perspektiven noch immer am besten. Genette hat selbst unserem angehenden Herrn Doktor der Germanistik das Leben schwer gemacht, da die Fokalisierungsgeschichte ja selbst bei gleichbleibender Erzählfigur immer wieder eine andere Fokalisierung zulässt - kapitelweise, absatzweise oder sogar satzweise. Mit einfacher Perspektive (also: wer erzählt) ist es da ja längst nicht mehr getan. War schon lustig den Guten bei der Analyse von Manns "Tristan" schwitzen zu sehen
Erst einmal muss ich sagen, ich habe für meine Arbeit nicht Genette verwendet, sondern ein anderes Fokalisierungsmodell, das ich für insgesamt logischer und flexibler halte. Aber genau das, was du ansprichst, ist ja der Vorteil am Fokalisierungsmodell: Es weist darauf hin, dass Fokalisierung flexibel ist, nicht beständig an eine Figur gebunden, dass sie oft wechseln kann, manchmal innerhalb eines Satzes. Genette hat allerdings keine guten Werkzeuge dazu bereit gestellt, wie man solche Wechsel feststellt ("mein" Modell dagegen schon). Wenn man sich andere Perspektivenmodelle ansieht wie z. B. Stanzel (von dem offenbar die gebräuchlichen Begriffe abgeleitet sind), merkt man, dass all das auch diesen Forschern klar ist: Es gibt nur im "Idealfall" eine "einfache" Perspektive. Auch bei den älteren theoretischen Schriften wie z. B. Hamburger kann man das schon feststellen. Aber diesen Forschern geht es nicht darum, die raschen Wechsel zu erfassen, sie setzen andere Schwerpunkte. Aber es ist meiner Meinung nach sehr wichtig zu erkennen, wann Perspektivenwechsel vorliegen, um einen Text sinnvoll zu interpretieren. Dein Doktorand schwitzt also für eine gute Sache (auch wenn ich persönlich finde, dass die Analyse mit diesem Modell nicht schwierig ist, man muss vielleicht einfach nur den Gedanken zulassen, dass Texte mehr Perspektivenwechsel haben können, als man zunächst denken würde). ;)

--- /Erzähltheorie ---

So, mit dem praktischen Schreiben hat das nicht viel zu tun.

Regwina

Zitat von: Siara am 24. März 2014, 16:18:43
Ausnahmen bilden Szenen, in denen der Erzähler vollkommen schockiert oder anderweitig abgelenkt ist. Da dürfen die Gedanken dann gerne mal etwas wirr werden. Auf die Dauer wäre mir so etwas aber zu anstrengend, sowohl als Schreiberling als auch als Leser.

Das bekümmert mich jetzt. Bis vor kurzem habe ich alle meine Arbeiten aus der Erzählperspektive geschrieben, was mir deutlich schwer gefallen ist. Mein neuestes Projekt basiert nur auf der Ich-Perspektive und handelt zusätzlich von einer Person die ... etwas wirr ist. Also so generell. Es wird zwar im Laufe der Handlung besser (was auch gewollt ist), aber die Grund-Wirrheit bleibt (der lese-Freundlichkeit halber arbeite ich aber mit kurzen Sätzen - wer denkt schon in elendst langen Sätzen?). Mir ist aufgefallen, dass ich damit wesentlich besser zurecht komme und es ausgesprochen flüssig gelaufen ist. Kein Vergleich also zur Erzählperspektive.

Bleibt die Frage: ist das überhaupt zumutbar? :seufz: Ich glaube ich werde mal versuchen den Anfang in der Erzählperspektive neu zu schreiben und sehen wie das läuft.

moonjunkie

Hmm, ich könnte mir schon vorstellen, dass das geht. Gerade in der Ich-Perspektive. Aber generell hilft es manchmal eine zweite Perspektive ausprobieren und zu gucken, ob das besser passt. Vielleicht das erste Kapitel nochmal in der anderen Perspektive (meintest du hier allwissender Erzähler oder Er/Sie-Perspektive, dritte Person aber noch nah dran?) schreiben und gucken, was besser lesbar ist oder spannender oder einfach nur verwirrt. Das hattest du ja auch vor.

Es kann natürlich tatsächlich sein, wenn du nur die eine Ich-Perspektive hast, also keinen zweiten Erzähler abwechselnd dazu, dass es für einen ganzen Roman zu anstrengend wird, weil man nie weiß, woran man ist. Andererseits könnte das auch interessant sein, kommt drauf an, wie hoch der Grad der Verwirrtheit ist, vielleicht?

Aber wenn es sich erstmal flüssig schreiben lässt und du gut damit klarkommst, klingt das erstmal positiv.