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Alltag einer Bibliothekarin

Begonnen von Phlox, 09. September 2022, 23:46:45

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Phlox

Die Hauptfigur meines diesjährigen NaNo-Projekts arbeitet in einer (Stadt-)Bibliothek. Zwar wird sich vermutlich nicht so viel Handlung an ihrem Arbeitsplatz direkt abspielen, aber ich hätte trotzdem gerne etwas Hintergrundwissen darüber, was sie da täglich so macht. Ich habe mich nämlich im Verdacht, da ziemlich viele Klischees im Kopf zu haben...  Ich hätte folgende konkrete Fragen:
- wie verbreitet ist mittlerweile das Selbstverbucher-System in den Stadtbüchereien? Also, wäre es irgendwie bemerkenswert, wenn es das in ihrer schon lange bestehenden Bibliothek einer Kleinstadt (ca. 25.000 Ew) gibt oder nicht gibt?
- Gibt es regelmäßige Arbeitstreffen mit den Kolleg*innen der Bücherei, und was wird da besprochen?
- Gibt es zusätzlich zu diesen Arbeitstreffen wiederkehrende Termine im Kalenderjahr, z.B. selten gelesene Bücher aussortieren o.ä.?
- gibt es bestimmte Publikationen, die sie typischerweise häufiger benutzt für ihre Arbeit?
- Wie heißt diese übergeordnete Instanz noch mal, bei der die einzelnen Büchereien ihre Wünsche für Neuanschaffungen geltend machen müssen? (Wo ich wohne, wurde vor einigen Jahren eine Stadtbücherei mit ganz neuem Bücherbestand eröffnet, und ich habe mal einen Vortrag besucht darüber, wie Verlage ihre Buchtitel in Bibliotheken "unterbringen" könnten. In beiden Fällen wurde so eine übergeordnete Instanz erwähnt, die für die jeweiligen Büchereien die Titel aussucht und bestellt, wobei die einzelnen Büchereien Wünsche angeben könnten (z.B. spezielle Lokalliteratur o.ä.).

Weil es sich um konkrete Fragen dreht, habe ich das jetzt mal hierein geschrieben und nicht in das "Suche-Experten"-Board, ich hoffe, das ist ok.

Serafina

#1
Ich arbeite zwar in einer wissenschaftlichen Bibliothek, kann vielleicht aber trotzdem ein paar der Fragen beantworten. In einer Stadtbibliothek habe ich zumindest mal ein Praktikum gemacht.  ;D

Selbstverbucher: Einige Stadtbüchereien haben das, andere nicht. Mein persönlicher Eindruck ist, dass man so ein System tendenziell eher in größeren Bibliotheken findet, aber dass sich keiner wundern würde, es auch in einer kleineren zu sehen.

Arbeitstreffen: Ja, die gibt es meistens. Bei uns gibt es einmal im Monat eine Bibliothekssitzung, in der alle berichten, was sie seit der letzten Sitzung gemacht haben. Außerdem werden Neuigkeiten besprochen. Zum Beispiel, ob es personelle Änderungen geben wird, die Nutzungsordnung angepasst werden muss, neue Möbel angeschafft werden oder ob es irgendwelche Fragen oder Probleme gab, die von allen gemeinsam besprochen werden sollten.
Bei der einen Besprechung, an der ich während meines Praktikums teilgenommen habe, ging es viel um geplante Veranstaltungen und Angebote und wie man diese organisieren und bewerben könnte.
Dann gibt es noch kleinere Teambesprechungen, in denen eher Dinge besprochen werden, die Personen betreffen, die sich einen Aufgabenbereich teilen.
Wie und wann genau solche Besprechungen stattfinden, ist sicher unterschiedlich von Bibliothek zu Bibliothek. Wenn das gesamte Bibliotheksteam eher kleiner ist, muss es natürlich ich keine gesonderten Teambesprechungen geben.

Gesonderte Termine: Das ist sicher auch unterschiedlich. Bei uns wird zum Beispiel einmal im Jahr ein Teil des Bestands auf Zustand und Vollständigkeit überprüft (= Revision).
Was Aussonderung angeht, kann ich aus meinem Praktikum berichten, dass die verantwortliche Bibliothekarin da einfach gesagt hat, dass die Regale zu voll seinen und man da mal aussondern müsste. Und dann haben wir damit gleich losgelegt. In Stadtbüchereien muss auf jeden Fall öfters ausgesondert werden.

Publikationen: Hier bin ich nicht ganz sicher, was gemeint ist. Meinst du Publikationen, die sie zum Beispiel über Neuigkeiten im Bibliotheksbereich informieren? Da gibt es verschiedene Fachzeitschriften, wie z. B. "BuB – Forum Bibliothek und Information".

"Übergeordnete Instanz": Ich bin mir fast sicher, dass du die ekz meinst. Das ist ein Dienstleister für öffentliche Bibliotheken, von dem diese (unter anderem) Bücher bestellen können oder den sie auch "beauftragen" können, direkt Bücher auszuwählen und an sie zu schicken (das nennt sich Standing Order).
Soweit ich weiß, müssen Stadtbibliotheken allerdings nicht gezwungenermaßen diesen Dienstleister nutzen. Die meisten tun es, weil es natürlich sehr praktisch und bequem ist. Bei meinem Praktikum wurde mir aber erzählt, das teils auch versucht wird, den örtlichen Buchhandel zu unterstützen und einzelne Werke auch mal dort zu kaufen.
Ein weiterer wichtiger Service der ekz, den viele Büchereien nutzen, sind die sogenannten ID-Zettel. Das sind Zettel/Kärtchen, auf denen jeweils eine Neuerscheinung vorgestellt wird und mit denen der Bücherei die Auswahl der Medien, die in den Bestand aufgenommen werden sollen, erleichtert werden soll. Bei meinem Praktikum habe ich ganz oft gesehen, dass jemand einen ganzen Stapel alter ID-Zettel aufbewahrt, um die Rückseiten als Schmierpapier zu benutzen.

Ich hoffe, dass ich helfen konnte.  :)

Phlox

Hallo @Serafina, vielen vielen Dank für deine ausführliche Antwort! Damit hast du mir tatsächlich sehr geholfen!  :D 

Franziska

Die Frage ist, ist deine Figur Bibliothekarin oder Fami? Für welche Bereiche ist sie zuständig? Was man sonst so macht: Veranstaltungen organisieren, Schulklassen führen, Bilderbuchkino etc.
Bücher bestellen und aussortieren wird eher nebenbei gemacht. Bücher in die Regale zurückstellen, vor allem Kunden beraten...
(Hab gerade meine Mutter gefragt, sie ist Bibliothekarin in Hamburg) Da gibt es auch in den Zweigstellen automatische Rückgabe und Selbstverbuchung.

Sunflower

Ich bin keine Bibliothekarin, aber ich wohne in einer Kleinstadt (30.000 Einwohner) und bin oft in unserer Stadtbibliothek ;) Und die ist tatsächlich ziemlich modern, es gibt ein Selbstversuchersystem und auch außen eine automatische Rückgabeklappe, wie ich es sonst aus der Unibib in der Großstadt kenne. Ist jetzt nur exemplarisch, aber hilft ja vielleicht trotzdem  :)
"Stories are, in one way or another, mirrors. We use them to explain to ourselves how the world works or how it doesn't work. Like mirrors, stories prepare us for the day to come. They distract us from the things in darkness."
- Neil Gaiman, Smoke and Mirrors

Romy

Hallo Phlox,

ich arbeite als Bibliothekarin in einer öffentlichen Bibliothek, deshalb will ich doch auch mal Deine Fragen beantworten. Die anderen haben ja auch schon ein bisschen was beantwortet.  :)

Meine Stadtbücherei liegt in einer Mittelstadt (ca. 50.000 Einwohner*innen) und hat ca. 37.000 physische Medieneinheiten. Dazu die Onleihe (im Verbund Onleihe-Niedersachsen), in der mehr als 100.000 Medieneinheiten verfügbar sind.
Wir sind 9 Personen, davon drei Bibliothekarinnen (eine davon in Vollzei=ich), 5 FAMIs (drei davon in Vollzeit und eine davon befristet bis Juli 2023) und z.Z. nur eine Azubine (weil unsere Azubine für dieses Jahr super kurzfristig abgesprungen ist, dafür ist die Azubine, die dieses Jahr fertig wurde, gerade noch befristet als fertiger FAMI da).

Zitat von: Phlox am 09. September 2022, 23:46:45Die Hauptfigur meines diesjährigen NaNo-Projekts arbeitet in einer (Stadt-)Bibliothek.
Wie Franziska schon fragt, ist sie Bibliothekarin (muss man studieren, inzwischen auf Bachelor, früher auf Diplom), oder ist sie FAMI (Fachangestellte für Informationsdienste, Fachrichtung Bibliothek – es gibt insgesamt 5 Fachrichtungen – das ist eine dreijährige betriebliche Berufsausbildung)?
Entsprechend sind die Aufgaben und das Gehalt auch unterschiedlich. Gerade in kleinen Büchereien übernehmen FAMIs aber oft auch mehr Verantwortung als in Großstadtbibliotheken.

Zitat von: Phlox am 09. September 2022, 23:46:45- wie verbreitet ist mittlerweile das Selbstverbucher-System in den Stadtbüchereien? Also, wäre es irgendwie bemerkenswert, wenn es das in ihrer schon lange bestehenden Bibliothek einer Kleinstadt (ca. 25.000 Ew) gibt oder nicht gibt?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich glaube, die großen Stadtbibliotheken haben inzwischen alle Selbstverbuchung, bei den kleineren und mittleren ist es ganz durchmischt.

Wir haben keine Selbstverbuchung, weil wir auch einfach keinen Platz hätten Selbstverbucher aufzubauen, selbst wenn die Stadt unserem Vorhaben zustimmen würde. Jedenfalls nicht, ohne alles komplett umzubauen. Und die Geräte sind ja auch nicht alles, man müsste vorher noch mal jedes einzelne Medium in die Hand nehmen und entsprechende RFID-Transponder einkleben und im PC den Transponder mit dem Datensatz verbinden. Die Umstellung ist also schon sehr aufwendig.

Zitat von: Phlox am 09. September 2022, 23:46:45- Gibt es regelmäßige Arbeitstreffen mit den Kolleg*innen der Bücherei, und was wird da besprochen?
Auch das ist in jeder Bibliothek anders, ich glaube, da kannst Du Dir für die Arbeitsstelle deiner Prota ganz offen aussuchen, wie es passt. :)
Bei uns hat Corona die regelmäßigen Treffen jeden Morgen beendet (das war immer so 20-30 Minuten kombinierte Frühstückspause und lockere Teambesprechung, bevor wir um 10 Uhr öffnen), das haben wir nun immer noch nicht wieder aufgegriffen, weil m.E. auch meine Chefin nicht genug dahinter steht ... ::) Nun reden wir also immer über alles zwischen ,,Tür und Angel" und die Hälfte bekommt irgendwelche Dinge nicht mit ... ::)
Ansonsten gibt es große ,,richtige" Teambesprechungen alle paar Wochen nach Bedarf, wenn sich die Dinge, über die man sprechen muss, angehäuft haben.

Zitat von: Phlox am 09. September 2022, 23:46:45- Gibt es zusätzlich zu diesen Arbeitstreffen wiederkehrende Termine im Kalenderjahr, z.B. selten gelesene Bücher aussortieren o.ä.?
Aussondern machen wir immer Laufend, es sei denn, es ist einmal im Jahr ein großer Flohmarkt angesetzt, wo wir dann eine Woche lang alte Medien verkaufen. Da legen wir Bibliothekarinnen uns vorher noch mal richtig ins Zeug, um ganz viel rauszuschmeißen. ;D
Ansonsten haben wir regelmäßig wiederkehrende Veranstaltungen (Corona hat alles durcheinander gebracht, ich tue jetzt mal so, als gäbe es das nicht ;) ).
- Am zweiten Samstag Dezember ist immer ein Puppentheater, bei dem das Figurentheater Favoletta eingeladen ist und ein Stück für Kinder ab 3 Jahren aufführt.
- Ende September/Anfang Oktober ist in unserer Stadt immer Kinder- und Jugendbuchwoche, bei der i.d.R. 6 Autor*innen kommen und für Schulklassen lesen. Die Lesungen finden zwar in den Schulen statt, trotzdem habe ich mit der Organisation das ganze Jahr immer mal wieder zu tun.
- In den Sommerferien haben wir immer ein Sommerferienprogramm, bei dem mehrere Bastelveranstaltungen für Kinder verschiedener Altersgruppen stattfinden und es gibt 1 oder 2 Lesenächte, wo je Termin bis zu 20 Kinder bei uns übernachten und drei Kolleginnen (meistens ich, eine FAMI und eine Azubine) die Kinder den Abend über bespaßen und hoffen, dass sie nicht die ganze Nacht wach sind. :gähn: :rofl:
- Dann gibt es noch wöchentliche Veranstaltungen, jeden Dienstag Nachmittag ab 16 Uhr. Jeweils den 1. Und 3. Dienstag im Monat ist Bilderbuchkino, am 2. Dienstag im Monat kommt eine Ehrenamtliche und liest quasi ,,oldschool" direkt aus einem Bilderbuch vor. Und am 4. Dienstag im Monat ist eine Veranstaltung für Kleinkinder von 1-3 Jahren und deren Eltern, bei der Fingerspiele gemacht und erste Pappbilderbücher angeschaut werden. Die meisten Bibliotheken nennen das Bücherzwerge oder Bücherbabys.
- Seit diesem Schulhalbjahr haben wir außerdem eine AG mit einer Grundschule, die bei uns in der Nähe ist, jeden Donnerstagnachmittag eine Zeitstunde bis Ende Januar, da gehen eine Kollegin und ich dann meistens rüber in die Schule.
Davon ab gibt es noch jede Menge Veranstaltungen, die nicht regelmäßig sind: Führungen für alle Alters- und Klassenstufen, Kitabesuche, Makerspace, Autorenlesungen, Onleihe-Sprechstunde, Spieleabende, und wahrscheinlich noch ganz viel, was mir auf die Schnelle nicht einfällt.  :d'oh:
Veranstaltungen für Kinder und Leseförderung allgemein ist für Öffentliche Bibliotheken besonders wichtig, da die Kinder von heute die Nutzer*innen von morgen sind und wenn die als Kinder nicht in die Bücherei kommen, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie als Erwachsene damit anfangen.

Zitat von: Phlox am 09. September 2022, 23:46:45- gibt es bestimmte Publikationen, die sie typischerweise häufiger benutzt für ihre Arbeit?
Meinst Du Fachliteratur? :hmmm:
Da gäbe es die BuB, die Serafina schon genannt hat und noch ein paar andere.
Ansonsten fällt mir ,,Der Gantert" ein, der aber erst seit der aktuellen Auflage so heißt, vorher hieß er ,,Der Hacker". ;D
Aber außer, um meinen Azubis was darin zu zeigen, nutze ich den Gantert im Alltag kaum.

Ansonsten gibt es zum fachlichen Austausch z.B. die Mailingliste "ForumOeb" oder eine große Gruppe bei Facebook, in der viel diskutiert wird.

Zitat von: Phlox am 09. September 2022, 23:46:45- Wie heißt diese übergeordnete Instanz noch mal, bei der die einzelnen Büchereien ihre Wünsche für Neuanschaffungen geltend machen müssen? (Wo ich wohne, wurde vor einigen Jahren eine Stadtbücherei mit ganz neuem Bücherbestand eröffnet, und ich habe mal einen Vortrag besucht darüber, wie Verlage ihre Buchtitel in Bibliotheken "unterbringen" könnten. In beiden Fällen wurde so eine übergeordnete Instanz erwähnt, die für die jeweiligen Büchereien die Titel aussucht und bestellt, wobei die einzelnen Büchereien Wünsche angeben könnten (z.B. spezielle Lokalliteratur o.ä.).
Eine übergeordnete Instanz, bei der man das ,,muss" kenne ich nun auch nicht, außer vielleicht in Großstadtbibliotheken, wo das gesamte Lektorat und Beschaffung in der Hauptstelle liegt und die Zweigstellen von dort quasi ,,beliefert" werden.
Ansonsten fällt mir auch nur ein, dass Du die EKZ meinen könntest, die Serafina schon genannt hat, wo man ID-Zettel, Standing-Orders und Fortsetzungen bestellen kann, wenn man das möchte. Es ist ein Dienstleister und so viele spezielle Bibliotheksdienstleister gibt es nicht, deshalb arbeiten halt viele Bibliotheken mit der EKZ. Aber im Grunde ist es nur eine Firma, mit der man nicht gezwungen ist zusammen zu arbeiten. Es gäbe sonst noch Hambückers oder Hugendubel bietet inzwischen auch Dienstleistungen für Bibliotheken an.

Wir bestellen unsere Medien sowohl bei der EKZ als auch bei unseren lokalen Buchhändlern vor Ort, bzw. für DVDs und Hörbücher haben wir auch noch mal andere Händler. Unser Budget wird also auf verschiedene Firmen gestreut, aber das macht jede Bibliothek auch ein wenig anders.
Die alten ID-Zettel der EKZ werden bei uns übrigens auch als Schmierpapier verwendet. Die haben genau die richtige Größe, um sich Notizen zu machen. ;D

Sonst würden mir noch die Büchereizentralen/Fachstellen (in Niedersachsen ist es die ,,Büchereizentrale", in Mecklenburg-Vorpommern die ,,Fachstelle", das heißt in jedem Bundesland anders, aber ist letztlich das gleiche) einfallen, wie beim Lektorat schon mal mithelfen, oder vorbereitete Empfehlungslisten rausgeben, wenn man sie darum bittet.
Bei uns wird z.B. auch unser Bibliotheksprogramm Allegro von unserer Büchereizentrale gehostet und wir bekommen von dort Support. Öffentliche Büchereien unserer Größe oder kleiner in Niedersachsen verwenden oft dieses Programm. Ein anderes sehr verbreitetes Programm für ÖBs wäre sonst z.B. BibliothecaPlus.
Unsere Büchereizentrale verleiht auch allerlei, z.B. Bilderbuchkinos (die die Lizenz zur öffentlichen Aufführung haben und mit denen geworben werden darf), spezielle Bücherkisten oder technisches Equipment. Wir hatten dort für eine Veranstaltung z.B. mal eine VR-Brille ausgeliehen.

Zum Thema ,,Aufgaben in der Bibliothek" fällt mir noch ein, dass gerade in kleinen Bibliotheken jede Person quasi ,,alles" macht oder jede*r sich gegenseitig vertreten können muss, es gibt auch keine richtigen ,,Abteilungen", bzw. die ,,Abteilung" besteht dann nur aus einem Schreibtisch mit einer Person (so ist es bei uns auch größtenteils.
In großen Bibliotheken gibt es dann richtige Abteilungen, die jeweils mehrere Personen haben, die dort arbeiten und Minimum einen Raum oder mehrere. Dann gibt es z.B. Personen, die den ganzen Tag nur Katalogisieren, oder andere, die ausschließlich Veranstaltungen machen und vorbereiten, oder man ist den ganzen Tag nur im Ausleihdienst und nie im Büro tätig etc.

Das ist gerade erst mal alles, was mir einfällt. Melde Dich gerne noch mal, falls Dir weitere Fragen einfallen. :)

Phlox

Vielen Dank euch, der Unterschied von FAMI und Bibliothekarin war mir tatsächlich nicht klar. Extra lieben Dank an @Romy dass du dir die Zeit für diese ausführliche Antwort genommen hast, das freut mich sehr und gibt mir auf jeden Fall reichlich Stoff, mir den Berufsalltag meiner Figur gründlicher auszumalen!

Sparks

#7
Hallo Phlox

Zitat von: Phlox am 09. September 2022, 23:46:45Die Hauptfigur meines diesjährigen NaNo-Projekts arbeitet in einer (Stadt-)Bibliothek. Zwar wird sich vermutlich nicht so viel Handlung an ihrem Arbeitsplatz direkt abspielen, aber ich hätte trotzdem gerne etwas Hintergrundwissen darüber, was sie da täglich so macht. Ich habe mich nämlich im Verdacht, da ziemlich viele Klischees im Kopf zu haben...  Ich hätte folgende konkrete Fragen:

An dieser Stelle meine einmonatige, leicht bizarre, Erfahrung mit der "Arbeit" in einer (etwas spezielleren) Bibliothek. Vieleicht hilft das auch, von Klischees los zu kommen.

Es war 1980, ich leistete meinen Grundwehrdienst in der Bundeswehr, aber die Bundeswehr hatte mittlerweile auch gemerkt, dass das keine so gute Idee war, und betrieb schon meine Ausmusterung aus gesundheitlichen Gründen.

Nun hatten die dort eigentlich keine Verwendung für mich, und teilten mich zur Arbeit in der Batallionsbibliothek der Kaserne ein. Der Kompanieführer zeigte mir die Bibliothek (zwei kleinere Räume) und wies mich noch oberflächlich darauf hin, dass ich jetzt "Geheimnisträger" sei, wegen der militärischen Fachbücher, die im Bestand waren.

Und dann war ich alleine mit dem Job. Das Vorderzimmer war mit Bücherregalen an den Längstwänden angefüllt, und sehr eng, weil der Raum so schmal war, das zwischen den beiden Regalen wenig Platz war. An einer Stirnseite war ein Fenster, die andere Stirnseite war kahl. Direkt gegenüber der Einganstüre stand mein Schreibtisch mit Holzstuhl dahinter, und hinter dem Schreibtisch war eine Türe ins Hinterzimmer. Schreibtisch und Stuhl waren nur benutzbar, wenn man die Tür zum Hinterzimmer offen lies. damit der Stuhl in der Tür Platz hatte. Hätte man den Schreibtisch vorgeschoben, um Platz für den Stuhl auch bei geschlossener Türe zum Hinerzimmer zu haben, hätte man die Einganstüre vor dem Schreibtisch nur soweit öffnen können, das man sich mit Mühe gerade noch durch den Spalt zwängen konnte.

 Das Hinterzimmer war genauso lang und schmal wie das Vorderzimmer, aber im gegensatz zu diesem fast leer. Ein einzelnes Fenster war an der dem Vorderzimmer abgewandten Langseite, daneben war ein Waschbecken. An einer der Stirnseiten war ein einzelnes Bücherboard mit der militärischen Fachliteratur, und an der anderen Stirnseite war eine Toilettenschüssel(!).

Auf dem Schreibtisch im Vorderzimmer war KEIN Telephon, aber eine alte Kaffemaschine, ein Schnellhefter und eine Kladde sowie eine Schreibtischlampe. Die Schreibtischlampe war wohl eine der ersten Exemplare mit Leuchtstoffröhre, und hatte keinen automatischen Starter, sondern man musste nach dem Einschalten einen zusätzlichen Taster betätigen, eventuell mehrmals, um die Lampe zu zünden. Der Schnellhefter enthielt eine Liste mit den vorhandenen Büchern, die grob nach Fachgebieten sortiert und dann alphabetisch nach dem Titel sortiert waren, sowohl im Schnellhefter, als auch in den Regalen. In der Kladde waren hanschriftlich die Ausleihfälle mit Ausleihdatum und erwartetem und tatsächlichem Rückgabedatum notiert. Jeder Eintrag hatte eine andere Handschrift, und der letzte Eintrag lag Jahre zurück. (Anmerkung: Der Satz könnte in den Köpfen einiger Leute schon einen Horrorfilm starten)

Ich habe, neugierig wie ich bin, erst einmal nach der hochgeheimen militärischen Fachliteratur geschaut, und festgestellt, dass es sich um eine alte Ausgabe des Clausewitzchen "Vom Kriege" und ansonsten ausnahmslos um Titel aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts handelte. Also aus der Zeit unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, und es waren taktische und strategische Analysen der Kämpfe des ersten Weltkrieges. Alles in Sütterlinschrift und alles gut 60 Jahre in der Vergangenheit, mit einem weiteren Krieg und irren Technologieschüben dazwischen. Das mit dem "Geheimnisträger" war wohl eher der schwarze Humor des Kompanieführers.

Der Rest der Bibliothek war in erster Linie vermutlich aussortiertes Material aus der Stadtbücherei. Die hatten gängigere Bücher, die aber stark abgegriffen waren, an die Batallionsbücherei gespendet. Das meiste war Belletristik. viele Romane, nichts aktuelles, wenige Fachbücher auf Hobbyniveau und auch eher stark veraltet. Ein überraschend großer Teil, so ca. 1 Regalmeter war "Erotica", aber auch eher älter wie "Fanny Hill" oder "Josephine Mutzenbacher". Unter der SF befanden sich unter anderem die (ich glaube mittlerweile indizierten) Romane des "Gegenerde" Zyklus (Gor).

Publikumsverkehr hatte ich KEINEN. Es kam einfach keiner. Auf dem Flur war auch nicht viel los, ein eher abgelegenes Bürogebäude, das auch nur spärlich belegt war. Das meiste stand leer. Trotz fehlendem Publikumsverkehr habe ich dann doch zweimal ein Buch ausgeliehen. An Stubenkameraden. die mich danach fragten, und denen ich das Buch nach Dienstschluss in die Stube mitgebracht habe und die dort auch in der ebenfalls mitgebrachten Ausleihkladde unterschrieben. Beide Fälle waren Erotica.

Mein Dienst sah so aus, dass ich mir morgens aus der Küche eine 1,5 Liter Kanne Milch mitbrachte, die ich den Tag über getrunken habe. Den Kaffe aus der Küche habe ich nicht genommen, weil die nach dem Spülen der Kannen diese weder abtrockneten noch auf dem Kopf stellten zum Abropfen, sondern sofort neuen Kaffe einfüllten, worauf sich dieser mit dem Spülwasserrest am Boden der Kanne mischte, was man deutlich schmeckte. Stattdessen verwendete ich die Kaffemaschine auf dem Schreibtisch und brachte eigenes Kaffepulver und Filter mit. Die Milchkannen wurden von der Küche an die örtliche Molkerei übergeben, und dort "professionell gespült" und gefüllt, so dass das Problem mit dem Spülmittelrest nicht bestand. Gelegentlich konnte man sich aus der Küche auch große Flaschen mit Orangensaft oder Apfelsaft mitnehmen. Das war überlagertes Material von ansässigen Abfüllern/Händlern und oft deutlich vergoren, hart an der Grenze zum Wein.

Meine Dienstzeit verbrachte ich dann mit lesen. Ich habe in einer Woche alle drei Bände des "Herrn der Ringe" ausgelesen, wärend der Dienstzeit. Andere Bücher von dort, an die ich mich noch heute erinnere waren "Wing 4" von Jack Williamson und "Das Totenschiff" von B. Traven. Nach der Dienstzeit Abends hatte ich dann keine Lust mehr auf Romane, und habe mich in selbst mitgebrachte elektronische Fachliteratur vertieft.

Nach vier Wochen hatte die Bundeswehr dann meine Ausmusterung komplett, ich konnte nach Hause, und meine Berufsausbildung drei Monate verspätet beginnen.


Zitat von: Phlox am 09. September 2022, 23:46:45- wie verbreitet ist mittlerweile das Selbstverbucher-System in den Stadtbüchereien? Also, wäre es irgendwie bemerkenswert, wenn es das in ihrer schon lange bestehenden Bibliothek einer Kleinstadt (ca. 25.000 Ew) gibt oder nicht gibt?
- Gibt es regelmäßige Arbeitstreffen mit den Kolleg*innen der Bücherei, und was wird da besprochen?
- Gibt es zusätzlich zu diesen Arbeitstreffen wiederkehrende Termine im Kalenderjahr, z.B. selten gelesene Bücher aussortieren o.ä.?
- gibt es bestimmte Publikationen, die sie typischerweise häufiger benutzt für ihre Arbeit?
- Wie heißt diese übergeordnete Instanz noch mal, bei der die einzelnen Büchereien ihre Wünsche für Neuanschaffungen geltend machen müssen? (Wo ich wohne, wurde vor einigen Jahren eine Stadtbücherei mit ganz neuem Bücherbestand eröffnet, und ich habe mal einen Vortrag besucht darüber, wie Verlage ihre Buchtitel in Bibliotheken "unterbringen" könnten. In beiden Fällen wurde so eine übergeordnete Instanz erwähnt, die für die jeweiligen Büchereien die Titel aussucht und bestellt, wobei die einzelnen Büchereien Wünsche angeben könnten (z.B. spezielle Lokalliteratur o.ä.).

Es gibt neben den öffentlichen Stadtbibliotheken und den Universitätsbibliotheken oft auch die halböffentlichen Gemeindebibliotheken aller Konfessionen (auf dem Land oftmals die einzigen Bibliotheken) sowie die nichtöffentlichen Bibliotheken von manchen Vereinen, Firmen und von Privatleuten. Wobei das aber oft eher Buchsammlungen als "richtige" Bibliotheken sind, und sie werden meistens ehrenamtlich Betreut. Insgesammt könnte aber die Menge der Personen die ehrenamtlich Gemeindebibliotheken betreut der Menge der Personen, die professionell Stadt- und Universitätsbibliotheken pflegen, durchaus entsprechen.

Keine Ahnung, was Dir an Plot vorschwebt. Aber ich stelle mir jetzt einmal vor, ich würde beim Saubermachen in der Battalionsbibliothek in einer verstaubten Kiste hinter dem Klo eine Ausgabe des Necronomicons finden, oder beim Blättern feststellen, das es sich beim Clausewitz Exemplar lediglich um den Einband handelt, der eine Ausgabe von "Unausprechliche Kulte" tarnt.....oder, wenn jemand lieber Agententhriller mag, das Schmierpapier in der Schreibtischschublade stellt sich als die Rückseiten von Putins Aufmarschplänen für Mittelerde heraus.  ;)
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Depression