• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Fantasy-Literatur = Realitätsflucht?

Begonnen von Ary, 16. September 2008, 11:51:03

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Ary

ZitatFantasy kann tatsächlich zu einem Realitätsverlust führen.
Fantasy lesen? Ich weiß ja nicht. Ich hatte mal einen ziemlich heftigen Anfall von Realitätsverlust nach einem Liverollenspiel. Da habe ich ein ganzes Wochenende einen Charakter gespielt, ich WAR das ganze Wochenende jemand anderes. Dass man durch so ein intensives Spielen einen Realitätsverlust erleiden kann, ist mir durchaus bewusst (hat sich nicht schön angefühlt, ich will sowas nie wieder erleben - trotzdem habe ich bis heute nicht aufgehört, an Liverollenspielen teilzunehmen).
Ich kann in einem Buch versinken, lesen und die Zeit vergessen - aber einen solchen Realitätsverlust hatte ich noch nie durch lesen. Und ich BIN weg, wenn ich lese und das Buch packt mich. Frag meinen Mann. :)
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Grey

Zitat von: Tenryu am 17. September 2008, 20:52:16
Irgend eine Korrelation mit unserer gegenwärtigen sozioökonomischen Verfassung muß da vorliegen.

So weit würde ich mich jetzt nicht unbedingt aus dem Fenster lehnen (es sei denn natürlich, du hast konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es tatsächlich so ist.

Ich vermute viel eher, dass es was damit zu tun hat, dass Peter Jackson sich überlegt hat, er könnte ja mal ein dreiteiliges Fantasy-Kino-Epos auf die Leinwand bringen. Und ein gewisser Hype um einen gewissen Herrn Potter wird wohl auch einen Anteil daran gehabt haben, dass das ganze Genre eine Art Revitalisierung verpasst bekommen hat ... Naja, und was soll ich sagen, HdR war schon lange vorher beliebt, und dass jugendliche Hexen und Zauberer Popularitätspotential haben, wissen wir spätestens seit Bibi Blocksberg ;)

Manja_Bindig

ZitatOb man diese Art der Realitätsflucht wirklich braucht, will ich mal anzweifeln. Früher haben die Leute auch nicht massenhaft Romane gelesen.

@Tenryu: Dafür hatten sie andere Fluchten. Religion war ja sehr beliebt... der Glaube an ein schönes Leben nach dem Tod ist auch eine form der Realitätsflucht. Dazu braucht es keine Romane.
Und JA, man braucht diese Realitätsflucht. Warte einmal auf einen wirklich kreuzmiserablen Tag. Und zwinge dich dazu, NICHT Trost und Erheiterung in ein paar angenehmen Gedanken, Büchern oder fernsehen zu finden(dazu gehört auch, dass du NICHT an dein Weiches Bett denkst, das auf dich wartet).
Na? Ist der Tag erträglich?

Siehst du - wir begehen tagtäglich Realitätsflucht. Immerzu. Ohne ein Buch zu lesen. Aber würden wir uns diese kleinen Fluchten nciht schaffen, würden wir irgendwann ganz schlicht und ergreifend am alltag kaputtgehen. Es hält geistig und seelisch gesund.

Tenryu

Eigentlich denke ich fast die ganze Zeit an mein weiches Bett.  :gähn: *gähn* Ich gehe jetzt meinen Mittagsschlaf machen und entziehe mich für ein paar Stunden der Realität.  :omn:

Churke

Ich  behaupte mal, dass die Betroffenheitsliteratur auch eine Form von Realitätsflucht ist. Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt... ::)

Maja

ZitatIch  behaupte mal, dass die Betroffenheitsliteratur auch eine Form von Realitätsflucht ist. Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt...

Ich stimme da dem Churken voll zu, und zwar, weil ich diese Betroffenheitsliteratur als Kind meterweise gelesen habe, freiwillig. Die Wirklichkeit um mich herum waren Schnepfen, die sich für Mode und Popmusik interessierten, was ich aus Prinzip ablehnen mußte. Sie waren garstig zu mir, aber ich konnte sie ausblenden, denn die Bücher, die ich las, handelten von Leuten, denen es noch viel schlechter ging als mir - Straßenkinder in Chile, Drogenabhängige in Berlin, politische Gefangene in Südafrika. Ich hatte keine Ahnung, und kein Interesse, wenn es um Dinge ging, die direkt vor meiner Nasenspitze passierten. Dafür war ich aber wirklich gut informiert über Weltpolitik und das Schicksal von Kindern auf der ganzen Welt. Geschadet hat mir das nicht in erster Instanz, Bildung ist immer gut. Aber die Einsamkeit, die ist mir auf lange Sicht dann doch nicht so gut bekommen...
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

caity

Hallo,

mein Post richtet sich jetzt vor allem an Aryana und Feuertraum:
Ich glaube das Problem, warum wir nicht übereinstimmen, sind unsere unterschiedlichen Auffassungen von "Realitätsverlust" haben. Für mich ist Träumen und sich eine bessere Welt vorstellen, auch eine Form von "Verlust" oder "Flucht" vor der Realität. Zumindest in diesem *Moment* hat man die Realität ja nicht mehr parat. Man taucht in eine andere Welt ab und das tut man auch bei Nachkriegsliteratur (übrigens schließe ich da jetzt Geschichtsbücher oder etwas dergleichen aus, es geht wirklich um Romane oder erzählte Geschichten!). Man verabschiedet sich von seiner Welt und taucht - zumindest vorübergehend - in eine andere Welt ab. Der Grund dafür, weshalb man das tut, sehe ich immer in der Flucht. Ich kenne einfach keinen anderen. Warum sollte man sonst abtauchen wollen?
Aber wie gesagt: Man kann nach diesem Verlust, nach dem Beenden des Buches oder nachdem man nicht mehr liest, sofort wieder in die Realität zurückfinden, also ist diese Form von Realitätsverlust oder Flucht vor der Realität in meinen Augen nicht negativ behaftet. Anders als das, was du jetzt beschrieben hast, Aryana. Das sind für mich unterschiedliche Arten von "Realitätsverlust".

Bye
caity
Wenn ein Autor behauptet, sein Leserkreis habe sich verdoppelt, liegt der Verdacht nahe, daß der Mann geheiratet hat. - William Beaverbrook (1879-1964)

Lomax

Ach ja, die Realität wird ohnehin weithin überschätzt. Ich fand es schon als Kind mühsam, Kontakt zur Außenwelt zu halten - lange bevor ich die Fantasy kennen lernte ;) Wenn ich mich nicht darauf konzentriere, verblasst meine Umwelt; schon beim Zeitlunglesen lebe ich in der Zeitung - ist das realistischer als Fantasy, selbst wenn die Zeitung die Welt abbildet?
 Wenn ich schreibe, spüre ich schon massivere Probleme, alle Realitätsdaten noch zu sortieren. Mitten in einem intensiven Projekt wird der Roman für mich wirklicher als das, was um mich her passiert. Hat auch nicht viel mit Fantasy zu tun. Bei Lektoraten, die schnell durchgepeitscht werden müssen, ist es ähnlich. Ich sage immer, wir leben in einem darwinistischen System - auch die Realität bekommt nur die Aufmerksamkeit, die sie sich erkämpfen kann ;D
 Was manch einer als Realität bezeichnet, ist dann ohnehin oft sehr willkürlich. Menschen müssen essen, überleben, sich fortpflanzen - das sind materialistische Imperative. Aber schon das komplexe Zusammenleben in einer modernen, sozialen Gemeinschaft ist ein Konstrukt; eine Erfindung, in die sich mehrere Menschen gemeinsam zurückgezogen haben.
 Ich denke, auch Kordon würde den Einsatz für Demokratie, Menschenrechte, moralische und ethische Werte als realitätsbezogen ansehen - und doch sind das Ideale, und man muss seinen Blick auf die Ideale gerichtet halten, um sie im Alltag leben zu können. Wir alle sehen von der Welt um uns her nichts weiter als das Modell, das unser Geist aus verschiedenen Sinneseindrücken und auf Grundlage gewisser Denkalgorithmen zusammensetzt.
 Was wir als Wirklichkeit empfinden, ist tatsächlich stets ein sehr wüstes Gemisch von materiellen Grundlagen und unterschiedlichen Formen der Imagination. Wäre es anders, müssten die Leute, die die "Realität gestalten" wollen, sich nicht immer so darüber streiten, wie die Wirklichkeit nun tatsächlich funktioniert. Würde es eine Wirklichkeit geben, könnten nicht Sozialismus, Christentum etc. parallele und einander widersprechende "Weltbilder" anbieten, jeweils mit dem Anspruch verknüpft, die einzig wahre Beschreibung der Wirklichkeit zu liefern.
 Es gibt vermutlich eine "reale" Welt da draußen. Aber schon das Denken lenkt uns von ihr ab. Und die Geschichte ist voll von sehr unrealistisch denkenden Personen, die doch das Schicksal von vielen sehr spürbar gestalten. Man könnte sich also mitunter denken, dass es besser wäre, wenn mehr Leute ihre Phantasien in Fantasybüchern auslebten als in der "Wirklichkeit".

Karin

#53
Ich habe eine Zeit lang überlegt, ob ich hierzu etwas sagen soll, denn zu schweigen wäre so viel bequemer und einfacher und ich gehe nicht davon aus, wirklich vermitteln zu können, was mir an diesem Artikel von Herr Kordon und an dieser Diskussion solches Kopfzerbrechen macht. Es wird also wohl ein langer Beitrag werden, nachdem ich mit dem, was ich hier zu sagen habe, nach vier Seiten im Thread vollkommen alleine dastehe.

Vorausgeschickt: Ich kenne zwei Bücher von H. Kordon, beide in den achziger Jahren entstanden: "Die Roten Matrosen" und "Monsun oder der weiße Tiger". Und das sind großartige Jugendbücher. Wirklich spannend und informativ ohne den nervigen Zeigefinger.
Bei den Roten Matrosen geht es um eine Revolution, die den 1. Weltkrieg beendete und man wird in die Welt eines Arbeiterkindes eingeführt, spürt sein Frieren, seinen Hunger... Sehr gut.
Monsun spielt in Indien und wieder geht es um einen Jungen, der arbeiten gehen muss. Und wieder erfährt man, weil das Setting eben dort spielt, unaufdringlich etwas von dieser Kultur.

In beiden Büchern lernen diese Arbeiterkinder, aufrecht zu stehen und sich nicht unterkriegen zu lassen.

Auch vorausgeschickt: ich war einige Jahre in der politischen Jugendarbeit engagiert und das war eben auch in diesen achziger Jahren (ja, dazu bin ich alt genug). Auch Arbeiterklasse, Bildungsarbeit.

In den zwei Büchern von H. Kordon, die ich gelesen habe, sehe ich genau diesen Anspruch: die Augen zu öffnen und Jugendliche dazu zu bringen, für sich selbst einzustehen und etwas besseres aus ihrem Leben zu machen.

Es gibt ja noch mehr Jugendbuchautoren dieser Generation, die einen solchen Anspruch haben.

Nehmen wir diesen Artikel aus Zeit-online mal als das, was er ist: kurz
Und nehmen wir dann einmal an, dass er vor allem gelesen werden sollte, also reißerisch sein musste.
Dann nehmen wir die Tatsache an, H. Kordon hat mehr als drei Aussagen getroffen, von denen in diesem Artikel keine weitere Platz gefunden hat (natürlich weiß ich das nicht, aber man kann ja wohl davon ausgehen, dass er nicht nur Bruchstücke herauslässt) - und dann nehmen wir an, durch Herausschnippeln von bestimmten Passagen aus einem Kontext kann man Meinungen lenken.

Kann man dann so ohne weiteres hergehen, und diesen Artikel als Wahrheit ansehen und einen Schriftsteller dafür verdammen?

Was er über die Masse an Unterhaltung minderer Qualität im TV sagt, ist ja mal Tatsache. Natürlich gibt es immer noch gute Sendungen, aber viel mehr Schrott unter der Gürtellinie, als noch vor 20 Jahren. Das ist unbestritten.

Dann gibt es natürlich momentan einen Fantasy-Boom im Jugendbuchsektor und daneben gehen die aufrüttelnden Bücher unter. (Gut, kann ich verstehen, ich lasse mich auch gerne unterhalten und mache einen Bogen um Jugendproblembücher und ich schreibe solche auch nicht. Wobei die 2. o.g. Bücher von H. Kordon keine Jugendproblembücher sind und trotzdem aufrütteln.)

Und dann meint H. Kordon diese wirklich unglückliche Formulierung "so ein HarzIV-Kind" vielleicht gar nicht abwertend, sondern als Sinnbild für diese Kinder der Arbeiterklasse, die er in seinen Büchern so gerne aufrüttelt und dazu bringt, zu kämpfen, nicht aufzugeben, aufrecht zu stehen und etwas aus ihrem Leben zu machen.

Und dann denkt er vielleicht, - ich meine, aus dem Artikel geht ja nun wirklich nichts hervor und wenn man in die von der "Zeit" gelenkte Richtung spekulieren darf, dann darf man es ach in andere Richtung, - durch die momentane Berieselung im Fernsehen und im Buchmarkt werden sie dazu nicht genug angespornt, sondern eher noch von ihren Möglichkeiten abgelenkt, als darauf hingewiesen.

Hat er damit tatsächlich so unrecht?

Und dann hat dieses Zitat (ich denke, es ist kurz genug, um es posten zu dürfen)

"Ich stelle mir so ein Hartz-IV-Kind vor, das nur Geschichten über Prinzessinnen und Drachen liest und die Wirklichkeit völlig ausblendet."

plötzlich einen ganz anderen Hintergrund. Vor allem, wenn man das NUR betont. Wenn dieser Mann annimmt, die Leute, die momentan heranwachsen, machen keine politische Bildung mehr durch, werden nicht gefördert, nicht zu selbstständigen, kämpfenden Menschen heranerzogen, sondern zu Konsumenten ohne Widerspruch, dann ist seine Sorge berechtigt.

Und nein, damit sage ich nicht, dass es genauso ist und unsere Jugend nur konsumiert. Wirklich nicht! - Aber das momentane TV-Programm und die am meisten beworbenen Bücher lassen diesen Eindruck entstehen.

Dann wollte er (wie gesagt mit der Betonung auf nur) nicht hetzen, sondern aufrütteln und erreichen, dass es mehr gibt als Unterhaltung, eben auch Unterhaltung, die einem vor einem realen Hintergrund die Möglichkeit der Selbstbehauptung aufzeigt und Mut macht.

Gut, ich bin Fantasy-Autorin, ich weiß, dass es sehr viele F-Bücher gibt, in denen genau das versucht wird: Küchenjunge muss die Welt retten...

Aber ein Mann wie Klaus Kordon wünscht sich vielleicht einfach nur, dies vor einem realen Hintergrund zu tun, um Jugendlichen, die benachteiligt sind, einen etwas konkreteren Weg zur Selbstverwirklichung aufzuzeigen, als ein Schwert und einen Zauberer, die einen dazu anleiten, mit einem magischen Artefakt die Welt vorm Bösen zu retten.

Wie gesagt, ich kenne nicht mehr als diese 3 Aussagen in dem Zeit-online-Bericht, genau wie alle anderen. Aber es ist möglich, dass H. Kordon es gut gemeint hat und dass diese Ausschnitte aus seinen Aussagen nur wieder eine Meinungsmache sein sollten, um die Leserzahlen und damit die Werbeeinnahmen zu erhöhen. Es verkauft sich besser, jemanden über einen derzeitig beliebten Bereich lästern zu lassen, als all seine Aussagen zu drucken und ihn verstehen zu können.

Und das sollte uns bewusst sein, bevor wir uns dazu benutzen lassen, diese Hetz-Maschinerie anzukurbeln. Solange man nicht wirklich weiß, was hinter diesen Aussagen steckt, sollte man nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen. Umgekehrt würde es uns auch nicht gefallen, wenn man 3 Aussagen von einem von uns aus einem Kontext herausschnippelt und damit eine Hexenjagd startet.

So, dieser Beitrag hat jetzt wahrscheinlich die Höchstlänge überschritten. ;)

Viele Grüße,
Karin

Lomax

Zitat von: Karin am 26. September 2008, 15:55:08Hat er damit tatsächlich so unrecht?
Wie ich anderswo schon mal geschrieben hatte - ich fände es nicht fair, darüber zu reden, in welchen Punkten er mit seinem pauschalen Angriff Recht hat. Was unzweifelhaft der Fall ist. Aber er hat diese berechtigten Anliegen und richtigen Aussagen so konkret mit der Kritik an einem Genre verknüpft, ohne dass diese pauschale Verknüpfung in irgendeiner Weise sachlich gerechtfertigt ist.
  Natürlich kann man davon ausgehen, dass die Aussage in der journalistischen Darstellung zugespitzt wurde - aber ebenso natürlich hätte Herr Kordon mit dieser Zuspitzung rechnen müssen. Und er hat durch die populistische Verschlagwortung der Problematik auf die Fantasy selbst die Vorlage zur Zuspitzung geliefert.
  Herr Kordon hat damit eine Sündenbockdiskussion initiiert. Ich finde diesen Ansatz der Problemlösung an sich schon so indiskutabel, dass ich nicht mal bereit bin, wenn jemand so anfängt, dann noch ernsthaft über die Probleme zu reden, die dem Sündenbock zugeschoben werden. Selbst dann, wenn diese Probleme tatsächlich vorhanden sind, und selbst wenn der Sündenbock tatsächlich eine Mitverantwortung tragen sollte. Andere mögen das anders sehen; aber die Art, wie Herr Kordon in diesem praktischen und realen Beispiel ein soziales Problem anzugehen versucht, stellt für mich in erheblichem Umfang in Frage, ob er überhaupt geeignet ist, konkrete und ethisch einwandfreie Wege zur Selbstverwirklichung aufzuzeigen.
  Und, wie gesagt: Ohne Zweifel sind die Zitate von Herrn Kordon aus dem Zusammenhang gerissen worden und werden jetzt in der Presse bevorzugt in der zugespitztesten und vereinfachsten Form diskutiert. Andererseits, wer eine differenzierte Abhandlung unter einer möglichst reißerischen, irreführenden Überschrift publiziert, um durch diese Überschrift maximale Aufmerksamkeit zu bekommen, der darf sich danach ja nicht darüber beklagen, dass immer und überall nur diese Überschrift zitiert wird. Denn auch für die trägt er die Verantwortung.

In meinen Augen hat Herr Kordon mit einer Schrottflinte in einen von vielen Spaziergängern bevölkerten Wald geschossen. Muss man wirklich noch darüber diskutieren, ob das nicht vielleicht doch gerechtfertigt gewesen sein könnte, weil er dabei ja auch einen Hasen getroffen hat und tatsächlich auch Hasen in diesem Wald herumlaufen?

Rhiannon

Wie Maja schon sagte,  auch mit der Betroffenheitsliteratur oder den Büchern von Herrn Kordon kann man der Realität entfliehen und sich der Realität versperren. warum dann Hetzjagd auf ein Genre? Das macht doch überhaupt keinen Sinn! Ich kann manchen Genres nichts abgewinnen und muss sagen, dass ich, obwohl ich Fantasy-Autorin bin, sogar mit urban-Fantasy nichts anfange, na und? Deshalb lasse ich diesen Genres trotzdem ihren Raum! Und das ist eigentlich das, was mich aufregt: Bei der Literatur kann man auf das momentan aktuelle Genre einprügeln, wenn man der Meinung ist, die Menschen sollten auch wieder einmal etwas anderes lesen. Beim Alkoholismus kümmert sich auch keiner darum, welche Marke gerade besonders stark getrunken wird! Und Fantasy ist nicht schädlicher, als andere Bücher, man muss nur darauf achten, wer sie liest.

Karin

Mir ging es darum, deutlich zu machen, dass man nicht alles, was in der Zeitung steht, einfach als wahr ansehen darf. Auch durch Auslassung kann man Wahrheiten verändern. Was ich geschrieben habe, war ein Aufruf zum kritischen Lesen, keine Stellungnahme, inwiefern diese paar Sätze berechtigt sind.

Ob Fantasy nun Realitätsfluch ist oder nicht, interessiert mich persönlich nicht einmal, wäre für mich also nicht einmal einen Zeitungsartikel wert. Bücher oder Filme, die gut genug sind, einen zu fesseln, - egal welches Genre - nehmen einen immer ein Stück in eine andere Wirklichkeit mit und Fantasie und Einfühlungsvermögen sind nun einmal menschliche Eigenschaften - und das ist gut so, ich genieße es.

Ciao, Karin

Steffi

Zitat von: Maja am 16. September 2008, 12:06:54
Ich denke mal, das Problem ist hier die Realitätsflucht des Klaus Kordon, der sich schönreden muß, warum kein Kind seine Bücher lesen will.

Dem muss ich mal widersprechen. Ja, ich hab sein Buch auch in der Schule gelesen, aber ich fands absolute klasse damals. Ich möchte hier auch mal entschieden gegen das Vorurteil angehen, "Problembücher" werden von Kindern nie gelesen oder gemocht. Ich hab solche Bücher von jeher gern gelesen, nicht nur in der Schule. Das meiste sogar in der Freizeit. Die große Differenz zwischen Büchern, die nach eigenem Empfinden unter Qualen gelesen werden müssen und die man gerne liest mag in diesem Forum besonders groß sein, eben weil es zwei sehr verschiedene Genres sind. Aber ich glaube nicht, dass jedes Kind automatisch Harry Potter einem Buch wie Die Welle vorzieht.

Im Übrigen unterschreibe ich Karins langen Post :)
Sic parvis magna

Lomax

Zitat von: Steffi am 26. September 2008, 20:15:34Aber ich glaube nicht, dass jedes Kind automatisch Harry Potter einem Buch wie Die Welle vorzieht.
Nun ja, aber wohl doch die meisten. Und genau das ist es, nüchtern betrachtet, was Klaus Kordon kritisiert - selbst wenn man die ganze Diskussion zu seinen Gunsten auslegt, alles wegdenkt, was die Presse verbogen haben mag, sondern das ganze auf die eine, nackte Kernaussage reduziert.

Und da muss man schon sagen, dass die Kritik ein "Geschmäckle" hat. Und zwar genau so, als wenn ein Manager die Managergehälter in Deutschland als viel zu niedrig ansieht, der Chef eines Stromunternehmens den Strom viel zu billig findet, die Politiker sich selbst ihre Diäten erhöhen ... Natürlich ist es eine Unterstellung zu sagen, dass die Betreffenden keine Sachgründe für ihre Behauptungen haben, sondern nur Eigennutz - aber es ist eine naheliegende Unterstellung.
  Wer in so einer Position als persönlich Betroffener und als persönlicher Nutznießer der geforderten Änderung solche Äußerungen tätigt, sollte vorher wissen, dass er der Glaubwürdigkeit seines Anliegens mehr schadet als nutzt - und er kann für die Reaktionen niemand anderen verantwortlich machen als sich selbst.
  Wenn er etwas Wahres zu sagen hat, dann sollte er darauf achten, dass er einen anderen, Unbeteiligten findet, der das sagt. Und wenn ein Anliegen auch nur eine Spur von Rechtfertigung hat, dann sollte man auch ohne Probleme zumindest eine unverdächtige Person finden, die es vertritt.

Lomax

Ach ja, ein Nachtrag noch: Ich habe die Stellungnahme von Kordon gelesen, in der er sich über die verschiedenen Kritiken zu seinen Äußerungen beklagt, auf die vereinfachte Darstellung in der Presse verweist und ansonsten einen verständnisvolleren Umgang mit seiner Position einfordert. Es gibt ja Leute, die sich diese Argumentation zu Eigen gemacht haben, sogar ein schlechtes Gewissen für ihre Kritik bekamen. Ich muss sagen, das ist bei mir nicht der Fall.
  Ganz im Gegenteil: Je mehr ich über die Rechtfertigung von Herrn Kordon nachdenke, umso mehr ärgere ich mich darüber.
  Seine ursprüngliche Kritik hat mich eigentlich nicht geärgert. Was er zur Fantasy gesagt hat, war alt und abgenudelt und tausendmal gehört. Außerdem gehört es ja zur Meinungsfreiheit, dass jeder seine Meinung äußern darf - so blödsinnig sie auch sein mag. Das ist mir sehr wichtig, und da fand ich es nur fair, wenn Herr Kordon sagt, was er sagen will, weil alle übrigen dann eben auch einfach sagen können, was sie davon halten, und damit ist das Gleichgewicht gewahrt.

Es gibt allerdings einige Verhaltensweisen, die mich ganz allgemein wirklich ärgern:
1. Wenn jemand selbst mit der groben Kelle austeilt, dann aber tief betroffen reagiert, wenn diejenigen, die sich davon angegriffen fühlen, auf demselben Niveau antworten.
2. Wenn jemand unterstellt, dass diejenigen, die eine andere Meinung vertreten, nur nicht wirklich verstanden haben, was er eigentlich sagen wollte. Oder, in dem Falle, nicht wirklich den Unterschied zwischen einem Presseartikel und seiner tatsächlichen Meinung verstanden haben. Damit fügt der Betreffende nämlich noch "insult to injury" - weil er damit seinem Gegenüber ja Dummheit unterstellt durch die implizite Behauptung, dass jeder, der schlau genug ist, ihn richtig zu verstehen, ihn auch nicht mehr kritisieren könnte.
3. Wenn ein Autor anderen vorwirft, dass sie ihn "missverstanden" haben. Als wäre es nicht die Aufgabe eines Autors, sich verständlich zu machen, sondern vielmehr die Verpflichtung des Rezipienten, jedes kommunikative Unvermögen des Autors auszugleichen. Dabei darf sich ein Autor allenfalls ärgern, wenn er missverstanden wurde - aber er muss sich selbst in der Verantwortung sehen, daran zu arbeiten und das zu verbessern.

In seiner Stellungnahme hat Klaus Kordon es nach meinem Empfinden geschafft, wirklich alle diese drei Punkte abzuhaken.

Seine Genrekritik war eher langweilig. Aber seine Replik, die ja nicht durch die "böse Presse" bearbeitet wurde, lässt auch keinen Willen zur Versachlichung jenseits der Polemik erkennen. Was ich vermisst habe, war irgendeine konkrete Distanzierung von einzelnen, aus dem Pressebericht herauslesbaren Äußerungen, durch die sich Autorenkollegen aus dem Fantasybereich undifferenziert auf die Füße getreten fühlen konnten, oder eine sachliche Begründung für seine Aussagen, mit denen er den konkreten Argumenten der Kritiker entgegengetreten wäre. Da kam nur ein allgemeines Blabla und die Äußerung, dass er ja leider keine Zeit habe, seine ansonsten wohldurchdachten Ansichten nachvollziehbar zu vertreten.
  Er behauptet zwar, missverstanden worden zu sein, eine differenzierte Meinung zu haben und sich auch der Tatsache bewusst zu sein, dass eine literarisch wertvolle Fantasy gibt, die er ja nicht pauschal kritisieren wollte. Aber diese seine Äußerungen waren ein "Tell", kein "Show", und haben damit zumindest mich nicht eben dazu ermuntert, nach den bedenkenswerten Inhalten in seiner Kritik Ausschau zu halten.