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Charaktere basteln mit FATE

Begonnen von Minna, 15. Oktober 2018, 11:43:43

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Minna

Ich hatte schon ein oder zwei mal erwähnt, dass ich gerne Charaktere mit Hilfe des Fate Systems erschaffe, oder verfeinere. Dieses System hilft mir sehr die beiden Probleme zu umgehen, die in Kyvenns Thread erwähnt wurden:

1.   Meine eigenen Charaktere sind meistens nicht eigenständig genug. Sie haben zu sehr eine Allerweltspersönlichkeit.
2.   Ich kenne meine Charaktere nicht gut genug in Bezug darauf wie sie ticken.
3.   Es wird schwer einen Überblick über die Charaktere und ihre Eigenschaften zu behalten.

Da das System aber (zumindest für mich) erst mal schwer zu erfassen ist, möchte ich euch hier einen kleinen Überblick geben, wie ich das System aufgefasst habe und anwende.

1.   Was ist Fate?
Fate ist ein System für Pen- and Paperrollenspiele. Die Besonderheit des Systems liegt für mich in der Verwendung von Aspekten um Personen, Orte und Situationen zu beschreiben.

2.   Was sind Aspekte?

-   Dienen dazu, ein Bild davon zu zeichnen, wer die Spielfigur ist, welche Verbindungen sie zur Spielwelt hat und was für sie wichtig ist
-   Z.B. Beziehungen, Glaubensätze, Sprüche, Beschreibungen, Gegenstände oder alles Mögliche andere, das geeignet ist, eine Spielerfigur treffend zu beschreiben
-   Beispiele: Eine Braut in jedem Hafen, Ich verdanke dem alten Finn alles, Manieren einer Ziege, Der Ring der Rose hat ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt, Mein Spiegelbild zeigt mir was ich sehen möchte

Quelle: http://faterpg.de/2010/11/aspekte/


3.   Wozu werden sie verwendet?


1.   Im Spiel: Dienen sie dazu dem Charakter Boni auf eine Probe zu geben. (z.B. Der Charakter ist auf der Suche nach Informationen über einen Schmuggler. Da er eine Braut in jedem Hafen hat, fällt es ihm leichter diese zu bekommen.) Oder der Spielleiter kann die Aspekte seiner Spieler aufrufen, um diese in Schwierigkeiten zu bringen. (Bleiben wir beim Beispiel von oben. Aber diesmal versucht der Charakter mit einer geheimnisvollen Fremden zu flirten um an Informationen zu kommen. Da er aber eine Braut in jedem Hafen hat, kommt in just diesem Moment eine seiner Liebschaften durch die Tür und knallt ihm eine, weil er sie sitzen gelassen hat. Natürlich flirtet die Fremde jetzt nicht mehr so bereitwillig.) Je nach Spielsystem (es gibt ein paar Varianten) hat jeder Charakter 5 bis 7 Aspekte.

2.   Beim Schreiben:

-   Das Formulieren aussagekräftiger Aspekte braucht ein bisschen Übung wenn es denn aber klappt, dann hat man den Kern seines Charakters in 5 kurzen Phrasen beschrieben. Das verringert die Zettelwirtschaft. Nebencharaktere bekommen bei mir 1-3 Aspekte. Es gibt im Internet viele Tipps dazu, wie man gute Aspekte formuliert, wenn Interesse besteht können wir aber auch gerne hier im Forum an ein paar Charakteraspekten feilen.

-   Für die Bauchschreiber, man kann auch mit ein oder zwei Aspekten je Charakter anfangen und weitere später ergänzen.

-   Diese Beschreibungen sind aber immer noch flexible genug um sie den Geschehnissen im Roman an zu passen oder neu zu interpretieren. Beim Schreiben des Romanes oder beim Feinplotting schreibe ich meistens mit wann ich welchen Aspekt wie interpretiert oder genutzt habe, um Widersprüche zu vermeiden und zu überprüfen welche Eigenschaften wie oft erwähnt werden.

-   Durch den Focus auf 5 bis 7 Aspekte wird das Charakterkonzept bei mir knackiger, als wenn ich seitenlange Charakterinterviews benutze. Und ich sehe auch auf einen Blick, was den Charakter einzigartig macht. Wenn er noch zu sehr nach Joe Jedermann klingt, dann muss ich noch an den Aspekten feilen. Auch beim Schreiben versuche ich diese Aspekte immer wieder mit ein zu beziehen, wenn ich überlege wie der Charakter in diesem Moment handeln könnte. (Noch so etwas das mir beim Fanfiction schreiben aufgefallen ist- auch komplexe Charaktere lassen sich in einer Hand voll Kernkonzepte beschreiben).

-   Außerdem kann ich diese Aspekte genau wie der Spielleiter nutzen, um meinem Charakter zu helfen oder ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Und das macht doch eine gute Story angeblich aus-  das der Charakter sie selbst bestimmt und sich selber in die Bredouille bringt.

Habt ihr das System schon mal zum Schreiben verwendet?
Was haltet ihr davon?
Wie würden eure Charaktere aussehen, wenn ihr sie über 5 Aspekte beschreiben solltet?

Liebe Grüße
Minna

Trippelschritt

Es ist schwer, etwas zu beurteilen, womit man nicht selber gearbeitet hat. Auch ist mir nicht so ganz klar, was ein Aspekt ist.

Auf jeden Fall ist es besser, als die gängigen Charakterbögen, weil diese mit ihren Details das Wichtigste erschlagen: Die Prioritäten der Eigenschaften.

Mir persönlich ist es aber immer noch etwas zu schematisch. Zumindest erschient es mir so nach der Beschreibung.

Mir liegt es fern, Charakterinterviews zu verteidigen, weil ich auch damit nicht arbeite, aber diese haben den vorteil, dass sie recht schnell eine persönliche Stimme einer Figur kreieren können.

Wenn ich mit Aspekten arbeite - und ich weiß jetzt nicht, wo die Parallelen liegen, bin aber auf die Antwort neugierig - dann gibt einige, die immer sein müssen.
An erster Stelle stehen immer die Wünsche und Ziele der Figur.
An zweiter Stelle wäre es gut, ihre Fehlwahrnehmung der Realität festzuhalten, weil das für die Hauptkonflikte sorgt. Da das aber schwierig ist in einer ersten Phase, kann das auch nachgereicht werden.
Die soziokulturelle Prägung gehört auch immer zu den ersten drei Aspekte. Darunter gehört alles aus der Vergangenheit. Was sie gelernt hat, was sie nicht kann. Wer ihre Eltern waren etc.

Das ist der Start, weil man damit Vergangenheit und Zukunft zumindest angerissen hat.

Dann würde es sich noch lohnen, mindestens eine Besonderheit zu kennen, bevor man zu schreiben anfängt, denn niemand will eine Durchschnittsprotagonistin haben. Die Besonderheit kann aber auch schon in den ersten Punkten auftauchen.

Das wäre meine Empfehlung. Und jetzt würde es mich interessieren, wo das in Deinem System auftaucht. Denn das wird es, weil es überall auftaucht, wenn man eine gute Figur erschaffen will.

Danke für Deinen Thread.
Trippelschritt

Churke

Zitat von: Minna am 15. Oktober 2018, 11:43:43
Was haltet ihr davon?

Für ein Rollenspiel sicherlich tauglich, aber wie stellst du bei einem Roman die Verbindung zum Plot her? Der Charakter muss ja zur Figur passen.

Kyvenn

#3
(Ja, ich weiß, nach meinem Thread sollte ich womöglich nicht hier schreiben, aber ich habe gelernt! :buch: )

Zitat von: Churke am 15. Oktober 2018, 13:11:25
Für ein Rollenspiel sicherlich tauglich, aber wie stellst du bei einem Roman die Verbindung zum Plot her? Der Charakter muss ja zur Figur passen.

Genau da sehe ich auch das Problem... Es ist immer noch ein Unterschied, ob man den Charakter in einem Pen & Paper spielt und dort den Meister regelmäßig zur Weißglut treibt, weil man nicht das tut, was er will (ich erinnere mich noch an eine Partie DSA, in der ich als Schelm die Aufgabe hatte, alle Spieler gegeneinander aufzuhetzen, weil das meinem Charakter nun einmal entsprach) oder ob der Charakter in einer Geschichte Platz finden soll, die du lenkst und an die er sich anpassen muss (in gewisser Hinsicht). Schließlich ist dein Charakter nicht der Einzige in der Geschichte, der machen kann, was er will, und niemand stört sich daran.

Hinsichtlich der Aspekte könnte es helfen, den Charakter auf die "essentiellen" Sachen herunterzubrechen, aber die Dinge, die Trippelschritt schon angesprochen hat, also

Zitat von: Trippelschritt am 15. Oktober 2018, 12:20:02
An erster Stelle stehen immer die Wünsche und Ziele der Figur.
An zweiter Stelle wäre es gut, ihre Fehlwahrnehmung der Realität festzuhalten, weil das für die Hauptkonflikte sorgt. Da das aber schwierig ist in einer ersten Phase, kann das auch nachgereicht werden.
Die soziokulturelle Prägung gehört auch immer zu den ersten drei Aspekte. Darunter gehört alles aus der Vergangenheit. Was sie gelernt hat, was sie nicht kann. Wer ihre Eltern waren etc.

fehlen eben bei solchen vorgegebenen Charakterbögen, weswegen ich die auch schon länger nicht mehr verwende.

Ich glaube, zur Orientierung an den wesentlichen Dingen ist es nicht schlecht, aber vollkommen verlassen würde ich mich nicht darauf  :hmmm:

Churke

Zitat von: Kyvenn am 15. Oktober 2018, 15:50:39
Hinsichtlich der Aspekte könnte es helfen, den Charakter auf die "essentiellen" Sachen herunterzubrechen, aber die Dinge, die Trippelschritt schon angesprochen hat, also

Nein. Der Punkt ist, dass du nicht jedem Charakter jede Eigenschaft zuweisen kannst. Ein Held kann nicht ängstlich sein, ein Womanizer nicht schwul, ein Mäzen nicht geizig.

Die Quelle zählt beispielhaft auf:

    Schlagfertig
    Fällt auf jede Schönheit rein
    ungehobelt
    sieht gut aus und weiß es auch
    Stur wie ein Esel

Wenn die Figur ein erfolgreicher Diplomat sein soll, kannst du ihr aus der obigen Liste nur Schlagfertigkeit und gutes Aussehen geben. Alles andere würde ihre Rolle crashen.

Minna

Schön zu sehen, dass es ein paar Leute interessiert^^

ZitatJa, ich weiß, nach meinem Thread sollte ich womöglich nicht hier schreiben, aber ich habe gelernt!

@Kyvenn: Nur herein spaziert. Unter anderem für dich habe ich den Thread ja erstellt.

ZitatFür ein Rollenspiel sicherlich tauglich, aber wie stellst du bei einem Roman die Verbindung zum Plot her? Der Charakter muss ja zur Figur passen.

Das ist im Eingangsthread vielleicht nicht gut rausgekommen, aber das hier ist nicht das einzige System mit dem ich meine Charaktere erschaffe. Ich fange meistens mit Dan Wells 7 Punkte Plot an. Dann habe ich schon mal einen Hauptcharakter mit seinem Ausgangspunkt, Wendepunkt und Ziel für die Story. Der bekommt dann nach dem creating stunning character arcs System seine Wunde, Lüge, was er zu glauben braucht und was er wirklich braucht. Dann versuche ich langsam einen ,,Hauptplot" zu entwickeln und die ersten Nebencharaktere tauchen auf. Manchmal bekommen sie auch schon ein bisschen Background. Alles in allem sind diese Charaktere aber noch sehr eindimensional und oft ,,Joe Jedermann" und auch der Plot ist noch grob. Die ganzen hübschen Subplots und Spannungsbögen kenne ich noch nicht. Die Aspekte heraus zu arbeiten hilft mir heraus zu finden, was meine Charaktere besonders macht und gibt mir Inspirationen für die kleinen Try Failzyklen und Subplots der Geschichte. Oder im Gegenteil, wenn ich schon seitenlange Ideen für den Charakter zusammengetragen habe, dann hilft es mir den Kern heraus zu arbeiten. Ich glaube, wenn man in einer Geschichte versucht zu viele Aspekte eines Charakters zu zeigen führt das eher zu einer gewissen ,,Beliebigkeit" und Schwammigkeit. Ich vermute einprägsamer und prägnanter wird er wenn man sich auf ein paar Kernpunkte konzentriert und diese immer wieder eine Rolle spielen lässt.

Mal ein Beispiel meines Prozesses im
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


ZitatWenn ich mit Aspekten arbeite - und ich weiß jetzt nicht, wo die Parallelen liegen, bin aber auf die Antwort neugierig - dann gibt einige, die immer sein müssen.
An erster Stelle stehen immer die Wünsche und Ziele der Figur.
An zweiter Stelle wäre es gut, ihre Fehlwahrnehmung der Realität festzuhalten, weil das für die Hauptkonflikte sorgt. Da das aber schwierig ist in einer ersten Phase, kann das auch nachgereicht werden.
Die soziokulturelle Prägung gehört auch immer zu den ersten drei Aspekte. Darunter gehört alles aus der Vergangenheit. Was sie gelernt hat, was sie nicht kann. Wer ihre Eltern waren etc.

Das ist der Start, weil man damit Vergangenheit und Zukunft zumindest angerissen hat.

Dann würde es sich noch lohnen, mindestens eine Besonderheit zu kennen, bevor man zu schreiben anfängt, denn niemand will eine Durchschnittsprotagonistin haben. Die Besonderheit kann aber auch schon in den ersten Punkten auftauchen.

Wie schon gesagt gibt es verschiedene Subvarianten von Fate. In einer Version läuft die Charaktererstellung phasenweise ab: Kindheit, Jugend, Gegenwart und aus den Geschehnissen dieser Phasen sollen Aspekte erstellt werden. Bei einer zweiten Version erstellt man ein High Konzept (das quasi Klasse und Rasse umfasst) einen Trouble (die Eigenschaft/ Backgroundstory/ Beziehung welche dem Charakter die meisten Probleme bereitet) und drei weitere. Dafür zu sorgen, dass sich in diesen Aspekten möglichst viel von dem Hintergrund, den Wünschen, Sorgen und Lügen  eines Charakters spiegeln und das ganze möglichst ohne, dass sie sich widersprechen, ist übrigens das, was es so schwierig macht sie zu erstellen.

ZitatMir persönlich ist es aber immer noch etwas zu schematisch. Zumindest erschient es mir so nach der Beschreibung.

Für einen reinen Bauchschreiber mag das immer noch etwas schematisch sein, aber eigentlich ist es ja nur ein: Beschreibe deinen Charakter in 5 Schlagwörtern/-phrasen, die viele Rückschlüsse über ihn zu lassen. Ich liebe übrigens Schemata und das hier ist das so ziemlich flexibelste mit dem ich arbeite.  ;D

ZitatMir liegt es fern, Charakterinterviews zu verteidigen, weil ich auch damit nicht arbeite, aber diese haben den vorteil, dass sie recht schnell eine persönliche Stimme einer Figur kreieren können.

Das funktioniert für mich erst, wenn ich den Charakter schon gut kenne, ansonsten klingen sie ganz schnell einfach nur nach mir.

Hier sind mal drei Beispiele für euch. Zwei sind aus dem Internet geklaut, eines ist mein Nanocharakter:

Aragorn:
•   Rightful King of Gondor
•   Sauron's One Ring MUST Be Destroyed
•   Raised in Secret by the Elves
•   Chieftain of the Rangers of the North
•   Second Leader of the Fellowship of the Ring

Priestess of life and death:
•   High Concept: High Priestess of Kitche Manitou
•   Trouble: Soulwife of the Foul One
•   Touched by the Grave
•   "I will not go quietly into that dark night"
•   My whole life is a lie; lying is what I do!

Meline:
•   High Concept: She's a tramp (and she loves it)
•   Trouble: defender of the defenceless
•   Grew up in times of war
•   Mirrors show me what I wish to see
•   There's a herb for everything (so I learned by trail and error)

Im Spoiler mal eine etwas genauere Analyse von Melines Aspekten und wofür ich sie als relevant erachte. Mir fehlt noch ein bisschen was zu ihrem Verhalten, Auftreten und Kultur. Aber das hat sie mir noch nicht verraten. Außerdem habe ich nicht unter bekommen, dass sie singt und eine Schwester hat, mit der sie in Briefkontakt steht.
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Hat das jetzt geholfen oder noch mehr verwirrt? ;)

Liebe Grüße
Minna

Trippelschritt

Vor allem die Beispiele haben geholfen.

Damit diese Methode funscht, braucht es wahrscheinlich eine Menge Übung. Aber das muss keine Negativum sein.

Die Princess of Life and Death ist jetzt schon eine interessante Figur, die für eine ganze Geschichte so reicht.

Liebe Grüße
Trippelschritt