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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Maja am 24. Februar 2015, 00:23:18

Titel: Show, don't tell?
Beitrag von: Maja am 24. Februar 2015, 00:23:18
Wenn man mich fragt, welche Regeln man beim Schreiben beachten soll, ist meine Antwort einfach: Rechtschreibung und Grammatik. Die sind vorgeschrieben, in Stein gemeißelt und unumstößlich. Alles andere, egal was die Schreibratgeber sagen, sind bestenfalls freundliche Hinweise. Sie können für einige der Gral der Wahl sein, für andere nicht. Nicht jede Technik funktioniert für jeden. Und doch gibt es einen Satz, den höre ich von Autoren gebetsmühlenartig wiederholt: Show, don't tell. Zeigen, nicht erzählen. Rauf und runter, als ob man als Autor ins Gefängnis käme, wenn man es anders macht. Die Frage ist nur, warum?

"Show, don't tell" fordert einen Autor auf, dem Leser die Handlung des Buches wie einen Film abzuspielen, zum zurücklehnen und zuschauen. Und ebenso neu wie das Medium Film, im Vergleich zum Medium Buch, ist dieser Slogan auch. Schaut man sich die großen Romane des 19. Jahrhunderts an, Dickens, Dostojewskij, Hugo, Scott, Dumas, hat man es mit Erzählern zu tun. Großen Erzählern. Und obwoho sich heute unsere Lesegrwohnheiten verändert haben, im gleichen Maße, wie sich unsere Sehgewohneheiten verändert haben, sind diese Romane immer noch großartig. Sie werden nicht jedem gefallen, und sie können manchmal schwere Brocken darstellen, aber ihre Qualität ist unumstößlich, obwohl ihre Autoren von "Show, don't tell" noch nie etwas gehört hatten und diese Regel auch nicht einmal instinktiv beherzigt haben. Sie haben erzählt. Und das gut.

Ich will damit nicht sagen, dass mit "Show, don't tell" nicht auch großartige Romane rauskommen können. Erst neulich habe ich im Thread zum Thema "Noir Literatur" beschrieben, wie "The Maltese Falcon" einen Meilenstein der Literatur darstellt, weil er genau dieses "Show, don't tell" erfunden und zugleich zur Perfektion gebracht hat. Was mich stört an der Sache ist, dass zu viele Autoren denken, sie dürften keine Erzähler mehr sein, sie wären gezwungen, die Lektüre zum Kopfkino zu machen. Die Wahrheit ist, niemand wird zu irgendwas gezwungen, und Lesen ist kein Kinoersatz, sondern eine ganz eigene Erlebnisform.

Ich bin eine Erzählerin. Ich drehe meinem Leser keinem Film, ich male ihm mehr Bilder mit meiner Sprache, die direkt wie Sinneeindrücke wirken - zumindest ist das die Absicht. Ich zupfe an den Saiten der großen Gefühle. Und der Kleinen. Ich gebe Schönheit und Wortgewalt und Sätze, die man erst einmal entwirren muss, um sie zu verstehe, ich lasse meine Leser hin und her blättern, um eine Szene in Gänze zu erfassen. Die Bilder sind nicht statisch - es ist nicht so, dass in den Geschichten eines Erzählers sich nichts bewegt; hätte ich nur stille Bilder malen wollen, wäre ich Maler geworden und kein Erzähler. Aber im Vergleich zum klassischen Show-Stil sind bei mir die Eindrücke oft abstrakter, ich kann mich lange an einem einzelnen Geräusch festhalten, einem Schatten, dem Kräuseln einer Lippe.

Ich beschreibe nur wenige Dinge so klar, wie man sie in einem Film sehen würde. Frisuren, Gesichter, Kleidung - meine Figuren haben das alles, aber wo es nicht elementar wichtig ist, halte ich mich nicht lange dran auf. Ich verfasse auch keine endlosen Landschaftsbeschreibungen. Anders als im 19. Jahrhundert schreibe ich für Leser, die alle erdenklichen Ort schon gesehen haben, sei es in echt, auf Fotos und Filmen, oder in der Computernanimation. Ich muss das Rad nicht neu erfinden. Wie die Dinge aussehen, können sich meine Leser auch denken. Was ich ihnen gebe, ist die Wirkung. Ich halte mich nicht lange mit der Burg selbst auf, weil meine Leser schon einmal Burgen gesehen haben, aber ich gebe ihnen das Gefühl, ganz klein zu sein in ihrem Schatten, ohne die Burg nur einmal zeigen zu müssen.

Ich denke nicht, so selbstverliebt ich auch sein mag, dass ich mich in einer Reihe mit Fontante und Dostojewskij stellen darf, aber sie sind ganz klar meine Vorbilder, und ich sehe nichts verwerfliches darin, ihnen nachzueifern. Sicher, das ist unmodern und altmodisch, und wenn es jeder so machen würde, wäre es vielleicht anstreng. Aber ich mag es, ich lese so etwas gerne und ich schreibe so etwas gerne. Ich mag nicht krampfhaft zeigen statt erzählen, wo ich viel lieber erzählen würde. Wenn ich was zu zeigen habe, zeige ich das. Ich habe auch Handlung, meine Bücher sind nicht nur eine psychedelische Diashow, und ich muss meine Leser nicht unter Drogen setzen, damit sie meine Geschichten verstehen können. Ich weiß, dass nicht jeder etwas damit anfangen kann, und das ist okay. Ich mag Individualität, auch - oder gerade - in der Literatur. Und ich mag es, wenn Autoren auch mal was wagen und sich nicht an Konventionen aufhängen, sei es in Sachen Genre, sei es in Sachen Technik.

Alles ist erlaubt, wenn man es gut macht. Allüberall liest man, Sätze müssen kurz und prägnant sein, um zu wirken. Ich tue das Gegenteil und liefere meine Bücher mit einem sprachlichen Kompass aus für diejenigen, die sich in den Bandwurmsätzen verirren. Und für "Show, don't tell" gilt das gleiche: Man kann. Man darf. Man muss nicht. Schreibt, was ihr wollt und wie ihr es wollt, so, dass ihr daran Spaß habt und es euch gefällt. Wenn ihr eure Bücher verkaufen wollt, eine Agentur finden oder einen Verlag: Man verkauft das am besten, das man selbst am meisten liebt. Halbherzig und unter Zwang geschriebenes "Ich darf nicht erzählen, ich muss zeigen, aaarghhh!" wird den Leser nicht mitreißen und den Lektor nicht vom Hocker. Entgegen allem, was die Schreibratgeber schreiben, gibt es nämlich für Erzähltes heute immer noch einen Markt.

Ich kann das so sicher sagen, weil ich genau dieses Feedback von meinem Lektor bekommen habe. Er hat mich als genau das eingekauft, was ich bin: als Erzählerin, weil er genau nach so etwas sucht, Autoren mit starken Erzählstimmen. Beim "Show, don't tell" wird die Aktion in den Mittelpunkt gestellt, die Erzählstimme bleibt dahinter zurück, und schlimmstenfalls wirken die Bücher wie Einheitsbrei in dem Sinne, dass sie von jedem stammen könnten. Aber es ist keine Frage von Richtig und Falsch. Es sind die beiden wesentlichen Elemente, die eine Handlung ausmachen: Aktio und Re-Aktio. Der Zeiger konzentriert sich mehr auf der eine, der Erzähler mehr auf das andere. Beide haben recht, und beide haben eine Daseinsberechtigung.

Wenn euch nach Erzählen ist, dann erzählt. Ihr seid nicht für die Schreibratgeber da, und ihr müsst ihnen nicht sklavisch gehorchen. Schreibt, wie ihr wollt. Hauptsache, ihr macht das so gut, wie ihr irgendwie könnt, und seht zu, dass ihr immer und immer weiter besser werdet.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Sipres am 24. Februar 2015, 00:38:03
Als jemand, der im echten Leben größtenteils von absoluten Literaturallergikern umgeben ist (der kleine Rest liest zwar, setzt sich aber mit der Literatur selbst kaum auseinander), habe ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob ich Erzähler oder Zeiger bin, weil ich nie jemanden hatte, mit dem ich mich über sowas austauschen konnte. Und jetzt, wo ich tatsächlich darüber nachdenke, muss ich ehrlich gestehen, dass ich immer noch keine Ahnung habe. Ich mach das, was du mit diesem Text eigentlich aussagen willst, Maja: Ich schreibe, was ich will und wie ich will, denn so liebe ich meine Texte.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Ginger am 24. Februar 2015, 00:39:55
@Maja

Amen! :jau:
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Maja am 24. Februar 2015, 00:49:55
@Sipres
Ich habe mir da auch keine Gedanken drüber gemacht, bis mir das erst mal ein Betaleser ein "Das kannst du so nicht machen, hast du noch nie von 'Show, don't tell' gehört?" - Und das hatte ich tatsächlich noch nicht - so wenig, dass ich nur "Showdown Cal" verstanden habe und gedacht, "Hey, 'Cal' war meine Englischlektüre in der 12, cool, dass die noch jemand außer mir kennt, aber was hat das Showndown davon mit meinem Roman zu tun?"
Danach habe ich einige Jahre lang beim Schreiben total gekrampft, weil ich immer vor Auge hatte, dass ich doch nicht so viel erzählen darf und mehr zeigen muss, bis ich irgendwann im Netz über einen Artikel gestolpert bin, der mir das auseinandergedröselt hat - dass ein Roman eben kein Film ist. Eigentlich wollte ich nur den Artikel von damals raussuchen und verlinken, aber ich habe ihn nicht gefunden (ist inzwischen auch Jahre her, dass ich den gelesen habe), also habe ich stattdessen meine eigenen Gedanken zu dem Thema zu Papier gebracht.

Es ist vielleicht so rübergekommen, als müsse man sich als Autor entscheiden, entweder das eine oder das andere zu machen. Aber in Wirklichkeit machen wir doch meistens beides, wir mischen erzählende Passagen mit solchen, die reicher an Handlung sind, und das ist völlig okay. Und wenn man beim Überarbeiten findet, die erzählenden Teile sind im Übergewicht und bremsen den Plot aus, kann man da gut straffen. Aber was man eben nicht sollte, ist, sich schon beim Schreiben zu kastrieren und zu zensieren und sich das Erzählen per se zu verbieten, weil "man" sowas ja nicht machen darf.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Pandorah am 24. Februar 2015, 01:15:58
Hach, danke, Maja. :knuddel: Ich mag "Show, don't tell", aber wie alles gilt - in Maßen. Manchmal braucht und will man einfach Erzählpassagen.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Zit am 24. Februar 2015, 02:54:46
Je länger ich diesen Satz kenne, um so unsicherer werde ich mir, was er zu bedeuten hat. Ehrlich gesagt. Oder besser: Ich habe keine Ahnung wie ich mein Schreiben einordnen soll.
Einerseits mag ich es sehr, wenn Gefühle und Gedanken der Figuren nicht benannt werden sondern sich hinter den Beschreibungen zu ihrem Tun oder in ihren eigenen Worten wieder finden. In der Realität wissen die Leute ja auch selten, was sie wirklich bedrückt bzw. was die Wurzel allen Übels für ihren Kummer ist. Da ließ sich das Buch halt einfach nicht gut weglesen. (Oder andere Branche: Der Schlafsack wärmt nicht, sie hätten doch eine Luftmatratze drunter gehabt ...) Aber: Ist das gleich schon Show?

Ich weiß nicht, man kann sich an vielem aufhängen und gerade als Schreibbeginner finde ich SdT gut, weil es die Schreiber dazu zwingt, darüber nachzudenken wie sich Angst anfühlt und wie sich Angst zeigt und nicht einfach nur lapidar hin zuklatschen: "Sie hatte Angst.", etc. pp. (Aber darüber sind wir uns alle einig, denke ich.) Ob das strikte SdT allerdings zu Einheitsbrei führt? Vielleicht, wenn man die immer gleichen Phrasen/ Bilder nimmt. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Ein Kloß steckte ihr im Hals.
Dass viele Bücher gerade von den Formulierungen her recht charakterlos sind, darüber stimme ich mit dir überein, Maja. Aber denkst du, dass es wirklich vom SdT kommt? Ich würde es eher auf fehlende Vorstellungskraft schieben. Oder den Autoren ist Stil nicht so wichtig. Oder es sind die Leser, die keine Lust auf Dostojewskij haben.

*Schultern zuckt* Hin oder her: Du hast recht, soll jeder doch so schreiben wie er lustig ist. Und wenn es SdT ist. :omn:
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Klecks am 24. Februar 2015, 05:50:27
Ein sehr schönes Posting, Maja!  :jau:  Ich finde auch: Jeder sollte so schreiben, wie er möchte. Die Geschichte wird bei mir so geschrieben, wie sie geschrieben werden will. Ob das jetzt viel show oder viel tell oder etwas ganz anderes beinhaltet, finde ich nicht wichtig, Hauptsache, es entsteht eine schöne Geschichte.  :D
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Thaliope am 24. Februar 2015, 07:50:39
Ach ja, meine alte Predigt :)

Ich habe Sol Stein nie gelesen, muss ich gestehen. Aber ich glaube (wie ich schon andernorts mehrfach geschrieben habe), dass dieses "Show don't tell" durchaus seine Berechtigung hat - aber meistens falsch interpretiert wird.
Für mich heißt es nicht, dass man alles wie im Film szenisch darstellen muss. Dieses Verständnis geht, wie Maja schon sagte, zulasten der Erzählkunst.
Ich glaube, diese extrem filmische Darstellung ist ein Mittel, das es auch unbegabten Erzählern ermöglicht, mitreißende Geschichten zu erzählen. Wenn man die Mittel des szenischen Aufbaus beachtet, kann man auch mit geringerer sprachlicher Kompetenz lesbare Bücher schreiben.
Aber ich glaube auch, dass ambitionierte Autoren da nicht aufhören sollten.

Die Übersetzung des Wortes "tell" mit "erzählen" ist aber natürlich auch ein bisschen sehr eng. Und wenn man sie weiter fasst, erhält man eine Regel, die tatsächlich sinnhaft ist: Nicht benennen bzw. behaupten, sondern zeigen. Nicht "platt" erzählen, sondern vor Augen führen. Aber das geht auch ohne szenische Darstellung.

Sag mir nicht, behaupte nicht, dass eine Person "schön" ist, sondern zeig es mir. Lass es mich empfinden. Dafür muss man nicht jeden einzelnen Zentimeter beschreiben, nicht einmal die Klassiker wie Augen- und Haarfarbe sind wichtig. Die Kunst besteht (meiner unmaßgeblichen Meinun nach) darin, mit wenigen, richtig gesetzten Pinselstrichen ein Bild im Kopf des Lesers entstehen zu lassen. Ohne diese Bilder geht es glaub ich wirklich nicht. Aber sie müssen nicht wie im Kino aussehen.

Was ich damit sagen will: "Zeigen", also bildlich beschreiben, kann man auch in erzählenden Texten. Darin erst zeigt sich die sprachliche Gewandtheit, weil alle Feinheiten der Sprache nötig sind, um im Leser die richtigen Bilder entstehen zu lassen. Deshalb würde ich mich Majas Forderung anschließen: macht, was ihr wollt! Aber auch hinzfügen: übt euch im Erzählen. :)

Als Übersetzerin hab ich es oft mit Autorinnen von Reihen zu tun, die sich an dieses Show don't tell halten. Da wird dem Leser nicht gesagt, was die Person empfindet, es wird auch nicht gedeutet, sondern "gezeigt", was die Person tut, gern anhand von Minik und Körperhaltung. Das nimmt allerdings Ausmaße an, die ich ein bisschen traurig finde, weil diese Elemente recht begrenzt sind. Da werden ständig nur noch Augenbrauen hochgezogen - und der Leser soll sich denken, was die Figur damit will. Dabei kann man Augenbrauen so schön süffisant, anzüglich, hochmütig, spöttisch, galant, herausfordernd etc. hochziehen - alles sprachliche Feinheiten, die bei dieser Darstellung verloren gehen. Auf Dauer empfinde ich das als sprachliche Armut, muss ich gestehen. So aussagekräftig Mimikbewegungen sind, sind sie doch in den reinen "show"-Möglichkeiten recht limitiert.

So. Mein Wort zum Dienstagmorgen. :)
LG
Thali
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Guddy am 24. Februar 2015, 08:30:03
Auch ein Film kann mehr "tell", als "show" betreiben. Dann, wenn man dem Zuschauer alles auf dem Silbertablett serviert, die Figuren immer und immer wieder stundenlange Monologe halten lässt, was gerade warum passiert und wer eigentlich mit wem... langweilig.  Das, was Maja beschreibt, hat für mich wenig bis gar nichts mit dem "Gebet" zu tun. "Zeigen, nicht erzählen" ist meiner Meinung nach eine zu wörtliche Übersetzung, die aber den eigentlichen Kern nicht trifft.

Zitat von: ThalipopeDie Übersetzung des Wortes "tell" mit "erzählen" ist aber natürlich auch ein bisschen sehr eng. Und wenn man sie weiter fasst, erhält man eine Regel, die tatsächlich sinnhaft ist: Nicht benennen bzw. behaupten, sondern zeigen. Nicht "platt" erzählen, sondern vor Augen führen. Aber das geht auch ohne szenische Darstellung.
Genau das heißt es für mich.
Ich persönlich finde wirklich kaum etwas schlimmer als blutleere, sterile Worte, die lediglich beschreiben und erklären (Tell= "I told you! He is stubborn!"), statt erzählen (show = "I'll show you how stubborn he is!"). Ersteres erwarte ich von einem Mathebuch und nicht von einem Roman. Aber natürlich darf das jeder anders sehen und empfinden! Auch eine goldene Regel kann verschiedene Interpretationsmöglichkeiten aufweisen. Und jeder (Hobby)Autor darf so schreiben, wie er möchte, jeder Leser das gut finden, was er möchte.
Für mich(!) ist "show, don't tell" wichtig. Vor allem als Leser, denn als Autor verliere ich mich ohnehin im Moment und in meiner Fantasie, achte nicht auf Regeln. Vielleicht in der Überarbeitung. (Wobei ich denke oder an mir die Erfahrung gemacht habe, dass man als Autor ohnehin intuitiv gut schreibt. Zumindest  "gut" für einen selbst.)

edit: Habe mich mit Tell und Show selber durcheinander gebracht. Habe das mal korrigiert  :engel:
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: HauntingWitch am 24. Februar 2015, 08:37:51
Oh Maja, das hast du wunderschön gesagt! Danke dafür.  :)

Wie du finde ich auch, dass diese "show don't tell"-Regel völlig überbewertet ist. Es kann hilfreich sein und es lohnt sich sicher, damit herumzuspielen und auszuprobieren. Aber wenn ich mir Bücher anschaue, die ich mag (oder auch welche, die ich nicht mag) stelle ich immer wieder fest: Es spielt überhaupt keine Rolle. Es gibt telling-Bücher, die ich klasse finde und showing-Bücher, die ich bescheiden finde. Die Umsetzung macht es, die Art und Weise, wie der Autor die Dinge rüberbringt und diese hat nichts damit zu tun, ob er sich an solche dogmatische Regeln hält oder nicht.

Ich finde übrigens auch nicht, dass ein Buch sein muss wie ein Film, denn es ist ja eben kein Film. Für mich sind das zwei nahe Verwandte mit verschiedenen Eigenheiten und Möglichkeiten. Vergleiche in manchen Punkten sind durchaus legitim, aber es sind zwei verschiedene Ausführungsformen, die verschiedene Ansprüche erfüllen. Manche Dinge, die im Film problemlos gehen, wirken in einem Buch störend und umgekehrt kann man manche Dinge, die man in einem Buch ohne weiteres zeigen/erklären kann, filmisch nicht darstellen. Ich finde, das kann man nicht so direkt umwälzen.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 24. Februar 2015, 09:04:56
Das Thema beschäftigt mich auch gerade ziemlich bei meinem Projekt - einer der ersten Kommentare einer Beta-Leserin war auch an einer Stelle, dass ich da mehr "show, don't tell" machen sollte. Genau an der Stelle hatte sie auch Recht, das  muss ich sagen.

Aber sonst habe ich versucht, auch sehr viel zu erzählen, weil ich es einfach leid bin mir andauernd komplexe Szenen auszudenken, in denen ich die Inhalte "darstellen" könnte. Es hat mir irgendwann gereicht und ich bin wirklich dazu übergegangen ganze Zusammenhänge und Situationen einfach zu schildern. Oft habe ich das Gefühl dass es der Geschichte in soweit auch gut tut, weil der Leser Zeit hat Atem zu holen in solchen "Augenblicken" und weil ich komplexe Inhalte einfach und damit auch kurz darstellen kann.

Das interessante, das ich inzwischen festgestellt habe: es fällt mir schwer. Vielleicht wegen mangelnder Übung, weil man das andere ja ewig vorgebetet bekommt.
Oder es passt nicht zu jedem Bereich der Geschichte. Im Moment bin ich wieder an einer Stelle, an der ich fast nur "show" habe und wüsste auch gar nicht, was ich da erzählen soll.
Drum mach ich mir auch Sorgen, ob es mit den vorangegangenen Teilen zusammenpasst, das Gesamtbild der Gecshichte stimmig ist.
Inzwischen habe ich diese Problematik auf die Überarbeitung verschoben und ich nehme mir wirklich fest vor, dann eine ausgewogene Mischung, vielleicht mit einem kleinen Hang zum Erzählen, zu finden.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 09:08:30
Danke für den Thread, Maja! Zumal ich ja ein bisschen "Schuld" dran bin, dass Du ihn eröffnet hast. ;)

Ich glaube, ich habe bis heute nicht wirklich verstanden, was "show, don't tell" wirklich meint. Du hast es ganz gut beschrieben, Thali hat es super ergänzt - und trotzdem bin ich der Meinung, dass das, was Du machst, die Perfektion von "show" ist. Denn Du eröffnest Deinem Leser eine ganze Welt, die er entdecken und erfahren darf, und genau das ist das, was ich an Literatur liebe. Wenn ich Andeutungen bekomme, die ich selber mit Leben füllen darf, wenn der Vorhang quasi nur ein Stück fortgezogen wird und ich viel später denke "ach, darauf wollte sie hinaus!"

Als Kind habe ich intuitiv geschrieben, als Teenager auch noch. Aber auch damals war ich nicht schlecht bei Kurzgeschichten, aber grottig bei Romanen. Die bestehen nämlich aus "und dann machte X das, woraufhin Y die Augenbrauen hochzog, weil Z es doch verboten hatte". Ist das nun show oder tell? Egal, es ist Grotte.

Ich habe Ideale unter den veröffentlichten Autoren, deren Texte mich faszinieren und deren Qualität ich gerne erreichen würde - aber egal, wie oft ich eine Szene von Juli Zeh analysiere, ich komme einfach nicht dahinter, wie sie es macht, dass sie mit wenigen Worten gleichzeitig eine komplette, detaillierte Landschaft vor meinem geistigen Auge entstehen, mich die Hitze der Sonne auf der Haut spüren lässt und mir vermittelt, wie der Protagonist sich fühlt.

Anderes Genre, andere Erzählart: Lukianenko. Ich habe die Wächter-Reihe noch immer nicht gelesen, aber Dank Koriko lese ich gerade den ersten Band von Trix - und der haut mich ein ums andere Mal aus den Puschen. So viele wunderbare Ideen, so viel Wortwitz und so viele Anspielungen an unsere Welt, dass mir ganz schwindelig wird! Ich lache permanent beim Lesen, weil ich immer wieder Neues entdecke, dass er mal eben so in anderer Art im Roman untergebracht hat. Sei es das "Eipott", die Erfindung von McDonalds (inklusive dem Hintern als Emblem) oder das gute alte Rätsel mit den drei Türen.
Lukianenko ist ein Erzähler der "alten Schule", ganz im Stil der russischen Dichter, und genau damit erschafft er wunderbare Welten, in die man sich fallen lassen kann und bei denen man zurückblättern möchte, um einiges noch mal zu lesen und laut "ach so!" zu rufen.

Was mein persönliches Problem angeht: Ich habe anscheinend kein Gefühl fürs Erzählen. Ich weiß nicht, wie man das macht, und das macht mich im wahrsten Sinne des Wortes fertig. Wann binde ich die Innensicht meines Protagonisten ein, wann nicht? Wann lasse ich ihn im Raum umhersehen und beschreiben, was er wahrnimmt, wann ist es einfach nur ermüdend? Darf ich schreiben, dass sein Gegenüber "süffisant" die Augenbrauen hochzieht, oder ist das eine unzulässige Wertung, weil er ja nicht wissen kann, ob sein Gegenüber tatsächlich gerade süffisant ist oder vielleicht einfach erstaunt?
Vielleicht habe ich das Gift der Schreibratgeber schon zu lange in mir, vielleicht habe ich das intuitive Schreiben meiner Kindheit verlernt, vielleicht war ich nie dafür bestimmt, längere Texte zu schreiben. Aber wenn ich es will, wie mache ich das? Wie lerne ich, so zu schreiben, dass es meinen eigenen Ansprüchen genügt und damit vielleicht auch anderen gefällt? Denn eins ist klar: Einen Text, der mir nicht gefällt, werde ich nie an einen Agenten oder Verlag schicken. Normalerweise nicht mal an einen Betaleser.

Ich bin mit der Regel "show, don't tell" keinen Schritt weiter und kann noch immer nicht wirklich erklären, was sie bedeutet und ob sie Quatsch ist oder nicht. Aber ich will keine Schulaufsätze mehr produzieren, sondern Texte. Romane. Literatur, wenn es geht.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Alana am 24. Februar 2015, 09:16:13
Man kann alles machen, so lange man weiß, wie es wirkt. Wenn jemand keine Ahnung vom Handwerk hat, dann wird eben leider meistens erzählt, aber auf eine Art, die nicht gut wirkt und auch bei Fans von Erzählen nicht gut ankommt. Wenn man das Handwerk kennt und sich bewusst fürs Erzählen entscheidet, dann ist das was anderes. Man muss die Regeln kennen, damit man sie brechen kann, und wissen, wie die verschiedenen Stilmittel beim Leser ankommen, dann kann man auch damit spielen. Man muss sich allerdings klar sein, dass man damit dann je nach Stil auch eine völlig andere Leserschaft anspricht, was ja nichts schlechtes ist. Aber da kommt eben wieder das Know-How ins Spiel.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Arcor am 24. Februar 2015, 09:20:32
Danke für deine Worte, Maja. Du sprichst mir damit absolut aus der Seele.  :)

"Show, don't tell" ist nämlich auch irgendwie eins meiner Problemfelder. Ich glaube, dass ich damit immer mal wieder gehörig auf dem Kriegsfuß stehe und mich in langen Erzählungen verlieren kann wie Hänsel und Gretel im Wald, dass ich Sachen komplex mit verschachtelten Nebensätzen ausdrücke, die andere mit einer prägnanten Aktion des Protagonisten darstellen würden. Manchmal ist das sicher Mist, manchmal in Ordnung. Ich suche da in jedem Fall noch den richtigen Mittelweg und feile und feile immer wieder an meinen Szenen.

Wobei ich auch glaube, dass "Tell" durchaus nichts Verwerfliches ist. Manchmal möchte ich auch einfach nur in klaren Worten hören, wie sich jemand fühlt und was er denkt. Man muss nicht jedes "traurig" durch ein "Schniefen" oder "Tränen wegtupfen" ersetzen, nicht jedes "wütend" durch "eine Ader pulsierte auf seiner Schläfe" oder ähnliches. Tell macht es einfach, Einzelheiten zu vermitteln, ohne sich in Details zu verlieren, und ich finde, das ist nötig, um den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Wenn jedes Tell durch Show ersetzt würde, fände ich einen Roman glaube ich entsetzlich anstrengend zu lesen.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Kuddel am 24. Februar 2015, 09:33:14
Diese Regel lernte ich das erste Mal, als ich hier in den Zirkel kam. Bis dahin habe ich einfach stur vor mich hingetippt und nie darüber nachgedacht, dass man es auch ganz anders machen könnte, als zu schreiben "Er hatte Angst". Es gibt hier irgendwo einen alten Thread, in dem SdT ausführlich diskutiert wird und den habe ich dann gelesen.
Das war auch das erste Mal, dass ich gedacht habe: Ich habe eigentlich keine Ahnung von dem, was ich hier tue. Ich habe mir den ersten Schreibratgeber gekauft und gelesen und hinterher gedacht: Alles falsch gemacht.

Inzwischen weiß ich, dass ich meinen ganz eigenen Stil entwickelt habe. Er ist eine abstruse Mischung aus Show und Tell, denn wie Maja schon schrieb: Jeder sollte das richtige Maß für sich selbst finden. Und für mich ist es halt das Maß in einigen Szenen ganz simpel zu erzählen, den Leser durch die Ereignisse huschen zu lassen und ihn nicht noch mit schweren Beschreibungen zu quälen und ihn in anderen, vermeintlich leichten Szenen mit Beschreibungen zu verführen.

Deswegen: Vielen Dank, Maja, du sprichst hier sicher einigen aus der Seele.  :knuddel:
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 09:37:33
Alana, ich glaube, dass genau das mein Problem ist: Ich habe keine Ahnung vom Handwerk. Da man aber selbiges in allen anderen Bereichen lernen kann, muss das doch auch fürs Schreiben gelten. Nur: Wie?! Ich bin kein Mensch, der nur durchs Selbermachen lernt, ich brauche jemanden, der es mir erklärt oder besser noch zeigt.
Wenn aber die ganzen Schreibratgeber am Markt alle nur noch "show, don't tell" lehren, dann hilft mir das fürs Handwerk auch nicht. Hat jemand einen guten Tipp für einen Grundlagenratgeber? Also sinngemäß wirklich "Literarisches schreiben für Dummies"?
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Ary am 24. Februar 2015, 09:38:40
Maja, Thali, danke für eure Meinungen zu dem Thema!

Ich habe "show, don't tell" von Betalesern um die Ohren gehauen bekommen, bis es mir zu selbigen wieder herauskam, und mir ging es ein bisschen wie Chaos, ich hatte nie so richtig verstanden, was mir dieser Satz sagen soll (Sol Stein habe ich auch nie gelesen), bis mir die Interpretation "zeigen, nicht behaupten" über den Weg lief. Damit konnte ich umgehen. Trotzdem gibt es einiges an "tell" in meinen Texten, ich halte es da ähnlich wie Maja - ich sehe mich als Erzählerin, nicht als Filmregisseurin, ich schreibe Bücher, die nun mal keine Filme sind, auch wenn ich mich natürlich über Kommentare wie "da sprang das Kopfkino an" freue.
Zwanghaftes "show" zum Vermeiden von Adjektiven, die Emotionen ausdrücken, empfinde ich oft als krampfhaft und nicht selten auch als unfreiwillig komisch. Manchmal ist ein "Sie war traurig" viel eindrücklicher als ein "Ihre Augen füllten sich mit Tränen...". Es kommt immer auf den Kontext und die Szene selbst an.

Zu Schreibratgebern stehe ich ein bisschen wie zu Kochrezepten. Wenn ich etwas neues ausprobiere, halte ich mich sklavisch ans Rezept, damit bloß alles klappt, aber wenn ich das Gericht ein paar Mal gemacht habe, fange ich an zu improvisieren. Genauso beim schreiben. Ich schreibe nach meinem Geschmack - das muss nicht jedem gefallen, aber es ist wichtig, dass esmir gefällt, damit ich auch zu meinem Geschriebenen stehen kann, wenn andere es kritisieren.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Nycra am 24. Februar 2015, 09:40:40
Zitat von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 09:37:33Wenn aber die ganzen Schreibratgeber am Markt alle nur noch "show, don't tell" lehren, dann hilft mir das fürs Handwerk auch nicht. Hat jemand einen guten Tipp für einen Grundlagenratgeber? Also sinngemäß wirklich "Literarisches schreiben für Dummies"?
Ich halte ja nichts von Schreibratgebern, weil die mich zu sehr in ein Schema pressen, aber vielleicht helfen dir die Ratgeber von Hans Peter Roentgen, der ja auch im Tempest die Textstellen lektoriert.

Den Vorrednern schließe ich mich an: Danke @Maja fürs Aus-der-Seele-Sprechen.  :knuddel:
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Alana am 24. Februar 2015, 09:47:48
@Chaos: Ich habe hier mal eine Liste meiner liebsten Schreibratgeber gemacht: http://alanafalk.jimdo.com/blog/schreibtipps/schreibratgeber/
Ich glaube, in dem von Ron Rozelle (Description and Setting) findet sich auch eine ganz differenzierte Stellungnahme zu Telling als schönes Stilmittel im Gegensatz zur sonstigen Verteufelung, das fand ich damals sehr angenehm. Bin aber ehrlich gesagt nicht ganz sicher, ob es dieses Buch war, wo das drin war. Allerdings bin ich selbst ein extrem Show-Lastiger Autor und lese es so auch am liebsten. Ich setze Telling sehr bewusst, aber auch sehr sparsam ein, weil ich persönlich es einfach nicht mag, aber das ist eben Geschmackssache. Nur kann ich dir leider deshalb keinen Ratgeber empfehlen, wo gutes Telling gelehrt wird. Aber vielleicht hilft dir die Liste ja trotzdem.

Ich persönlich liebe Schreibratgeber, ich lese sie weg wie Romane, ich finde es unheimlich spannend, zu erfahren, was es für Möglichkeiten gibt, an die Dinge heranzugehen. Ich empfinde es auch nicht so, dass einen irgendwer in ein Schema pressen will. Die Autoren sagen, wie sie es machen und wie das wirkt, und ich nehme für mich daraus mit, was zu mir und meinem Stil passt.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Thaliope am 24. Februar 2015, 09:49:20
Zitat von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 09:37:33
Alana, ich glaube, dass genau das mein Problem ist: Ich habe keine Ahnung vom Handwerk. Da man aber selbiges in allen anderen Bereichen lernen kann, muss das doch auch fürs Schreiben gelten. Nur: Wie?! Ich bin kein Mensch, der nur durchs Selbermachen lernt, ich brauche jemanden, der es mir erklärt oder besser noch zeigt.
Wenn aber die ganzen Schreibratgeber am Markt alle nur noch "show, don't tell" lehren, dann hilft mir das fürs Handwerk auch nicht. Hat jemand einen guten Tipp für einen Grundlagenratgeber? Also sinngemäß wirklich "Literarisches schreiben für Dummies"?

Liebes chaos, ich würde dir raten, schreib einfach (jaja, ich weiß :P). Versuch, dich auf das Gefühl, auf die Bilder in deinem Kopf zu konzentrieren. Und wenn du dann beim Lesen feststellst, dass etwas nicht stimmt, probier es mit Umschreiben. Die gleiche Szene mit anderen Stilmitteln, mit mehr oder weniger Beschreibung, szenischer Darstellung etc.
Aber versuch erst mal, deine Erzählstimme in dir wiederzufinden. Die Regeln hast du inzwischen soweit verinnerlicht, dass du überrascht sein wirst, wie viel du automatisch richtig machst, wenn du dich nur von der Geschichte treiben lässt.
Ich hab sehr lange gebraucht, um mich von den Ratgebern wieder zu lösen. Weil ich danach ewig lang viel zu verkopft geschrieben habe.

Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Tigermöhre am 24. Februar 2015, 10:00:57
@Maja, danke für diesen Beitrag. Ich habe zwar keine Probleme mit show und tell, aber ich stelle gerade fest, dass ich immer krampfhaft versuche in der Perspektive zu bleiben, obwohl es manchmal einfach besser wäre, den personalen mit dem allwissenden Erzähler zu tauschen. Da sollte ich mich nicht so dran festhängen.


@chaosqueen,
Ich mag den Blog von Stephan Waldscheidt http://schriftzeit.de/ (http://schriftzeit.de/) sehr gerne. Er erklärt die Regeln da sehr anschaulich an Beispielen. Dadurch sind sie nicht so abstrakt, sondern man kann nachvollziehen, was er damit meint. Die älteren Artikel sind aber nicht mehr online, sondern nur noch in seinen Büchern vorhanden.

Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 10:03:10
Thali, ich hab es an anderer Stelle heute schon geschrieben: Ich habe keine Bilder im Kopf. Das ist genau mein Problem. Ich hab eine Idee, ein Konstrukt, eine Vorstellung von einer Story, aber mir fehlen die Bilder. Ich weiß nicht, wie meine Protagonisten aussehen und ziehe ihnen dann irgendein Schema an wie einer anziehpuppe ("groß, dunkelhaarig, leicht untersetzt"), aber ich verinnerliche es nicht.
Ich sehe auch nichts vor mir, daher renne ich durch das Gerippe meines Konstrukts und zähle die Fakten auf. X und Y gehen essen, es gibt 5 Gänge, das Essen ist lecker, sie treiben sinnfreie Konversation, Ende Gelände.
Null Stimmung, Null Gefühl, und wenn, dann nur, weil ich es dem Leser aufzwinge ("er war noch interessanter als im Büro" - ja schön, aber warum?! Was macht ihn interessant? Wieso empfindet sie das so?).

Ich hab das ernst gemeint, ich brauche keinen Ratgeber für gehobenes Schreiben, keine Ratschläge für oder gegen "show, don't tell" (das mich inzwischen übrigens aggressiv macht, sobald ich ihm begegne), sondern eine Anleitung für Menschen, die noch nie in ihrem Leben ein Buch geschrieben haben. Wie geht das?! ???

"Schreib einfach" ergibt bei mir seit 15 Jahren die gleichen flachen, öden Beschreibungen, ohne jeden Fortschritt. Das ist leider kein für mich passender Rat.

Tigermöhre, danke, da schau ich auch mal rein!

Alana, ich schaue mir Deine Liste mal an, vielen Dank.

Komisch, kochen kann ich, um bei dem Beispiel zu bleiben. Aber auch da muss ich Anleitungen lesen, weil mir die Kreativität fehlt, etwas Neues zu schaffen - hab ich einfach nur Hunger, gibt es Nudeln mit Gemüse. Das kann man zwar variieren, indem man unterschiedliches Gemüse nimmt, aber unterm Strich ist es halt immer wieder das Gleiche. Und beim Schreiben komme ich genauso wenig vom Fleck.
Der Unterschied: Kochen nach Rezept klappt super, auch das spätere variieren, wenn ich sicher genug bin mit einem Rezept, aber beim Schreiben schaffe ich es noch nicht einmal, "nach Ratgeber" zu schreiben.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Alana am 24. Februar 2015, 10:09:39
Ich glaube, in diesem Fall wäre Description and Setting ein recht gutes Buch für dich, Chaos. Der Titel klingt sehr eng gefasst, tatsächlich steckt viel, viel mehr in dem Buch. Ansonsten eben auch "Vier Seiten für ein Hallelujah", da lernt man sehr viel über den richtigen Aufbau einer Szene, einen guten Einstieg, was wichtig ist und was nicht so sehr. Stephan Waldscheidt mag ich sehr, allerdings habe ich noch keine Ratgebertexte gelesen, sondern nur seine ironischen Artikel in der Federwelt. Die sind Klasse. ;D
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Thaliope am 24. Februar 2015, 10:18:50
@chaos: Aber mit diesen Fragen bist du doch schon auf dem richtigen Weg: Was macht ihn interessant, warum empfindet sie es so?
Ich fürchte, das kannst nur du allein rausfinden, das weiß kein Ratgeber, warum deine eine Figur für deine andere Figur interssant ist.
In Denken ohne Bilder kann ich mich allerdings nur sehr bedingt hineinversetzen. :/

Was das Aussehen angeht: Hast du schon mal versucht, dir Personen aus der Realität als Vorbild zu nehmen? (also, richtig echte, keine Schauspieler) Das hat bei meiner Laura schließlich den letzten Knoten platzen lassen.

EDIT: Um mal den Bogen zum Thema zurück zu schlagen: Ich habe vor einiger Zeit in einem Schreibratgeber eine Regel gelesen, die das Show-Thema vielleicht auch aufgreift:
Konkret statt abstrakt. Das ist für mich der springende Punkt, um den es beim Show-don't-Tell gehen sollte.
Natürlich ist das aber auch Genre-abhängig. Genre-Texte, die besonders leicht und schnell zu lesen sein sollen, fahren mit der szenishen Show-Variante sicher am besten.
Aber ich persönlich würde die Leichtigkeit gern öfter durch Virtuosität und Schönheit ergänzt sehen :) Immer natürlich - wie Alana so treffend sagte - unter Berücksichtigung der gewünschten Wirkung. Das ist wahrscheinlich die einzige Regel, die beim Schreiben immer gilt: Schreibe so, dass du die gewünschte Wirkung erzielst :)
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Guddy am 24. Februar 2015, 10:36:51
Zitat von: Aryana am 24. Februar 2015, 09:38:40

Zwanghaftes "show" zum Vermeiden von Adjektiven, die Emotionen ausdrücken, empfinde ich oft als krampfhaft und nicht selten auch als unfreiwillig komisch. Manchmal ist ein "Sie war traurig" viel eindrücklicher als ein "Ihre Augen füllten sich mit Tränen...". Es kommt immer auf den Kontext und die Szene selbst an.
Ein Zuviel ist selten großartig. Aber "Show don't tell" bedeutet ja nicht, dass man ins Extrem gehen muss. 
Im Gegenteil. Für mich bedeutet es schlicht das, was die meisten hier wohl unter einer "fesselnden, guten Geschichte" verstehen, so wie ich das jetzt in diesem Thread herauslese.

Krasse, extreme Texte habe ich bislang aber auch nur beim "Tell" erlebt. Da wurde dann im wahrsten Sinne des Wortes seitenlang und gefühllos die Hintergrundgeschichte erklärt, bei Betrachtung einer Statue ewiglang die Hintergründe einer Religion erläutert etc. und auch bei der normalen Handlung kam mitunter durch das Tell keinerlei Gefühl auf. Ein Zuviel an "Show" fände ich aber auch mal interessant! Hat da jemand Beispiele, also Bücher, die in diese Richtung gehen?
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 10:46:39
Zitat von: Thaliope am 24. Februar 2015, 10:18:50
@chaos: Aber mit diesen Fragen bist du doch schon auf dem richtigen Weg: Was macht ihn interessant, warum empfindet sie es so?
Ich fürchte, das kannst nur du allein rausfinden, das weiß kein Ratgeber, warum deine eine Figur für deine andere Figur interssant ist.
In Denken ohne Bilder kann ich mich allerdings nur sehr bedingt hineinversetzen. :/

Es ist nicht so, dass ich nicht in Bildern denke. Meiner Erinnerungen sind voller Bilder, ich setze alles, was ich über Berührungen wahrnehme, in Bilder um (weshalb ich genau weiß, wie es im "Dialog im Dunkeln" aussieht, obwohl ich absolut nichts gesehen habe). Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass mein Gehirn nichts Neues erschafft. Auf mich trifft zu 100% zu, dass ich nicht über Dinge schreiben kann, die ich nicht selber erlebt habe. Aber selbst, wenn ich Erlebtes nacherzähle, dann ist das nicht witzig, bunt und interessant, sondern gähnende Langeweile. Ich reihe Ereignis an Ereignis, ohne Farbe, ohne Würze. Selbst journalistische Texte sind da literarischer als meine Schreibe.

Zitat von: Thaliope am 24. Februar 2015, 10:18:50
Was das Aussehen angeht: Hast du schon mal versucht, dir Personen aus der Realität als Vorbild zu nehmen? (also, richtig echte, keine Schauspieler) Das hat bei meiner Laura schließlich den letzten Knoten platzen lassen.

Mein aktueller Roman ist ja sehr stark an reale Ereignisse und Personen angelehnt (genau, weil ich nämlich nur abschreiben kann, und sei es bei meinem eigenen Leben), da versuche ich eher, von den realen Vorbildern wegzukommen. Aber ich habe trotzdem keine Bilder im Kopf, ich sehe meine Figuren nicht. Sie bleiben Schaufensterpuppen, gesichtslose Gestalten ohne persönliche Merkmale.

Zitat von: Thaliope am 24. Februar 2015, 10:18:50
EDIT: Um mal den Bogen zum Thema zurück zu schlagen: Ich habe vor einiger Zeit in einem Schreibratgeber eine Regel gelesen, die das Show-Thema vielleicht auch aufgreift:
Konkret statt abstrakt. Das ist für mich der springende Punkt, um den es beim Show-don't-Tell gehen sollte.
Natürlich ist das aber auch Genre-abhängig. Genre-Texte, die besonders leicht und schnell zu lesen sein sollen, fahren mit der szenishen Show-Variante sicher am besten.
Aber ich persönlich würde die Leichtigkeit gern öfter durch Virtuosität und Schönheit ergänzt sehen :) Immer natürlich - wie Alana so treffend sagte - unter Berücksichtigung der gewünschten Wirkung. Das ist wahrscheinlich die einzige Regel, die beim Schreiben immer gilt: Schreibe so, dass du die gewünschte Wirkung erzielst :)

Hm. Ich versuche gerade, mir vorzustellen, wie das gemeint ist. Hast Du ein Beispiel? Was ist konkret, was abstrakt? Ist für mich genauso ungreifbar wie "show, don't tell".
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Anj am 24. Februar 2015, 10:54:32
Hui, na die Diskussion entwickelt sich aber schnell, da kommt man ja gar nicht mit.  :buch:

Ich habe inzwischen auch schon in etlichen Varianten Diskussionen über dieses Thema geführt und ich denke, ich bin mit meiner Meinung noch am nächsten an der von Thaliope. Ich übersetze die Redewendung inzwischen für mich mit "Beweisen, nicht behaupten" und meine damit, dass eine Information nicht isoliert im Text stehen sollte. Die Verknüpfung von Setting und Emotionen ist dabei absolut relevant. Nach den Beiträgen hier denke ich, kann man zwei Arten von Textstellen unterscheiden. Zum einen Beschreibungen der Umgebung und zum anderen Emotionen, die mitgeteilt werden. In den meisten Foren geht es bei Sdt erstmal um Emotionen (das war zumindest immer mein Eindruck) und meist werden dann folgende Varianten aufgeführt: Sie war wütend = tell und Sie kniff die Augen zusammen, ihre Halsschlagader pochte und ihr Gesicht schien anzuschwellen = Show. Meiner Meinung nach ist es aber irrelevant, welche Variante dort steht. Viel wichtiger ist, dass sich diese Emotion im Textumfeld wiederfindet. Wer wütend ist nimmt anders wahr und reagiert anders, als jemand der fröhlich oder traurig ist. Das muss sich im Text wieder finden. Und zwar sowohl vor, als auch nach dem einen Satz, denn sehr oft baut sich eine Emotion zwar noch auf, verschwindet aber kurz darauf von einem Moment auf den anderen wieder, wenn die relevante Szene "abgearbeitet" ist. Kurz gesagt, für mich ist die Überprüfung dieser Regel immer das Streichen des betreffenden Satzes. Kann ich dann noch die Emotion erkennen, beweise ich diese Emotion im Text. Und ich schaue immer sehr genau, ob die Emotionen wirklich passen oder ob ich als Autor durch Vorinformationen beeinflusst bin. (Hier helfen Betaleser sehr gut)

Bei den Settingbeschreibungen (Landschaften, Kleidung etc.) bin ich persönlich sehr sparsam unterwegs, weil ich selbst eine blühende Fantasie habe und Maja völlig zustimme, dass die meisten Bilder in unseren Köpfen inzwischen ohnehin schon vorhanden sind. Wenn ich diese Beschreibungen aber einfüge, dann achte ich schon darauf, dass sie mit dem Gemütszustand der Figur zusammenpassen. Insbesondere in der 1. und 3. Person. Denn auch hier gilt: Die Emotionen bestimmen was wahrgenommen wird und wie es wahrgenommen wird. Und da kann bei totaler Panik auch schon mal eine unglaublich detaillierte Beschreibung kommen, wenn dadurch Angststarre und Ausweglosigkeit deutlich werden. Wie beispielsweise in einer Stelle bei Schiffbruch mit Tiger.

Der Knackpunkt liegt für mich also auf einer anderen Ebene. Ich kann damit aber auch komplett falsch liegen, das sind nur meine persönlichen Überlegungen zu diesem Thema. Und vielleicht rechtfertige ich damit auch nur meine Vorliebe für Tell-Sätze, weil ich diese übertriebenen Show-Varianten in denen ständig irgendwas getan wird um eine Emotion zu verdeutlichen und der Leser dann rätselraten muss, was gemeint ist, absolut nicht mag.^^
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Thaliope am 24. Februar 2015, 11:10:01
Also, wenn du prinzipiell in Bildern denkst, nur nicht beim Schreiben, würde ich sagen, kennst du die Szene nicht gut genug.
In From 2k to 10k (und auch sonst sehr oft) heißt es, man darf sich erst an den Text setzen, wenn man die Szene vor seinem geistigen Auge abspielen kann. Das war damals für mich der erste Schritt aus der Blockade, weil ich, nachdem die Bilder erstmal angefangen haben zu laufen, nur noch hinterherschreiben musste und auf einmal ganz anders, viel freier und bunter schreiben konnte, weil Dinge passierten, die ich mir nicht bewusst zurechtgelegt hatte. Das Unterbewusstsein muss da mitarbeiten, weil das viel mehr Dinge jonglieren kann als das Bewusstsein ;)

@konkret vs. abstrakt: Konkret sind Wörter, die mit klaren Bildern vernküpft sind, wie Himmel, Stern, Wiese ...
abstrakte Wörter sind "bildleere" Wörter, oft Substantivierungen, gebildet, um eine höhere Verallgemeinerungsstufe zu erreichen, wie Selbstverständlichkeit, Gebäudeeinheit, (Großvieheinheit statt Kuh, eine Vertreterin der Irgendwasgewächse statt Rose ...), viele wörter auf -heit, -ung, -keit ... Hach, wie schwer es auf einmal ist, die passenden Beispiele zu finden ....

Ha, habe ein Beispiel gefunden: "Schreibe nicht "Eine Periode widrigen Wetters setzte ein", sondern "Eine Woche lang regenete es jeden Tag." Abstrakte Wörter umfassen einen größeren Inhalt, eine Periode kann jeden beliebigen Zeitraum darstellen, eine Woche ist konkret, ganz genau eine Woche. "widriges Wetter" kann alles mögliche sein - da ist es schwer, ein Bild zu erzeugen. Regen ist Regen. Punkt. Bild.

Ist es so schon etwas deutlicher geworden? Konkrete Wörter sind bildhaft, vermitteln das Ding, das sie bezeichnen, ohne Umwege. Andere müssen den Umweg über den Kopf nehmen ;)
Aber ich glaube, chaos, das sind Dinge, die du eigentlich längst weißt und verinnerlicht hast. 

Und ich glaube, das Problem mit Wörtern wie "schön" oder "traurig" ist, dass sie so weit gefasst und so oft gebraucht sind, dass ihnen das Konkrete verloren gegangen ist.

EDIT: Und ich denke, das lässt sich auch auf das Schreiben von Szenen übertragen. Jedes bildhafte Wort ist ein Pinselstrich in der Szene, die du erschaffst.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Tanrien am 24. Februar 2015, 11:20:05
Schön gesagt, Maja! Ich glaube, es ist nicht hundertprozentig das gleiche weil es für mehr gilt, aber ich stelle mir "show, don't tell" mehr als Lupe vor. Sowas wie die genauste Beschreibung des einen Regentröpfchens vom Dienstag bei Thalis regnerischer Woche, das der Protagonistin auf die Wange fällt, oder wie bei Anjanas Beispiel ihre winzig kleinen Adern im Gesicht pochen, das ist nah dran, "Es regnete die ganze Woche" und "Sie war wütend" ist schon weiter weg, "Das Wetter war widrig" und "Sie hatte so oft schlechte Laune" ist dann nochmal weiter weg.

Und genau wie man bei einem (künstlerischen, Museums-) Bild nicht den Überblick behalten kann, wenn man die ganze Zeit nur reingezoomt auf alle Details guckt, sondern man auch mal alles sehen muss oder gar Kontext erfahren, ist auch nur ein Blick aufs Bild ohne Details nicht so spannend. So versuche ich, die Mischung zu konstruieren und "show" und "tell" zu balancieren. Was man dann genau an welcher Stelle macht und wie viel man wie draufguckt, bestimmt dann der Stil. Hilft dir die Vorstellung, chaos?
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 11:22:23
Ich glaube, ich sollte langsam einen eigenen Thread eröffnen, weil mein Problem ja viel breiter gefächert ist als das verdammte SdT.

Konkret vs. abstrakt hab ich jetzt verstanden, danke. :-*

From 2k to 10k hab ich ja durch Dich kennengelernt und gelesen, und das hat eine Weile auch funktioniert. Leider ist es auch so, dass ich die Szene oft nicht mehr schreiben will, wenn ich sie schon detailliert im Kopf habe. Ich kenne sie ja dann schon, wozu noch aufschreiben?! :wums: Und sie wird geschrieben auch nicht ansatzweise so, wie ich sie im Kopf habe - da ist sie wieder, die Kleinkindnacherzählung von Goethes Texten. ;) Wobei Kleinkinder eine deutlich bildhaftere Sprache haben als ich.

Tanrien, ich hab ja kein Problem mit SdT an sich, sondern mit meiner Schreibe. Das, was Du beschreibst, ist super verständlich, hilft mir aber nicht. Ich mache jetzt einen eigenen Thread dazu auf.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Lothen am 24. Februar 2015, 11:27:15
Ohne jetzt auf die vorherigen Beiträge im Detail eingehen zu wollen: Ich glaube, ich bewege mich bei meinen Texten auch irgendwo zwischen "Show" und "Tell" - auch abhängig von Inhalt und Zweck der Szene.

Mir ging es ein bisschen wie Kuddel: Bevor ich hier im TiZi war und bevor ich mich mit Beta-Meinungen auseinandergesetzt habe, kannte ich diese Wendung auch nicht. Ich bin kein großer Freund von Schreibratgebern, obwohl ich mittlerweile schon damit liebäugle, mal in einen reinzulesen, und hab eigentlich auch immer so vor mich hingeschrieben, wie es mir gerade in den Sinn kam.

Für mich bedeutet "Show don't tell" mittlerweile einfach, nachzudenken, ob bestimmte innere Monolge oder Ein-Satz-Zusammenfassungen der aktuellen Stimmung überhaupt notwendig sind oder ob Szenerie und Verhalten der Protas nicht schon ausreichen, um dem Leser die Emotionen nahe zu bringen. Und ich muss zugeben: Das hilft mir beim Schreiben, mich besser zu fokussieren und nicht zu viel "herumzulabern".

Das Problem, das du beschreibst, Chaos, kenne ich so ehrlich gesagt gar nicht, mir geht es eher umgekehrt: Ich habe von manchen Szenen so detaillierte Bilder im Kopf, dass ich Sorge habe, sie nicht aufs Papier zu bringen. Ich schreibe gerne cineastisch, gerade bei Szenen, die sehr actionlastig sind, und da beschleicht mich oft die Sorge, dass sich die Szene im Kopf des Lesers nicht so plastisch aufbaut, wie bei mir. Aber wahrscheinlich darf man da dem Leser auch ein bisschen vertrauen. ;)

Zitat von: GuddyEin Zuviel an "Show" fände ich aber auch mal interessant! Hat da jemand Beispiele, also Bücher, die in diese Richtung gehen?
Ein Beispiel nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass ein Übermaß an "Show" unter Umständen hektisch wirken könnte. Beim "Tell" kann sich der Leser mal zurücklehnen und sich berieseln lassen, beim "Show" ist er immer mitten drin. Gerade bei Romanen, die sehr actionlastig sind, könnte das den Leser vielleicht überfordern und dazu führen, dass er die Handlung vor lauter "Show" aus den Augen verliert. Nur so als Gedankenspiel.

@Chaos: Auch, wenn es ins Offtopic geht, ich glaube, du bist gerade ein wenig hart zu dir :knuddel: . Szenen werden (vor allem beim ersten Anlauf) nie so, wie man sie im Kopf hat - aber beim zweiten Mal wird sie schon näher dran sein. Und beim dritten mal noch näher. Und am Schluss hat man eine Version, die der, die man sich vorgestellt hat, schon sehr nahe kommt. Ich glaube, auch so etwas kann man lernen, wenn man sich nur traut. Und ich wette, dein Stil ist nicht ansatzweise so schlecht, wie du ihn hier darstellst. ;)
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 11:53:43
Zitat von: Lothen am 24. Februar 2015, 11:27:15
@Chaos: Auch, wenn es ins Offtopic geht, ich glaube, du bist gerade ein wenig hart zu dir :knuddel: . Szenen werden (vor allem beim ersten Anlauf) nie so, wie man sie im Kopf hat - aber beim zweiten Mal wird sie schon näher dran sein. Und beim dritten mal noch näher. Und am Schluss hat man eine Version, die der, die man sich vorgestellt hat, schon sehr nahe kommt. Ich glaube, auch so etwas kann man lernen, wenn man sich nur traut. Und ich wette, dein Stil ist nicht ansatzweise so schlecht, wie du ihn hier darstellst. ;)

Das würde bedeuten, dass ich jede Szene meines Romans noch mal neu schreiben muss. Und wieder und wieder und wieder. Was bedeutet, dass ich den ganzen Roman locker viermal schreiben muss. Das ist übrigens genau das, was mir beim Überarbeiten passiert: Ich lese die Szene, denke "o Gott, was hab ich mir dabei denn gedacht!" und schreibe sie neu.
Und dann ist sie ganz anders, aber genauso schlecht. Was mir dann in der nächsten Überarbeitungsrunde auffällt. Und dann geht das Spiel von vorne los.

Glaub mir, meine Texte sind so schlecht. Und sie bleiben es, egal, was ich mache. Siehe neuer Thread, den ich gerade eröffnet habe, weil ich hier nicht zu sehr off topic werden will. Wenn ich irgendwann mal an den Punkt komme, über SdT nachdenken zu können, bin ich schon einen riesigen Schritt weiter!
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Guddy am 24. Februar 2015, 14:11:05
Zitat von: Lothen am 24. Februar 2015, 11:27:15
Ein Beispiel nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass ein Übermaß an "Show" unter Umständen hektisch wirken könnte. Beim "Tell" kann sich der Leser mal zurücklehnen und sich berieseln lassen, beim "Show" ist er immer mitten drin. Gerade bei Romanen, die sehr actionvor lauter "Show" aus den Augen verliert. Nur so als Gedankenspiel.
Die Wirkung kann ich mir ja vorstellen. Ich fände es einfach auch mal interessant, solch ein Gegenbeispiel auch mal zu lesen :)
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Shedzyala am 24. Februar 2015, 14:40:33
Mir hat das SdT-Konzept enorm geholfen, als ich vor Jahren darauf stieß. Denn ich hatte oft bei meinen Geschichten das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, aber erst durch SdT konnte ich meine Fehler benennen – und habe danach natürlich erstmal etwas baukastenartig geschrieben. Mittlerweile bin ich wohl auch wieder bei einer Zwischenstufe angelangt, um meinen Lesern auch mal eine Atempause zu gönnen. Dennoch könnte ich mir z. B. nicht vorstellen, wie eine Kampfszene ohne show funktionieren soll.

Ich stimme Anjana übrigens zu und neige auch manchmal dazu, einen Gefühlssatz wegzulassen, um zu schauen, ob man von den restlichen Sätzen immer noch auf die Emotion schließen kann. Dabei kann es auch vorkommen, dass ich den Satz dann sogar endgültig weglasse.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: PinkPuma am 27. Februar 2015, 10:44:35
So, als Neuling im Tintenzirkel habt ihr mich mit diesem Threat überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war, mich hier anzumelden. Einfach weil es offenbar noch Foren gibt, in denen das SdT nicht wie eine Heiligenschrift gepredigt wird. Versteht das bitte nicht falsch, SdT ist ein gutes Konzept, mit welchem sich Texte deutlich verbessern lassen. Ich selbst habe ab und an das Problem zuviel zu erzählen statt zu zeigen und weiß, dass ich meine Texte dahingehend überarbeiten muss. Aber als mir vor kurzem eine Betaleserin das SdT nur so um die Ohren gehauen hat und ich mir dann die Mühe gemacht habe, ein ganzes Kapitel mit show umzubauen, habe ich mein eigenes Werk kaum wiedererkannt und fand es ganz grausam.

Zitat von: ArcorMan muss nicht jedes "traurig" durch ein "Schniefen" oder "Tränen wegtupfen" ersetzen, nicht jedes "wütend" durch "eine Ader pulsierte auf seiner Schläfe" oder ähnliches.

Zitat von: AryanaZwanghaftes "show" zum Vermeiden von Adjektiven, die Emotionen ausdrücken, empfinde ich oft als krampfhaft und nicht selten auch als unfreiwillig komisch.
Das ist für mich der Punkt. Es muss eben ein gutes Zwischenmaß sein. Aber wenn sich mein Prota übertrieben gesprochen auf jeder Seite dreimal die Tränen aus den Augen blinzelt und den Kloß im Hals hinunterschluckt, dass frage ich mich doch, ob es ein einfaches ,,traurig" oder ,,aufgelöst" nicht auch getan hätte.
Kurzum: Ich will hier nicht gegen SdT wettern, aber ein zwanghaftes show hilft eben auch nicht weiter. Letztlich geht es doch darum, DASS die Emotionen beim Leser ankommen und nicht unbedingt durch welches Handwerkszeug sie vermittelt werden.



Zitat von: AnjanaIch übersetze die Redewendung inzwischen für mich mit "Beweisen, nicht behaupten" und meine damit, dass eine Information nicht isoliert im Text stehen sollte. [...] Kurz gesagt, für mich ist die Überprüfung dieser Regel immer das Streichen des betreffenden Satzes. Kann ich dann noch die Emotion erkennen, beweise ich diese Emotion im Text.
Ein sehr guter Tipp, Anjana, den ich so noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Bei der nächsten Überarbeitungsrunde werde ich mal fleißig hier und da versuchen was beim Streichen passiert.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Lothen am 27. Februar 2015, 11:04:12
Schön gesagt, PinkPuma!  :jau: Und noch mal willkommen im Zirkel. ;)

Ich finde, die (deutsche) Sprache bietet schon sehr viele kraftvolle Möglichkeiten, Emotionen durch einzelne Begriffe auszudrücken.

Gerade Worte wie "Verzweiflung", "Schmerz" oder "Leidenschaft" sind in meinen Augen schon so intensiv, dass sie Emotionen teilweise viel besser transportieren können, als eine noch so detaillierte Beschreibung von flauen Mägen, pochendem Herzen oder Schweißausbrüchen.

Ich schätze, die Herausforderung ist wirklich das richtige Mittelmaß.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 27. Februar 2015, 12:35:06
Eine Idee, die mir noch zu dem Thema gekommen ist:
Wenn ich viel erzähle und dabei auch ausführlicher auf das Innenleben meiner Charas eingehe, ihre Motive und ihre Gefühle, dann denke ich mir immer, dass das verdammt selbstreflektierte Menschen sein müssen. Gerade wenn ich aus ihrer eigenen Perspektive erzähle, weiß mein Chara immer, warum er gerade das tut, was er tut? Oder tut er es einfach? Wenn er es einfach tut, dann wäre das ein klarer Fall von "show".

Insoweit würde ein erzählerisch-geprägter Schreibstil doch auch eher eine auktoriale Perspektive vorgeben (oder zumindest begünstigen), oder?
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Shedzyala am 27. Februar 2015, 17:45:56
Zitat von: Dämmerungshexe am 27. Februar 2015, 12:35:06
Gerade wenn ich aus ihrer eigenen Perspektive erzähle, weiß mein Chara immer, warum er gerade das tut, was er tut? Oder tut er es einfach? Wenn er es einfach tut, dann wäre das ein klarer Fall von "show".


Also meine Charaktere wissen nicht immer, warum sie etwas tun, sondern sind auch mal von sich selbst verwirrt – zumindest, wenn sie etwas zum ersten Mal erleben. Da kann mein Prota auch mal jemanden anlächeln, obwohl er glaubt, ihn nicht zu mögen. Diese weniger kreative Beispielsituation wird auch ein Leser verstehen.

Gerade wenn ich ganz nah an meinem Charakter bin, finde ich es wichtig, dass er sich auch mal irrt. Es muss nur nachvollziehbar bleiben, warum er sich eben geirrt hat. Aber unglaublich reflektierte Charaktere, die eine Situation immer sofort erfassen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen, finde ich nicht so spannend – egal ob per show oder tell sinnieren.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Sanjani am 28. Februar 2015, 00:20:54
Ohne jetzt alle Beiträge gelesen zu haben, gebe ich auch mal meinen Senf dazu :)

Ich mache das meistens aus dem Bauch heraus und aus dem Gefühl, das ich gerade für die Geschichte habe. Auch erzählen kann ja sehr ansprechend sein, wie man, finde ich, gerade bei Majas bildhafter Sprache gut sieht. Ich denke, man sollte auch nicht jeden Kommentar von Betalesern auf die Goldwaage legen. Ich hab auch schon mal geschrieben, dass ich wissen will, wie sich ein Gefühl äußert, aber ich bin ja nicht das Maß aller Dinge. Ich schreibe das, wenn mein Gefühl für die Geschichte sagt, dass da jetzt "Ihr Herz begann zu rasen" hin muss und nicht "Sie bekam Angst". Das hängt aber m. E. auch viel mit der Gesamtatmosphäre der Geschichte zusammen.

Kann man schreiben: "Sie grinste hämisch"? Natürlich kann man das schreiben. Gerade aus personaler Sicht wird so etwas doch immer von der eigenen Interpretation eingefärbt. Wenn mein Kollege XYZ mich morgens nie grüßt, denke ich vielleicht, was ist der arrogant, ein anderer Kollege denkt vielleicht was ganz anderes usw.

Ich versuche mich generell an das zu halten, was ich auch im wahren Leben an mir selbst erlebe oder von anderen höre. Und es ist in den seltensten Fällen so, dass ich denke, oh jetzt hast du aber Angst, und wenn, dann meist nur, wenn das Gefühl nicht so stark ist oder sich langsam aufbaut. Wenn etwas plötzlich auftritt, dann spüre ich zuerst was und weiß erst später, was es ist. Letztens habe ich z. B. vor einigen Leuten vorgesungen, und wenn mich jemand fragen würde, wie das war, wäre das erste, was ich sagen müsste: Meine Hand, die das Mikro hielt, hat wahnsinnig gezittert (ob es wirklich so schlimm war, keine Ahnung, aber das habe ich zuerst gespürt). Dann habe ich gedacht, oh Gott, ich krieg gleich ne Panikattacke. Und so würde ich es auch in einer Geschichte schreiben, wenn der Chara jemand wäre, der zu Panik neigt so wie ich ;-)
Ein anderes Beispiel: Letztens hat eine Kollegin was unglaublich Dämliches gebracht, und ich saß einfach nur da und war fassungslos. Da hätte ich auch gar nicht genau sagen können, was ich gespürt habe. Es war einfach nur Fassungslosigkeit. Ich dachte, ich bin im falschen Film, und genau so würde ich das dann auch schreiben. In Kombination mit dem, was zur selben Zeit gesagt wird und passiert, würde das dann auch entsprechend wirken, denke ich, ohne dass ich das in mir herrschende Gefühl groß zeigen muss.

Außerdem kann man auch gut Unterschiede zwischen Figuren aufzeigen. Es gibt Leute, die z. B. ganz schlecht darin sind, Gefühle überhaupt zu benennen oder zu spüren. Die erleben nur ein Unbehagen oder Unwohlsein, fühlen sich schlecht, aber wissen nicht, was für ein Gefühl das ist. Dann gibt es Leute, die eher spüren als benennen, Leute, die sowohl spüren als auch benennen können und natürlich auch ganz rationale, die nicht viel spüren, aber eher aus einer rationalen Vermutung heraus benennen, was sie wahrscheinlich gefühlt haben. Da kann man ganz viele Facetten zeigen, wenn man Show und Tell entsprechend einsetzt.

Und zuletzt muss ich sagen, dass ich ganz oft erlebe, dass gerade in der Schlichtheit der Sprache manchmal unglaublich viel Kraft liegt. Da wird vielleicht ein Aspekt beschrieben, den jemand sieht, und dann heißt es "Sie begann zu weinen", und dass mir die Tränen runterlaufen, ist sicher. ;)

Fazit: Wenn man achtsam und mit offenen Augen durch die Welt geht, dann ergibt sich die Geschichte beim Schreiben von selbst, auch wenn sie vollständig erfunden ist :) Das ist jedenfalls meine bescheidene Meinung zum Thema :)

VG Sanjani
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: PinkPuma am 28. Februar 2015, 09:07:28
Zitat von: SanjaniEin anderes Beispiel: Letztens hat eine Kollegin was unglaublich Dämliches gebracht, und ich saß einfach nur da und war fassungslos. Da hätte ich auch gar nicht genau sagen können, was ich gespürt habe. Es war einfach nur Fassungslosigkeit. Ich dachte, ich bin im falschen Film, und genau so würde ich das dann auch schreiben. In Kombination mit dem, was zur selben Zeit gesagt wird und passiert, würde das dann auch entsprechend wirken, denke ich, ohne dass ich das in mir herrschende Gefühl groß zeigen muss.

Das finde ich ein gutes Beispiel. Wenn meine Figur fassungslos ist, dann ist sie eben fassungslos und dann schreibe ich das auch genau so. Intendiert fassungs-los nicht eben genau das: Ich kann es nicht fassen, also nicht greifbar machen. Demnach kann ich auch die Emotionen nicht (in Worte) fassen.

Okay, man könnte beispielsweise schreiben: "Er starrte sie mit offenem Mund an." Aber impliziert das das ganze Ausmaß von Fassungslosigkeit? Für mich nicht.   
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: FeeamPC am 28. Februar 2015, 12:09:02
Show don't tell ist überall da wichtig, wo Sinnliches transportiert werden muss. Erotik im tell-Modus geht gar nicht, wenn man dicht am Prota erzählt. Aber es ist ganz bestimmt keine Vorgabe, an die ein Autor sich sklavisch halten muss.
So etwas wie "fassungslos" würde ich immer benutzen, da wäre "show" eher kontraproduktiv.
Und "show" kann extrem interpretationsfähig sein ("tell" eher weniger). zappelt die Prota herum, weil
a) sie nervös ist
b) sie dringend zur Tolilette muss
d) ihr der Hintern vom langen Sitzen wehtut
e) sie es kaum erwarten kann, zu ihren Lover zu kommen?
Wenn sie nicht selbst der Perspektivträger ist, ist es ohne "tell" fast unmöglich, hier eine für den Leser brauchbare Aussage zu machen.
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: PinkPuma am 28. Februar 2015, 13:15:44
Zitat von: FeeamPCShow don't tell ist überall da wichtig, wo Sinnliches transportiert werden muss. Erotik im tell-Modus geht gar nicht, wenn man dicht am Prota erzählt.

Ich glaube, ich mache mir mal den Spaß eine Erotik-Szene aus meinem Projekt komplett in den Tell-Modus umzuschreiben. Ich stelle es mir irgendwie gruselig vor...
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Sanjani am 28. Februar 2015, 13:33:06
Zitat von: PinkPuma am 28. Februar 2015, 09:07:28
Okay, man könnte beispielsweise schreiben: "Er starrte sie mit offenem Mund an." Aber impliziert das das ganze Ausmaß von Fassungslosigkeit? Für mich nicht.   

Für mich auch nicht. Außerdem wird der offene Mund in meinen Augen auch eher überstrapaziert. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, jemals mit offenem Mund da gestanden zu haben. Wenn überhaupt, dann habe ich mal mit "Waaas?" reagiert und dann war der Mund aber auch nur halboffen ;)
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: PinkPuma am 28. Februar 2015, 14:17:50
Zitat von: SanjaniAußerdem wird der offene Mund in meinen Augen auch eher überstrapaziert.

Das finde ich auch. Genauso wie die aufgerissenen Augen. Stell dir das bitte mal bildlich vor: Ein Mensch mit weit aufgerissenem Mund und weit aufgerissenen Augen. Das ist doch eher Gesichts-Yoga als Fassungslosigkeit.  ;D
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Darielle am 14. März 2015, 17:33:42
Ich möchte nochmal etwas grundsätzliches zu dem Thema einbringen, das mir hier im Thread noch nicht aufgefallen ist. Falls es als Argument schon wo steht, bitte ich das zu entschuldigen. Mein liebster und weisester Schreibratgeber sagt zu Show, don't tell folgendes:

ZitatNatürlich stellt sich hier sofort das Problem der Ökonomie: Ein zusammenfassendes, gar urteilendes Wort ("Er war ein mutiger Bursche.") ersetzt eine ganze Szene, in der der Mut des Jungen gezeigt werden müsste. Wer also schnell eine Reihe von Informationen mitteilen will, wird eher mit Beschreibung oder gar abstrahierender Beurteilung sein Ziel erreichen. Aus diesem Grund verwenden gerade die Eröffnungen älterer Romane häufig dieses Mittel. Sie wollen ihren Helden ohne Umschweife dem Leser vorstellen. Lebendiger, wirksamer und faszinierender jedoch ist die Entwicklung eines Charakterbildes im Fortgang der Handlung: Der Leser wird eingeladen, an einem Phantasiespiel teilzunehmen, halb Kreuzworträtsel, halb Maskerade. Er darf aktiv sein und wird nicht bevormundet.
Zitat aus "Kreativ schreiben - Handwerk und Techniken des Erzählens" von Fritz Gesing, Seite 71.

Darum neige ich dazu, Show nicht nur als Element der Weitergabe sinnlicher Reize zu betiteln, wie es Fee benannt hat. Ein ganzer Roman mit wenig Show wäre doch langweilig und viel zu kurz, oder? Ich denke, jeder von uns kennt Romane, in denen es elendig lange Landschaftsbeschreibungen gibt. Stillleben im wahrsten Wortsinn. Und die Liebhaber dieser gemalten Wortlandschaften werden leider immer weniger... Überhaupt ist die Frage nach Show, don't tell eine zentrale, denn in der modernen Literatur werden reine Tell-Elemente immer weniger. Woran das liegen mag, darüber sollte jedem sein eigener Gedanke erlaubt sein. Ich persönlich empfinde es, als ob die Verstumpfung der Leser wie ein breitgefächerter Krebs in den Zellen der Buchkultur wächst und sich von Show-Extremen nährt.
Es wäre wünschenswert, wenn beide Extreme sich wieder stärker mischen würden - und dass ich diesen Wunsch nicht an eure Adresse zu richten brauche, ist mir wohl bewusst. Nirgendwo sonst habe ich Autoren getroffen, die mit so viel Detailversessenheit und Eifer an der Ausfeilung von Romanen als Kunstwerke arbeiten. Trotzdem war es mir ein Bedürfnis, die Meinung einmal los zu werden. Danke, dass ihr mir meine Freude am Schreiben zurück gebracht habt.

Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Drachenfeder am 17. März 2015, 15:53:14
Hachja dieser Satz. Ich liebe und hasse ihn zugleich. Habe ihn auch schon Verlegern bzw. Lektoren gehört. Manchmal ja, da hatten sie recht und das "show" war definitiv notwendig, um mehr aus dem Text rauszuholen. Doch dann gibt es wieder Passagen, da will ich erzählen und das tue ich auch. Ich bewege mich also auch zwischen "show" und "tell", habe da nun meine ganz eigene Mischung entwickelt mit der ich bestens klar komme und die beim Leser auch gut ankommt.

Zitat von: Maja am 24. Februar 2015, 00:23:18
Wenn euch nach Erzählen ist, dann erzählt. Ihr seid nicht für die Schreibratgeber da, und ihr müsst ihnen nicht sklavisch gehorchen. Schreibt, wie ihr wollt. Hauptsache, ihr macht das so gut, wie ihr irgendwie könnt, und seht zu, dass ihr immer und immer weiter besser werdet.

:jau:
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: AlpakaAlex am 30. August 2021, 13:52:08
Show, don't tell ist wahrscheinlich einer der am häufigsten falsch dargestellten Ratschläge in der ganzen Schreibcommunity. Einfach weil die meiste Zeit einfach übergangen wird, dass es eigentlich ein Motto aus Filmen und im weitesten Sinne den visuellen Medien ist. Dort ergibt es eben auch Sinn, denn da kann man Dinge tatsächlich zeigen und hat einen deutlichen Unterschied zum erzählen. Es ist im visuellen definitiv interessanter zu sehen, wie beispielsweise Gruppe 1 Gruppe 2 in den Rücken gefallen ist, als wenn der eine überlebende von Gruppe 2 uns dann melodramatisch erzählt, dass eben das passiert ist. Soweit, so gut.

Beim Schreiben ist es aber etwas komplizierter, weil man den Leser*innen nun einmal alles erzählt. Nehmen wir also das Beispiel von der einen Gruppe, die der anderen in den Rücken fällt. Egal, ob wir nun daraus eine Flashbackszene bauen oder einfach den einen überlebenden einen entsprechenden Dialog geben: Wir erzählen es in beiden Fällen. Entsprechend macht es eben nicht den großen Unterschied, welche der beiden Variationen wir nehmen - gerade wenn wir den Dialog emotional aufladen. (Genau deswegen bin ich auch kein Fan von Flashbacks in geschriebenen Geschichten, solange sie nicht ein cooles Framing Device haben.)

Allerdings gibt es schon Aspekte, wo der Spruch durchaus Sinn ergibt. Zwei Beispiele dafür sind Gefühle und Charaktereigenschaften. Bei Gefühlen sagt es weitaus mehr aus, wenn man beschreibt, wie das Herz bis zum Hals pocht und die Figur dem Gegenüber am liebsten ins Gesicht schlagen würde, als wenn man schreibt: "Er war wütend."

Genau so ist es eben bei Charaktereigenschaften. Hier ist es sogar noch schlimmer. Charaktereigenschaften, die nicht gezeigt werden, haben recht wenig Wert. Ist leider auch einer der häufigsten Anfänger*innenfehler, was sicher nicht dadurch besser gemacht wird, dass man es teilweise auch in den Jugendbüchern findet. Dann wird ein Charakter als etwas beschrieben, aber es wird nie gezeigt, dass der Charakter sich so verhält. Am schlimmsten finde ich das ja persönlich in Romanzen, wo häufig dann ein*e Ich-Erzähler*in davon schwärmt, wie liebevoll und einfühlsam der Boyfriend doch ist, aber was gezeigt wird, ist einfach das Hinterletzte Arschloch.  :kotz:
Titel: Re: Show, don't tell?
Beitrag von: Araluen am 30. August 2021, 14:18:44
Ich sehe in "Show, don't tell" das Versprechen dem Leser gegenüber, ihm Dinge nicht einfach nur zu erzählen, sondern auch auf einer gewissen Ebene zu beweisen und eben auch eine gewisse Konsistenz im Verhalten der Figuren zu wahren.
Beispiel:
Mona war traurig, weil ihr Freund sie verlassen hatte.
Das wird erzählt, der Leser muss es glauben, obwohl es keinen Beweis dafür gibt, ob Mona wirklich so fühlt. Manchmal kann es ganz gut sein, auf diese Art abzukürzen. So ein Roman kann ja auch nicht unendlich dick werden. Oft führt es aber auch dazu, dass der Fakt geliefert wird und sich die Figur im Folgenden völlig anders verhält, indem unsere Mona jetzt zum Beispiel im nächsten Moment mit ihrer besten Freundin fröhlich ein Eis essen geht.
Mona war traurig und Mona geht fröhlich ein Eis essen, müssen sich nicht zwangsläufig ausschließen. Jeder Mensch geht mit so einer Trennungssituation anders um. Nur dem Leser fehlt in diesem Fall der Beweis, dass Mona a) wirklich traurig ist und b) dennoch in der Lage mit ihrer Freundin fröhlich ein Eis essen zu gehen. Dadurch wirkt das ganze Konstrukt unglaubwürdig.
Hier kommt dann Show ins Spiel, wobei dem Leser wirklich gezeigt wird, dass Mona traurig ist und wie sich ihre Stimmung wandelt, dass sie trotzdem fröhlich ein Eis essen kann oder vielleicht nur nach außen hin fröhlich wirkt ihrer Freundin zuliebe.