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Schreiben lernen

Begonnen von Trippelschritt, 16. Oktober 2019, 12:52:46

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Angela

Ich habe hier im TiZi gemerkt, wie schwer es einigen von uns fällt, ihre Texte zu Ende zu bringen. Ich habe so tolle Skripte betagelesen und dann fehlte der Schluss und ich habe nie mehr etwas von einem Buch oder einem Exposé dazu gehört. Das scheint wirklich ein Problem zu sein.
Schreibt das verdammte Ding zu Ende, egal, wie schwer euch das fällt.
Damit kann man dann arbeiten, es ändern, was auch immer.

Und habt Geduld mit euch. Nehmt euch Zeit, seid gnädig mit euch. Kinder kommen auch nicht auf die Welt und machen nach drei Jahren Abi.

Trippelschritt

#16
Ich habe erfahren müssen, wie wichtig es ist, so ungefähr zu wissen, wo man selbst steht, denn der Anfänger hat andere Probleme als jemand, der bereits sehrt weit fortgeschritten. Und da man nie auslernt, lohnt es sich für jeden noch dazuzulernen.

Da bei mir das Schreiben ein Teil meines Berufs war, habe ich nie erfahren, wie schwierig es ist, einen Text zu beenden. Das fand ich erst hier heraus und ich kann Neil Gaiman und auch Angela nur zustimmen, dass das Erste, was man lernen muss, ist, einen Text zu seinem Ende zu führen. Dabei ist es egal, wie lang der Text ist.

Was sich wahrscheinlich auch verallgemeinern lässt, sind zwei weitere Empfehlungen:
- Einmal viel zu lesen, wobei diskutabel ist, was man lesen sollte. Das hängt auch sehr stark davon ab, was man als nächstes Lernen möchte, denn "Schreiben lernen" ist ein recht generelles Ziel, das aus mehren Einzelzielen besteht. (Z.B. Ideenfindung, Schreibhandwerk. Schreibstil und Stimme, Erzähltechnik)
- Zum anderen viel zu schreiben. Auch wenn ich den Spruch: "Schreiben lernt man nur durch Schreiben" für irreführend halte. Aber sicher gilt, dass man Schreiben nicht lernen kann, ohne es zu tun. Andererseits kann man auch jahrzehntelang denselben Blödsinn schreiben.

Was man dann noch machen möchte, hängt ganz von den eigenen Befindlichkeiten ab. Einige bevorzugen Schreibratgeber, andere lehnen sie völlig ab. Ähnlich verhält es sich mit Schreibkursen. Und wenn man auf Ratgeber und Kurse setzt, dann ist immer noch offen, welche Ratgeber und Kurse man auswählt.
Ich liebe Schreibratgeber und meide Kurse. Ratgeber stimulieren mich, Kurse sind meist nur für Planschreiber, der ich nun mal nicht bin. Unter den vielen Schreibratgebern, die ich gelesen habe möchte ich nur drei erwähnen, weil die mir besonders schnell weitergeholfen haben:
1. Sol Stein, Über das Schreiben.
Mir haben die einzelnen Häppchen gefallen, in die er das Schreibhandwerk aufteilt. Gleich mehrere haben mich stimuliert, seine Ratschläge spontan umzusetzen. Mit anderen Worten, ich habe Beschreibungen geübt oder Dialoge oder Anfänge. Ich wollte immer nur Romane schreiben, aber Romane bestehen aus Szenen, und Szenen sind oft nicht grundsätzlich anders als bestimmte Formen von Kurzgeschichten. Also schrieb ich auch Kurzgeschichten mit eindeutigem Schwerpunkt: Beschreibung, Spannung, Atmosphäre etc.

2. Orson Scott Card, Character & Viewpoint
Darin geht es vor allem in der zweiten Hälfte um die Perspektive und dessen Beziehung zu Distanz und Nähe. Für mich war dieser Ratgeber unbezahlbar, weil ich zwar vieles instinktiv richtig machte, aber vor allem mit distanz und Nähe nicht nach Belieben spielen konnte. Das habe ich erst lernen müssen.
Dieser Ratgeber steht also stellvertretend für den Typ Ratgeber, der sich auf ein einzelnes Thema beschränkt.

3. Robert McKee, Story
Ein Ratgeber für Drahbuchschreiber. Ich hatte nie vor, Drehbücher zu schreiben, habe aber unter den Schreibratgebern, die sich mit dem Schreibhandwerk befassten, kaum etwas Brauchbares für Erzähltechniken gefunden. Dieser Markt wurde erst durch Ratgeber für Drehbücher abgedeckt.

4. Wer geschliffenes Deutsch schreiben möchte, braucht noch einen Ratgeber für Stil. Ich setze ihn erst ein beim letzten Überarbeiten. Es gibt gleich mehrere gut Bücher auf dem Markt. Schaut einfach selbst, welches Buch euch entgegenkommt.


Und was macht der, der schon brauchbar schreibt und erfolgreich publiziert?
Er wird schon seinen eigenen Weg finden, der genau zu ihm passt. Empfehlen kann ich immer, die eigene Komfortzone zu verlassen, was besonders schwierig ist, wenn man seinen Markt gefunden hat und womöglich sogar Bestsellerautor ist. Aber es kann auch langweilig werden, immer Bestseller nach demselben Schema zu schreiben. Das wird einem Neil Gaiman nicht passieren. Aber ich habe das schon zweimal gehört. Erfolg kann auch eine Weiterentwicklung blockieren. Da wir niemanden im Tizi haben, denke ich, ist dieser Rat wohl nicht so wichtig.

Viel und das Richtige lesen gilt auch für den Fortgeschrittenen. Was wichtig ist, mag für jeden etwas anderes sein.

Und mein spezieller Weg war es schon recht früh, einen eigenen Schreibratgeber zu schreiben. Einen ganz besonderen Schreibratgeber, einen für einen einzigen Leser (mich), der niemals beendet sein und niemals publiziert werden wird. Er enthält alles, war mir aufgefallen ist und womit ich mich beschäftigt habe. Er begann als Materialsammlung. Dann gab es einige Schwerpunkte. Mittlerweile habe ich sogar einige halbfertige Kapitel. Ganz fertig werden sie nie.
Mir hilft diese Arbeit an dem Schreibratgeber sehr, aber ich war ja u.a. auch eine Art Lehrer, und um zu lehren, muss man Dinge erst einmal selber verstehen und durchdenken. Und diese einmal notiert, bewahrt sie davor, nach dem nächsten Roman wieder vergessen zu werden. Ich gebe aber gern zu, dass das ein etwas spezieller Weg ist, dazu zu lernen.

Make good art, empfiehlt Neil Gaiman. Dem möchte ich mich anschließen.

Danke für das Teilen eurer Gedanken
Liebe Grüße
Trippelschritt

Marta

Schöne Tipps bisher. Danke! Bücher zu Ende zu schreiben war für mich auch eine Offenbarung. Und wenn man es einmal geschafft hat, schafft man es immer wieder.

Mir fällt nur noch ein Tipp ein: Der Text ist auch wichtig. Plot, Prämisse, Figurenentwicklung und Worldbuilding sind tolle Sachen, aber wenn der Text selbst sich liest wie verstaubte Socken, bricht der Leser nach 2, 3 Seiten ab. Dagegen gibt es x Bestseller mit schluffigem Plot und Deppen-Figuren, die man einfach so wegliest. Unterhaltsam schreiben ist auch eine Kunst. Nicht nur faul Adjektive verwenden, sondern Bilder erschaffen, alle Sinne ansprechen, die Satzlänge abwechseln, Rhythmus erschaffen, jeder Figur eine eigene Stimme geben und vor allem: Spaß haben. Dann hat der Leser auch Spaß.

Anj

Was mir auch sehr geholfen hat, mein zweites Projekt zu beenden war die Regel jeden Tag zu schreiben. Die extrem geringe Zielsetzung von 50 Worten am Tag hat in der Regel dazu geführt, dass ich damals in den Werbepausen vor dem TV abends die 50 Worte geschrieben habe, dann war ich wieder drin in der Geschichte und habe oft (aber nicht immer) erheblich mehr zu Papier gebracht. Ohne diese eiserne, aber leicht zu erfüllende Aufgabe hätte ich das Projekt aufgrund von Stress im RL vermutlich nicht beendet.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Alia

Zitat von: Lino am 16. Oktober 2019, 17:11:01
Am häufigsten rolle ich beim Lesen die Augen, wenn die Autorin diesen Tipp aus der Liste nicht beherzigt hat: "Spätestens ab der Mitte der Geschichte dürfen Zufälle keine entscheidende Rolle mehr spielen."
Ich denke, das muss man relativieren. Zufälle können ruhig noch vorkommen und auch entscheidend sein - aber bitt nur wenn sie gegen den Helden arbeiten.

Wenn die Bombe tickt und die Zeit wegrennt, sind haben kleine Zufälle enorm große Auswirkung. Wenn du damit immer mehr Druck reinpackst, ist doch okay.
Wenn die Waffe des Helden klemmt, dann doch bitte wenn er fast auf dem Tiefpunkt ist und es wirklich drauf ankommt.
Wenn man mit dem Fuß in ein Kaninchenlock tritt, dann wohl auf der Flucht vor den Bad Guys.

Dass die Waffe der Gegner im Endkampf hängt oder der Verfolger in ein Kaninchenloch tritt, ist dagen blöd.
Leser wollen, dass ihre Helden sich abrackern und ihn noch ein kleines Stück tiefer in den Dreck treten macht allen Spaß.
Desewegen: Zufällige Hindernisse sind okay - zufällige Hilfe nicht.

xrystal

#20
Zitat von: Alia am 24. Oktober 2019, 12:24:47
Wenn die Bombe tickt und die Zeit wegrennt, sind haben kleine Zufälle enorm große Auswirkung. Wenn du damit immer mehr Druck reinpackst, ist doch okay.
Wenn die Waffe des Helden klemmt, dann doch bitte wenn er fast auf dem Tiefpunkt ist und es wirklich drauf ankommt.
Wenn man mit dem Fuß in ein Kaninchenlock tritt, dann wohl auf der Flucht vor den Bad Guys.

Es ist vielleicht Geschmackssache, aber ich finde alle drei Beispiele furchtbar. Als Leser machen mir Höhepunkte und Finalkämpfe wesentlich mehr Spaß, wenn der Held seine eigenen Schwächen und/oder die Stärken des Gegners überwinden muss. Wenn die Waffe des Helden klemmt, weil der Antagonist diese zuvor heimlich manipuliert hat, dann finde ich das viel spannender als eine eine Waffe die klemmt, weil, naja, Pech gehabt.

Bei Zufällen (egal ob sie dem Prota helfen oder schaden) bekomme ich schnell den Eindruck, dass der Autor die Situation gefährlicher und dramatischer darstellen wollte als sie in Wahrheit ist.

Anj

#21
Also ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich die zufälligen Erschwernisse inzwischen auch ganz schlimm finde. Mir verleiden sie den Lesespaß spätestens beim 2. Mal, weil sie sich oft nicht wirklich einfügen und man so richtig merkt, dass eben der Tipp es muss immer noch einmal schiefgehen abgearbeitet wurde. Sobald ich das Gefühl habe, dass irgendeine Regel abgehakt wird, gibts einen minuspunkt. Deswegen müssen sich die Hindernisse zum Spannungsaufbau für mich ebenfalls aus dem Plot oder den Figuren ergeben. Dabei bin ich gar nicht grundsätzlich gegen Zufälle, nur eben nicht in den Höhepunktszenen. Ein zufällige Begegnung, ein zufälliges Puzzlestück - das ist für mich alles okay. Eine zufällige Rettung aus brenzliger Situation oder eine zufälliger Verschlimmerung einer brenzligen Situation mag ich nicht.
Aber genau diese Empfindungen zu kennen, die eigenen Vorlieben und auch die Kritikpunkte derer, die andere Vorlieben haben, können enorm dabei helfen, den eigenen Text in Bezug auf die anvisierte Zielgruppe einzuschätzen.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Trippelschritt

Zufälle sind nicht grundsätzlich ein Problem, aber etwas diffizil zu handhaben. Was immer wieder geht, ist eine zufällige Begegnung, scheinbar folgenlos. Und dann wird aus dieser Begegnung etwas aufgebaut, das sogar in Frage stellt, dass diese Begegnung zufällig war. Auf jeden Fall hat sie etwas ausgelöst, das erst viel später Auswirkungen hat. So etwas geht immer, wenn es sich nicht häuft.

Bei Fantasy muss man besonders aufpassen, weil es eine Nicht reale Welt ist, die allerdings innerhalb ihrer eigenen Regeln plausibel ist. Der Feind ist die Beliebigkeit. Sie entzieht dem Setting einer Fantasywelt die Grundlage.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Halblingschruut

Das Thema ist unglaublich spannend!
Erstmal danke für all die tollen Tipps, vor Allem die Schreibratgeber werde ich mir mal genauer ansehen  :jau:
Ich denke, dass man schon in banalen Alltagssituationen viel übers Schreiben lernen kann.
Ich probiere beispielsweise oft neue Wörter oder Formulierungen in Dokumentationen für die Berufsschule oder auf Notizen im Geschäft aus.- egal wie klein und unscheinbar der Inhalt ist.
Ein ganz grosser Fan bin ich ebenfalls von der Seite "ein anderes Wort für". Manchmal gebe ich irgendein Wort ein und lasse mich von den Vorschlägen inspirieren, umso besser fühlt es sich an wenn man selber eine Idee hinzufügen kann!

Zitat von: Alia am 24. Oktober 2019, 12:24:47
Wenn die Waffe des Helden klemmt, dann doch bitte wenn er fast auf dem Tiefpunkt ist und es wirklich drauf ankommt.
Wenn man mit dem Fuß in ein Kaninchenlock tritt, dann wohl auf der Flucht vor den Bad Guys.

Das ist für mich etwas vom Schrecklichsten was es gibt  :wums:
In manchen Filmen/Büchern geht es mir sogar so, dass ich sobald sich so eine Stelle anschleicht, sage "Und jetzt passiert irgendetwas unvorhersehbares aber hey, er schafft es ja eh also kann ich ganz entspannt bleiben" . Da kriegsch dKrise  ;D
Den Tod als Gewissheit,
geringe Aussicht auf Erfolg.
Worauf warten wir noch?
~ Gimli, Glóins Sohn

Kunstmut

#24
Wer noch nach weiteren Schreibratgebern sucht, sollte sich auf die Webseite des "Autorenhaus Verlag" begeben. Dort finden sich nicht nur philosophische Bücher über das Schreiben (Sol Stein - Über das Schreiben; Dorothea Brande - Schriftsteller werden), es gibt auch Bücher zum Verlagswesen mit Nennung von gefühlt allen Verlagen, Agenturen, Adressen, Stipendien, Webseiten, Literaturzeitschriften und so weiter und so fort von Sylvia Englert. Interessant auch die Bücher, die nicht auf Romane abzielen, so finden sich auch Bücher, wie man Drehbücher für Filme schreibt oder wie man Schreibspiele in den Unterricht einbaut. Meine persönliche Erfahrung bei der Suche nach Schreibratgebern in diversen deutschen Buchhandlungen war immer folgende: Deutsche Literatur besteht gefühlt zu 80 Prozent aus zwei Themenkreisen. Themenkreis 1: Zweiter Weltkrieg und Hitler. Themenkreis 2: Jüdisches Leben, Jüdische Erinnerung, Jüdische Diaspora, Jüdische Kindheit, Jüdische Biographie, Jüdischer Schicksalsroman mit starken Frauen. Daraus resultiert, dass die meisten Schreibratgeber darauf abzielen, die eigene Biographie aufzuarbeiten, Schreiben lernen, als Mittel persönliche, psychologische Traumata aufzuarbeiten. Was nichts mit Literatur zu tun hat. Und dann gibt es viele Pädagogik-Bücher, aber ich will nicht Grundschüler mit Sprachspielen beschäftigen und Lerneinheiten erstellen. Stark subjektive Bücher wie das von Stephen King habe ich nie angerührt, weil schon vor dem Lesen klar ist, dass da ein Mensch seinen eigenen Weg beschreibt. Und dieser Weg ist speziell und funktioniert wohl nur bei einigen wenigen.

Zuerst geholfen hat mir "Wolf Schneider - Deutsch für junge Profis". Das Buch ist kurz. Und es ist gut geschrieben. Und dekonstruiert nebenbei noch merkwürdige Prosa aus den Bereichen Journalismus und Wissenschaft. Vom Inhalt her musste ich ins Ausland schauen, da aufgrund der speziellen deutschen Geschichte die Tradition rund um das Schreiben anders ist. Wer hier nicht mit Gruppe 47, Günter Grass Vergötterung, FAZ und Zeit Abo liebäugelt, findet in Deutschland lange Zeit nichts und danach noch weniger. Also rübergeschaut nach USA, wo die weißen Herrenmenschen der Schöpfung leben, die ja nach eigener Darstellung (american exceptionalism) ganz besonders toll und wichtig sind. Zumindest in der Traditon des creative writing haben die einiges vorzuweisen. Und der beste Ratgeber kommt aus New York City und nennt sich "Gotham Writers' Workshop". Einziger Haken an diesem brillanten Buch - da für die Amerikaner bekanntlich nur englischsprachige Literatur existiert, bleiben die Beispiele darauf beschränkt. Was zumindest dann interessant wird, wenn man sich mal französische oder russische oder ja, auch deutsche Romane anschaut. Ganz zu schweigen von der asiatischen Literatur, die sprachlich in einer Parallelwelt spielt, auch wenn die Inhalte wie Liebesleiden, Ehekrise, Krieg und Flucht einem dann doch wieder unangenehm bekannt vorkommen.


***


Zur Ergänzung, um in diesem Thread noch etwas Anderes beizutragen. Sammelt Schulbücher! Zum Beispiel Deutschschulbücher. Nutzt Sprachlernbücher aus dem Duden Verlag und aus dem PONS Verlag. Gerade, wenn man mit Duden und Synonym-Wörterbuch arbeitet, lernt man soviel über die Zwiebelschalen des Vokabulars, über die Tücken und Labyrinthe und Fallen des Satzbaus.

Aber mein bisher wichtigstes Erlebnis: Einen Roman in einer Fremdsprache lesen. Auf einmal lernt man, was über Ländergrenzen und Sprachgrenzen hinweg funktioniert. Und was eben nicht funktioniert. Weltliteratur zeichnet sich dadurch aus, dass man sie in vielen verschiedenen Sprachen lesen kann, ohne dass die Wirkung nachlässt. Bei Manga kann man wunderbar Reaktionen lesen. Bin mal vor einiger Zeit innerhalb eines Anime-Forums auf einen Thread gestoßen, indem sich eine Frau aus Finnland und ein Mann aus Indien über nischige japanische Serien unterhielten. Und die englische Sprache diente als Werkzeug der Verständigung. So sollte man meiner Meinung nach das Schreiben lernen auffassen: Als Werkzeug, um sich einem anderen Menschen mitzuteilen. Und wenn man es geschafft hat, dass es verständlich ist, kann man daran arbeiten, es "cool" klingen zu lassen. Auch hier empfehlen sich Fremdsprachen. Wenn man in neuer Sprache noch sehr vorsichtig und umsichtig schreibt, folgt man der Maxime "weniger ist mehr". Was einem aufgrund des limitierten Vokabulars aufgezwungen wird, kann man in die eigene Muttersprache übernehmen. Die Autorin Yoko Tawada macht daraus sogar eine eigene Kunstform, indem sie beim hin und her übersetzen ganz genau auslotet, welche Bedeutung Worte im Grenzverlauf verschiedener Sprachen haben. Als Resultat entstehen sonderbare Perspektiven, auf die man erstmal kommen muss. "Etüden im Schnee" erzählt aus den Perspektiven von drei Eisbären (Großmutter, Mutter, Sohn) und wie sie die Welt erleben.

Ganz unabhängig vom Thema, meine eigene sehr stark subjektive Meinung: Ich finde, jeder Autor sollte solange suchen, bis dieses eine Genre und dieser eine Stil gefunden ist. Das kann auch mit einschließen, dass der Inhalt unterschiedlich ausfällt. Gerade bei Neil Gaiman stehen doch immer sehr exzentrische, abgefahrene Charaktere und irgendwas mit nordischer Mythologie im Vordergrund. Dazu eine Sprache, die immer mal wieder ihre Fledermausflügel schwingt und dosiert und kontrolliert ausrastet. Perfektes Beispiel: Irgendwo im Blog von Gaiman findet sich eine doch sehr ungewöhnliche Hochzeitsrede für Freunde. Man könnte es einen Dachschaden nennen oder gaimanesk. Anderes Beispiel sind seine Schreibregeln. Der Mann neigt ja sehr gerne zum Relativieren, findet irgendwie alles gut, was er ablehnt und was er ablehnt, ist trotzdem gut. Das gipfelt dann in der merkwürdigen Regel 5:

"Remember: when people tell you something's wrong or doesn't work for them, they are almost always right. When they tell you exactly what they think is wrong and how to fix it, they are almost always wrong."

Ja, was denn nun? Nach wem soll man sich richten? Nach niemandem. Hilfreich finde ich ja diese Lebensweisheit aus dem Entertainment, also Musik und Schauspielerei: "You can not be everybody's darling". Hier aus meinem Bluesgitarren-Lehrbuch. Als Beispiel kommt die berüchtigte Band Böhse Onkelz (aktuelle Beispiele sind wohl Helene Fischer oder Rammstein).

Zitat: "Wenn einen 99 Prozent hassen und 1 Prozent aller Menschen lieben, dann hat man einen deutlich größeren Erfolg, als wenn man 100 Prozent der Leute gleichgültig ist".

Schreib deinen Weg. Lass die Leute reden.

Anj

Zitat
"Remember: when people tell you something's wrong or doesn't work for them, they are almost always right. When they tell you exactly what they think is wrong and how to fix it, they are almost always wrong."

Ja, was denn nun? Nach wem soll man sich richten? Nach niemandem.
Also ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Regel der Wahrheit sehr nahe kommt. Dabei geht's für mich darum, die eigene Lösung für das zu finden, was bei einem Leser nicht funktioniert, statt Lösungen des Lesers zu übernehmen.
In den meisten Fällen (Ausnahme ein paar andere Autoren) legt der Leser die Finger schon auf einen wunden Punkt. Nur die Lösungsvorschläge, die sind in den meisten Fällen nicht wirklich hilfreich, weil sie auf der falschen Ebene ansetzen. Vergleichbar vielleicht damit, dass der Leser sagt, der Arm ist kaputt, tu da mal Salbe drauf, während der Arm tatsächlich gebrochen ist und einen Gips braucht.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Trippelschritt

Ich kann das nur dreimal unterstreichen

Leser hab en einen sehr feinen Sinn dafür, was nicht funktioniert, weil sie das an sich selbst, an ihren Gefühlen ablesen können. Zwar wird man auch da unterschiedliche Meinungen finden, aber es lohnt sich immer, jeder einzelnen Meinung nachzugehen. Das habe ich über die Jahre gelernt.

Bei der Aussage: Das ist falsch, weil ... hingegen ist Vorsicht geboten. Nur die wenigsten Leser sind in der Lage, eine Analyse vorzunehmen, die etwas taugt. Dazu fehlt den meisten schlicht die Kompetenz. Und bei den Verbesserungsideen ist es noch schlimmer. Dazu müsste man schon vom Fach sein, also Kollege.

Bauchgefühl stimmt meist, deshalb drauf achten, den Rest besser vergessen.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Tom Arroway

@Marta
ZitatBücher zu Ende zu schreiben war für mich auch eine Offenbarung. Und wenn man es einmal geschafft hat, schafft man es immer wieder.

Hui. Da nehme ich dich mal beim Wort!  ;)

Ich sitze jetzt - alle Planungen mitgerechnet - im dritten Jahr. Seit knapp anderthalb Jahren am ersten Entwurf.
Und ich muss sagen, das Wichtigste für mich ist die Entscheidung, das zu wollen. Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll.

Aber ich will natürlich nicht den Streit mit meiner Freundin, weil ich das Wochenende zum Schreiben brauche. Ich will im Urlaub in Südfrankreich auch nicht unbedingt im Zelt bleiben, wenn man genauso den Strandspaziergang machen kann. Aber ich finde, Schreiben ist eine Entscheidung. Wenn du da einmal richtig ja gesagt hast, dann kannst du ja gar nicht mehr anders, als den Strandspaziergang sausen zu lassen...

Was mich immer wieder ins Schreiben reinzieht, wenn ich mal zu lang raus war, das sind Videos übers Schreiben auf Youtube. Wenn ich davon ein, zwei gucke, dann bin ich sofort wieder Feuer und Flamme... Besonders liebe ich die Schreibdilettanten.
"Was man heute als Science Fiction beginnt, wird man morgen vielleicht als Reportage zu Ende schreiben müssen." (Norman Mailer)

Tom Arroway

Ach, so: Und ich habe mich tatsächlich am Anfang viel mit Schreibratgebern hingesetzt. Ich fands irgendwie ganz angenehm. Am Anfang war ich eh mehr im Plotten und noch nicht im tatsächlichen Schreiben. Da fand ich es ganz nett, mich berieseln zu lassen. Habe damals viel von Stephan Waldscheidt gelesen und es nicht bereut.
"Was man heute als Science Fiction beginnt, wird man morgen vielleicht als Reportage zu Ende schreiben müssen." (Norman Mailer)

Blue


Viel Lesen, viel Schreiben. Das hörte ich damals von allein Seiten, als ich begann ernsthaft Geschichten zu schreiben. Und bei mir hat vor allem - ganz unromantisch - die Stilanalyse von Papyrus Autor dazu beigetragen meinen Schreibstil erheblich zu verbessern. Einfache Dinge wie Verzicht auf (zu viele) Adjektive, Wortwiederholungen, Füllwörter und Passivkonstruktionen hat meine Entwicklung vor allem am Anfang beschleunigt.

Das zweite ist: Gedichte lesen. Das habe ich mir am Morgen zum Frühstück angewöhnt. Ungewöhnliche Bilder, Metaphern und Menschen die kunstvoll die Sprache biegen, ohne dass sie bricht. Das inspiriert mich.

Und darin liegt der Zauber meiner Meinung nach. Schreiben ist eine Mischung aus Handwerk (wobei man nie auslernt) und purer Kreativität.