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Die Schwächen und Entwicklung der Figuren im Plot

Begonnen von Franziska, 20. Juli 2022, 19:28:48

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Franziska

Ich beschäftige mich gerade viel mit Plotten und dabei geht es ja immer um die Entwicklung der Figuren. Der Plot dreht sich darum, dass die Figur ein Ziel hat, dass sie erreichen will und etwas hindert sie daran. Neben den äußeren Umständen, ihre eigene Schwäche, die sie lernt zu überwinden.

(klar kann man Plots auch anders entwickeln, aber es geht mir hier konkret darum, es so zu machen, also diesem klassischen Schema zu folgen.)

Ich hab das bisher oft unbewusst gemacht, gerade bei Romance ist dieser Aspekt einfach, oft geht es darum, dass die Figuren lernen müssen, wieder zu vertrauen oder zu ihren Gefühlen zu stehen etc.

Jetzt habe ich ein Fantasy-Projekt mit vielen Figuren, die alle ihre eigene Entwicklung brauchen.

Ich hab zur Inspiration mal danach gesucht und Listen gefunden.
Beispiele:
eitel, selbstsüchtig, wenig selbstbewusst, obsessiv, kein Vertrauen, machthungrig, rachsüchtig, arrogant, naiv, unreif, kontrollierend, hängt an Vergangenheit, ängstlich ...

Aber das alles macht nur in einem Kontext Sinn. Einige Figuren müssen ihre Schwäche natürlich auch gar nicht überwinden, sondern scheitern an ihr, wie Antagonisten oder tragische Helden.

Wie geht ihr da ran? Ergibt sich das bei euch automatisch, denkt ihr darüber nach?  Welche Schwächen bzw. Entwicklung macht eure Figur durch? Oder eure Lieblingsfigur aus Buch/Film?

Malou

#1
Hmmm also bei mir ergibt sich das auf unterschiedliche Weisen. Zur Inspiration für die Figurenentwicklung empfehlen kann ich:


Meine Charaktere entstehen aber hauptsächlich aus dem Bauchgefühl heraus, sodass ich die eben aufgezählten Inspirationspunkte eher dazu nutze, dem Bauchgefühl einen Begriff zu geben bzw. es selbst zu verstehen. Ich lese dann etwas und denke "Ja, das ist es.". Manchmal weiß ich es aber auch noch nicht so genau, dann versuche ich, den Charakter besser kennenzulernen, indem ich einige Szenen schreibe oder einige Kreativmethoden u.Ä. anwende, um mehr über den Charakter herauszufinden. Das kann ein Brainstorming sein, ein Interview mit dem Charakter, aber auch Songs, Bücher und Filme können mich inspirieren, genauso wie Menschen aus dem realen Leben oder ich selbst - denn meine eigenen Schwächen, Entwicklungen und Lessons to learn kann ich am besten nachempfinden. Natürlich soll der Charakter nicht ich selbst sein, aber es hilft, wenn man selbst versteht, was der Charakter durchmacht.

Obwohl ich Love Stories in meinen Geschichten habe, schreibe ich keine Romantasy, sodass ich nicht so viel dazu sagen kann, wenn sich die Schwächen und Entwicklungen wirklich ganz explizit auf Romance beziehen sollen, aber ich denke, Inspirationen lassen sich in alldem finden.

Ich kann mir vorstellen, dass man irgendwann das Gefühl hat, man hatte schon alles. Aber man kann durchaus Charaktere mit denselben/ähnlichen Needs oder Schwächen haben, die einfach unterschiedlich an die Sache rangehen, unterschiedlich reagieren, und unterschiedliche Lösungen finden oder sich unterschiedlich (weit) entwickeln :)
»Anders als die Kultur, die die Unterschiede zwischen uns betont, die Menschen und Gruppen voneinander trennt, verbindet die Natur uns miteinander. In ihr sind alle Menschen gleich.« (Der Gesang des Eises, Bakic)

Mika

#2
Spannendes Thema!
Ich gestehe, ich gehe bei meinen Figuren nicht konkret mit vordefinierten Schwächen in den Plot, sondern verfolge eher das Konzept, dass jede Figur einen Konflikt haben sollte, zumindest aber meine Protagonisten. Ein Konflikt kann eine Schwäche sein, die eine Figur überwinden muss, kann aber zum Beispiel auch in ihrer Umgebung, gegen die sie sich auflehnt begründet sein, oder in Unwissenheit, etc. Die Möglichkeiten sind da vielfältig. Die Konflikte die meine Figuren lösen müssen, haben eigentlich immer etwas mit meinem Plot zu tun, wenn nicht, wären sie nicht plotrelevant und kommen auch nicht ins Projekt. Was auch dazu führen kann, dass das aktuelle Projekt einfach nicht das richtige für die Figur ist. Der jeweilige Konflikt der Figur ist gleichzeitig ihr  Antrieb, ihre Motivation zu tun, was sie eben tut.

Häufig kommen meine Figuren aber schon mit ihren Konflikten im Gepäck, wenn ich mit dem Plotten beginne (sofern sie nicht mitten im Schreibflow einfach auftauchen und jedweden Plot über den Haufen werfen, auch das ist mir schon passiert). Kommt eine Figur konfliktlos an, genügt es manchmal in meinem Fall schon sie mit dem restlichen Personal zusammenzuwerfen. Harmonisch war es da irgendwie letztlich noch nie.

Ganz oft habe ich aber das Gefühl, dass ich vielleicht beim Plotten mehr Zeit in meine Figuren investieren sollte, womit ich persönlich aber Schwierigkeiten habe, da ich kein sehr "visuell" veranlagter Mensch bin. Ich kann jemanden täglich sehen und muss letztlich zum Beispiel trotzdem überlegen, ob die Person eigentlich eine Brille trägt, eine Person richtig zu beschreiben fällt mir unglaublich schwer. Wahrscheinlich wäre ich die Sorte Augenzeuge, bei der jeder Polizist wahnsinnig werden würde. :rofl: 
Ich nutze keine Charakterbögen, schreibe keine Details zu meinen Figuren auf, außer die unmittelbaren Rahmenbedingungen, wenn wiederkehrend. Wenn ich nicht aufpasse, kann ich einen ewiglangen Text schreiben, ohne eine der Figuren auch nur ansatzweise zu beschreiben, weil ich meist sehr auf die Gefühlswelt und den Konflikt der jeweiligen Figur fokussiert bin und wenig auf Äußerlichkeiten achte. Was etwas unglücklich ist.

Ganz grundsätzlich zusammengefasst, normalerweise hat jede meiner Figuren einen kleinen oder größeren Konflikt in welcher Form auch immer, der plotrelevant ist und erfährt so ihre Konfliktlösung, Weiterentwicklung oder scheitert, mit den jeweiligen Konsequenzen.

Franziska

@Malou Super, das sind gute Ressourcen zur Weiterbildung.
Ich habe gerade "Creating Character Arcs: The Masterful Author's Guide to Uniting Story Structure, Plot, and Character Development (Helping Writers Become Authors Book 7)" gekauft, von K.M. Weiland, deutsche Bücher fallen mir da gerade nicht ein.

Das war wohl ein Missverständnis. Ich meinte, dass es mir bei Romance leichter fällt, die Figuren zu entwickeln, wohl weil es da hauptsächlich um den inneren Konflikt geht, während es bei Fantasy eben komplexer wird.

@Mika Ich denke, das ist eigentlich dasselbe. Der innere Konflikt umfasst ja auch eine Schwäche oder eben etwas, das die Figur überwindet. Der Konflikt entsteht daraus, was die Figur erreichen will und dem was sie daran hindert, was ja nicht nur etwas Äußeres sein sollte sondern auch etwas Inneres, was man auch Schwäche nennen kann. Es können natürlich auch mehrere Sachen sein.

Fianna

Auch bei mir bekommt jede Figur einen Konflikt, Lösung (oder Scheitern) und eine charakterliche Entwicklung.
Statt charakterlichen Schwächen bringe ich aber gerne auch mal etwas "Neues" rein (charakterliche Schwächen entwickeln Figuren meist nicht kurzfristig, die bestehen länger).

Ich erschüttere gerne die Sicht einer Figur auf ihre Bezugsgruppe oder ein wichtiges Lebensprinzip (vor allem weil ich selten starting characters schreibe, sondern meist lieber gefestigte Figuren habe)... dann muss die Figur auf einmal die eigenen Überzeugungen / Lebensprinzipien / Loyalitäten neu definieren und schwerwiegende Entscheidungen über das weitere Handeln oder die Art, wie man jetzt fortan der Welt entgegentritt, treffen...

Rhagrim

#5
Wirklich ein spannendes Thema.  :hmmm:
Ich gehe eigentlich immer so daran heran, dass ich versuche, meine Figuren als "echte Menschen" zu begreifen.

Jeder von uns hat Themen, Schwächen, Komplexe, Ängste, Trigger und Vermeidungsstrategien. Und alle davon haben einen Ursprung.

Entweder einen ziemlich eindeutigen in Form eines bestimmten (traumatischen) Erlebnisses, an das wir uns erinnern können (oder auch nicht). In dem Fall können aber die meisten wohl zumindest eindeutig nachvollziehen, wo ihre bestimmten Konflikte, Schwächen und bestimmte (problematischen) Verhaltensweisen herkommen.

Oder aber der Ursprung findet sich irgendwo in unserer Lebensgeschichte, so weit in der Vergangenheit, oder so selbstverständlich in unser Leben integriert, dass wir uns selbst oft dessen gar nicht bewusst sind, uns nicht daran erinnern können, es verdrängt haben, oder dem gar keine Bedeutung zumessen.
Da hilft es mir immer, mir einige Aspekte bewusst anzusehen: Das Umfeld und die Erziehung des Charakters, seine Familie, seine Rolle in der Gesellschaft, sein Weltbild und seine Glaubenssätze, die sich aus allgem ergeben. Was hat er erlebt - und wie haben diese Erlebnisse sein Wesen durch die Weltanschauung des Charakters geprägt?

Gerade hier tun sich unzählige Möglichkeiten auf, weil all die einzelnen Faktoren bei jedem Charakter zu einer anderen Verhaltensstrategie führen können, die für ihn in weiterer Folge zum Problem oder zur Schwäche werden kann.
Wobei beides (also Problem und Schwäche) ja einerseits ein "persönliches" Problem darstellen kann, wenn der Charakter selber drunter leidet (vielleicht ohne es zu merken), oder ein "gesellschaftliches" Problem - zum Beispiel, wenn er aufgrund seiner Ansichten nicht mehr in die Familie, in den Freundeskreis, in sein Dorf, etc. passt und sich da Konflikte ergeben.

Daher glaub ich, macht es auch nichts, wenn mehrere Charaktere "dasselbe" Problem haben, da es sich bei jedem auf die eine oder andere Art zeigen wird und auch auf eine andere Art angegangen werden muss. Wenn man sich mit all den Details ihres Lebens beschäftigt, werden die Charaktere irre facettenreich.  :hmmm:

Gerade, wenn sie selber gar nicht wissen, dass sie ein "Problem" haben und ihre eigentliche Schwäche als Stärke betrachten.

Ein paar Beispiele bzw. theoretische Gedankenspiele:
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Wenn ich mich erstmal so tiefgehend mit einem Charakter beschäftigt habe, finde ich es dann immer total spannend, auszutüfteln, was es braucht, um ihn mit seinem jeweiligen Thema zu konfrontieren. Was es braucht, um ihn aus seiner Komfortzone zu schubsen und sich seinen Ängsten zu stellen, damit er am Ende daran wachsen kann. Gerade bei so tief verwurzelten und oft unbewussten Themen kann das ja ziemlich knifflig sein. Das versuche ich dann, durch den Plot und die sich darin ergebenden Konflikte zu bearbeiten. :hmmm:

Darum nutz ich nebst den Schreibhandwerklichen Ratgebern oft auch eher interessante Bücher über psychologische Themen. Welche, die mir in der Hinsicht viel gebracht haben, sind z.B.
Narzissmus - dem inneren Gefängnis entfliehen
Die Narben der Gewalt: Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden
Zulassen: Wege zur Selbstheilung für Überlebende sexueller Gewalt
Wie man Freunde gewinnt
Warum wir uns immer in den Falschen verlieben: Beziehungstypen und ihre Bedeutung für unsere Partnerschaft

Äh, und noch einige mehr, speziellere über die Themen psychische Krankheiten und Traumata, und Biografien von Betroffenen. Besonders letztere und Ratgebern von und für Betroffene sind auch eine super Hilfe, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wenn man durch seine Charaktere auf ganz spezielle Probleme oder Themen eingehen möchte.
Aber zu dem Thema gibts ja auch schon einen anderen, interessanten Thread, wenn man sich mit dem Gedanken spielt, solche Themen anzupacken: Trauma schreiben

Wenn die Charaktere erstmal so ausgearbeitet sind, bestimmen sie bei mir auch ziemlich den Plot. Also ich weiß zwar, worum es geht und wo ich hin will, aber wenn ich die Charaktere erstmal in die Geschichte setze und auf den Plot loslasse, formen sie den Rest quasi eh von selbst ^^"
"No tree can grow to Heaven unless it's roots reach down to Hell."
- C.G. Jung

Skalde

Zitat von: Franziska am 20. Juli 2022, 19:28:48Ich beschäftige mich gerade viel mit Plotten und dabei geht es ja immer um die Entwicklung der Figuren. Der Plot dreht sich darum, dass die Figur ein Ziel hat, dass sie erreichen will und etwas hindert sie daran. Neben den äußeren Umständen, ihre eigene Schwäche, die sie lernt zu überwinden.

Sicherlich geht da jeder anders vor und es gibt auch nicht den goldenen Weg, der für alle funktioniert. Aber vielleicht hilft Dir das Programm DramaQueen weiter, falls Du es noch nicht kennst.

Dieses Programm ist ein spezielles, extrem ausgefeiltes Plotting-Programm, mittlerweile auch für Novels/Romane. Du kannst Personen Anlegen, Plot-Verläufe, Konflikte etc. Das Ganze ist sehr vielseitig - erfordert aber fraglos auch etwas Einarbeitungszeit.

Ist wahrscheinlich auch eine Charakterfrage, wie genau man das im Voraus strukturieren möchte  ;D

So oder so, Du kannst Dir theoretisch eine kostenlose Testversion runterladen, nur die Pro-Version ist kostenpflichtig (nach 30 Tagen) ...

Malou

#7
Mir fallen noch typischerweise die MBTI-Persönlichkeiten und die Enneagramm-Persönlichkeiten mitsamt ihrer Schwächen als Inspiration für die Charakterentwicklung ein :)

Hab jetzt gemerkt, dass ebenfalls der Character Arc über die Story hinweg gemeint war und nicht nur die Grundentwicklung der Figuren. Ich denke, bei den Punkten, die ich aufgezählt hatte, finden sich auch dafür viele Inspirationen. Ratgebertechnisch könnte man sich hierfür vielleicht noch 45 Master Characters (Victoria Lynn Schmidt) angucken. Bin erst bei so 30% und muss sagen, es ist nicht so ganz meins, da sich meine Charaktere irgendwie nicht dort unterordnen lassen, aber Inspirationen für Character Arcs sind auf jeden Fall zu finden. Man muss ja nicht immer rigide nach Rezept kochen.

Habe die aufgezählten Punkte ebenfalls in meinem Ursprungspost beigefügt :)
»Anders als die Kultur, die die Unterschiede zwischen uns betont, die Menschen und Gruppen voneinander trennt, verbindet die Natur uns miteinander. In ihr sind alle Menschen gleich.« (Der Gesang des Eises, Bakic)

Franziska

@Malou Ja, das Enneagramm finde ich auch interessant, weil es gerade die Entwicklung und Beziehung von Menschen im Fokus hat. Auch wenn man sicher nicht alle in diese 9 Typen einordnen kannt, gibt es doch Inspiration. Ich habe damit schon öfter Figuren für meine Romance-Bücher ausgearbeitet. Meyer-Briggs finde ich eher oberflächlich, das hat auch keine wissenschaftliche Grundlage. Man kann es aber sicher benutzten, um sich Inspiration für Figuren zu holen.

Ich bin gerade dabei, bei Büchern, die mir gut gefallen, die Character Arc zu analysieren. Oft starten Fantasy-Bücher ja so, dass eine Figur aus ihrer gewohnten Umgebung rausgerissen wird und erfährt, dass sie magische Kräfte hat (chosen one trope) und es einen Antagonisten gibt, gegen den sie kämpfen muss. Dabei ist die Motivation der Figur am Anfang oft nur zu überleben und zu verstehen, was vor sich geht.
Bei den Büchern, die ich gerade lese/höre sind die "Schwächen" einmal, dass die Figur die Lügen, die über ihre Art erzählt werden noch glaubt und sich für böse hält, beim anderen Buch ist das einzige was mir auffällt, dass die Figur noch wenig selbstbewusst ist.

@Skalde Von dem Programm habe ich auch schon gehört, es aber noch nicht ausprobiert. Ich habe auch entdeckt, dass es etliche Apps gibt fürs Schreiben, aber davon auch noch keine probiert.

Ich habe es vielleicht etwas missverständlich formuliert, der Thread sollte jetzt nicht nur mir helfen, sondern für alle sein.