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Akzeptierte Standards für Fantasywelten

Begonnen von Maubel, 19. April 2016, 09:09:42

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Pygmalion

@Mondfräulein : Das glaube ich dir gerne, aber ich rede ja über das Buch :P Das wird auch durch gut recherchierte Ausstattung des nachfoldenden Films nicht besser, gesehen habe ich den Film aber noch nicht.

Bzgl: Dem Setting bei G.R.R. Martin: Also, doch, nach seiner eigenen Aussage ist das angelehnt ans "klassische" Mittelalter vor allem auf den Britischen Inseln und u.a. stark inspiriert von den Rosenkriegen. Also Kolonialismus entdecke ich da wirklich nicht. Aber es ist tatsächlich ein Beispiel für gelungene Abstraktion der Realität. Man findet sie zwar haufenweise darin wieder, aber eben doch wunderbar in die eigene Welt verpackt.

Coppelia

#31
Ich habe ähnliche Erfahrungen wie im Eingangspost beschrieben bei meinem selbst programmierten Computerspiel gemacht, von dem es einige Let's-Plays gibt. Ich glaube inzwischen, Let's-Player rezensieren einfach gern.
Das Problem ist nicht, dass ich schlecht recherchiert hätte (ok, man könnte sicher noch besser recherchieren) oder dass manche Dinge keinen Sinn ergeben (was sicher immer mal wieder der Fall ist). Ich sehe vor allem drei Probleme, wenn etwas Unbekanntes, Unerwartetes auf massive Kritik stößt: Problem Nr. 1: Die Leute, die gerne zeigen, dass sie etwas besser wissen, äußern dies gern öffentlich, auch dann, wenn sie es gar nicht besser wissen. Problem Nr. 2: Die Realität ist manchmal komplexer als das Klischee im Kopf, und eine fiktive Realität kann das auch sein. Problem Nr. 3: Wer eine festgefügte Meinung davon hat, wie etwas "sein muss", nimmt keine Alternativen an. Ich berichte mal kurz von meinen Erfahrungen. ;)

Mein Spiel hat ein pseudo-schottisches Fantasy-Setting, das ca. 1850 entspricht. Realistischerweise ist in den Städten die Technologie fortgeschrittener, aber vor allem in den abgelegenen Gebieten gibt es weniger Technologie. Auch haben Clan-Strukturen dort noch großen Einfluss. Trotzdem werden mir meine Zeitung und Eisenbahn angelastet, obwohl sie in dem Setting völlig richtig am Platz sind - nämlich in den technologischen Zentren. Der Grund: Die Rezipienten meinen, das Setting müsse "mittelalterlich" sein. Wenn es darum geht, ein Setting möglichst klar zu definieren, habe ich vielleicht am Beginn versagt, aber ich sollte sagen, dass die Zeitung sogar sofort zu Anfang vorkommt ... hier herrscht also offenbar das Denken vor, etwas müsse "so sein", auch wenn es eigentlich keinen Grund dafür gibt.
Ich habe auch gehört, wie ein Let's Player, der auch mal über seine Homosexualität spricht, bemängelt, dass Homosexualität in meinem Setting kein Problem ist. Hier habe ich den Fall, dass mein Setting mit der "Realität" nicht übereinstimmt, aber es ist Fantasy und muss das nicht. Und dass ich mich gerade über diese Kritik gewundert habe, muss ich wohl nicht noch extra betonen, obwohl ihm die Kritik natürlich unbenommen bleibt.

Ich glaube aber insgesamt, dass dieses Problem nicht so wahnsinnig groß ist. Besserwisser werden sich, wie gesagt, immer aufspielen, aber die meisten Leute akzeptieren, was ihnen vorgesetzt wird. Sie hinterfragen es oft auch gar nicht, was natürlich auch nicht immer gut ist. Und natürlich kommt auch der Fall vor, dass man mit einer festgefügten Meinung an eine fiktive Welt herangeht und erst blöd findet, was man vorfindet, sich dann aber eines Besseren belehren lässt. Ich z. B. kann "Römermissbrauch" nicht leiden, nämlich wenn Klischeerömer als fiese Klischeeeroberer als Klischeebösewichte auftreten. Ich hatte bei Fallout - New Vegas zuerst den Eindruck, dass dort "Römermissbrauch" vorliege, aber während des Spielens habe ich gemerkt, dass eine originelle und gut umgesetzte Idee dahintersteckte. Wobei ich weiß Gott selbst meist eher ein schlechtes Beispiel und oft unbelehrbar und stur bin!

Guddy

#32
Zitat von: Voitei am 19. April 2016, 15:13:32
Natürlich sollte ein Prota nicht potthässlich sein, wenn dies nicht Handlungsrelevant ist, aber währe es so schlimm, wenn alle Personen des Buches nur "normal" sind und nur extrem wenige, gut drapierte Ausnahmen wirklich "schön"?

Aber das ist doch bei allen Romanen ein "Problem" und nicht speziell bei Romanen mit exotischem Setting?
Mit der Schönheit verhält es sich dort meiner Meinung nach so wie bei vielen anderen Fragen: Erlaubt ist, was innerhalb der erzählten Geschichte stimmig ist.

Ähnliches bei Klischees: Ich mag Klischees, da man sich wunderbar an ihnen entlang hangeln und es schön humorvoll verpacken kann. Ich finde nur, dass man aufpassen sollte, in welchem Kontext man sie verwendet (gerade wenn es sich um Klischees handelt, die an kulturelle Vorurteile angrenzen)und, wieder einmal, ob es zum Setting passt. (
Das heißt jetzt nicht, dass ich Klischeesettings grundsätzlich undurchdacht finden würde! Benutze sie zuweilen selber gerne. Es kommt für mich einfach auf das Wie und den Respekt an.

Als Leser erwartet man bestimmte Details und Atmosphären ja auch.
Umgekehrt ist es leider umso schwieriger, bspw. Wüstenssettings zu kreieren, die keinen 1001-Flair haben sollen, da der glaube ich meistens vom Leser erstmal vorausgesetzt wird, sobald von einem "in Städten lebenden Wüstenvolk" die Rede ist. Ist aber nur mein gefühl und ich kann mich echt irren. ;D

Wenn man ein bestimmtes Setting spannend findet und seine eigene Welt daran orientiert, sollte man aber frei darüber schreiben dürfen, gleich ob es nun Indien, Nordafrika oder Japan ist. Ob es in einem mittelalterlichen Setting Kartoffeln gibt, finde ich auch nur störend, wenn das Setting bewusst historisch angelegt wurde - andernfalls ist es für mich kein Fehler. Es sei denn, die Kartoffeln wachsen im tiefsten Schnee. Dann wäre es ein Logikfehler. ;) (Oder eine Schneekartoffel.) edit: Oder gibt es wirklich Schneekartoffeln? Nicht , dass ich jetzt Blödsinn erzählt habe! ;D Habe noch nie über Kartoffeln recherchiert.

Leann

Bei "Römermissbrauch" habe ich erst an was ganz anderes gedacht.

Der Mensch neigt dazu, Vergleiche zu Bekanntem zu ziehen. Das passiert ganz automatisch und kennt man ja auch, wenn man verreist, da kommt oft der Gedanke auf: Das sieht aus wie in *Land*. Vermutlich suchen wir instinktiv nach einer gewissen Art Sicherheit und finden sie in Anhaltspunkten von etwas, das uns vertraut ist. Auch beim Lesen stellen wir uns gerne das Setting etc. vor und orientieren uns an Altbekanntem, das wir vielleicht aus der Historie oder anderen Romanen kennen. Das führt zu bestimmten Erwartungen. Die richten sich unter anderem danach, wie viel der Leser über die Kultur, die er zu erkennen glaubt, weiß (oder zu wissen glaubt). Jemand, der z.B. Japan liebt und sich viel damit beschäftigt, freut sich wahrscheinlich, wenn er japanische Anklänge in einem Roman findet, seine Erwartungshaltung ist dadurch aber eine andere als die eines Lesers, der keine Ahnung von der japanischen Kultur hat und dementsprechend keine speziellen Erwartungen hegt. Wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden, kann das zu Enttäuschungen führen.Oder aber der Leser ist zunächst irritiert, dann jedoch bereit, sich auf das Neue einzulassen und sich dafür begeistern zu lassen.

Letzteres ist, wie ich finde, das Ziel, das wir beim Schreiben erreichen wollen. Dann muss eine auf den ersten Blick mittelalterlich anmutende Welt nicht historisch korrekt sein, sondern kann umso mehr faszinieren, wenn sie spannende Neuheiten bringt, die aber in sich stimmig und passend sind. Funktioniert natürlich nicht bei jedem Leser, aber das ist nun mal so, manche mögen es eben nur in den immer gleichen Bahnen (ist ja auch nicht schlimm, nur für die schreibe ich dann eben nicht).

Ansonsten denke ich: In unseren Welten sind wir Göttin, bzw. Gott! Wir können alles machen. Einschränkungen durch "akzeptierte Standards" finde ich langweilig und hemmend. Ich möchte mich beim Entwickeln meiner Welt ja gerade nicht nach "Standards" richten. Wie gesagt, ich halte es für wichtiger, dass die Welt in sich stimmig ist. Es bleibt dann letztendlich dem Leser überlassen, ob er meine Welt, wie ich sie erschaffen habe, akzeptiert oder nicht. 

Valkyrie Tina

Zitat von: Denamio am 19. April 2016, 12:43:28
Zu dem Thema kann ich nicht viel beitragen, nicht zuletzt weil meine Fantasy entweder im europäischen Raum spielt oder extrem weit weg von europäischer Fantasy ist, weil ich bewusst das Irland/Mittelalter Klischee vermeiden will. Was ich aber an der Diskussion interessant finde ist vor allem ein Punkt, der sich mit einem Beispiel verdeutlichen lässt: Man kann es nie wirklich richtig machen.

Dazu wollte ich noch mal was sagen, was ich schon am Anfang der Diskussion schwierig fand und du noch mal so schön zusammengefasst hast: der letzte Satz stimmt nämlich so nicht. Richtig wäre "Man kann es nie allen Lesern gleichzeitig recht machen."
Das Buch was wir grad als Beispiel haben. Hat zu 60% fünf und viersternbewertungen bei Goodreads. Viele Leser hat das Setting also nicht abgeschreckt, und/oder sie haben es gar nicht erst bemerkt.
Dasselbe mit deinem Beispiel mit Space Opera. Es gibt Leute, für die ist das Lichtgeschwindigkeitreisen ein Killerkriterium. Für viele andere nicht. (Für mich beispielsweise ist es ein Stilmittel, das ganz bewusst eingesetzt wird, um vertraute Problemfelder ins unvertraute All zu verfrachten.)

Jeder Leser bringt seine eigene Erfahrung und seine eigenen Erwartungen in ein Buch mit, und es gibt kein Buch, kein Einziges, das von allen Lesern geliebt wird. Ich finde echt, wir sollten zwar als Autoren versuchen, so gut wie möglich zu sein, aber uns von der Vorstellung freimachen "wenn ich nur genug recherchiere/handwerklich gut schreibe/alles richtig mache, dann ist mein Buch nicht mehr kritisierbar." Dann endet man nämlich nur frustriert und betrunken schreiend "warum war Twilight ein Bestseller und mein Buch nicht?"

Kati

Hm, das Problem mit der Frage "Was ist eigentlich das Mittelalter?" ist denke ich, dass es sich um eine sehr lange, sehr vielseitige Epoche handelt, die man auf keinen Fall einfach komplett über einen Kamm scheren kann. Und natürlich hat pyon Recht, wenn er sagt, dass die Hexenverfolgung in die Frühe Neuzeit gehört und es im "Mittelalter" noch keine groß angelegte Verbrennung von Hexen gab. Trotzdem gibt es aber ein Verbot aus Paderborn, dass es strafbar macht Leute als Hexen zu verbrennen, aus dem Jahr 785. Frühmittelalter. Es muss also irgendjemand mehrfach Leute als Hexen verbrannt haben, damit es jemand anders für nötig empfand dieses Gesetz zu erlassen. Ein ähnliches Verbot gibt es 794 aus Frankfurt, also scheint Hexenverbrennung wohl auch schon im Frühmittelalter ein Phänomen gewesen zu sein - nur anscheinend nicht im großen Stil. Und das ist denke ich ein großes Problem bei der Frage was das Mittelalter überhaupt ist und was wann angefangen hat. Weil man gar nicht so genau sagen kann, was wann angefangen hat, was in welche Epoche gehört etc. Da ärgert man sich, weil in einem Fantasyroman, der eindeutig an unsere Welt zur Zeit Karl des Großen angelehnt ist eine Hexe verbrannt wird und hat auch eigentlich Recht, dass das nicht in diese Zeit gehört, aber dann stolpert man doch über Fälle, in denen eben um 800 Menschen als Hexen verbrannt worden sind. Was macht man dann?

Man kann der Lebensrealität vergangener Zeiten einfach nicht mit "Dies und das gab es exakt ab [Jahreszahl]" gerecht werden. Dass es besonders in England die Dark Ages gab, in der die gesamte Kultur mit Abzug der Römer den Bach runtergegangen ist, galt auch jahrelang als Fakt. Mittlerweile läuft eine riesige Diskussion dazu, dass es diese Dark Ages und den kulturellen Verfall eben doch nicht gab. Geschichte ist ja eben immer zum größten Teil Interpretation und, je weiter man historisch zurückgeht, Spekulation und es passiert immer wieder, dass Fakten, die man für todsicher gehalten hat, sich im Nachhinein als falsch herausstellen. Das muss man besonders beim Schreiben (und Lesen?) historischer Romane im Auge behalten, aber was an Geschichte angelehnte High Fantasy angeht, eben auch. Deshalb ist es mir persönlich wichtiger, dass soziale Umstände gut erklärt und hergeleitet werden, als, dass sie 1:1 auf eine historische Epoche passen. Wenn es einen Karl-der-Große-Verschnitt in der Welt gibt und alles in der Welt an die Karolingerzeit angelehnt ist, nehme ich eine Hexenverbrennung oder Schusswaffen oder fliegende Raumschiffe auf jeden Fall hin - solang der Autor mir gute Gründe dafür gibt, es im Kontext der Welt hinzunehmen. Gleichzeitig kann eine High Fantasy mit einem Karl dem Großen und Karolingeranklägen stark enttäuschen, auch, wenn alles anstandslos recherchiert ist - wenn eben die Welt an sich nicht aufgeht und nicht überzeugen kann.

Big Kahuna

#36
Es gibt ja auch Beispiele, wo es völlig akzeptiert ist, dass in einem "mittelalterlichen" Setting plötzlich Flugmaschinen und Schusswaffen auftauchen. Nehmen wir doch nur mal das bekannte Spiel Warcraft. Anfangs reiten nur Pferde herum, kloppen sich Orks mit Äxten. Und plötzlich tauchen Zwerge mit Flinten und Kobolde mit Flugmaschinen auf. Das ist für mich so eines der Paradebeispiele, dass das durchaus geht, es muss nur eben in sich stimmig sein.

ZitatHm, das Problem mit der Frage "Was ist eigentlich das Mittelalter?" ist denke ich, dass es sich um eine sehr lange, sehr vielseitige Epoche handelt, die man auf keinen Fall einfach komplett über einen Kamm scheren kann.
Danke, Charlotte.
Ich sehe es nämlich ganz genauso, da es ja genau genommen drei "Mittelalter" gab - Früh, Hoch und Spät.
Und diese unterscheiden sich im Grunde ganz gewaltig voneinander. Im Frühmittelalter waren noch Einflüsse aus der Antike bzw. dem römischen Imperium zu spüren, die erst nach und nach in die Strukturen übergingen, unter denen vermutlich die meisten das "Mittelalter" verstehen - nämlich das Hochmittelalter, wo dann Feudalismus usw. vorherrschend waren.
Mit dem Spätmittelalter kenne ich mich jetzt nicht so gut aus, aber da begann dann die Zeit von Schusswaffen und Kanonen, wenn ich mich nicht irre.

Ich fände es aber mal sehr erfrischend, eine Geschichte zu lesen, die sich wirklich im Spätmittelalter bzw. in einem spätmittelalterlichen Setting abspielt, wo Ritter langsam an Macht verlieren, die Technologie fortschreitet usw.
Hmm ... Vielleicht sollte ich mir mal ein neues Projekt vornehmen.

Fianna

Aus Lesersicht gibt es ja mindestens 4, das schliesst das 17. Jahrhundert noch mit ein. Da beginnen Rezensionen meist mit "Eigentlich finde ich Mittelalter doof, aber das Buch war so toll!!"
:-X

Churke

"Mittelalter" ist eine Interpretation. In der Renaissance teilte man die Geschichte in 3 Epochen auf. Zwischen "Antike" und "Neuzeit" lag das finstere "Mittelalter". Das ist - oder besser war - der Kamm, über den man das Mittelalter geschert hat. In der Romantik entdeckte man die höfische Kultur des Hochmittelalters (wieder) und die Sache wurde etwas heller und es gab tapfere Ritter in glänzenden Rüstungen und weiße Jungfrauen und so... Ich denke, dass jedes mittelalterähnliche Setting sich irgendwo in dieser Gemengelange einsortiert.

Zitat von: Charlotte am 20. April 2016, 00:08:53
Mittlerweile läuft eine riesige Diskussion dazu, dass es diese Dark Ages und den kulturellen Verfall eben doch nicht gab.
Warum heißt ein römisches Glasfenster "window"?  ;D

Trippelschritt

Soweit ich weiß gab es das "Dark Age". Es war das Ergebnis eines Vulkanausbruchs, der für ein paar Jahre den Himmel verdunkelte und mehrfach zu missernten führte. Mit allen Konsequenzen, die Hungersnöte nach sich zogen? Müsste aber in mein Archiv für die Details.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Churke

Dark Ages im engeren Sinn meint die Epoche zwischen Spätantike und Mittelalter, speziell in England. "Dark" bezieht sich zum einen auf die fehlenden Quellen - alle Berichte über die römische Provinz Britannien reißen Anfang des 5. Jahrhunderts einfach ab - meint nach traditionellem Verständnis (genau genommen seit 1.400 Jahren) aber auch den Untergang der Zivilisation. Letzteres ist heute etwas unmodern geworden, der Mainstream-Historiker vertritt die Transformations-Theorie. Vielleicht, weil es heute politisch unkorrekt ist, Kulturen abzuwerten.

Dieses Dark Age unterscheidet sich in einigen zentralen Punken vom nachfolgenden Mittelalter. Das Mittelalter war eine Feudalgesellschaft, die Spätantike ein absolutistischer Beamtenstaat.

Kati

#41
Naja, mit "unmodern" oder "Mainstream" hat das sehr viel weniger zu tun, als mit dem Heranziehen von neuen archäologischen Quellen, die darauf hinweisen, dass es einen Wandel gab, aber eben keinen Untergang der Zivilisation. Ich möchte das jetzt nicht wieder ausweiten, weil wir uns mittlerweile sehr weit von der eigentlichen Fragestellung des Threads entfernt haben, kann aber nur nochnal sagen, dass Geschichte eben nichts Statisches ist - wenn einmal eine Epoche benannt oder etwas als Fakt deklariert worden ist, heißt das nicht, dass neue Erkenntnisse oder Funde nicht das bisher Bekannte aushebeln können. Die Diskussion zu den Dark Ages in Britannien läuft noch, aber wir befinden uns momentan mitten drin in genau so einem Prozess. Schriftliche Quellen mag es wenige geben und es stimmt, dass mit dem Verschwinden der Römer auch die römische Kultur verschwunden ist. Dafür hat sich allerdings eine nicht minder entwickelte keltische Kultur herausgebildet (oder eher fortgesetzt, da die celtic britons natürlich schon vor den Römern in Britannien existiert haben), in manchen Teilen Britanniens mehr, in manchen minder beeinflusst durch die römische Kultur. Unter dem Ende einer Zivilisation stelle ich mir Chaos, keinerlei soziale Gliederung oder komplette Verwahrlosung vor, während wir aber im sub-roman Britain durchaus die Herausbildung neuer Königreiche in dieser Zeit annehmen können, Elitenbildung und all sowas. Wir haben auch archäologische Beweise für Import aus dem mediterranen Raum und wunderschönen keltischen Schmuck, der ein florierendes Kunsthandwerk in der Epoche belegt. Anstatt des kompletten Verfalls der Kultur würde ich eher sagen, dass es sich um ein Zurückkehren zu alten keltischen Traditionen handelt, natürlich aber nicht unberührt durch die lange römische Herrschaft. Ob man das jetzt für das Ende einer Zivilisation halten möchte, kommt drauf an, was man von den Kelten hält. Aber bisher gibt es eben leider nur Hinweise und Interpretationen dazu, was genau im fünften und sechsten Jahrhundert in Britannien los war.

Um das jetzt wieder näher an die eigentliche Fragestellung zu rücken: Es ist wichtig, dass Kultur und kulturelle Identität niemals etwas statisches war, dass keine Veränderung zugelassen hat. Die post-römische Kultur in England, oder zumindest das, was wir davon erfassen können, schlägt ein ziemlich interessantes Hybrid aus römischen und keltischen Einflüssen vor. Und ich denke, wenn man eine komplexe High-Fantasy-Welt bauen möchte, sollte man genau solche Prozesse auch im Auge behalten, die Veränderung und gegenseitige Beeinflussung verschiedener Kulturen untereinander, oft freiwillig, manchmal durch Besetzung oder Kriegshandlungen, all sowas. Für mich ist das momentan das Spannendste am Weltenbau, mir zu überlegen, weshalb die Kultur meiner Leutchen so ist, wie sie ist und wie sie sich von der Nachbarskultur unterscheidet und wo sie ihr ähnelt und warum das so ist. Ich denke aber, dass bei Weitem nicht jede High Fantasy so komplex sein muss. Es kommt stark darauf an, was der Autor mit dem Roman erreichen will. Geht es um höfische Machtspiele oder um Probleme innerhalb eines kleinen Dorfes, kann man sich das glaube ich eher sparen, als wenn man über einen großen, länderübergreifenden Krieg schreiben möchte. Aber ich denke, sich reale Beispiele aus der Weltgeschichte anzuschauen, kann sehr dabei helfen, eine in sich logische und stimmige Gesellschaft und Kultur für einen Fantasyroman zu entwickeln. 

Fianna: Ich finde solche Rezis eigentlich immer schön. Der Autor hat es geschafft dem Leser etwas nahezubringen, was er eigentlich ablehnt und vielleicht entwickelt der Leser jetzt ein neues Interesse an der Epoche, liest mehr in die Richtung und lernt noch, dass die frühe Neuzeit nicht mehr zum Mittelalter gehört und warum.  :) Und wenn nicht, ist das auch okay. Jemand, der nicht weiß, wann das Mittelalter aufhört, kann gleichzeitig ein top Mathematiker sein, wovon ich wiederum keine Ahnung habe.  :rofl:

Churke

Ich lese gerade "Fünf Ringe" von Myamoto Musashi. Kampfkunst als ganzheitliche Philosophie wirkt auf den Mitteleuropäer reichlich esoterisch. Im mittelalterlichen Japan ist ziemlich vieles ziemlich anders, als wir es gewöhnt sind. Sich aus so einem Setting zu bedienen, ist wahrlich kein Selbstläufer.

Eines kann ich von Musashi aber schonmal mitnehmen: Man soll nicht nachahmen, sondern aus sich selbst heraus verstehen. Das gilt auch fürs Schreiben.

canis lupus niger

Das Buch der fünf Ringe hab ich auch gelesen, und natürlich die Biografie von Musashi, die einem westlichen Menschen sehr helfen kann, die Philosophie nachzuempfinden. Interessant finde ich, dass seine Lehre (Buch der fünf Ringe) als Strategiehandbuch für japanische Führungskräfte verwendet wird. Die Kampfkunst ist in Japan offenbar immer noch gelebte ganzheitliche Lebensphilosophie.

Sturmbluth

Zitat von: canis lupus niger am 23. Mai 2016, 18:35:41Die Kampfkunst ist in Japan offenbar immer noch gelebte ganzheitliche Lebensphilosophie.
Hm, das halte ich für eine Romantisierung  ;)   
Kampfkunst in Japan ist häufig nichts anderes als Fußball bei uns: Sport. Die ganze Ideologie-Geschichte interpretieren Westler gerne hinein.

Sorry, für's OT.