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Welche Tropes haben noch Potenzial?

Begonnen von Mondfräulein, 28. November 2020, 22:28:56

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Mondfräulein

Viele Tropes sind in ihrer Reinform einfach nur langweilig. Wir kennen alle die Geschichte des unbeholfenen Bauernjungen, der erfährt, dass er der Auserwählte ist und die Welt vor dem bösen König retten muss. Oder das unscheinbare Mädchen, das einen absolut umwerfenden Kerl trifft, der ganz vernarrt in sie ist, aber gleichzeitig auch ein übernatürliches Wesen eurer Wahl. Idealerweise sind die beiden einander vorherbestimmt oder waren in einem früheren Leben schon einmal ein Paar. Tropes sind überall und es gibt ewig lange Listen. Uns begegnen sie in unserer Arbeit auch ständig.

Aber manchmal kann ich mit einem Trope spielen und daraus eine sehr interessante Geschichte machen. Ich fand es zum Beispiel spannend, als in Kerstin Giers Edelstein-Trilogie die Protagonistin ihrer Cousine gegenübergestellt war, die ihr ganzes Leben lang darauf hintrainiert wurde, die Auserwählte zu sein und dann war sie es nicht. Was, wenn ich mein Leben lang darauf vorbereitet wurde und dann doch kein Auserwählter bin? Was, wenn ich über jemanden erzähle, den es völlig zerstört, der Auserwählte zu sein?

Ein anderes Trope ist die verbotene Liebe. Besonders währen der Dystope-Welle ist es mir immer wieder aufgefallen, dass Bücher herauskamen, in denen die zentrale Liebesbeziehung aus irgendwelchen Gründen verboten war (,,Liebe ist verboten", oder ,,Unsere Partner werden von der Regierung ausgewählt" als sehr zentrale Plot-Elemente). Oder aber einer der beiden ist bereits jemand anderem versprochen oder aus anderen Gründen verpflichtet/gezwungen, jemand anderes zu heiraten (z.B. bei Shadowhunters, oder in sehr vielen Romanen, die nicht in unserer Gegenwart spielen). Hier habe ich mir die Frage gestellt, ob das grundsätzlich zu ausgelutscht ist oder ob es Möglichkeiten gibt, das irgendwie interessant zu gestalten. Häufig ist mein Problem hier, dass die Gründe, jemand anderen heiraten zu müssen, viel zu unglaubwürdig sind und mich das aus der Geschichte herausreißt, oder aber es steht so viel auf dem Spiel, dass einem die Entscheidung der Protagonisten egoistisch vorkommt.

Deshalb frage ich mich, wie kann ich solche Tropes umdrehen, um meinen Roman auf einmal richtig interessant zu machen? Bei welchen Tropes funktioniert das und welche sind einfach zu ausgelutscht, um jemals wieder interessant erzählt zu werden? Wo fandet ihr wurden Tropes richtig gut umgedreht?

Natürlich haben manche Tropes sexistische, rassistische oder anderweitig diskriminierende Untertöne, keine Frage. Darüber haben wir hier schon oft diskutiert. Aber mir geht es hier erstmal nur um Tropes, die diese Untertöne nicht haben oder so erzählt werden, dass sie nicht mehr problematisch sind.

Ich hoffe, ich habe keinen ähnlichen Thread übersehen!

Sunflower

Zitat von: Mondfräulein am 28. November 2020, 22:28:56
Was, wenn ich über jemanden erzähle, den es völlig zerstört, der Auserwählte zu sein?

Das ist mein Nanoroman  ;D

Aber was ich eigentlich sagen wollte: Richtig spannendes Thema! Ich muss mir da noch ein paar mehr Gedanken machen, aber was mir spontan einfällt, ist Never have I ever. Da gibt es unter anderem den Trope "schüchternes Nerd-Mädchen verliebt sich in beliebten Jungen", aber irgendwie finde ich, sie haben das auf eine Weise erzählt, dass es für mich trotz seiner so häufigen Nutzung noch funktioniert hat. Es ist schon ein bisschen her, aber Paxton war dann doch ziemlich anders, als man sich die klassischen beliebten Typen auf der Schule vorstellt und am Ende
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Zu dem Liebe ist verboten-Ding fällt mir noch Cassandra Clares Dark Artifices-Reihe ein, in der sich zwei "Parabatai" ineinander verlieben, das sind so auf ewig eingeschworene platonische Freunde, die füreinander sterben würden usw., und sich wirklich gar gar gar nicht verlieben dürfen. Das hat für mich deshalb gut funktioniert, weil ich vorher schon zwei andere Reihen von ihr gelesen habe und die ganze Parabatai-Sache so etabliert war, dass ich dann richtig mit den beiden mitgelitten habe  :D Es ist im Endeffekt eine sehr offensichtliche Idee, aber vielleicht gerade, weil sie so lang damit gewartet hat ... keine Ahnung. Für mich hat das gut geklappt.
"Stories are, in one way or another, mirrors. We use them to explain to ourselves how the world works or how it doesn't work. Like mirrors, stories prepare us for the day to come. They distract us from the things in darkness."
- Neil Gaiman, Smoke and Mirrors

Mondfräulein

Zitat von: Sunflower am 28. November 2020, 22:46:18
Für mich hat das gut geklappt.

Ich glaube, das ist hier auch ein sehr wichtiges Stichwort, das ich im ersten Post hätte erwähnen sollen. Viel ist in dieser Diskussion eben auch einfach Geschmackssache. Diese ganz typischen Nackenbeißer-Romane sind häufig voller Tropes und viele Leser sind eher enttäuscht, wenn mit den Tropes gebrochen wird. Das ist grundsätzlich aber auch nicht verkehrt, nur weil ich diese Bücher klischeehaft und langweilig finde. Was für einen Leser funktioniert, funktioniert nicht für alle. Deshalb geht es mir nicht darum, die eine richtige Antwort zu finden, sondern eure Meinungen zum Thema zu hören.

KaPunkt

Ich finde in solchen Dingen hilfreich, den Trope zur Seite zu schieben und mir die Realität dahinter anzuschauen. Und diese Realität dann ernst zu nehmen. Also, mich nicht auf dem Trope auszuruhen.
Ein stilistisches Beispiel: "Was Bla sagte, verschlug Blubb dem Atem." den Atem verschlagen ist so eine ausgelutschte rhetorische Figur, dass sie beim Lesen nichts mehr auslöst.
Dabei ist das Bild ja eigentlich super: Für einen Moment kann Blubb nicht mehr atmen, so sehr überrascht und trifft ihn, was Bla ihm mitteilt. Vielleicht kann man das ja anders formulieren, um das Gefühl wieder frisch zu malen. Wie fühlt sich dieser atemlose Moment wirklich an?

Genauso ist es mit Tropes, nur in der komplexeren, Handlungstragenden Variante. Wenn man den Trope nimmt und die Klischeebilder weglässt, stattdessen neue Wahrheiten und Bilder in dem Trope findet, dann funktioniert er wieder.

Liebe Grüße,
KaPunkt
She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Trippelschritt

Dem kann ich mich nur anschließen. "The American Dream", wo ein armes, schwaches, ausgestoßenes oder sonst wie Kind sich nach oben arbeitet oder kämpft hat jeder Zeit das Zeug zu einem Bestseller. Ähnliches gilt für die Heldenreise. Es ist die Aufgabe aus einem Autor aus dieser Grundidee eine mitreißende Geschichte zu schreiben, die noch keiner vor ihm so geschrieben hat.

Die erfolgreichsten Grundmuster liegen ganz nah beim Menschen und sind seit dem Altertum bekannt. Und trotzdem gibt es Millionen Arten, sie umzusetzen.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Volker

#5
Zitat von: Trippelschritt am 29. November 2020, 09:16:47
Die erfolgreichsten Grundmuster liegen ganz nah beim Menschen und sind seit dem Altertum bekannt. Und trotzdem gibt es Millionen Arten, sie umzusetzen.

...und deshalb nervt es, wenn in einer Story statt eines Menschen nur der dünn verhüllte Trope auftritt.

Der alte,misanthrope Einsiedler-Meister, über den in etwa der Mitte des Buches der jugendlich-ungestüme Held stolpert. Der aber den Helden sofort als Schüler wenn nicht gar Kindes statt annimmt, ihm in 3 Tagen komplett die ultimative Kampfkunst beibringt - und danach von den Schergen des Erzwidersachers getötet wird. Der vielleicht nicht mal einen Namen oder Aussehen hat. Jooo, klar doch, ....

Trippelschritt

 :rofl:

Das hast  Du so schön geschrieben, Volker, deshalb ...
Schreib es noch einmal für den Helden, der die Prinzessin vor dem Drachen rettet.

:pompom:

Trippelschritt  :vibes:

Alina

Das Thema verbotene Liebe gab es schon bei Romeo und Julia. Ich denke auch, bestimmte Tropes werden immer wieder neu verwendet, gerade weil sie als Geschichte gut funktionieren.

Ich finde es nicht schlimm, wenn häufig verwendete Themen nochmal aufgegriffen werden. Jeder Autor schreibt anders und interpretiert die Geschichte neu. Wichtig ist eben, auf welche Art und Weise die Geschichte erzählt wird und vor allem, ob die Figuren lebendig und überzeugend rüberkommen.

Das man in einzelnen Punkten mit Tropes bricht, ist sicher sinnvoll, aber Tropes ganz umzudrehen, damit wäre ich jetzt zurückhaltend. Ich hätte die Befürchtung, die Erwartungen der Leser zu enttäuschen und dass es auf diese Weise schwerer wird, eine Geschichte zu erzählen, die den Leser berührt.

KaPunkt

Das Thema "Tropes - wie gehe ich damit um" erinnert mich ein wenig an die Sorge / Fragestellung - "Was ist, wenn jemand die gleiche Idee hat wie ich" / "Ich dachte, meine Idee wäre originell, aber es gibt schon etwas, das die gleiche Idee verwendet!"
Die Antwort darauf lautet: Ja, natürlich. Das ist aber kein Problem. Das besondere ich nicht deine Idee, sonder was du daraus machst.

Tropes zu entdecken kann zu dem gleichen Erschrecken führen und daraus folgend zu verschiedenen Verhaltensweisen:
1. Entsetzt den Kopf in den Sand stecken, weil all die Dinge, die man liebt, offenbar nur mechanische Prinzipien des Schreibhandwerks sind, und man daher böse manipuliert wurde.
2. Tropes in Zukunft vermeiden wollen um jeden Preis, um originell und neu zu sein. Also, ohne Werkzeuge auszukommen oder neue Werkzeuge zu erfinden.
3. Begeistert auf die Handreichung reagieren um in Zukunft genau darauf zu achten, welche Tropes man verwendet und welche sich vielleicht noch einbauen ließen, um möglichst viele Lesern mit geliebten Tropes eine Freude zu machen.
4. Tropes nicht als Werkzeug der Erschaffung, sondern der Beschreibung zu begreifen.
Also die Geschichte so gut wie möglich zu machen, ohne den bedienten, vermiedenen oder gedrehten Tropes Beachtung zu schenken und diese Suche den Lesern zu überlassen.

(Ich stecke aktuell zwischen zwischen 3 und 4  ;D )

Liebe Grüße,
KaPunkt
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(Diane di Prima)

Dämmerungshexe

Manche Tropes wurden auch schon so oft umgedreht, dass das zu einem eigenem Trope wurde - wie zB die widerspenstige Prinzessin, die sich selber befreit oder so.
Die Heldenreise wird meiner Meinung nach nie aussterben, weil sie für jeden, der sich irgendwie in den bereich des Fantastischen vorwagt irgendwie seine/ihre eigene Geschichte ist - dort kann sich fast jeder wieder finden.
Diese ganzen Romance-Tropes werden wieder und wieder durchgekaut, weil es einfach das ist, was die Kundschaft will: immer wieder den gleichen Reiz mit minimaler Variation. (Sorry wenn das jemand nicht so sieht, so schaut es von meiner Warte aus aus.)

Ich verstehe das ganze Trope-Bashing auch irgendwie nicht ganz - Geschichten funktionieren einfach am besten wenn man sie nach gewissen Prinzipien aufbaut, das gilt sowohl für die Struktur, als auch für die Inhalte. Wie stark man sich an diesen Grundlagen orientiert ist eine ganz andere Frage, oder auch, aus welchen Gründen:
Will ich Popcorn-Kino-Material schreiben das schnell und unkompliziert die breite Masse unterhält? Benutz am besten Dinge, die jeder kennt und verpass ihnen höchstens einen kleinen Dreh.
Will ich einen satirischen Kommentar über ein bestimmtes Genre? Benutze alle Tropes in möglichst überzeichneter Form und stell sie dabei auf den Kopf.
Will ich etwas ganz eigenes erschaffen, bei dem es mir egal ist, wenn es womöglich niemand außer mir versteht? Kein einziges Trope.
(Und natürlich sämtliche Zwischenstufen oder andere Abweichungen.)

Terry Pratchett hat mal irgendwo gesagt dass Klischess (und damit auch Tropes und Stereotypen und Artverwandtes) ganz einfach Hammer und Nagel in der Werkzeugkiste der Kommunikation sind. Du kriegst damit fast jede Geschichte hingebogen und jede Botschaft übermittelt. Finesse ist halt was anderes - da brauchst du entweder andere, speziellere Werkzeuge oder eine ganz andere, eigene Herangehensweise, was dann schon in Richtung Kunst abwandert.

Ich gehe mit @KaPunkt konform: es kommt vor allem darauf an, wie man die Tropes ausführt, wie man sie mit Leben erfüllt und sie in die ganz eigene Geschichte einbaut. Es sind Schablonen und sie werden nicht überall zu 100% passen, nicht beim Plot, nicht bei der Botschaft, nicht bei den Figuren, wenn diese echte Charaktere sind anstatt Abziehbildchen. Dann werden sie sich in gewissen Punkten einfach anders verhalten, als es "das Trope" vorgibt, und man muss als Autor darauf reagieren und das Trope anpassen, es womöglich komplett verdrehen. Das kannauch eine Hilfestellung sein, wenn man weiß, was das Publikum eigentlich erwarten würde, und man sich gedanklich daran entlanghangeln kann, um heraus zu finden, wie man am besten vermittelt wie und warum hier etwas anders ist.

Einer meiner Lieblings YouTube-Kanäle Overly Sarcastic Productions hat eine ganze Reihe an Videos (auf Englisch), wo verschiedene Tropes untersucht werden - wo sie herkommen, wie sie normalerweise ausgeführt werden und wie sie oftmals gebrochen werden.

Manchmal entwickelt man auch seine ganz eigenen Tropes (obwohl die meistens dann auch Spiegel gewisser Story-Elemente sind, die man aus dem ein oder anderen Grund selbst sehr gerne liest) - bei mir kommt zB oft ein "Herz des Waldes" oder etwas ähnliches vor, jedes Mal mit in etwa gleicher Bedeutung was die "Form" betrifft (der innerste Teil eines Waldes, den man nicht so einfach betreten kann, weil dort etwas besonderes/göttliches/mächtiges zuhause ist), aber mit unterschiedlichen Bedeutungen in der Geschichte und für die Protagonisten (Zuflucht, die Höhle des Löwen, die Quelle allen Übels,  ...)

Also um die eigentliche Frage zu beantworten: Jedes Trope hat Potenzial, wenn man es richtig angeht. Von einigen werde ich mich grundsätzlich fern halten, weil ich persönlich rein gar nichts damit anfangen kann, andere liebe ich und werde sie immer wieder nutzen und halt entsprechend anpassen.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Mondfräulein

Mir geht es nicht unbedingt darum, darüber zu sprechen, wie ich ganz allgemein mit dem Thema Tropes umgehen soll. Vielmehr geht es mir um das Wie und Was. Nicht "Kann ich Tropes spannend gestalten?" sondern "Wie kann ich Tropes umdrehen und spannend gestalten?" und "Welche Tropes eignen sich dafür?"

Zitat von: Alina am 29. November 2020, 09:57:55
Das man in einzelnen Punkten mit Tropes bricht, ist sicher sinnvoll, aber Tropes ganz umzudrehen, damit wäre ich jetzt zurückhaltend. Ich hätte die Befürchtung, die Erwartungen der Leser zu enttäuschen und dass es auf diese Weise schwerer wird, eine Geschichte zu erzählen, die den Leser berührt.

Den Punkt finde ich zum Beispiel wirklich super spannend. Kannst du vielleicht ein Beispiel nennen? Ist das vielleicht genreabhängig (dass ich der Love Interest als mieses Arschloch entpuppt ist in einem Krimi vielleicht besser untergebracht als in einem Liebesroman)? Wann ist ein Trope zu sehr umgedreht und was ist noch in Ordnung?

Zitat von: Dämmerungshexe am 29. November 2020, 12:08:09
Ich gehe mit @KaPunkt konform: es kommt vor allem darauf an, wie man die Tropes ausführt, wie man sie mit Leben erfüllt und sie in die ganz eigene Geschichte einbaut. Es sind Schablonen und sie werden nicht überall zu 100% passen, nicht beim Plot, nicht bei der Botschaft, nicht bei den Figuren, wenn diese echte Charaktere sind anstatt Abziehbildchen. Dann werden sie sich in gewissen Punkten einfach anders verhalten, als es "das Trope" vorgibt, und man muss als Autor darauf reagieren und das Trope anpassen, es womöglich komplett verdrehen. Das kannauch eine Hilfestellung sein, wenn man weiß, was das Publikum eigentlich erwarten würde, und man sich gedanklich daran entlanghangeln kann, um heraus zu finden, wie man am besten vermittelt wie und warum hier etwas anders ist.

Also im Prinzip: gut ausgearbeitete Figuren und den Ablauf der Geschichte gut genug in ihren Eigenheiten oder den Eigenheiten der Geschichte begründen? Das finde ich spannend. Vielleicht stören uns Tropes in vielen Fällen auch, weil Dinge passieren, "weil das halt so gehört" und nicht aus Gründen, die wir innerhalb der Geschichte nachvollziehen können?

KaPunkt

Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 12:28:42
Vielleicht stören uns Tropes in vielen Fällen auch, weil Dinge passieren, "weil das halt so gehört" und nicht aus Gründen, die wir innerhalb der Geschichte nachvollziehen können?

Da hast du - zumindest für mich - den Kern getroffen.

Liebe Grüße,
KaPunkt
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Trippelschritt

Es gibt bezüglich Tropes zwei Typen von Lesern, wenn ich sie nach ihren Erwartungen einteile.
- Die eine Gruppe wünscht sich Geschichten, in denen alle ihre wichtigen Erwartungen erfüllt werden. Davon lebt zum Beispiel der klassische Heftroman.
- Die andere Gruppe möchte immer wieder überrascht werden. Davon lebt z.B. "Das Damengambit". Allerdings muss man hier doch etwas zügeln. Wenn keine einzige Erwartung mehr erfüllt wird, fängt die Handlung an beliebig zu werden und die Leserbindung löst sich auf. Da die Tropes ein gewaltiges Beharrungspotential aufweisen, kann man aber wohl sagen: Im Zweifelsfrall noch eine Windung mehr.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Dämmerungshexe

Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 12:28:42
Vielleicht stören uns Tropes in vielen Fällen auch, weil Dinge passieren, "weil das halt so gehört" und nicht aus Gründen, die wir innerhalb der Geschichte nachvollziehen können?

Ja, eigentlich das.


Ein anderer Aspekt, den man sich anschauen muss sind auch "problematische" Tropes - Damsel in Distress, also die Prinzessin die zu nichts anderem da ist, um gerettet zu werden, wird heutzutage kaum noch akzeptiert weil die meisten Frauen/Mädchen sich allgemein mit solch passiven Rollen nicht mehr zufrieden geben und sich nicht so repräsentiert sehen wollen. Ähnlich sieht es mit typisch Antihelden usw. aus, die oft in toxische Männlichkeit abgleiten. (Gibt natürlich auch einige Gegenbeispiele und gerade die Damsel in Distress hat mit Twilight und ähnlichem eine Art Rennaissance erfahren - warum auch immer).
Einige dieser Klischees und Stereotypen sind halt schon sehr alt und kommen aus Traditionen und Wertevorstellungen, von denen man sich langsam verabschieden sollte. Sie dennoch zu nutzen, und vor allem unreflektiert zu nutzen, unterstützt dann problematische Denk- und Verhaltensmuster. Gerade auch, weil es so altbekannte und gewohnte Schablonen sind, dass wir sie direkt erkennen und verinnerlichen.
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Siara

Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 12:28:42
Mir geht es nicht unbedingt darum, darüber zu sprechen, wie ich ganz allgemein mit dem Thema Tropes umgehen soll. Vielmehr geht es mir um das Wie und Was. Nicht "Kann ich Tropes spannend gestalten?" sondern "Wie kann ich Tropes umdrehen und spannend gestalten?" und "Welche Tropes eignen sich dafür?"
Ein wunderbares Beispiel für eine Reihe, die Tropes verdreht hat, ist für mich die Klingen-Reihe von Abercrombie. Ich fand sie großartig, und viele andere offenbar auch, sonst wäre sie nicht so erfolgreich. Ich habe allerdings auch schon Leute sagen hören, dass sie am Ende sehr frustriert waren, und auch das kann ich nachvollziehen. Dazu im Spoiler:

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Auch Rothfuss' "Der Name des Windes" bedient sich gleich bei mehreren Tropes, macht aber von Anfang an klar, dass sie nicht so enden werden, wie man es als Leser gewohnt ist.

Meine Befürchtung ist, dass, wenn man den Tropes ein Kernelement nimmt oder sie verdreht, die Geschichte sich unbefriedigend anfühlt. Das ist kein Gegenargument, aber etwas, das man im Kopf haben muss. Auch damit kann man spielen, auch das kann man benutzen, wenn man sich der Wirkung bewusst ist.

Um das aufzulösen, sehe ich mehrere Möglichkeiten.
1. Man ersetzt das, was die Trope sonst rund und vollständig gemacht hätte, durch etwas anderes. Beispiel: Die "Princess"-Reihe von Dawn Cook.
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2. Man zielt genau auf diese unbefriedigende Lücke ab und nutzt sie als eigenständiges Element, wo wir wieder bei Abercrombie wären. Allerdings funktioniert das meiner Meinung nach nicht in allen Genres. Romantasy, in der der geheimnisvolle, gutaussehende Typ sich dann am Ende doch lieber jemand Spannenderen sucht als die graue Maus, sodass die allein in ihr langweiliges Leben zurückkehren muss? Fans macht man sich unter den Lesern damit vermutlich nicht viele.
3. Man nutzt die Trope als Rahmen, als eine Art Verkleidung, versteckt dahinter aber etwas anderes. Gut gemacht kann das dafür sorgen, dass dem Leser am Ende die Trope gar nicht mehr so wichtig ist und die Erwartungen sich in eine andere Richtung verschieben. Auch wenn diese andere Richtung dann eventuell nur wieder eine andere Trope ist. :hmmm:

Meiner Meinung nach kann das Spielen, Verdrehen und Kippen von Tropes wunderbar funktionieren, ohne dass eine klare Grenze gibt, ab der es zu viel wird. Man muss aber immer im Hinterkopf behalten, was man mit der Geschichte bezwecken will und wo der Leser seine "Belohnung" bekommt.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.