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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Mondfräulein am 28. November 2020, 22:28:56

Titel: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Mondfräulein am 28. November 2020, 22:28:56
Viele Tropes sind in ihrer Reinform einfach nur langweilig. Wir kennen alle die Geschichte des unbeholfenen Bauernjungen, der erfährt, dass er der Auserwählte ist und die Welt vor dem bösen König retten muss. Oder das unscheinbare Mädchen, das einen absolut umwerfenden Kerl trifft, der ganz vernarrt in sie ist, aber gleichzeitig auch ein übernatürliches Wesen eurer Wahl. Idealerweise sind die beiden einander vorherbestimmt oder waren in einem früheren Leben schon einmal ein Paar. Tropes sind überall und es gibt ewig lange Listen. Uns begegnen sie in unserer Arbeit auch ständig.

Aber manchmal kann ich mit einem Trope spielen und daraus eine sehr interessante Geschichte machen. Ich fand es zum Beispiel spannend, als in Kerstin Giers Edelstein-Trilogie die Protagonistin ihrer Cousine gegenübergestellt war, die ihr ganzes Leben lang darauf hintrainiert wurde, die Auserwählte zu sein und dann war sie es nicht. Was, wenn ich mein Leben lang darauf vorbereitet wurde und dann doch kein Auserwählter bin? Was, wenn ich über jemanden erzähle, den es völlig zerstört, der Auserwählte zu sein?

Ein anderes Trope ist die verbotene Liebe. Besonders währen der Dystope-Welle ist es mir immer wieder aufgefallen, dass Bücher herauskamen, in denen die zentrale Liebesbeziehung aus irgendwelchen Gründen verboten war (,,Liebe ist verboten", oder ,,Unsere Partner werden von der Regierung ausgewählt" als sehr zentrale Plot-Elemente). Oder aber einer der beiden ist bereits jemand anderem versprochen oder aus anderen Gründen verpflichtet/gezwungen, jemand anderes zu heiraten (z.B. bei Shadowhunters, oder in sehr vielen Romanen, die nicht in unserer Gegenwart spielen). Hier habe ich mir die Frage gestellt, ob das grundsätzlich zu ausgelutscht ist oder ob es Möglichkeiten gibt, das irgendwie interessant zu gestalten. Häufig ist mein Problem hier, dass die Gründe, jemand anderen heiraten zu müssen, viel zu unglaubwürdig sind und mich das aus der Geschichte herausreißt, oder aber es steht so viel auf dem Spiel, dass einem die Entscheidung der Protagonisten egoistisch vorkommt.

Deshalb frage ich mich, wie kann ich solche Tropes umdrehen, um meinen Roman auf einmal richtig interessant zu machen? Bei welchen Tropes funktioniert das und welche sind einfach zu ausgelutscht, um jemals wieder interessant erzählt zu werden? Wo fandet ihr wurden Tropes richtig gut umgedreht?

Natürlich haben manche Tropes sexistische, rassistische oder anderweitig diskriminierende Untertöne, keine Frage. Darüber haben wir hier schon oft diskutiert. Aber mir geht es hier erstmal nur um Tropes, die diese Untertöne nicht haben oder so erzählt werden, dass sie nicht mehr problematisch sind.

Ich hoffe, ich habe keinen ähnlichen Thread übersehen!
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Sunflower am 28. November 2020, 22:46:18
Zitat von: Mondfräulein am 28. November 2020, 22:28:56
Was, wenn ich über jemanden erzähle, den es völlig zerstört, der Auserwählte zu sein?

Das ist mein Nanoroman  ;D

Aber was ich eigentlich sagen wollte: Richtig spannendes Thema! Ich muss mir da noch ein paar mehr Gedanken machen, aber was mir spontan einfällt, ist Never have I ever. Da gibt es unter anderem den Trope "schüchternes Nerd-Mädchen verliebt sich in beliebten Jungen", aber irgendwie finde ich, sie haben das auf eine Weise erzählt, dass es für mich trotz seiner so häufigen Nutzung noch funktioniert hat. Es ist schon ein bisschen her, aber Paxton war dann doch ziemlich anders, als man sich die klassischen beliebten Typen auf der Schule vorstellt und am Ende
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Zu dem Liebe ist verboten-Ding fällt mir noch Cassandra Clares Dark Artifices-Reihe ein, in der sich zwei "Parabatai" ineinander verlieben, das sind so auf ewig eingeschworene platonische Freunde, die füreinander sterben würden usw., und sich wirklich gar gar gar nicht verlieben dürfen. Das hat für mich deshalb gut funktioniert, weil ich vorher schon zwei andere Reihen von ihr gelesen habe und die ganze Parabatai-Sache so etabliert war, dass ich dann richtig mit den beiden mitgelitten habe  :D Es ist im Endeffekt eine sehr offensichtliche Idee, aber vielleicht gerade, weil sie so lang damit gewartet hat ... keine Ahnung. Für mich hat das gut geklappt.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Mondfräulein am 28. November 2020, 22:55:34
Zitat von: Sunflower am 28. November 2020, 22:46:18
Für mich hat das gut geklappt.

Ich glaube, das ist hier auch ein sehr wichtiges Stichwort, das ich im ersten Post hätte erwähnen sollen. Viel ist in dieser Diskussion eben auch einfach Geschmackssache. Diese ganz typischen Nackenbeißer-Romane sind häufig voller Tropes und viele Leser sind eher enttäuscht, wenn mit den Tropes gebrochen wird. Das ist grundsätzlich aber auch nicht verkehrt, nur weil ich diese Bücher klischeehaft und langweilig finde. Was für einen Leser funktioniert, funktioniert nicht für alle. Deshalb geht es mir nicht darum, die eine richtige Antwort zu finden, sondern eure Meinungen zum Thema zu hören.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: KaPunkt am 28. November 2020, 22:57:52
Ich finde in solchen Dingen hilfreich, den Trope zur Seite zu schieben und mir die Realität dahinter anzuschauen. Und diese Realität dann ernst zu nehmen. Also, mich nicht auf dem Trope auszuruhen.
Ein stilistisches Beispiel: "Was Bla sagte, verschlug Blubb dem Atem." den Atem verschlagen ist so eine ausgelutschte rhetorische Figur, dass sie beim Lesen nichts mehr auslöst.
Dabei ist das Bild ja eigentlich super: Für einen Moment kann Blubb nicht mehr atmen, so sehr überrascht und trifft ihn, was Bla ihm mitteilt. Vielleicht kann man das ja anders formulieren, um das Gefühl wieder frisch zu malen. Wie fühlt sich dieser atemlose Moment wirklich an?

Genauso ist es mit Tropes, nur in der komplexeren, Handlungstragenden Variante. Wenn man den Trope nimmt und die Klischeebilder weglässt, stattdessen neue Wahrheiten und Bilder in dem Trope findet, dann funktioniert er wieder.

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Trippelschritt am 29. November 2020, 09:16:47
Dem kann ich mich nur anschließen. "The American Dream", wo ein armes, schwaches, ausgestoßenes oder sonst wie Kind sich nach oben arbeitet oder kämpft hat jeder Zeit das Zeug zu einem Bestseller. Ähnliches gilt für die Heldenreise. Es ist die Aufgabe aus einem Autor aus dieser Grundidee eine mitreißende Geschichte zu schreiben, die noch keiner vor ihm so geschrieben hat.

Die erfolgreichsten Grundmuster liegen ganz nah beim Menschen und sind seit dem Altertum bekannt. Und trotzdem gibt es Millionen Arten, sie umzusetzen.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Volker am 29. November 2020, 09:25:43
Zitat von: Trippelschritt am 29. November 2020, 09:16:47
Die erfolgreichsten Grundmuster liegen ganz nah beim Menschen und sind seit dem Altertum bekannt. Und trotzdem gibt es Millionen Arten, sie umzusetzen.

...und deshalb nervt es, wenn in einer Story statt eines Menschen nur der dünn verhüllte Trope auftritt.

Der alte,misanthrope Einsiedler-Meister, über den in etwa der Mitte des Buches der jugendlich-ungestüme Held stolpert. Der aber den Helden sofort als Schüler wenn nicht gar Kindes statt annimmt, ihm in 3 Tagen komplett die ultimative Kampfkunst beibringt - und danach von den Schergen des Erzwidersachers getötet wird. Der vielleicht nicht mal einen Namen oder Aussehen hat. Jooo, klar doch, ....
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Trippelschritt am 29. November 2020, 09:44:38
 :rofl:

Das hast  Du so schön geschrieben, Volker, deshalb ...
Schreib es noch einmal für den Helden, der die Prinzessin vor dem Drachen rettet.

:pompom:

Trippelschritt  :vibes:
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Alina am 29. November 2020, 09:57:55
Das Thema verbotene Liebe gab es schon bei Romeo und Julia. Ich denke auch, bestimmte Tropes werden immer wieder neu verwendet, gerade weil sie als Geschichte gut funktionieren.

Ich finde es nicht schlimm, wenn häufig verwendete Themen nochmal aufgegriffen werden. Jeder Autor schreibt anders und interpretiert die Geschichte neu. Wichtig ist eben, auf welche Art und Weise die Geschichte erzählt wird und vor allem, ob die Figuren lebendig und überzeugend rüberkommen.

Das man in einzelnen Punkten mit Tropes bricht, ist sicher sinnvoll, aber Tropes ganz umzudrehen, damit wäre ich jetzt zurückhaltend. Ich hätte die Befürchtung, die Erwartungen der Leser zu enttäuschen und dass es auf diese Weise schwerer wird, eine Geschichte zu erzählen, die den Leser berührt.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: KaPunkt am 29. November 2020, 11:38:47
Das Thema "Tropes - wie gehe ich damit um" erinnert mich ein wenig an die Sorge / Fragestellung - "Was ist, wenn jemand die gleiche Idee hat wie ich" / "Ich dachte, meine Idee wäre originell, aber es gibt schon etwas, das die gleiche Idee verwendet!"
Die Antwort darauf lautet: Ja, natürlich. Das ist aber kein Problem. Das besondere ich nicht deine Idee, sonder was du daraus machst.

Tropes zu entdecken kann zu dem gleichen Erschrecken führen und daraus folgend zu verschiedenen Verhaltensweisen:
1. Entsetzt den Kopf in den Sand stecken, weil all die Dinge, die man liebt, offenbar nur mechanische Prinzipien des Schreibhandwerks sind, und man daher böse manipuliert wurde.
2. Tropes in Zukunft vermeiden wollen um jeden Preis, um originell und neu zu sein. Also, ohne Werkzeuge auszukommen oder neue Werkzeuge zu erfinden.
3. Begeistert auf die Handreichung reagieren um in Zukunft genau darauf zu achten, welche Tropes man verwendet und welche sich vielleicht noch einbauen ließen, um möglichst viele Lesern mit geliebten Tropes eine Freude zu machen.
4. Tropes nicht als Werkzeug der Erschaffung, sondern der Beschreibung zu begreifen.
Also die Geschichte so gut wie möglich zu machen, ohne den bedienten, vermiedenen oder gedrehten Tropes Beachtung zu schenken und diese Suche den Lesern zu überlassen.

(Ich stecke aktuell zwischen zwischen 3 und 4  ;D )

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 29. November 2020, 12:08:09
Manche Tropes wurden auch schon so oft umgedreht, dass das zu einem eigenem Trope wurde - wie zB die widerspenstige Prinzessin, die sich selber befreit oder so.
Die Heldenreise wird meiner Meinung nach nie aussterben, weil sie für jeden, der sich irgendwie in den bereich des Fantastischen vorwagt irgendwie seine/ihre eigene Geschichte ist - dort kann sich fast jeder wieder finden.
Diese ganzen Romance-Tropes werden wieder und wieder durchgekaut, weil es einfach das ist, was die Kundschaft will: immer wieder den gleichen Reiz mit minimaler Variation. (Sorry wenn das jemand nicht so sieht, so schaut es von meiner Warte aus aus.)

Ich verstehe das ganze Trope-Bashing auch irgendwie nicht ganz - Geschichten funktionieren einfach am besten wenn man sie nach gewissen Prinzipien aufbaut, das gilt sowohl für die Struktur, als auch für die Inhalte. Wie stark man sich an diesen Grundlagen orientiert ist eine ganz andere Frage, oder auch, aus welchen Gründen:
Will ich Popcorn-Kino-Material schreiben das schnell und unkompliziert die breite Masse unterhält? Benutz am besten Dinge, die jeder kennt und verpass ihnen höchstens einen kleinen Dreh.
Will ich einen satirischen Kommentar über ein bestimmtes Genre? Benutze alle Tropes in möglichst überzeichneter Form und stell sie dabei auf den Kopf.
Will ich etwas ganz eigenes erschaffen, bei dem es mir egal ist, wenn es womöglich niemand außer mir versteht? Kein einziges Trope.
(Und natürlich sämtliche Zwischenstufen oder andere Abweichungen.)

Terry Pratchett hat mal irgendwo gesagt dass Klischess (und damit auch Tropes und Stereotypen und Artverwandtes) ganz einfach Hammer und Nagel in der Werkzeugkiste der Kommunikation sind. Du kriegst damit fast jede Geschichte hingebogen und jede Botschaft übermittelt. Finesse ist halt was anderes - da brauchst du entweder andere, speziellere Werkzeuge oder eine ganz andere, eigene Herangehensweise, was dann schon in Richtung Kunst abwandert.

Ich gehe mit @KaPunkt konform: es kommt vor allem darauf an, wie man die Tropes ausführt, wie man sie mit Leben erfüllt und sie in die ganz eigene Geschichte einbaut. Es sind Schablonen und sie werden nicht überall zu 100% passen, nicht beim Plot, nicht bei der Botschaft, nicht bei den Figuren, wenn diese echte Charaktere sind anstatt Abziehbildchen. Dann werden sie sich in gewissen Punkten einfach anders verhalten, als es "das Trope" vorgibt, und man muss als Autor darauf reagieren und das Trope anpassen, es womöglich komplett verdrehen. Das kannauch eine Hilfestellung sein, wenn man weiß, was das Publikum eigentlich erwarten würde, und man sich gedanklich daran entlanghangeln kann, um heraus zu finden, wie man am besten vermittelt wie und warum hier etwas anders ist.

Einer meiner Lieblings YouTube-Kanäle Overly Sarcastic Productions (https://www.youtube.com/channel/UCodbH5mUeF-m_BsNueRDjcw) hat eine ganze Reihe an Videos (auf Englisch), wo verschiedene Tropes untersucht werden - wo sie herkommen, wie sie normalerweise ausgeführt werden und wie sie oftmals gebrochen werden.

Manchmal entwickelt man auch seine ganz eigenen Tropes (obwohl die meistens dann auch Spiegel gewisser Story-Elemente sind, die man aus dem ein oder anderen Grund selbst sehr gerne liest) - bei mir kommt zB oft ein "Herz des Waldes" oder etwas ähnliches vor, jedes Mal mit in etwa gleicher Bedeutung was die "Form" betrifft (der innerste Teil eines Waldes, den man nicht so einfach betreten kann, weil dort etwas besonderes/göttliches/mächtiges zuhause ist), aber mit unterschiedlichen Bedeutungen in der Geschichte und für die Protagonisten (Zuflucht, die Höhle des Löwen, die Quelle allen Übels,  ...)

Also um die eigentliche Frage zu beantworten: Jedes Trope hat Potenzial, wenn man es richtig angeht. Von einigen werde ich mich grundsätzlich fern halten, weil ich persönlich rein gar nichts damit anfangen kann, andere liebe ich und werde sie immer wieder nutzen und halt entsprechend anpassen.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Mondfräulein am 29. November 2020, 12:28:42
Mir geht es nicht unbedingt darum, darüber zu sprechen, wie ich ganz allgemein mit dem Thema Tropes umgehen soll. Vielmehr geht es mir um das Wie und Was. Nicht "Kann ich Tropes spannend gestalten?" sondern "Wie kann ich Tropes umdrehen und spannend gestalten?" und "Welche Tropes eignen sich dafür?"

Zitat von: Alina am 29. November 2020, 09:57:55
Das man in einzelnen Punkten mit Tropes bricht, ist sicher sinnvoll, aber Tropes ganz umzudrehen, damit wäre ich jetzt zurückhaltend. Ich hätte die Befürchtung, die Erwartungen der Leser zu enttäuschen und dass es auf diese Weise schwerer wird, eine Geschichte zu erzählen, die den Leser berührt.

Den Punkt finde ich zum Beispiel wirklich super spannend. Kannst du vielleicht ein Beispiel nennen? Ist das vielleicht genreabhängig (dass ich der Love Interest als mieses Arschloch entpuppt ist in einem Krimi vielleicht besser untergebracht als in einem Liebesroman)? Wann ist ein Trope zu sehr umgedreht und was ist noch in Ordnung?

Zitat von: Dämmerungshexe am 29. November 2020, 12:08:09
Ich gehe mit @KaPunkt konform: es kommt vor allem darauf an, wie man die Tropes ausführt, wie man sie mit Leben erfüllt und sie in die ganz eigene Geschichte einbaut. Es sind Schablonen und sie werden nicht überall zu 100% passen, nicht beim Plot, nicht bei der Botschaft, nicht bei den Figuren, wenn diese echte Charaktere sind anstatt Abziehbildchen. Dann werden sie sich in gewissen Punkten einfach anders verhalten, als es "das Trope" vorgibt, und man muss als Autor darauf reagieren und das Trope anpassen, es womöglich komplett verdrehen. Das kannauch eine Hilfestellung sein, wenn man weiß, was das Publikum eigentlich erwarten würde, und man sich gedanklich daran entlanghangeln kann, um heraus zu finden, wie man am besten vermittelt wie und warum hier etwas anders ist.

Also im Prinzip: gut ausgearbeitete Figuren und den Ablauf der Geschichte gut genug in ihren Eigenheiten oder den Eigenheiten der Geschichte begründen? Das finde ich spannend. Vielleicht stören uns Tropes in vielen Fällen auch, weil Dinge passieren, "weil das halt so gehört" und nicht aus Gründen, die wir innerhalb der Geschichte nachvollziehen können?
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: KaPunkt am 29. November 2020, 12:31:07
Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 12:28:42
Vielleicht stören uns Tropes in vielen Fällen auch, weil Dinge passieren, "weil das halt so gehört" und nicht aus Gründen, die wir innerhalb der Geschichte nachvollziehen können?

Da hast du - zumindest für mich - den Kern getroffen.

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Trippelschritt am 29. November 2020, 13:39:47
Es gibt bezüglich Tropes zwei Typen von Lesern, wenn ich sie nach ihren Erwartungen einteile.
- Die eine Gruppe wünscht sich Geschichten, in denen alle ihre wichtigen Erwartungen erfüllt werden. Davon lebt zum Beispiel der klassische Heftroman.
- Die andere Gruppe möchte immer wieder überrascht werden. Davon lebt z.B. "Das Damengambit". Allerdings muss man hier doch etwas zügeln. Wenn keine einzige Erwartung mehr erfüllt wird, fängt die Handlung an beliebig zu werden und die Leserbindung löst sich auf. Da die Tropes ein gewaltiges Beharrungspotential aufweisen, kann man aber wohl sagen: Im Zweifelsfrall noch eine Windung mehr.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Dämmerungshexe am 29. November 2020, 13:54:15
Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 12:28:42
Vielleicht stören uns Tropes in vielen Fällen auch, weil Dinge passieren, "weil das halt so gehört" und nicht aus Gründen, die wir innerhalb der Geschichte nachvollziehen können?

Ja, eigentlich das.


Ein anderer Aspekt, den man sich anschauen muss sind auch "problematische" Tropes - Damsel in Distress, also die Prinzessin die zu nichts anderem da ist, um gerettet zu werden, wird heutzutage kaum noch akzeptiert weil die meisten Frauen/Mädchen sich allgemein mit solch passiven Rollen nicht mehr zufrieden geben und sich nicht so repräsentiert sehen wollen. Ähnlich sieht es mit typisch Antihelden usw. aus, die oft in toxische Männlichkeit abgleiten. (Gibt natürlich auch einige Gegenbeispiele und gerade die Damsel in Distress hat mit Twilight und ähnlichem eine Art Rennaissance erfahren - warum auch immer).
Einige dieser Klischees und Stereotypen sind halt schon sehr alt und kommen aus Traditionen und Wertevorstellungen, von denen man sich langsam verabschieden sollte. Sie dennoch zu nutzen, und vor allem unreflektiert zu nutzen, unterstützt dann problematische Denk- und Verhaltensmuster. Gerade auch, weil es so altbekannte und gewohnte Schablonen sind, dass wir sie direkt erkennen und verinnerlichen.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Siara am 29. November 2020, 14:04:15
Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 12:28:42
Mir geht es nicht unbedingt darum, darüber zu sprechen, wie ich ganz allgemein mit dem Thema Tropes umgehen soll. Vielmehr geht es mir um das Wie und Was. Nicht "Kann ich Tropes spannend gestalten?" sondern "Wie kann ich Tropes umdrehen und spannend gestalten?" und "Welche Tropes eignen sich dafür?"
Ein wunderbares Beispiel für eine Reihe, die Tropes verdreht hat, ist für mich die Klingen-Reihe von Abercrombie. Ich fand sie großartig, und viele andere offenbar auch, sonst wäre sie nicht so erfolgreich. Ich habe allerdings auch schon Leute sagen hören, dass sie am Ende sehr frustriert waren, und auch das kann ich nachvollziehen. Dazu im Spoiler:

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Auch Rothfuss' "Der Name des Windes" bedient sich gleich bei mehreren Tropes, macht aber von Anfang an klar, dass sie nicht so enden werden, wie man es als Leser gewohnt ist.

Meine Befürchtung ist, dass, wenn man den Tropes ein Kernelement nimmt oder sie verdreht, die Geschichte sich unbefriedigend anfühlt. Das ist kein Gegenargument, aber etwas, das man im Kopf haben muss. Auch damit kann man spielen, auch das kann man benutzen, wenn man sich der Wirkung bewusst ist.

Um das aufzulösen, sehe ich mehrere Möglichkeiten.
1. Man ersetzt das, was die Trope sonst rund und vollständig gemacht hätte, durch etwas anderes. Beispiel: Die "Princess"-Reihe von Dawn Cook.
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2. Man zielt genau auf diese unbefriedigende Lücke ab und nutzt sie als eigenständiges Element, wo wir wieder bei Abercrombie wären. Allerdings funktioniert das meiner Meinung nach nicht in allen Genres. Romantasy, in der der geheimnisvolle, gutaussehende Typ sich dann am Ende doch lieber jemand Spannenderen sucht als die graue Maus, sodass die allein in ihr langweiliges Leben zurückkehren muss? Fans macht man sich unter den Lesern damit vermutlich nicht viele.
3. Man nutzt die Trope als Rahmen, als eine Art Verkleidung, versteckt dahinter aber etwas anderes. Gut gemacht kann das dafür sorgen, dass dem Leser am Ende die Trope gar nicht mehr so wichtig ist und die Erwartungen sich in eine andere Richtung verschieben. Auch wenn diese andere Richtung dann eventuell nur wieder eine andere Trope ist. :hmmm:

Meiner Meinung nach kann das Spielen, Verdrehen und Kippen von Tropes wunderbar funktionieren, ohne dass eine klare Grenze gibt, ab der es zu viel wird. Man muss aber immer im Hinterkopf behalten, was man mit der Geschichte bezwecken will und wo der Leser seine "Belohnung" bekommt.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Zit am 29. November 2020, 15:10:45
Um Tropes zu wandeln, muss man erstmal wissen, oder darüber nachdenken, woher sie kommen. Die wachsen ja nicht einfach aus dem Boden sondern sind romangewordene Pendants von Lebensrealitäten. Bei vielen Beispielen im Startpost musste ich an Kabale und Liebe denken, weil sie eigentlich nur ,,Liebe bei Standesunterschieden" in Verkleidung sind. Das wirkt nach heutigen Maßstäben aufgesetzt, weil wir an sich keine Standesunterschiede im Sinne von Adel/ Plebus mehr haben, findet sich dann in moderner Variante in den ganzen Millionärsromanen doch wieder zuhauf. Wobei man sicherlich auch sagen kann, dass es ganz allgemein ein Grundkniff ist, Figuren, die zusammen arbeiten müssen/ zusammen kommen müssen, in ihren Grundeigenschaften so zu gestalten, dass Spannung ensteht — und wie geht das besser mit Gegensätzen. Sei es der Gelehrte, der auf den Haudrauf trifft, oder der Prinz, der sich in die Magd verguckt. Alles dasselbe. Also, ich würde sagen, dass man aufhört in Tropes zu denken und anfängt, das Menschliche dahinter zu sehen. Vielleicht findet man dann auch Mittel und Geschichten, die einem selbst neu vorkommen und nicht ausgelutscht.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Mondfräulein am 29. November 2020, 15:26:10
Sehr spannende Antworten bisher!

Zitat von: Trippelschritt am 29. November 2020, 13:39:47
Es gibt bezüglich Tropes zwei Typen von Lesern, wenn ich sie nach ihren Erwartungen einteile.
- Die eine Gruppe wünscht sich Geschichten, in denen alle ihre wichtigen Erwartungen erfüllt werden. Davon lebt zum Beispiel der klassische Heftroman.
- Die andere Gruppe möchte immer wieder überrascht werden. Davon lebt z.B. "Das Damengambit". Allerdings muss man hier doch etwas zügeln. Wenn keine einzige Erwartung mehr erfüllt wird, fängt die Handlung an beliebig zu werden und die Leserbindung löst sich auf. Da die Tropes ein gewaltiges Beharrungspotential aufweisen, kann man aber wohl sagen: Im Zweifelsfrall noch eine Windung mehr.

Das klingt erstmal schlüssig. Vielleicht erwarten Leser je nach Genre von Tropes auch unterschiedliche Dinge. Im klassischen Liebesroman haben die Leser meistens sehr strikte Erwartungen und finden Bücher, die diese Erwartungen nicht erfüllen, einfach nicht gut. In einem anderen Genre würde ich aber vielleicht erwarten, dass die Tropes, die im Liebesroman erfüllt werden, dort gerade gebrochen werden, weil das schon so etabliert ist. Beispielsweise Game of Thrones. Da wurde das furchtbare Schicksal der Figuren schon so sehr zu einem Trope, dass ein Happy End überrascht hätte. Selbst die Figuren, die am Ende ein Happy End bekommen haben, mussten dafür furchtbar leiden oder in anderen Bereichen vieles aufgeben.

Oder ein anderes Beispiel: In einem Krimi erwarte ich meistens, dass ich am Ende erfahre, wer der Mörder ist. Was, wenn ich aber ein Buch darüber schreibe, wie Angehöre und Ermittler damit umgehen, dass sie dieses Rätsel nicht lösen können? Das klingt erstmal nach einer richtig spannenden Geschichte, aber als klassischer Krimi vermarktet würde es wahrscheinlich viele Leser enttäuschen, oder?

Insofern hat es vielleicht auch viel damit zu tun, welche Erwartungen ich zu Beginn beim Leser wecke. Arbeite ich das ganze Buch darauf hin endlich zu erfahren, wer der Mörder ist, dann ist der Bruch mit diesem Trope am Ende nicht überraschend sondern eher enttäuschend und unbefriedigend.

Zitat von: Siara am 29. November 2020, 14:04:15
Meine Befürchtung ist, dass, wenn man den Tropes ein Kernelement nimmt oder sie verdreht, die Geschichte sich unbefriedigend anfühlt. Das ist kein Gegenargument, aber etwas, das man im Kopf haben muss. Auch damit kann man spielen, auch das kann man benutzen, wenn man sich der Wirkung bewusst ist.
[...]
Meiner Meinung nach kann das Spielen, Verdrehen und Kippen von Tropes wunderbar funktionieren, ohne dass eine klare Grenze gibt, ab der es zu viel wird. Man muss aber immer im Hinterkopf behalten, was man mit der Geschichte bezwecken will und wo der Leser seine "Belohnung" bekommt.

Ich denke ein wichtiger Punkt ist, dass es am Ende irgendetwas gibt, was ich befriedigend anfühlt. Deshalb ist es wie @Zitkalasa schon gesagt hat wichtig erstmal zu verstehen, was das Trope macht und warum es funktioniert. Wenn mein Protagonist am Ende wieder dort landet, wo er am Anfang war und sich nicht verändert hat, dann hat es keine Entwicklung gegeben und wofür habe ich die Geschichte dann erzählt? Allerdings könnte ich in diesem Fall zum Beispiel eine andere Figur einführen, die sich durchaus verändert und die Geschichte nutzen um aufzuzeigen, warum eine Person es nicht schafft, sich zu entwickeln, die andere aber schon. Neben den Möglichkeiten, die du genannt hast, könnte ich zum Beispiel mit einem Trope brechen, aber ein anderes Trope wie gewohnt erfüllen.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: FeeamPC am 29. November 2020, 18:08:55
Ist eigentlich egal, ob und mit wie vielen Tropes man schreibt. Man muss nur Spaß an seiner Erzählung haben, in der Regel kommt das dann beim Leser richtig an. Der Leser erwartet einfach eine gut gescrhiebene, überzeugende Geschichte (und manchmal überzeigen selbst Geschichten mit klaffenden Logiklöchern). Ob er diese Geschichte dann mag oder nicht, dass wiederum können wir eh nicht beeinflussen.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Mindi am 29. November 2020, 20:12:07
Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 15:26:10
Oder ein anderes Beispiel: In einem Krimi erwarte ich meistens, dass ich am Ende erfahre, wer der Mörder ist. Was, wenn ich aber ein Buch darüber schreibe, wie Angehöre und Ermittler damit umgehen, dass sie dieses Rätsel nicht lösen können? Das klingt erstmal nach einer richtig spannenden Geschichte, aber als klassischer Krimi vermarktet würde es wahrscheinlich viele Leser enttäuschen, oder?

Das würde ich nicht Trope nennen, sonder Genre Konventionen und Erwartungen, die ein Leser an ein Genre hat. In einem Krimi gibt es ein Verbrechen und das wird aufgeklärt. In einem Liebesroman erwartet man eine Liebesgeschichte und im Normalfall ein Happy End. Auch mit den Konventionen kann man brechen, aber das ist noch schwieriger als mit einem Trope wie z.b. dem einsamen Einsiedler-Lehrmeister-goes-Opfer Trope. Und nicht jedes Buch muss zwangsweise Genre sein, aber wenn man Genreromane schreiben will, dann sollte man schon gewisse Erwartungen, die ein Leser hat, erfüllen. Oder sie so bewusst und gut brechen, dass ein Leser dennoch begeistert ist. Aber da würde ich es auch nicht übertreiben, sondern ganz bewusst die Stellschraube auswählen, auf die es ankommt.

In meinem Nano habe ich eine Love Triangel, klassisch für Romance, wobei das bei mir nicht der Hauptplot ist. Bei einer Triangel gibt es immer eine bessere und eine schlechtere Wahl und am Ende entscheidet die Figur in der Mitte sich für die eine oder andere Möglichkeit. Aber ich mochte das noch nie, also haben beide ihre Fehler, beide fühlen sich auf andere Weise mit ihr verbunden und am Ende (so der Plan) werden sie eine ehrliche Dreierbeziehung führen. Keine Ahnung, ob das gut ausgeht und wie das auf einen Leser wirkt, der es gewohnt ist, dass die mittlere Figur sich für einen von beiden entscheidet. Wenn sie beide will, weil sie beide liebt. Damit erfinde ich auch kein Rad neu, auch das gab es schon, wie so ziemlich alles.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Linda am 29. November 2020, 21:07:05
Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 12:28:42

Meiner Meinung nach kann das Spielen, Verdrehen und Kippen von Tropes wunderbar funktionieren, ohne dass eine klare Grenze gibt, ab der es zu viel wird. Man muss aber immer im Hinterkopf behalten, was man mit der Geschichte bezwecken will und wo der Leser seine "Belohnung" bekommt.

In einem Romantasy/Mystery-Auftragsroman, der einen "Gaslicht"-(die Heftromanreihe, nicht der Film)-Plot haben sollte, habe ich eine (nicht ganz so naive) junge Frau in klassischem Frauenberuf zu einem geheimnisvollen Herrenhaus mit geheimnisvoll düsterdräuendem Love Interest (ihn auch noch "Wolf" genannt) und biestiger Mutter desselben gesteckt :-)
  Hauptfigur fühlt sich hingezogen und zurückgestoßen zugleich, Wolf ist auch seltsam 'übergriffig/patriachal'. Die Erwartungen wurden in die übliche Werwolf/Vampir/Rebecca-Schiene gelenkt, (und irgendwie verlieben sie sich auch) nur:
  am Ende kommt dann raus, Wolf stammt (wie seine biestige Frau, angeblich seine Mutter) aus dem letzten Jahrhundert, nur ist ihr Unsterblichkeitselixier alle und er braucht für den Ersatz das Blut genau dieser Krankenpflegerin (Nachfahrin der Familie). Er bleibt seiner Frau treu, und will die Pflegerin opfern, also nix mit Aschenputtel heiratet Prinzen.
Doch auf den letzten Metern, durchschaut sie das Spiel, entliebt sich von Wolf und tut sich stattdessen mit einem Burschen zusammen, um ihr Leben zu retten und das 'böse' Ehepaar zu stoppen. Dabei findet sie in ihm einen besser geeigneten, richtigen Partner (das ist die Belohnung fürs Herz)
Mein kontroversestes Werk bisher. Die einen sind enttäuscht, dass die lange angedeutete Dunkel-Lovestory-Nummer nicht aufgegangen ist, die anderen freuen sich über den Twist.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Churke am 29. November 2020, 23:43:49
Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 15:26:10
Wenn mein Protagonist am Ende wieder dort landet, wo er am Anfang war und sich nicht verändert hat, dann hat es keine Entwicklung gegeben und wofür habe ich die Geschichte dann erzählt?

Die Rückkehr zum Ausgangspunkt ist ein klassisches Muster bei Kurzgeschichten. Beim Roman hingegen nicht, denn es bedeutet, dass sich auf 300+ Seiten weder die Figur noch die Welt irgendwie verändert. Unter diesen Bedingungen überhaupt eine Geschichte zu erzählen, ist zumindest schwierig.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Alia am 01. Dezember 2020, 09:35:26
Ich glaube, dass man aus fast allen Tropes gute Geschichten basteln kann. Es sind m.E. weniger Werkzeuge, als viel mehr wiederkehrende Bilder.
Wenn man mal in die Malerei schaut: Wie viele Pferde sind schon gemalt worden? Und doch ist das blaue Pferde von Marc einzigartig. Wie viele Frauenportraits gibt es? Und doch verzaubert die Mona Lisa auch heute noch. Es gibt Künstler, die eine komplett neue Stilrichtung entwickeln. Aber das bedeutet nicht, dass die dargestellten Sachen unbedingt so neu sein müssen. Teich mit Seerosen? Sonnenblumen? Frau mit Hut? War alles schon vorher einmal da. Aber dennoch haben es einige herausragenden Künstler geschafft, das Dargestellte komplett neu zu erfinden und einmalige Kunstwerke zu erschaffen. Ich glaube, dass das "was" dargestellt wird, viel unwichtiger ist, als "wie" es dargestellt wird.
In jedem wirklich großen Werk schwingt m.E. ganz viel Seele des Künstlers mit. Und ich glaube, dass da auch das Geheimnis liegt: Man muss sich trauen, dem Werk seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Es soll eben keine 0815 dabei herauskommen, sondern etwas, das lebt und atmet. Das bekommen wir Schriftsteller über unsere ganz eigene Art zu erzählen, die Figuren, etc. hin. Nur weil man 2 Sachen miteinander verbindet, die es so noch nicht oft gab, bedeutet das nicht, dass es "neu" oder "gut" ist. Man kann auch eine altbekannte Geschichte so erzählen, dass sie vollkommen neu und unglaublich gut ist. Aber das ist nichts, das einfach ist und das nur wenige schaffen.
Ich sehe mich nicht ganz oben am Himmel der Schriftsteller, die so etwas können. Ich mache, wenn man es mal mit Essen vergleicht, Currywurst mit Pommes - kein 5-Sterne-Gourmet-Menü.  ;)
Aber man kann auch Pommes echt lecker machen und wer mag sie nicht ab und an mal ;D. Die müssen nicht mal besonders sein. Einfach gut gemacht reicht da schon.

Tropes benutze ich gern. Ich spiele manchmal mit ihnen und manchmal nehm ich sie einfach unverändert. Eigentlich habe ich in jedem meiner Romane einen Trope, aber ich versuche immer, dass nicht der Trope, sondern die Charaktere im Vordergrund stehen und sie die Handlung vorantreiben. (Betonung auf versuche ...)

Von meinen drei Rockstarromance-Romanen kommt lustigerweise derjenige am Besten an, den ich gar nicht mit einem Romanceplot als Hauptplot geschrieben habe.  :rofl:
Ich habe den Trope "Er verliebt sich in die kleine Schwester des besten Freundes". Ich habe allerdings den Schwerpunkt anders gesetzt. Bei mir stehen nicht die beiden Liebenden im Vordergrund, sondern der Hauptplot ist der um die beiden Freunde. Frage ist also nicht "kommen die beiden Liebenden zusammen?" - das tun sie schon nach dem halben Buch -, sondern "wie können die beiden Männer danach noch befreundet sein?"
Grob gesagt ist der Plot im Buch:
Sie sind beste Freunde, aber ein Geheimnis (C liebt Rs kleine Schwester A) steht zwischen Ihnen.
C ist zwischen der Liebe zu A und der Freundschaft zu R hin und hergerissen.
Er entscheidet sich für die Liebe.
R bekommt das ganze raus und die Freundschaft zerbricht.
C kämpft um die Freundschaft.
C beweist R, dass er A wirklich liebt und R immer ein guter Freund sein wird.
C und R sind beste Freunde, ohne Geheimnis zwischen ihnen.

Band 1 der Rockies ist der "Aschenputtel-Trope". Sie hat nichts - er hat alles. Außerdem kommt noch eine Prise "Verbotene Liebe" dazu, weil der Bandvertrag feste Beziehungen verbietet.

Den Dreieckstrope habe ich in Band 3. Sie steht zwischen 2 Männern und muss sich entscheiden. Soweit so üblich. Allerdings sind es eher drei Dreiecke, denn auch die beiden Kerle stehen jeweils zwischen ihr und dem anderen. Denn im Laufe des Buches erkennen die zwei, dass da nicht nur Freundschaft zwischen ihnen ist ...
Und wie Mindi löse ich ihn nicht wie üblich auf. Das geht bei der Konstellation auch gar nicht. Am Ende sind sie zu dritt glücklich und es gibt ein echtes Love-Triangle. (Wobei eigentlich zu viert, weil da noch Nachwuchs kommt.)

In Band vier habe ich den "Zwillings-Trope". Er verliebt sich in die eine Zwillingsschwester, kommt aber dann mit der "Falschen" zusammen. Hauptplot ist hier aber wieder nicht die Liebesgeschichte, sondern ihr Kampf um ein selbstbestimmtes Leben.

Insgesamt lässt sich wohl sagen, dass alles schon einmal da war. Aber jeder von uns so einzigartig ist, dass es anders wird, wenn er es auf seine Weise erzählt. Wichtig ist halt, dass man es wirklich "auf seine Weise" macht. Es ist halt immer ein Balanceakt zwischen guter Technik und Individualität.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Churke am 01. Dezember 2020, 14:01:42
Zitat von: Alia am 01. Dezember 2020, 09:35:26
Ich glaube, dass man aus fast allen Tropes gute Geschichten basteln kann.

Darum gibt es sie ja. Das arme Waisenmädchen, der weiße Ritter, der schwarze Ritter, der traumatisierte Finsterling, die böse Schwiegermutter, der böse Bruder, der einsame Wolf, der vernarbte Ex-Kämpfer, der letzte Bankraub, der lustige Quoten-Schwarze, der kolumbianische Großdealer, das blonde Gift, der Bulle und das Mädchen, Nazi (I), Nazi (II), Nazi (III), der edle Wilde, der chinesische Meister, der russische Mafioso, die kleine Diebin usw.. Die Bühne ist frei.

Man sollte allerdings nie (nie!) ein Klischee verwursten, das gerade out ist. Das fällt dann richtig unangenehm auf.   
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Phlox am 03. Dezember 2020, 16:39:56
Zitat von: Churke am 01. Dezember 2020, 14:01:42
Man sollte allerdings nie (nie!) ein Klischee verwursten, das gerade out ist. Das fällt dann richtig unangenehm auf. 

Welche wären das denn deiner Meinung nach? Das würde mich interessieren!
Und wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass selbst so ein ausgelutschter Topos wie "tugendhafte Jungfrau erlöst in Not geratenen Helden" so einschlägt, ich denke an die "Fifty Shades"....  ::)   
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Ixys am 04. Dezember 2020, 17:09:20
Ich glaube, (wie auch schon gesagt wurde), dass Tropes vor allem dann gut ankommen, wenn man dahinter Motive wiedererkennt, die sich auch in Beziehungen im Alltag wiederfinden lassen. Dass sich zum Beispiel jemand für eine Geschichte, in der das Trope Prinz verliebt sich in Bauernmädchen vorkommt interessiert, der in seinem Umfeld jemanden hat, der gerade Gefühl für seinen Chef (oder als Chef für seinen Angestellen) entwickelt. Ich lese die Geschichte vom ich-will-einfach-nur-Spaß-haben Außenseiter, der plötzlich Verantwortung für Andere übernehmen muss nicht deshalb gerne, weil sie mir ein erwartetes Ergebnis liefert oder irgendwelche Stereotypen bedient, sondern weil ich sehen möchte, wie jemand zb mit hohem Erwartungsdruck umgeht. Es geht mir (persönlich) beim Lesen also gar nicht so sehr darum, welches Trope gerade verwendet wird, sondern eher darum, wie dieses Muster benutzt wird, um etwas über die Charaktere aufzudecken oder was dadurch gezeigt wird, also vielmehr um das "wie" als das "was".

@Churke und @Phlox : Meine Meinung wäre also, dass sich eigentlich jedes Klischee oder Trope, egal wie ausgelutscht oder "out" es erscheint, benutzen lässt um etwas spannendes über eine Beziehung oder Person zu zeigen. Je nach Genre gibt es da aber bestimmt Sachen, mit denen man sich das Leben leichter machen kann als mit anderen.

Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Churke am 04. Dezember 2020, 20:02:47
Zitat von: Phlox am 03. Dezember 2020, 16:39:56
Welche wären das denn deiner Meinung nach? Das würde mich interessieren!

Sicher?

Okay. Beispiele:

Aus Vergewaltigung wird Liebe. Der vielleicht erfolgreichste Vertreter dieses Topos ist "The Sheik". 1921 verfilmt als Kassenknüller.
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Scheich

Der Bestseller und Megahit "Birth of a Nation" schwelgt in (heute) politisch unkorrekten Mythen und rassistischen Klischees.
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Geburt_einer_Nation

"Frau im Mond" bedient antiamerikanische Klischees der Weimarer Republik.
https://de.wikipedia.org/wiki/Frau_im_Mond

Ich weiß auch nicht, ob man einen Film wie "Public Enemies" heute noch so drehen könnte. Gibt freilich auch immer wieder den Fall, dass Leute etwas gut finden, weil sie nicht verstehen, wie es gemeint ist.


Tropes sind aber nicht im luftleeren Raum, sondern stehen in Beziehung zu einem Setting und/oder der Lebensrealität. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Und so werden aus der Lebensrealität der Autoren wie auch der Leser immer neue Variationen und Interpretationen entstehen. Was vor 100 Jahren unvorstellbar war, ist heute politisch korrekt, und was damals politisch korrekt war, ist heute unvorstellbar. So gesehen ist das Potenzial praktisch unbegrenzt.


Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Soly am 05. Dezember 2020, 10:24:47
Wenn ich so über die Titelfrage nachdenke und die bisherigen Antworten lese, fällt mir auf, dass der Begriff "Trope" kein bisschen trennscharf, sondern ziemlich verwaschen ist. Ich finde, es lohnt sich, verschiedene Arten von Tropes verschieden zu behandeln.

Zum einen sind da Sachen wie das von @Volker angesprochene "alter eremitischer Lehrmeister bringt Held alles bei und wird dann umgenietet"-Trope. Das bezieht sich ja explizit auf eine einzelne Szene beziehungsweise einige direkt aneinander anknüpfende Szenen, die immer nach diesem Schema ablaufen. Wenn dieses Trope verwendet wird, sorgt das dafür, dass ich gelangweilt sage: "Du stirbst, und zwar - 3... 2... 1... - genau jetzt."
Mit anderen Worten, der genaue Ablauf der Ereignisse ist vorhersehbar und damit langweilig, wenn er exakt nach Schema F abgearbeitet wird. Was man aber nicht tun muss, denn dieses Trope existiert ja nicht aus Spaß, sondern weil es zwei wichtige Dinge für die Story erreicht:
Lehrmeisters Unterricht sorgt dafür, dass Held die eigenen Fähigkeiten exploriert und festigt, und die damit einhergehende Verantwortung begreift. Lehrmeisters Tod sorgt dafür, dass Held die Grenzen der eigenen Fähigkeiten erkennt.
Aber beides kann man auch anders erreichen, ohne den eremitischen Lehrmeister, so dass das implizit Erzählte gleich bleibt, aber der Ablauf der Ereignisse neu und (zumindest ein bisschen) unvorhersehbar ist.

Auf der anderen Seite sind da Tropes wie das von @Phlox erwähnte mit der "tugendhaften Jungfrau" und dem "Held in Nöten". Das wiederum bezieht sich auf den Aufbau der ganzen Story, aber nicht auf detaillierte Abläufe. Wenn dieses Trope verwendet wird, weiß ich zwar grob, worauf es wahrscheinlich letzten Endes hinauslaufen wird, aber ich kann nicht automatisch jede Szene voraussagen und kann - wenn es halbwegs kompetent geschrieben ist - immer noch überrascht werden.
Ich denke, man kann solche Tropes ganz gut mit den "4-Chord-Songs" vergleichen, die von den Axis of Awesome populär gemacht wurden (Klick (https://www.youtube.com/watch?v=oOlDewpCfZQ)). Ein fast schon erschreckend großer Teil der modernen Musik basiert auf den exakt gleichen vier Akkorden in der exakt selben Reihenfolge. Und trotz dieser Tatsache, dass immer das gleiche Schema zugrunde liegt, klingt zum Beispiel Hulapalu (https://www.youtube.com/watch?v=lHZtcC67yrY) von Andreas Gabalier völlig anders als das Kernthema aus Thor 2 (https://www.youtube.com/watch?v=Bd6F2UOjOI8) von Brian Tyler - weil über Rhythmus, Melodie und Klangfarbe so viel Spielraum herrscht, dass man mit etwas Einfallsreichtum immer noch etwas Neues auf derselben Grundlage entwickeln kann.
Genauso haben wir beim Schreiben über Charaktere, Setting, Plot und Atmosphäre die Möglichkeiten, mit ein und demselben Trope als Grundlage tausende Geschichten in hunderten Genres zu schreiben, von denen einige sich sicher ähneln, andere aber als neu, verschieden und überraschend gelesen werden können.

Also um die Titelfrage abschließend zu beantworten: Meiner Meinung nach sind es genau diese Tropes, die sich auf Anfangs- und Endpunkt der Geschichte beziehen, aber keine Details vorgeben, die Potential für viele schöne Geschichten haben.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: Phlox am 05. Dezember 2020, 12:29:46
Solmorn hat das so schön formuliert, dass ich jetzt irgendwie ein schlechtes Gewissen habe, noch mal dazwischen zu hüpfen... Aber Churkes Negativbeispiele haben mich inspiriert, und Mondfräulein hatte ja nach konkreten Beispielen gefragt - diese sind mir dazu noch eingefallen:

- "Edler 'Wilder'" trifft auf degenerierten, abgebrühten 'Zivilisierten'". Ich könnte mir vorstellen, dass uns dieses Motiv angesichts aktueller ökologischer Krisen in neuem Gewand bald mal wieder begegnen könnte. (Ist vielleicht schon passiert, was TV & Co angeht, bin ich nie auf dem neuesten Stand.)

- Familie. Antigone, Ödipus & Co. - alles, was schon rund um Troia und bei den alten Griechen "passiert ist", wird nie aus der Mode kommen, solange es Familienbande gibt...

- religiöse Mythen und Motive. So etwas wie Hesses "Siddharta" in... Neu. Ich habe keine klare Vorstellung, wie so etwas aussehen könnte - vielleicht mit mehr Betonung auf Gemeinschaft statt auf Individuum - aber Potenzial? Durchaus, denke ich! Aber mag sein, damit habe ich den Bereich der "Tropes" endgültig verlassen und bin bei den Genres angekommen.
Titel: Re: Welche Tropes haben noch Potenzial?
Beitrag von: AlpakaAlex am 29. August 2021, 21:26:22
Einer der Tropes, den ich wirklich sehr liebe, ist Friends to Lovers. Das liegt einfach daran, dass der Wert von Freundschaft als Grundlage für Romanzen in meinen Augen total unterschätzt wird. Zu oft ist es in Romancen entweder der mysteriöse Fremde oder wir haben irgendeine Form von Enemies to Lovers, aber allgemein haben oft die romantischen Partner*innen so selten ein gutes Verhältnis zueinander, ehe sie zusammenkommen. Das finde ich einfach nur extrem schade.

Ich finde es außerdem spannend, was man technisch gesehen mit dem Auserwählten Trope machen kann. Ich selbst subvertiere diesen Trope einfach unglaublich gerne auf verschiedene Arten. In meiner Urban Fantasy Welt ist es so, dass Gottheiten alle Auserwählte haben, die aber bei einigen Gottheiten sehr austauschbar sind. Außerdem dienen sie nicht dazu, die Welt zu retten oder so, sondern die persönlichen Ziele der Gottheiten

Ich habe außerdem einen riesigen Faible für den Trope Strong Girl, Smart Boy. Sprich: Eine Mann-Frau-Kombi, in dem der Mann ein schwacher Nerd ist, während die Frau Badass ist. Das würde ich gerne auch häufiger sehen.

Außerdem liebe ich den Mama Bear Trope unglaublich gern. Das ist einfach eine Art von Charakter, von der ich gerne deutlich mehr sehen würde.



Zitat von: Phlox am 05. Dezember 2020, 12:29:46
- "Edler 'Wilder'" trifft auf degenerierten, abgebrühten 'Zivilisierten'". Ich könnte mir vorstellen, dass uns dieses Motiv angesichts aktueller ökologischer Krisen in neuem Gewand bald mal wieder begegnen könnte. (Ist vielleicht schon passiert, was TV & Co angeht, bin ich nie auf dem neuesten Stand.)
Ich möchte an der stelle anmerken, dass "Der edle Wilde" ein rassistischer Stereotyp ist - auch wenn er subvertiert wird.